»Es gilt einen Kampf auf Tod und Leben«

Der folgende, namentlich nicht gezeichnete und nicht datierte Bericht, wurde vermutlich im November 1922 von Pfarrer Dr. Schweitzer in Umlauf gebracht. Er endet mit dem martialischen Ausruf: »Es gilt einen Kampf auf Tod und Leben«.


Der Bericht stellt ein panoptisches Sammelsurium von Gerüchten, Verleumdungen, Unterstellungen und Wahnvorstellungen über bzw. gegen die Anthroposophie dar, das ihre in Berlin versammelten Gegner im Oktober 1922 zusammentrugen. Er ist insofern von nicht zu unterschätzender Bedeutung, als viele dieser abstrusen Vorstellungen über die Anthroposophie bis heute in der Gegnerliteratur eine Rolle spielen. Die in ihm vorgetragenen Vorurteile und Verleumdungen scheinen aus einem Reservoir persistierender kollektiver Phantasmen zu stammen, die erklärte Gegner der Anthroposophie bis zum heutigen Tag auch ohne konkreten Bezug zu diesem Text immer wieder reproduzieren. Das Milieu der Konferenz und die Hauptfiguren waren – abgesehen von zwei »anthroposophischen Apostaten«, also »Aussteigern« – protestantisch.


Bericht über die Konferenz nicht-anthroposophischer Kenner der Anthroposophie vom Sonntag, den 29., bis Dienstag, den 31. Oktober 1922, in Berlin, Kronenstr. 70

Der Plan, eine solche Konferenz einzuberufen, bestand schon lange. Bei der Besprechung über apologetische Fragen anlässlich des 40. Kongresses für Innere Mission in München wurde er allerseits freudig begrüßt. Eingeladen wurden rund 60 Personen, darunter auch einige Ausländer, von denen bekannt geworden war, dass sie nicht Anhänger, aber Kenner der Anthroposophie seien. Fast alle Geladenen äußerten ihre Zustimmung. Aus äußeren Gründen mussten die letzten Oktobertage gewählt werden, obwohl verschiedenen der Termin nicht passte. Es erschienen im ganzen 35; darunter Dr. Goesch (Lichtenrade), Frau Hasselblatt (Norden-Berlin), Geh. Rat Prof. Holl (Berlin), Pf. Dr. Hoppe (Potsdam), Pf. Prof. D.Jeremias (Leipzig), Stadtpf. Keppler (Heidenheim), Lic. Dr. Kesseler (Berlin), Lic. Leese (Hamburg), Privatdoz. Dr. Leisegang (Leipzig), Prof. Julius Richter (Berlin), Pf. Dr. Schulz-Sydow, Lic. Dr. Tillich (Berlin), Pf. Violet (Berlin), Lic. Dr. Werdermann-Löwenberg. Namentlich Dr. Goesch und Frau Hasselblatt, welche beide durch die Anthroposophie gründlich hindurchgegangen sind, haben für unsere Konferenz wertvollste Dienste geleistet. Dr. Goeschs Referat über die Persönlichkeit Rudolf Steiners wurde für das Gesamtresultat geradezu entscheidend. Um das Resultat gleich vorwegzunehmen: es ist allen Teilnehmern, auch denen, die die verhältnismäßig stärksten Sympathien für die Anthroposophie mitgebracht hatten, zur furchtbaren Klarheit geworden, dass es sich in Steiners Anthroposophie um eine Macht handelt, die man nicht anders als diabolisch nennen kann.

Am Sonntagnachmittag begann Dr. Leisegang (Leipzig) mit seinem Referat über: Das Wesen der anthroposophischen Bewegung, dargestellt auf Grund der Geheimschriften der Anthroposophischen Gesellschaft. Er stellte die Forderung auf, dass jeder angebe, wie er mit der Anthroposophie in Berührung gekommen sei. Er selbst ist durch Beschäftigung mit Neuplatonismus und Mystik und im Zusammenhange seiner psychologischen Experimente auf Steiner gestoßen. Nach seiner wissenschaftlichen Überzeugung, die er begründet, hat Steiner nicht aus Originalquellen geschöpft. Die sittliche Frage an Steiner: Hast du Erkenntnisse höherer Welten? ist bisher von anthroposophischer Seite niemals klar bejaht worden. Leisegang verneint sie. Nachdem er sich lange vergebens um die Geheimschriften, die sogenannten Zyklen, unter anderem auch bei Rittelmeyer zwecks wissenschaftlicher Forschung bemüht hatte, ist ihm vor 3/4 Jahren durch eine bekannte Leipziger Familie, deren Tochter als Anthroposophin geisteskrank geworden ist, die Sammlung aller Zyklen zur Verfügung gestellt worden. Die Zahl der Anhänger wäre nicht so groß, wenn alle die Zyklen gelesen hätten beziehungsweise wenn die Anhänger sie gekannt hätten vor ihrem Eintritt in die Anthroposophische Gesellschaft.

Die von Leisegang ausgesuchten Proben aus den Zyklen ergeben, verglichen mit den entsprechenden Stellen aus den für die Öffentlichkeit bestimmten Büchern, ein geradezu raffiniertes System von «rhythmischer, regelmäßiger Beeinflussung der Seele» im Steinerschen Sinne. Nur die Zyklen enthalten den Kern der Anthroposophie, während Steiner der Öffentlichkeit nur die äußere Schale in einer für sie berechneten Weise darbietet. Die Kenntnis der Zyklen ist nicht nur für die vollständige Beurteilung der Lehre, der Methode und des Charakters Steiners unentbehrlich, sondern sie erklärt wenigstens zum Teil auch die bemerkenswerte Tatsache, dass die Anthroposophen, die einmal in die geistige Abhängigkeit ihres Meisters geraten sind, durch keine noch so überzeugenden Widerlegungen von ihrer Sache abzubringen sind, sondern um so fanatischer für ihren «Doktor» kämpfen, je vernichtender die Angriffe auf ihn sind. Der Anthroposoph ist ja im Besitz der «geisteswissenschaftlichen Untergründe» und schaut mit Geringschätzung auf die törichten Fachgelehrten herab, die ja nur die Außenseite sehen und nach dem Willen des Meisters nur sehen sollen. Schon in dem Buche: «Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten» wird die «Devotion» gefordert, aber nicht nur der «Wahrheit und Erkenntnis», sondern auch Personen gegenüber (am angegebenen Ort, S. 4, 1918).

