»Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?« – Ein Überblick – I

Zuletzt aktualisiert am 10. März 2020.

Johann Georg Richter, Theosophia Practica

Johann Georg Gichtel, Theosophia Practica

Steiner beschrieb den anthroposophischen (rosenkreuzerischen) Schulungsweg ausführlich in einer Folge von 16 Aufsätzen, die zwischen Juni 1904 und September 1905 erschienen. Im folgenden wird auf diese erste Ausgabe Bezug genommen.(Leser, die an der Erstausgabe interessiert sind, finden hier ein PDF zum Download).

Bereits die »Mystik im Aufgang …« 1901 und das »Christentum als mystische Tatsache …« 1902 enthalten geistesgeschichtliche und zugleich erkenntnissystematische Vorstudien zur Begründung eines solchen Einweihungsweges. Das Schlusskapitel der »Theosophie« 1904 zeichnete erstmals seine Grundzüge.

Wie wir aus der Vorrede zur »Theosophie« wissen, betrachtete er aber auch die »Philosophie der Freiheit« als die Darstellung eines Schulungswegs, der zu denselben Erkenntnissen führe, wie die »Theosophie«. Wenn man einmal von Steiners philosophischen Werken absieht, deren grundlegende Bedeutung für sein Verständnis höherer Erkenntnis nicht genügend betont werden kann, dann führt »Wie erlangt man …« die in der »Mystik im Aufgang …« 1901 und im »Christentum als mystische Tatsache …« 1902 in Anknüpfung an historische europäische und orientalische Praktiken beschriebenen Seelen- und Geisteswege zur Erweckung des höheren Menschen in die Gegenwart fort und schildert den Schulungsweg, der dieser Gegenwart angemessen ist.

Bereits 1901 und 1902 ist ja – sowohl der Sache als auch dem Wortlaut nach – von der »Vorbereitung«, der »Erleuchtung« und »Einweihung« die Rede, den drei Stufen des Weges, die Steiner in »Wie erlangt man …« ausführlich beschreibt. Aber er beschreibt sie jetzt nicht mehr anhand historischer Vorläufer, sondern als eigenständigen Weg, der in sich selbst begründet und dessen Struktur und Systematik ohne Hinzuziehung historischer Vorläufer aus sich heraus verständlich ist.

Die »Lichtmetaphorik« der Erleuchtung, »geistige Sinne«, die »Umwandlung« (Transformation) des Seelenwesens, die »Wiedergeburt« zu einem höheren Leben, spielen bereits bei den Ausführungen der »Mystik im Aufgang …« über die Erweckung des höheren Menschen durch die Selbsterkenntnis eine zentrale Rolle. Um dies zu ersehen, reicht ein Blick in das Kapitel »Einführung« (GA 7, 1. Aufl. 1901, Download als PDF). Es ist nicht nur von geistigen Lichtwahrnehmungen die Rede, sondern auch vom »Hören« als einem geistigen Vorgang. Die »Mystik im Aufgang …« berichtet von der »geistigen Wiedergeburt« und der »Umwandlung« des Menschen und der Dinge (GA 7, 1. Aufl. 1901). Auch das »Christentum …« handelt fortlaufend von »Vorbereitungen«, von »Erleuchtung« und »Einweihung« (GA 8, 1. Aufl. 1902, Download als PDF).

All die Motive, die in »Wie erlangt man …« – der Schilderung eines auf die Gegenwart und die gegenwärtigen Lebensverhältnisse bezogenen Schulungsweges – in Erscheinung treten, sind bereits 1901 und 1902 in Steiners Werk präsent oder klingen an. Sie werden in »Wie erlangt man …« lediglich weiter ausgestaltet.

Wenn man diese Aufsatzfolge unvoreingenommen betrachtet und auch nur ein wenig über ihre fortlaufenden Schilderungen nachdenkt, zeigt sich, dass ihnen ein innerer, systematischer Aufbau zugrunde liegt, dessen Kompositionsprinzip nicht das einer linearen, deduktiven Ableitung von Begriffen ist, sondern das einer vertiefenden, erweiternden Wiederholung.

(I.) So enthalten die ersten beiden Aufsätze eine überblicksweise Charakterisierung des Schulungswegs, der vom Hinweis auf die Devotion bis zur Einführung der Meditation reicht.

(II.) Vom dritten bis fünften Aufsatz werden die drei Stufen des Weges: »Vorbereitung« (Katharsis), »Erleuchtung« (Photismos), »Einweihung« (Epopteia) in einer erzählerischen Form beschrieben. Dabei handelt es sich bereits um eine erste Wiederholung, die allerdings durch die Einführung bildhaft-symbolischer Elemente (drei Proben, Eintritt in den Tempel, Eid, zwei Tränke) zugleich über die erste, einführende Darstellung hinausgeht. Die folgenden Aufsätze verlassen jedoch systematisch nicht den Rahmen, der durch die drei Stufen abgesteckt ist, sondern füllen diesen Schritt für Schritt mit Inhalt an.

(III.) Nach dem vorläufigen Höhepunkt im fünften Aufsatz folgen im sechsten eine Reihe »praktischer Gesichtspunkte«, die sich auf die Erziehung des Seelenlebens beziehen und Motive aus den ersten beiden Teilen etwas ausführlicher entfalten. Der Aufsatz handelt von der Stufe der Vorbereitung (Katharsis).

