Zuletzt aktualisiert am 10. April 2024.
Matthias Guericke behandelt in seinem Artikel »Grundrechtsdämmerung in der Coronakrise« die Erosion der Justiz während der Corona-Jahre. Der Artikel ist zuerst auf der Seite des Netzwerks Kritische Richter und Staatsanwälte erschienen. Er wird hier mit freundlicher Genehmigung des Verfassers mit leicht verändertem Titel republiziert (siehe den Nachweis am Ende des Artikels).
Grundrechtsdämmerung in der Coronakrise
Gastbeitrag von Matthias Guericke
Vorbemerkung
Die Frage, wie das, was in der Corona-Krise politisch und gesellschaftlich passierte, möglich war, angefangen von den Lockdowns bis hin zur gezielten Ausgrenzung von Menschen, die sich nicht einer mRNA-Injektion unterziehen wollten, hat diejenigen, die mit »den Maßnahmen« nicht konform gingen, von Anfang an nicht nur beschäftigt, sondern geradezu bedrängt. Je beklemmender und albtraumhafter die Realität war, umso notwendiger erschien das Verstehen. In inzwischen unzähligen Artikeln und Videos, in Büchern und Filmen wurde und wird versucht, Antworten auf diese Frage zu geben.[1] Oft werden dazu auch Texte der Vergangenheit befragt. Dies konnte auch jedermann selbst tun, denn zumindest George Orwells »1984« hatten viele in ihrem Bücherschrank stehen.
Auch wenn diese Erklärungsversuche oft nur Teilaspekte der Realität betreffen oder aus anderen Gründen fragmentarisch bleiben, haben sie inzwischen einiges Licht ins Dunkel bringen können. Dies alles ist ein unabgeschlossener Prozess, zumal die Erklärungen sich nicht selten widersprechen. Auch dieser Beitrag beschäftigt sich nur mit einem Teilaspekt und zwar mit der Frage, wie das Versagen der Justiz,[2] insbesondere der Verwaltungs- und Verfassungsgerichte in der Corona-Krise zu erklären ist.[3]
An mehreren Stellen werden den Thesen scheinbar unvermittelt Zitate aus »Zur Kritik der instrumentellen Vernunft« von Max Horkheimer und »Dialektik der Aufklärung« von Horkheimer und Theodor Adorno gegenübergestellt, zwei Schlüsselwerken der Kritischen Theorie, einer sozialphilosophischen Schule, die ihre Anfänge in den 1930er Jahren in Frankfurt am Main hatte.[4] Obwohl die beiden Werke bereits vor über 70 Jahren veröffentlicht wurden,[5] erscheinen einzelne Passagen wie direkt in unsere Zeit hineingeschrieben. Dieser Eindruck ist keine Illusion. Die Analysen der modernen Gesellschaft von Horkheimer und Adorno sind nach Meinung des Autors dieser Zeilen tiefgehender und hellsichtiger als die allermeisten gegenwärtig angebotenen Erklärungen und daher, auch wenn die Gesellschaft sich seither erheblich verändert und gewandelt hat, nach wie vor von großer Aktualität.[6] Die Zitate von Horkheimer und Adorno sollen als Kommentare aus der Vergangenheit die Plausibilität der aktuellen Thesen verstärken und begründen. Dabei sind sie aus sich heraus verständlich, man muss die beiden Bücher also nicht lesen, um sie zu verstehen, es genügt, wenn man sich nicht von der anspruchsvollen Sprache abschrecken lässt. Dennoch soll zum besseren Verständnis der Grundgedanke von »Zur Kritik der instrumentellen Vernunft«, dem Werk, dem die meisten Zitate entnommen sind, hier kurz skizziert werden:
Horkheimer unterscheidet die subjektive Vernunft einerseits, die er auch instrumentelle oder formalisierte Vernunft nennt, und die objektive Vernunft andererseits. Die subjektive Vernunft ist für ihn ein Vermögen des Menschen, es ist »die Fähigkeit der Klassifikation, des Schließens und der Deduktion, ganz gleich, worin der besondere Inhalt besteht – das abstrakte Funktionieren des Denkmechanismus.« (S. 16) Sie »hat es wesentlich mit Mitteln und Zwecken zu tun, mit der Angemessenheit von Verfahrensweisen an Ziele, die mehr oder weniger hingenommen werden und sich vermeintlich von selbst verstehen.« (S. 16) Demgegenüber steht eine Ansicht, die »das Dasein der Vernunft als einer Kraft nicht nur im individuellen Bewußtsein, sondern auch in der objektiven Welt« behauptet. Auf diese Idee der objektiven Vernunft waren philosophische Systeme wie die von Platon und Aristoteles, die Scholastik und der deutsche Idealismus begründet. (S. 17) Die Welt wird dabei als eine – durch die Philosophie erkennbare – vernünftige Ordnung vorgestellt. Horkheimer beschreibt das wie folgt: »Der Grad der Vernünftigkeit des Lebens eines Menschen konnte nach seiner Harmonie mit dieser Totalität bestimmt werden. Deren objektive Struktur, und nicht bloß der Mensch und seine Zwecke, sollte der Maßstab für individuelle Gedanken und Handlungen sein. Dieser Begriff von Vernunft schloß subjektive Vernunft niemals aus, sondern betrachtete sie als partiellen, beschränkten Ausdruck einer umfassenden Vernünftigkeit, von der Kriterien für alle Dinge und Lebewesen abgeleitet wurden.« (S. 17 f.) Dieses philosophische Konzept sollte dann seit der Renaissance Religion und Theologie ersetzen, die die Welt als Schöpfung Gottes und damit ebenfalls als eine vernünftige Ordnung verstehen. Spinoza etwa, ein Philosoph des sog. Rationalismus, dachte, dass die Einsicht in das Wesen der Wirklichkeit, in die harmonische Struktur des ewigen Universums, notwendig Liebe zu diesem Universum erwecken würde. (S. 27 f.)