Aus guten Gründen wird zuerst in einer breiten Weise das mitgeteilt, was aus der geistigen Welt an Tatsachen erforscht ist, bevor eingegangen wird auf das, was man nennen kann die «Methoden der Seelenschulung» (Exkurse in das Gebiet des Markusevangeliums, 1910/11, S. 8 ff.). Die Mitteilung der «Tatsachen aus der geistigen Welt» aber gehört bereits – was Steiner nicht sagt – zur Methode der Seelenschulung; sie wirkt durch ständige Wiederholung derselben Motive derartig suggestiv, dass sich diese Motive wie Wahnideen im Bewusstsein des zur Kritiklosigkeit verurteilten Anthroposophen, ohne dass er es weiß, unausrottbar festsetzen. Muss doch jeder Geheimschüler am selben Platz jeden Tag zur selben Stunde dasselbe von Steiner lesen und meditieren.

Für Leisegang erklären sich gewisse übersinnliche Traumzustände der Schüler aus den infolge der Schweigepflicht tagsüber verdrängten Vorstellungen, zumal man sich während des Einschlafens genau beobachten muss. Leisegang gab dann Auszüge aus den «Psychischen Studien» von 1917 mit verschiedenen Zeugnissen über sexuelle Magie, unter anderen auch das bekannte von Ruth v. -u: «Durch alles Vorangegangene war ich so geschwächt, dass alle Voraussetzungen da waren, meinen Körper zu einem Experiment zu benutzen. Während des zweiten Besuches von Herrn und Frau Dr. Steiner küsste ich Frau Dr. Steiner die ganze Zeit in bestimmter Lage beide Hände. Bei diesem Vorgang muss Dr. Steiner mit okkulten Kräften in unerlaubter Weise gearbeitet haben. Bei dem dritten Besuch wurde ich veranlasst, Frau Dr. Steiner in anderer Weise die ganze Zeit beide Hände zu küssen. Auch da muss Dr. Steiner unerlaubt gearbeitet haben. Welche Vorgänge ich daraufhin an meinem Körper, insbesondere Unterkörper, durchmachen musste, lässt sich mit wenigen Worten nicht wiedergeben. Zum Teil konnte ich mich nur dadurch vor dem schützen, was wie Versuchungen an meinen Unterkörper herantrat, dass ich laut sang, was mich dafür mit meiner Umwelt in Konflikt brachte. Es läßt sich nicht schildern, welche Qualen, leiblich und seelisch, ich durch das Experiment von Dr. Steiner durchmachen musste.»

Ferner eine Dame, (die) von Steiner – angeblich um einen Heilungsprozeß einzuleiten – geküsst und anderweitig in besonderer Weise berührt worden ist, so dass sich außergewöhnliche sexuelle Empfindungen eingestellt haben. Widerstrebt es dieser Persönlichkeit, sich hierüber in der Öffentlichkeit des näheren auszulassen, so wäre sie doch bereit, es entweder vor dem Richter oder einem Psychiater zu tun (Hofrat Seiling. Brief an die Redaktion München, den 23.10.1917). Es ist ein «Chaos von Immoralität», Steiner selbst «ein Werkzeug finsterer X-Kräfte». Auffallend ist, dass die Anthroposophen niemals gerichtlich gegen all diese öffentlichen Beschuldigungen vorgegangen sind. Leisegang kommt dann auch auf die politische Wirksamkeit Steiners zu sprechen, um an ihr vor allem Steiners Persönlichkeit zu beleuchten. Er kommt zu folgendem vernichtenden Resultat: Es ist sinnlos, über anthroposophische Weltanschauung zu diskutieren. Es handelt sich um eine bewusste Irreführung der öffentlichen Meinung, um banalen Unsinn; Steiner handelt nicht in gutem Glauben. Das Buch: «Vom Lebenswerk Rudolf Steiners» ist «das verlogenste Machwerk der Weltliteratur».

Das Leisegangsche Referat löste natürlich bei vielen Hörern Mißstimmung darüber aus, die auch von verschiedenen ausgesprochen wurde, dass das Positive in der Anthroposophie nicht genügend gewürdigt sei, dass die Persönlichkeit Steiners, namentlich auch seine politische Haltung, zu stark hereingezogen sei. In diesem Sinne äußerten sich unter anderem Lic. Dr. Kesseler, Pf. Dr. Koehler, der Steiner 30 Jahre lang beobachtet hat und wesentlich günstiger über ihn denkt und ebenso wie Direktor Wilhelm Spiecker von Rittelmeyers christ-theqlogischem Einfluss auf die Anthroposophie viel erwartet. Ähnlich sprach sich D. v. Rohden später aus und Prof. Jeremias, der von der Not der Studenten ausgeht, die nach einer Neuorientierung, wie sie die Anthroposophie biete, verlangen; auch seien Rittelmeyer und Geyer nun einmal die bedeutendsten Kanzelredner Deutschlands. 300 Pfarrer haben erklärt, sie seien bereit, aus der Kirche auszutreten, wenn Steiner es verlangt. Es besteht ein Geheimbund anthroposophischer Theologen, die «Christengemeinschaft», die die anthroposophischen Gedanken in ihre Predigttätigkeit hineinbringen wollen, ohne dass die Gemeinde es zunächst merkt. Jeremias braucht das Bild von einem Güterzuge, der, wenn auch seine Lokomotive nichts tauge, doch in seinen Wagen Güter enthalten könne. Man muss die Wahrheitsfrage stellen, ob an der Anthroposophie als solcher etwas dran bleibt. – Leisegangs Schlusswort hält das für eine typische Verschleierung, seine Hauptfrage sei eine sittliche gewesen; die Lokomotive muss abgehängt werden, wenn Unheil verhütet werden soll.

Da diese Generaldebatte unfruchtbar bleiben musste, solange nicht in Einzelreferaten die «Güter» in den Wagen auf ihre Güte untersucht worden waren, wurde noch am Sonntagabend damit begonnen, indem Prof. D. Richter über die «Vorgeschichte der Anthroposophie» berichtete. Nach ihm bildet die Substanz der Steinerschen Gedanken im wesentlichen die indisch-theosophische Tradition, neben welcher er eine christlich-islamische und eine chinesische Reihe innerhalb der mystisch-gnostischen Atmosphäre erkennt. Neu ist bei Steiner nur die Hereintragung des naturwissenschaftlichen Entwicklungsgedankens und ein neuer Kulturuniversalismus. Dass Steiner im übrigen Übersinnliches schaut, ist Richter zweifellos. – Dazu gab Prof. Jeremias am Montagmorgen ein religionsgeschichtliches Koreferat. Er berichtet über andere Hellseher, wie die Propheten Paulus, Augustin, Ghazali, Plotin. Steiner gehört jedenfalls in die Religionsgeschichte, auch wenn er ein falscher Prophet ist. Der Inhalt der Schauungen ist von der Reinheit des Herzens abhängig, bei Steiner ist dieser Inhalt religiös-sittlich indifferent.