(IV.) Der siebte Aufsatz schildert die sieben Bedingungen, die erfüllen muss, wer den Erkenntnispfad betreten will, mit ihm beginnt die inhaltlich-systematische Darstellung der praktischen Aspekte des Schulungsweges als eines Weges der Selbsterziehung. Auch er handelt von der Katharsis, der Reinigung oder Läuterung der Seele.

(V.) Mit dem achten Aufsatz beginnen die »Über einige Wirkungen der Einweihung« betitelten sechs Folgen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Begriff »Einweihung« im weiteren Sinn verstanden wird: die Einweihung beginnt bereits mit der »Katharsis«, mit welcher der Weg der Einweihung ihren Anfang nimmt. So schildern der achte und der neunte Aufsatz die Ausbildung der Wahrnehmungsorgane der Seele, die zur bildhaften Anschauung führen (in der Aufsatzfolge bzw. Schrift »Die Stufen der höheren Erkenntnis« als »Imagination« bezeichnet), der zehnte Aufsatz handelt von der Ausbildung entsprechender Organe im Ätherleib, die in der Erweckung des »Inneren Wortes« gipfelt (in »Die Stufen der höheren Erkenntnis« als »Inspiration« bezeichnet). Der elfte Aufsatz beginnt mit der phänomenologischen Beschreibung des kleinen Hüters der Schwelle, ohne ihn bereits mit diesem Namen zu benennen, und deutet den Übergang zur dritten Erkenntnisstufe an, die mit der Ausbildung der zweiblättrigen Lotosblume in Zusammenhang steht (in »Die Stufen der höheren Erkenntnis« als »Intuition« bezeichnet). Die Aufsätze acht bis elf sind also als Einheit zu betrachten.

(VI.) Mit dem zwölften Aufsatz beginnt erneut eine vertiefende und erweiternde Wiederholung, die nunmehr von den verschiedenen Formen des Bewusstseins ausgeht. Wach-, Traum- und Schlafbewusstsein und die Wirkungen der Schulung auf diese werden beschrieben, wobei das »Schauen« (die Imagination) in Zusammenhang mit dem Traum im zwölften Aufsatz wieder auftritt, das »Hören« (die Inspiration) in Zusammenhang mit dem Schlaf im dreizehnten.

(VII.) Der vierzehnte Aufsatz setzt mit einer neuen Überschrift – »Die Spaltung der Persönlichkeit« – ein, schildert die Trennung der drei Seelenkräfte und bereitet die genauere, ins Bildhafte verdichtete Beschreibung der Begegnungen mit den beiden Hütern vor, die in den beiden letzten Aufsätzen dargestellt werden: der kleine im fünfzehnten und der große im sechzehnten Aufsatz, wobei sich die Begegnung mit dem kleinen auf den Übergang von der Imagination zur Inspiration (die erste Schwelle) und die Begegnung mit dem großen Hüter auf den Übergang von der Inspiration zur Intuition (die zweite Schwelle) bezieht. Soweit zur Metastruktur der gesamten Aufsatzfolge. In den einzelnen Aufsätzen oder kleineren Gruppen von Aufsätzen bildet sich diese Metastruktur in vielfältigster Weise wieder ab. Damit ist im Ansatz die Komposition des Werkes aufgezeigt. Da dessen Kenntnis nicht vorausgesetzt werden kann, wird sie im folgenden Exkurs etwas genauer analysiert.

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(I.) Überblick über den Schulungsweg (Aufsätze 1-2) 

Der erste Aufsatz eröffnet mit einem Fanfarenstoß: In jedem Menschen schlummern Fähigkeiten, durch die er sich Erkenntnisse der höheren Welten erwerben kann. Höhere Erkenntnis ist von Grund auf nicht elitär, sondern egalitär. Bereits im Schulungskapitel der »Theosophie« hieß es: »Die Erkenntnisse der Theosophie kann jeder Mensch sich selbst erwerben« (GA 9, 1. Aufl., S. 147). »Wie erlangt man …« fügt hinzu, dass die Angehörigen von Geheimschulen keine »bevorzugte Menschenklasse« darstellen wollen, die ihr Wissen willkürlich den Mitmenschen vorenthalte (»Luzifer-Gnosis«, Heft 13, S. 1). Der Erwerb des »höheren Wissens« steht sogar unter noch egalitäreren Bedingungen als der des gewöhnlichen Wissens, denn durch »Armut« oder die »äußeren Kulturverhältnisse« könnte jemand daran gehindert werden, die Kunst des Schreibens zu erlernen: für das höhere Wissen gibt es solche Hindernisse nicht (»Luzifer-Gnosis«, Heft 13, S. 2). Es gibt keine äußeren Tempel mehr, in denen dieses Wissen gehütet würde, in seiner eigenen Seele ist der Tempel verborgen, den der Mensch aufsuchen muss, in ihr liegen auch die Mittel, die den Mund des Eingeweihten öffnen (»Luzifer-Gnosis«, Heft 13, S. 2).

Egalitärer könnten die Voraussetzungen also gar nicht sein. Weder Besitz, noch gesellschaftliche Schranken, noch räumliche Hindernisse stehen dem Beschreiten des Pfades im Wege: denn der Pfad beginnt in der Seele eines jedes Menschen. Der Elitarismusvorwurf prallt an diesem fundamentalen Egalitarismus ab. Aber Bedingungen gibt es dennoch: die Seele muss sich einer Selbsterziehung unterziehen.