Zwar gab es das Gegenüber von subjektiver und objektiver Vernunft nach Horkheimer schon seit der Antike. Allerdings hat – und dies ist die grundlegende These des Buches – das Konzept der objektiven Vernunft seit dem philosophischen Rationalismus und dem deutschen Idealismus in einem längeren Prozess mehr und mehr an Boden verloren, bis es in der Gegenwart seine Überzeugungskraft gänzlich eingebüßt hat. Es bleibt allein die subjektive Vernunft. Diese aber kann keine Zwecke bestimmen, sie kann nur Mittel für vorgegebene Zwecke finden. Und da es keine Kraft mehr gibt, die Zwecke setzen kann, werden nach Horkheimer auch Ideen wie Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit, Glück sinnentleert. Am Ende bleibt nur noch das reine Selbstinteresse, die Selbsterhaltung:
»Die Maschine hat den Piloten abgeworfen; sie rast blind in den Raum. Im Augenblick ihrer Vollendung ist die Vernunft irrational und dumm geworden. Das Thema dieser Zeit ist Selbsterhaltung, während es gar kein Selbst zu erhalten gibt.« (KiV, S. 146)
Thesen
1. Die Coronakrise war ein moralischer Zusammenbruch von Staat und Gesellschaft. Ein moralischer Zusammenbruch deshalb, weil die Politik totalitär wurde und die Mehrheitsgesellschaft dies – weitgehend – widerspruchslos hinnahm, wenn nicht sogar begrüßte und forderte.
Das Adjektiv »totalitär« ist für die Beschreibung der Coronapolitik nicht nur angemessen, sondern notwendig.[7] Die massivsten Grundrechtseingriffe in der Geschichte der Bundesrepublik bestanden in einem Zugriff des Staates auf das Leben der Gesellschaft und des Einzelnen, der total war. Bis in die Wohnzimmer hinein wurde in das Leben der Menschen mit Verboten und Geboten eingegriffen, die nur wenige Monate zuvor in der Bundesrepublik für unvorstellbar gehalten wurden. Für den über Nacht scheinbar zum obersten Staatsziel aufgestiegenen Infektionsschutz war alles möglich, von Kontaktverboten über ein Verbot der Religionsausübung und Anordnungen zur Quarantäneabsonderung von Kindern innerhalb der eigenen Familie bis hin zum Verbot, Sterbende zu besuchen. Alles ohne jede Rücksicht auf die damit verbundenen Kollateralschäden. Auch bei der Durchsetzung der Maßnahmen machte der Staat deutlich, dass die Zeit, in der nach dem Maß gefragt wurde, jetzt vorbei war. Schließlich reichte es auch nicht aus, sich an »die Regeln« zu halten, es wurde erwartet, dass die Menschen sich mit Enthusiasmus und Leidenschaft in eine Volksbewegung oder besser: Volkserhebung gegen das Virus einreihten. Wenn eine solche Politik nicht totalitär zu nennen ist, dann sollte das Adjektiv »totalitär« besser ganz aus dem Sprachgebrauch gestrichen werden.[8]
2. Diese Politik war möglich, ohne dass die Mehrheitsgesellschaft rebellierte. Zwar gab es eine Minderheit von sog. Corona-Kritikern, diese konnte aber durch Sanktionen und faktische Nachteile bis hin zum Verlust der beruflichen Existenz, durch Versammlungsverbote, Polizeigewalt (hier und hier) und eine in der Bundesrepublik beispiellose Diffamierungskampagne durch Medien, Vertreter der gesellschaftlichen Öffentlichkeit und Politiker in Schach gehalten werden. Der brachialste Versuch, die Minderheit der Gehorsamsverweigerer den Totalitätsansprüchen der Corona-Politik zu unterwerfen – die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht – scheiterte nur knapp, ihre Agitatoren mussten sich mit einer Impfpflicht für die Angehörigen der Gesundheitsberufe und der Bundeswehr zufriedengeben. Schlimm genug. Die Demokratie schien zur Diktatur der Mehrheit über die Minderheit geworden.
