Die Theosophie ist eine »Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung«. Das 1904 erschienene Buch ist – trotz des Namens – Rudolf Steiners erste zusammenfassende Darstellung des spirituellen Menschenbildes der Anthroposophie, der Ideen von Wiedergeburt und Schicksal und des geistigen Weltaufbaus. Das gesamte Werk ist von einer trinitarischen Struktur durchdrungen, die sich zu einer Siebenheit auseinanderfaltet und wieder zur Einheit zusammenzieht. Mikrokosmos und Makrokosmos spiegeln sich ineinander und aus dem Menschen geht eine neue Gestalt der Welt hervor. In diesem Buch beschreibt Steiner das erste Mal öffentlich in Umrissen den spirituellen Schulungsweg der Anthroposophie.
Inhalt
Zur Neuausgabe dieser Schrift
Vorrede zur neunten Auflage
Vorrede zur sechsten Auflage
Vorrede zur dritten Auflage
- I. Die leibliche Wesenheit des Menschen
- II. Die seelische Wesenheit des Menschen
- III. Die geistige Wesenheit des Menschen
- IV. Leib, Seele und Geist
Wiederverkörperung des Geistes und Schicksal
Die drei Welten
- I. Die Seelenwelt
- II. Die Seele in der Seelenwelt nach dem Tode
- III. Das Geisterland
- IV. Der Geist im Geisterland nach dem Tode
- V. Die physische Welt und ihre Verbindung mit Seelen- und Geisterland
- VI. Von den Gedankenformen und der menschlichen Aura
Einzelne Bemerkungen und Ergänzungen
»Durch ihre physische Gestalt unterscheiden sich die Menschen von ihren tierischen Mitgeschöpfen auf der Erde. Aber sie sind innerhalb gewisser Grenzen in bezug auf diese Gestalt untereinander gleich. Es gibt nur eine menschliche Gattung. Wie groß auch die Unterschiede der Rassen, Stämme, Völker und Persönlichkeiten sein mögen: in physischer Beziehung ist die Ähnlichkeit zwischen Mensch und Mensch größer als die zwischen dem Menschen und irgendeiner Tiergattung. Alles, was in der menschlichen Gattung sich ausprägt, wird bedingt durch die Vererbung von den Vorfahren auf die Nachkommen. Und die menschliche Gestalt ist an diese Vererbung gebunden. Wie der Löwe nur durch Löwenvorfahren, so kann der Mensch nur durch menschliche Vorfahren seine physische Gestalt erben.
So wie die physische Ähnlichkeit der Menschen klar vor Augen liegt, so enthüllt sich dem vorurteilslosen geistigen Blicke die Verschiedenheit ihrer geistigen Gestalten. – Es gibt eine offen zutage liegende Tatsache, durch welche dies zum Ausdrucke kommt. Sie besteht in dem Vorhandensein der Biographie eines Menschen. Wäre der Mensch bloßes Gattungswesen, so könnte es keine Biographie geben. Ein Löwe, eine Taube nehmen das Interesse in Anspruch, insofern sie der Löwen-, der Taubenart angehören. Man hat das Einzelwesen in allem Wesentlichen verstanden, wenn man die Art beschrieben hat. Es kommt hier wenig darauf an, ob man es mit Vater, Sohn oder Enkel zu tun hat. Was bei ihnen interessiert, das haben eben Vater, Sohn und Enkel gemeinsam. Was der Mensch bedeutet, das aber fängt erst da an, wo er nicht bloß Art-, oder Gattungs-, sondern wo er Einzelwesen ist. Ich habe das Wesen des Herrn Schulze in Krähwinkel durchaus nicht begriffen, wenn ich seinen Sohn oder seinen Vater beschrieben habe. Ich muß seine eigene Biographie kennen. Wer über das Wesen der Biographie nachdenkt, der wird gewahr, daß in geistiger Beziehung jeder Mensch eine Gattung für sich ist«.
Rudolf Steiner, Theosophie
Zur Neuausgabe dieser Schrift (1922)
Vor dem Erscheinen der neunten Auflage dieser Schrift im Jahre 1918 habe ich sie einer sorgfältigen Durcharbeitung unterzogen. Seither ist die Anzahl der Gegenschriften gegen die in ihr dargestellte anthroposophische Weltanschauung um ein bedeutendes gewachsen. 1918 hat die Durcharbeitung zu einer großen Zahl von Erweiterungen und Ergänzungen geführt. Die Durcharbeitung zu dieser Neuausgabe hat zu einem Gleichen nicht geführt. Wer beachten will, wie ich an den verschiedensten Stellen meiner Schriften mir die möglichen Einwände selber gemacht habe, um deren Gewicht zu bestimmen und sie zu entkräften, der kann im wesentlichen wissen, was ich zu den Gegenschriften zu sagen habe. Innere Gründe, den Inhalt in gleicher Art zu ergänzen, wie 1918, gab es aber diesmal nicht, trotzdem sich in meiner Seele die anthroposophische Weltanschauung seither gerade in den letzten vier Jahren nach vielen Seiten erweitert hat und ich sie auch vertiefen durfte. Diese Erweiterung und Vertiefung hat mich aber nicht zu einer Erschütterung des in dieser Schrift Niedergeschriebenen geführt, sondern zu der Ansicht, daß das seither Gefundene gerechtfertigt erscheinen läßt, an dem Inhalt dieser grundlegenden Darstellung nichts Wesentliches zu ändern.
Stuttgart, 24. November 1922
Rudolf Steiner
Vorrede zur neunten Auflage (1918)
Wie vor dem Erscheinen früherer Neuauflagen dieses Buches habe ich auch diesmal seine Ausführungen wieder durchgearbeitet. Und diese Durcharbeitung hat für die vorliegende Neuausgabe zu einer ziemlich großen Zahl von Erweiterungen und Ergänzungen des Inhaltes geführt. Man wird besonders das Kapitel «Wiederverkörperung des Geistes und Schicksal» fast ganz umgearbeitet finden. An allem, was als geisteswissenschaftliche Ergebnisse in vorigen Auflagen geltend gemacht worden ist, habe ich nichts zu ändern nötig befunden. Daher ist nichts Wesentliches weggelassen, was früher in dem Buche gestanden hat. Dagegen ist vieles hinzugefügt. – Auf dem geisteswissenschaftlichen Gebiete fühlt man gegenüber einer Darstellung, die man gegeben hat, stets das Bedürfnis, das einmal Gesagte durch gewisse Lichter, die man von verschiedenen Seiten her auf dasselbe werfen möchte, zu einer größeren Klarheit zu bringen. Wie man da sich genötigt sieht, für die Prägung des Wortes, für die Ausgestaltung des Ausdruckes zu verwerten, was die fortlaufende Seelenerfahrung gewährt, darüber habe ich mich schon in der Vorrede zur sechsten Auflage ausgesprochen. Ich bin dieser Nötigung besonders bei dieser Neuausgabe gefolgt. Deshalb darf gerade sie als «vielfach erweiterte und ergänzte» bezeichnet werden.
Berlin, Juli 1918
Rudolf Steiner
Vorrede zur sechsten Auflage (1914)
Fast jedesmal, wenn eine neue Auflage dieses Buches nötig wurde, habe ich seine Ausführungen wieder aufmerksam durchgearbeitet. Auch dieses Mal habe ich mich der Aufgabe unterzogen. Über die erneute Durcharbeitung hätte ich ähnliches zu sagen wie über diejenige für die dritte Auflage. Ich lasse daher dem Inhalt des Buches die «Vorrede zur dritten Auflage» vorangehen. – Doch habe ich diesmal eine besondere Sorgfalt darauf verwendet, viele Einzelheiten der Darstellung zu einer noch größeren Klarheit zu bringen, als ich dies für die vorigen Auflagen zu tun vermochte. Ich weiß, daß vieles, sehr vieles in dieser Richtung noch geschehen müßte. Allein bei Darstellungen der geistigen Welt ist man für das Auffinden des prägnanten Wortes, der entsprechenden Wendung, die eine Tatsache, ein Erlebnis zum Ausdruck bringen sollen, von den Wegen abhängig, welche die Seele geht. Auf diesen Wegen ergibt sich, wenn «die rechte Stunde da ist», der Ausdruck, nach dem man vergeblich sucht, wenn man ihn mit Absicht herbeiführen will. Ich glaube, daß ich an manchen Stellen dieser Neuauflage eben in Beziehung auf wichtige Einzelheiten im Erkennen der geistigen Welt habe Wichtiges tun dürfen. Manches erscheint mir erst jetzt so dargestellt, wie es sein soll. Ich darf es aussprechen, daß dieses Buch etwas mitgemacht hat von dem, was meine Seele seit dessen erstem Erscheinen vor zehn Jahren, nach weiterer Erkenntnis der geistigen Welt ringend, durchlebt hat. Mag auch die Anlage, ja für alles Wesentliche selbst die Fassung dieser Auflage mit der ersten noch völlig übereinstimmen; an vielen Stellen des Buches wird man doch sehen können, daß es mir als ein Lebendiges gegenüber. Gestanden hat, dem ich gegeben habe von dem, was ich glaube mir in zehn Jahren der Geistesforschung errungen zu haben. Sollte das Buch eine Neuauflage des alten sein und nicht ein völlig neues werden, so konnte sich die um. Gestaltung naturgemäß nur in bescheidenen Grenzen halten. Ich war namentlich auch bestrebt, durch einzelne «Erweiterungen und Ergänzungen» dafür zu sorgen, daß diese oder jene Frage, welche sich der Leser an mancher Stelle aufwerfen kann, ihre Antwort in dem Buche selbst finde.
In bewegter Zeit und mit bewegter Seele schreibe ich diese Sätze, welche der sechsten Auflage des Buches vorgedruckt werden sollen. Deren Druck war bis Seite 189 [1] vollendet, als das schicksaltragende Ereignis über Europa hereinbrach, das jetzt die Menschheit erlebt. Mir scheint es unmöglich, da ich diese Vorrede schreibe, nicht hier anzudeuten, was auf die Seele in solcher Zeit einstürmt.
Berlin, 7. September 1914
Rudolf Steiner
[1] Seite 75 der vorliegenden Ausgabe.
Vorrede zur dritten Auflage (1910)
Was anläßlich der Veröffentlichung der zweiten Auflage dieses Buches gesagt worden ist, darf auch dieser dritten gegenüber ausgesprochen werden. Es sind auch diesmal «Ergänzungen und Erweiterungen» an einzelnen Stellen eingeschaltet worden, welche zu der genaueren Prägung des Dargestellten mir wichtig scheinen; zu wesentlichen Änderungen dessen, was schon in der ersten und zweiten Auflage enthalten war, schien mir nirgends eine Nötigung vorzuliegen. – und auch dasjenige, was über die Aufgabe der Schrift schon bei ihrem ersten Erscheinen gesagt worden und in der Vorrede zur zweiten Auflage hinzugefügt worden ist, bedarf gegenwärtig einer Änderung nicht. Deshalb soll hier die Vorrede der ersten Auflage und dann auch dasjenige wiedergegeben werden, was in der Vorrede zur zweiten Auflage hinzugefügt worden ist:
In diesem Buche soll eine Schilderung einiger Teile der übersinnlichen Welt gegeben werden. Wer nur die sinnliche gelten lassen will, wird diese Schilderung für ein wesenloses Phantasiegebilde halten. Wer aber die Wege suchen will, die aus der Sinnenwelt hinausführen, der wird alsbald verstehen lernen, daß menschliches Leben nur Wert und Bedeutung durch den Einblick in eine andere Welt gewinnt. Der Mensch wird nicht – wie viele fürchten durch solchen Einblick dem «wirklichen» Leben entfremdet. Denn er lernt durch ihn erst sicher und fest in diesem Leben stehen. Er lernt die Ursachen des Lebens erkennen, während er ohne denselben wie ein Blinder sich durch die Wirkungen hindurchtastet. Durch die Erkenntnis des Übersinnlichen gewinnt das sinnliche «Wirkliche» erst Bedeutung. Deshalb wird man durch diese Erkenntnis tauglicher und nicht untauglicher für das Leben. Ein wahrhaft «praktischer» Mensch kann nur werden, wer das Leben versteht.