  • Sie muss den »Pfad der Verehrung, der Devotion« beschreiten. Die Devotion ist nicht ein autoritäres Motiv, sondern das Gegenteil davon. Jede Hierarchie wird durch sie zunichte gemacht. Durch die Devotion, die Demut, werden alle gleich. Der Höchste muss sich vor dem Niedrigsten beugen, sie alle müssen dem Höheren, das in jedem Menschen geboren werden will, Verehrung entgegenbringen. Ausdrücklich weist Steiner darauf hin, dass diese Demut nicht den »Keim der Unterwürfigkeit und Sklaverei« bilde, sondern dass Menschen »am besten verstehen, das Haupt frei zu tragen«, die »verehren gelernt haben, wo Verehrung am Platze ist«. Das Gefühl der Verehrung muss »dem Höheren« entgegengebracht werden, das sich im Menschen entwickeln will, sonst kann er seinen Weg zu diesem Höheren nicht finden. Höhe des Geistes kann nur »durch das Tor der Demut« erreicht werden. Ehrfurcht, Verehrung, Anbetung »gegenüber Idealen« ist erforderlich, wenn der Mensch sich zu diesen Idealen emporheben will (»Luzifer-Gnosis«, Heft 13, S. 3).
  • Die Demut, »devotio«, ist nicht nur ein urchristliches Motiv, durch das Steiner den von ihm beschriebenen Erkenntnispfad in die Tradition der christlichen Mystik seit ihren allerersten Anfängen stellt, sie ist auch ein Motiv, das uns bereits in seinen philosophischen Schriften begegnet.

Schon die Evangelien verstehen die Menschwerdung Gottes als einen Akt äußerster Demut und Selbstpreisgabe, durch die sich das Höchste vor dem Tiefsten beugt, um es zu sich selbst hinauf zu heben. Die christliche Frömmigkeit und Mystik, die »imitatio Christi«, fußt auf der Nachahmung dieser Grundhaltung. Das christliche Liebesgebot, das Gott, die Nächsten und selbst die Feinde einschließt, führt zum Dienen und Opfern. Wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener. Wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht. Was ihr dem Geringsten meiner Brüder tut, das habt ihr mir getan. Der Verzicht auf abfällige Kritik: Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet. Auch Paulus kennt diese Demut: die Selbstentäußerung ist der Weg, durch den Christus in der Seele des Menschen geboren wird. Die Nachahmung Christi, die zur unio mystica mit ihm führt, ist die Nachahmung seiner Liebe, seiner äußersten Bereitschaft zur Selbstaufgabe. Christliche Liebe verlangt Selbsthingabe, Selbstaufgabe. Bis in die »devotio moderna« des Thomas von Kempen, den Steiner in »Wie erlangt man …« erwähnt und darüber hinaus, spielt die Demut eine zentrale Rolle in der christlichen Mystik. Wer die Devotion zum Bestandteil einer »autoritären Struktur« umdeutet, verleugnet ihre christlichen Wurzeln, verleugnet die mystische Essenz des Christentums.

Die »Hingabe« spielt auch schon in Steiners philosophischen Werken eine herausragende Rolle. In den »Grundlinien …« ist sie das methodologische Prinzip der Geisteswissenschaften. Die spezifische Methode der Geisteswissenschaften, die sich mit dem menschlichen Geist und seinen Hervorbringungen befassen, ist die Hingabe an das Objekt. Denn in der Sphäre des Geistes ist jedes Objekt sein eigener, singulärer Typus. Ebenso so gut könnte man statt von Hingabe auch von »Liebe« sprechen. Es ist eben jene Liebe, von der es in der »Philosophie der Freiheit« heißt, dass sie »sehend« macht (GA 4, 1. Aufl., Kapitel II, S. 20-21), die den Kern des freien Handelns bildet, das von der »Liebe zum Objekt« bewegt wird (GA 4, 1. Aufl., Kapitel X, »Die Idee der Freiheit«, S. 151), jene Liebe oder Hingabe schließlich, die in der Begegnung und im Verstehen der freien Individualitäten wirkt (GA 4, 1. Aufl., Kapitel XV, »Individualität und Gattung«, S. 228). In Wahrheit liegt der Epistemologie, die Steiner in seinem philosophischen Werk entfaltet, diese Idee der Liebe als ontologisches Prinzip zugrunde, deren letzte Wurzel in der Tatsache zu sehen ist, dass sich der Weltengrund aus Liebe »in die Welt ausgegossen«, sich ihr »nicht vorenthalten hat«.

Daher leuchtet in »Wie erlangt man …« als erste Bedingung jener spirituellen Praxis, die zum Schauen des in die Schöpfung ausgegossenen Weltengrundes hinführen soll, jenes Motiv der Liebe, der Selbsthingabe wieder auf, in dem sich die Gottebenbildlichkeit des Menschen spiegelt. Die äußerste Demut allein kann zum höchsten Aufschwung der Schau, der Vereinigung mit dem Göttlichen führen. Bereits in die Fundamente des Schulungsweges ist das Sicherungsmittel eingebaut, das den Schüler vor dem Abgleiten auf den schlüpfrigen »schwarzen Pfad« der luziferischen Selbstüberhebung, des monomanen Egoismus schützt. Nicht um »eitles Wissen« geht es, nicht um die Selbsterhöhung oder -überhebung durch Erkenntnis, sondern um die moralische Vervollkommnung, um die »theosis«, die letztlich in der Fähigkeit besteht, jene grenzenlose Liebe Gottes, die auch die Uridee der christlichen Mystik ist, in der imitatio in letzter Vollendung zu verwirklichen: Werdet vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.

