Macht Geld allein nicht glücklich?

Zuletzt aktualisiert am 24. August 2011.

Geld allein macht nicht glücklich

Zwei medizinische Studien legen nahe, dass wir immer depressiver werden und dass Geld allein nicht glücklich macht. Weltweit leiden nach einem Bericht amerikanischer Mediziner 121 Millionen Menschen unter Depressionen, besonders in Ländern mit hohem Durchschnittseinkommen. Laut einer Veröffentlichung der Barmer GEK hat sich die Zahl der depressiv Erkrankten in den letzten zwanzig Jahren in Deutschland mehr als verdoppelt.

Für die internationale Großstudie wurden 89.000 Menschen aus 18 Ländern befragt. Die Länder wurden drei Einkommensgruppen zugeteilt: hohem, mittlerem und niedrigem Einkommen. Deutschland, Belgien, Frankreich, Israel, Italien, Japan, die Niederlande, Neuseeland, Spanien und die USA gehören zur ersten Gruppe, zur zweiten und dritten Brasilien, Indien, China, Mexiko, Südafrika sowie die Ukraine. In den reichen Ländern litten 15 Prozent der Befragten schon einmal in ihrem Leben an Depressionen, in den beiden anderen Ländergruppen 11 Prozent.

Auch depressive Episoden (Verlust des Selbstbewusstseins, Schlaf- und Appetitlosigkeit, schlechte Konzentrationsfähigkeit, Gefühl der Traurigkeit) kamen in den reichen Ländern häufiger vor: bei 28 Prozent der Befragten – in den ärmeren Ländern nur bei 20 Prozent. Am depressivsten unter den reichen Ländern waren mit mehr als 30 Prozent Frankreich, die Niederlande und die USA. China dagegen scheint mit lediglich 12 Prozent zu den glücklicheren Ländern zu gehören. Frauen sind offenbar weltweit doppelt so empfänglich für depressive Störungen wie Männer. Als einer der Hauptauslöser für Depressionen wird der Verlust eines Partners durch Trennung, Scheidung oder Tod bezeichnet.

Eine Frage, die natürlich interessiert ist: wenn in Ländern mit höherem Durchschnitteinkommen mehr Depressionen vorkommen, sind es dann die Reichen oder die Armen in diesen Ländern, die vermehrt an Depressionen leiden? Für beides gibt es intuitive Argumente: die Reicheren haben Angst, ihren Reichtum oder sozialen Status zu verlieren und werden deswegen depressiv, die Ärmeren werden depressiv, weil sie den Status der Reichen nicht besitzen. Nun, in reichen Ländern wie Frankreich, Deutschland, Neuseeland und den USA waren die ärmsten Befragten zweimal häufiger depressiv als die Angehörigen der höchsten Einkommensgruppe. In den Ländern mit niedrigerem Durchschittseinkommen gab es keine signifikante Relation zwischen Einkommen und Depression. Das heisst, je geringer die Einkommensunterschiede, um so weniger Depression. Die Autoren der Studie bemerken, es scheine dem gesunden Menschenverstand zu widersprechen, dass die Bevölkerung in Ländern mit hohem Durchschnittseinkommen mehr Streß ausgesetzt sei, als in den anderen Ländern. Aber es gebe Argumente dafür, dass es sich bei der Depression um eine Wohlstandskrankheit handle. Die Ungleichheit der Einkommen, die in Ländern mit hohem Einkommen meist größer sei, bringe eine Vielzahl chronischer Krankheiten mit sich, zu denen auch die Depression gehöre. Obwohl es die Ärmeren der Reichen sind, die stärker von depressiven Verstimmungen heimgesucht werden, sind es doch, verglichen mit den noch Ärmeren, offenbar generell die Reicheren, die depressiv werden. Vermutlich bleiben allein die extrem Reichen von dieser Krankheit stärker verschont, auch wenn die Boulevardpresse meist einen anderen Eindruck erweckt.