Dr. Hoppe gab folgende Leitsätze über «Anthroposophie und Wissenschaft»:

1. Als Geisteswissenschaft erhebt die Anthroposophie den Anspruch, unter diejenige spezifische Form menschlichen Geisteslebens eingeordnet zu werden, die der Sprachgebrauch schlechthin als «Wissenschaft» bezeichnet. Sie glaubt, diesen Anspruch rechtfertigen zu können auf Grund einer neuen Erkenntnistheorie, die sie für ihre Zwecke geschaffen hat.

2. Wie jede andere Erkenntnistheorie, die wissenschaftlich diskutabel sein soll, kann auch die Anthroposophie sich nicht emanzipieren von der Anerkenntnis einer wenn auch noch so eng begrenzten apriorischen Struktur des menschlichen Geistes, die Wissenschaft als solche überhaupt erst möglich macht.

3. Resultate der anthroposophischen Forschung, die für das System der Anthroposophie von wesentlicher Bedeutung sind, widersprechen den kritischen Normen, denen nach bisher üblichen Ansprüchen ein «wissenschaftliches» Forschungsergebnis standhalten muss.

4. Die Anthroposophie ist daher keine Wissenschaft, also auch keine «Geisteswissenschaft». Auch formal verrät sich dieser ihr unwissenschaftlicher Charakter an der Mangelhaftigkeit ihrer Methodik.

5. Soweit anthroposophische Fachgelehrte auf ihrem Sondergebiete zu wertvollen Ergebnissen zu kommen hoffen, sind, nach den ersten Ansätzen zu urteilen, die kritischen Gesichtspunkte keineswegs spezifisch anthroposophisch, sondern bereits außerhalb der anthroposophischen Gemeinde schon lange erarbeitet. Resultate, die nur auf anthroposophischem Wege hätten gefunden werden können und einer wissenschaftlichen Nachprüfung standgehalten hätten, sind bis heute nirgends nachzuweisen.

6. Die Bewertung der Anthroposophie als Wissenschaft ist nur möglich in einer Zeit der Unterbewertung geistiger Maßstäbe und eines gebrochenen Willens zur Wahrheit. Im einzelnen betont Hoppe die naturwissenschaftliche Einstellung Steiners.

Zu 2.: Es muss Maßstäbe geben, ob etwas Illusion oder Wahrheit ist, das credo quia absurdum gehört nicht in die Wissenschaft. Wer logisches Urteilen ablehnt, sprengt sich selbst in die Luft. Auch der Irrtum ist nicht zu widerlegen. Steiner selbst fordert Prüfung durch den gesunden Menschenverstand.

Zu 3.: Der Geist ist kein Ding, er kann auch durch Verdichtung nicht zum Körper werden.

Zu 4.: Der Entwicklungsgedanke ist nur äußerlich in das System übernommen (vergleiche Leese).

Zu 5.: Die anthroposophische Theologie ignoriert zum Beispiel Neuansätze bei Heim und anderen. Es entspann sich eine längere erkenntnistheoretische Debatte. Dr. Koehler: Die Anthroposophie will nicht nur Wissenschaft sein, sondern ein Bindeglied zwischen Religion und Wissenschaft. Jedes Ding hat seine eigene Logik. Steiner macht zwischen Geist und Materie keinen Unterschied. Pf. Schulz-Sydow: Dass der Geist sich verstofflichte, ist eine primitive Nichterklärung. Tillich anerkennt neben der abendländischen Wissenschaft eine metaphysisch-mystische Geisteslage, wie sie namentlich der Orient, aber auch der deutsche Idealismus gehabt habe. Die Anthroposophie mache den Fehler, beide Welten miteinander zu vermischen. Der Geistesbegriff des Abendlandes ist unbedingt festzuhalten. Der Geist ist nicht etwas, sondern der Sinn von etwas. Lic. Leese: Es ist zu unterscheiden zwischen Hellsehen, das, sofern es deskriptiv, auch wissenschaftlich ist, und einer wissenschaftlichen Weltanschauung, zwischen beiden besteht keine unzerreißbare Verbundenheit. Es ist unsere trostlose Lage, dass wir noch keine Kriterien für jenes Hellsehen haben. Dr. Schweitzer: wendet sich gegen den Tillich-Leeseschen Wissenschaftsbegriff. Hoppe: stellt fest, dass seine Thesen nicht widerlegt sind.

Von den Einzelwissenschaften außer der Theologie wurde nur die Pädagogik herangezogen. Jeremias: berichtet begeistert von dem, was er in der Waldorf-Schule gesehen hat. Demgegenüber macht Goesch auf die Gefahr der auf Autosuggestion berechneten Steinerschen Kindergebete aufmerksam, zum Beispiel des folgenden: «Vom Kopf bis zu Fuß bin ich Gottes Bild, vom Herzen bis in die Hände spüre ich Gottes Hauch; sprech ich mit dem Munde, folg ich Gottes Willen. Wenn ich Gott erblick in Vater und Mutter, in allen lieben Menschen, in Baum und Stein, gibt Furcht mir nichts, nur Liebe zu allem, was um mich ist.» Pf. Keppler berichtet aus der anthroposophischen Schule in Heidenheim: die dort erzogenen Kinder sind größtenteils zügellos und rechthaberisch, ja, «ein Ausbund von Kindern»! Der Religionsunterricht leidet besonders unter dem System.

Der Montagnachmittag war der Theologie gewidmet. Dr. Ritter, der mit seinem Kollegen Rittelmeyer eingehend über diese Fragen gesprochen hat, greift die anthroposophische Erkenntniskritik als im alten Realismus, wenn auch unter neuer Aufmachung, stehengeblieben an und entwickelt demgegenüber das Verhältnis von Glauben und Wissen im Sinne des Brunstädtschen Idealismus. Tillich stellt und verneint folgende zwei Fragen: Sind die Objekte, die Steiner zu sehen behauptet, dem Wesen nach religiös? Der Anthroposoph will auf Stufen statt durch Gnade zu Gott, es fehlt ihm die Demut, er meint, ein rationalistisches und ethisches Eintrittsbillett in den Himmel zu besitzen. Ritter: Die anthroposophischen Theologen haben neben ihrer Anthroposophie ihr Christentum. Dr. Schweitzer erinnert an Rittelmeyers Satz: «Rein religiös ist uns nicht zu helfen.» Prof. Seeberg fürchtet von der Anthroposophie mit Recht Rückfall in krasse Orthodoxie. Beides ist Rationalismus. Lic. Werdermann: Unsere positiven Theologen in Halle gingen um die heiklen Punkte leider stets herum. Schulz- Sydow: Wir müssen zurück zu Luthers Gehorsam, Glauben in Kreuzesnot und Gebet. Die Großstadtnerven und -gehirne werden nie mit den Anthroposophengehirnen und -nerven fertig werden. Tillich stellt die Alternative: sollen wir die Anthroposophen als anregende Kritik an unserer Theologie und Kirche benutzen, um sie im übrigen zu bekämpfen, oder: nehmen wir sie als Wirklichkeit, um mit ihr taktische Erfolge bei unseren Gemeindemitgliedern zu erzielen. Solche Taktik ist irreligiös. Jeremias: Gott wird die Anthroposophie benutzen. Die Frage Werdermanns: Wie weit ist Steiner von Rittelmeyer christlich beeinflusst worden? beantwortet Ritter dahin: Rittelmeyer ist nur Jünger, während D. v. Rohden meint, Rittelmeyer unterschätze seinen Einfluss auf Steiner.