Immer wieder taucht dieses Motiv in »Wie erlangt man …« auf, z.B. schon am Ende des ersten Aufsatzes: »Jede Erkenntnis, die du suchst, nur um dein Wissen zu bereichern, nur um Schätze in dir anzuhäufen, führt dich ab von deinem Wege; jede Erkenntnis aber, die du suchst, um Arbeit zu verrichten im Dienste der Weltentwicklung, die bringt dich einen Schritt vorwärts« (»Luzifer-Gnosis«, Heft 13, S. 6) oder im vierten Aufsatz (»Luzifer-Gnosis«, Heft 16, S. 100) gar als »goldene Regel: »Wenn du einen Schritt vorwärts zu machen versuchst in der Erkenntnis geistiger Wahrheiten, so mache zugleich drei vorwärts in der Vervollkommnung deines Charakters zum Guten.«

  • Aber der Pfad der Erkenntnis stützt sich nicht allein auf die Devotion, sondern auch auf eine zweite Seelenfähigkeit, die dieser an die Seite treten muss, um ein Gleichgewicht zur Selbstentäußerung zu schaffen: es ist das »rege, reiche Innenleben«. Der Schüler soll sich immer weniger den Eindrücken der Außenwelt hingeben und dafür ein reges Innenleben entwickeln. Mit dem Hinweis auf diese »andere Gefühlsart«, die zur Devotion hinzukommen muss, schlägt der Schulungsweg die Gegenrichtung ein: nicht selbstlose Hingabe, Bewunderung des Weltinhaltes, des Verehrungswürdigen, der «göttlichen Herrlichkeit« allein, die die Außenwelt »in all ihren Erscheinungen durchdringt«, sondern auch die Freilegung des inneren Quells, aus dem das Göttliche hervorsprudelt, das in der Außenwelt wieder erkannt werden soll. »Erst, was wir im Inneren erleben, gibt uns den Schlüssel zu den Schönheiten der Außenwelt.« (»Luzifer-Gnosis«, Heft 13, S. 5. – Die »Grundlinien …« beschreiben dies so: »Wenn der eine, der ein reiches Seelenleben hat, tausend Dinge sieht, die für den geistig Armen eine Null sind, so beweist das sonnenklar, dass der Inhalt der Wirklichkeit nur das Spiegelbild des Inhaltes unseres Geistes ist und dass wir von außen nur die leere Form empfangen. Freilich müssen wir die Kraft haben, uns als die Erzeuger dieses Inhaltes zu erkennen, sonst sehen wir ewig nur das Spiegelbild, nie unseren Geist, der sich spiegelt.« GA 2, 1979, S. 67)

Der zweite Aufsatz (»Luzifer-Gnosis«, Heft 14, S. 33-38) fügt zu diesen beiden Grundeigenschaften, der Selbsthingabe und der inneren Produktivität (Beobachtung und Denken), zwei weitere Seelenfähigkeiten hinzu: die objektive Selbstbeobachtung (3) und die Meditation, die Hingabe an die Inhalte des reinen Denkens (4). Die Beobachtung wird zur Selbstbeobachtung und durch die Selbstbeobachtung eröffnet sich der Weg zur Erfahrung des Geistigen, das sich im inneren Raum der Seele in Form von Gedanken ankündigt und über die Seele hinaus führt.

  • Die dritte Seelenfähigkeit, die der Schüler ausbilden muss, ist die Fähigkeit, in Augenblicken der Ruhe »das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden«. Diese Fähigkeit zielt darauf ab, durch Selbstbeobachtung »Wesen und Erscheinung« voneinander zu sondern. Diese Übung entwickelt den Blick des »höheren Menschen«, der den Alltagsmenschen aus der Perspektive des Ewigen anzuschauen vermag, denn »in jedem Alltagsmenschen« ist dieser »höhere Mensch« verborgen. Eine Folge der Selbstbeobachtung besteht darin, dass der Geheimschüler immer mehr »sich selbst leiten« lernt und immer weniger »von den Umständen und äußeren Einflüssen geleitet« wird (»Luzifer-Gnosis«, Heft 14, S. 35), mit anderen Worten: der Grad seiner Freiheit, seiner Autonomie nimmt zu. Die Selbstbeobachtung ist der Weg, durch den der Geistesschüler zu einer durchdringenden Selbsterkenntnis gelangt, durch sie lernt er die Eigenschaften seiner Seele kennen, er übt Selbstkritik und er gewinnt eine intime Kenntnis des »Umbildungsstoffes«, den er ergreifen muss, um die Seele »durch eigene Kraft« zu einem Erkenntnisorgan umzubilden (Von dieser »Umbildung« der Seele spricht, wie erwähnt, bereits die »Philosophie der Freiheit«. GA 4, 1. Aufl., S. 170).
  • Zu dieser Selbstbeobachtung muss aber noch eine zweite Eigenschaft hinzukommen. Das fortwährende Hinblicken auf die eigene Persönlichkeit und ihre Erlebnisse muss ergänzt werden durch das geistige Hinblicken auf etwas, was über dieser Persönlichkeit steht. In ruhiger Beschaulichkeit muss der Schüler sich zeitlosen Gedanken hingeben, sich in die Gedankenwelt versenken, für sie ein lebendiges Gefühl entwickeln. Kurz, es ist von der Meditation, vom »Leben in Gedanken« die Rede (»Luzifer-Gnosis«, Heft 14, S. 37).

