Wiederkehr des Perennialismus?

Zuletzt aktualisiert am 23. Mai 2019.

Roland Benedikter hat in der Online-Zeitschrift Integral Review eine Rezension des Buches von John Holman »The Return of the Perennial Philosophy. The Supreme Vision of Western Esotericism« veröffentlicht. Die Zeitschrift wird von der »holistischen« Internet-Organisation Arina in Bethel Ohio, herausgegeben, deren Akronym für »Acting / Researching / Integrating Network Associates« steht.

Holman interpretiert in seinem Buch die westliche Esoterik als historische Grundlage der heutigen spirituellen Bewegungen. Angesichts der Renaissance traditioneller Religionen fordert Holman den Westen dazu auf, sich seiner originären (autochthonen) spirituellen Erfahrungen zu erinnern. Diese spirituellen Erfahrungen und ihre Traditionen, die in der Vergangenheit eine bloße Randexistenz geführt hätten, stellen aus seiner Sicht ein notwendiges Gegengewicht gegen kollektivistische und am Mythos orientierte Religionsformen dar. Empirische Spiritualität, die für Holman im Gegensatz zum bloßen Glauben steht, soll die säkulare Gesellschaft auf die bevorstehende Wiederkehr der philosophia perennis, der »ewigen Wahrheit« vorbereiten. Holman bemüht sich in seinem Buch um einen partizipatorischen, ja identifikatorischen Zugang zur Geschichte der Erfahrungsspiritualität, weil allein ein solcher zu einem angemessenen Verständnis führe. Entsprechend nähert er sich dem Neuplatonismus, der Hermetik, der Alchemie und der Kabbala. Der Theosophie schreibt der Autor eine Schlüsselstellung in der Entwicklung der Erfahrungsspiritualität zu.

Holman ist von der Existenz eines Kerns der westlichen Esoterik überzeugt, der für ihn in einem spezifischen Initiationsprozess besteht. Eine wichtige Rolle spielt im 20. Jahrhundert die spirituelle Psychologie von C.G. Jung, Roberto Assagioli und Ken Wilber, die für ihn eine besondere Erscheinungsform der westlichen Esoterik und zugleich ein notwendiger Schritt in ihrer Entwicklung ist. Er hält diese Psychologie für die Hauptform der modernen westlichen Esoterik und sieht in ihr auch einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der heutigen Bewusstseinskrisen.

Abgesehen davon, dass das Buch von Holman keine Kenntnisse voraussetzt und gut in seinen Gegenstand einführt, gibt es aus Benedikters Sicht aber vor allem Kritikwürdiges.

1. Holman sei auf jüngste Entwicklungen im angelsächsischen Diskurs konzentriert und gehe kaum auf die esoterischen Traditionen Kontinentaleuropas ein. Von der Freimaurerei, die in der Geschichte der Esoterik eine zentrale Rolle spiele, sei kaum die Rede. Die Anthroposophie werde bloß unter die Theosophie subsumiert. Westliche und östliche Formen der Esoterik würden ständig vermischt, ihre Unterschiede verundeutlicht. Ken Wilbers Theorie der subtilen Bewusstseinsformen werde zum Hauptinhalt der westlichen Esoterik erklärt, während sie in Wahrheit eine eklektische Form östlicher Esoterik darstelle. Wilber selbst habe von bedeutenden Strömungen der westlichen Esoterik wie der Freimaurerei, dem Rosenkeuzertum, der Theosophie oder Anthroposophie kaum eine Ahnung.

2. Holmans Zugang zur Esoterik sei nicht »wissenschaftlich«, sondern »identifikatorisch«, was Benedikter als Mangel betrachtet. Holman spreche als privater Experte und Mitglied einer Gemeinschaft, nicht als in den akademischen Diskurs eingebundener Gelehrter, der sich um eine gründliche subjektiv-objektive Forschung bemühe. Allerdings entgeht Benedikter hier die Pointe, dass er selbst aus der Sicht einer Gemeinschaft von privaten Experten spricht, jener der akademischen Gelehrten, die für sich jenen objektiv-subjektiven Zugang zum Gegenstand (welchem auch immer) beanspruchen, den sie Nichtmitgliedern ihrer Tradition absprechen. Dass man nur durch identifikatorische Prozesse und durch rigorose Initiationsverfahren Mitglied dieser Gemeinschaft werden kann, entgeht seinem soziologischen Blick. Holman lasse es an der nötigen Epoché, der Zurückhaltung des Urteils mangeln und verfalle sogar manchmal in einen Stil, der von Propaganda kaum mehr zu unterscheiden sei. Ausserdem polemisiere er gegen die akademische Gelehrsamkeit, was der Akzeptanz der Spiritualität an den Universitäten kaum zuträglich sei. Der Autor, über dessen Studie der in der Tradition Alices Baileys stehende »Esoteric Quarterly« schreibt: »The book is written in a somewhat dense scholarly style, though its relatively short length avoids tedium«, könnte durchaus der Tradition angehören, die er kritisiert. Doch selbst, wenn dies nicht der Fall ist, stellt eine solche Polemik kein generelles Disqualifizierungsmerkmal dar.

