Der Kern des Faschismus

Zuletzt aktualisiert am 10. Mai 2024.

»Faschismus« wurde in den USA und im Vereinigten Königreich während des Zweiten Weltkriegs zu einem Schlag- und Schimpfwort. Das ist bis heute so. Mittlerweile ist jedoch der Inhalt des Begriffs völlig verschwunden. Das Wort bezeichnet nicht mehr, wie einst, ein politisch organisiertes System der Ökonomie, sondern dient nur noch als Beschimpfung. Abgelenkt von einer inhaltslosen Polemik übersehen wir, dass der Kern des Faschismus wiederkehrt.

Der Kern des Faschismus

Zwei Völker. Ein Krieg. Sondermarke, Italien 1941.

Der Kern des Faschismus

Gastbeitrag von Jeffrey A. Tucker

Geht man ein Jahrzehnt vor den Zweiten Weltkrieg zurück, findet man eine völlig andere Situation vor. In akademischen Publikationen aus der Zeit von 1932 bis 1940 existiert ein Konsens darüber, dass die freiheitliche und demokratische Gesellschaft der Aufklärung durch eine Version der so genannten Reißbrettgesellschaft (»planned society«) ersetzt werden sollten, deren erfolgreichstes Modell der Faschismus war.

Ein Buch zu diesem Thema mit Beiträgen von Spitzenwissenschaftlern und hochrangigen Persönlichkeiten erschien beispielsweise 1937 im renommierten Verlag Prentice-Hall.[1] Es wurde damals von allen respektablen Zeitschriften in den höchsten Tönen gelobt.

Der Kern des Faschismus

Alle Autoren des Buches erklärten, dass die Zukunft von den besten Köpfen gestaltet werden müsse, die ganze Volkswirtschaften und Gesellschaften leiten würden. Die Besten und Klügsten sollten dazu mit voller Macht ausgestattet werden. Der gesamte Wohnungsbau sollte zum Beispiel von der Regierung übernommen werden, ebenso die Lebensmittelversorgung, allerdings in Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen. Das scheint der Konsens in diesem Buch zu sein. Der Faschismus wurde als ein legitimer Weg behandelt. Selbst das Wort »Totalitarismus« wurde nicht mit Missbilligung, sondern mit Respekt verwendet.

Das Buch verschwand natürlich im Gedächtnisloch.

Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt, dass der Abschnitt über Wirtschaft Beiträge von Benito Mussolini und Joseph Stalin enthält. Ihre Ideen und ihre politische Herrschaftsform waren Bestandteil des offiziellen Diskurses.

Der Kern des FaschismusDer Beitrag Mussolinis über die »Politische und soziale Doktrin des Faschismus« wurde wahrscheinlich von Professor Giovanni Gentile, dem Minister für das öffentliche Bildungswesen, verfasst. Darin findet sich die vielzitierte Aussage:

Man sollte den Faschismus besser als Korporatismus bezeichnen, denn er ist die perfekte Verschmelzung von staatlicher und unternehmerischer Macht.

All das wurde nach dem Krieg als peinlich empfunden und geriet daher weitgehend in Vergessenheit. Die Zuneigung von Teilen der herrschenden Klasse der USA zum Faschismus dauerte jedoch fort. Sie nahm lediglich neue Namen an.

Infolgedessen wurde die Lektion des Krieges, nach der die USA vor allem für die Freiheit einstehen und den Faschismus als System vollständig ablehnen sollten, weitgehend begraben. Den Nachkriegsgenerationen wurde beigebracht, den Faschismus als skurriles, gescheitertes System der Vergangenheit zu betrachten. Der Ausdruck wird seither nur noch als Schimpfwort für alles Reaktionäre oder Altmodische verwendet, was aber keinerlei Sinn macht.

