Wissenschaft und Esoterik XVI – Der Irrtum der Geschichte – »Magie«

Zuletzt aktualisiert am 12. Juni 2013.

2. Verdorbene Begriffe: Magie

Goethes Faust gibt tiefe Einblicke in die »Magie«. Radierung von Rembrandt

Von der Magie gibt es laut einer Feststellung von Marco Pasi fast so viele Definitionen, wie Autoren, die über sie geschrieben haben. Aber die meisten dieser Definitionen gehen auf drei einflussreiche Versuche zurück.

1. Intellektualistische Definitionen orientieren sich an Tylor, der Magie als einen Irrtum verstand, der ideelle Analogien mit realen gleichsetze (der Primitive glaube, was in seinem Denken verknüpft sei, müsse auch in der Tatsachenwelt verknüpft sein). Frazer vereinfachte diese Erklärung in einer evolutionistischen Triade: die Menschheit hat sich von der Magie über die Religion zur Wissenschaft hin bewegt. Frazer verstand unter Magie »sympathetische« Magie: Dinge wirken aufeinander aufgrund einer geheimen Verwandtschaft. Beide Definitionen gingen von der Wissenschaft aus, nicht von der Religion. Die Magie setze, so die Annahme, imaginäre Analogien, Korrespondenzen und unsichtbare Kräfte voraus, im Gegensatz zu den Kausalmechanismen des Positivismus.

2. Funktionalistische Definitionen gehen auf Mauss und Durkheim zurück und konzentrieren sich auf Rituale. Für Mauss waren alle Riten magisch, die nicht Bestandteil eines organisierten Kultes sind und für Durkheim war Religion immer Gruppenüberzeugung, während es keine »Kirche der Magie« geben könne. Diese Definitionen gehen von der Religion aus, denn die Handlungen eines Magiers sind für Durkkeim inhärent antireligiös, während Mauss sie als das »Andere« der organisierten Religion definiert.

3. Eine bewusstseinstheoretische Definition geht auf Lévy-Bruhl zurück. Ihr liegt die Unterscheidung zwischen einem Weltbild zugrunde, das Kausalität akzeptiert und einem anderen, das auf der Vorstellung der Partizipation beruht. Anfangs glaubte Lévy-Bruhl, Partizipation sei typisch für primitive Gesellschaften, erkannte aber später, dass sie für alle Gesellschaften konstitutiv ist, auch für moderne. Die (undifferenzierte) Vorstellung hat sich durchgesetzt, Lévy-Bruhl habe Magie und Partizipation als Synonyme betrachtet, was dazu führte, dass viele Autoren behaupteten, die Magie beruhe »auf einer anderen Art von Rationalität«. Auch diese Definition geht von der Wissenschaft aus, als deren Gegenteil sie die Magie beschreibt.

Diese drei Definitionen wurden auf alle möglichen Arten kombiniert, aber in der Regel wurde die zugrunde liegende Trias Magie – Religion – Wissenschaft immer akzeptiert. Doch diese Dreiteilung ist nach Hanegraaff höchst fragwürdig. Die Magie ist als externer Begriff für die wissenschaftliche Beschreibung eines komplexen Bündels höchst unterschiedlicher Erscheinungen unbrauchbar und verschwindet daher auch zunehmend aus der Diskussion. Das neue Misstrauen gegenüber dem Begriff der Magie hat mit dem gewachsenen Misstrauen gegen die großen Fortschrittserzählungen der Moderne zu tun. Man benötigt nicht den Poststrukturalismus, um zu erkennen, dass die meisten Begriffe der Religionsgeschichte durch »normative modernistische Ideologien und implizite Herrschaftsansprüche des Westens« geprägt sind, die in missionarischen und kolonialistischen Mentalitäten wurzeln. Schulbeispiel dafür ist das Nachdenken der Wissenschaftler über die Magie, weil es traditionellen Stereotypen über die Greuel des Heidentums zu akademischen Weihen verholfen hat und als Legitimation dafür diente, nicht-europäische Völker vom Aberglauben zum Christentum, zur Aufklärung und zur Wissenschaft zu bekehren.

