Moderne Esoterik und neue Paradigmen

Zuletzt aktualisiert am 10. März 2020.

Rudolf Steiner (1861-1925)

Rudolf Steiner (1861-1925)

Erben der Theosophie.

Die Theosophie hat laut Nicholas Goodrick-Clarke bei der Verbreitung der westlichen esoterischen Traditionen in der Moderne eine Hauptrolle gespielt. Meister, spirituelle Hierarchien, nachtodliche Zustände und die Vorstellung einer geistigen Entwicklung sind heute geradezu Gemeinplätze, besonders in den sogenannten neuen religiösen Bewegungen. Die Theosophische Gesellschaft war ein zähes Gewächs, aus dessen Stamm in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine ganze Reihe einflussreicher esoterischer Bewegungen hervorgingen. Nach dem Tod Henry Steel Olcotts im Jahr 1907 führten Annie Besant (1847-1933) und Charles Webster Leadbeater (1854-1934) die Theosophische Gesellschaft Adyar weiter und entwickelten bis in die 1930er Jahre die Theosophie der »zweiten Generation« oder »Neotheosophie«. Diese betonte den Erwerb und die Anwendung psychischer okkulter Fähigkeiten, insbesondere der Hellsicht, die der Erforschung des Astralplans und vergangener Leben diente. Die Theosophische Gesellschaft nährte auch eine besondere Naherwartung, die auf Leadbeater zurückging, der 1909 verkündete, ein indischer Knabe, Jiddu Krishnamurti (1896-1986), werde als Vehikel des Weltlehrers, des Christus oder Herrn Maitreya (des Buddha der sechsten Wurzelrasse) dienen und damit die Aussagen Blavatskys über die spirituelle Hierarchie erfüllen. Leadbeater war der führende Vertreter dieser messianischen Vorstellungen. Er war durch die 1917 erfolgte Begründung der ritualistischen Liberal-Katholischen Kirche auch verantwortlich für die Integration des Katholizismus und seiner Sakramente in die Theosophische Gesellschaft. Auch wenn Krishnamurti 1919 seine Mission wiederrief, was zu einem vorübergehenden Einbruch in der Erfolgsgeschichte der Theosophischen Gesellschaft führte, blieb er ein anerkannter spiritueller Führer, dessen Schriften bis heute viele Leser finden.

1902 wurde der als Goetheforscher und Nietzscheinterpret bekannte Rudolf Steiner Generalsekretär der Theosophischen Gesellschaft in Deutschland. In den folgenden Jahren traten aber zunehmend Differenzen zwischen der von ihm vertretenen und der östlich orientierten Theosophie hervor. Während er viele Aspekte der komplexen Kosmologie und der geistigen Konstitution des Menschen beibehielt bzw. weiter entwickelte, ließ er die tibetischen Meister fallen, stellte Christus als Heilsgestalt in den Mittelpunkt und betonte gegenüber den östlichen Einflüssen die westlichen Traditionen der Rosenkreuzer-Esoterik. 1912 kam es zum Bruch und die deutsche Sektion ging nahezu vollständig in der neu gegründeten Anthroposophischen Gesellschaft auf. Steiner verfasste nicht nur rund dreißig Bücher, sondern hielt auch nahezu 6.000 Vorträge über eine Vielzahl esoterischer Gegenstände. Vor allem aber wurde er durch die Begründung der Waldorfpädagogik, der biodynamischen Landwirtschaft, der Heilpädagogik, einer esoterischen Form der Medizin und Pharmazeutik sowie der Eurythmie zu einem Pionier der praktischen Anwendung der Esoterik im modernen Lebensalltag. Die Anthroposophische Gesellschaft, die nach einer Krise 1923 neu gegründet wurde und ihren Sitz im Goetheanum in Dornach in der Schweiz errichtete, koordiniert die verschiedenen Landesgesellschaften, die für die Verbreitung der esoterischen Lehren, Publikationen und Praktiken Steiners sorgen.

Die Arkanschule von Alice A. Bailey (1880-1949) wurzelte ebenfalls in der Theosophie und vertrat deren Auffassungen über die alte Weisheit, die Meister und die Evolution des Menschen und des Kosmos. Bailey begegnete soll 1919 ihrem Meister Djwal Khul (der als »der Tibeter« bezeichnet wird) begegnet sein, dessen Lehren, die sie durch Channelling empfing, von ihr in rund 24 Büchern zwischen 1922 und Ende der 1940er Jahre veröffentlicht wurden. Djwal Khul offenbarte einen göttlichen Plan der spirituellen Entwicklung des Universums, die durch eine Aufeinanderfolge von Rassen und Zivilisationen erfolgen sollte. Eine Hierarchie geistiger Lehrer, die von Christus geführt wird, ist für die Umsetzung dieses Plans verantwortlich und hat die Menschheit durch die aufeinanderfolgenden Zeitalter geführt. Nach Bailey war Christus der Meister aller Meister und die Meister der Weisheit (Mahatmas) seine Schüler. Auch in ihren Auffassungen von Reinkarnation und Karma schloss sich Bailey Blavatsky und den übrigen Theosophen an.

Obwohl Baileys Lehre, insofern sie theistisch ist und von einem kosmischen Christus spricht, an die christliche Theosophie erinnert, übernimmt sie auch viele Vorstellungen Blavatskys, insbesondere jene von den sieben Strahlen. Blavatsky setzte diese zu den sieben hierarchischen Stufen der Engel oder Dhyani-Chohan in Beziehung, die mit unterschiedlichen Farben und Tönen assoziiert sind und zusammen den offenbaren Logos bilden. Jede einzelne Stufe der Hierarchienwelt besitzt ihre eigene Farbe, die sieben Farben des Sonnenspektrums korrespondieren ebenfalls mit den sieben Strahlen. Jede der einzelnen Hierarchiestufen wirkt gestaltend in einem der sieben Königreiche der Natur und der Aura in einem der sieben Prinzipien des Menschen. Die Strahlen spielen als Träger von Korrespondenzen in Baileys esoterischer Psychologie eine große Rolle und wurden zu einem zentralen Motiv des New Age. Baileys Vorstellung der geistigen Hierarchien, die sich aus Blavatskys Idee der »Hierarchie des Mitleids« entwickelte, beeinflusste in den 1920er Jahren Leadbeater und später die Auffassungen des New Age von der »großen weißen Bruderschaft«.