»Das Mehrheitsprinzip ist in der Form allgemeiner Urteile über alles und jedes, wie sie durch alle Arten von Abstimmungen und modernen Techniken der Kommunikation wirksam werden, zur souveränen Macht geworden, der das Denken sich beugen muß. Es ist ein neuer Gott, nicht in dem Sinne, in dem die Herolde der großen Revolutionen es begriffen, nämlich als eine Widerstandskraft gegen die bestehende Ungerechtigkeit, sondern als eine Kraft, allem zu widerstehen, das nicht konform geht. (…) Je größer das Ausmaß wird, in dem wissenschaftliche Propaganda aus der öffentlichen Meinung ein bloßes Werkzeug finsterer Mächte macht, desto mehr stellt die öffentliche Meinung sich als Ersatz für die Vernunft dar. Dieser scheinbare Triumph des demokratischen Fortschritts zehrt die geistige Substanz auf, von der die Demokratie lebt.« (KiV, S. 44)
3. Die Grundrechte wurden von der Corona-Politik geradezu weggepustet. Wenn die Bundeskanzlerin öffentlich erklärte, die gerade beschlossenen neuen Maßnahmen seien »geeignet, notwendig und verhältnismäßig«, hatte man den Eindruck, sie würde pflichtschuldig ein Mantra aufsagen, dessen Sinn sie nicht verstand, der sie aber auch nicht interessierte. Dass die Legislative bei der Gesetzgebung und die Exekutive bei dem Erlass von Rechtsverordnungen die Verfassung zu beachten haben, schien manchen Äußerungen von Politikern nach keineswegs mehr selbstverständlich zu sein. War für die Verfassung nicht das Bundesverfassungsgericht zuständig? Dieses würde sich schon melden, wenn etwas mit den Gesetzen und Verordnungen nicht in Ordnung sein sollte!
Angesichts der Ruppigkeit, mit der die Politik mit dem Grundgesetz umging, hätten die Richter, deren Aufgabe es war, die Corona-Gesetze und -Verordnungen am Maßstab des Grundgesetzes zu prüfen, schockiert sein müssen. Empörung und ein vitaler Impuls, die Grundrechte gegen diese beispiellosen Angriffe zu verteidigen, war das mindeste, was man von ihnen hätte erwarten müssen. Aus der Rechtswissenschaft gab es immerhin, vor allem zu Beginn der Corona-Krise, einige Wortmeldungen, die Empörung erkennen ließen.[9] Die Justiz dagegen war, von wenigen Einzelfällen abgesehen, ein Totalausfall.[10] In den Senaten der Oberverwaltungsgerichte und der Verwaltungsgerichtshöfe, die über die Corona-Verordnungen zu entscheiden hatten, blieb ebenso wie beim Bundesverfassungsgericht der Schock aus. Auf die totalitäre Corona-Politik, die in den Verordnungen der Bundesländer Gesetz geworden war, wurde von ihnen so routiniert reagiert, als ginge es um business as usual. Die auf Rechtsschutz durch die Justiz hoffenden Antragsteller konnten Argumente auf Argumente türmen, die Gerichte waren damit nicht zu beeindrucken. Argumente wurden teils mit absurden Begründungen zurückgewiesen oder gleich ganz ignoriert. Der Rest wurde mit den Topoi der (nur) »summarischen Prüfung im Eilverfahren« oder des »Beurteilungsspielraums des Verordnungsgebers« oder durch beide im Verbund erledigt. Im Grunde hätte den Gerichten ein Satz gereicht: »Solange die Risikoeinschätzung des RKI bei ›sehr hoch‹ oder ›hoch‹ steht, werden wir keine Maßnahmen aufheben.«[11]
4. Dass der Schock bei den Verwaltungsgerichten ausblieb, kann nicht damit erklärt werden, dass die Richter alle von panischer Angst vor dem Virus ergriffen worden wären und diese Angst eine angemessene Reaktion auf die totalitären Maßnahmen verhindert hätte. Sicher gab es auch Richter, die von massiver Virusangst beherrscht waren, aber wie in der Gesamtbevölkerung war dies keine Mehrheit.[12]
Das Ausbleiben des Schocks lässt sich auch nicht allein durch den – allerdings niemals zu unterschätzenden – Konformismus in der Richterschaft erklären. Konformismus spielte sicher eine sehr große Rolle, aber wenn es nur das gewesen wäre, hätte man den Entscheidungen zumindest vereinzelt anmerken müssen, dass die Richter sich mit der Begründung schwer taten und nicht frei von Skrupeln waren. Dies war aber praktisch nie der Fall.
5. Der Schock angesichts der beispiellosen Grundrechtseingriffe blieb aus, weil die Grundrechte bereits zuvor nicht mehr das waren, wofür sie von vielen, gerade auch Juristen, gehalten wurden. Ihre Substanz war längst ausgehöhlt, ohne dass dies weiter bemerkt worden war. Als dann in der Corona-Krise zum Angriff auf die Grundrechte angesetzt wurde, wurde es offenbar: Die Abwehrrechte gegen den Staat waren kraftlos und deshalb zur Abwehr unfähig. Gewiss, sie standen auf dem Papier wie eh und je und wurden oft im Mund geführt, auch von der Politik. Das Bundesverfassungsgericht als ihr oberster Hüter produzierte Entscheidung um Entscheidung und genoss bis zur Corona-Krise in der Öffentlichkeit einen beinahe makellosen Ruf. Aber von dem, was die Menschenrechte für diejenigen bedeuteten, die sie in vergangenen Jahrhunderten erkämpft und proklamiert hatten, war kaum mehr als eine Ahnung übriggeblieben.