Randall Styers hat ebendies in einer bahnbrechenden Untersuchung, gestützt auf eine Fülle von Beweismaterial, gezeigt (»Making Magic«, Oxford 2004). Die Erhebung der Magie zu einer universellen Kategorie, die im Gegensatz zu Religion und Wissenschaft steht, diente dazu, das Projekt der Moderne auszubauen und ihre Weltsicht dem westlichen und nicht-westlichen Publikum zu verkaufen. Hanegraaff bringt sein Erstaunen darüber zum Ausdruck, dass trotz der überwältigenden Beweise für das Gegenteil immer noch jemand an die Existenz eines essentialistisch verstandenen Phänomens der Magie im Unterschied zu Religion und Wissenschaft glaubt. Wenn man einmal einsehe, dass die Magie, von der man glaubt, sie existiere »draußen in der Welt«, nur vorhanden sei, weil man sich entschieden habe, die betreffenden Erscheinungen so zu nennen, dann werde der magische Zirkel durchbrochen. (Ironischerweise wirft Hanegraaff den Gelehrten, die den Begriff der Magie geprägt haben, genau das vor, von dem sie behaupteten, es sei für die Primitiven charakteristisch: den irrigen Glauben, etwas, was im Denken zusammenhänge, hänge auch in der wirklichen Welt zusammen).

Der Begriff der Magie kann demnach schwerlich als Werkzeug für die Erforschung der Phänomene dienen, die er zusammenfassen soll, vielmehr ist er selbst der Untersuchung bedürftig. Er sollte als allgemeine Kategorie nicht mehr verwendet werden. Wir sollten heute nicht mehr versuchen, eine die Geschichte der Magie zu schreiben, sondern eine Geschichte des Selbstverständnisses der Magier und ihrer unterschiedlichen Praktiken im Lauf der Epochen.

Hanegraaff geht auch hier zunächst auf die Wortgeschichte ein. Das griechische Wortfeld (magos, mageia, magikos) stammt aus dem persischen »magu-« , dessen genaue Bedeutung unklar ist. Es scheint einen Träger bestimmter religiöser Aufgaben bezeichnet zu haben. Die Griechen übernahmen es im sechsten Jahrhundert v.Chr. Bei diesen scheint es bald jene negativen Konnotationen angenommen zu haben, die bis dahin mit dem Wort »goes« verbunden waren. Die persische Herkunft des Wortes gewann in der Renaissance an Bedeutung, als manche Autoren versuchten, von Zoroaster eine positiv verstandene Form der Magie herzuleiten, die sich von ihrem dämonischen Gegenstück, der »goetia« unterscheiden sollte. In Griechenland und Rom war das Verständnis von Magie jedenfalls von negativen Konnotationen beherrscht: von den düsteren, bedrohlichen, dämonengetriebenen Praktiken, die man den jeweiligen »Anderen« zuschrieb. Die Magie bildete nicht den Gegensatz zu Religion überhaupt, sondern nur zur normativen religiösen Praxis, so dass sie bald von »superstitio« und »deisidaimonia«, dem Götzendienst und der Unterwerfung unter böse Dämonen nicht mehr unterscheidbar war, besonders im christlichen Mittelalter.

Im 13. Jahrhundert jedoch begann sich die »magia naturalis« von der »dämonischen« Magie abzuheben. Grund war die beginnende Auseinandersetzung mit der reichhaltigen griechischen und arabischen Literatur, die im Orient überlebt hatte, ins maurische Spanien gewandert war und nunmehr in lateinischen Übersetzungen zugänglich wurde. Zu dieser Literatur gehörten viele naturwissenschaftliche Texte, die astrologische und alchemistische Themen behandelten.

Schon 1955 machte der große Historiker Lynn Thorndike darauf aufmerksam, dass moderne Autoren – fehlgeleitet durch ein falsches Bild von Astrologie als Pseudowissenschaft –, blind waren für die Tatsache, dass die Astrologie auf dem Konzept universell gültiger, unveränderlicher Naturgesetze beruhte. Die Antike hatte den Versuch unternommen, gewisse Aspekte der babylonischen Himmelsschau mit der aristotelischen Physik und der hellenistischen Astronomie zu synthetisieren, was zum Modell eines durch Kausalität bestimmten Kosmos führte, in dem die Gestirne alle Veränderungen in der sublunaren Welt verursachten. Die alte griechische Astrologie war nach dem führenden Kenner dieses Gebiets, David Pingree, die »umfassendste wissenschaftliche Theorie der Antike«, die mit Hilfe von mathematischen Modellen Voraussagen über alle Veränderungen in der sublunaren Welt erlaubte.

