Vom Mesmerismus zum Spiritismus

Zuletzt aktualisiert am 10. Dezember 2015.

Franz Anton Mesmer zur Zeit seines Aufenthaltes in Paris

Franz Anton Mesmer zur Zeit seines Aufenthaltes in Paris

Die intellektuelle Elite der Aufklärung betete die Vernunft als höchste Autorität, als Werkzeug zur Kontrolle der Natur, zur Entmachtung der Religion und zur Herausforderung des politischen Absolutismus an. Aber manchen Aufklärern entging nicht, dass die Vernunft nur eine Methode ist, Wissen zu organisieren. Kant meinte in seiner »Kritik der reinen Vernunft« (1781), sie vermöge kein absolutes Wissen hervorzubringen. Das »Ding an sich« bleibe unerkannt und die beschränkten und täuschungsanfälligen Sinne könnten nur die Außenseite der Dinge (das »Ding für uns«) erfassen. Die Zweifel an der metaphysischen Leistungsfähigkeit der Empirie und die Einsicht in die Grenzen der Vernunft deuten auf die inneren Widersprüche der Aufklärung. Das verheerende Erdbeben von Lissabon (1755) erschütterte die Öffentlichkeit zutiefst und stellte den neu gewonnenen Optimismus mit den ewigen Fragen nach der Unsicherheit und Ungerechtigkeit des Lebens auf die Probe.

Es gab viele Faktoren, die den Glauben der Aufklärung an die Vernunft und ihre Haltung zu Autorität und Religion relativierten. Die Gegenaufklärung betonte den Primat von Religion, Wundern, lokalen Sitten und Gebräuchen gegenüber den intellektuellen Moden der bürgerlichen Elite. Bereits um 1690 führte die Entstehung des Pietismus zum Wiederaufstieg der Spiritualität in lutheranischen Gemeinschaften, die sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts oft mit religiös-wissenschaftlichen Interessen an Hermetik, Alchemie und Medizin verband. Der grenzenlose Hunger der absolutistischen Fürsten nach Geld, mit dem sie ihren extravaganten Lebensstil finanzieren konnten, förderte das Interesse an den angeblichen Fähigkeiten der Alchemie, Gold zu erzeugen, und okkultistische Abenteurer wie Giacomo Casanova (1725-1798), Graf Cagliostro (1743-1795) und der Graf von Saint-Germain (gest. 1784) benutzten die Astrologie, die Kabbala und die Alchemie, um die leicht empfänglichen Adligen und Bürgerlichen zu manipulieren.

Swedenborgs wissenschaftliche Laufbahn und seine Suche nach dem Sitz der Seele, die zahlreichen illuministischen und maurerischen Gesellschaften in Frankreich und Deutschland, die sich mit Mystik, Renaissance-Hermetik und zeremonieller Magie beschäftigten, deuten laut Goodrick-Clarke auf ein Bedürfnis nach Erkenntnissen, die über die Fakten hinausgingen, welche von der neuen Wissenschaft mit Hilfe von Messungen und Berechnungen von Körpern und Bewegungen zu Tage gefördert wurden. Und die Wissenschaft selbst entwickelte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine ganze Reihe organisch-vitalistischer Ideen, um jene wundersamen, unsichtbaren Kräfte zu fassen, von denen die Welt durchdrungen war: Isaac Newtons Schwerkraft, Benjamin Franklins Elektrizität und die von Joseph Black, Henry Cavendish und Joseph Priestley entdeckten Gase waren lauter unsichtbare Entitäten. Aber ihre Handhabung führte zu handgreiflichen Demonstrationen physischer Kräfte. Die Leydener Flasche, der Blitzableiter, Heißluftballons und bemannte Flüge legten nahe, dass die Welt von wunderbaren Fluida durchdrungen war. Die Idee war alt und ging bis auf die Naturphilosophie des Paracelsus zurück, ließ sich aber gut auf solche neuen Phänomene wie die Elektrizität, den Magnetismus und die Chemie anwenden. Die Verbindung dieser Fluida mit dem menschlichen Geist sollte zur Entstehung einer neuen Strömung in der Geschichte der Esoterik führen: dem animalischen Magnetismus.

Franz Anton Mesmer

Laut Goodrick-Clarke bildet die vitalistische, vorromantische Phase der Wissenschaft des 18. Jahrhunderts den Hintergrund, vor dem Denken und Leben Franz Anton Mesmers (1734-1815), des berühmten Entdeckers des »animalischen Magnetismus« und seiner Anwendung zur Heilung von Krankheiten, verstanden werden kann. Mesmer wurde in Iznang in der Nähe von Radolfzell am Bodensee geboren. Zuerst für eine kirchliche Laufbahn vorgesehen, studierte er Philosophie und Theologie an den jesuitischen Universitäten von Dillingen und Ingolstadt in Bayern, bevor er sich 1760 in Wien medizinischen Studien zuwandte. Auch wenn er im 19. Jahrhundert von okkultistischen Strömungen vereinnahmt wurde, betrachtete er sich selbst als Newtonianer, der nichts als die mechanischen Kräfte erforschen wollte, die im Kosmos wirken. Seine medizinische Dissertation »Vom Einfluss der Planeten auf den menschlichen Körper« (1766) untersuchte die Ursachen der universellen Gravitation und postulierte die Existenz eines unsichtbaren, universell verbreiteten Fluidums, das fortdauernd überall hinfließt und für die gegenseitige Beeinflussung der Himmelskörper, der Erde und der Lebewesen verantwortlich ist. Das universelle Fluidum, das durch die Erde und alle Kreaturen hindurchströmt, sollte wie die Ozeane auf der Erde Gezeiten unterworfen sein. Für Mesmer war es die »Ursache der universellen Gravitation« und die »Grundlage aller körperlichen Eigenschaften, welche die kleinsten flüssigen und festen Teilchen unserer Körper zusammenzieht und ausdehnt und den Zusammenhalt, die Elastizität, die Erregbarkeit, den Magnetismus und die Elektrizität bewirkt« und er bezeichnete das Wirken dieses Fluidums in lebenden Organismen als »animalische Gravitation«.

