Ausgewählte Vorträge Rudolf Steiners

Ausgewählte Vorträge Rudolf Steiners

»Wer mein eigenes inneres Ringen und Arbeiten für das Hinstellen der Anthroposophie vor das Bewußtsein der gegenwärtigen Zeit verfolgen will, der muß das an Hand der allgemein veröffentlichten Schriften tun. In ihnen setzte ich mich auch mit alle dem auseinander, was an Erkenntnisstreben in der Zeit vorhanden ist. Da ist gegeben, was sich mir in ›geistigem Schauen‹ immer mehr gestaltete, was zum Gebäude der Anthroposophie – allerdings in vieler Hinsicht in unvollkommener Art – wurde.

Neben diese Forderung, die ›Anthroposophie‹ aufzubauen und dabei nur dem zu dienen, was sich ergab, wenn man Mitteilungen aus der Geist-Welt der allgemeinen Bildungswelt von heute zu übergeben hat, trat nun aber die andere, auch dem voll entgegenzukommen, was aus der Mitgliedschaft heraus als Seelenbedürfnis, als Geistessehnsucht sich offenbarte. Da war vor allem eine starke Neigung vorhanden, die Evangelien und den Schriftinhalt der Bibel überhaupt in dem Lichte dargestellt zu hören, das sich als das anthroposophische ergeben hatte. Man wollte in Kursen über diese der Menschheit gegebenen Offenbarungen hören.

Indem interne Vortragskurse im Sinne dieser Forderung gehalten wurden, kam dazu noch ein anderes. Bei diesen Vorträgen waren nur Mitglieder. Sie waren mit den Anfangs-Mitteilungen aus Anthroposophie bekannt. Man konnte zu ihnen eben so sprechen, wie zu Vorgeschrittenen auf dem Gebiete der Anthroposophie. Die Haltung dieser internen Vorträge war eine solche, wie sie eben in Schriften nicht sein konnte, die ganz für die Öffentlichkeit bestimmt waren.

Ich durfte in internen Kreisen in einer Art über Dinge sprechen, die ich für die öffentliche Darstellung, wenn sie für sie von Anfang an bestimmt gewesen wären, hätte anders gestalten müssen.

So liegt in der Zweiheit, den öffentlichen und den privaten Schriften, in der Tat etwas vor, das aus zwei verschiedenen Untergründen stammt. Die ganz öffentlichen Schriften sind das Ergebnis dessen, was in mir rang und arbeitete; in den Privatdrucken ringt und arbeitet die Gesellschaft mit. Ich höre auf die Schwingungen im Seelenleben der Mitgliedschaft, und in meinem lebendigen Drinnenleben in dem, was ich da höre, entsteht die Haltung der Vorträge«.

Rudolf Steiner, Mein Lebensgang



Ein gesund ausgebildetes Seelenleben kommt ganz naturgemäß an zwei Klippen, deren Widerstand es überwinden Muss, wenn es nicht wie ein führerloses Schiff sich auf dem Lebenspfade treiben lassen will. Ein solches Treibenlassen bringt zuletzt Unsicherheit in das eigene Innere und endet in eine irgendwie geartete Lebensnot; oder auch es benimmt dem Menschen die Möglichkeit, sich im Sinne der wahren Daseinsgesetze in die Weltordnung einzuleben und macht ihn so zu einem störenden, nicht zu einem fördernden Gliede dieser Ordnung.

Eine derjenigen Kräfte, durch die der Mensch die Möglichkeit der inneren Sicherheit in der Lebensentwickelung und der wesenswahren Einordnung in das Dasein gewinnen kann, ist die Erkenntnis, die in bezug auf den Menschen Selbsterkenntnis werden muss.