Es gibt wertvolle Literatur zu diesem Thema, und es lohnt sich, sie zu lesen. Ein besonders aufschlussreiches Buch ist »The Vampire Economy. Doing Business under Fascism«[2] von Günter Reimann, einem deutschen Finanzfachmann, der die dramatischen Veränderungen der Industriestrukturen unter den Nazis analysierte.

In wenigen Jahren, von 1933 bis 1939, wurde eine Nation von Unternehmern und Händlern in eine von Konzernen beherrschte Maschinerie umgewandelt, die den Mittelstand ausweidete und die Industrie in Vorbereitung auf den Krieg in ein gigantisches Kartell zusammenschmiedete. In diesem Vorgang wird der Kern des Faschismus greifbar.

Das Buch wurde 1939 vor dem Einmarsch in Polen und dem Ausbruch des Krieges veröffentlicht. Es gibt Einblick in die düstere Realität, kurz bevor die Hölle losbrach. Ich habe mit dem Autor (richtiger Name: Hans Steinicke) kurz vor seinem Tod gesprochen, um die Erlaubnis zu erhalten, das Buch zu veröffentlichen, und er war erstaunt, dass sich jemand dafür interessierte.

»Die Korruption in faschistischen Ländern ergibt sich zwangsläufig daraus, dass der Kapitalist und der Staat ihre Rollen tauschen, indem der Staat selbst zum wirtschaftlichen Monopolisten wird«, schrieb Reimann.

Die Nazis waren nicht gegen die Wirtschaft als Ganzes, sondern nur gegen die traditionellen, unabhängigen, familiengeführten Kleinunternehmen, die für den Aufbau der Nation und die Kriegsplanung entbehrlich waren. Das entscheidende Instrument, um ihr Ziel zu erreichen, war die Etablierung der NSDAP als zentrale Regulierungsbehörde für alle Unternehmen. Die großen Unternehmen verfügten über die nötigen Mittel, um sich an die Vorschriften anzupassen und gute Beziehungen zu den politischen Machthabern zu unterhalten, während die unterkapitalisierten Kleinunternehmen bis an den Rand der Vernichtung gedrängt wurden. Unter den Naziregeln konnte man Bankgeschäfte machen, vorausgesetzt, man zog das Regime den Kunden vor.

»Die meisten Geschäftsleute fühlen sich in einer totalitären Wirtschaft sicherer, wenn sie einen Beschützer in der Staats- oder Parteibürokratie haben«, schrieb Reimann. »Sie zahlen für ihren Schutz, wie die hilflosen Bauern in der Feudalzeit. Es liegt jedoch in der Natur der heutigen Kräfteverhältnisse, dass der Beamte oft unabhängig genug ist, um das Geld anzunehmen, aber trotzdem keine Protektion als Gegenleistung zu bieten.«

Er schrieb über »den Niedergang und den Ruin des wirklich unabhängigen Geschäftsmannes, der Herr seines Unternehmens war und seine Eigentumsrechte ausübte. Dieser Typus des Kapitalisten verschwindet, aber ein anderer Typus gedeiht. Er bereichert sich durch Parteibeziehungen; er ist ein dem Führer ergebenes Parteimitglied, das von der Bürokratie begünstigt wird und durch familiäre Verbindungen und politische Zugehörigkeit einen festen Platz hat. In einer Reihe von Fällen ist der Reichtum dieser Parteikapitalisten durch die Ausübung von nackter Parteimacht entstanden. Es ist für diese Kapitalisten von Vorteil, die Partei zu stärken, die sie gestärkt hat. Im Übrigen kommt es manchmal vor, dass sie so stark werden, dass sie eine Gefahr für das System darstellen, woraufhin sie liquidiert oder ausgesondert werden.«

Dies galt insbesondere für die unabhängigen Verleger und Publizisten. Ihr allmählicher Bankrott führte zur effektiven Verstaatlichung aller überlebenden Medien, die wussten, dass es in ihrem Interesse war, die Prioritäten der Nazipartei zu übernehmen.