Über Steiners phantastische Christologie berichtet Jeremias. Goesch weist Widersprüche darin nach.

Frau Hasselblatt beschließt den Montagabend mit ihrem sehr ernsten, rein religiös abgestimmten Referat: «Anthroposophie als Gottesfeindschaft». Sie ist auf Grund eigener Erfahrungen zu dem Ergebnis gekommen, dass wir als Christen zwar nicht gegen die Anthroposophen, aber gegen den satanischen Geist, der hinter der Anthroposophie steht, kämpfen müssen. Wir dürfen die Gottsucher unter den Anthroposophen nicht durch falsche Behandlung immer tiefer in die Anthroposophie hineinstoßen. Die Anthroposophie ist scheinbar religiös; in Wahrheit hat sie den Wegweiser «Zu Gott» umgekehrt. Steiners Christologie ist vergiftet bis ins letzte von antichristlichem Geiste. Um die Anthroposophie zu überwinden, hilft allein positive Evangelisation. Wir müssen uns fragen: Bieten wir Anlass, dass suchende Seelen in die Anthroposophie flüchten? (vergleiche 5. Mos. 13,4). Ihre Leitsätze lauten:

1. Das Kennzeichen für den bisherigen Kampf zwischen der Theologie und Anthroposophie war das, dass es sich im wesentlichen um eine Auseinandersetzung der Theologie mit der Anthroposophie handelte.

2. Da aber die Theologie auf dem klaren Boden des Bekenntnisses zur Bibel als der Offenbarung steht, ist es ihre Pflicht, sich nicht nur mit der Anthroposophie auseinanderzusetzen, sondern zum offenen Kampfe gegen sie überzugehen.

3. Die Beachtung zweier Punkte erleichtert ihr diesen Kampf:

a) Den Ursprung der Anthroposophie nicht allein aus geschichtlichen Quellen erklären zu wollen, sondern zu tieferer Deutung das Wort Eph. 6,1 und 2 heranzuziehen.

b) Die psychologische Verfassung der Menschen zu verstehen suchen, die sich von dem Einfluss der Anthroposophie ergreifen lassen.

4. Genaue Ausführungen zu Punkt b) unter der Frage: Was ist der Unterschied zwischen dem seelischen Bedürfnis der Anthroposophen und dem, womit die Anthroposophie diesem Bedürfnis entgegenkommt?

5. Genaue Ausführungen zu Punkt a) unter der Frage: Womit lässt sich die Behauptung begründen, dass die Anthroposophie gottesfeindlichen Ursprunges ist?

6. Zusammenfassung: Pflicht der Theologie für die Anthroposophen gegen die Anthroposophie zu kämpfen.

Nach diesen gelassen vorgetragenen, biblisch begründeten Ausführungen gingen auch die, welche der Anthroposophie bisher noch viel Gutes zugetraut hatten, in diesem Zutrauen erschüttert nach Hause.

Am Dienstagmorgen las D. v.Rohden seine Leitsätze über die Frage: «Welche Momente verleihen der Anthroposophie ihre überraschende Anziehungskraft zumal bei der Jugend?»

1. In weitem Maße scheint die Anthroposophie einem drängenden Zeitbedürfnis entgegenzukommen. Indem sie die Vorstellungen vom Übersinnlichen zu greifbaren Realitäten zu verdichten sucht, befriedigt sie den lebendigeren Tatsachen- und Wirklichkeitssinn unserer Zeit.

2. Sie bietet eine neue Wissenschaft des Geistes, und zwar eine auf Beobachtung und Erfahrung beruhende, also naturwissenschaftlich begründete Wissenschaft vom Übersinnlichen. So überbrückt sie den alten Gegensatz von empirischer (positivistischer) und idealistischer Weltanschauung. Insbesondere sucht sie die mit jedem neuen Menschenleben sich vollziehende Durchbrechung des irdisch-kausalen Zusammenhanges einleuchtend zu machen.

3. Dem religiös interessierten Gemüt will sie einen besseren Zugang zum Verständnis der Bibel eröffnen, indem sie es in stärkeren Zusammenhang mit der geistigen Welt, aus der die Heilige Schrift redet, zu bringen verspricht. Auf die reale Bedeutung der Sakramente wirft sie ein neues Licht.

4. Sie leitet zu geistigen Konzentrationsübungen und damit zur Selbsterziehung und planmäßiger bewusster Pflege des Innenlebens an, woraus in religiöser Hinsicht eine höhere Andachtsfähigkeit und Gebetsfreudigkeit folgen soll.

5. Sie bietet neue Antriebe und Methoden der sittlichen Selbstzucht, der Überwindung sinnlicher Schwäche, der täglichen Buße.

6. Mit alledem empfiehlt sich die Anthroposophie dem ernsten Sinn, zumal dem Verlangen der Jugend nach Wahrheit und Wirklichkeit, nach geistiger Erneuerung, soweit es sich durch die Darbietungen der Kirche unbefriedigt fühlt.

D. v. Rohden wollte sich nicht mit diesen Sätzen identifizieren. Er erzählt, wie er aus seelsorgerlichen, noch mehr als aus wissenschaftlichen Nöten heraus zur Anthroposophie gekommen wäre. Er hat versucht, Rittelmeyer von Steiner abzubringen. Man kann sagen, die Anthroposophie sei eine geistige Seuche in unserem dekadenten Geschlecht; trotzdem müsse erst das Positive, was nach Gottes Fügung in ihr liege, herausgeholt werden. Demgegenüber betont Pf. Keppler: Auch mich treibt die Not des Seelsorgers hierher. Es ist viel geschäftliche Mache im Geistigen. Die Schuld der Kirche ist, dass es an religiöser Gemeinschaft für Gebildete neben der für sie meist unzureichenden Gemeinschaft fehle. Frau Hasselblatt: Es sind Realitäten anzuerkennen, aber nur solche negativer Art. Ein religiöses Bedürfnis ist vorhanden, aber es wird ihm ein falsches Ziel gegeben. Statt: wie erlange ich einen gnädigen Gott? Wie erlangt man Erkenntnis höherer Welten? Frau Hasselblatt weiß von einer gebildeten anthroposophischen Dame Berlins, die auf der Floradiele Nackttänze vollführt, um mit Christus zu verschmelzen. Jeremias hebt das Positive in der Anthroposophie hervor. Liberale Theologen werden durch sie gefördert, es fehlt uns die Meditation. D. v. Rohden will lieber allzu gerecht als ungerecht sein. Man muss auch den Anthroposophen nicht nur entgegentreten, sondern auch entgegenkommen. Steiners Persönlichkeit ist nicht eindeutig, sondern kompliziert, bis auf weiteres müssen wir sie für sittlich halten. Auch Leese (p. 119) und Gennrich (p. 11) anerkennen in ihren Schriften das Positive.