Der Verfasser dieses Buches schildert nichts, wovon er nicht Zeugnis ablegen kann durch Erfahrung, durch eine solche Art von Erfahrung, die man in diesen Gebieten machen kann. Nur in diesem Sinne Selbsterlebtes soll dargestellt werden.
Wie man Bücher in unserem Zeitalter zu lesen pflegt, kann dieses nicht gelesen werden In einer gewissen Beziehung wird von dem Leser jede Seite, ja mancher Satz erarbeitet werden müssen. Das ist mit Bewußtsein angestrebt worden. Denn nur so kann das Buch dem Leser werden, was es ihm werden soll. Wer es bloß durchliest, der wird es gar nicht gelesen haben. Seine Wahrheiten müssen erlebt werden. Geisteswissenschaft hat nur in diesem Sinne einen Wert.
Vom Standpunkt der landläufigen Wissenschaft kann das Buch nicht beurteilt werden, wenn nicht der Gesichtspunkt zu solcher Beurteilung aus dem Buche selbst gewonnen wird. Wenn der Kritiker diesen Gesichtspunkt einnehmen wird, dann wird er freilich sehen, daß durch diese Ausführungen wahrer Wissenschaftlichkeit in nichts widersprochen werden soll. Der Verfasser weiß, daß er durch kein Wort mit seiner wissenschaftlichen Gewissenhaftigkeit hat in Widerspruch kommen wollen.
Wer noch auf einem anderen Wege die hier dargestellten Wahrheiten suchen will, der findet einen solchen in meiner «Philosophie der Freiheit». In verschiedener Art streben diese beiden Bücher nach dem gleichen Ziele. Zum Verständnis des einen ist das andere durchaus nicht notwendig, wenn auch für manchen gewiß förderlich.
Wer in diesem Buche nach den «allerletzten» Wahrheiten sucht, wird es vielleicht unbefriedigt aus der Hand legen. Es sollten eben aus dem Gesamtgebiete der Geisteswissenschaft zunächst die Grundwahrheiten gegeben werden.
Es liegt ja gewiß in der Natur des Menschen, gleich nach Anfang und Ende der Welt, nach dem Zwecke des Daseins und nach der Wesenheit Gottes zu fragen. Wer aber nicht Worte und Begriffe für den Verstand, sondern wirkliche Erkenntnisse für das Leben im Sinne hat, der weiß, daß er in einer Schrift, die vom Anfange der Geist-Erkenntnis handelt, nicht Dinge sagen darf, die den höheren Stufen der Weisheit angehören. Es wird ja durch das Verständnis dieses Anfanges erst klar, wie höhere Fragen gestellt werden sollen. In einer anderen, sich an diese anschließenden Schrift, nämlich in des Verfassers «Geheimwissenschaft», findet man weitere Mitteilungen über das hier behandelte Gebiet.
In der Vorrede zur zweiten Auflage wurde ergänzend hinzugefügt: Wer gegenwärtig eine Darstellung übersinnlicher Tatsachen gibt, der sollte sich über zweierlei klar sein. Das erste ist, daß unsere Zeit die Pflege übersinnlicher Erkenntnisse braucht; das andere aber, daß heute im Geistesleben eine Fülle von Vorstellungen und Empfindungen vorhanden ist, die eine solche Darstellung für viele geradezu als wüste Phantasterei und Träumerei erscheinen lassen. Es braucht die Gegenwart übersinnliche Erkenntnisse, weil alles dasjenige, was auf die gebräuchliche Art der Mensch über Welt und Leben erfährt, eine Unzahl von Fragen in ihm anregt, die nur durch die übersinnlichen Wahrheiten beantwortet werden können. Denn darüber sollte man sich nicht täuschen: was man über die Grundlagen des Daseins innerhalb der heutigen Geistesströmung mitgeteilt erhalten kann, sind für die tiefer empfindende Seele nicht Antworten, sondern Fragen in bezug auf die großen Rätsel von Welt und Leben. Eine Zeitlang mag sich mancher der Meinung hingeben, daß er in den «Ergebnissen streng wissenschaftlicher Tatsachen» und in den Folgerungen manches gegenwärtigen Denkers eine Lösung der Daseinsrätsel gegeben habe. Geht die Seele aber bis in jene Tiefen, in die sie gehen muß, wenn sie sich wirklich selbst versteht, so erscheint ihr das, was ihr anfänglich wie Lösung vorgekommen ist, erst als Anregung zu der wahren Frage. Und eine Antwort auf diese Frage soll nicht bloß einer menschlichen Neugierde entgegenkommen, sondern von ihr hängt ab die innere Ruhe und Geschlossenheit des Seelenlebens. Das Erringen einer solchen Antwort befriedigt nicht bloß den Wissensdrang, sondern sie macht den Menschen arbeitstüchtig und gewachsen den Aufgaben des Lebens, während ihn der Mangel einer Lösung der entsprechenden Fragen seelisch und zuletzt auch physisch lähmt. Erkenntnis des Übersinnlichen ist eben nicht bloß etwas für das theoretische Bedürfnis, sondern für eine wahre Lebenspraxis. Gerade wegen der Art des gegenwärtigen Geisteslebens ist daher Geist-Erkenntnis ein unentbehrliches Erkenntnisgebiet für unsere Zeit.
Auf der anderen Seite liegt die Tatsache vor, daß viele heute dasjenige am stärksten zurückweisen, was sie am notwendigsten brauchen. Die zwingende Macht vieler Meinungen, welche man sich auf der Grundlage «sicherer wissenschaftlicher Erfahrungen» aufgebaut hat, ist für manche so groß, daß sie gar nicht anders können, als die Darstellung eines Buches, wie dieses eines ist, für bodenlosen Unsinn zu halten. Der Darsteller übersinnlicher Erkenntnisse kann solchen Dingen durchaus ohne alle Illusion gegenüberstehen. – Man wird ja allerdings leicht versucht sein, von einem solchen Darsteller zu verlangen, er solle «einwandfreie» Beweise für das geben, was er vorbringt. Man bedenkt dabei nur nicht, daß man damit sich einer Täuschung hingibt. Denn man verlangt – allerdings ohne daß man sich dessen bewußt ist – nicht die in der Sache liegenden Beweise, sondern diejenigen, welche man selbst anerkennen will oder anzuerkennen in der Lage ist. Der Verfasser dieser Schrift weiß, daß in ihr nichts steht, was nicht jeder anerkennen kann, der auf dem Boden der Naturerkenntnis der Gegenwart steht. Er weiß, daß man allen Anforderungen der Naturwissenschaft gerecht werden kann und gerade deswegen die Art der hier von der übersinnlichen Welt gegebenen Darstellung in sich gegründet finden kann. Ja, gerade echte naturwissenschaftliche Vorstellungsart sollte sich heimisch in dieser Darstellung fühlen. Und wer so denkt, der wird sich von mancher Diskussion in einer Art berührt fühlen, welche durch das tiefwahre Goethesche Wort gekennzeichnet ist: «Eine falsche Lehre läßt sich nicht widerlegen, denn sie ruht ja auf der Überzeugung, daß das Falsche wahr sei.» Diskussionen sind fruchtlos demjenigen gegenüber, der nur Beweise gelten lassen will, die in seiner Denkungsweise liegen. Wer mit dem Wesen des «Beweisens» bekannt ist, der ist sich klar darüber, daß die Menschenseele auf anderen Wegen als durch Diskussion das Wahre findet. – Aus solcher Gesinnung heraus sei dieses Buch auch in zweiter Auflage der Öffentlichkeit übergeben.
Rudolf Steiner
Einleitung
Als Johann Gottlieb Fichte im Herbst 1813 seine «Lehre» als reife Frucht eines ganz dem Dienste der Wahrheit gewidmeten Lebens vortrug, da sprach er gleich im Anfange folgendes aus: «Diese Lehre setzt voraus ein ganz neues inneres Sinneswerkzeug, durch welches eine neue Welt gegeben wird, die für den gewöhnlichen Menschen gar nicht vorhanden ist.» Und dann zeigte er an einem Vergleich, wie unfaßlich diese seine Lehre demjenigen sein muß, der sie mit den Vorstellungen der gewöhnlichen Sinne beurteilen will: «Denke man eine Welt von Blindgeborenen, denen darum allein die Dinge und ihre Verhältnisse bekannt sind, die durch den Sinn der Betastung existieren. Tretet unter diese und redet ihnen von Farben und den anderen Verhältnissen, die nur durch das Licht und für das Sehen vorhanden sind. Entweder ihr redet ihnen von Nichts, und dies ist das Glücklichere, wenn sie es sagen, denn auf diese Weise werdet ihr bald den Fehler merken und, falls ihr ihnen nicht die Augen zu öffnen vermögt, das vergebliche Reden einstellen.»
Nun befindet sich allerdings derjenige, der von solchen Dingen zu Menschen spricht, auf welche Fichte in diesem Falle deutet, nur zu oft in einer Lage, welche der des Sehenden zwischen Blindgeborenen ähnlich ist. Aber diese Dinge sind doch diejenigen, die sich auf des Menschen wahres Wesen und höchstes Ziel beziehen. Und es müßte somit derjenige an der Menschheit verzweifeln, der glauben wollte, daß es nötig sei, «das vergebliche Reden einzustellen. Keinen Augenblick darf vielmehr daran gezweifelt werden, daß es in bezug auf diese Dinge möglich sei, jedem «die Augen zu öffnen», der den guten Willen dazu mitbringt. – Aus dieser Voraussetzung heraus haben daher alle diejenigen gesprochen und geschrieben, die in sich fühlten, daß ihnen selbst das «innere Sinneswerkzeug» erwachsen sei, durch das sie das den äußeren Sinnen verborgene wahre Wesen des Menschen zu erkennen vermochten. Seit den ältesten Zeiten wird daher immer wieder und wieder von solcher «verborgenen Weisheit» gesprochen.
Wer etwas von ihr ergriffen hat, fühlt den Besitz ebenso sicher, wie die, welche wohlgebildete Augen haben, den Besitz der Farbenvorstellungen fühlen. Für ihn bedarf daher diese «verborgene Weisheit» keines «Beweises». Und er weiß auch, daß sie für denjenigen keines Beweises bedürfen kann, dem sich gleich ihm der «höhere Sinn» erschlossen hat. Zu einem solchen kann er sprechen, wie ein Reisender über Amerika zu sprechen vermag zu denen, die zwar nicht selbst Amerika gesehen haben, die sich aber davon eine Vorstellung machen können, weil sie alles sehen würden, was er gesehen hat, wenn sich ihnen dazu die Gelegenheit böte.
Aber nicht nur zu Erforschern der geistigen Welt soll der Beobachter des Übersinnlichen sprechen. Er muß seine Worte an alle Menschen richten. Denn er hat über Dinge zu berichten, die alle Menschen angehen; ja, er weiß, daß niemand ohne eine Kenntnis dieser Dinge im wahren Sinne des Wortes «Mensch» sein kann. Und er spricht zu allen Menschen, weil ihm bekannt ist, daß es verschiedene Grade des Verständnisses für das gibt, was er zu sagen hat. Er weiß, daß auch solche, die noch weit entfernt von dem Augenblicke sind, in dem ihnen die eigene geistige Forschung erschlossen wird, ihm Verständnis entgegenbringen können. Denn das Gefühl und das Verständnis für die Wahrheit liegen in jedem Menschen. Und an dieses Verständnis, das in jeder gesunden Seele aufleuchten kann, wendet er sich zunächst. Er weiß auch, daß in diesem Verständnis eine Kraft ist, die allmählich zu den höheren Graden der Erkenntnis führen muß. Dieses Gefühl, das vielleicht anfangs gar nichts sieht von dem, wovon zu ihm gesprochen wird, es ist selbst der Zauberer, der das «Auge des Geistes» aufschließt. In der Dunkelheit regt sich dieses Gefühl. Die Seele sieht nicht; aber durch dieses Gefühl wird sie erfaßt von der Macht der Wahrheit; und dann wird die Wahrheit nach und nach herankommen an die Seele und ihr den «höheren Sinn» öffnen. Für den einen mag es kürzer, für den andern länger dauern; wer Geduld und Ausdauer hat, der erreicht dieses Ziel. Denn wenn auch nicht jeder physisch Blindgeborene operiert werden kann: jedes geistige Auge kann geöffnet werden; und es ist nur eine Frage der Zeit, wann es geöffnet wird.