Der Einfluss der Theosophie geht weit über ihre organisierten Mitglieder und Publikationen hinaus. Der Biograph von Leadbeater meinte, dieser habe auf die Religionen des New Age einen bestimmenden Einfluss gehabt: »Solche Begriffe wie Meister, Reinkarnation, Karma, Akashachronik, Atlantis, Lemurien, Schamballa, Astralplan, Monade, Schwingung und psychische Fähigkeit, die in der modernen okkulten Literatur ständig vorkommen, wurden von Leadbeater maßgeblich geprägt.« (Gregory Tillett, The Elder Brother, 1982) Besant und Leadbeater verfassten 1902 gemeinsam ein einflussreiches Buch mit dem Titel »Thought-Forms« (»Gedankenformen«), einen Bericht über die hellsichtige Untersuchung von Farben und Lichtern, die von bestimmten Gedanken erzeugt werden. Jede Gedankenregung, sei es Anziehung, Demut, Ärger, Sympathie, Angst oder Gier, erzeugt eine Schwingung, welche die Farbe der verschiedenen subtilen Leiber des betreffenden Menschen verändert. Die Gedanken erzeugen auch ihre je eigenen fließenden Formen, eine Art von geometrischem Muster. Die Untersuchungen erstreckten sich auch auf die Gedankenformen von Musik. Das Buch enthält Tafeln mit opulent kolorierten Tafeln, auf denen die Gedankenformen abgebildet sind, die von den Kompositionen Mendelssohns, Gounods oder Wagners erzeugt werden.

Leadbeaters Bücher über die Farben und Formen der Gedanken, die subtilen Leiber und Auren beeinflussten die frühe abstrakte Malerei Wassily Kandinskys und Piet Mondrians. Kandinsky erwarb 1908 eine Ausgabe der »Gedankenformen« und schloss sich 1909 der Theosophischen Gesellschaft an. Sein Werk »Über das Geistige in der Kunst« war für die Entwicklung der modernen Malerei von zentraler Bedeutung. Seine »Improvisationen«, eine Serie von Gemälden, die um 1916 entstanden sind, sollen direkt von den Illustrationen in Leadbeaters Buch über die Gedankenformen beeinflusst worden sein. In seinem Buch widmet Kandinsky einige Absätze der Theosophie und zitiert Blavatskys »Schlüssel zur Theosophie«. Auch Piet Mondrian schloss sich 1909 der Theosophischen Gesellschaft an. Er experimentierte mit farbigen geometrischen Formen, in denen er die Ordnung des Universums abzubilden versuchte und besaß ein Porträt Blavatskys, das in seinem Studio hing. Andere Maler der Moderne, darunter Paul Klee, Paul Gauguin und Nicholas Roerich, wurden ebenfalls von der Theosophie beeinflusst.

Der Vierte Weg

P.D. Ouspensky

Pjotr Demianowitsch Ouspensky (1878-1947)

Die Bewegung des »vierten Weges«, die mit dem kaukasischen Thaumaturgen George Iwanowitsch Gurdjieff (1866-1949) und Pjotr Demianowitsch Ouspensky (1878-1947) verbunden ist, stellt ein weiteres Beispiel einer esoterischen Schule dar, die eine komplexe Kosmologie und Vorstellungen spiritueller Entwicklung mit künstlerischen Ausdrucksformen verband. 1907 entdeckte der russische Universalgelehrte Ouspensky die Theosophie und begann mit einem intensiven Studium okkulter Literatur. Sein erstes philosophisches Werk, das »Tertium Organum«, war zutiefst esoterisch und befasste sich mit höheren Bewusstseinszuständen als Erkenntnisquellen. Ouspenksy, der vom Joga und der östlichen Weisheit stark angezogen war, reiste nach Indien und besuchte 1913 die Theosophen in Adyar. Nach seiner Rückkehr traf er Gurdjieff, der bei den Meistern Zentralasiens nach esoterischer Weisheit gesucht hatte und in Sankt Petersburg wirkte. Ouspensky glaubte, Gurdjieff habe ein neues System des Denkens, eine allumfassende Form der Erkenntnis entdeckt. Gurdjieff begann eine neue Form des Balletts, eine »heilige Gymnastik« zu entwickeln. Seine Versuche zogen die Aufmerksamkeit des russischen Komponisten Thomas von Hartmann, des Bühnenbildners Alexander von Salzmann und der Choreografin Jeanne von Salzmann auf sich. Die Gruppe Gurdjieffs pilgerte durch das revolutionäre Russland, nach Konstantinopel und Deutschland, um sich schließlich in Frankreich niederzulassen, wo Gurdjieff 1922 in Fontainebleau eine Schule eröffnete.

In »Beelzebubs Erzählungen für seinen Neffen« stellte Gurdjieff seine Ideen in Form einer mythopoetischen Kosmogonie dar, die von einer Hierarchie unterschiedlicher Ebenen innerhalb eines lebendigen Universums sprach und die Geschichte der Menschheit in zwei Strömungen unterteilte: eine bewusste initiatische und eine unbewusste profane. Gurdjieff war der Auffassung, der Mensch werde von »Identifikationen« mit Dingen der äußeren Welt und Kräften seiner niederen Natur beherrscht und handle gewöhnlich ohne Freiheit, rein mechanisch. Die Aufgabe der Erleuchtung bestehe darin, das eigentliche Wesen des Menschen zu »erwecken« und ihn zu wirklicher Selbsterkenntnis zu führen. Gurdjieff sah den Menschen in einem Spannungsfeld von Biologie, Metaphysik und Kosmologie. Sein »Strahl der Schöpfung«, der an die theosophische Terminologie erinnert, setzte Herz und Geist zu einer ausgedehnten Hierarchie von Planeten und Sternen, bis hinauf zum Absoluten, der Quelle alles Seins, in Beziehung. Die gesamte kosmische Ordnung ist abgestuft und die einzelnen Stufen stehen zu den Tonleitern der Musik in Beziehung. Nur wenn man sein eigentliches Wesen und seine verborgene Bestimmung entdeckt, kann man aus der universellen Energie schöpfen, die durch die Hierarchien herabfließt und beginnen, eine aktive, bewusste Rolle zu spielen. Die Menschen sind zwar biologische Gattungswesen, aber die spirituelle Entwicklung kann jeder selbst in die Hand nehmen und sich aus seinen Abhängigkeiten befreien.