Reimann schrieb: »Das logische Ergebnis eines faschistischen Systems ist, dass alle Zeitungen, Nachrichtendienste und Zeitschriften mehr oder weniger direkte Organe der faschistischen Partei und des Staates werden. Sie sind staatliche Institutionen, über die der einzelne Kapitalist keine Kontrolle mehr hat, es sei denn, er ist ein treuer Anhänger oder Mitglied der allmächtigen Partei.«

»Im Faschismus oder in einem totalitären Regime kann ein Redakteur nicht mehr unabhängig handeln«, so Reimann. »Meinungen sind gefährlich. Er muss bereit sein, jede ›Nachricht‹ abzudrucken, die von den staatlichen Propagandaagenturen herausgegeben wird, selbst wenn er weiß, dass sie völlig im Widerspruch zu den Tatsachen steht, und er muss echte Nachrichten unterdrücken, die die Weisheit des Führers in Frage stellen. Seine Leitartikel dürfen sich nur insofern von denen anderer Zeitungen unterscheiden, als er dieselbe Idee mit anderen Worten zum Ausdruck bringt. Er hat keine Wahl zwischen Wahrheit und Lüge, denn er ist lediglich ein Staatsbeamter, für den ›Wahrheit‹ und ›Ehrlichkeit‹ nicht als moralisches Problem existieren, sondern mit den Interessen der Partei identisch sind.«

Ein Merkmal dieser Politik waren aggressive Preiskontrollen. Sie dämpften zwar nicht die Inflation, waren aber in anderer Hinsicht politisch nützlich.

»Unter solchen Umständen wird fast jeder Geschäftsmann in den Augen der Regierung zwangsläufig zu einem potenziellen Verbrecher«, schrieb Reimann. »Es gibt kaum einen Fabrikanten oder Ladenbesitzer, der nicht absichtlich oder unabsichtlich gegen eine der Preisverordnungen verstoßen hat. Dies hat zur Folge, dass die Autorität des Staates sinkt; andererseits fürchtet man die staatlichen Behörden dadurch umso mehr, denn kein Geschäftsmann weiß, wann ihn eine harte Strafe trifft.«

Reimann erzählt viele wunderbare, wenn auch abschreckende Geschichten, z. B. über den Schweinezüchter, der mit Preisobergrenzen konfrontiert war und diese umging, indem er einen hochpreisigen Hund zusammen mit einem niedrigpreisigen Schwein verkaufte, woraufhin der Hund zurückgegeben wurde. Diese Art von Manövern war gang und gäbe.

Ich kann dieses Buch nur wärmstens empfehlen, da es einen brillanten Einblick in die Funktionsweise von Unternehmen unter einem faschistischen Regime gibt.

In Deutschland nahm der Faschismus eine rassistische und antijüdische Gestalt an, um politische Säuberungen zu rechtfertigen. Im Jahr 1939 war nicht ganz klar, dass dies in einer massenhaften und gezielten Ausrottung in gigantischem Ausmaß enden würde. Das damalige deutsche System hatte viel Ähnlichkeit mit dem italienischen, das jedoch keine vollständige ethnische Säuberung anstrebte. Italien zeigt, welche Erscheinungsform der Faschismus in einem anderen gesellschaftlichen Kontext annehmen kann.

Das beste mir bekannte Buch über den italienischen Faschismus, ist John T. Flynns Klassiker »As We Go Marching« von 1944.[3] Flynn war in den 1930er Jahren ein weithin angesehener Journalist, Historiker und Wissenschaftler, der nach dem Krieg aufgrund seiner politischen Aktivitäten weitgehend in Vergessenheit geriet. Doch seine herausragende wissenschaftliche Arbeit hat die Zeit überdauert. Sein Buch dekonstruiert die Geschichte der faschistischen Ideologie in Italien und erklärt das zentralistische Ethos des Systems, das sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft herrschte.