»Was sind die Konsequenzen der Formalisierung der Vernunft? Gerechtigkeit, Gleichheit, Glück, Toleranz, alle die Begriffe, die, wie erwähnt, in den vorhergehenden Jahrhunderten der Vernunft innewohnen oder von ihr sanktioniert sein sollten, haben ihre geistigen Wurzeln verloren. Sie sind noch Ziel und Zwecke, aber es gibt keine rationale Instanz, die befugt wäre, ihnen einen Wert zuzusprechen und sie mit einer objektiven Realität zusammenzubringen. Approbiert durch verehrungswürdige historische Dokumente, mögen sie sich noch eines gewissen Prestiges erfreuen, und einige sind im Grundgesetz der größten Länder enthalten. Nichtsdestoweniger ermangeln sie der Bestätigung durch die Vernunft in ihrem modernen Sinne. Wer kann sagen, daß irgendeines dieser Ideale enger auf Wahrheit bezogen ist als sein Gegenteil? Nach der Philosophie des durchschnittlichen modernen Intellektuellen gibt es nur eine Autorität, nämlich die Wissenschaft, begriffen als Klassifikation von Tatsachen und Berechnung von Wahrscheinlichkeiten. Die Feststellung, daß Gerechtigkeit und Freiheit an sich besser sind als Ungerechtigkeit und Unterdrückung, ist wissenschaftlich nicht verifizierbar und nutzlos. An sich klingt sie mittlerweile gerade so sinnlos wie die Feststellung, Rot sei schöner als Blau oder ein Ei besser als Milch.« (KiV, S. 36 f.)
6. Es gab schon vor der Corona-Krise nur noch ein schwaches Bewusstsein für das, was in Artikel 1 des Grundgesetzes die unantastbare Würde des Menschen genannt wird. Dass jedem Menschen – egal, wer er ist und was er tut – allein kraft seines Menschseins ein innerer Wert, eine Würde[13] zukommt, die unter allen Umständen und von allen, zuallererst aber vom Staat zu achten und respektieren ist, war zwar noch in den Grundgesetzkommentaren zu lesen, aber im allgemeinen gesellschaftlichen Bewusstsein hatte diese Behauptung nichts Emphatisches mehr, sie war beinahe zu einer Leerformel herabgesunken.
Nach der sog. Objektformel fordert die Menschenwürde vom Staat, dass er die Bürger niemals als bloßes Objekt behandeln darf. Positiv gewendet bedeutet dies, dass der Staat die Bürger immer – zumindest auch – als selbstbestimmte Subjekte behandeln muss. Auch wenn nicht behauptet werden soll, dass jede einzelne Corona-Maßnahme gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstieß, ist kaum bestreitbar, dass die Bürger von der Corona-Politik grosso modo betrachtet als Objekte behandelt wurden, genauer: als Gefahrenobjekte. Es klingt vielleicht zynisch, aber es konnte der Eindruck entstehen, dass dem Virus mehr Subjektqualitäten zugesprochen wurden als den Bürgern.[14] Das Virus war würdig genug, um ihm den Krieg zu erklären, die Bürger dagegen waren nur so etwas wie die Trägerraketen des Virus, die abgefangen werden mussten.
»Redeweisen wie die ›Würde des Menschen‹ implizieren entweder ein dialektisches Fortschreiten, bei dem die Idee des göttlichen Rechts aufbewahrt und transzendiert wird, oder werden zu abgegriffenen Parolen, deren Leere sich offenbart, sobald jemand ihrer spezifischen Bedeutung nachfragt. Ihr Leben hängt sozusagen von unbewußten Erinnerungen ab.« (KiV, S. 45 f.)
Was von der Menschenwürde übrig geblieben ist, ist nicht viel mehr als die abstrakte Forderung nach Gleichbehandlung aller Menschen. Art. 1 Abs. 1 GG ist damit zu einer Art pathetisch aufgeladenem Art. 3 Abs. 1 GG geworden.
»Gerade die Tatsache, daß Tradition heute beschworen werden muß, zeigt, daß sie ihre Macht über die Menschen verloren hat. Kein Wunder, daß ganze Völker – und Deutschland ist hierin kein Einzelfall – eines Morgens aufgewacht sind, um zu entdecken, daß ihre am höchsten geachteten Ideale bloße Seifenblasen waren. Zwar hat die zivilisierte Gesellschaft bis heute von dem Restbestand dieser Ideen gezehrt, obgleich der Fortschritt der subjektiven Vernunft die theoretische Basis der mythologischen, religiösen und rationalistischen Ideen zerstörte. Aber diese tendieren dazu, mehr denn je zu einem bloßen Restbestand zu werden, und verlieren so allmählich ihre Überzeugungskraft.« (KiV, S. 47)
Dass ein lebendiges Bewusstsein davon, was Menschenwürde sein könnte, kaum noch vorhanden ist, zeigte sich in der Corona-Krise auch daran, was die Mehrheit der Gesellschaft mitzumachen bereit war, ohne dass sie in Konflikt mit ihren Vorstellungen von der eigenen Würde geriet. Den eigenen Impfstatus gegenüber Sicherheitspersonal nachzuweisen, um die Erlaubnis zu bekommen, auf dem Weihnachtsmarkt Glühwein zu trinken, war jedenfalls für viele nicht unter ihrer Würde.