G.I. Gurdjieff

George Iwanowitsch Gurdjieff (1866-1949)

Auch wenn Gurdjieffs System traditionelle Ideen der westlichen Esoterik durchspielt, weist es auch Neuerungen auf, etwa die semitonalen Intervalle auf der diatonischen Skala, die an die musikalischen Korrespondenzen Robert Fludds erinnern, aber von diesen abweichen. Gurdjieffs »Gesetze der Drei und Sieben« liegen seinem Schlüsselsymbol, dem »Enneagramm« und dem Diagramm der Ernährung zugrunde, das Nahrungsmittel, Luft und Teile des Mikrokosmos zu einander in Beziehung bringt. Gurdjieffs Kosmologie ist reich an Korrespondenzen und unterstreicht die Bedeutung der Umwandlung der Seele durch »bewusste Bewegungen« und andere Techniken, welche die gewohnheitsmäßigen Identifikationen aufbrechen sollen. Ouspensky versuchte die Lehren Gurdjieffs in einem metaphysisch kohärenten System zusammenzufassen, das er unter dem Titel »Auf der Suche nach dem Wunderbaren« (1950) veröffentlichte. Englische Interpreten bildeten später die Gedanken Gurdjieffs und Ouspenskys in ihren eigenen Gruppen, Instituten und Schriften fort. John Godolphin Bennett (1897-1974), ein Wissenschaftler, Techniker und Philosoph traf Gurdjieff erstmals 1921 und arbeitete später mit Ouspensky zusammen, mit dem er 1946 in Coombe Springs, Kingston-on-Thames, Surrey ein Institut gründete. Bennett nahm in den späten 1940er Jahren Kontakt mit Gurdjieff auf und gewann die Überzeugung, dessen System lasse sich mit der modernen Wissenschaft verbinden. Er veröffentlichte zahlreiche Schriften, darunter das vierbändige »Dramatic Universe« (1956-1966) und »The Masters of Wisdom« (1977). Ende 1953 reiste er durch den Nahen Osten, in der Hoffnung, Gurdjieffs ursprüngliche Quellen unter den Sufimeistern zu finden. Seine Erzählung über diese Reise veröffentlichte er unter dem Titel »Journeys in Islamic Countries« (1976-1977). Rodney Collin (1909-1956) arbeitete ebenfalls mit Ouspensky zusammen und verfasste zahlreiche Bücher. Seine »Theorie des himmlischen Einflusses« (»Theory of Celestial Influence«, 1954) stellt ein monumentales Epos über die Menschheit, die Zivilisation und das Universum dar, dem die kosmologischen Ideen der Drei und Sieben und das Enneagramm zugrunde liegen. Maurice Nicoll (1884-1953) schließlich, ein Psychiater und Jungscher Analytiker, studierte 1922 bei Gurdjieff und gründete später Gruppen in England. Sein beeindruckendes fünfbändiges Werk »Psychological Commentaries on the Teaching of G.I. Gurdjieff and P.D. Ouspensky (1952-1954) stellt einen Versuch dar, deren esoterische Philosophie mit der modernen Psychologie in Einklang zu bringen.

Die Verwissenschaftlichung der Esoterik

Seit der Renaissance hat die Esoterik einen Diskurs betrieben, der deduktive, neuplatonische und hermetische Formen der Gnosis und empirische Untersuchungen der Naturordnung, die auf Beobachtung fußten, miteinander verband. Robert Fludds meisterhafte Panoramen des Makro- und Mikrokosmos versuchten, das gesamte zeitgenössische Wissen in einem hierarchisch geordneten Ganzen zusammenzufassen, dessen Struktur auf die Hermetik, die paracelsische Naturphilosophie und die Kabbalah zurückging. Aber im späten 19. Jahrhundert begann die schiere Vermehrung des Wissens über kausale Zusammenhänge in der physischen Welt die traditionelle hierarchische Weltsicht einzuebnen. An deren Stelle trat eine positivistische, operationalistische Deutung der Natur. Die einseitige Bevorzugung des Experimentes, des Zweifels und der Kausalität hat zu einer zerstückelten Sicht des Kosmos geführt, die sich umfassenden Ordnungen und vertikalen Hierarchien verschließt. Die endlose Ansammlung von Fakten, Formeln und physischen Gesetzen erzeugt eine Welt unzusammenhängenden Wissens. Dieses verstandesmäßige, operationale Wissen stützt sich allein auf die Wahrnehmungen der Sinne und kann daher nicht den Status einer absoluten Erkenntnis beanspruchen. Wie Kocku von Stuckrad betont hat, ist eines der Kennzeichen der Esoterik ebendieser Anspruch auf absolute Erkenntnis.

Mit ihrem Anspruch auf ebendiese Erkenntnis haben die esoterischen Bewegungen des beginnenden 20. Jahrhunderts die kosmologischen Elemente der westlichen Traditionen bewahrt. Ihre Auffassung des Universums und des Menschen fußt intrinsisch auf analogischen und symbolischen Korrespondenzen zwischen Mikro- und Makrokosmos, bei denen geistige Mittlerwesen eine zentrale Rolle spielen. Gleichzeitig schöpften sie die Metaphern und Paradigmen, die sie benutzten, um ihre Kosmologien zu beschreiben, in größerem oder geringerem Umfang aus wissenschaftlichen Vorstellungen, genauer gesagt, aus jenen Ideen, die in der Wissenschaft gebräuchlich waren. Blavatskys Vorstellungen über Evolution und ihr ganzes System von Globen, Runden, Wurzelrassen, kosmischen Ebenen und Strahlen wurden von Leadbeater und Alice Bailey weiter ausgebaut und in ausgefeilten Diagrammen dargestellt, welche die esoterische Kosmologie grafisch aufbereiteten. Eine Reihe von Werken über »technische Theosophie«, die Arthur Edward Powell in den 1920er Jahren veröffentlichte, enthält hochkomplexe Illustrationen der Beziehungen zwischen Kraftzentren, Chakren, Lebenskernen und Teilchen, um die makrokosmischen Einflüsse in der esoterischen Physiologie zu erklären. In den 1980er Jahren erweiterte der japanische Wissenschaftler Hiroshi Motoyama Leadbeaters Spekulationen durch elektrophysiologische Untersuchungen über subtile Netzwerk der Chakren und Nadis, die als Energieleiter in den subtilen Leibern des Menschen dienen. Diese Systeme sind die modernen verwissenschaftlichten Entsprechungen zu den Radierungen Robert Fludds aus dem 17. Jahrhundert, welche die kosmischen Hierarchien und die spirituellen Bestandteile des Körpers und Gehirns darstellten.