Nun kam das wichtigste Referat von Dr. Heinrich Goesch (Lichtenrade) über:

«Steiners Persönlichkeit». Goesch ist durch psychologische Experimente und Beschäftigung mit dem Okkultismus zu Steiner gekommen und wurde sehr bald in den esoterischen Kreis aufgenommen. In den engeren Kreis wurde er schließlich trotz vielfacher Versprechungen nicht zugelassen. Zur Begründung hat Steiner ihm öfters die bezeichnende Antwort gegeben: «Sie müssen noch präpariert werden.» In 5 bis 5 1/2 Jahren lernte er alles kennen, einiges ergänzten Freunde. In Dornach kam er endlich zur Besinnung, als er merkte, Steiner lügt. Es hat dann lange Zeit und Anstrengung gekostet, in sich die Spuren der Meditation auszulöschen, die er jahrelang mit Fleiß geübt hatte; sie stellten sich anfangs immer von selbst ein. Goesch hat heute kein persönliches, nur ein sachliches Interesse. Er machte auch auf allen Versammlungen einen nicht im geringsten fanatischen, sondern sachlich ruhigen Eindruck und sprach sine ira et studio. –

Nach Goesch gilt es, vor allem Grundsätzliches zu unterscheiden zwischen Okkultismus überhaupt, dessen Phänomene ihm aus eigener Erfahrung als real feststehen, wenn auch ihre Bedeutung für die Religion zunächst ebenso irrelevant ist wie etwa neue naturwissenschaftliche Resultate, und Steiners Anthroposophie. Um letztere zu beurteilen, muss man Steiners Person in die Debatte ziehen; denn die Apparate des Hellsehers, deren Zuverlässigkeit nachzuprüfen ist, liegen ausschließlich im Menschen. Auch Steiner selbst erkennt das an, wenn er etwa sagt, ohne Wahrhaftigkeit würden die astralen Organe ruiniert. Steiner hat uns nicht dem echten Okkultismus nahegebracht; er hat nur die Konjunktur gerochen, sein Wesen aber verfälscht. Der Okkultismus ist ihm nur Köder.

Ähnlich wie Frau Hasselblatt kommt Goesch zu dem Ergebnis, dass Steiner einem sogenannten Willensteufel, Asura, dient, dem dritten in der Reihe der anthroposophischen Teufel, über welchen allein keine Aussagen in der anthroposophischen Geheimlehre gemacht werden. (Der erste, Luzifer oder Dämon, gilt als harmloser Gefühlsteufel, der zweite, Ahriman-Satan, als Teufel der schwarzen Magie, auch hier wieder die Methode, den Verdacht von seiner Person abzulenken. – Asura wird mit dem kosmischen Christus gleichgesetzt.) Nach Goesch ist es ganz verfehlt, wenn man Steiner ergründen zu können meint. Nur in einem ist er sich immer gleich geblieben: im bloßen Konstruieren und Systematisieren von Begriffen; er schaut an Sachen und Menschen vorbei. Vor seiner theosophischen Zeit knüpfte er seine Begriffe an historische Persönlichkeiten wie Goethe und andere an, nachher an Engelwesen und Menschliches; durch letzteres hat er das Interesse für seine Sache verstärkt. Im Grunde handelt es sich nach wie vor für Steiner nicht um die betreffenden Dinge und Personen, sondern lediglich um seine eigenen Begriffe und seine eigene Person. Eine lange «präparierte» Anhängerin, welche auch die «Hingabe des Herzens» vollzogen hat, ein Fräulein Petersen in Kopenhagen, hatte einmal eine Vision, in der Steiner und seine Frau ihr letztes Ziel offenbaren mussten: Im nächsten Aon wollen sie einen neuen Planeten abspalten und auf ihm über alle in diesem Äon von ihnen Eingefangenen und Ent-ichten herrschen (!). Wenn man solches den Anthroposophen sagt, kann man vielleicht den einen oder anderen aufrütteln oder bekehren. Nur ganz wenige freilich können sich von dem Bann freimachen, wenn sie einmal in ihn hineingezogen sind.

In der Aussprache erklärt Ritter, dass das soeben Gehörte ihm den Schlüssel, auch für Rittelmeyers rätselhafte Entwicklung gäbe, die er seit 2 ½ J ahren im Umgang mit ihm beobachtet habe. Auffallend war zum Beispiel, dass er in einer Zeit, wo er keinerlei Gemeindearbeit wegen seiner Krankheit tun konnte, doch Aufsätze über Anthroposophie schrieb. Nach seiner Rückkehr aus dem Süden fand Ritter ihn, den er vorher geschätzt und verehrt hatte, völlig verändert. In Gesprächen war er unlogisch, wich ernsten Wahrheitsfragen aus, bog sie ins Lächerliche ab. Er gab offen zu, dass man die Kontinuität der Persönlichkeit in der Anthroposophie preisgeben müsse, man finde sich ja dann in einer neuen und besseren Art wieder. Als Ritter ihm nach dem anthroposophischen Hochschulkurs erklärte, Steiner habe geradezu abstoßend auf ihn gewirkt und theologischen Unsinn gesprochen, sagte er nur: «Das liegt an Ihnen. Zunächst ist es mir auch so gegangen, aber in persönlicher Berührung verschwindet dieser Eindruck. Man muss nur auf die Hintergründe, aus denen dies gesagt wird, zurückgehen. Nur wenn man immerzu darüber nachdenkt, kann man zur Wahrheit kommen.» Ritter hält Rittelmeyer jetzt eines Urteils und einer sachlichen Kritik für unfähig. Solche demagogischen Mittelchen, wie er sie zu m Beispiel am 10. Mär z in seinem Schlußwort gegen Tillich und Schweitzer angewandt hat, wären früher diesem feinen Menschen unmöglich gewesen.