Als Kunst der Weissagung wurde die Astrologie mit ihrem beseelten und belebten Kosmos in der römischen Antike der »superstitio« und »magia« zugeordnet. Patristische Autoren polemisierten gegen sie, weil sie den Fatalismus lehre und den freien Willen außer Kraft setze. Aber schon von Tertullian wurde sie als eine Form der Magie dem Götzendienst zugeordnet, der von den gefallenen Engeln erfunden worden sei. Mit dem Aufstieg des Christentums zur Staatsreligion begann die Astrologie allgemein als Aberglaube und götzendienerische Magie betrachtet zu werden. Das war der Stand der Dinge, als die mittelalterlichen Gelehrten sich mit diesem verdächtigen Gegenstand zu beschäftigen begannen. Irgendwie mussten sie ihr Interesse rechtfertigen. Glücklicherweise hatte Isidor von Sevilla in Ausführungen über Astronomie zwischen einer »abergläubischen« und einer »natürlichen« Form der Astrologie unterschieden. Von hier war es nicht mehr weit bis zur Einführung einer analogen Unterscheidung in der Magie. Die »magia naturalis« war geboren, nicht als ein Versuch, diese als wissenschaftlich zu deklarieren, sondern um sich vor der theologischen Zensur zu schützen. Wilhelm von Auvergne gehörte im 13. Jahrhundert zu den ersten, die diesen Begriff benutzten. Er verteidigte einen Teil der Magie als legitime Form von Naturstudien, während er gleichzeitig betonte, die heidnische Götzenverehrung, der andere Teil, müsse mit Feuer und Schwert ausgerottet werden. Wilhelm holte auch eine Sentenz des Augustinus aus der Vergessenheit, in der dieser die alten Ägypter verurteilte, weil sie Statuen geschaffen und Seelen himmlischer Wesen in sie hineinbeschworen hatten. Diese Geschichte wird im »Asklepios«, einem Traktat der Hermetischen Schriften erzählt. Bis in die Renaissance spielte diese Schilderung des »Asklepios« in Diskussionen über Astralmagie und die Verwendung astrologischer Symbole oder Talismane eine zentrale Rolle. Wenn Talismane dafür benutzt wurden, Astralmächte und ihre Kräfte auf die Erde herabzuziehen, konnte dies als Götzendienst interpretiert werden. Bezog der Talisman seine Macht aber lediglich aus den natürlichen Kräften der Gestirne, dann war dies eine akzeptable Form der »natürlichen« Magie. Die erlaubte Magie hing von einer naturalistischen Kausalkette ab, die unerlaubte von Zeichen, die mit kosmischen Geistwesen verbunden waren. Die Praktiker der »natürlichen« Magie mussten sicherstellen, dass das, was sie taten, nicht als Anbetung oder Beschwörung dämonischer Astralmächte verstanden wurde.

Allerdings gab es auch alternative, neuplatonische Erklärungsmodelle, nach denen der gesamte Kosmos ein Gewebe aus harmonischen Wirkungen und Gegenwirkungen war, die durch Strahlen des Lichtes vermittelt wurden, so dass Effekte auf der Erde stets natürlich waren, auch wenn ein Magier fälschlicherweise glaubte, mit Astraldämonen im Bunde zu stehen. Der arabische Astronom al-Kindi, der diese Theorie entwickelte, hatte durch sein Werk »De radiis« großen Einfluss auf Marsilio Ficino, der eine eigenständige Auffassung von natürlicher Magie entwickelte. Nach dieser war der gesamte Kosmos von einem universellen Agens durchdrungen, das zwischen Seele und Leib stand, und Wirkungen hervorrief, die man der natürlichen Magie zuschreiben konnte. Natürlich fußte Ficinos einflussreiches Hauptwerk zur Astralmagie auf neuplatonischen Ansichten.

Schon in Ficino tritt die ideelle Komplexität und Vieldeutigkeit der Renaissancemagie zutage: aus vielerlei heidnischen Quellen geschöpft, musste sie das Gemisch aus platonischen und aristotelischen Ansichten, aus dem sie bestand, als kompatibel mit dem Christentum ausweisen und die Theologen davon überzeugen, dass Magie ganz natürlich war und gleichzeitig unternahm sie den Versuch, diese natürliche Magie als höchste religiöse Offenbarung Zoroasters darzustellen.