7. Die Krise der Grundrechte ist zugleich eine Krise des Individuums. Da die Idee unveräußerlicher Menschen- bzw. Grundrechte auf der Idee aufruht, dass jedem einzelnen Menschen ein absoluter Wert zukommt, verliert diese Idee an Plausibilität, wenn das Individuum in die Krise gerät, weil Individualität als Erkenntnis der eigenen Identität[15] verschwindet. In der Demokratie wird das Individuum auch Bürger genannt und die Einzelnen sind vom Staat grundsätzlich als Bürger anzusprechen. Dass es mit der Idee des Bürgers nicht mehr weit her ist, wurde in der Corona-Krise überdeutlich. Würde die Politik die Menschen noch als Bürger verstehen, hätte sie zumindest auch auf freiwilliges Handeln gesetzt. Von Bürgern war zu erwarten, dass sie – plausible Erklärungen für die Vernünftigkeit der Maßnahmen vorausgesetzt! – freiwillig und eigenverantwortlich Handlungsempfehlungen nachkommen würden. Tatsächlich wurde Freiwilligkeit beim Erlass der Corona-Verordnungen nicht einmal erwogen, sondern konsequent auf Zwang und Kontrolle gesetzt. Die Bürger wurden wie unmündige Kinder oder gleich wie Strafgefangene behandelt.[16]
Die implizite Botschaft der Corona-Politik an die Menschen war: Ihr seid gar keine Bürger! Der Widerspruch gegen diese Behauptung war nur schwach.
»Es gibt noch einige Widerstandskräfte im Menschen. Es spricht gegen den sozialen Pessimismus, daß trotz des fortwährenden Anstürmens des kollektiven Schemas der Geist der Humanität noch lebendig ist, wo nicht im Individuum als einem Glied gesellschaftlicher Gruppen, so doch im Individuum, sofern es allein gelassen wird. Aber die Einwirkung der bestehenden Verhältnisse auf das Leben des Durchschnittsmenschen ist derart, daß der (…) unterwürfige Typ in überwältigendem Maße zum vorherrschenden geworden ist. Von Kindesbeinen wird das Individuum zu der Ansicht gebracht, daß es nur einen Weg gibt, mit dieser Welt auszukommen – den, seine Hoffnung auf höchste Selbstverwirklichung aufzugeben. Das kann es nur durch Nachahmung erreichen. Es entspricht fortwährend dem, was es um sich wahrnimmt, nicht nur bewußt, sondern mit seinem ganzen Sein.« (KiV, S. 159).
Wer aber darauf bestand, ein mündiger Bürger zu sein, plausible Begründungen verlangte für das, was von ihm gefordert wurde, und auf dem Wert der Freiheit beharrte, wurde nicht nur als Querulant betrachtet, sondern stand in der Gefahr, Wut und Aggressionen derjenigen auf sich zu ziehen, die mit den Maßnahmen konform gingen.
»Obgleich unter dem Zwang der pragmatischen Wirklichkeit von heute das Selbstbewußtsein des Menschen mit seiner Funktion im herrschenden System identisch geworden ist, obgleich er verzweifelt jeden anderen Impuls in sich selbst wie in anderen unterdrückt, ist die Wut, die ihn ergreift, wann immer er eines nicht integrierten Verlangens inne wird, das nicht ins bestehende Muster paßt, ein Zeichen seines schwelenden Ressentiments.« (KiV, S. 162)
8. Zum Plausibilitätsverlust der Grundrechte und zur Krise des Individuums kommt eine Krise des Denkens hinzu. Wer sich in die Paranoia der Corona-Krise nicht hineinziehen ließ, dem drängte sich immer wieder der Eindruck auf: Hier wird gar nicht mehr gedacht. Denken als Erwägen und Zweifeln, Sich-Einlassen auf die äußere Realität, als Reflexion, die vom denkenden Ich in die Wirklichkeit hinausgeht und wieder zum Ich zurückkehrt, als Vergleichen, Gewichten und Abwägen – das alles schien nicht mehr stattzufinden. Denken war jetzt Zählen und das Stolpern von einem geistigen Kurzschluss zum nächsten: »Die Zahlen steigen? Dann müssen schärfere Maßnahmen beschlossen werden!« Mehr Komplexität war offensichtlich nicht mehr möglich.[17]
»Das Denken wird kurzatmig, beschränkt sich auf die Erfassung des isoliert Faktischen. Gedankliche Zusammenhänge werden als unbequeme und unnütze Anstrengung fortgewiesen. Das Entwicklungsmoment im Gedanken, alles Genetische und Intensive darin, wird vergessen und aufs unmittelbar Gegenwärtige, aufs Extensive nivelliert. Die Lebensordnung lässt dem Ich keinen Spielraum für geistige Konsequenzen. Der aufs Wissen abgezogene Gedanke wird neutralisiert, zur bloßen Steigerung des Warenwerts der Persönlichkeit eingespannt. So geht jene Selbstbesinnung des Geistes zugrunde, die der Paranoia entgegenarbeitet.« (DA, S. 207)
9. Die Rechtsprechung sollte eigentlich eine – selbstverständlich nicht die einzige – Bastion des Denkens sein. Begriffe definieren und schärfen, Kategorien bilden, sich auf die äußere Wirklichkeit einlassen (»den Sachverhalt ermitteln«), Lösungshypothesen entwerfen und an fiktiven Vergleichsfällen überprüfen, Widersprüche erkennen und Kohärenz im Denken herstellen, Gewichten und Abwägen und das Wissen, dass jede Sache von verschiedenen Seiten betrachtet werden kann (»Audiatur et altera pars«) – das alles lernen Juristen im Studium und es sollte sie gegen gedankliche Kurzschlüsse und blinden Aktionismus immun machen. Aber das Fundament ist auch hier offensichtlich brüchig geworden. Abwägung – bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Grundrechtseingriffen meist der entscheidende Vorgang – scheint nicht mehr zeitgemäß zu sein. Wer abwägen will, muss zwischen einerseits und andererseits navigieren, für Differenzen offen sein und anerkennen, dass das Gute des einen oft genug das Schlechte des anderen ist. Abwägen erscheint aber als Anachronismus in einer Zeit, in der Differenz und Mehrdeutigkeit offensichtlich nicht mehr ausgehalten werden können[18] und deshalb die Welt ununterbrochen in Gut und Böse, Schwarz und Weiß und Links und Rechts eingeteilt werden muss.