Gelehrsamkeit und wissenschaftliche Bildung sind keine Vorbedingungen zur Eröffnung dieses «höheren Sinnes». Dem naiven Menschen kann er sich ebenso erschließen wie dem wissenschaftlich Hochstehenden. Was in gegenwärtiger Zeit oft die «alleinige» Wissenschaft genannt wird, kann für dieses Ziel oft sogar eher hinderlich als fördernd sein. Denn diese Wissenschaft läßt naturgemäß nur dasjenige als «wirklich» gelten, was den gewöhnlichen Sinnen zugänglich ist. Und so groß auch ihre Verdienste um die Erkenntnis dieser Wirklichkeit sind: sie schafft, wenn sie, was für ihre Wissenschaft notwendig und segenbringend ist, für alles menschliche Wissen als maßgebend erklärt, zugleich eine Fülle von Vorurteilen, die den Zugang zu höheren Wirklichkeiten verschließen. Gegen dasjenige, was hier gesagt ist, wird oft eingewendet: dein Menschen seien einmal «unübersteigliche Grenzen» seiner Erkenntnis gesetzt. Man könne diese Grenzen nicht überschreiten; deshalb müssen alle Erkenntnisse abgelehnt werden, welche solche «Grenzen» nicht beachten. Und man sieht wohl auch den als recht unbescheiden an, der etwas über Dinge behaupten will, von denen es vielen für ausgemacht gilt, daß sie jenseits der Grenzen menschlicher Erkenntnisfähigkeit liegen. Man läßt bei einem solchen Einwande völlig unberücksichtigt, daß der höheren Erkenntnis eben eine Entwickelung der menschlichen Erkenntniskräfte voranzugehen hat. Was vor einer solchen Entwickelung jenseits der Grenzen des Erkennens liegt, das liegt nach der Erweckung von Fähigkeiten, die in jedem Menschen schlummern, durchaus innerhalb des Erkenntnisgebietes.
Eines darf dabei allerdings nicht außer acht gelassen werden. Man könnte sagen: wozu nützt es, über Dinge zu Menschen zu sprechen, für welche ihre Erkenntniskräfte nicht erweckt sind, die ihnen also selbst doch verschlossen sind? So ist aber die Sache doch falsch beurteilt. Man braucht gewisse Fähigkeiten, um die Dinge, um die es sich handelt, aufzufinden: werden sie aber, nachdem sie aufgefunden sind, mitgeteilt, dann kann jeder Mensch sie verstehen, der unbefangene Logik und gesundes Wahrheitsgefühl anwenden will. In diesem Buche werden keine anderen Dinge mitgeteilt als solche, die auf jeden, der allseitiges, durch kein Vorurteil getrübtes Denken und rückhaltloses, freies Wahrheitsgefühl in sich wirken läßt, den Eindruck machen können, daß durch sie an die Rätsel des Menschenlebens und der Welterscheinungen auf eine befriedigende Art herangetreten werden kann. Man stelle sich nur einmal auf den Standpunkt der Frage: Gibt es eine befriedigende Erklärung des Lebens, wenn die Dinge wahr sind, die da behauptet werden? Und man wird finden, daß das Leben eines jeden Menschen die Bestätigung liefert.
Um «Lehrer» auf diesen höheren Gebieten des Daseins zu sein, genügt es allerdings nicht, daß sich dem Menschen einfach der Sinn für sie erschlossen hat. Dazu gehört ebenso «Wissenschaft» auf ihnen, wie zum Lehrerberuf auf dem Gebiete der gewöhnlichen Wirklichkeit Wissenschaft gehört. «Höheres Schauen» macht ebensowenig schon zum «Wissenden» im Geistigen, wie gesunde Sinne zum «Gelehrten» in der sinnlichen Wirklichkeit machen. Und da in Wahrheit alle Wirklichkeit, die niedere und die höhere geistige, nur zwei Seiten einer und derselben Grundwesenheit sind, so wird derjenige, der unwissend in den niederen Erkenntnissen ist, es wohl auch zumeist in höheren Dingen bleiben. Diese Tatsache erzeugt in dem, der sich – durch geistige Berufung – zum Aussprechen über die geistigen Gebiete des Daseins veranlaßt fühlt, das Gefühl einer ins Unermeßliche gehenden Verantwortung. Sie legt ihm Bescheidenheit und Zurückhaltung auf. Niemanden aber soll sie abhalten, sich mit den höheren Wahrheiten zu beschäftigen. Auch den nicht, dem sein übriges Leben keine Veranlassung gibt, sich mit den gewöhnlichen Wissenschaften zu befassen. Denn man kann wohl seine Aufgabe als Mensch erfüllen, ohne von Botanik, Zoologie, Mathematik und anderen Wissenschaften etwas zu verstehen; man kann aber nicht in vollem Sinne des Wortes «Mensch» sein, ohne der durch das Wissen vom Übersinnlichen enthüllten Wesenheit und Bestimmung des Menschen in irgendeiner Art nahegetreten zu sein.
Das Höchste, zu dem der Mensch aufzublicken vermag, bezeichnet er als das «Göttliche». Und er muß seine höchste Bestimmung in irgendeiner Art mit diesem Göttlichen in Zusammenhang denken. Deshalb mag wohl auch die über das Sinnliche hinausgehende Weisheit, welche ihm sein Wesen und damit seine Bestimmung offenbart, «göttliche Weisheit» oder Theosophie genannt werden. Der Betrachtung der geistigen Vorgänge im Menschenleben und im Weltall kann man die Bezeichnung Geisteswissenschaft geben. Hebt man aus dieser, wie in diesem Buche geschehen ist, im besonderen diejenigen Ergebnisse heraus, welche auf den geistigen Wesenskern des Menschen sich beziehen, so kann für dieses Gebiet der Ausdruck «Theosophie» gebraucht werden, weil er durch Jahrhunderte hindurch in einer solchen Richtung angewendet worden ist.
Aus der hiermit angedeuteten Gesinnung heraus wird in dieser Schrift eine Skizze theosophischer Weltanschauung entworfen. Der sie niedergeschrieben hat, will nichts darstellen, was für ihn nicht in einem ähnlichen Sinne Tatsache ist, wie ein Erlebnis der äußeren Welt Tatsache für Augen und Ohren und den gewöhnlichen Verstand ist. – Man hat es ja mit Erlebnissen zu tun, die jedem zugänglich werden, wenn er den in einem besonderen Abschnitt dieser Schrift vorgezeichneten «Erkenntnispfad» zu betreten entschlossen ist. Man stellt sich in der richtigen Art zu den Dingen der übersinnlichen Welt, wenn man voraussetzt, daß gesundes Denken und Empfinden alles zu verstehen vermag, was an wahren Erkenntnissen aus den höheren Welten fließen kann, und daß man, wenn man von diesem Verständnisse ausgeht und den festen Grund damit legt, auch einen gewichtigen Schritt zum eigenen Schauen gemacht hat; wenn auch, um dieses zu erlangen, anderes hinzukommen muß. Man verriegelt sich aber die Türe zu der wahren höheren Erkenntnis, wenn man diesen Weg verschmäht und nur auf andere Art in die höheren Welten dringen will. Der Grundsatz: erst höhere Welten anzuerkennen, wenn man sie geschaut hat, ist ein Hindernis für dieses Schauen selbst. Der Wille, durch gesundes Denken erst zu verstehen, was später geschaut werden kann, fördert dieses Schauen. Es zaubert wichtige Kräfte der Seele hervor, welche zu diesem Schauen des «Sehers» führen.
Das Wesen des Menschen
Die folgenden Worte Goethes bezeichnen in schöner Art den Ausgangspunkt eines der Wege, auf denen das Wesen des Menschen erkannt werden kann: «Sobald der Mensch die Gegenstände um sich her gewahr wird, betrachtet er sie in bezug auf sich selbst; und mit Recht, denn es hängt sein ganzes Schicksal davon ab, ob sie ihm gefallen oder mißfallen, ob sie ihn anziehen oder abstoßen, ob sie ihm nützen oder schaden. Diese ganz natürliche Art, die Dinge anzusehen und zu beurteilen, scheint so leicht zu sein, als sie notwendig ist, und doch ist der Mensch dabei tausend Irrtümern ausgesetzt, die ihn oft beschämen und ihm das Leben verbittern.
Ein weit schwereres Tagewerk übernehmen diejenigen, deren lebhafter Trieb nach Kenntnis die Gegenstände der Natur an sich selbst und in ihren Verhältnissen untereinander zu beobachten strebt: denn sie vermissen bald den Maßstab, der ihnen zu Hilfe kam, wenn sie als Menschen die Dinge in bezug auf sich betrachten. Es fehlt ihnen der Maßstab des Gefallens und Mißfallens, des Anziehens und Abstoßens, des Nutzens und Schadens. Diesem sollen sie ganz entsagen, sie sollen als gleichgültige und gleichsam göttliche Wesen suchen und untersuchen, was ist, und nicht, was behagt. So soll den echten Botaniker weder die Schönheit noch die Nutzbarkeit der Pflanzen rühren, er soll ihre Bildung, ihr Verhältnis zu dem übrigen Pflanzenreiche untersuchen; und wie sie alle von der Sonne hervorgelockt und beschienen werden, so soll er mit einem gleichen ruhigen Blicke sie alle ansehen und übersehen und den Maßstab zu dieser Erkenntnis, die Data der Beurteilung nicht aus sich, sondern aus dem Kreise der Dinge nehmen, die er beobachtet.»
Auf dreierlei lenkt dieser von Goethe ausgesprochene Gedanke die Aufmerksamkeit des Menschen. Das erste sind die Gegenstände, von denen ihm durch die Tore seiner Sinne fortwährend Kunde zufließt, die er tastet, riecht, schmeckt, hört und sieht. Das zweite sind die Eindrücke, die sie auf ihn machen und die sich als sein Gefallen und Mißfallen, sein Begehren oder Verabscheuen dadurch kennzeichnen, daß er das eine sympathisch, das andere antipathisch, das eine nützlich, das andere schädlich findet. Und das dritte sind die Erkenntnisse, die er sich als «gleichsam göttliches Wesen» über die Gegenstände erwirbt; es sind die Geheimnisse des Wirkens und Daseins dieser Gegenstände, die sich ihm enthüllen.
Deutlich scheiden sich diese drei Gebiete im menschlichen Leben. Und der Mensch wird daher gewahr, daß er in einer dreifachen Art mit der Welt verwoben ist. – die erste Art ist etwas, was er vorfindet, was er als eine gegebene Tatsache hinnimmt. Durch die zweite Art macht er die Welt zu seiner eigenen Angelegenheit, zu etwas, das eine Bedeutung für ihn hat. Die dritte Art betrachtet er als ein Ziel, zu dem er unaufhörlich hinstreben soll.
Warum erscheint dem Menschen die Welt in dieser dreifachen Art? Eine einfache Betrachtung kann das lehren:
Ich gehe über eine mit Blumen bewachsene Wiese. Die Blumen künden mir ihre Farben durch mein Auge. Das ist die Tatsache, die ich als gegeben hinnehme.