Aus diesen Hinweisen geht zur Genüge hervor, was spirituelle Selbsterziehung bedeutet: in der Seele des Menschen »naturhaft« vorhandene Fähigkeiten werden einer systematischen Ausbildung unterzogen. Unschwer ist zu erkennen, dass die erste der vier Fähigkeiten, die Hingabe, eine Qualität der Empfindungsseele ins Bewusstsein hebt und vergeistigt, denn die Empfindungsseele ist es, durch die sich der Mensch der Welt der Sinne hingibt und ihre Offenbarungen empfängt. Die zweite, die innere Produktivität, vergeistigt eine Qualität der Verstandesseele, jener Seele, die zu den Offenbarungen der Sinne die geistigen Inhalte des Denkens hinzufügt, die dritte, die objektive Selbstbeobachtung und Selbstkritik, stellt die Fähigkeiten der Verstandesseele in den Dienst des Geistes, während die vierte, die Hingabe an den reinen Gedanken, eine Qualität der Bewusstseinsseele darstellt: diese wendet ihren Blick den Inhalten des Geistes zu, die in ihr aufleuchten. Die Anweisungen des Schulungsweges sind in der seelischen Konstitution des Menschen begründet und werden aus dieser abgeleitet.

(II.) Vorbereitung, Einweihung, Erleuchtung (Aufsätze 3-5)

Nun folgen die Aufsätze drei bis fünf, in denen die drei Stufen des Weges andeutungsweise beschrieben werden: (i) die Vorbereitung, »die die geistigen Sinne entwickelt«, (ii) die Erleuchtung, »die das innere Licht entzündet« und (iii) die Einweihung, die den »Verkehr mit höheren Wesen des Geistes eröffnet« (»Luzifer-Gnosis«, Heft 15-17, S. 65-72, 97-103, 129-135).

  • Die »Vorbereitung« hat die Ausbildung der geistigen Sinne zum Inhalt. Die folgenden Ausführungen schildern bestimmte Meditationsformen, durch die der Seele des Menschen geistige Wahrnehmungsorgane eingefügt werden können und Übungen der (moralischen) Selbsterziehung, die die Meditation begleiten müssen. Erkenntnis und Moralität, letztere in dreifach gesteigertem Maß, sind die beiden Säulen, die den inneren Tempel der Seele tragen.
    • Die erste dieser Meditationen schließt an Vorgänge des Werdens und Vergehens in der Natur an. Der Blick des Geistes soll auf die Lebensprozesse gelenkt werden, in denen sich jene Bildekräfte manifestieren, von denen die »Theosophie« als den in der Welt des Lebendigen wirkenden Kräften handelte. Wachsen und Vergehen formen sich zu »geistigen Linien und Figuren« (»Luzifer-Gnosis«, Heft 15, S. 66). Vermag der Schüler die geistigen Gestalten zu sehen, die physischen Erscheinungen entsprechen, wird er auch fähig werden, Gestalten zu sehen, die Ausdruck von nicht physisch sichtbaren Dingen sind. Steiner beschreibt hier eine Meditationsform, die zum geistigen Sehen, zur Imagination führt.
    • Dieser Meditation muss die Ausbildung einer Eigenschaft an die Seite treten, die als »Orientierung in den höheren Welten« bezeichnet wird (»Luzifer-Gnosis«, Heft 15, 67). Dazu ist erforderlich, sich mit dem Bewusstsein zu durchdringen, dass »Gedanken und Gefühle wirkliche Tatsachen« sind. Die Schulung der Beobachtungsfähigkeiten auf der einen Seite muss durch eine Schulung des Denkens auf der anderen Seite ergänzt werden.
    • Eine zweite Meditationsform bezieht sich auf die Welt der Töne. Auf die Kundgaben des Seelischen durch die Töne soll die Aufmerksamkeit gelenkt werden. Durch diese Übung fließt allmählich der Schüler mit dem Wesen zusammen, von dem der Ton ausgeht. Durch die Ausbildung dieses Seelengehörs beginnt dem Menschen die ganze Natur ihre Geheimnisse zuzuraunen, er beginnt mit der Seele zu hören (»Luzifer-Gnosis«, Heft 15, S. 68). Die geschilderte Meditationsform führt also zur Wahrnehmung des seelischen Lebens, so wie die erste zur Wahrnehmung der geistigen Lebenskräfte führt. Das Hören des inneren Wortes ist Inspiration, das Wahrnehmen der Linien und Figuren des Lebendigen Imagination.
    • Dieser Meditation muss etwas zur Seite gestellt werden, das der »Orientierung in den höheren Welten« entspricht, die einen Ausgleich für die aufdämmernde Imagination schafft. Es ist das eifrige Studium (»Luzifer-Gnosis«, Heft 15, S. 69). Das Studium der »Geheimforscherlehren«, das Durchdenken der Gedankenbilder, in denen die Erfahrungen des Geistes zum Ausdruck gebracht werden, schult das Denken, befreit es von seiner Abhängigkeit von den Sinneseindrücken, befähigt es dazu, in allein auf sich selbst gestützter Bewegung an den von ihm erzeugten ideellen Inhalten fortzugehen. Auch hier tritt zur Ausbildung einer Beobachtungsfähigkeit (des geistigen Hörens) wieder die Schulung einer Denkfähigkeit. Diese Schulung des Denkens gehört ebenfalls der »Vorbereitungsstufe« an.
  • Die »Erleuchtung« »entzündet« das »innere Licht«.
    • Meditationen sind es, die zur Erleuchtung hinführen. Der Meditierende soll verschiedene Naturwesen vergleichend betrachten. Die Gedanken rufen die ihnen entsprechenden Gefühle hervor. Aus der Versenkung in Gedanken und Gefühle bilden sich Hellseherorgane.
    • Der meditativen Schulung muss eine moralische Selbsterziehung an die Seite treten. Der Schüler muss seine moralische Kraft, seine innere Lauterkeit fortwährend steigern. Er muss sein Mitgefühl für die Menschen- und Tierwelt, seinen Sinn für die Schönheit der Natur immerfort vergrößern. Die Schulung dient nicht nur der Steigerung der Erkenntniskräfte, sondern auch der sittlichen Vervollkommnung des Menschen. Erkennen und Wollen sollen sich dem Geist zuwenden und durch diesen geformt werden.