Aber der wissenschaftliche Aspekt der modernen Esoterik ist nicht nur eine Frage der Terminologie. Vielmehr geht es ihr darum, ein Problem zu lösen, das sich aus der modernen Wissenschaftsentwicklung ergeben hat: sie versucht, die Kluft zwischen der Welt des Geistes und der Welt des Stoffs zu überbrücken. Im Unterschied zum cartesischen Dualismus deutet das moderne esoterische Denken die stoffliche Welt als Erscheinungsform einer spirituellen Welt und spiritueller Kräfte, die an der Schöpfung des Seins beteiligt sind. Moderne Esoteriken haben daher traditionelle Metaphern wie das neuplatonische »Pneuma«, das alchymische »Feuer« und das »Fluidum« der Mesmeristen in »ätherische Kräfte«, »Energien« und »Schwingungen« umgetauft. Das ganze 20. Jahrhundert hindurch hat eine breite Front praktischer Esoterik zu einer großen Zahl alternativer Therapien und Technologien beigetragen, welche die Bedeutung des Willens, der Intentionalität und subtiler Energien betonen. Die Untersuchung subtiler Energien in Wissenschaft und Medizin durch esoterische Bewegungen steht in direkter Beziehung zu ihren Vorstellungen über kosmische Korrespondenzen und Mittlerwesen.

Diese Form des wissenschaftlichen Denkens gab es bereits zwischen 1795 und 1830 in der romantischen Naturphilosophie, der die Natur als zusammenhängendes, analogisches, sich selbst offenbarendes Ganzes erschien. Durch Steiners Beschäftigung mit den wissenschaftlichen Schriften Goethes (1749-1832) zu Farben und Formen in der Botanik, gibt es eine direkte Verbindung von den organisch-vitalistischen Ideen des letzteren zu der Form der Wissenschaft, die innerhalb der an Steiner anschließenden Bewegung heutzutage praktiziert wird. Steiner erläuterte die anthroposophische Sicht der Wissenschaft unter anderem in drei Vortragsreihen über Licht, Wärme und Astronomie, die er zwischen 1919 und 1921 für Waldorflehrer hielt. Seine Lehre von den vier Ätherarten ist ein intrinsischer Bestandteil einer komplexen Kosmologie planetarischer Entwicklungsreihen und ihrer Beziehung zu geistigen Hierarchien. Steiner regte zwei Labortechniken an, die imstande sein sollten, die Wirksamkeit ätherischer Kräfte in der Natur zu zeigen: die kapillare Dynamolyse (Steigbildmethode) und die sensitive Kristallisation.

Ehrenfried Pfeiffer (1899-1961), eine führende Gestalt in der biodynamischen Bewegung, betrieb Untersuchungen ätherischer Kräfte mit Hilfe der Chromatographie und der Kristallographie. Er nahm erstmals 1920 an Steiners Vorträgen teil und war von der Idee fasziniert, ätherische Bildekräfte manifestierten sich in der Natur. In seinem Laboratorium in Dornach entwickelte Pfeiffer eine Technik, Kupferchlorid – ähnlich wie Wasser in Eis – zu kristallisieren. In den Formen bilden sich die Substanzen ab, die dem Kupferchlorid hinzugefügt wurden. Die Methode wird verwendet, um die feinen Unterschiede in der Qualität von Nahrungsmitteln und Kompost zu untersuchen. Pfeiffer stellte auch Kristallisationen von Blut her, um medizinische Diagnosen zu erstellen.

Lily Kolisko

Lili Kolisko (1889-1976)

Lili Kolisko (1889-1976) entwickelte die Technik des Steigbildes, um die Wirksamkeit ätherischer Kräfte in Substanzen nachzuweisen. Diese Technik verwendet Filterpapier, das Lösungen aufnimmt und bezieht metallische Salze mit ein, die zu den Planeten in Beziehung stehen. In der Form der Steigbilder spiegelt sich der Nährwert von Nahrungsmitteln und die Kraft homöopathischer Arzneien. Später führte sie auch Experimente durch, die astronomische Ereignisse zu Mustern in Beziehung setzten, die in den entsprechenden Metallsalzen beobachtbar waren. Diese Arbeit wurde fortgesetzt und bestätigt durch Untersuchungen, die Agnes Fyfe (1898-1986), Wilhelm Pelikan und Nick Kollerstrom durchführten, um die nichtlokalen, akausalen Korrespondenzen zwischen Planeten und den ihnen entsprechenden Metallen nachzuweisen. Der Ingenieur und Anthroposoph Theodor Schwenk (1910-1986) war von der Idee inspiriert, dass auf der vierten Stufe der planetarischen Evolution die Kräfte des Lebensäthers zu kondensieren beginnen, um Formen zu erzeugen, die in den Bewegungen flüssiger und gasförmiger Substanzen beobachtbar sind. Schwenk war ein Pionier der Strömungsforschung und setzte die ätherischen Rhythmen zu den körperlichen Formen in der mineralischen, pflanzlichen und tierischen Welt in Beziehung.

Auch die Adyar-Theosophie hat ihre eigenen wissenschaftlichen Unternehmungen betrieben. In den 1890er Jahren führten Besant und Leadbeater hellsichtige Untersuchungen zu den atomaren Formen von Substanzen durch und veröffentlichten ihre Ergebnisse in einem Buch mit dem Titel »Occult Chemistry« (1908). Eine beträchtliche Zahl bedeutender Wissenschaftler gehörte zwischen 1930 und 1960 der Theosophischen Gesellschaft an. Seither hat H.J. Arnikar, ein Radiochemiker, die okkulte Chemie wieder aufgegriffen und Stephen M. Phillips, ein theoretischer Physiker in Cambridge, wissenschaftliche Arbeiten über okkulte Fernsicht und die hellsichtige Untersuchung von Partikeln veröffentlicht, welche die Stringtheorie bestätigen sollen. Weitere, insbesondere indische Wissenschaftler, wären hier zu nennen, wie etwa M. Srinivasan, ein früherer Leiter des Atomforschungszentrums in Bombay, I.K. Taimni, dessen Arbeit die traditionelle Synthese spiritueller Philosophie und moderner Wissenschaft fortsetzt und Edi Bilimoria, der eine neue Bewegung ausgebildeter Wissenschaftler repräsentiert, die konventionelle Wissenschaft mit Theosophie verbinden.

Feldtheorie und Wissenschaft im New Age

Die geschilderte Verwissenschaftlichung bezieht sich auf die empirischen Forschungen der traditionellen Esoterik an der Natur und betrifft deren Wahrnehmung, die Art wie sie imaginiert wird und ihren Bezug zum Menschen, soweit es um Korrespondenzen, die Lebendigkeit, geistige Hierarchien und die Umwandlung der Seele geht. Aber in der modernen Wissenschaft gibt es auch andere Entwicklungen, durch die sich nicht nur ihre Diskurse als Kolonisationsgebiet für die Esoterik anbieten, sondern auch diese Wissenschaft selbst. Es handelt sich dabei um ein Beispiel für die von Stuckrad vorgetragene diskursanalytische Behauptung, wissenschaftliche Hypothesen und Metaphern importierten esoterische Formen des Denkens und Vorstellens.