Es erscheint daher nicht verwunderlich, dass die Bastion des Denkens in der Justiz unter dem Ansturm der totalitären Corona-Politik exakt bei der Frage der Abwägung zusammenbrach. Reihenweise haben Verwaltungsgerichte bei der Prüfung von Corona-Verordnungen anstatt bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung den (mutmaßlichen) konkreten Nutzen eines bestimmten Grundrechtseingriffs für den Schutz eines Rechtsguts gegen den (mutmaßlichen) konkreten Schaden für andere Rechtsgüter abzuwägen, die Freiheitbeschränkungen mit einem abstrakten Ziel abgewogen. Da wurde dann das Recht, nachts spazieren zu gehen dem Schutz von Leben und Gesundheit gegenübergestellt und das vorhersehbare Ergebnis war, dass der Schutz des Lebens gewichtiger ist und Spazierengehen deshalb verboten werden darf.[19] Dies ist wiederholt beschrieben worden,[20] aber wie lässt sich ein solcher Stockfehler, für dessen Erkenntnis niemand Jura studiert haben muss, bei einem mit drei Berufsrichtern besetzten Senat eines Oberverwaltungsgerichts erklären? Fachliche Unfähigkeit kann es nicht sein. Vorsatz erscheint nicht vorstellbar. Es bleibt nur die Erklärung, dass hier ein Zusammenbruch des Denkens stattgefunden hat. Das abwägende Denken weicht zurück und gibt sich selbst auf angesichts der Totalität einer gesetzgewordenen Politik, die behauptet, dass es immer um Leben oder Tod ginge.
Das Bundesverfassungsgericht wiederum hat bei den sog. Bundesnotbremse-Entscheidungen dem Gesetzgeber in der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht nur auf der Stufe der Erforderlichkeit, also der Frage, ob es anstelle der konkreten Freiheitseinschränkung kein anderes, gleich wirksames, aber milderes Mittel gibt, einen Ermessensspielraum zugebilligt, sondern auch bei der (rein normativen) Gewichtung und Bewertung der Vor- und Nachteile bei der Angemessenheitsprüfung.[21] Dass hier das Gericht selbst noch die Verhältnismäßigkeit prüft, wird nur noch behauptet, tatsächlich ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung damit auf Leerlauf gestellt.[22]
»Hat auf einer frühen historischen Stufe Urteilen einmal im raschen Unterscheiden bestanden, das den giftigen Pfeil sogleich in Bewegung setzte, so hatten inzwischen Tausch und Rechtspflege das Ihre getan. Urteilen war durch die Stufe des Abwägens hindurchgegangen, das dem Urteilssubjekt gegen die brutale Identifikation mit dem Prädikat einigen Schutz gewährte. In der spätindustriellen Gesellschaft wird auf den urteilslosen Vollzug des Urteils regrediert. … Der Wahrnehmende ist im Prozeß der Wahrnehmung nicht mehr gegenwärtig. Er bringt die tätige Passivität des Erkennens nicht mehr auf, in der die kategorialen Elemente vom konventionell vorgeformten »Gegebenen« und dieses von jenen neu angemessen sich gestalten lassen, so daß dem wahrgenommenen Gegenstand sein Recht wird. Auf dem Feld der Sozialwissenschaften wie in der Erlebniswelt des Einzelnen werden blinde Anschauung und leere Begriffe starr und unvermittelt zusammengebracht. Im Zeitalter der dreihundert Grundworte verschwindet die Fähigkeit zur Anstrengung des Urteilens und damit der Unterschied zwischen wahr und falsch.« (DA, S. 21)
10. Die Corona-Krise war nach allem nicht das Unmögliche, das möglich wurde, sondern das Mögliche, von dem wir noch nicht wussten. Sie ist vorbei und doch nicht vorbei. Ein Ende der Krisen ist am Horizont nicht zu erkennen. Schon gar nicht sind sie mit ein paar gesellschaftlichen und politischen Reformen aufzulösen.[23] Diese Situation kann den Einzelnen in Resignation und Verzweiflung führen. Zwingend als Konsequenzen sind Resignation und Verzweiflung aber nie. Hoffnung ist immer möglich, wie Václav Havel, eine andere große Stimme des 20. Jahrhunderts, schreibt:[24]