Der vierte Aufsatz (»Luzifer-Gnosis«, Heft 16, S. 97-103), der weiter von der »Erleuchtung« handelt, lenkt die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass den Gefühlen und Gedanken, die der Mensch fortwährend in sich trägt, durch Selbsterziehung eine andere Richtung gegeben werden muss. In den gewöhnlichen Erlebnissen der Seele sind die tiefsten Geheimnisse verborgen, der Geheimschüler soll sich diese Erlebnisse zum Bewusstsein bringen. Daher ist die ganze Schulung darauf ausgerichtet, die Aufmerksamkeit auf diese in der Seele verborgenen Geheimnisse zu lenken. Wieder also ist von der Selbstbeobachtung die Rede.

Zum dritten Mal greift Steiner die Meditation über das Lebendige auf, die er bereits bei der Vorbereitungsstufe und zu Beginn der Schilderung der Erleuchtung angeführt hat und beschreibt sie noch konkreter. Über das Werden und Vergehen soll meditiert werden: die Meditation über das Werden wendet sich dem Samenkorn zu, die über das Vergehen einer ausgewachsenen Pflanze.

Steiners Ausführungen über die »Erleuchtung« leiten an zu einer vergleichenden Betrachtung und Versenkung in Kristall, Pflanze und Tier: der Blick soll dem Unsichtbaren, Geistigen zugewandt werden. An exakte Sinnesbeobachtungen schließen sich gedankliche Überlegungen oder eine plastische Vorstellungstätigkeit an, in die eine Versenkung erfolgt, diese rufen Gefühle hervor, Gedanken und Gefühle werden zu Kräften und diese Kräfte rufen geistige Anschauungen hervor. Deutlich ist, dass sich Vorbereitung und Erleuchtung nicht scharf voneinander abgrenzen lassen, was die Übungsmethoden anbetrifft. Schon die Ausführungen über die Vorbereitungsstufe haben ja vorausgegriffen und die Folgen dieser Vorbereitung angedeutet. Die Schilderung der zweiten Stufe greift ihrerseits wieder in die erste zurück. Diese Eigentümlichkeit des Voraus- und Zurückgreifens der Darstellung ist durch den Gegenstand bedingt: Entwicklung kann nur beschrieben werden, wenn ihre Anfangs- und Endzustände und die Übergänge zwischen ihnen ins Auge gefasst werden (»Luzifer-Gnosis«, Heft 16, S. 102).

  • Ähnliches gilt für die »Einweihung«, zu deren Beschreibung der letzte Teil dieses vierten Aufsatzes überleitet. Zunächst wird auf eine Seeleneigenschaft hingewiesen, die der Einzuweihende entwickeln muss: Mut und Furchtlosigkeit. Steiner deutet hier bereits auf Erfahrungen voraus, die er erst in den letzten Aufsätzen genauer beschreibt, die von der Begegnung mit dem kleinen Hüter der Schwelle handeln. Der Mensch trägt in seinem eigenen Wesen aufbauende und zerstörende Kräfte. Den erweckten geistigen Sinnen werden diese Kräfte sichtbar. Nur Mut, Furchtlosigkeit wird diese Wahrnehmungen ertragen können.

Mit dem letzten Absatz beginnt die symbolische Beschreibung der Einweihungsstufe. Die Einweihung enthüllt dem Menschen die »wahren Namen der Dinge«. Sie besteht darin, dass man lernt, die Dinge mit jenen Namen zu benennen, »die sie im Geist ihrer göttlichen Urheber haben« (»Luzifer-Gnosis«, Heft 16, S. 103). Offensichtlich spricht Steiner hier vom göttlichen Schöpfungswort, vom Logos, aus dem alle Dinge entstanden sind. Es sind nicht Namen einer menschlichen Sprache, sondern die Worte, durch die der Logos, aus dem alles entstanden ist, die Dinge erschaffen hat. Die Sprache der Eingeweihten ist keine menschliche Sprache, es ist eine Gedankensprache, eine geistige Sprache, die Sprache des inneren Wortes, des Logos, der in der Seele des Menschen geboren wird. Deutlich verweist dieser Absatz auf das »Christentum als mystische Tatsache …« und die »Mystik im Aufgang …« zurück, die von der Geburt des Logos in der Seele des Eingeweihten sprechen. Offenbar hat es die Einweihung mit der Stufe der Inspiration zu tun, so wie die Erleuchtung mit der Imagination. Letztere führt zum inneren Licht, zum Bild, in dem der geistige Weltinhalt sich offenbart, erstere zum Wort, und durch das Wort zum Wesen.