Nach einer gelehrten Untersuchung der wichtigsten Theoretiker liefert Flynn eine schöne Zusammenfassung.

Der Faschismus, schreibt er, ist eine Form der gesellschaftlichen Organisation:

  1. In der die Regierung keine Beschränkung ihrer Macht anerkennt – Totalitarismus.
  2. In der diese uneingeschränkte Regierung von einem Diktator geleitet wird – das Führerprinzip.
  3. In der die Regierung so organisiert ist, dass sie das kapitalistische System betreibt und mit Hilfe einer immensen Bürokratie am Laufen hält.
  4. In der die Wirtschaft nach dem syndikalistischen Modell organisiert ist, d.h. durch Produktionsgruppen, die sich unter der Aufsicht des Staates in Handwerks- und Berufsgruppen zusammenschließen.
  5. In der die Regierung und die Gewerkschaften die kapitalistische Gesellschaft auf der Grundlage zentralistisch organisierter Autarkie organisieren.
  6. In der die Regierung sich selbst dafür verantwortlich hält, die Nation durch öffentliche Ausgaben und Kreditaufnahme mit ausreichender Kaufkraft zu versorgen.
  7. In der der Militarismus als Vehikel staatlicher Subventionen eingesetzt wird.
  8. In der der Imperialismus als eine Politik enthalten ist, die sich zwangsläufig aus dem Militarismus und anderen Elementen des Faschismus ergibt.

Jeder dieser Punkte bedürfte eines längeren Kommentars, aber konzentrieren wir uns auf Nummer 5, die Gewerkschaften. Damals wurden große Unternehmen mit Hilfe von Gewerkschaften geführt. In unserer Zeit wurden sie durch eine Manager-Kaste in der Technologie- und Pharmaindustrie ersetzt, die die Exekutive am Gängelband führt und enge Beziehungen zum öffentlichen Sektor unterhält, wobei jeder vom anderen abhängig ist. Hier wird deutlich, warum dieses System als korporatistisch bezeichnet wird.

Im heutigen polarisierten politischen Klima sorgt sich die Linke weiterhin um den ungezügelten Kapitalismus, während die Rechte ständig auf der Suche nach dem sozialistischen Feind ist. Jede Seite hat den faschistischen Korporatismus auf ein historisches Problem auf dem Niveau der Hexenverbrennung reduziert, das zwar vollständig besiegt ist, aber als historische Referenz für eine Verfemung der jeweils anderen Seite dient.

Aufgrund der parteiischen Schreckgespenster, die keinerlei Ähnlichkeit mit einer real existierenden Bedrohung haben, ist sich kaum jemand, der sich politisch engagiert und aktiv ist, darüber im Klaren, dass das, was als »Great Reset« bezeichnet wird, nichts besonders Neues ist. Es handelt sich um ein korporatistisches Modell – eine Kombination aus den schlimmsten Eigenschaften des Kapitalismus und des Internationalsozialismus –, in dem die Elite auf Kosten der Vielen privilegiert wird, weshalb uns die historischen Werke von Reimann und Flynn heute so vertraut vorkommen.

Und doch ist die greifbare Realität des Faschismus in der Praxis – nicht das Schimpfwort, sondern das historische System – aus irgendeinem seltsamen Grund kaum bekannt, weder in der populären noch in der akademischen Kultur. Das macht es umso leichter, ein solches System in unserer Zeit wieder einzuführen.


Hinweis:

Dieser Artikel wird mit Genehmigung des Brownstone Instituts und seines Autors, Jeffrey Tucker, unter einer Creative-Commons-Lizenz nachgedruckt.

Zur Originalpublikation


Anmerkungen:


  1. Planned society: Yesterday, Today, Tomorrow. A symposium by thirty-five economists, sociologists, and statesmen, Prenctice Hall 1937.
  2. Günter Reimann, The Vampire Economy. Doing Business under Fascism (Download PDF)
  3. John T. Flynn, As we go marching (Download PDF)

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