»Hoffnung haben wir entweder in uns oder wir haben sie nicht, sie ist eine Dimension der Seele und ist in ihrem Wesen nicht abhängig von irgendwelchem Beobachten der Welt oder Abschätzen von Situationen. Hoffnung ist keine Prognostik. Sie ist Orientierung des Geistes, Orientierung des Herzens, die die unmittelbar gelebte Welt übersteigt und irgendwo in der Ferne verankert ist, hinter ihren Grenzen. Als bloßes Derivat von etwas Hiesigem, irgendwelcher Bewegungen in der Welt oder deren günstiger Signale scheint sie mir einfach nicht erklärlich zu sein. Ihre tiefsten Wurzeln spüre ich also irgendwo im Transzendenten, ebenso wie die Wurzeln der menschlichen Verantwortung, ohne daß ich fähig wäre – im Unterschied zum Beispiel zu den Christen –, über dieses Transzendente etwas Konkretes zu sagen. … Das Maß der Hoffnung in diesem tiefen und starken Sinne ist nicht das Maß unserer Freude am guten Lauf der Dinge und unseres Willens, in Unternehmen zu investieren, die sichtbar zu baldigem Erfolg führen, sondern eher das Maß unserer Fähigkeit, uns um etwas zu bemühen, weil es gut ist, und nicht nur, weil es garantiert Erfolg hat. Je ungünstiger die Situation ist, in der wir Hoffnung bewähren, desto tiefer ist diese Hoffnung. Hoffnung ist eben nicht Optimismus. Es ist nicht die Überzeugung, daß etwas gut ausgeht, sondern die Gewißheit, daß etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht.«[25]
Hinweis: Matthias Guericke ist Gründungsmitglied des im März 2021 gegründeten Vereins Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiStA) und Richter an einem Amtsgericht in Thüringen. Der Artikel erschien unter dem Titel »Grundrechtsdämmerung. Thesen und Kommentare« auf der Seite des Netzwerks Kritische Richter und Staatsanwälte. Er wird hier mit freundlicher Genehmigung des Verfassers republiziert. Ein Interview mit ihm führte im Oktober 2023 Achim Kupferschmitt für das Magazin für Demokratische Kultur.
Anmerkungen:
- Pars pro toto der »persönliche Favorit« des Autors: Mattias Desmet: Die Psychologie des Totalitarismus. München: Europa Verlag 2023. ↑
- Dass es – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – ein Versagen auf ganzer Linie war, ist hier Ausgangsbasis der Überlegungen, die nicht noch einmal gesondert begründet wird. Das Versagen der Justiz in Bezug auf Corona ist auch nicht beendet, es hat sich aktuell nur stärker in den Bereich der Strafjustiz verlagert, die unvermindert Ärzte wegen angeblich falschen Gesundheitszeugnissen unnachgiebig verfolgt. Hier soll allerdings die Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit im Fokus stehen. ↑
- Diese thematische Beschränkung bedeutet, dass die Frage nach der Rolle der politischen Macht und der Medien, nach Interessen der Pharmaindustrie und der Digitalwirtschaft, dass die Frage Cui bono? hier nicht gestellt wird. Dies bedeutet nicht, dass diese Fragen nicht wichtig wären für das Verständnis der Corona-Krise, sie erscheinen nur nicht wesentlich, um das Versagen der Justiz zu verstehen. ↑
- Zitiert wird nach Max Horkheimer: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2007 (im Folgenden: KiV) und Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch. 25. Aufl. 2020 (im Folgenden: DA). ↑
- Die amerikanische Originalausgabe von »Zur Kritik der instrumentellen Vernunft« erschien unter dem Titel »Eclipse of Reason« im Jahr 1947, als Horkheimer noch im Exil in den USA war, die deutsche Erstausgabe erschien erst 1967. Die »Dialektik der Aufklärung« (von Horkheimer/Adorno auf Deutsch geschrieben) erschien erstmals 1944 in einer hektographierten Auflage von 400 Stück und dann, leicht überarbeitet und erweitert, als gedrucktes Buch 1947 im Amsterdamer Querido Verlag. Nachdem diese Auflage vergriffen war, kursierte das Buch nur noch in Raubdrucken, bevor es 1969 neu veröffentlicht wurde. ↑
- Diese Überzeugung beruht auf einer persönlichen Erfahrung: Der Autor hat die beiden Werke erstmals in der Corona-Krise gelesen und es war für ihn geradezu phänomenal, wie durch die Texte von Horkheimer und Adorno das Geschehen plötzlich verstehbarer wurde. ↑
- Vgl. zum Begriff des Totalitären im Zusammenhang mit der Corona-Politik Michael Andrick: Hat unser Staat totalitäre Tendenzen? in: der Freitag 35/2022 und als Referat zum Symposium »Rechtsstaat und Demokratie in der Krise – Analysen und Ausblick« des Netzwerks Kritische Richter und Staatsanwälte – KRiStA, 21.10.2023 im Volkspark Halle (Saale). ↑
- Um Missverständnissen vorzubeugen: Damit ist nicht gesagt, dass die Bundesrepublik in der Corona-Krise zu einem totalitären Staat wurde. Das war nicht der Fall. Totalitäre Politik ist aber auch in einem Staat möglich, der die demokratischen Institutionen nicht aufgegeben hat. ↑
- Zu nennen ist hier vor allem Oliver Lepsius: Vom Niedergang grundrechtlicher Denkkategorien in der Corona-Pandemie. ↑