Der fünfte Aufsatz (»Luzifer-Gnosis«, Heft 17, S. 129-135) weist zu Beginn darauf hin, dass er bloß Andeutungen über die Einweihung enthält. »Andeutungen«, das bedeutet, dass die folgenden Schilderungen nicht wörtlich aufgefasst werden dürfen, dass sie einen symbolischen, sinnbildlichen Charakter besitzen. In sinnbildlicher Sprache wird im Folgenden von sinnbildlichen Handlungen gesprochen, durch welche die wirkliche Einweihung vorweggenommen wird. Die Beschreibung der Einweihung ist also in doppeltem Sinn verschlüsselt. Die Handlungen stellen bereits eine symbolische Verhüllung wirklicher geistiger Erfahrungen dar und die Sprache, in der von diesen Handlungen gesprochen wird, ist selbst wiederum sinnbildlich. Glücklicherweise hat Steiner Hinweise in diese Beschreibung eingeflochten, wie sie zu verstehen ist. Die »Unterweisungen« des Kandidaten an der Pforte der Einweihung bestehen aus einem sinnbildlichen Ersatz für Erfahrungen, die der Mensch ohne Einweihung erst in künftigen Inkarnationen erlangen wird. Es sind die so genannten »Proben«. »Dem Einzuweihenden werden gewisse Tatsachen vorgeführt, die den höheren Welten angehören« (»Luzifer-Gnosis«, Heft 17, S. 129).

»Er kann sie aber nur sehen und hören«, wenn er bereits jene Fähigkeiten erlangt hat, zu denen die Vorbereitung und Erleuchtung hinführen sollen, d.h. wenn seine geistigen Sinne erweckt sind und er seelische und geistige Tatsachen wahrzunehmen vermag. Die ganzen Proben bestehen also nicht in sinnlichen, körperlichen Vorgängen, sondern aus Vorgängen, die nur geistig wahrzunehmen sind. Die sinnbildlichen Beschreibungen mittels sinnlicher Bilder müssen ins Seelische und Geistige übersetzt werden, wenn sie richtig verstanden werden sollen. Angesichts dieser Hinweise Steiners erweist sich der  Vorwurf, Steiner habe Bilder der Sprache (Metaphern) verdinglicht, als gegenstandslos.

  • Die erste Probe ist die Feuerprobe. Der Einzuweihende soll eine »wahrere Anschauung der leiblichen Eigenschaften der leblosen Körper, der Pflanzen, Tiere und Menschen erlangen«.

»Ein Eingeweihter zeigt«, wie sich die Naturdinge und Lebewesen dem geistigen Auge und Ohr kundgeben. Nicht mehr verhüllt durch das sinnliche Anschauen, sondern »in gewisser Weise nackt« stehen die Dinge da. Das Fallen des Schleiers beruht auf einem »geistigen Verbrennungsvorgang«, deshalb heißt die erste Probe »Feuerprobe«. Dem Einzuweihenden sollen also Tatsachen symbolisch gezeigt werden, zu deren Wahrnehmung er der Fähigkeiten bedarf, deren symbolische Darstellung ihm vorgeführt werden soll. Man kann den Widerspruch nur auflösen, wenn man die ganze Redeweise symbolisch versteht. Der Eingeweihte, der etwas zeigt, ist keine sinnliche Erscheinung. Es ist der Einzuweihende selbst, der einen geistigen Verbrennungsprozess durchläuft und sich zu einer wahreren Anschauung der leiblichen Eigenschaften der Naturdinge erhebt, jener Anschauung, die er durch die Erleuchtung erlangt. Die erste Einweihungsprobe stellt symbolisch das Aufleuchten des inneren Lichtes, der Imagination, dar, durch die sich die Anschauung der lebendigen Bildekräfte erschließt, aus denen die Gestalten der Naturdinge hervorgehen. – Der Verbrennungsprozess, von dem Steiner spricht, ist die Umwandlung der Seele, die »Läuterung«, jener Vorgang, durch den die Seele zum imaginativen Schauen geführt wird.