Ich freue mich über die Farbenpracht. Dadurch mache ich die Tatsache zu meiner eigenen Angelegenheit. Ich verbinde durch meine Gefühle die Blumen mit meinem eigenen Dasein. Nach einem Jahre gehe ich wieder über dieselbe Wiese. Andere Blumen sind da. Neue Freude erwächst mir aus ihnen. Meine Freude vom Vorjahre wird als Erinnerung auftauchen. Sie ist in mir; der Gegenstand, der sie angefacht hat, ist vergangen. Aber die Blumen, die ich jetzt sehe, sind von derselben Art wie die vorjährigen; sie sind nach denselben Gesetzen gewachsen wie jene. Habe ich mich über diese Art, über diese Gesetze aufgeklärt, so finde ich sie in den diesjährigen Blumen so wieder, wie ich sie in den vorjährigen erkannt habe. Und ich werde vielleicht also nachsinnen: Die Blumen des Vorjahres sind vergangen; meine Freude an ihnen ist nur in meiner Erinnerung geblieben. Sie ist nur mit meinem Dasein verknüpft. Das aber, was ich im vorigen Jahre an den Blumen erkannt habe und dies Jahr wieder erkenne, das wird bleiben, solange solche Blumen wachsen. Das ist etwas, was sich mir offenbart hat, was aber von meinem Dasein nicht in gleicher Art abhängig ist wie meine Freude. Meine Gefühle der Freude bleiben in mir; die Gesetze, das Wesen der Blumen bleiben außerhalb meiner in der Welt.
So verbindet sich der Mensch immerwährend in dieser dreifachen Art mit den Dingen der Welt. Man lege zunächst nichts in diese Tatsache hinein, sondern fasse sie auf, wie sie sich darbietet. Es ergibt sich aus ihr, daß der Mensch drei Seiten in seinem Wesen hat. Dies und nichts anderes soll hier vorläufig mit den drei Worten Leib, Seele und Geist angedeutet werden. Wer irgendwelche vorgefaßten Meinungen oder gar Hypothesen mit diesen drei Worten verbindet, wird die folgenden Auseinandersetzungen notwendig mißverstehen müssen. Mit Leib ist hier dasjenige gemeint, wodurch sich dein Menschen die Dinge seiner Umwelt offenbaren, wie in obigem Beispiele die Blumen der Wiese. Mit dem Worte Seele soll auf das gedeutet werden, wodurch er die Dinge mit seinem eigenen Dasein verbindet, wodurch er Gefallen und Mißfallen, Lust und Unlust, Freude und Schmerz an ihnen empfindet. Als Geist ist das gemeint, was in ihm offenbar wird, wenn er, nach Goethes Ausdruck, die Dinge als «gleichsam göttliches Wesen» ansieht.
In diesem Sinne besteht der Mensch aus Leib, Seele und Geist.
Durch seinen Leib vermag sich der Mensch für den Augenblick mit den Dingen in Verbindung zu setzen. Durch seine Seele bewahrt er in sich die Eindrücke, die sie auf ihn machen; und durch seinen Geist offenbart sich ihm das, was sich die Dinge selbst bewahren. Nur wenn man den Menschen nach diesen drei Seiten betrachtet, kann man hoffen, Aufschluß über seine Wesenheit zu erhalten. Denn diese drei Seiten zeigen ihn in dreifach verschiedener Art mit der übrigen Welt verwandt.
Durch seinen Leib ist er mit den Dingen verwandt, die sich seinen Sinnen von außen darbieten. Die Stoffe der Außenwelt setzen diesen seinen Leib zusammen; die Kräfte der Außenwelt wirken auch in ihm. Und wie er die Dinge der Außenwelt mit seinen Sinnen betrachtet, so kann er auch sein eigenes leibliches Dasein beobachten. Aber unmöglich ist es, in derselben Art das seelische Dasein zu betrachten. Alles, was an mir leibliche Vorgänge sind, kann auch mit den leiblichen Sinnen wahrgenommenen werden. Mein Gefallen und mißfallen, meine Freude und meinen Schmerz kann weder ich noch ein anderer mit leiblichen Sinnen wahrnehmen. Das Seelische ist ein Gebiet, das der leiblichen Anschauung unzugänglich ist. Das leibliche Dasein des Menschen ist vor aller Augen offenbar; das seelische trägt er als seine Welt in sich. Durch den Geist aber wird ihm die Außenwelt in einer höheren Art offenbar. In seinem Innern enthüllen sich zwar die Geheimnisse der Außenwelt; aber er tritt im Geiste aus sich heraus und läßt die Dinge über sich selbst sprechen, über dasjenige, was nicht für ihn, sondern für sie Bedeutung hat. Der Mensch blickt zum gestirnten Himmel auf: das Entzücken, das seine Seele erlebt, gehört ihm an; die ewigen Gesetze der Sterne, die er im Gedanken, im Geiste erfaßt, gehören nicht ihm, sondern den Sternen selbst an.
So ist der Mensch Bürger dreier Welten. Durch seinen Leib gehört er der Welt an, die er auch mit seinem Leibe wahrnimmt; durch seine Seele baut er sich seine eigene Welt auf; durch seinen Geist offenbart sich ihm eine Welt, die über die beiden anderen erhaben ist.
Es scheint einleuchtend, daß man, wegen der wesentlichen Verschiedenheit dieser drei Welten, auch nur durch drei verschiedene Betrachtungsarten Klarheit über sie und den Anteil des Menschen an ihnen wird gewinnen können.
I. Die leibliche Wesenheit des Menschen
Durch leibliche Sinne lernt man den Leib des Menschen kennen. Und die Betrachtungsart kann dabei keine andere sein als diejenige, durch welche man andere sinnlich wahrnehmbare Dinge kennenlernt. Wie man die Mineralien, die Pflanzen, die Tiere betrachtet, so kann man auch den Menschen betrachten. Er ist mit diesen drei Formen des Daseins verwandt. Gleich den Mineralien baut er seinen Leib aus dem Stoffen der Natur auf; gleich den Pflanzen wächst er und pflanzt sich fort; gleich den Tieren nimmt er die Gegenstände um sich herum wahr und bildet auf Grund ihrer Eindrücke in sich innere Erlebnisse. Ein mineralisches, ein pflanzliches und ein tierisches Dasein darf man daher dem Menschen zusprechen.
Die Verschiedenheit im Bau der Mineralien, Pflanzen und Tiere entspricht den drei Formen ihres Daseins. Und dieser Bau – die Gestalt – ist es, was man mit den Sinnen wahrnimmt und was man allein Leib nennen kann. Nun ist aber der menschliche Leib von dem tierischen verschieden. Diese Verschiedenheit muß jedermann anerkennen, wie er auch über die Verwandtschaft des Menschen mit den Tieren sonst denken mag. Selbst der radikalste Materialist, der alles Seelische leugnet, wird nicht umhin können, den folgenden Satz zu unterschreiben, den Carus in seinem «Organon der Erkenntnis der Natur und des Geistes» ausspricht:
«Noch immer bleibt zwar der feinere innerlichste Bau des Nervensystems und namentlich des Hirns dem Physiologen und Anatomen ein unaufgelöstes Rätsel; aber daß jene Konzentration der Gebilde mehr und mehr in der Tierreihe steigt und im Menschen einen Grad erreicht, wie durchaus in keinem anderen Wesen, dies ist eine vollkommen festgestellte Tatsache; es ist für die Geistesentwicklung des Menschen von höchster Bedeutung, ja wir dürfen es geradezu aussprechen, eigentlich schon die hinreichende Erklärung. Wo der Bau des Hirns daher nicht gehörig sich entwickelt hat, wo Kleinheit und Dürftigkeit desselben, wie beim Mikrozephalen und Idioten, sich verraten, da versteht es sich von selbst, daß vorn Hervortreten eigentümlicher Ideen und vom Erkennen gerade so wenig die Rede sein kann wie in Menschen mit völlig verbildeten Generationsorganen von Fortbildung der Gattung. Ein kräftig und schön entwickelter Bau des ganzen Menschen dagegen und des Gehirns insbesondere wird zwar noch nicht allein den Genius setzen, aber doch jedenfalls die erste unerläßlichste Bedingung für höhere Erkenntnis gewähren.»
Wie man dem menschlichen Leib die drei Formen des Daseins, die mineralische, die pflanzliche und die tierische, zuspricht, so muß man ihm noch eine vierte, die besondere menschliche, zusprechen. Durch seine mineralische Daseinsform ist der Mensch verwandt mit allem Sichtbaren, durch seine pflanzliche mit allen Wesen, die wachsen und sich fortpflanzen; durch seine tierische mit allen, die ihre Umgebung wahrnehmen und auf Grund äußerer Eindrücke innere Erlebnisse haben; durch seine menschliche bildet er schon in leiblicher Beziehung ein Reich für sich.
Die seelische Wesenheit des Menschen
Als eigene Innenwelt ist die seelische Wesenheit des Menschen von seiner Leiblichkeit verschieden. Das Eigene tritt sofort entgegen, wenn man die Aufmerksamkeit auf die einfachste Sinnesempfindung lenkt. Niemand kann zunächst wissen, ob ein anderer eine solche einfache Sinnesempfindung in genau der gleichen Art erlebt wie er selbst. Bekannt ist, daß es Menschen gibt, die farbenblind sind. Solche sehen die Dinge nur in verschiedenen Schattierungen von Grau. Andere sind teilweise farbenblind. Sie können daher gewisse Farbennuancen nicht wahrnehmen. Das Weltbild, das ihnen ihr Auge gibt, ist ein anderes als dasjenige sogenannter normaler Menschen. Und ein Gleiches gilt mehr oder weniger für die andern Sinne. Ohne weiteres geht daraus hervor, daß schon die einfache Sinnesempfindung zur Innenwelt gehört. Mit meinen leiblichen Sinnen kann ich den roten Tisch wahrnehmen, den auch der andere wahrnimmt; aber ich kann nicht des andern Empfindung des Roten wahrnehmen. Man muß demnach die Sinnesempfindung als Seelisches bezeichnen. Wenn man sich diese Tatsache nur ganz klar macht, dann wird man bald aufhören, die Innenerlebnisse als bloße Gehirnvorgänge oder ähnliches anzusehen. An die Sinnesempfindung schließt sich zunächst das Gefühl. Die eine Empfindung macht dem Menschen Lust, die andere Unlust. Das sind Regungen seines inneren, seines seelischen Lebens. In seinen Gefühlen schafft sich der Mensch eine zweite Welt zu derjenigen hinzu, die von außen auf ihn einwirkt. Und ein Drittes kommt hinzu: der Wille. Durch ihn wirkt der Mensch wieder auf die Außenwelt zurück. Und dadurch prägt er sein inneres Wesen der Außenwelt auf. Die Seele des Menschen fließt in seinen Willenshandlungen gleichsam nach außen. Dadurch unterscheiden sich die Taten des Menschen von den Ereignissen der äußeren Natur, daß die ersteren den Stempel seines Innenlebens tragen. So stellt sich die Seele als das Eigene des Menschen der Außenwelt gegenüber. Er erhält von der Außenwelt die Anregungen; aber er bildet in Gemäßheit dieser Anregungen eine eigene Welt aus. Die Leiblichkeit wird zum Untergrunde des Seelischen.
III. Die geistige Wesenheit des Menschen
Das Seelische des Menschen wird nicht allein durch den Leib bestimmt. Der Mensch schweift nicht richtungs- und ziellos von einem Sinneseindruck zum andern; er handelt auch nicht unter dem Eindrucke jedes beliebigen Reizes, der von außen oder durch die Vorgänge seines Leibes auf ihn ausgeübt wird. Er denkt über seine Wahrnehmungen und über seine Handlungen nach. Durch das Nachdenken über die Wahrnehmungen erwirbt er sich Erkenntnisse über die Dinge; durch das Nachdenken über seine Handlungen bringt er einen vernunftgemäßen Zusammenhang in sein Leben. Und er weiß, daß er seine Aufgabe als Mensch nur dann würdig erfüllt, wenn er sich durch richtige Gedanken sowohl im Erkennen wie im Handeln leiten läßt das Seelische steht also einer zweifachen Notwendigkeit gegenüber. Von den Gesetzen des Leibes wird es durch Naturnotwendigkeit bestimmt; von den Gesetzen, die es zum richtigen Denken führen, läßt es sich bestimmen, weil es deren Notwendigkeit frei anerkennt. Den Gesetzen des Stoffwechsels ist der Mensch durch die Natur unterworfen; den Denkgesetzen unterwirft er sich selbst.