Zur sexuellen Frage bestätigt er, dass auch ganz reine Frauen in Steiners Nahe einen geradezu physischen Ekel empfinden. Leese wundert sich, dass die aus Anthroposophen bestehende Schauspielergruppe von Haass-Berkow trotzdem einen so reinen innerlichen Eindruck macht. Jeremias macht folgende Einwände: Goesch scheint ihm durchaus vertrauenswürdig, aber Steiner behauptet eben, jenseits von Gut und Böse zu stehen. «Nur der Betrachtende hat Gewissen.» Er fragt: Hat Steiner jene Sexualmagie um seinetwillen oder um der Frauen willen getrieben? Er will nicht den advocatus diaboli spielen, auch er glaubt nicht daran, dass sich auf Erden der Egoismus auf diesem Gebiet ausschließen lasse, auch nicht durch die von Steiner offenbar betriebene Askese. Auch eine unreine Posaune kann einen guten Ton geben (!).

Demgegenüber weist Dr. Schweitzer auf die Konsequenz von Jeremias gestern selbst getaner Äußerung hin: «Nur ein reines Herz kann Gott schauen» und «Das einzige Kriterium der Anthroposophie ist die Vertrauenswürdigkeit ihres Führers». Hier gilt nur noch ein Entweder-Oder! Pf. Keppler meint, die Anthroposophen, die eine Vertiefung ihres Christentums zu erleben meinen, erleben in Wahrheit nichts Anthroposophisches, sondern etwas Christliches, was in ihnen bisher geschlummert hatte. Werdermann hält Steiners Un-Wahrhaftigkeit für nicht bewiesen. Andere große Männer wie Rousseau oder Mohammed lassen sich auch nicht so reinlich durchleuchten. Goesch sagt in seinem Schlußwort: Der Unterschied zwischen Steiner und Christus, auf dessen hypnotische Macht sich Leese berufen wollte, ist der, dass Steiner das Bewusstsein des anderen bricht und rein negativ wirkt, während Jesus zur Freiheit führt. Das sittliche Pathos wird nur in den unteren Graden, auf die es berechnet ist, ernst genommen, in den oberen belächelt. Der Schauspieler Haass hat auch stark hypnotische Kräfte. Seine Spiele sollen bestimmte Menschen, namentlich unter der Jugend, anlocken, welche gerade dieser Seite zugänglich sind.

Im übrigen gilt auch hier: man mästet erst die Kälber, bevor man sie schlachtet.

Gerade sittlich tüchtige Menschen werden gern von Steiner benutzt. Auch die Sexualmagie ist ihm nicht letzter Zweck, sondern Mittel zur Ent-ichung seiner Opfer. Steiner will eben mit allen Mitteln seine Macht entfalten – darum vertritt er auch seine Sache scheinbar schlecht;  – so enthält der erste Vortrag in einem Zyklus meistens eine Unsumme von Unsinn ohne Zusammenhang, aber für jeden der zugänglichen Hörer doch einen Brocken, der ihn nach mehr begierig macht.

Stadtpfarrer Keppler berichtete über die «Gefahren der Anthroposophie für die Kirche». Er hat sie in der schwäbischen Industriestadt Heidenheim mit 18000 Seelen seit 4 Jahren gründlich kennengelernt. Heidenheim ist anthroposophisch völlig verseucht, geradezu eine Hochburg der Anthroposophie. Das Gemeinde- und Wirtschaftsleben sowie das Schulwesen ist anthroposophisch zu gestalten versucht worden. Seine Leitsätze lauten:

1. Bei ihrer ungeschichtlichen Einstellung hat die Anthroposophie kein Verständnis für die geschichtlich gewordene Volkskirche und untergräbt grundsätzlich das kirchliche Ansehen und den kirchlichen Einfluß.

2. Die Anziehung, die die Anthroposophie auf weite Kreise von Suchenden in den Reihen der Gebildeten, der Arbeiterschaft und der Jugend besitzt, führt mit innerer Notwendigkeit zur Entfremdung oder Bruch mit der Kirche, was einen späteren Blutverlust für die Volkskirche bedeutet.

3. Die anthroposophische Bewegung wird Schrittmacherin für den Kirchenaustritt. Ist ihre allmähliche Umbildung zur Sektenkirche abgeschlossen, so wird sie an Kirchenmaß den anderen nicht nachstehen.

4. Der Anspruch der Anthroposophie, den Ungedanken einer überkonfessionellen Religion verwirklicht zu haben, bringt eine Erweichung des evangelisch- kirchlichen Bewusstseins mit sich, die in einer Zeit neuer Kraftentfaltung Roms von verhängnisvoller Wirkung sein kann.

5. Die ästhetische Anschauungs- und Denkweise der Anthroposophie mindert auch die religiöse Gedankenwelt der evangelischen Kirche in ihrer geistigen Wirklichkeit herab.

6. Die Irreführung des religiösen Interesses durch die Anthroposophie bringt auch dem inneren Leben der evangelischen Kirche empfindliche Schädigung, sofern verkehrte Bedürfnisse in ihr erwachen und, befriedigt oder unbefriedigt, eine gesunde evangelische Frömmigkeit verderben.

7. Die Verkehrung der sittlichen Beweggründe und Ziele bei der Anthroposophie schädigt in ihrer Rückwirkung auch die evangelische Sittlichkeit.

8. Die Unsachlichkeit der anthroposophischen Kampfführung infolge ihrer krankhaften Überempfindlichkeit macht den Kampf der Kirche mit der Anthroposophie zu einer nicht geringen Schwierigkeit. Schonung oder Angriff können ungünstige Rückwirkungen auf das äußere und innere Leben der Kirche haben. Wer sagt, die Anthroposophie bedeute keine Gefahr für die Kirche, sie stehe nur auf zwei Augen, man könne und müsse sie gewähren lassen, da sie auch allerlei Gutes enthalte, weiß nicht, wie groß der Schaden ist. Zwar ans Leben der Kirche wird sie schwerlich gehen; dazu fehlt es ihr letztlich an religiöser Kraft. Mit Fanatismus und Geld macht man doch nicht alles. In der Polemik bekämpft die Anthroposophie genau wie die Freidenker evangelische und katholische Kirche als die Kirche. Als Keppler einmal in einer Zeitungsfehde den persönlichen Willenscharakter der Sünde verteidigte, hieß die Widerlegung einfach: «Das ist eben kirchliche Anschauung.»

Die autoritative Art Steiners und seiner Lehre wirkt auf zweifelzerrissene Seelen fraglos anziehend. Bald wird es heißen: Anthroposophie oder Kirche! Sobald die Parole ausgegeben wird. In Heidenheim hat der Führer der Anthroposophen bereits den Schnitt vollzogen. Dort wird ein anthroposophischer Tempel demnächst vollendet, schon jetzt steht ein anthroposophischer Pfarrer bereit, ein früherer Theologe. Schon jetzt ersetzt man die Kirche durch Zusammenkünfte im kleinen Kreise, in dem man eins der Evangelien oder auch Goethe liest, eurythmisch tanzt, zeichnet, musiziert. (Ein Beweis, dass uns vielleicht nichts so sehr in der Kirche fehlt wie neue Gemeinschaftsformen für Gebildete.) Anthroposophische Taufen mit den Symbolen Asche, Salz und Wasser sowie entsprechende Abendmahlsfeiern und anderes werden bald keine Seltenheit sein, und wir haben eine Gegenkirche mit der bekannten Sektenleidenschaft gegen die verachtete Weltkirche. Vielgewandt weiß sich die Anthroposophie dem modernen Menschen als moderne, überkonfessionelle Religion, dem Arbeiter als Sozialismus und so weiter darzustellen, und dabei wird Rom immer mächtiger! In Heidenheim selbst wurden 1921 aus gemischten Ehen 14 Kinder evangelisch und 20 katholisch getauft, obwohl  7/8 der Bevölkerung evangelisch sind.