Die scholastische Differenzierung zwischen natürlicher und ritueller Magie (in die Engel oder Dämonen involviert waren) führte zu einer Reihe von paradoxen Versuchen, ihre Unterschiede systematisch abzuhandeln. Dies begann schon mit Ficino, der sein Verständnis von Astralmagie ausgerechnet am Beispiel der Geschichte aus dem »Asklepios« entwickelte, das Wilhelm von Auvergne als Paradigma der götzendienerischen Magie verurteilt hatte. Verstärkt wurden die Probleme noch durch die Verbindung der Magie mit der Kabbala durch Pico della Mirandola, die zu einer tendenziellen Identifikation beider führte. Agrippa von Nettesheim schließlich setzte die Magie schlichtweg mit der alten Weisheit gleich, die natürlich mit Zauberei, Aberglauben und Dämonenverehrung nichts zu tun habe.

In seiner »Occulta Philosophia« unterschied er drei Formen von Magie: die »natürliche«, die sich auf die sublunare Welt und die Elemente bezieht, die »himmlische«, die die Region zwischen Mond und Fixsternen einbezieht und mit Zahlen und Astrologie zu tun hat und die »zeremonielle«, die mit Engeln und Dämonen jenseits der Fixsternsphäre arbeitet, in der die Kabbala von zentraler Bedeutung ist. Diese Systematisierung fasste alle überlieferten Materialien in einem großen Schema zusammen: Von den auf die Natur bezogenen Künsten aus arabischen Quellen über die religiösen Spekulationen der alten Griechen bis zu den höchsten Offenbarungen des Moses, die unter dem Namen Kabbala firmierten. Agrippa war sich der Tatsache bewusst, dass die Unterscheidung zwischen guter und schlechter Magie immer noch zentral, der Begriff der natürlichen Magie aber nicht mehr ausreichend war, um erstere von letzterer abzugrenzen. Die von Zoroaster abgeleitete Magie hatte unübersehbar mit metaphysischen Dingen zu tun, daher erklärte er die Kabbala, die Moses von Gott offenbart worden sei, zu ihrer eigentlichen Quelle. Der Begriff der »magia naturalis« hatte seine ursprüngliche Bedeutung verloren bzw. war mit dem der »prisca theologia« identisch geworden.

Die Wandlungen der Magie im Lauf der Jahrtausende sind bemerkenswert. Anfangs wurden darunter gewisse verächtliche dämonische Praktiken verstanden, später setzte sie sich als »magia naturalis« erfolgreich von ihren Ursprüngen ab, um am Ende zur höchsten aller Künste und Wissenschaften, zur höchsten Offenbarung Gottes aufzusteigen. Nachdem sie unter Gebildeten des 16. Jahrhunderts diesen Rang erstiegen hatte, wurde sie zum bevorzugten Ziel der Kritiker. Die einen erinnerten an ihre verächtlichen Ursprünge, die anderen meinten, sie solle sich bescheiden mit der Erforschung der Natur zufrieden geben. Und auch wenn sie im 17. und 18. Jahrhundert von ihrem Thron wieder herabsteigen musste und zur Beschäftigung von »Narren« und »Schwindlern« wurde, gibt es bis in die Gegenwart Menschen, die an ihre hohe geistige Mission glauben.

Die vielschichtige Karriere der Magie erklärt, warum ihre Bedeutung so umstritten war, und warum die unterschiedlichsten Parteien das denkbar unterschiedlichste darunter verstanden. Aber gegen Ende des 17. Jahrhunderts begann die Magie als »magia naturalis« in den Diskussionen über Naturerkenntnis eine zentrale Rolle zu spielen und zwar gerade wegen ihrer Vieldeutigkeit. Sie konnte benutzt werden, um die Welt zu entzaubern, weil sie zeigte, dass alles nur ein natürlicher Vorgang war, sie konnte aber auch für die gegenteilige Auffassung herangezogen werden, weil sie zeigte, dass die Natur immer noch von Zauber erfüllt war.

Fortsetzung

Ein Kommentar

  1. I am reading Jim Al-Khalili’s book, “The House of Wisdom: How Arabic Science Saved Ancient Knowledge and Gave Us the Renaissance.” He calls Al-Kindi a polymath, whose rigorous observations of pattern in astronomy, medicine, music, optics and mathematics gave him an assurance that led to the science of cryptography. His grasp of probability led to a method of frequency analysis by which he could break codes of foreign languages whose books he desired to translate. I am happy to learn that Ficino found Al-Kindi’s ideas a reinforcement of his experience of the effects of a Natural Magic. I think of the importance of language, and the precision of the dialectician in selecting from Memory what he/she wishes to convey. Isn’t Ficino’s idea of awakened community proof that Magic exists?

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