Dadurch macht sich der Mensch zum Angehörigen einer höheren Ordnung, als diejenige ist, der er durch seinen Leib angehört. Und diese Ordnung ist die geistige. So verschieden das Leibliche vom Seelischen, so verschieden ist dieses wieder vom Geistigen. Solange man bloß von den Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoffteilchen spricht, die sich im Leibe bewegen, hat man nicht die Seele im Auge. Das seelische Leben beginnt erst da, wo innerhalb solcher Bewegung die Empfindung auftritt: ich schmecke süß oder ich fühle Lust. Ebensowenig hat man den Geist im Auge, solange man bloß die seelischen Erlebnisse ansieht, die durch den Menschen ziehen, wenn er sich ganz der Außenwelt und seinem Leibesleben überläßt. Dieses Seelische ist vielmehr erst die Grundlage für das Geistige, wie das Leibliche die Grundlage für das Seelische ist. – Der Naturforscher hat es mit dem Leibe, der Seelenforscher (Psychologe) mit der Seele und der Geistesforscher mit dem Geiste zu tun. Durch Besinnung auf das eigene Selbst sich den Unterschied von Leib, Seele und Geist klarzumachen ist eine Anforderung, die an denjenigen gestellt werden muß, der sich denkend über das Wesen des Menschen aufklären will.
IV. Leib, Seele und Geist
Der Mensch kann sich in richtiger Art nur über sich aufklären, wenn er sich die Bedeutung des Denkens innerhalb seiner Wesenheit klarmacht. Das Gehirn ist das leibliche Werkzeug des Denkens. Wie der Mensch nur mit einem wohlgebildeten Auge Farben sehen kann, so dient ihm das entsprechend gebaute Gehirn zum Denken. Der ganze Leib des Menschen ist so gebildet, daß er in dem Geistesorgan, im Gehirn, seine Krönung findet man kann den Bau des menschlichen Gehirnes nur verstehen, wenn man es im Hinblick auf seine Aufgabe betrachtet. Diese besteht darin, die Leibesgrundlage des denkenden Geistes zu sein das zeigt ein vergleichender Überblick über die Tierwelt. Bei den Amphibien ist das Gehirn noch klein gegenüber dem Rückenmark; bei den Säugetieren wird es verhältnismäßig größer. Beim Menschen ist es am größten gegenüber dem ganzen übrigen Leib.
Gegen solche Bemerkungen über das Denken, wie sie hier vorgebracht werden, herrscht manches Vorurteil. Manche Menschen sind geneigt, das Denken zu unterschätzen und das «innige Gefühlsleben», die «Empfindung», höher zu stellen. Ja man sagt wohl: nicht durch das «nüchterne Denken», sondern durch die Wärme des Gefühls, durch die unmittelbare Kraft der Empfindungen erhebe man sich zu den höheren Erkenntnissen. Menschen, die so sprechen, fürchten, durch klares Denken die Gefühle abzustumpfen. Beim alltäglichen Denken, das sich nur auf die Dinge der Nützlichkeit bezieht, ist das sicher der Fall. Aber bei den Gedanken, die in höhere Regionen des Daseins führen, tritt das Umgekehrte ein. Es gibt kein Gefühl und keinen Enthusiasmus, die sich mit den Empfindungen an Wärme, Schönheit und Gehobenheit vergleichen lassen, welche angefacht werden durch die reinen, kristallklaren Gedanken, die sich auf höhere Welten beziehen. Die höchsten Gefühle sind eben nicht diejenigen, die «von selbst» sich einstellen, sondern diejenigen, welche in energischer Gedankenarbeit errungen werden.
Der Menschenleib hat einen dem Denken entsprechenden Bau. Dieselben Stoffe und Kräfte, die auch im Mineralreich vorhanden sind, finden sich im menschlichen Leib so gefügt, daß sich durch diese Zusammenfügung das Denken offenbaren kann. Dieser mineralische, in Gemäßheit seiner Aufgabe gebildete Bau soll für die folgende Betrachtung der physische Körper des Menschen heißen.
Der auf das Gehirn, als seinen Mittelpunkt, hingeordnete mineralische Bau entsteht durch Fortpflanzung und erhält seine ausgebildete Gestalt durch Wachstum Fortpflanzung und Wachstum hat der Mensch mit den Pflanzen und Tieren gemein. Durch Fortpflanzung und Wachstum unterscheidet sich das Lebendige von dem leblosen Mineral. Lebendiges entsteht aus Lebendigem durch den Keim. Der Nachkomme schließt sich an den Vorfahren in der Reihe des Lebendigen. Die Kräfte, durch die ein Mineral entsteht, sind auf die Stoffe selbst gerichtet, die es zusammensetzen. Ein Bergkristall bildet sich durch die dem Silizium und dem Sauerstoff innewohnenden Kräfte, die in ihm vereinigt sind. Die Kräfte, die einen Eichbaum gestalten, müssen wir auf dem Umwege durch den Keim in Mutter- und Vaterpflanze suchen. Und die Form der Eiche erhält sich bei der Fortpflanzung von den Vorfahren zu den Nachkommen. Es gibt innere, dem Lebenden angeborene Bedingungen.
Es war eine rohe Naturanschauung, die glaubte, daß niedere Tiere, selbst Fische, aus Schlamm sich bilden können. Die Form des Lebenden pflanzt sich durch Vererbung fort. Wie ein lebendes Wesen sich entwickelt, hängt davon ab, aus welchem Vater- oder Mutterwesen es entstanden ist, oder mit anderen Worten, welcher Art es angehört. Die Stoffe, aus denen es sich zusammensetzt, wechseln fortwährend; die Art bleibt während des Lebens bestehen und vererbt sich auf die Nachkommen. Die Art ist damit dasjenige, was die Zusammenfügung der Stoffe bestimmt. Diese artbildende Kraft soll Lebenskraft genannt werden. Wie sich die mineralischen Kräfte in den Kristallen ausdrücken, so die bildende Lebenskraft in den Arten oder Formen des pflanzlichen und tierischen Lebens.
Die mineralischen Kräfte nimmt der Mensch durch die leiblichen Sinne wahr. Und er kann nur dasjenige wahrnehmen, Wofür er solche Sinne hat. Ohne das Auge gibt es keine Licht-, ohne das Ohr keine Schallwahrnehmung. Die niedersten Organismen haben von den bei den Menschen vorhandenen Sinnen nur eine Art Tastsinn. Für sie sind in der Art der menschlichen Wahrnehmung nur diejenigen mineralischen Kräfte vorhanden, die sich dem Tastsinn zu erkennen geben. In dem Maße, in dem bei den höheren Tieren die anderen Sinne entwickelt sind, ist für sie die Umwelt, die auch der Mensch wahrnimmt, reicher, mannigfaltiger. Es hängt also von den Organen eines Wesens ab, ob das, was in der Außenwelt vorhanden ist, auch für das Wesen selbst als Wahrnehmung, als Empfindung vorhanden ist Was in der Luft als eine gewisse Bewegung vorhanden ist, wird im Menschen zur Schallempfindung. Die Äußerungen der Lebenskraft nimmt der Mensch durch die gewöhnlichen Sinne nicht wahr. Er sieht die Farben der Pflanze, er riecht ihren Duft; die Lebenskraft bleibt dieser Beobachtung verborgen. Aber sowenig der Blindgeborene mit Recht die Farben ableugnet, sowenig dürften die gewöhnlichen Sinne die Lebenskraft ableugnen. Die Farben sind für den Blindgeborenen da, sobald er operiert worden ist; ebenso sind für den Menschen die mannigfaltigen, durch die Lebenskraft geschaffenen Arten der Pflanzen und Tiere, nicht bloß die Individuen, auch als Wahrnehmung vorhanden, wenn sich ihm das Organ dafür erschließt.
Eine ganz neue Welt geht dem Menschen durch die Erschließung dieses Organs auf. Er nimmt nun nicht mehr bloß die Farben, Gerüche und so weiter der Lebewesen, sondern das Leben dieser Lebewesen selbst wahr. In jeder Pflanze, in jedem Tier empfindet er außer der physischen Gestalt noch die lebenerfüllte Geistgestalt. Um einen Ausdruck dafür zu haben, sei diese Geistgestalt der Ätherleib oder Lebensleib genannt. [1]
Für den Erforscher des geistigen Lebens stellt sich diese Sache in der folgenden Art dar. Ihm ist der Ätherleib nicht etwa bloß ein Ergebnis der Stoffe und Kräfte des physischen Leibes, sondern eine selbständige, wirkliche Wesenheit, welche die genannten physischen Stoffe und Kräfte erst zum Leben aufruft. Im Sinne der Geisteswissenschaft spricht man, wenn man sagt: ein bloßer physischer Körper hat seine Gestalt – zum Beispiel ein Kristall durch die dem Leblosen innewohnenden physischen Gestaltungskräfte; ein lebendiger Körper hat seine Form nicht durch diese Kräfte, denn in dem Augenblicke, wo das Leben aus ihm gewichen ist und er nur den physischen Kräften überlassen ist, zerfällt er. Der Lebensleib ist eine Wesenheit, durch welche in jedem Augenblicke während des Lebens der physische Leib vor dem Zerfalle bewahrt wird.
Um diesen Lebensleib zu sehen, ihn an einem anderen Wesen wahrzunehmen, braucht man eben das erweckte geistige Auge. Ohne dieses kann man aus logischen Gründen seine Existenz annehmen; schauen kann man ihn aber mit dem geistigen Auge, wie man die Farbe mit dem physischen Auge schaut. – Man sollte sich an dem Ausdruck «Ätherleib» nicht stoßen. «Äther» bezeichnet hier etwas anderes als den hypothetischen Äther der Physik. Man nehme die Sache einfach als Bezeichnung für das hin, was hier beschrieben wird. Und wie der physische Menschenleib in seinem Bau ein Abbild seiner Aufgabe ist, so ist es auch des Menschen Ätherleib. Man versteht auch diesen nur, wenn man ihn im Hinblick auf den denkenden Geist betrachtet. Durch seine Hinordnung auf den denkenden Geist unterscheidet sich der Ätherleib des Menschen von demjenigen der Pflanzen und Tiere.
So wie der Mensch durch seinen physischen Leib der mineralischen, so gehört er durch seinen Ätherleib der Lebenswelt an. Nach dem Tode löst sich der physische Leib in der Mineralwelt, der Ätherleib in der Lebenswelt auf. Mit «Leib» soll bezeichnet werden, was einem Wesen von irgendeiner Art «Gestalt», «Forum» gibt. Man sollte den Ausdruck «Leib» nicht mit sinnlicher Körperform verwechseln. In dem in dieser Schrift gemeinten Sinne kann die Bezeichnung «Leib» auch für das gebraucht werden, was sich als Seelisches und Geistiges gestaltet.
Der Lebensleib ist noch etwas dem Menschen Äußerliches. Mit dem ersten Regen der Empfindung antwortet das Innere selbst auf die Reize der Außenwelt. Man mag dasjenige, was man Außenwelt zu nennen berechtigt ist, noch so weit verfolgen: die Empfindung wird man nicht finden können.