Seit ihrer Entdeckung durch Paracelsus und Athanasius Kircher haben magnetische und später elektrische Felder der wissenschaftlichen Spekulation über Kräfte, die alle Teile des Kosmos verbinden, ein breites Feld eröffnet. Auf die paracelsischen, belebenden Einflüsse der Gestirne folgte das Fluidum Mesmers und das Astrallicht des 19. Jahrhunderts. Der Versuch, subtile Einflüsse zu verstehen, hat wiederholt zu Experimenten geführt, die solche Einflüsse nachweisen sollten. Karl von Reichenbach (1788-1869) ein für seine Analyse von Kreosot, Paraffin und Phenol bekannter deutscher Chemiker, postulierte die Existenz einer Kraft, die er als »Od« bezeichnete, die mit Elektrizität, Magnetismus und Wärme verbunden sei, sich aber von diesen unterscheide. Die meisten Substanzen sollten dieses Od ausstrahlen, das von sensitiven Menschen wahrgenommen werden könne. Reichenbach zeigte, dass diese Lebenskraft mit den Wahrnehmungen der Wünschelrutengänger, dem Mesmerismus und anderen vergleichbaren Erscheinungen zusammenhing. Durch Experimente erkannte er eine Polarität zwischen der rechten und linken Körperhälfte des Menschen und stellte fest, dass Sensitive die menschliche Aura wahrnehmen. Einige Jahre später entwickelte Edwin Babbitt (1829-1905) in den USA aufgrund seiner eigenen hellseherischen Beobachtung der psychomagnetischen Kraftlinien, die den menschlichen Körper umgeben, eine Form von Farbtherapie. Leadbeaters Auren wurden von Walter J. Kilner als »magnetische Ausstrahlungen« bestätigt (»The Human Atmosphere«, 1911) und Oscar Bagnall tat desgleichen mit seinem Werk »The Origin and Properties of the Human Aura« (1937). 1939 entdeckte Semyon Kirlian eine Form von Fotografie, die eine elektrische Korona um Gegenstände herum sichtbar machte. Er sah darin einen Beweis für die Existent der Aura und manche behaupten, die Kirlianfotografie könne die Akupunkturstellen am menschlichen Körper sichtbar machen.

Vitalistische Theorien der Natur und Medizin spielten bei der Entwicklung des Begriffs der Lebenskraft in der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts eine zentrale Rolle. Samuel Hahnemann (1755-1843) entdeckte aufgrund von Experimenten an sich selbst die homöopathische Medizin. Als er beobachtete, dass ein Heilmittel die Krankheitssymptome hervorrief, die es heilen sollte, leitete er daraus den Grundsatz der Homöopathie ab: »Was in einem gesunden Menschen eine Reihe von Symptomen hervorruft, vermag einen Kranken zu heilen, der dieselben Symptome zeigt.« Diese Medizin wurzelt in einer rigorosen empirischen Testmethode, die jedes mögliche Heilmittel zuerst an Gesunden erprobt, während das jeweilige Heilmittel später in hoch verdünnter, »potenzierter« Form verabreicht wird. Bei gebräuchlichen homöopathischen Potenzierungen lässt sich am Ende keinerlei molekulare Spur des Ausgangsstoffes mehr nachweisen. Hahnemann sprach in romantischen Begriffen von »geistartigen Substanzen«, einer »potentiellen Energie«, einem »Wesen« und »Lebenskräften«, um die Heilkraft dieser verschwundenen Substanzen zu erklären, auch wenn seine strikt empirische Vorgehensweise ihn von der Naturphilosophie seiner Zeit unterschied. Die Homöopathie ist heute in den USA, in Europa und Indien eine anerkannte Richtung der Medizin. Da sie einen empirischen Beweis für ihre Wirksamkeit, ja eine geradezu positivistische, rationale Erklärung für ihre Vorgehensweise bot, überlebte sie als eine wichtige Form der komplementären Medizin alle Anfeindungen der Schulmedizin. Wie der Mesmerismus arbeitete sie mit einem Prinzip, für das es keinen greifbaren Beweis gibt, dessen Wirkungen dennoch nachweisbar sind.

Zwischen 1920 und 1950 fanden auf den Gebieten der Bioelektrizität, der Zellstrahlung und der Empfindlichkeit von Lösungen und Kolloiden gegenüber elektromagnetischen Wellen und radioaktiver Strahlung wegweisende Forschungen statt. Wissenschaftler untersuchten auch den Einfluss elektromagnetischer Wellen auf psychische Phänomene, wie das Wünschelrutengehen, die Radiästhesie (Pendeln), die Hypnose und die Sensitivität von Tieren für Himmelsrichtungen. Viele Wissenschaftler waren überzeugt, dass solche Phänomene tatsächlich existierten und dass sie anerkannten physikalischen und physiologischen Gesetzen unterliegen. Da diese Forschungen das elektromagnetische Feld betrafen, das in und um lebende Organismen herum vorhanden ist, entstanden neue Theorien über ein allgemeines, alles verbindendes Feld. Zwischen 1935 und 1950 veröffentlichte Harold Saxton Burr, ein ehemaliger Lehrstuhlinhaber für Anatomie an der Yale University School of Medicine, zahlreiche Studien über elektromagnetische Felder als Grundstrukturen aller lebenden Organismen. Er war überzeugt davon, dass alle Lebewesen durch diese Lebensfelder (die er »L-Felder« nannte) am Schicksal und Sinn des Universums teilhätten.

Die Idee eines einheitlichen elektromagnetischen Feldes trieb die wissenschaftliche und medizinische Forschung zu weiteren Überlegungen, die von der Existenz einer zusammenhängenden belebenden Kraft ausgingen. Wilhelm Reich (1887-1957) postulierte eine Bioenergie, die er als »Orgon« bezeichnete, die mit den Emotionen des Menschen nahe verwandt sei, und baute Maschinen, um diese Energie anzureichern und zu nutzen. Andere Versuche mit Bioenergie schlossen die Radionik ein, eine umstrittene Therapie aus den 1920er Jahren, die auf der Idee beruht, dass jegliches Leben und alle Stoffe Schwingungen enthalten, deren Frequenz beeinflusst werden kann, um die Gesundheit wiederherzustellen. Entsprechende Geräte sollen Krankheiten diagnostizieren und die Gesundheit wiederherstellen, indem sie heilende Frequenzen aussenden, welche die unharmonischen Schwingungen der Krankheit harmonisieren. Die Therapie wurde erstmals von Albert Abrams (1863-1924) propagiert und seit den 1940er Jahren von Ruth Drown, Aubrey Westlake George de la Warr, Malcolm Rae und David Tansley weiterentwickelt. Die Nutzung eines »Bindegliedes« in der Form eines Haarbüschels des Patienten als Mittel der Diagnose und der Fernheilung erinnert an eine magische Verbindung, die akausal und nicht ortsgebunden ist. Die Radionik dehnt die wissenschaftlichen Erklärungen der Bioenergie und der elektromagnetischen Felder in ein Gebiet aus, das im eminenten Sinne esoterisch ist. Es dürfte kein Zufall sein, dass David Tansley (1934-1988) der Hauptrepräsentant dieser Forschungsrichtung, seine Theorie mit der theosophischen Kosmologie und Physiologie von Alice A. Bailey in Verbindung brachte.