1767 eröffnete Mesmer in Wien eine Praxis. 1773-1774 behandelte er Franziska Österlin, die an Hysterie litt und eine Vielfalt physischer Symptome zeigte, die während ihrer Anfälle wellenförmig kamen und gingen. Mesmer glaubte, einen Zusammenhang zwischen ihrer Krankheit und seiner kosmologischen These zu erkennen. Die Symptome der Hysterie erschienen ihm als Beispiel der Gezeiteneffekte des universalen Fluidums, das durch den Körper der Patientin floss. Um diese Gezeiten zu beeinflussen, benutzte er Magnete, wie sie teilweise bereits in der Medizin verwendet wurden. 1774 arbeitete er mit dem Jesuiten Maximilian Hell (1720-1792) zusammen, dem Hofastronomen der Kaiserin Maria Theresia. Hell stellte die erforderlichen Magnete her und Mesmer erreichte eine bemerkenswerte Heilung. Als Hell die Entdeckung für sich beanspruchte, behauptete Mesmer, die Heilung sei nicht von den Magneten verursacht worden, sondern vom heilenden Fluidum, das er in die Patientin geleitet habe. Sein öffentliches Ansehen als Heiler wuchs und er wurde eingeladen, 1775 und 1776 Patienten in Süddeutschland, der Schweiz und Ungarn zu behandeln.

In Bayern bat Kronprinz Max Joseph Mesmer darum, die Erfolge Johann Joseph Gassners (1727-1779) zu erklären, eines Priesters, der Heilungen durch Exorzismen und Handauflegen bewirkte. Mesmer betrachtete diese Heilungen als weiteren Beweis dafür, dass die Genesung weder Wundern noch Magneten zuzuschreiben war, sondern einer Energie im Körper des Heilers. Sein Hauptinteresse galt der Frage, wie diese Energie gehandhabt werden konnte und er entwickelte im Folgenden eine therapeutische Methode, die auf Berührungen, hypnotischen Blicken und magnetisierten Stäben beruhte, welche das Ungleichgewicht des Fluidums im Körper des Patienten beseitigen sollten. Seine Methode bezeichnete er als »animalischen Magnetismus«. Bei seinen späteren Behandlungen saßen die Patienten zusammen um ein »baquet«, eine hölzerne Wanne, die mit Eisenspänen, Sand und Flaschen gefüllt war, die magnetisiertes Wasser enthielten. Die Patienten hielten Eisenstangen, die sie in die Wanne tauchten und bildeten eine Kette, durch welche das magnetische Fluidum floss, das ihnen die gewünschte Heilung bringen sollte.

Mesmerismus als ausgegrenzte Wissenschaft

Frustriert von der skeptischen Zurückweisung seiner Theorien durch die medizinischen Autoritäten Wiens, siedelte Mesmer im Februar 1778 nach Paris über. Ängstlich darauf bedacht, die früheren Reaktionen auf die empirischen Beweise seiner Heilungen zu vermeiden, suchte er die Anerkennung der Wissenschaftler für seine Theorie eines universalen Fluidums. In Paris übten noch immer Voltaire, Diderot und d’Alembert das Hohepriesteramt des kritischen Denkens aus. Aber auch die Naturwissenschaftler waren vertreten: Laplace arbeitete an der Kosmologie, Buffon an der Biologie, Lavoisier an der Chemie und Lagrange an der Algebra. Mesmer hoffte, in diesem wissenschaftlichen Milieu ernstgenommen zu werden. Aber sein Ruf als Wunderheiler und die Schwierigkeit, zu beweisen, dass und wie ein unsichtbares Fluidum wirkt, verhinderten seine Anerkennung. Seine Annäherungsversuche an die französische Akademie der Wissenschaften und die Königliche Akademie für Medizin waren vergeblich. Sein erster bedeutender Konvertit war Charles Deslon, ein Mitglied der Pariser Fakultät für Medizin und der persönliche Leibarzt des Grafen d’Artoise, des späteren Königs Charles X. In der Zwischenzeit blühte Mesmers Praxis, zog eine enorme Zahl von Patienten an und machte durch Berichte von wundersamen Heilungen von sich reden. Zwischen 1779 und 1784 entwickelte sich ein bitterer Streit zwischen Befürwortern und Gegnern des Mesmerismus, der in zahlreichen Pamphleten ausgetragen wurde und den Ausschluss Deslons aus der Fakultät zur Folge hatte.

Mesmers »Mémoire sur la découverte du magnétisme animal« («Denkschrift über die Entdeckung des animalischen Magnetismus«) aus dem Jahr 1779 entwickelten 27 Thesen zum universalen Fluidum und dem animalischen Magnetismus. Seine Gegner entdeckten schnell, dass seine Lehre vom universellen Fluidum eine Neuauflage von Ansichten war, die man schon bei Paracelsus, Jan Baptista van Helmont, Robert Fludd und William Maxwell, dem schottischen Arzt König Charles I. finden konnte. Michel Augustin Thouret vertrat diese These 1784 in seinen »Recherches et doutes sur le magnétisme animal« (»Untersuchungen und Zweifel über den animalischen Magnetismus«). Mesmer mochte eine neue rationale Wissenschaft begründet haben, aber seine Theorien wurzelten in esoterischen Traditionen. Sein »Fluidum« war eine moderne Ausdrucksform für alte Spekulationen über subtile Agentien wie das sogenannte Pneuma. Theorien über subtile Stoffe (wie zum Beispiel den Äther) sind in der Tat ein Hauptmotiv der westlichen Esoterik und aus der belebten, beseelten Natur kaum wegzudenken. Die Verwandtschaft zwischen dieser älteren Tradition und dem Mesmerismus brachte dem letzteren viele Unterstützer bei den Illuministen des 18. und den Okkultisten des 19. Jahrhunderts ein.

Der Mesmerismus wirft laut Goodrick-Clarke die wichtige Frage nach dem Ort der Esoterik im modernen Denken und der Wissenschaft auf. Mesmer erzielte erstaunliche Erfolge: er heilte Blinde und Behinderte und fügte zerbrochene Leben wieder zusammen. Immer mehr Patienten, besonders die Reichen und Angesehenen, suchten sein Behandlungszimmer auf. Von den Armen verlangte er nichts, von den Reichen dafür um so mehr. Manche Ärzte waren beeindruckt, andere skeptisch, viele neidisch. Auch wenn der Mesmerismus zu funktionieren schien, waren die Hypothesen, die ihn erklärten, leicht angreifbar, weil sein unsichtbares Fluidum mit keinem bekannten Messgerät nachgewiesen werden konnte.