  • Die zweite Probe ist die Wasserprobe. Der Einzuweihende muss ein bestimmtes »Schriftsystem« erlernen, in dem die Geheimlehren »abgefasst« sind. Diese Geheimlehren werden aus der »okkulten« Schrift (Steiner selbst verwendet den Ausdruck »okkult« nicht) in die gewöhnliche Sprache übersetzt. Die Zeichen der Geheimschrift entsprechen den Kräften, die in der Welt wirksam sind. Man lernt durch sie die Sprache der Dinge. Sie entsprechen den Figuren, Farben, Tönen, die der Einzuweihende während der Vorbereitung und Erleuchtung kennengelernt hat. Er fängt an, in der höheren Welt zu lesen. Das höhere Wissen in unmittelbarer Gestalt kann nur durch diese Zeichensprache mitgeteilt werden. Durch diese Sprache lernt der Einzuweihende Verhaltensmaßregeln für das Leben kennen. Diese Regeln können nur in der angedeuteten Schrift verstanden werden. – Die Wasserprobe führt in die Sphäre von übersinnlicher Sprache und Schrift. Es ist jene Sphäre, die der Inspiration entspricht, dem Hören des inneren, lebendigen Wortes, dessen Ausdruck die okkulte Schrift ist. Die »wahren Namen« der Dinge teilen sich dem geistig Hörenden durch Inspiration mit, die Schrift, in der sie aufgezeichnet sind, kann nur im Buch des Lebens, der »Akasha-Chronik«, gelesen werden. Die wirkenden Kräfte, denen die Zeichen entsprechen, sind die Kräfte der Urbilder, die die Gestalten der Dinge hervorbringen, die sich dem Menschen durch die Inspiration mitteilen. Der schaffende Logos, das schöpferische Wort, ist Inhalt der Inspirationserkenntnis. Sie beruht ebenso auf der Verwandlung des Ätherleibs durch den Geist, wie die Imagination auf der Verwandlung des Astralleibs.
  • Die dritte Probe ist die Luftprobe. Bei ihr wird kein Ziel vorgegeben, alles ist in die Hand des Prüflings gelegt. Er muss aus sich selbst, allein seinen Weg finden. Fände er nicht in sich selbst die Kraft, die er benötigt, könnte er sie nicht bestehen. Er muss sein »höheres Selbst« im wahren Sinn des Wortes finden. Er muss Geistesgegenwart beweisen, die Eigenschaft, auf die es in dieser Prüfung ankommt. Nichts zwingt ihn zum Handeln, er muss sich selbst den Antrieb geben, nur in sich selbst kann er den einzigen festen Punkt finden, der ihn vor dem Versinken ins Bodenlose bewahrt. – Wovon hier andeutend gesprochen wird, das ist die später so genannte Stufe der Intuition, bei der sich der Erkennende auf nichts mehr stützen kann – weder auf Imaginationen noch auf Inspirationen. Die Intuition ist jene Erkenntnisform, in der das Geistige unmittelbar durch sich selbst erfasst wird. Die Gegenwart des Geistes zeigt sich darin, dass er selbst den physischen Leib des Menschen durchdringt.
  • Nach dem Durchschreiten dieser drei Proben darf der Jünger in den Tempel eintreten. Besser gesagt, er ist durch sie bereits in den Tempel, in dessen Allerheiligstes, in sein eigenes, innerstes Wesen, eingetreten. Der Eintritt in den Tempel entspricht der Geburt des höheren Ich.

Was jetzt folgt, sind drei weitere symbolische Handlungen – das Ablegen eines »Eids«, das Trinken des «Vergessenheitstrunks« und des »Gedächtnistranks« –, die sich nicht auf weitere Erkenntnisstufen beziehen, sondern darauf, wie der Geheimschüler die gewonnenen Erkenntnisse in der Welt, in seinem Handeln umsetzt. Steiner übersetzt in diesem Teil seiner Darstellungen selbst die symbolischen Handlungen in eine Beschreibung geistiger Vorgänge.

  • Der Eid, nichts vom Geheimwissen zu verraten, bezieht sich darauf, dass man lernt, die Geheimlehre im Dienst der Menschheit anzuwenden. Das Schweigegelübde bezieht sich auf die Art, wie geredet und gehandelt wird. Es meint das Schweigen der eigenen Wünsche und Bedürfnisse im Sprechen und Handeln. Das Schweigegelübde bezieht sich auf die Beherrschung des Astralleibs, des Trägers des Egoismus, durch das höhere Ich.
  • Der Vergessenheitstrunk bedeutet die Fähigkeit, zu wirken, ohne durch das niedere Gedächtnis gestört zu werden. Der Eingeweihte muss aus dem Vertrauen in die Gegenwart handeln, den Schleier der Erinnerung zerstören, die ihn hindern will, die Gegenwart unvoreingenommen wahrzunehmen. Die neuen Erfahrungen dürfen nicht aus der Vergangenheit beurteilt, jedes neue Erlebnis muss aus sich selbst verstanden werden. Der Vergessenheitstrunk bezieht sich auf die Beherrschung des Ätherleibs, des Trägers des niederen Gedächtnisses, durch das höhere Ich.
  • Der Gedächtnistrank schließlich bedeutet die Fähigkeit, die höheren Erkenntnisse stets im Geist gegenwärtig zu halten. Das gewöhnliche Gedächtnis wäre dazu untauglich. Man muss mit den höheren Wahrheiten eins werden, sie müssen das ganze Wesen des Eingeweihten durchdringen, so wie die Lebensfunktionen den Organismus. Der Gedächtnistrank bezieht sich auf die Durchdringung des physischen Leibs durch das höhere Ich. [Pausanias berichtet in seiner Schilderung des Orakels des Trophonios über das Trinken des Wassers des Vergessens (»lethes hydor«) und über das Trinken des Wassers der Erinnerung (»hydor mnemosynes«). Pausanias, »Beschreibung Griechenlands«, 9.39.8. Vgl. Giorgio de Santillana, Hertha von Dechend, »Hamlets Mill. An Essay investigating the Origins of Human Knowledge and its Transmission through Myth«, Boston 2007, S. 408].

Fortsetzung

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