Die Bibel wird verkehrt und unnatürlich gelesen. Es ist ein ästhetisches, kindisches Spiel und doch gefährlich, kann man doch seine Seele verspielen. Man kann darüber streiten, ob die Anthroposophie diesen oder jenen Punkt erhellt hat, der früher zu gering geschätzt wurde; verhängnisvoller ist aber der Schaden, indem Nebensache zur Hauptsache werden und die Hauptfragen wie Sünde, Gnade, Jesus Christus verdunkelt werden. Die scheinbar sittlichen Gedanken blenden. Auf die Gedanken und Richtlinien kommt es nicht an, sondern auf das Bild, welches sich zeigt, wenn diese Gedanken ineinander gefügt sind. Dann werden die christlichen Gedanken zum Flitter auf einem ganz anderen, nämlich indischen Gewande. Eine besondere Gefahr bedeutet Rittelmeyer, der um so gefährlicher ist, als bei ihm die Anthroposophie das Läppische zum Teil abgestreift hat. Eine Verständigung mit den Anthroposophen gibt es nie, weil sie eben immer Recht haben, auch wenn wir das anthroposophische Lehrgebäude besser kennen als seine Verfechter. Und doch ist der Kampf notwendig. Den Sieg behält letzten Endes der Geist.

Frau Hasselblatt ergänzt die Ausführungen in einem Koreferat. Wie sie mit eigenen Augen gesehen hat, stürzen sich die Anthroposophen gerade auf evangelische Pfarrer. Ebenso ist ihr Einfluss auf die Jugend nicht zu unterschätzen, deren Bedürfnis nach Mystik sie stark entgegenkommt. Hier liegt ein Versäumnis der Kirche vor. Hat die Kirche es nicht zum Teil selbst verschuldet, dass ihr die Anthroposophie zur Gefahr geworden ist? Vor allem muss man es den evangelischen Predigten mehr anmerken, dass wir eine frohe, nicht langweilige Botschaft zu verkünden haben. Endlich muss alles an Parteipolitik Anklingende aus den Gottesdiensten verschwinden.

Goesch hat Steiners Lebensgeschichte bis in ihren unaufgeklärten Ursprung zurückverfolgt. Dabei haben sich unter anderem folgende Merkwürdigkeiten ergeben:

[Die nun folgenden Angaben Goesch’s strotzen von Ungenauigkeiten und böswilligen Verleumdungen. Vgl. Rudolf Steiner, «Mein Lebensgang» GA 28; «Zur Geschichte und aus den Inhalten der Esoterischen Schule 1904-1914», GA 264 und 265; ferner «Probleme des Zusammenlebens in der Anthroposophischen Gesellschaft» (Goesch-Krise), GA 253.]

Bei seiner Doktorpromotion hat er seine vita nicht, wie üblich, mit veröffentlicht. Seine vielgerühmte wissenschaftliche Tätigkeit als Goetheforscher wird von Fachleuten wie Semper stark in Frage gezogen; zum mindesten leidet sie an Inkorrektheit. Fest steht, dass er früher trunksüchtig war. Von der Trunksucht hat ihn seine Haushälterin, die er dann heiratete, geheilt. Wahrscheinlich hat er eine jesuitische Schulung durchgemacht, obwohl er es bestreitet. Jedenfalls kennt er «Interna» der Jesuiten, und in der anthroposophischen Buchhandlung Berlin, Motzstraße, hängt unter den «großen Eingeweihten» das Porträt eines Jesuitenpaters. 1905 erfolgte der Anschluss an die internationale Freimaurerei, und zwar den O.T. O. (Ordo Templi Orientis), einen von dem französischen Großorient anerkannten Andreasorden mit schottischem Ritus, der nur höhere Grade umfasst. Damals wurde zwischen dem Emissär jenes Ordens, Theoder Reuß, einem anglisierten Deutschen, und Steiner beziehungsweise dessen späterer zweiter Frau, Fräulein von Sivers, ein Vertrag geschlossen, wonach Steiner für das empfangene Lehrgut eine jährliche Tantieme zu zahlen hatte (!). Steiner wurde auch in die esoterische Schule der Besant aufgenommen, was er auch bestreitet.

Goesch selbst machte die Erfahrung, dass Steiner ihm schon nach einer Woche einen «Raben» schickte, mit der Anfrage, ob er in den Orden aufgenommen werden wolle. Da er antwortete, er hoffe, dessen würdig zu werden, wurde er nicht aufgenommen. Später stellte er fest, dass nur besonders Ehrgeizige, Leute also mit unreinen Willenskräften, die Steinersche Kerngemeinde bilden dürfen. In dem O. T. O. wird das getrieben, was Wedekinds «Hidallah» darstellt: die unteren Grade wissen nicht, dass oben jede Schwester jedem Bruder zur Verfügung zu stehen hat. Über Steiners eigene Praxis ist schwierig etwas festzustellen; er hat auch das sexuelle Gebiet auf den Astralplan verlegt.

Goesch führt sechs genau beschriebene Einzelfälle an, in denen Steiner und seine Frau sexuelle Magie auf andere Frauen und Mädchen ausgeübt haben. Einige davon sind 1917 in den «Psychischen Studien» veröffentlicht, aber von anthroposophischer Seite nie aufgeklärt worden. Diese schwarzmagischen Attentate arbeiten zum Beispiel mit wollusterregenden Meditationen, mit hypnotischen Traumvorstellungen, mit posthypnotischen Aufträgen.

Die Zeugen werden zwar von anthroposophischer Seite gern als hysterisch abgelehnt, es sind aber ganz vernünftige beziehungsweise wieder vernünftig gewordene Menschen, darunter Männer, und die nachträglich als hysterisch bezeichneten Frauen haben vorher höchste Grade im Steinerkreise bekleidet. Unter anderem wachte eine Dame nach dreiviertelstündigem Gespräch mit Steiner, bei dem von dem eigentlichen Gegenstand nicht die Rede war, nachts misslaunig auf, rieb sich das Gesicht und hatte das Gefühl von etwas Widerwärtigem. Sie hatte geträumt, sie sei von Steiner auf das ganze Gesicht geküsst worden, nur nicht auf den Mund. Als sie am nächsten Tage in den engeren Kreis kam, wurde sie von den Steineranhängerinnen zum ersten Mal wie eine der ihrigen empfangen. Was diese Dame träumte, ist einer anderen später unabhängig davon tatsächlich von Steiner geschehen. Es handelt sich nach Goesch um einen posthypnotischen Auftrag.