Im März 1784 wurde der animalische Magnetismus von zwei königlichen Kommissionen untersucht. Den Kommissionen gehörten an: Lavoisier, der amerikanische Diplomat Benjamin Franklin, der französische Astronom Jean Sylvain Bailly und eine Reihe von Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften und der Königlichen Gesellschaft für Medizin. Die Soziologie der Wissenschaft übt wie man weiß einen großen Einfluss auf die Akzeptanz oder die Zurückweisung von Ideen aus. James Webb bezeichnete dieses »zurückgewiesene« oder »ausgegrenzte« Wissen (»rejected knowledge«) als »Häresie des Irrationalismus«. Die Strategie der epistemologischen Ausgrenzung ist tatsächlich mit den häresiologischen Etikettierungen vergleichbar, welche die Kirche in früheren Jahrhunderten benutzte, um esoterische Abweichler abzuwerten (insbesondere die Gnosis, Hermetik und Mystik). Im Zeitalter der Vernunft wurde Mesmers Fluidum von professionellen Wissenschaftlern als »okkulte Erklärung« zurückgewiesen. Das Verhalten seiner Patienten, die Trancezustände, Krisen und nervöse Zuckungen erlebten, unterstrich den Eindruck des Irrationalen. Mesmer verstärkte die kultische Atmosphäre bei seinen Sitzungen zusätzlich mit einer Aura des Geheimnisvollen: die Räume waren in sanftes Licht getaucht und er trug Gewänder mit okkulten Symbolen. In eine wissenschaftliche Subkultur abgedrängt, suchten die Anhänger Mesmers Alliierte im esoterischen Milieu.

Mesmerismus und Illuminismus

Auch wenn der Mesmerismus als wissenschaftliche Entdeckung von den königlichen Kommissionen verworfen wurde, blühte er in ganz Europa als Heilmethode und kulturelles Phänomen. 1781 gründeten Nicolas Bergasse, ein reicher Anwalt aus Lyon und Guillaume Kornmann, ein Bankier aus Straßburg, in Paris eine »Gesellschaft für Harmonie«, die Mesmers Heilmethoden und Ideen verbreiten sollte. Vom Hauptquartier aus wurde ein Netzwerk von magnetischen Gesellschaften in der Provinz eröffnet, das nach dem Vorbild der Freimaurer organisiert war und wegen seiner zweideutigen Position zwischen Rationalismus und Esoterik bemerkenswert ist. Zwanzig solche Gesellschaften, die sich der Geheimhaltung verschrieben und wie Sekten verhielten, existierten Mitte der 1780er Jahre in Straßburg, Lyon, Bordeaux, Montpellier, Nantes und anderen großen Städten Frankreichs. Die Gesellschaften verknüpften medizinische Behandlung mit politischen Ideen zur sozialen Emanzipation, zur Humanisierung der Gesellschaft und zur radikalen Sozialreform.

Hochgradmaurer in Lyon und Straßburg gaben dem Mesmerismus eine starke illuministische Färbung. Armand Marie Jacques Chastenet, der Markgraf von Puységur, gründete in Straßburg eine mesmeristische Gesellschaft unter dem Namen »Société des Amis Réunis«, die enge Beziehungen zur Loge »La Candeur«, der wichtigsten der 29 Straßburger Logen, unterhielt. Durch seine mesmeristische Praxis entdeckte Chastenet den künstlichen Somnambulismus, der ein reiches Feld spiritueller Spekulation eröffnete. 1787 korrespondierte die Stockholmer »Exegetische und Philanthropische Gesellschaft«, eine Gruppe von Swedenborgianern, mit der Straßburger Gesellschaft über spiritistische Fragen, was darauf hindeutet, dass die Schweden durch mesmerisierte Medien mit den Geistern der Toten zu kommunizieren versuchten. Die Lyoner Gesellschaft stand unter dem Einfluss von Jean-Baptiste Willermoz, dessen esoterische Interessen aufgrund seiner Beteiligung an den theurgischen Ritualen der »Auserwählten Cohens« belegt sind. Die Lyoner Gesellschaft »La Concorde« rekrutierte zahlreiche Theosophen, Alchemisten und Rosenkreuzer aus Willermoz’ masonischem Orden der »Chevaliers Bienfaisants de la Cité Sainte«. Auch Louis Claude de Saint-Martin, der sich 1784 der Pariser Gesellschaft angeschlossen hatte, war in den Mesmerismus verwickelt. Er wirkte nicht nur als spiritueller Ratgeber für Willermoz, sondern erteilte seinen Rat auch dem Chevalier de Barberin, dem Leiter der Lyoner Gruppe und dem Marquis de Puységur, der nach einer Theorie der spirituellen Bedeutung des Somnambulismus suchte. Mesmer war von diesen Entwicklungen nicht beeindruckt, da er weiter nach wissenschaftlicher Anerkennung suchte. Von einem Besuch der Lyoner Gesellschaft im August 1784 kehrte er enttäuscht zurück, weil Willermoz ihm erklärt hatte, er sehe keinen Unterschied zwischen visionären Erfahrungen und der mesmeristischen Trance.

Animalischer Magnetismus und Somnambulismus

Nach wiederholten Auseinandersetzungen mit Deslon und Bergasse verließ Mesmer im Jahr 1785 Paris. Aber der animalische Magnetismus hatte sich dank der Experimente anderer bereits von Mesmer emanzipiert. Der Graf von Puységur und sein Bruder, der Vizegraf Jacques Maxime Paul Chastenet von Puységur, hatten zu den ersten Schülern Mesmers in Paris gehört. Im April 1784 begannen sie die erlernten Methoden bei den Bauern auf ihren Ländereien in Buzancy nahe Soissons anzuwenden. Sie führten ihre Sitzungen unter offenem Himmel durch, ihre Patienten hielten sich an einem Seil fest, das von einem magnetisierten Baum herunterhing. Während Mesmers Patienten in der Regel durch Krämpfe und eine Krisis hindurchgingen, stellten die Puységurs fest, dass die ihrigen auf die Behandlung mit einem ruhigen Trancezustand reagierten, in dem sie hochgradig beeinflussbar waren. In diesem somnambulen Zustand schliefen sie zwar, konnten aber auf Fragen antworten und berichten, was sie erlebten. Als Armand diese Experimente mit anderen Patienten wiederholte, stellte er fest, dass dieser Bewusstseinszustand regelmäßig eintrat. Manche Somnambulen vermochten ihre eigenen Krankheiten zu diagnostizieren, Gedanken zu lesen und Phänomene und Ereignisse wahrzunehmen, die dem gewöhnlichen Bewusstsein nicht zugänglich waren.

