Wiederkehr der Rassenhygiene?

Zuletzt aktualisiert am 16. Juni 2011.

der gral wurde von der völkischen bewegung als reines blut der rasse gedeutetDer Gesundheitsausschuss des Europäischen Parlaments setzt sich neuerdings dafür ein, Krankheiten mit Hilfe von Selektion und genetischer Beratung »auszumerzen«. Ein Änderungsvorschlag zur Empfehlung der Kommission, die Lage erkrankter Menschen durch Koordination von Forschung auf europäischer Ebene zu verbessern, fordert, »Bemühungen zu unterstützen, um seltene Erbkrankheiten zu verhindern, die schließlich zur Ausmerzung (»eradication«) dieser seltenen Krankheiten führen werden.«

Ausdrücklich werden genetische Beratung und die Selektion (»selection«) gesunder Babys vor der Einpflanzung genannt. Verfasst wurde der Änderungsvorschlag vom griechischen Christdemokraten Trakatellis zusammen mit einer niederländischen Sozialdemokratin, einer belgischen Liberaldemokratin und einem zyprischen Sozialisten. Die parteiübergreifende Koalition der Rassenhygieniker setzt auf die Verhinderung erbkranken Nachwuchses (so nannte man das früher) auf europäischer Ebene, nicht zuletzt, um Kosten zu vermeiden, die durch diesen Nachwuchs entstehen. Um welche Dimensionen es dabei geht, wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass die EU-Kommission von etwa 5000 bis 8000 seltenen Krankheiten spricht, an denen 6 bis 8 Prozent der EU-Bürger leiden. Das sind auf die Bevölkerungszahl der EU übertragen 27 bis 36 Millionen Menschen. Nach Trakatellis und Konsorten hätten diese Menschen gar nicht erst geboren werden dürfen.

Die Denkweise, die dem Änderungsvorschlag zugrunde liegt, steht in schroffem Gegensatz zur Antidiskriminierungspolitik der EU, die sich darum bemüht, jegliche Art von Benachteiligung aufgrund körperlicher Merkmale, zu denen auch Krankheiten gehören, zu beseitigen. Während auf der einen Seite »Behinderte« oder Benachteiligte in das Leben der Gesunden integriert werden sollen, bemühen sich auf der anderen Neo-Eugeniker darum, eine solche Integration in Zukunft überflüssig zu machen. Wenn aus Gründen der Kostenvermeidung künftig genetische Zwangsuntersuchungen eingeführt werden, die die Grundlage für staatlich sanktionierte Entscheidungen über die Erlaubnis zur Fortpflanzung oder die Pflicht zur Abtreibung bilden, werden endlich jene Ziele verwirklicht sein, von denen die Eugeniker und Rassenhygieniker des frühen 20. Jahrhunderts träumten. Eine Welt, in der Menschen aufgrund genetischer Merkmale und aus Kostengründen selektiert werden, ist keine bessere Welt, sondern eine totalitäre Horrorvision.

Bücher zum Thema:

Peter Weingart et al: Rasse, Blut und Gene: Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland
Otto Speck: Soll der Mensch biotechnisch machbar werden?: Eugenik, Behinderung und Pädagogik

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