Oder eine andere Dame, die mit Steiner zu reisen und, angeblich zum Schutze seiner Aura, im Nebenzimmer im Hotel zu schlafen pflegte, war einmal ausnahmsweise erst nach zwölf Uhr zu Bett gegangen. Am nächsten Morgen redete Steiner sie mit den Worten an: «Sie sind ja gestern so spät gekommen.» (!) Diese Dame ist zur Zeugenschaft bereit. Im ganzen bezeichnete Goesch diese Seite der Sache als Blocksberg und Hexenwesen. – Dann belegte Goesch seinen Vorwurf der Unwahrhaftigkeit zum Beispiel anhand der von Steiner abgeleugneten Änderungen wichtiger Sätze in seiner «Philosophie der Freiheit» in der zweiten Auflage. Nur unter Suggestion kann Rittelmeyer behaupten: «Es gibt kein ernsthaftes Argument für Steiners Unwahrhaftigkeit, das auch nur einer Erwiderung bedürfe.» Typisch sind alle Verteidigungen von Anthroposophen gegen solche Angriffe, welche stets um den Kern herumreden, Nebensächliches herauskehren.

Auch Steiner selbst lenkt gern die Aufmerksamkeit von schwachen Stellen seines Systems bewusst ab; zum Beispiel wenn er in einem öffentlichen Vortrag sagt: «Gehen Sie doch einmal in die großen Berliner Säle, und sehen Sie, wie das Publikum ohne eigenes Urteil sich von dem Vortragenden etwas suggerieren lässt.» (sic!) Über Erfahrungen mit der Steinerschen Hypnose, die nur einen Teil der alten Magie darstellt, berichtet Goesch: Als der «Rabe» seinerseits das zweite Mal zu ihm kam, um ihn zu fragen, ob er in den Freimaurerorden aufgenommen werden wolle, hatte er das Bestehen des Ordens vollkommen vergessen, was sich bei seinem sonst ausgezeichneten Gedächtnis nur auf hypnotische Wirkung zurückführen lässt. Als nach einiger Zeit ein anderer ihn nach dem Orden fragte, bestritt er seine Existenz, und es wurde ihm erst hinterher klar, damit eine grobe Unwahrheit ohne Überlegung automatisch gesagt zu haben, in der Meinung, damit ein gutes Werk zu tun.

Steiners Haupttrick ist sein Händedruck, bei dem sich die Zentren der beiden Hände berühren müssen. Von ihm gehen zweifellos starke Kräfte aus. Wenn Steiner in einen Saal kommt, schnuppert er förmlich nach Menschen, die er beherrschen kann, stürzt sich auf diese und drückt ihnen die Hand. Seine Schülerinnen lechzen nach solchen Händedrücken. Goesch erlebte noch folgendes: Nachdem er sich in Dornach bereits von Steiner losgelöst hatte, kam er von einer kurzen Begegnung mit Steiner nach Hause zu seiner Frau. Da wusste er von den Ereignissen der letzten Woche und seinem Bruch mit Steiner nichts mehr. Seine Frau und er verstanden sich nicht mehr, bis sie ihm langsam die Erinnerung an das Geschehene wieder zurückrief. Durch solche Mittel trennte Steiner Ehen. Auch wer Briefe von Steiners Hand empfängt, ist nicht sicher vor hypnotischer Beeinflussung.

Aber wie sollen wir die Anthroposophie bekämpfen?

a. Polemisch

1. Nicht mit Schlagwörtern oder durch bloße Lächerlichmachung, sondern aus genauer Kenntnis, wenn auch bisweilen eine gewisse grobe Kampfesart angebracht ist.

2. Es gilt Aufklärungsarbeit über das wahre Wesen der Anthroposophie und ihres Begründers zu organisieren, wobei natürlich die Gefahr besteht, Nichtkenner auf sie aufmerksam zu machen.

3. Die Aufklärungsarbeit muss nicht in breiter Öffentlichkeit beginnen, sondern bei den Universitäten (Professoren und Studenten) und auf Kursen für Pastoren.

4. Der Plan eines Religionsgespräches mit Anthroposophen ist auf Grund unserer Konferenz aufgegeben worden, nicht nur, weil die Einheitsfront der Evangelischen nicht geschlossen genug ist, sondern auch, weil die Gegner unbelehrbar sind und mit suggestiven Gegenwirkungen arbeiten.

5. Die drei von Rittelmeyer empfohlenen Prüfungsmöglichkeiten – durch den denkenden Verstand, durch forschende Wissenschaft, durch Erfahrung – führen uns nicht weiter, denn einzelne Resultate, vorausgesetzt, dass man ihre Richtigkeit nachprüfen kann, können an unserer Grundeinstellung nichts ändern. Bisher haben die Anthroposophen alle von nichtanthroposophischer Seite gemachten Prüfungsvorschläge, auch die nicht experimentell-psychologischen, zum Beispiel Hauers, stets ignoriert.

6. Nach Vorschlag von Lic. Peters (Hannover) wäre zu überlegen, ob nicht eine geschickte satirische Schrift, etwa in der Art von Stapels kleinem Aufsatz, also nicht in Form eines Pamphlets, ein wirksames Mittel zur Bekämpfung böte.

7. P. Priebes Plan, ein Sammelwerk herauszugeben, etwa mit dem Titel: «Vom Lebenswerk Rudolf Steiners, 2. Band», ist ernstlich ins Auge zu fassen.

b. Wichtiger noch als alle Polemik ist positive Überwindung. Wir brauchen

1. eine bessere Wissenschaft, und zwar eine neue Erkenntniskritik im Sinne Brunstädts, die uns zugleich Wege zu dem ersehnten Naturuniversalismus zeigt, aber auch zum Beispiel eine neue Psychologie und Theologie;

2. eine stärkere Kraft mutigen evangelischen Glaubens und aus ihm heraus eine großzügige Evangelisation.

3. Wir brauchen seelsorgerliche Kräfte, welche auch an Anthroposophen und solchen, die es werden wollen, arbeiten können.

4. Wir brauchen ein neues Kirchenbewusstsein, neue Gemeinschaftsformen, besonders auch für Gebildete, denen die «Gemeinschaften» zu eng sind.

Es gilt einen Kampf auf Tod und Leben, die Seite wird siegen, die sich vom Heiligen Geist leiten lässt.


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