In den späten 1780er Jahren vernachlässigten Mesmeristen die medizinische Anwendung zugunsten der esoterischen Aspekte. Die tiefe Trance ihrer Patienten, die als erweiterter Bewusstseinszustand interpretiert wurde, führte oft zu prophetischen und hellsichtigen Erlebnissen. Die frühesten Beispiele des modernen Spiritismus können, so gesehen, mit Mesmer in Verbindung gebracht werden. Schon vor dem Ende des 18. Jahrhunderts fragten die »Animisten« oder »Spiritisten« die Somnambulen gelegentlich nach der unsichtbaren oder nachtodlichen Welt. Von Pasqually und Mesmer inspiriert, praktizierte Willermoz einen spiritistischen Magnetismus, um nach Bestätigungen für den ursprünglichen Zustand der Menschheit vor dem Fall zu suchen. Die spiritistischen Phänomene schlossen Visionen, Hellhören und automatisches Schreiben ein. Willermoz untersuchte die Trancezustände von Jeanne Rochette, die von Kontakten mit Engeln berichtete und war von den göttlichen Botschaften beeindruckt, die Marie-Louise de Monspey 1785 vom Geist der Jungfrau Maria empfangen haben wollte. Saint-Martin fertigte eine Abschrift dieser automatischen Botschaften an, da sie die Lehren Pasquallys zu bestätigen schienen. Magnetiseure begannen darüber nachzudenken, ob die Seele des Somnambulen während des Trancezustandes den Körper verließ und sich mit den Verstorbenen unterhalten konnte. Da der Mesmerismus hauptsächlich in der Aristokratie verbreitet war, fegte die Revolution ihn beiseite und er kam in Frankreich erst nach dem Fall Napoleons wieder auf.

Der Graf von Puységur und seine französischen Anhänger, die Mesmers ursprüngliche These eines universalen Fluidums vertraten, wurden als »Fluidisten« bezeichnet, während der Martinist Chevalier de Barberin glaubte, alle Heilungen durch Magnetisierung und Somnambulismus gingen auf den Willen, den Glauben und Gott zurück, der auf die Seele einwirke. Barberin verzichtete auf Magnete und »baquets«. Seine Anhänger, die Vorläufer der modernen Geistheilung, wurden als »Spiritisten« oder »Animisten« bezeichnet. Die Animisten verneinten die Existenz eines animalischen Magnetismus, schrieben die Trancezustände der Suggestion und Imagination zu und nahmen so die Hypnose und andere Aspekte der späteren Psychologie vorweg.

Animalischer Magnetismus, Theosophie und Naturphilosophie in Deutschland

Der animalische Magnetismus kam bald nach Deutschland, wo er sich oft mit mystischen Ideen verband. Ihm hatten Prokop Divisch, Friedrich Christoph Oetinger und Ludwig Fricker bereits in den 1760er Jahren durch ihre »Theologie der Elektrizität« einen fruchtbaren Boden bereitet. Der Priester, Theosoph und Historiker Oetinger hatte ein »elektrisches Feuer« in allen Dingen postuliert, das seit der Beseelung des Universums existiere und den Menschen mit allen Ebenen des Lebens verbinde. Heinrich Jung-Stilling (1740-1817), ein weiterer Pietist und Theosoph und enger Freund des jungen Goethe, schrieb über die visionäre Erfahrungen und bezog den animalischen Magnetismus in seine »Theorie der Geisterkunde« (1808) ein. Der führende deutsche Theosoph Franz von Baader (1765-1841) schrieb ein Buch »Über die Ekstase oder das Verzücktsein der magnetischen Schlafredner« (1817).

Der animalische Magnetismus wurde auch in die deutsche Naturphilosophie integriert, die enge Beziehungen zur Theosophie unterhielt. Die Naturphilosophie entstand als spezifisch deutsche Spielart der Naturwissenschaft zwischen 1790 und 1820 in der deutschen Romantik. Sie deutete die Natur als lebendigen, spirituellen Text, der mit Hilfe von Korrespondenzen, Harmonien und Analogien entschlüsselt werden konnte. Im Unterschied zur induktiven Wissenschaft arbeitete die Naturphilosophie mit ewigen, absoluten und ursprünglichen »Typen«, wodurch sie ihren Zusammenhang mit der Hermetik bekundete, die davon überzeugt war, dass der Geist des Menschen die geistigen Vorgänge der Natur widerspiegle. Der romantische Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854) kam durch Oetinger zur Theosophie und wandte sich der Lektüre Boehmes zu. Schellings frühes Werk »Die Weltalter« (1797) griff die neuplatonische Idee der Weltseele wieder auf, während die meisten Naturphilosophen Spezialisten im Bereich der Chemie, Physik, des Ingenieurwesens und der Medizin waren und mit der Universität Jena zu tun hatten. Sie beschäftigten sich insbesondere mit dynamischem Prozessen und unsichtbaren Einflüssen, wie dem Magnetismus, dem Galvanismus, der Elektrizität, der Elektrochemie, aber auch mit der Psychologie, in der sie frühe Konzepte des Unbewussten und der Traumdeutung entwickelten.