Die Beobachtung elektromagnetischer Strahlung in Lebewesen hat zur Idee einer Kommunikation zwischen Zellen geführt. Der Orthopäde Robert O. Becker führte ausgedehnte Experimente über elektromagnetische Frequenzen in Organismen durch und entwickelte neue Theorien über Gewebe und die Heilung von Körpergliedern. Seine elektrochemisch ausgerichteten Technologien der Zellregeneration beruhen auf einem morphogenetischen Feld, das erstmals der amerikanische Embryologe Paul Weiss in den 1930er Jahren ins Gespräch brachte, einem Feld, das in Form elektromagnetischer Information die Urbilder der organischen Strukturen enthält und deren Wachstum beeinflusst. Weiss hat die Umrisse einer Theorie der Energiemedizin entwickelt, die kleinste Energien (Autosuggestion, Visualisierung) mit hohen Energien (Elektrotherapie) kombiniert. Beckers Auffassung der Homöopathie als einer elektromagnetischen Verstärkung unterstützten die Forschungen von Jacques Benveniste (1935-2004), einen Immunologen und Direktor des Französischen Instituts für Gesundheit und Medizinische Forschung (INSERM). 1984 entdeckte Benveniste, dass Wassermoleküle gewisse elektromagnetische Informationen aufnahmen, die Ausdruck der chemischen Wirkungen einer Substanz in so hohen Verdünnungsgraden waren, dass keinerlei Moleküle der betreffenden Substanz in der Lösung mehr nachgewiesen werden konnten. Seine Entdeckung stellte eine mögliche Erklärung dar, wie hoch potenzierte homöopathische Arzneimittel wirken könnten. Benveniste behauptete, Moleküle und die Anziehungskräfte der Moleküle sendeten elektromagnetische Schwingungen aus, diese Signale könnten digital aufgezeichnet und auf den Organismus zurückübertragen werden, der empfänglich für die Wirkungen der ursprünglichen Substanz sei.

Wissenschaftler, die solche Vorstellungen eines einheitlichen Feldes befürworten, müssen nicht notwendigerweise eine esoterische Weltsicht gutheißen, aber ihre Ergebnisse wurden für radikal imaginative neue Synthesen benutzt, welche die Natur des Bewusstseins und des Universums betreffen. Der Biologe Rupert Sheldrake (1942-) entwickelte eine neue Naturphilosophie, die eine Hypothese über Bildekräfte einschließt. Er hat seine Theorie der »morphischen Resonanz«, die sich auf die ältere Vorstellung der morphogenetischen Felder stützt, auf die Entwicklung und das Verhalten von Pflanzen und Tieren, auf die telepathische Kommunikation zwischen Tieren und Menschen, die Wahrnehmung und die Metaphysik angewandt. Die Holographie hat einen weiteren fruchtbaren Boden für Feldtheorien bereitgestellt. Diese Lasertechnik wird benutzt, um dreidimensionale Abbildungen von Objekten zu erzeugen. Die Holographie legt nahe, dass Gegenstände in Schwingungsmuster umgewandelt werden können, die ihrerseits als Grundstruktur aller Substanzen betrachtet werden. Außerdem scheint jeder einzelne Teil eines Hologramms die gesamte Schwingungsinformation zu enthalten, die nötig ist, um das ganze Objekt zu rekonstruieren. Der Neurowissenschaftler Karl Pribram (1919-) hat ein holonomisches Modell der Erkenntnis entwickelt, das die Speicherung von Informationen im Gehirn nach holographischen Prinzipien postuliert und annimmt, die Wahrnehmung der Wirklichkeit sei eine Projektion von Schwingungszuständen in die Außenwelt. David Bohm (1917-1992) ein amerikanischer Quantenphysiker leistete wesentliche Beiträge zur theoretischen Physik und Philosophie. 1959 begegnete er den Schriften Krishnamurtis, dessen Ideen ihn an seine eigenen Forschungen in der Quantenmechanik erinnerten. Auch Bohm vertrat eine holonomische Sicht des Gehirns, der Wahrnehmung und der allem zugrunde liegenden Ordnung des Universums, die er in seinen Büchern »Wholeness and the Implicate Order« (1980, «Ganzheit und Implizite Ordnung«) sowie »Science, Order,  and Creativity« (1987, »Wissenschaft, Ordnung und Kreativität«) zum Ausdruck brachte.

Solche und vergleichbare Theorien des Bewusstseins und einheitlicher Felder zogen besonders Individuen und Gruppen an, die dem New Age zuzurechnen sind. Diese spirituelle Bewegung des späten 20. Jahrhunderts opponiert gegen die rationalistische, positivistische und mechanistische Weltsicht der modernen Industriegesellschaften und stellt ihnen eine Reihe alternativer Paradigmen entgegen: die Spiritualität der Weltreligionen, veränderte Bewusstseinszustände, psychische Phänomene, neuheidnische Spiritualität (druidisch, keltisch, germanisch), Schicksalserkenntnis mit Hilfe der Astrologie, des Tarot und des I Ging sowie eine Vielzahl von Psychotherapien und Heilmethoden. In seiner bahnbrechenden Studie zur New Age-Religion hat Wouter Hanegraaff die Grundzüge dieser Bewegung beschrieben, für die Geisterkenntnis, Heilen, persönliches Wachstum, Neuheidentum und eine neue Form von Wissenschaft kennzeichnend sind. Er schildert, wie die Autoren des New Age ihre holistischen Theorien des Lebens und der Natur mit Hilfe der Metaphern und Modelle beschreiben, die aus den genannten Feldtheorien stammen. Die angestrebte einheitliche Weltsicht, die in Naturgesetzen ausdrückbar ist, wird von säkularen Wissenschaftlern typischerweise als möglicher Triumph über Religion und Metaphysik dargestellt. Im Unterschied dazu legt die New Age-Wissenschaft nahe, dass diese neuen Theorien das Wirken der Natur in einem absoluten, göttlichen Sinn zu entschlüsseln vermögen, und daher der Religion eine wissenschaftliche Grundlage geben.