Eine Frage, der die Autoren der referierten Studie nicht weiter nachgehen, ist die nach den Ursachen von Depressionen. Die Feststellung, dass eine signifikante Korrelation zwischen Einkommenshöhe und Depression besteht, sagt nichts über die Gründe für diese Korrelation aus. Liegt es allein an der Tatsache, dass das Einkommen höher ist? Oder liegt es, wie oben erwähnt, an den Einkommensdifferenzen? Betrachten sich die Ärmeren in den reichen Ländern als Verlierer und werden deswegen depressiv? Oder liegt es an den Bedingungen, unter denen das höhere Einkommen erworben wird? Je entwickelter eine Gesellschaft, um so höher der Stress, um so größer (potentiell) das Einkommen, um so höher aber auch die Wahrscheinlichkeit, depressiv zu werden? Wäre demnach der »struggle for life« oder »for income« der Grund für die Vermehrung seelischer Erkrankungen? Und wäre umgekehrt ein geringerer Grad an Entwicklung – das heisst – an sozialer Kälte, an Rationalisierung, an Profitmaximierung – ein Grund für die geringere Gefahr depressiv zu werden? Betrachtet man die Frage philosophisch und nicht statistisch, scheint das Erlebnis von Sinnlosigkeit – das ja auch bei Trennungen von Lebenspartnern in der Regel auftritt – zuzunehmen, je »entwickelter« eine Gesellschaft ist. Demnach wäre der Preis des Wohlstands die Abnahme an Kohärenz, an sozialen Bindungen, an Sinnerfüllung des Lebens. Das scheint logisch. Klar ist: Wer seinen Partner verliert, für den wird der bisherige Teil seines Lebens, den er mit ihm zusammen verbracht hat, auf einmal sinnlos – gleichgültig, ob der Partner gestorben ist oder sich von ihm entfremdet hat und ihn deswegen verlässt. Die Verlassenen bleiben sinnberaubt zurück, während die Verlassenden oft in der Euphorie einer neuen Partnerschaft aufgehen. Andererseits: Wer in einer Gesellschaft, in der alle weniger haben, auch wenig hat, wird dadurch nicht depressiv, weil ihm das normal erscheint und die Anreize für Neid geringer sind. Ausserdem verbringen die Menschen in solchen Gesellschaften in der Regel mehr Zeit mit der Pflege ihrer sozialen Kontakte. Wer jedoch in einer Gesellschaft, in der viele mehr haben, wenig hat, wird sich als Verlierer vorkommen und dann womöglich depressiv.

Zunahme von Depressionen in Deutschland

Die Barmer weist in ihrer Veröffentlichung, die sich nur auf Deutschland bezieht, darauf hin, dass die Aufenthaltsdauer in Kliniken aufgrund psychischer Störungen zwar abgenommen hat (von 45 Tagen im Jahr 1990 zu 31 Tagen im Jahr 2010), dafür ist die Zahl der Erkrankten aber absolut gestiegen. 1990 waren rund 4 von 1.000 Versicherten von depressiven Störungen betroffen, 2010 rund 9. Hochgerechnet litten im Jahr 1990 4.000 von einer Million Menschen an einer depressiven Krankheit, die vom medizinischen Apparat erfaßt wurde, 2010 waren es 9.000 von einer Million. Außerdem erleiden mehr als zwei Drittel aller als geheilt Entlassenen innerhalb von zwei Jahren einen Rückfall. Die kürzere Behandlung scheint jedoch auf die Rückfallquote keinen Einfluss zu haben, denn sie veränderte sich nur marginal.

Innerhalb von 20 Jahren hat sich hier die Zahl der Menschen, die aufgrund psychischer Störungen hospitalisiert wurden verdoppelt. Nicht nur dies ist erschreckend – auch wenn die Zahl, absolut betrachtet, relativ gering ist – sondern auch die hohe Rückfallquote. Was soll man von einer Medizin halten, die zwei Drittel ihrer Patienten als geheilt betrachtet, obwohl sie in Wahrheit weiter krank sind? Entweder die Krankheit, an der die betreffenden Menschen leiden, ist gar nicht heilbar – dann stellt dies das Heilungsversprechen in Frage – oder die Mediziner erkennen nicht, dass ihre Patienten gar nicht wirklich geheilt sind, dann stellt dies die Mediziner samt ihren diagnostischen und therapeutischen Methoden in Frage.

Die Barmer wirft anläßlich ihrer Befunde tatsächlich die Frage auf, ob das Krankenhaus der richtige Ort für Depressive sei. Vieles spreche für eine ambulante oder teilstationäre Behandlung in der Nähe des Wohnorts der Betroffenen.

Die Weltgesundheitsorganisation hat vor kurzem beruflichen Streß, der häufig zu Burn-Out und Depressionen führe, zu einer der größten gesundheitlichen Gefahren des 21. Jahrhunderts erklärt. In zwanzig Jahren könnten Depressionen die verbreitetste Volkskrankheit sein.

Die amerikanische Studie im Internet (PDF)

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