Einige romantische Naturphilosophen wurden zu Theoretikern des animalischen Magnetismus. Ein führender Naturphilosoph und Theosoph, Gotthilf Heinrich Schubert (1780-1860), behauptete in seinen Büchern »Ansichten von der Nachtseite der Natur« (1808) und »Die Symbolik der Träume« (1814), Somnambule im Trancezustand stünden mit den geistigen Kräften der Natur in Verbindung. Der animalische Magnetismus stellte damit die Einheit zwischen dem bewussten und unbewussten Leben wieder her. Der Naturphilosoph Adam Karl August Eschenmayer (1768-1852) gab zusammen mit Dietrich Georg Kieser das »Archiv für thierischen Magnetismus« heraus. Der letztere verfasste ein »System des Tellurismus oder thierischen Magnetismus« (1826). Daneben schrieb Eschenmayer Bücher über die somnambule »Seherin von Prevorst« und eine Abhandlung über die Metaphysik der Natur, in der er insbesondere die Chemie und Medizin beleuchtete. Friedrich Hufeland schrieb über die Sympathie zwischen den Lebewesen und Karl Friedrich Burdach sprach von einem transpersonalen magnetischen Raum, zu dem die magnetische Trance Zugang verschaffen sollte. Um 1815 war der animalische Magnetismus mit Lehrstühlen in Berlin und Bonn ein respektables akademisches Thema in Deutschland.

Im Unterschied zu den frühen Praktikern in Frankreich beschäftigten sich die  deutschen Verfechter des animalischen Magnetismus meist mit Zwischenwelten, Theosophie und Esoterik. Eine Schlüsselfigur bei dieser romantischen Förderung des animalischen Magnetismus war der schwäbische Arzt und Dichter Justinus Kerner (1786-1862), der von Schuberts Buch über die Traumsymbolik beeindruckt war, sich um 1820 mit dem animalischen Magnetismus zu befassen begann und später die erste Biografie Mesmers schrieb. 1829 veröffentlichte er seinen berühmten Bericht über Friederike Hauffe, die »Seherin von Prevorst« (1801-1829), eine Patientin, die er wegen akuter Hysterie magnetisch behandelt hatte. Hauffe wurde durch die magnetische Behandlung zu einer Mustersomnambulen, die aus ihrer kränklichen Konstitution einen gewissen Nutzen zog, vor allem aber in ihren Trancezuständen eine enorme Sensitivität zeigte, hellsichtige Prophetien erlebte und Visionen von Geistern und kosmischen »Sonnenkreisen« und »Lebenskreisen« hatte. Ihre komplexen kosmologischen und chronologischen Diagramme, die irdische Ereignisse zur höheren Welt in Beziehung setzten, waren Beispiele für eine esoterische Philosophie, die Korrespondenzen zwischen Mikro- und Makrokosmos voraussetzte, mit Imagination und Mittlerwesen umging und von der Umwandlung der Seele der Seherin zeugte. Dank der Dokumentation Kerners wurde die Seherin von Prevorst in ganz Europa berühmt und Kerners Werk (das 1845 ins Englische übersetzt wurde) sollte später den Spiritismus mit dem Mesmerismus und der Esoterik verknüpfen.

Der spätere animalische Magnetismus in Frankreich und England

Der animalische Magnetismus rief im postnapoleonischen Frankreich und im England des 19. Jahrhunderts ein enormes Interesse und eine Fülle kontroverser Literatur hervor. Die späteren Theoretiker in Frankreich waren jedoch mehr am Problem des Willens als an den Geheimnissen des Somnambulismus interessiert. Ein Schüler Puységurs vor der Revolution, Joseph Philippe François Deleuze (1753-1835) veröffentlichte eine »Histoire critique du magnétisme animal« (»Kritische Geschichte des tierischen Magnetismus«, 1813), in dem er behauptete, das magnetische Fluidum sei eine Emanation, die vom Magnetiseur ausgehe und von seinem Willen dirigiert werde, der auch die entscheidende Rolle bei der Heilung spiele. Ein portugiesischer Abbé, José Custodio de Faria, der in Paris praktizierte, leugnete die Existenz eines Fluidums und schrieb die Erfolge der Behandlung der Empfänglichkeit des Patienten für den Einfluss des Magnetiseurs zu. Sein Buch »Le sommeil lucide« (1819, »Der luzide Schlaf«, 1819) hatte eine großen Einfluss auf Alexandre Bertrand, dessen »Traité du somnambulisme« (»Abhandlung über den Somnambulismus«, 1823) die Idee der Suggestion als therapeutischer Methode vorwegnahm. Eine andere wichtige Gestalt war der Baron Jules Dupotet de Sennevoy (1798-1881), ein Medizinstudent, der 1820 an den ausgedehnten mesmeristischen Experimenten im Hȏtel-Dieu in Paris teilgenommen hatte, in der Untersuchungskommission von 1831 mitwirkte und als homöopathischer Arzt von 1837 bis 1845 in London tätig war. Hier wurde auch seine »Introduction to the Study of Animal Magnetism« (»Einführung in das Studium des animalischen Magnetismus«, 1838) veröffentlicht.

Die mesmeristischen Veranstaltungen von Dupotet und Regazzoni in Frankreich und England bezeugen auch deren Attraktivität als Bühnendarbietung. Bei Regazzonis Vorführungen im Jahr 1856 hielten zufällig ausgewählte Personen mit verbundenen Augen an einer imaginären kabbalistischen Linie an, die er zuvor über den Boden gezogen hatte. In einem anderen Fall fiel ein Mädchen mit verbundenen Augen, allein von Regazzonis Willen beeinflusst, zu Boden, als wäre es vom Blitz getroffen worden. Regazzonis Fähigkeiten provozierten Vergleiche mit der Magie und Dupotets theoretisches Werk »La magie dévoilée« (»Die entschleierte Magie«, 1875) setzte den Mesmerismus tatsächlich mit der traditionellen Praxis der Magie gleich. Dupotet war der Auffassung, der Wille rufe die Trancezustände genauso hervor wie die Phänomene der Magie. Diese Ideen sollten den modernen Okkultismus beeinflussen. Helena Petrowna Blavatsky stellte ebenfalls eine Beziehung zwischen dem Mesmerismus und der Magie her und bezeichnete Dupotet als »Großmeister« und »Fürsten« der französischen Mesmeristen. Sie zitierte ausführlich aus seinem Werk und betrachtete ihn als Adepten, der den Zusammenhang von Trancezuständen und Magie erkannt habe. Blavatsky war selbst eine stramme »Fluidistin«, nicht nur wenn sie Mesmer zitierte, sondern auch bei ihrer Erklärung der Magie und der göttlichen Inspiration des Universums.