Bekannte Autoren des New Age wie Marilyn Ferguson und Lynn McTaggart haben die Feldtheorien in eine Weltsicht integriert, die einer verwissenschaftlichten Form der Esoterik entspricht. In ihrem Buch »The Aquarian Conspiracy« (1980), einem Manifest der New Age-Spiritualität, setzte sich Ferguson ausführlich mit den Theorien Ilya Prigogines, der Quantentheorie, der Holographie und dem Werk von Pribram und Bohm auseinander. Prigogines Paradigma der Selbstorganisation führte zu Erich Jantschs Theorien der Evolution. Ferguson charakterisiert die esoterischen Implikationen von Pribram wie folgt: »Die Schwingungsmuster des Gehirns, seine mathematischen Prozesse, könnten mit dem Ursprungszustand des Universums identisch sein … Unsere geistigen Prozesse bestehen in Wahrheit aus denselben Kräften, wie das Prinzip, das alles organisiert hat.« Die monistische Identifikation des Bewusstseins und der Natur wurde zu einem wiederkehrenden Motiv unter den Autoren des New Age. Sie stellt eine säkularisierte Form der Naturphilosophie und des Diskurses über Mikro- und Makrokosmos dar.

Lynn McTaggarts einflussreiches Buch »The Field« (2001) verbindet solche Themen wie Hal Puthoffs »Nullpunktfeld«, ein spekulatives Konzept, das eine grenzenlose Energie postuliert, die Quantenpartikeln entspringt, das Werk des deutschen Physikers Fritz-Albert Popp über Photonen, die von lebenden Organismen ausgesendet werden und mit der DNA zusammenhängen, und die Hypothesen von Becker, Sheldrake, Benveniste und Pribram. Bewusstsein, kollektives Gedächtnis, Allwissenheit, Heilung, Absicht, Nichtlokalität, Sehen in die Ferne und Kommunikation mit den Toten sollen alle aus dem Nullpunktfeld verständlich sein. Indem sie die Sprache der Wellen, ihre Phasen, Amplituden, Frequenzen und Interferenzen zum Alphabet der Natur erklärt, beschwört McTaggart eine verwissenschaftliche Form der Beseelung, die Korrespondenzen, Analogien, Synchronizitäten und die Identität von Mikro- und Makokosmos begreiflich erscheinen lässt. »Das Nullpunktfeld ist eine Art Schatten des Universums … ein Spiegelbild, eine Aufzeichnung von allem, was jemals war.« »Jeder Teil des Universums könnte mit jedem anderen in jedem Augenblick in Verbindung stehen.« »Die Natur ist nicht blind und mechanisch, sondern offen, intelligent und absichtsvoll … die Information wurden überallhin gleichzeitig übertragen«, so dass »das Gehirn bloß ein Empfangsorgan, ein Lesemechanismus für das umfassendste Speichermedium, das Feld, ist.«

Die Heiligung der Seele: Jungsche Esoterik

C.G. Jung

Carl Gustav Jung (1875-1961)

Feldtheorien sprechen von einem universellen Zusammenhang, der den esoterischen Ideen der Korrespondenz und eines beseelten monistischen Kontinuums entspricht, welches das gesamte Universum durchdringt. Sie legen auch eine Spiegelbildlichkeit zwischen dem Geist und der wahrgenommenen Realität nahe. Die geistigen Hierarchien der traditionellen Esoterik, die Idee der Umwandlung der Seele oder des Aufstiegs in höhere Sphären, kommen in ihnen aber nicht vor. Insofern sind sie immer noch von jenem säkularen Niveauverlust gekennzeichnet, der diese Hierarchien eingeebnet hat. An deren Stelle bieten sie eine pantheistische Vision verkörperter Immanenz, die von einem Kontinuum elektrischer Ladung, subatomaren Partikeln oder Schwingungen repräsentiert wird. Sobald aber diese Feldtheorien in die Psychologie integriert werden, nehmen sie die Gestalt der traditionellen Esoterik an. Seit Platos Emanzipation der Seele vom Leib hat die westliche Esoterik dieser stets einen Anteil an der Gottheit zugeschrieben. Das Corpus Hermeticum sprach von ihrem Ursprung in Gott und ihrem Wiederaufstieg zum göttlichen Geist. In der Renaissance setzte Ficino die individuelle Seele zur Weltseele in Beziehung, während Pico della Mirandola den Menschen als Bindeglied zwischen Himmel und Erde betrachtete. Der Diskurs der Renaissance über die Souveränität und potentielle Göttlichkeit der Seele hat letzten Endes zu der modernen postreligiösen Vorstellung geführt, dass der Mensch keines Erlösers oder Mittlers mehr bedarf, sondern sich selbst zur Quelle des Heils werden muss.

Das Werk des Schweizer Psychologen C.G. Jung (1875-1961) war für eine ganze Reihe esoterischer Bewegungen im 20. Jahrhundert bedeutsam. Als Medizinstudent wurde Jung vom Spiritismus angezogen und experimentierte mit Trancemedien Hier erlebte er seine erste Begegnung mit transpersonalen Aspekten der Persönlichkeit. Er studierte das Werk Ernst Haeckels (1834-1919), eines Professors für Zoologie in Jena, der führenden Autorität für Evolutionsbiologie in Deutschland. Dieser vertrat die These, das Individuum rekapituliere die Entwicklungsschritte seiner Art (die Phylogenese). Jung brachte dies auf die Idee einer »Phylogenese der Seele«, in der die frühen Religionen und Mythologien den weniger entwickelten, unbewussten Schichten des Geistes entsprechen. 1909 machte sich Jung erstmals daran, das Unbewusste zu erforschen, indem er sich mit den griechisch-römischen Mysterienkulten, später auch der Gnosis beschäftigte. Gegen Ende des I. Weltkriegs hatte Jung eine Theorie universeller Symbole entwickelt, die vom kollektiven Unbewussten erzeugt werden. Diese Symbole bezeichnete er als »Archetypen«.