3. Hinzu kommt, dass Holman seine Leitideen selbst nicht in Frage stelle. Warum sollte er das tun? Weil er sonst nämlich den Eindruck erweckt, er wolle von seinen Ideen überzeugen, oder er gebe seine Interpretationen von Ideen als die Bedeutung dieser Ideen aus. Diese mangelnde Selbstkritik schlage vor allem dort zu Buche, wo der Verfasser darzulegen versuche, dass die »vier Erleuchtungen« des Perennialismus die Kernideen der westlichen Esoterik seien. Doch diese These ist aus Benedikters Sicht äußerst fragwürdig.

4. Was am am schwersten wiegt: dem Autor sei völlig entgangen, dass weder esoterische noch sonst irgendwelche Strömungen eine wirkliche Identität besäßen. Aus der Sicht der heutigen Ideengeschichte – hier formuliert Benedikter den für ihn bindenden akademischen Gesichtspunkt – müsse betont werden, dass jede Gedankenströmung aus mindestens zwei auf einander bezogenen Strömungen bestehe, die miteinander um die Vorherrschaft föchten. Allerdings würde dieser Gedanke, weiter verfolgt, in die Aporie führen, zwischen Unterströmungen unterscheiden zu müssen, die nach der These des Rezensenten ebenso wenig wie die Hauptströmung über eine Identität verfügen könnten. Diese Konsequenz gilt übrigens auch für den Vorwurf der mangelnden Unterscheidung zwischen westlicher und östlicher Esoterik. Wenn es keine Identität einer wie auch immer gearteten geistigen Strömung gibt, wie soll man hinreichend zwischen westlicher und östlicher Esoterik unterscheiden können?

Aus der Sicht des Rezensenten jedenfalls kann Holman aufgrund dieses Gesetzes nicht beanspruchen, das integrale Denken zu verkörpern, da viele einen solchen Anspruch erheben, die aber völlig Unterschiedliches unter diesem Begriff verstehen. Aber eben diese Identifikation des Autors mit seinen Ideen erschwert wieder, dass seine Interpretation akademisch Ernst genommen wird. Auch hier wieder so ein Widerspruch: man kann akademisch nur Ernst genommen werden, wenn man sich selbst nicht allzu Ernst nimmt. Anders ausgedrückt: es gehört zu den Ritualen der akademischen Gemeinschaft, sich selbst nicht Ernst zu nehmen, diese Gemeinschaft wird aus Teilnehmern gebildet, die sich selbst nicht Ernst nehmen. Wer das nicht Ernst nimmt, wird von ihr nicht Ernst genommen. Schließlich hindert diese Überzeugung von den eigenen Ideen auch noch die unterschiedlichen Vertreter des Perennialismus daran, einen wirkliche philosophia perennis auszubilden, weil sie sich weigern, miteinander über ihre verschiedenen Interpretationen zu diskutieren. Wäre aber eine solche wirkliche philosophia perennis nicht eine Philosophie mit einer eindeutigen Identität?

So bleibt am Ende nicht mehr viel übrig, was das Buch zur Diskussion über jene »ewige Philosophie« beitragen könnte. Seine Angst vor der Unterscheidung mache es unmöglich, dass sich das Unterschiedene – das es laut Benedikters Dialektik-These aber gar nicht wirklich gibt –, zu einer Einheit zusammenführen ließe.

Leider gelinge es Holman nicht, deutlich zu machen, wie es möglich sei, Rationalität und Spiritualität miteinander zu versöhnen. Benedikter erwartet die tragfähigen Umrisse einer solchen Versöhnung von künftigen, wissenschaftlich fundierteren Untersuchungen. Am Ende ist das Buch Holmans nicht mehr als eine – wenigstens gute – Selbstinterpretation eines Angehörigen einer bestimmten esoterischen Strömung der Gegenwart.

Was will man mehr, möchte man ausrufen, als dass die Angehörigen jener Traditionen, für die man sich interessiert, sich selbst gut auslegen und verständlich machen, was sie wollen! Und wenn sie das auch noch so tun, dass man ihnen glaubt, dass sie von ihrer Sache überzeugt sind! Jedenfalls weitaus interessanter als »subjektiv-objektive« Publikationen von Mitgliedern einer esoterischen Gemeinschaft, in der sich alle selbst nicht Ernst nehmen, über Gegenstände, die sie ebenfalls nicht Ernst nehmen, während sie von ihren Publikationen erwarten, dass man sie Ernst nimmt!

Mehr zur Esoterikforschung

John Holman, »The Return of the Perennial Philosophy. The Supreme Vision of Western Esotericism«

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