Die englischen Ärzte, die sich für animalischen Magnetismus einsetzten, waren alle von Praktikern auf dem Kontinent beeinflusst. Richard Chenevix erlebte ihn erstmals 1803 oder 1804 in Deutschland und überzeugte sich 1816 in Paris von seiner Wirksamkeit durch Demonstrationen des Abbé Faria. John Elliotson (1791-1868), ein bedeutender englischer Arzt und Professor für Medizin an der Universität London, der für die Gründung des University College Hospital 1834 verantwortlich war, traf Chenevix erstmals 1829, aber erst als er Dupotet 1837 bei seiner Arbeit zusah, wurde er zu einem leidenschaftlichen Verfechter des animalischen Magnetismus. Dupotet war Fluidist und Elliotson folgte seiner Interpretation. Er experimentierte in den Räumen des Krankenhauses und führte Operationen durch, während sich die Patienten in einem somnambulen Zustand befanden. Aber seine Kollegen brachten ihm heftigen Widerstand entgegen und schließlich wurde er aus dem Krankenhaus geworfen. Daraufhin eröffnete er eine private Praxis und gab das Periodikum »The Zoist« (1843-1855) heraus, das den Mesmerismus zusammen mit der Phrenologie propagierte, was dazu führte, dass ersterer als populäre Religion zu blühen begann, nicht aber als anerkannte medizinische Methode.

James Braid (1795-1860), ein schottischer Chirurg, der in Manchester praktizierte, begann sich 1841 für den Mesmerismus zu interessieren, als er Demonstrationen beiwohnte, die ein reisender Schweizer Mesmerist namens Charles Lafontaine gab. Braid glaubte, das Phänomen erklären zu können, für das er in seinem Buch »Neurypnology: or the Rationale of Nervous Sleep« (1843) den Begriff »Hypnotismus« prägte. Er behauptete, der Zustand könne durch die Fixierung auf einen kleinen Gegenstand, der vor die Augen gehalten werde, hervorgerufen werden. Sein Buch wurde in England ignoriert, aber in den 1860er Jahren von der französischen Psychiatrie wieder entdeckt. Indem er ihn seiner fluidistischen Erklärung und seiner esoterischen Interpretation beraubte, verschaffte Braid dem animalischen Magnetismus unter dem Namen »Hypnose« Eintritt in die Welt der modernen Psychologie.

Swedenborgianismus und Mesmerismus in den Vereinigten Staaten

Der animalische Magnetismus wurde 1838 durch einen Franzosen, Charles de Poyen, in die Vereinigten Staaten eingeführt und breitete sich ab 1840 unter spiritistischen und okkultistischen Gruppen, die oft auch Ideen Swedenborgs vertraten, schnell aus. Phineas Parkhurst Quimby (1802-1866), ein amerikanischer Arzt, hörte Poyen in Belfast, Maine bei einem Vortrag und begann ab 1840 selbst als reisender Arzt den Mesmerismus zu verbreiten. William Levingston, der mit dem animalischen Magnetismus experimentierte, fand in Andrew Jackson Davis (1826-1910), einem Schuster, der unter dem Namen der »Seher von Poughkeepsie« bekannt wurde, ein ideales Trancemedium. Davis konnte sich im Trancezustand geistig an ferne Orte bewegen, über Gegenstände Vorträge halten, von denen er im Wachbewusstsein nichts wusste, mit verbundenen Augen Bücher  lesen und medizinische Diagnosen stellen, die zu Heilungen führten. Er kommunizierte mit einem Geist, den er später als Swedenborg identifizierte und verfasste 1847 »The Principles of Nature«, in dem er sich über Swedenborgs Ideen unterschiedlicher geistiger Welten, die geistige Ehe und die Anziehung des Gleichen durch das Gleiche ausließ. Das Besondere an seinem Buch war, dass es im Trancezustand verfasst worden sein sollte und insofern andere »gechannelte« Literatur der modernen Esoterik, wie Blavatskys »Entschleierte Isis«, Levis’ »Wassermann-Evangelium Jesu Christi« oder Jane Roberts »Seth-Material« vorwegnahm. Die »Prinzipien der Natur« erreichten schnell mehr als 30 Auflagen und wurden zu einem Gründungstext des modernen Spiritismus.

Der animalische Magnetismus war unter amerikanischen Swedenborgianern seit 1794 kontrovers diskutiert worden. Die Swedenborgianer hatten schnell eine Verbindung zwischen Mesmers magnetischen Zuständen und dem neueren Phänomen der spiritistischen Kommunikation mit Geistern hergestellt und das Thema wurde dringlich, nachdem Davis die spektakuläre Behauptung aufgestellt hatte, mit Swedenborg zu kommunizieren. Seine Verkündigung und die spiritistische Bewegung verursachten in der Neuen Kirche erhebliche Konflikte, da Swedenborg vor der Kontaktaufnahme mit Verstorbenen gewarnt, aber auch dazu aufgefordert hatte, auf ihre Mitteilungen zu hören. George Bush (1794-1859), ein Swedenborgianer und Professor für asiatische Sprachen, war von der Authentizität der Trancezustände von Davis überzeugt, zweifelte aber daran, dass dieser mit Swedenborg kommunizierte.

Die Trancevorträge von Davis zogen viele an, unter anderem den Autor Edgar Allan Poe und den Hellseher Thomas Lake Harris (1823-1906). Der in England geborene Harris war kurze Zeit Geistlicher der Universalistischen Kirche in Amerika gewesen, um dann zur Gruppe um Davis zu stoßen. Harris war von der neuen Welle des Spiritismus beeinflusst und gründete in kurzer Folge eine Swedenborgkirche in New York, eine spiritistische Gemeinschaft in Virginia, kehrte dann zum Swedenborgianismus zurück, um schließlich eine endzeitliche Gemeinschaft zuerst in New York, dann am Eriesee und schließlich ab 1875 in Kalifornien zu leiten. Er vertrat radikale Ansichten über die eheliche Liebe (die jenen Swedenborgs widersprachen), Spiritismus, Feen und später über orientalische Religion, Freimaurerei und esoterische Weisheit. Wie Bruce Campbell festgestellt hat, wurde der Okkultismus Mitte des 19. Jahrhunderts in Amerika hauptsächlich in Form des Mesmerismus, des Swedenborgianismus und der Freimaurerei eingeführt.