Die Lichtstrahlen dringen in das Auge; sie pflanzen sich innerhalb desselben bis zur Netzhaut fort. Da rufen sie chemische Vorgänge (im sogenannten Sehpurpur) hervor; die Wirkung dieser Reize setzt sich durch den Sehnerv bis zum Gehirn fort; dort entstehen weitere physische Vorgänge. Könnte man diese beobachten, so sähe man eben physische Vorgänge wie anderswo in der Außenwelt. Vermag ich den Lebensleib zu beobachten, so werde ich wahrnehmen, wie der physische Gehirnvorgang zugleich ein Lebensvorgang ist. Aber die Empfindung der blauen Farbe, die der Empfänger der Lichtstrahlen hat, kann ich auf diesem Wege nirgends finden. Sie ersteht erst innerhalb der Seele dieses Empfängers. Wäre also das Wesen dieses Empfängers mit dem physischen Körper und dem Ätherleib erschöpft, so könnte die Empfindung nicht dasein. Ganz wesentlich unterscheidet sich die Tätigkeit, durch welche die Empfindung zur Tatsache wird, von dem Wirken der Lebensbildekraft. Ein inneres Erlebnis wird durch jene Tätigkeit aus diesem Wirken hervorgelockt. Ohne diese Tätigkeit wäre ein bloßer Lebensvorgang da, wie man ihn auch an der Pflanze beobachtet. Man stelle sich den Menschen vor, wie er von allen Seiten Eindrücke empfängt. Man muß sich ihn zugleich nach allen Richtungen hin, woher er diese Eindrücke empfängt, als Quell der bezeichneten Tätigkeit denken. Nach allen Seiten hin antworten die Empfindungen auf die Eindrücke. Dieser Tätigkeitsquell soll Empfindungsseele heißen. Diese Empfindungsseele ist ebenso wirklich wie der physische Körper. Wenn ein Mensch vor mir steht und ich sehe von seiner Empfindungsseele ab, indem ich ihn mir bloß als physischen Leib vorstelle, so ist das gerade so, als wenn ich mir von einem Gemälde bloß die Leinwand vorstelle.
Auch in bezug auf die Wahrnehmung der Empfindungsseele muß ähnliches gesagt werden wie vorher im Hinblick auf den Ätherleib. Die leiblichen Organe sind «blind» für sie. Und auch das Organ, von dem das Leben als Leben wahrgenommen werden kann, ist es. Aber so, wie durch dieses Organ der Ätherleib geschaut wird, so kann durch ein noch höheres Organ die innere Welt der Empfindungen zu einer besonderen Art übersinnlicher Wahrnehmungen werden. Der Mensch empfindet dann nicht nur die Eindrücke der physischen und der Lebenswelt, sondern er schaut die Empfindungen. Vor einem Menschen mit einem solchen Organ liegt die Welt der Empfindungen eines andern Wesens wie eine äußere Wirklichkeit da. Man muß unterscheiden zwischen dem Erleben der eigenen Empfindungswelt und dem Anschauen der Empfindungswelt eines andern Wesens. In seine eigene Empfindungswelt hineinschauen kann natürlich jeder Mensch; die Empfindungswelt eines andern Wesens schauen kann nur der Seher mit dem geöffneten «geistigen Auge». Ohne Seher zu sein, kennt der Mensch die Empfindungswelt nur als «innere», nur als die eigenen verborgenen Erlebnisse seiner Seele; mit dem geöffneten «geistigen Auge» leuchtet vor dem äußeren geistigen Anblick auf, was sonst nur «im Innern» des andern Wesens lebt.
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Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei hier ausdrücklich gesagt, daß der Seher nicht etwa in sich dasselbe erlebt, was das andere Wesen als seinen Inhalt der Empfindungswelt in sich hat. Dieses erlebt die Empfindungen von dem Gesichtspunkte seines Innern; der Seher nimmt eine Offenbarung, eine Äußerung der Empfindungswelt wahr.
Die Empfindungsseele hängt in bezug auf ihre Wirkung vom Ätherleib ab. Denn aus ihm holt sie ja das hervor, was sie als Empfindung aufglänzen lassen soll. Und da der Ätherleib das Leben innerhalb des physischen Leibes ist, so ist die Empfindungsseele auch von diesem mittelbar abhängig. Nur bei richtig lebendem, wohl gebautem Auge sind entsprechende Farbenempfindungen möglich. Dadurch wirkt die Leiblichkeit auf die Empfindungsseele. Diese ist also durch den Leib in ihrer Wirksamkeit bestimmt und begrenzt. Sie lebt innerhalb der ihr durch die Leiblichkeit gezogenen Grenzen.
Der Leib wird also aus den mineralischen Stoffen auferbaut, durch den Ätherleib belebt, und er begrenzt selbst die Empfindungsseele. Wer also das obenerwähnte Organ zum «Schauen» der Empfindungsseele hat, der erkennt sie durch den Leib begrenzt.
Aber die Grenze der Empfindungsseele fällt nicht mit derjenigen des physischen Körpers zusammen. Diese Seele ragt über den physischen Leib hinaus. Man sieht daraus, daß sie sich mächtiger erweist, als er ist. Aber die Kraft, durch die ihr die Grenze gesetzt ist, geht von dem physischen Leibe aus. Damit stellt sich zwischen den physischen Leib und den Ätherleib einerseits und die Empfindungsseele andererseits noch ein besonderes Glied der menschlichen Wesenheit hin. Es ist der Seelenleib oder Empfindungsleib. Man kann auch sagen: ein Teil des Ätherleibes sei feiner als der übrige, und dieser feinere Teil des Ätherleibes bildet eine Einheit mit der Empfindungsseele, während der gröbere Teil eine Art Einheit mit dem physischen Leib bildet. Doch ragt, wie gesagt, die Empfindungsseele über den Seelenleib hinaus.
Was hier Empfindung genannt wird, ist nur ein Teil des seelischen Wesens. (Der Ausdruck Empfindungsseele wird der Einfachheit halber gewählt.) An die Empfindungen schließen sich die Gefühle der Lust und Unlust, die Triebe, Instinkte, Leidenschaften. All das trägt denselben Charakter des Eigenlebens wie die Empfindungen und ist, wie sie, von der Leiblichkeit abhängig.
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Ebenso wie mit dem Leibe tritt die Empfindungsseele auch mit dem Denken, dem Geiste, in Wechselwirkung. Zunächst dient ihr das Denken. Der Mensch bildet sich Gedanken über seine Empfindungen. Dadurch klärt er sich über die Außenwelt auf. Das Kind, das sich verbrannt hat, denkt nach und gelangt zu dem Gedanken: «das Feuer brennt». Auch seinen Trieben, Instinkten und Leidenschaften folgt der Mensch nicht blindlings; sein Nachdenken führt die Gelegenheit herbei, durch die er sie befriedigen kann. Was man materielle Kultur nennt, bewegt sich durchaus in dieser Richtung. Sie besteht in den Diensten, die das Denken der Empfindungsseele leistet. Unermeßliche Summen von Denkkräften werden auf dieses Ziel gerichtet. Denkkraft ist es, die Schiffe, Eisenbahnen, Telegraphen, Telephone gebaut hat; und alles das dient zum weitaus größten Teil zur Befriedigung von Bedürfnissen der Empfindungsseelen. In ähnlicher Art, wie die Lebensbildekraft den physischen Körper durchdringt, so durchdringt die Denkkraft die Empfindungsseele. Die Lebensbildekraft knüpft den physischen Körper an Vorfahren und Nachkommen und stellt ihn dadurch in eine Gesetzmäßigkeit hinein, die das bloß Mineralische nichts angeht. Ebenso stellt die Denkkraft die Seele in eine Gesetzmäßigkeit hinein, der sie als bloße Empfindungsseele nicht angehört.
Durch die Empfindungsseele ist der Mensch dem Tiere verwandt. Auch beim Tiere bemerken wir das Vorhandensein von Empfindungen, Trieben, Instinkten und Leidenschaften. Aber das Tier folgt diesen unmittelbar. Sie werden bei ihm nicht mit selbständigen, über das unmittelbare Erleben hinausgehenden Gedanken durchwoben. Auch beim unentwickelten Menschen ist das bis zu einem gewissen Grade der Fall. Die bloße Empfindungsseele ist daher verschieden von dem entwickelten höheren Seelengliede, welches das Denken in seinen Dienst stellt. Als Verstandesseele sei diese vom Denken bediente Seele bezeichnet. Man könnte sie auch die Gemütsseele oder das Gemüt nennen.
Die Verstandesseele durchdringt die Empfindungsseele. Wer das Organ zum «Schauen» der Seele hat, sieht daher die Verstandesseele als eine besondere Wesenheit gegenüber der bloßen Empfindungsseele an.
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Durch das Denken wird der Mensch über das Eigenleben hinausgeführt Er erwirbt sich etwas, das über seine Seele hinausreicht. Es ist für ihn eine selbstverständliche Überzeugung, daß die Denkgesetze in Übereinstimmung mit der Weltordnung sind. Er betrachtet sich deshalb als ein Einheimischer in der Welt, weil diese Übereinstimmung besteht. Diese Übereinstimmung ist eine der gewichtigen Tatsachen, durch die der Mensch seine eigene Wesenheit kennenlernt. In seiner Seele sucht der Mensch nach Wahrheit; und durch diese Wahrheit spricht sich nicht allein die Seele, sondern sprechen sich die Dinge der Welt aus. Was durch das Denken als Wahrheit erkannt wird, hat eine selbständige Bedeutung, die sich auf die Dinge der Welt bezieht, nicht bloß auf die eigene Seele. Mit meinem Entzücken über den Sternenhimmel lebe ich in mir; die Gedanken, die ich mir über die Bahnen der Himmelskörper bilde, haben für das Denken jedes anderen dieselbe Bedeutung wie für das Meinige. Es wäre sinnlos, von meinem Entzücken zu sprechen, wenn ich selbst nicht vorhanden wäre; aber es ist nicht in derselben Weise sinnlos, von meinen Gedanken auch ohne Beziehung auf mich zu sprechen. Denn die Wahrheit, die ich heute denke, war auch gestern wahr und wird morgen wahr sein, obschon ich mich nur heute mit ihr beschäftige. Macht eine Erkenntnis mir Freude, so ist diese Freude so lange von Bedeutung, als sie in mir lebt; die Wahrheit der Erkenntnis hat ihre Bedeutung ganz unabhängig von dieser Freude. In dem Ergreifen der Wahrheit verbindet sich die Seele mit etwas, das seinen Wert in sich selbst trägt. Und dieser Wert verschwindet nicht mit der Seelenempfindung, ebensowenig wie er mit dieser entstanden ist. Was wirklich Wahrheit ist, das entsteht nicht und vergeht nicht: das hat eine Bedeutung, die nicht vernichtet werden kann.
Dem widerspricht es nicht, daß einzelne menschliche «Wahrheiten» nur einen vorübergehenden Wert haben, weil sie in einer gewissen Zeit als teilweise oder ganze Irrtümer erkannt werden. Denn der Mensch muß sich sagen, daß die Wahrheit doch in sich selbst besteht, wenn auch seine Gedanken nur vergängliche Erscheinungsformen der ewigen Wahrheiten sind. Auch wer – wie Lessing – sagt, er begnüge sich mit dem ewigen Streben nach Wahrheit, da die volle, reine Wahrheit doch nur für einen Gott dasein könne, der leugnet nicht den Ewigkeitswert der Wahrheit, sondern er bestätigt ihn gerade durch solchen Ausspruch. Denn nur was eine ewige Bedeutung in sich selbst hat, kann ein ewiges Streben nach sich hervorrufen. Wäre die Wahrheit nicht in sich selbständig, erhielte sie ihren Wert und ihre Bedeutung durch die menschliche Seelenempfindung, dann könnte sie nicht ein einiges Ziel für alle Menschen sein. Indem man nach ihr streben will, gesteht man ihr ihre selbständige Wesenheit zu.
Und wie mit dem Wahren, so ist es mit dem wahrhaft Guten. Das Sittlich-Gute ist unabhängig von Neigungen und Leidenschaften, insofern es sich nicht von ihnen gebieten läßt, sondern ihnen gebietet. Gefallen und Mißfallen, Begehren und Verabscheuen gehören der eigenen Seele des Menschen an; die Pflicht steht über Gefallen und Mißfallen. So hoch kann dem Menschen die Pflicht stehen, daß er für sie das Leben opfert. Und der Mensch steht um so höher, je mehr er seine Neigungen, sein Gefallen und Mißfallen dahin veredelt hat, daß sie ohne Zwang, ohne Unterwerfung durch sich selbst der erkannten Pflicht folgen. Das Sittlich-Gute hat ebenso wie die Wahrheit seinen Ewigkeitswert in sich und erhält ihn nicht durch die Empfindungsseele.