Seine Theorie, die er zwischen 1920 und 1940 kontinuierlich weiter ausbaute, führte Jung zur selbstständigen Wiederentdeckung esoterischer Imaginationen. Dabei spielte auch die Technik der »aktiven Imagination« eine Rolle, die Jung möglicherweise durch Herbert Silberer (1882-1923) kennenlernte, einen Schweizer Freudianer, der Freimaurer war und sich mit Alchemie beschäftigte. Die aktive Imagination bezieht sich auf die Umwandlung der unbewussten Archetypen durch ihre Integration in den höheren Archetyp des Selbstes. Jung bezeichnete diesen Prozess als »Individuation«. Um 1930 hatten diese im Kern esoterischen Ideen Jung von der gnostischen Mythologie zu alchemistischen Texten geführt und er publizierte Studien zu Paracelsus und psychologische Deutungen der Alchemie. Spätere Arbeiten befassten sich mit Astrologie und dem I Ging. Jung interpretierte die von den traditionellen magischen Wissenschaften geübte Kunst der Voraussage als akausale Interaktion der Synchronizität zwischen dem Subjekt und dem Weltgeschehen. In seinen späteren Werken, wie dem »Mysterium Coniunctionis« (1955-1956), sprach Jung von der Einheit der Welt, deren unterschiedliche Ebenen miteinander korrespondieren und deshalb untereinander und mit der menschlichen Seele kommunizieren können.

Jungs ursprüngliches Interesse am Abstieg in die Urgründe des kollektiven Unbewussten und seiner Archetypen zeugt von seiner Beziehung zur Romantik und ihrer Suche nach einer Erkenntnis des Überrationalen. Seine Annahme, die Seele vermöge sich in die potentielle Ganzheit des Selbstes umwandeln, stellt eine psychologisierte Form von Esoterik dar, die er seiner frühen Beschäftigung mit der Evolutionstheorie verdankt. Jungs Betonung der »Tiefen« und der Ursprünglichkeit unterscheidet sich von der hermetischen Vorstellung des Aufstiegs, die für die traditionellen Formen der Transmutation von Ficino bis zur modernen Theosophie charakteristisch ist. Aber durch seine Beschäftigung mit Alchemie und Astrologie, seine Idee der Synchronizität und seinen »unus mundus«, die eine Welt, in der die Symbole die Realität und die Realität die Symbole wiederspiegeln, stellte die Tiefenpsychologie der Esoterik weitere Paradigmen zur Verfügung.

Auch wenn Jung von älteren Psychologen wie Karl Eschenmayer, Justinus Kerner und Carl Gustav Carus (1789-1869) ausging, die alle der romantischen Naturphilosophie zugehörten, übte er einen mächtigen Einfluss auf das New Age aus. Es verdankt ihm die Sakralisierung des Selbstes als des Göttlichen im Menschen. Die früheren transpersonalen Paradigmen des Mesmerismus, der geistigen Heilung, der Selbstheilung und des New Thought in den USA empfingen durch Jungs Sakralisierung der Seele neue Impulse, als seine Form der Psychotherapie sich ab den 1960er Jahren verbreitete. Neue Systeme der transpersonalen Psychologie entwickelten ahistorische Konzepte der Seele und hielten es für möglich, dass diese an universellen Formen der Erfahrung teilhaben könne. Jungs Archetypen und Symbole als Verbindungsglieder zwischen der inneren und der äußeren Welt haben auch neue Deutungen der Homöopathie hervorgebracht, die von einer Kongruenz der Formen oder Funktionen der Natur mit den Symbolen als Ausdrücken seelischer Energie ausgehen. Jung schuf eine dem 20. Jahrhundert angehörende Reinterpretation der paracelsischen Signaturen Gottes in der Natur, ihrer Erforschung und Anwendung. Im New Age spielt Jungs Idee der Synchronizität bei der Interpretation der astrologischen Voraussage, des Tarots oder der Traumdeutung eine große Rolle. Sein Einfluss auf die Psychologie, die Komplementärmedizin und religiöse Formen des New Age zeugt von der Wendung der westlichen Esoterik zur Seele, die sie empfänglicher für Spirituelles macht, als die herkömmlichen Formen organisierter Religiosität. Diese Entwicklung erinnert an den Aufstieg der Theosophie, des Pietismus und der rosenkreuzerischen Alchemie im 17. und 18. Jahrhundert, mit denen das Jungsche Denken verwandt ist.

Die westlichen esoterischen Traditionen haben seit ihren Ursprüngen in den religiösen Philosophien des Hellenismus von umfassenden Ordnungen und Hierarchien gesprochen, die den Menschen mit einer großen Vision des Kosmos verbanden, in der die einzelne Seele eine Bedeutung, eine Bestimmung und einen Anteil am Göttlichen hat. In den unterschiedlichsten Formen kamen diese Visionen zum Ausdruck: im Neuplatonismus und der Kabbalah, der Alchemie, Astrologie und Magie, der christlichen Theosophie, Blavatskys Synthese westlicher und östlicher Traditionen, Ficinos Astralmagie, dem Rosenkreuzertum und Jungs Tiefenpsychologie. Die Esoterik fand stets Antworten auf die religiösen und kulturellen Wandlungen des Westens, was die Metamorphose göttlicher Emanationen in Archetypen ebenso zeigt, wie jene der alchymischen Elemente in Symbole oder jene der Engel in elektromagnetische Frequenzen. Die grundlegende Familienähnlichkeit der esoterischen Traditionen zeigt sich nicht nur in Faivres Merkmalen, sondern auch in der außerordentlichen Schätzung, die dem Individuum und seiner Beziehung zum Kosmos, seiner potentiellen Erlösung und Vollendung im Westen zukommt. Die westlichen esoterischen Traditionen halten nach wie vor an diesem Projekt fest, wenn auch in sich ständig weiter entwickelnden Formen. Immer aber suchen sie nach der einzigartigen Gnosis der Erleuchtung, einem transhistorischen Wissen um die wahre Herkunft des Menschen, das ihn zu der Ganzheit und Unschuld der Ursprünge zurückführt. Dies ist laut Goodrick-Clarke das bleibende Erbe der westlichen Esoterik, deren historische und kulturelle Wirksamkeit, zusammen mit ihrer Fähigkeit, die religiösen oder wissenschaftlichen Orthodoxien herauszufordern, ständigen Wandlungen unterlag. Die Esoterik scheint oft aufzublühen, wenn neue exotische Quellen der spirituellen und religiösen Spekulation erschlossen werden, die imstande sind, verhärtete Dogmen und Orthodoxien in Frage zu stellen. So lange der Westen am Bild des freien Menschen als eines integralen Bestandteils des größeren Ganzen aus Himmel, Erde und Schöpfer festhält, so lange wird auch die Esoterik ein Bestandteil seiner wissenschaftlichen und religiösen Landschaft sein.

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