Neues Denken und christliche Wissenschaft (New Thought, Christian Science)

Phineas Parkhurst Quimby führte mit seiner Kombination von Mesmerismus und Glaubensheilung Gesundheit und Krankheit eines Menschen auf dessen Imagination zurück. Diese Ideen sollten ab 1870 entscheidend für die Verbreitung einer neuen religiösen Bewegung in den USA sein, die sich mit Heilung, Gesundheit und dem leiblichen Wohl beschäftigte und als »Mental Science«, »Mind Cure«, »Boston Craze« oder »New Thought« bezeichnet wurde. Sowohl der New Thought als auch die Christian Science verbanden eher traditionelle christliche Ideen mit metaphysischen Traditionen des 19. Jahrhunderts. Die letzteren waren diffus, schlossen aber eine weltliche Form von Spiritualität ein, die um mystische Erfahrung und die Bedeutung der Macht des Geistes über den Körper kreiste, insbesondere die Heilung durch geistige Kräfte. Von 1847 bis zu seinem Tod 1866 widmete Quimby sein Leben der Heilung von Kranken und behandelte in dieser Zeit mehr als 12.000 Menschen. Einige von ihnen trugen dazu bei, dass er berühmt wurde.

Zu diesen gehörte Warren Felt Evans (1817-1889), einer der ersten, der ernsthaft über Quimbys Lehren schrieb und seine Ideen mit jenen von Swedenborg verglich. Evans Werke schlossen Titel ein wie »The Mental Cure, illustrating the influence of the Mind on the Body« (1869), »Mental Medicine« (1872), »Soul and Body« (1875), »The Divine Law of Cure« (1881) und »Esoteric Christianity and Mental Therapeutics« (1886). Die frühere Patientin Mary B. Patterson, später Eddy (1821-1910) war praktisch invalide, gesundete aber 1862 dank der Behandlung Quimbys. Ihr erstes Buch, »Science and Health with Key to the Sciptures« (1875) gab Quimbys Ideen in Verbindung mit biblischen Lehren wieder. Die Autorin bezeichnete es als »Lehrbuch der Christian Science«. 1879 gründete Mary Eddy zusammen mit Anhängern eine Gemeinschaft, die später als »First Church of Christ, Scientist (The Mother Church)« bezeichnet wurde.

Die früheren Patienten Quimbys, Julius (1838-1893) und Annetta Dresser (1843-1935), riefen die »Mental Science«-Bewegung in Boston ins Leben. 1882 entstand ein Streit zwischen Mary Eddy und einem ihrer früheren Studenten, Edward J. Arens sowie Julius Dresser, der zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn Horatio streng am Heilungssystem von Quimby festhielt und die Herkunft der Ideen Eddys in Frage stellte. Julius Dresser argumentierte zugunsten der Priorität Quimbys in einem Buch mit dem Titel »The True History of Mental Health« (1887) und Annetta Dresser stellte ihre Version in »The Philosophy of P.P. Quimby« (1895) dar. Die Dressers riefen eine Bewegung ins Leben, die der »Christian Science« von Mary Eddy Konkurrenz machen sollte und nannten sie »New Thought Movement«. Diese Bewegung bestand aus kleinen unabhängigen Gruppen in Boston, die 1895 den »Metaphysischen Club« bildeten und ein Magazin namens »New Thought« herausgaben. Die Bewegung der Dressers verbreitete sich schnell in ganz Nordamerika. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sie sich mit Autoren wie Ralph Waldo Trine, Emma Curtis Hopkins und William Walker Atkinson ein Massenpublikum gesichert. Atkinson verfasste mehr als zwanzig Bücher über hermetische Weisheit, Magnetismus, Hindu-Atemtechniken, Joga, Karma und die Kraft der Visualisierung. Durch die New-Thought-Bewegung passte sich der Mesmerismus an die amerikanische Lebensphilosophie an, die den Einzelnen für seinen Gesundheitszustand, sein Wohlergehen, sein Glück und seinen Reichtum verantwortlich macht.

Moderner Spiritismus

Der amerikanische Spiritismus, den die französischen vorrevolutionären spiritistischen Magnetiseure und die romantischen Naturphilosophen bereits vorangekündigt hatten, nahm 1848 als populäre sozioreligiöse Bewegung Fahrt auf. Die zwei Schwestern Catherine (Kate) (1837-1892) und Margaretta (Maggie) Fox (1833-1893) begannen Geisterbotschaften in Form von Klopfgeräuschen in ihrem Haus in Hydesville in Rochester, New York zu empfangen. Als man die Überreste eines toten Hausierers im Keller entdeckte, wurde allgemein angenommen, die Klopfgeräusche seien seine Mitteilungen von jenseits des Grabes. Ann Leah Underhill (1814-1890) nahm die Werbung und das Management für die Séancen der Geschwister in die Hand, die kurz darauf in New York City abgehalten wurden. Die beiden Mädchen wurden nationale Berühmtheiten. Die Hydesville-Bewegung besaß soziale, moralische und politische Untertöne. Der offensichtliche Hunger der protestantischen Sekten an der Ostküste nach dem Übernatürlichen, nach sinnlicher Ergänzung ihrer Religion und nach Zeichen der göttlichen Gnade überwältigte alle Kritiker und Skeptiker. Den Höhepunkt erreichte die Begeisterung Mitte der 1850er Jahre, in denen eine ganze Reihe von Publikationen erschienen, die das Phänomen beschrieben: Charles Hammonds »Light from the Spirit World« (»Licht aus der Geisterwelt«, 1852), Judge Edmonds und George Dexters »Spiritualism« (»Spiritismus«, 1853) oder Robert Hares »Experimental Investigation of Spirit Manifestations: Demonstrating the Existence of Spirits and Their Communication with Mortals« (»Experimentelle Untersuchung von Geistererscheinungen: Beweis der Existenz von Geistern und ihrer Kommunikation mit den Lebenden«, 1855).