- Auch wenn in der Rechtswissenschaft der Befund in dieser Härte nur selten geteilt wird, gibt es dort inzwischen Bemühungen, die Exzeptionalität von Gesetzgebung und Rechtsprechung in der Corona-Krise zu reflektieren, etwa Lepsius: Ausnahme als Rechtsform der Krise, DVBl 2023, S. 701-710, und Lindner: Thesen zur Weiterentwicklung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, NJW 2024, 564-568. ↑
- Dass diese Risikoeinschätzungen, auf die sich so gut wie alle Gerichte argumentativ stützten, keine wissenschaftliche Grundlage hatten, ist durch die von dem Magazin »Multipolar« freigeklagten Protokolle des RKI jetzt auch durch Originaldokumente der Behörde belegbar. ↑
- Es lohnt in diesem Zusammenhang, sich an die Situation im Sommer 2020 zu erinnern: Nach dem ersten Lockdown gab es ein allgemeines Gefühl der Entspannung, das Angstniveau sank deutlich, die sog. Inzidenzzahlen waren niedrig, die Menschen wollten den Sommer genießen, der Thüringer Ministerpräsident dachte sogar laut über die Aufhebung der Maskenpflicht nach. Dennoch fand sich im ganzen Land kein einziges Oberverwaltungsgericht, das in dieser Zeit in einem Eilverfahren die Maskenpflicht aufgehoben hätte. ↑
- Immanuel Kant: »Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes, als Äquivalent, gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde.« (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Hamburg: Felix Meiner 1999, 434) ↑
- Wie immer bei Corona vorne mit dabei »Dieses Virus lässt nicht mit sich verhandeln. Dieses Virus erzwingt bei einer bestimmten Fallzahl einfach einen Lockdown.« ↑
- Die Identitätspolitik, die in den letzten Jahren einen bemerkenswerten Siegeszug angetreten hat, ist vielleicht als verzweifelte (und in der Sache verfehlte) Reaktion auf den Verlust eigener Identität zu verstehen. Wo die Identität des Selbst nicht mehr erfasst werden kann (dazu KiV, S. 146 f.), muss sie in Geschlecht, sexueller Orientierung, Rasse oder Zugehörigkeit zu einer Minderheit gesucht werden. ↑
- »Lockdown« meint im ursprünglichen Wortsinn den Einschluss von Strafgefangenen in ihren Zellen. ↑
- Leider muss man konstatieren, dass es nach dem Ende der Corona-Krise nicht besser geworden ist: »Russland führt einen Angriffskrieg gegen die Ukraine? Dann müssen wir Waffen liefern, bis Russland besiegt ist!« – Wer einwendet, dass auch andere Schlussfolgerungen möglich sind, wird als Putin-Versteher, naiver Pazifist oder Demokratiegefährder markiert oder gleich für nicht zurechnungsfähig erklärt. Was hier zugrunde liegt, ist nicht ein Mangel an Intelligenz, es ist schlimmer: Das Denken selbst wurde verlernt. ↑
- Vgl. dazu Thomas Bauer: Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt. Stuttgart: Verlag Philipp Reclam jun. 2018. ↑
- VGH Mannheim, 18.12.2020, 1 S 4028/20, juris, Rn. 45 ff. = openJur, Rn. 50 ff.; BayVerfGH, 17.12.2020, Vf. 110-VII-20, juris, Rn. 30 = openJur, Rn. 35; VGH München, 14.12.2020, 20 NE 20.2907, juris, Rn. 41 f. = openJur, Rn. 35 f. ↑
- Ausführlich dazu Murswiek: Die Corona-Waage – Kriterien für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Corona-Maßnahmen. NVwZ-Extra, 5/2021, S. 1-15. ↑
- BVerfGE 159, 223, Rn. 217; 159, 355, Rn. 135. ↑
- Lepsius: Zerstörerisches Potential für den Verfassungsstaat, vgl. auch Lepsius: Ausnahme als Rechtsform der Krise, DVBl 2023, S. 701-710, 708 und Rixen, Abschied von der Verhältnismäßigkeit? ↑
- Selbstverständlich sind auch in der Justiz strukturelle Reformen wie etwa die Schaffung einer von der Exekutive unabhängigen Staatsanwaltschaft wichtig und unbedingt zu unterstützen. Die Erwartung, dass damit die wesentlichen Probleme gelöst würden, wäre allerdings naiv. ↑
- Horkheimer hätte die Worte von Havel, der sich direkt auf das Transzendente bezieht, so sicher nicht unterschreiben können. In späten Jahren hat er aber bemerkenswerterweise von der Notwendigkeit von Theologie gesprochen, zwar nicht als Wissenschaft von Gott, aber als Bewusstsein davon, dass die Welt nicht die absolute Wahrheit, nicht das Letzte ist, als Ausdruck einer Sehnsucht, dass es bei dem Unrecht, durch das die Welt gekennzeichnet ist, nicht bleibe, dass das Unrecht nicht das letzte Wort sein möge (Horkheimer: Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen. Ein Interview mit Kommentar von Helmut Gumnior. Hamburg: Furche 1970, S. 61 f.). ↑
- Václav Havel: Fernverhör. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1990, S. 219 f. ↑
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