Indern der Mensch das selbständige Wahre und Gute in seinem Innern aufleben läßt, erhebt er sich über die bloße Empfindungsseele. Der ewige Geist scheint in diese herein. Ein Licht geht in ihr auf, das unvergänglich ist sofern die Seele in diesem Lichte lebt, ist sie eines Ewigen teilhaftig. Sie verbindet mit ihm ihr eigenes Dasein. Was die Seele als Wahres und Gutes in sich trägt, ist unsterblich in ihr, – das, was in der Seele als Ewiges aufleuchtet, sei hier Bewußtseinsseele genannt.
Von Bewußtsein kann man auch bei den niedrigeren Seelenregungen sprechen. Die alltäglichste Empfindung ist Gegenstand des Bewußtseins. Insofern kommt auch dem Tiere Bewußtsein zu. Der Kern des menschlichen Bewußtseins, also die Seele in der Seele, ist hier mit Bewußtseinsseele gemeint. Die Bewußtseinsseele wird hier noch als ein besonderes Glied der Seele von der Verstandesseele unterschieden. Diese letztere ist noch in die Empfindungen, in die Triebe, Affekte und so weiter verstrickt. Jeder Mensch weiß, wie ihm zunächst das als wahr gilt, was er in seinen Empfindungen und so weiter vorzieht. Erst diejenige Wahrheit aber ist die bleibende, die sich losgelöst hat von allem Beigeschmack solcher Sympathien und Antipathien der Empfindungen und so weiter. Die Wahrheit ist wahr, auch wenn sich alle persönlichen Gefühle gegen sie auflehnen. Derjenige Teil der Seele, in dem diese Wahrheit lebt, soll Bewußtseinsseele genannt werden.
So hätte man, wie in dem Leib, auch in der Seele drei Glieder zu unterscheiden: die Empfindungsseele, die Verstandesseele und die Bewußtseinsseele. Und wie von unten herauf die Leiblichkeit auf die Seele begrenzend wirkt, so wirkt von oben herunter die Geistigkeit auf sie erweiternd. Denn je mehr sich die Seele von dem Wahren und Guten erfüllt, desto weiter und umfassender wird das Ewige in ihr.
Für denjenigen, der die Seele zu «schauen» vermag, ist der Glanz, der von dem Menschen ausgeht, weil sein Ewiges sich erweitert, eine eben solche Wirklichkeit, wie für das sinnliche Auge das Licht wirklich ist, das von einer Flamme ausstrahlt. Für den «Sehenden» gilt der leibliche Mensch nur als ein Teil des ganzen Menschen. Der Leib liegt als das gröbste Gebilde inmitten anderer, die ihn und sich selbst gegenseitig durchdringen. Als eine Lebensform erfüllt den physischen Körper der Ätherleib; an allen Seiten über diesen hinausragend erkennt man den Seelenleib (Astralgestalt). Und wieder über diesen hinausragend die Empfindungsseele, dann die Verstandesseele, die um so größer wird, je mehr sie von dem Wahren und Guten in sich aufnimmt. Denn dieses Wahre und Gute bewirkt die Erweiterung der Verstandesseele. Ein Mensch, der lediglich seinen Neigungen, seinem Gefallen und Mißfallen leben würde, hätte eine Verstandesseele, deren Grenzen mit denen seiner Empfindungsseele zusammenfielen. Diese Gebilde, inmitten deren der physische Körper wie in einer Wolke erscheint, kann man die menschliche Aura nennen. Sie ist dasjenige, um das sich das «Wesen des Menschen» bereichert, wenn es in der Art geschaut wird, wie diese Schrift versucht, es darzustellen.
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Im Laufe der Kindheitsentwickelung tritt im Leben des Menschen der Augenblick ein, in dem er sich zum erstenmal als ein selbständiges Wesen gegenüber der ganzen übrigen Welt empfindet. Fein empfindenden Menschen ist das ein bedeutsames Erlebnis. Der Dichter Jean Paul erzählt in seiner Lebensbeschreibung: «Nie vergeß’ ich die noch keinem Menschen erzählte Erscheinung in mir, wo ich bei der Geburt meines Selbstbewußtseins stand, von der ich Ort und Zeit anzugeben weiß. An einem Vormittag stand ich als ein sehr junges Kind unter der Haustür und sah links nach der Holzlege, als auf einmal das innere Gesicht, ich bin ein Ich, wie ein Blitzstrahl vom Himmel auf mich fuhr und seitdem leuchtend stehenblieb: da hatte mein Ich zum erstenmal sich selber gesehen und auf ewig. Täuschungen des Erinnerns sind hier schwerlich denkbar, da kein fremdes Erzählen sich in eine bloß im verhangenen Allerheiligsten des Menschen vorgefallene Begebenheit, deren Neuheit allein so alltäglichen Nebenumständen das Bleiben gegeben, mit Zusätzen mengen konnte.»
Es ist bekannt, daß kleine Kinder von sich sagen: «Karl ist brav», «Marie will das haben». Man findet es angemessen, daß sie von sich so wie von andern reden, weil sie sich ihrer selbständigen Wesenheit noch nicht bewußt geworden sind, weil das Bewußtsein vom Selbst noch nicht in ihnen geboren ist. Durch das Selbstbewußtsein bezeichnet sich der Mensch als ein selbständiges, von allem übrigen abgeschlossenes Wesen, als «Ich». Im «Ich» faßt der Mensch alles zusammen, was er als leibliche und seelische Wesenheit erlebt. Leib und Seele sind die Träger des «Ich»; in ihnen wirkt es. Wie der physische Körper im Gehirn, so hat die Seele im «Ich» ihren Mittelpunkt zu Empfindungen wird der Mensch von außen angeregt; Gefühle machen sich geltend als Wirkungen der Außenwelt; der Wille bezieht sich auf die Außenwelt, denn er verwirklicht sich in äußeren Handlungen. Das «Ich» bleibt als die eigentliche Wesenheit des Menschen ganz unsichtbar. Treffend nennt daher Jean Paul das Gewahrwerden des «Ich» eine «bloß im verhangenen Allerheiligsten des Menschen vorgefallene Begebenheit». Denn mit seinem «Ich» ist der Mensch ganz allein.
Und dieses «Ich» ist der Mensch selbst. Das berechtigt ihn, dieses «Ich» als seine wahre Wesenheit anzusehen. Er darf deshalb seinen Leib und seine Seele als die «Hüllen» bezeichnen, innerhalb deren er lebt; und er darf sie als leibliche Bedingungen bezeichnen, durch die er wirkt. Im Laufe seiner Entwickelung lernt er diese Werkzeuge immer mehr als Diener seines «Ich» gebrauchen. Das Wörtchen «Ich», wie es zum Beispiel in der deutschen Sprache angewendet wird, ist ein Name, der sich von allen anderen Namen unterscheidet. Wer über die Natur dieses Namens in zutreffender Art nachdenkt, dem eröffnet sich damit zugleich der Zugang zur Erkenntnis der menschlichen Wesenheit im Tiefern Sinne. Jeden andern Namen können alle Menschen in der gleichen Art auf das ihm entsprechende Ding anwenden. Den Tisch kann jeder «Tisch», den Stuhl jeder «Stuhl» nennen. Bei dem Namen «Ich» ist dies nicht der Fall. Es kann ihn keiner anwenden zur Bezeichnung eines andern; jeder kann nur sich selbst «Ich» nennen. Niemals kann der Name «Ich» von außen an mein Ohr dringen, wenn er die Bezeichnung für mich ist. Nur von innen heraus, nur durch sich selbst kann die Seele sich als «Ich» bezeichnen. Indem der Mensch also zu sich «Ich» sagt, beginnt in ihm etwas zu sprechen, was mit keiner der Welten etwas zu tun hat, aus denen die bisher genannten «Hüllen» entnommen sind. Das «Ich» wird immer mehr Herrscher über Leib und Seele.
Auch das kommt in der Aura zum Ausdrucke. Je mehr das Ich Herrscher ist über Leib und Seele, desto gegliederter, mannigfaltiger, farbenreicher ist die Aura. Die Wirkung des Ich auf die Aura kann der «Sehende» schauen. Das «Ich» selbst ist auch ihm unsichtbar: dieses ist wirklich indem «verhangenen Allerheiligsten des Menschen».
Aber das Ich nimmt in sich die Strahlen des Lichtes auf, das als ewiges Licht in dem Menschen aufleuchtet. Wie dieser die Erlebnisse des Leibes und der Seele in dem «Ich» zusammenfaßt, so läßt er auch die Gedanken der Wahrheit und Güte in das «Ich» einfließen. Die Sinneserscheinungen offenbarten sich dem «Ich» von der einen, der Geist von der andern Seite. Leib und Seele geben sich dem «Ich» hin, um ihm zu dienen; das «Ich» aber gibt sich dem Geiste hin, daß er es erfülle. Das «Ich» lebt in Leib und Seele; der Geist aber lebt im «Ich». Und was vom Geiste im Ich ist, das ist ewig. Denn das Ich erhält Wesen und Bedeutung von dem, womit es verbunden ist. Insofern es im physischen Körper lebt, ist es den mineralischen Gesetzen, durch den Ätherleib ist es den Gesetzen der Fortpflanzung und des Wachstums, vermöge der Empfindungs- und Verstandesseele den Gesetzen der seelischen Welt unterworfen; insofern es das Geistige in sich aufnimmt, ist es den Gesetzen des Geistes unterworfen. Was die mineralischen, was die Lebensgesetze bilden, entsteht und vergeht; der Geist aber hat mit Entstehung und Untergang nichts zu tun.
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Das Ich lebt in der Seele. Wenn auch die höchste Äußerung des «Ich» der Bewußtseinsseele angehört, so muß man doch sagen, daß dieses «Ich» von da ausstrahlend die ganze Seele erfüllt und durch die Seele seine Wirkung auf den Leib äußert. Und in dem Ich ist der Geist lebendig. Es strahlt der Geist in das Ich und lebt in ihm als in seiner «Hülle», wie das Ich in Leib und Seele als seinen «Hüllen» lebt. Der Geist bildet das Ich von innen nach außen, die mineralische Welt von außen nach innen. Der ein «Ich» bildende und als «Ich» lebende Geist sei «Geistselbst» genannt, weil er als «Ich» oder «Selbst» des Menschen erscheint. Den Unterschied zwischen dem «Geistselbst» und der «Bewußtseinsseele» kann man sich in folgender Art klarmachen. Die Bewußtseinsseele berührt die von jeder Antipathie und Sympathie unabhängige, durch sich selbst bestehende Wahrheit; das Geistselbst trägt in sich dieselbe Wahrheit, aber aufgenommen und umschlossen durch das «Ich»; durch das letztere individualisiert und in die selbständige Wesenheit des Menschen übernommen. Dadurch, daß die ewige Wahrheit so verselbständigt und mit dem «Ich» zu einer Wesenheit verbunden wird, erlangt das «Ich » selbst die Ewigkeit.
Das Geistselbst ist eine Offenbarung der geistigen Welt innerhalb des Ich, wie von der andern Seite her die Sinnesempfindung eine Offenbarung der physischen Welt innerhalb des Ich ist. In dem, was rot, grün, hell, dunkel, hart, weich, warm, kalt ist, erkennt man die Offenbarungen der körperlichen Welt; in dein, was wahr und gut ist, die Offenbarungen der geistigen Welt. In dem gleichen Sinne, wie die Offenbarung des Körperlichen Empfindung heißt, sei die Offenbarung des Geistigen Intuition genannt. Der einfachste Gedanke enthält schon Intuition, denn man kann ihn nicht mit Händen tasten, nicht mit Augen sehen: man muß seine Offenbarung aus dem Geiste durch das Ich empfangen.