Der Trieb nach Selbstkenntnis ist in jedem Menschen. Er kann mehr oder weniger unbewusst bleiben; aber er ist immer vorhanden. Er kann sich äußern in ganz unbestimmten Gefühlen, die wie Wogen aus den Seelenuntergründen heraufschlagen in das Bewusstsein, die als unbefriedigtes Leben empfunden werden. Man deutet oft solche Gefühle ganz unrichtig; man sucht für sie einen Ausgleich in äußeren Lebensumständen. Man ist in einer – auch oft ihrem Wesen nach unbewusst bleibenden-Ängstlichkeit gegenüber diesen Gefühlen. Könnte man diese Ängstlichkeit überwinden, so würde man sehen, dass eine rückhaltlose Erkenntnis des menschlichen Wesens, nicht äußerliche Mittel, zur Abhilfe führt. Aber eine solch rückhaltlose Erkenntnis erfordert, dass man an den zwei Klippen auch wirklich Widerstand empfindet, an welche die menschliche Erkenntnis geführt wird, wenn sie Erkenntnis des menschlichen Wesens werden will. Diese Klippen sind aus zwei Täuschungen aufgebaut, aus zwei Felsen, durch die der Mensch im Erkenntnisleben nicht vorwärts kommen kann, wenn er sie nicht in ihrer wahren Wesenheit erkennt. Diese beiden Klippen sind die Naturerkenntnis und die Mystik. Beide Erkenntnisarten ergeben sich naturgemäß auf dem menschlichen Lebenswege. Mit beiden muss der Mensch seine innere Erfahrung machen, wenn sie ihn fördern sollen. Dass er die Kraft entfaltet, bei jeder dieser beiden Erkenntnisarten wohl anzukommen, aber bei keiner von ihnen stehen zu bleiben, davon hängt es ab, ob er Menschheit-Erkenntnis gewinnen kann oder nicht. Er muss, bei beiden angelangt, Unbefangenheit genug bewahrt haben, um sich zu sagen: Keine von ihnen kann ihn dahin bringen, wohin seine Seele verlangt; aber er muss, um diese Einsicht zu gewinnen, erst beide innerlich in ihrem Erkenntniswert erlebt haben. Er darf nicht davor zurückscheuen, ihre Wesenheit wirklich zu erleben, um an dem Erlebnis zu erkennen, dass über beide hinausgegangen werden muss, um sie erst wertvoll zu machen. Man muss zu den beiden Erkenntnisarten den Zugang suchen; denn erst, wenn man sie recht gefunden, ergibt sich der Ausweg aus ihnen.

Rudolf Steiner, Philosophie und Anthroposophie


Heute ist noch in den weitesten Kreisen der gründliche Irrtum verbreitet, dass das Wohl und Heil der einzelnen Persönlichkeit möglich sei ohne das Wohl und Heil aller anderen Persönlichkeiten der Erde. Wenn auch die Menschen das nicht direkt zugeben, praktisch ist doch alles darauf gebaut, dass so, wie wir heute leben, der Einzelne auf Kosten der anderen lebt, und der Glaube ist weit verbreitet, dass das Wohl des Einzelnen unabhängig ist von dem Wohl der anderen. Die zukünftige Entwickelung wird die volle Gemeinschaft des Geistes entwickeln, das heißt, auf dem Jupiter wird der Glaube zu herrschen beginnen, dass es kein Wohl und Heil des Einzelnen gibt ohne das Wohl und Heil aller übrigen, und zwar eben das gleiche Wohl und Heil aller übrigen Einzelnen. Das Christentum bereitet diese Anschauung vor, und es ist dazu da, sie vorzubereiten. Eine Gemeinsamkeit hat sich auf der Erde zunächst ergeben durch die Liebe, die an das Blut gebunden ist. Dadurch war der pure Egoismus überwunden. Das Christentum hat nun die Aufgabe, in den Menschen diejenige Liebe zu entzünden, die nicht mehr an das Blut gebunden ist, das heißt, sie sollen die reine Liebe finden lernen, wo das Wohl und das Heil des Einzelnen gar nicht gedacht wird ohne das Wohl und das Heil des anderen. Das Reich der Liebe wird sich so darstellen, dass, wie zuerst die Blutsverwandtschaft die Menschen aneinanderband, nun der Mensch in jedem Menschen den Verwandten sehen wird, ohne Rücksicht auf das gemeinsame Blut. Das ist in den Worten angedeutet: «Wer nicht verlässt Vater und Mutter, Weib und Kind, Bruder und Schwester, der kann nicht mein Jünger sein.» Alles andere ist kein wirkliches Christentum.

Rudolf Steiner, Das Christentum ist größer als alle Religionen


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