Die neue Bewegung breitete sich rasch aus, neue Medien traten überall im Nordosten hervor, neue Methoden der Kommunikation mit Geistern wurden entwickelt, und immer spektakulärere, theatralischere Demonstrationen der Gegenwart und Macht der Geister entstanden. Die physischen Phänomene schlossen Tischrücken ein, das Verrücken von Möbeln, Schreiben der Geister auf Tafeln, phosphoreszierende Flammen, telekinetische Materialisierung von Gegenständen, von selbst spielende Musikinstrumente, das Erscheinen von Geisterhänden, die Levitation der Medien, Geistergesichter, die durch das Kabinett des Mediums sichtbar wurden und dreidimensionale Körper, die unter den Teilnehmern der Séance herumgingen. Die neue amerikanische Bewegung erreichte England, als das Medium Maria Hayden im Jahr 1852 London besuchte und als Daniel Dunglas Home (1833-1886) mit seinen Darbietungen, zu denen auch Levitationen gehörten, 1855 einen Aufruhr hervorrief. Der Séancenraum bot eine neue Form der Heiligen Kommunion, der Glaube wurde durch sinnliche Evidenz ersetzt, das Sakrament durch die Manifestation von Geistern. Der Spiritismus rief ein eigenes Bekenntnis ins Leben, das sich in den neugotischen Kirchen der Industriestädte des 19. Jahrhunderts ausbreitete. Zugezogene Vorhänge, Dämmerlicht, intime Zirkel, attraktive weibliche Medien, Geister in durchsichtigen Kleidern, fremdartige Stimmen, Ausströmung von Fluida (Ektoplasma), sind einige Beispiele für das viktorianische Interesse an Geheimnis, Sex und Tod und die Sehnsucht nach der »anderen Welt« jenseits des kalten Lichtes der wissenschaftlichen Rationalität.

Spiritismus und Parapsychologie (Psychical Research)

Der Spiritismus ist als neue religiöse Bewegung bedeutsam, aber seine Beziehung zur Esoterik ist weniger eindeutig. Der moderne Spiritismus besitzt interessante Ähnlichkeiten mit der antiken Theurgie (Medien, Trancezustände, veränderte Stimmen, Geisterkommunikation). Aber die Trivialität der modernen Geisterbotschaften, die so häufig die persönlichen Sorgen und Hoffnungen der Teilnehmer wiederspiegeln, und der Mangel einer zusammenhängenden Weltsicht, die sich auf mehr bezieht, als das Leben hinter dem Schleier des Todes, disqualifizieren ihn als eine mögliche Variante der esoterischen Philosophie. Oft manifestierten sich die Geister Verstorbener bei Séancen, Engel und andere Mittelwesen blieben fern. Selbst die Geister von Religionsgründern traten selten in Erscheinung. Die spiritistische Vision des glücklichen Aufenthalts der Verstorbenen im »Sommerland« trug zur Verbreitung eines utopischen Glaubens an soziale Experimente und endzeitliche Visionen der Zukunft bei (z.B. bei Thomas Lake Harris oder Charles Fourier). Patrick Deveney meinte, dem Spiritismus gehe es allein um die Fortexistenz nach dem Tod, während seine übrigen Ansichten auf das Diesseits gerichtet seien: den sozialen Fortschritt und Reformen.

Der Spiritismus ist das Produkt der modernen Massengesellschaft. Dass er sowohl die Industriearbeiter als auch die Mittelklasse anzog, deutet auf seine religiöse Funktion in der entzauberten Welt der säkularen Moderne hin. Außerdem unterhielt er eine enge Beziehung zur positivistischen Wissenschaft, die Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Siegeszug antrat. Der Spiritismus ließ aber auch ab 1850 eine empirische psychische Forschung entstehen, die versuchte, den Wert und die Gültigkeit seiner Phänomene zu prüfen. Hervorragende britische Wissenschaftler und Philosophen wie Sir William Crookes, Sir Oliver Lodge, Alfred Russel Wallace, Lord Raleigh, Frederic W. H. Myers, Frank Podmore und Edmund Gurney waren wichtige Akteure in der Geschichte der »Society for Psychical Research«, die 1884 in London begründet wurde. Wie Faivre und Hanegraaff bemerkt haben, hatten der Spiritismus und andere Strömungen des modernen Okkultismus nichts mehr mit der esoterischen Spiritualität der Hermetik, den engelhaften Mittlerwesen und der Ursprache der Natur zu tun. Die Geister der Toten, die durch moderne Methoden kontaktiert werden, benutzten banale Zeichen, um Botschaften mitzuteilen und bedienten sich offensichtlich weltlicher Praktiken. Ihre Gegenwart und ihre Offenbarungen müssen in theatralischen Darbietungen gezeigt und von Skeptikern mit technischen Mitteln aufgezeichnet und überprüft werden. Nur eine entzauberte Welt bedarf solcher prosaischen Beweise. Zeitgenössische Esoteriker wie Rudolf Steiner oder René Guénon haben den Spiritismus deswegen als Materialismus verurteilt.

Mesmers animalischer Magnetismus war eine traditionelle Form der Pneumatologie, der die wissenschaftliche Anerkennung versagt blieb. Als geheimer Erbe von Ideen, die von Paracelsus, Robert Fludd und William Maxwell stammten, fand der Mesmerismus Zustimmung bei französischen Geistmagnetiseuren und Illuministen der 1780er Jahre und unter den romantischen Theosophen und Naturphilosophen in Deutschland, wofür Kerners Darstellung der Seherin von Prevorst das Hauptbeispiel darstellt. Als die fluidistische Theorie zugunsten der Hypnose und der Suggestion aufgegeben wurde, fand der animalische Magnetismus Eingang in die säkularen Strömungen der Psychologie und in Selbsthilfepraktiken. Auch wenn die Ideen Swedenborgs und des animalischen Magnetismus vom modernen Spiritismus aufgegriffen wurden, entstand er doch unabhängig von diesen und seine Motive und Interessen waren vergleichsweise weltlich. Abgesehen von der visionären Hellsicht und den kosmologischen Spekulationen von Andrew Jackson Davis zeigte der moderne Spiritismus wenig Interesse an der Ausarbeitung esoterischer Kosmologien, an Mittlerwesen oder der Umwandlung der Seele. Erst mit seiner Transformation in den modernen Okkultismus durch Pascal Beverley Randolph, Emma Hardinge Britten und Helena Petrowna Blavatsky nahm er jene weiter reichenden esoterischen Perspektiven in sich auf, die magische Praktiken, spirituelle Evolution, geistige Hierarchien und die Reinkarnation zu bieten vermochten.

Fortsetzung

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