Wenn ein unentwickelter und ein entwickelter Mensch eine Pflanze ansehen, so lebt in dem Ich des einen etwas ganz anderes als in dem des zweiten. Und doch sind die Empfindungen beider durch denselben Gegenstand hervorgerufen. Die Verschiedenheit liegt darin, daß der eine sich weit vollkommenere Gedanken über den Gegenstand machen kann als der andere. Offenbarten die Gegenstande sich allein durch die Empfindung, dann könnte es keinen Fortschritt in der geistigen Entwickelung geben. Die Natur empfindet auch der Wilde; die Naturgesetze offenbaren sich erst den von der Intuition befruchteten Gedanken des höher entwickelten Menschen. Die Reize der Außenwelt empfindet auch das Kind als Antrieb des Willens, die Gebote des sittlich Guten gehen ihm aber nur im Laufe der Entwickelung auf, indem es im Geiste leben und dessen Offenbarung verstehen lernt.
Wie ohne das Auge keine Farbenempfindungen da wären, so ohne das höhere Denken des Geistselbst keine Intuitionen. Und sowenig die Empfindung die Pflanze schafft, an der die Farbe erscheint, sowenig schafft die Intuition das Geistige, von welchem sie vielmehr nur Kunde gibt.
Durch die Intuitionen holt sich das Ich des Menschen, das in der Seele auflebt, die Botschaften von oben, von der Geisteswelt, wie es sich durch die Empfindungen die Botschaften aus der physischen Welt holt. Und dadurch macht die Geisteswelt ebenso zum Eigenleben seiner Seele wie vermittels der Sinne die physische Welt. Die Seele, der das in ihr aufleuchtende Ich, öffnet nach Zwei Seiten in seine Tore: nach der Seite des Körperlichen und nach derjenigen des Geistigen.
Wie nun die physische Welt dem Ich nur dadurch von Ich Kunde geben kann, daß sie aus ihren Stoffen und Kräften einen Körper aufbaut, in dem die bewußte Seele leben kann und innerhalb dessen diese Organe besitzt, um das Körperliche außer sich wahrzunehmen, so baut auch die geistige Welt mit ihren Geistesstoffen und ihren Geisteskräften einen Geistkörper auf, in dem das Ich leben und durch Intuitionen das Geistige wahrnehmen kann. (Es ist einleuchtend, daß die Ausdrücke Geiststoff, Geistkörper dem Wortsinne nach einen Widerspruch enthalten. Sie sollen nur gebraucht werden, um den Gedanken auf dasjenige hinzulenken, was im Geistigen dem physischen Leibe des Menschen entspricht.)
Und ebenso wie innerhalb der physischen Welt der einzelne menschliche Körper als eine abgesonderte Wesenheit aufgebaut wird, so innerhalb der Geisteswelt der Geistkörper. Es gibt in der Geisteswelt für den Menschen ebenso ein innen und Außen wie in der physischen Welt. Wie der Mensch aus der physischen Umwelt die Stoffe aufnimmt und sie in seinem physischen Leib verarbeitet, so nimmt er aus der geistigen Umwelt das Geistige auf und macht es zu dem Seinigen. Das Geistige ist die ewige Nahrung des Menschen. Und wie der Mensch aus der physischen Welt geboren ist, so wird er aus dem Geiste durch die ewigen Gesetze des Wahren und Guten geboren. Er ist von der außer ihm befindlichen Geisteswelt abgetrennt, wie er von der gesamten physischen Welt als ein selbständiges Wesen abgetrennt ist. Diese selbständige geistige Wesenheit sei «Geistmensch» genannt.
Wenn wir den physischen Menschenkörper untersuchen, finden wir in ihm dieselben Stoffe und Kräfte, die außerhalb desselben in der übrigen physischen Welt vorhanden sind. So ist es auch mit dem Geistmenschen. In ihm pulsieren die Elemente der äußeren Geisteswelt, in ihm sind die Kräfte der übrigen Geisteswelt tätig. Wie in der physischen Haut ein Wesen in sich abgeschlossen wird, das lebend und empfindend ist, so auch in der Geisteswelt. Die geistige Haut, die den Geistmenschen von der einheitlichen Geisteswelt abschließt, ihn innerhalb derselben zu einem selbständigen Geisteswesen macht, das in sich lebt und intuitiv den Geistesinhalt der Welt wahrnimmt, diese «geistige Haut» sei Geisteshülle (aurische Hülle) genannt. Nur muß festgehalten werden, daß diese «geistige Haut» sich fortdauernd mit der fortschreitenden menschlichen Entwickelung ausdehnt, so daß die geistige Individualität des Menschen (seine aurische Hülle) einer unbegrenzten Vergrößerung fähig ist.
Innerhalb dieser Geisteshülle lebt der Geistesmensch. Dieser wird durch die geistige Lebenskraft in demselben Sinne auferbaut, wie der physische Leib durch die physische Lebenskraft. In ähnlicher Weise, wie man von einem Ätherleib spricht, muß man daher von einem Äthergeist in bezug auf den Geistesmenschen sprechen. Dieser Äthergeist sei Lebensgeist genannt In drei Teile gliedert sich also die geistige Wesenheit des Menschen: in den Geistmenschen, den Lebensgeist und das Geistselbst.
Für den in den geistigen Gebieten «Sehenden» ist diese geistige Wesenheit des Menschen als der höhere eigentliche geistige – Teil der Aura eine wahrnehmbare Wirklichkeit. Er «schaut» innerhalb der Geisteshülle den Geistesmenschen als Lebensgeist; und «er schaut», wie sich dieser «Lebensgeist» fortwährend durch Aufnahme von Geistesnahrung aus der geistigen Außenwelt vergrößert. Und ferner sieht er, wie durch diese Aufnahme sich die Geisteshülle fortdauernd weitet, wie der Geistmensch immer größer und größer wird. Insofern dieses «Größerwerden» räumlich «geschaut» wird» ist es selbstverständlich nur ein Bild der Wirklichkeit. Dessenungeachtet ist in der Vorstellung dieses Bildes die Menschenseele auf die entsprechende geistige Wirklichkeit hin gerichtet. Es ist der Unterschied der geistigen Wesenheit des Menschen von seiner physischen, daß die letztere eine begrenzte Größe hat, während die erstere unbegrenzt wachsen kann. Was an geistiger Nahrung aufgenommen wird, hat ja einen Ewigkeitswert. Aus zwei sich durchdringenden Teilen setzt sich deshalb die menschliche Aura zusammen. Dem einen gibt Färbung und Form das physische Dasein des Menschen, dem andern sein geistiges.
Das Ich gibt die Trennung zwischen beiden, in der Art, daß sich das Physische in seiner Eigenart hingibt und einen Leib aufbaut, der eine Seele in sich aufleben läßt; und das Ich gibt sich wieder hin und läßt in sich den Geist aufleben, der nun seinerseits die Seele durchdringt und ihr das Ziel gibt in der Geisteswelt. Durch den Leib ist die Seele eingeschlossen im Physischen, durch den Geistesmenschen wachsen ihr die Flügel zur Bewegung in der geistigen Welt.
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Will man den ganzen Menschen erfassen, so muß man ihn aus den genannten Bestandteilen zusammengesetzt denken. Der Leib baut sich aus der physischen Stoffwelt auf, so daß dieser Bau auf das denkende Ich hingeordnet ist Er ist von Lebenskraft durchdrungen und wird dadurch zum Ätherleib oder Lebensleib. Als solcher schließt er sich in den Sinnesorganen nach außen auf und wird zum Seelenleib. Diesen durchdringt die Empfindungsseele und wird eine Einheit mit ihm. Die Empfindungsseele empfängt nicht bloß die Eindrücke der Außenwelt als Empfindungen; sie hat ihr eigenes Leben, das sich durch das Denken auf der andern Seite ebenso befruchtet wie durch die Empfindungen auf der einen. So wird sie zur Verstandesseele. Sie kann das dadurch, daß sie sich nach oben hin den Intuitionen erschließt wie nach unten hin den Empfindungen. Dadurch ist sie Bewußtseinsseele. Das ist ihr deshalb möglich, weil ihr die Geisteswelt das Intuitionsorgan hineinbildet, wie ihr der physische Leib die Sinnesorgane bildet. Wie die Sinne durch den Seelenleib die Empfindungen, so vermittelt ihr der Geist durch das Intuitionsorgan die Intuitionen. Der Geistmensch ist dadurch mit der Bewußtseinsseele in einer Einheit verbunden wie der physische Körper mit der Empfindungsseele im Seelenleib. Bewußtseinsseele und Geistselbst bilden eine Einheit. In dieser Einheit lebt der Geistesmensch als Lebensgeist, wie der Ätherleib für den Seelenleib die leibliche Lebensgrundlage bildet. Und wie der physische Körper in der physischen Haut sich abschließt, so der Geistmensch in der Geisteshülle. Es ergibt sich die Gliederung des ganzen Menschen in folgender Art:
A. Physischer Körper
B. Ätherleib oder Lebensleib
C. Seelenleib
D. Empfindungsseele
E. Verstandesseele
F. Bewußtseinsseele
G. Geistselbst
H. Lebensgeist
I. Geistesmensch.
Seelenleib (C) und Empfindungsseele (D) sind eine Einheit im irdischen Menschen; ebenso Bewußtseinsseele (F) und Geistselbst (G). – Dadurch ergeben sich sieben Teile des irdischen Menschen:
1. Der physische Körper
2. Der Äther- oder Lebensleib
3. Der empfindende Seelenleib
4. Die Verstandesseele
5. Die geisterfüllte Bewußtseinsseele
6. Der Lebensgeist
7. Der Geistesmensch.
In der Seele blitzt das «Ich» auf, empfängt aus dem Geiste den Einschlag und wird dadurch zum Träger des Geistmenschen. Dadurch nimmt der Mensch an den «drei Welten» (der physischen, seelischen und geistigen) teil. Er wurzelt durch physischen Körper, Ätherleib und Seelenleib in der physischen Welt und blüht durch das Geistselbst, den Lebensgeist und Geistesmenschen in die geistige Welt hinauf. Der Stamm aber, der nach der einen Seite wurzelt, nach der andern blüht, das ist die Seele selbst.
Man kann, durchaus im Einklange mit dieser Gliederung des Menschen, eine vereinfachte Form derselben geben. Obwohl das menschliche «Ich» in der Bewußtseinsseele aufleuchtet, so durchdringt es doch das ganze seelische Wesen. Die Teile dieses seelischen Wesens sind überhaupt nicht so scharf gesondert wie die Leibesglieder; sie durchdringen sich in einem höheren Sinne. Faßt man dann Verstandesseele und Bewußtseinsseele als die zwei zusammengehörigen Hüllen des Ich und dieses als den Kern derselben ins Auge, dann kann man den Menschen gliedern in: physischen Leib, Lebensleib, Astralleib und Ich. Mit dem Ausdruck Astralleib wird dabei hier das bezeichnet, was Seelenleib und Empfindungsseele zusammen sind. Der Ausdruck findet sich in der älteren Literatur und sei hier frei angewendet auf dasjenige in der menschlichen Wesenheit, was über das Sinnlich-Wahrnehmbare hinausliegt. Trotzdem die Empfindungsseele in gewisser Beziehung auch von dem Ich durchkraftet wird, hängt sie mit dem Seelenleib so eng zusammen, daß für beide, vereinigt gedacht, ein einziger Ausdruck berechtigt ist. Wenn nun das Ich sich mit dem Geistselbst durchdringt, so tritt dieses Geistselbst so auf, daß der Astralleib von dem Seelischen aus umgearbeitet wird. In dem Astralleib wirken zunächst des Menschen Triebe, Begierden, Leidenschaften, insofern diese empfunden werden; und es wirken in ihm die sinnlichen Wahrnehmungen. Die sinnlichen Wahrnehmungen entstehen durch den Seelenleib als ein Glied im Menschen, das ihm von der äußeren Welt zukommt. Die Triebe, Begierden, Leidenschaften und so weiter entstehen in der Empfindungsseele, insofern diese vom Innern durchkraftet wird, bevor dieses Innere sich dem Geistselbst hingegeben hat. Durchdringt sich das «Ich» mit dem Geistselbst, so durchkraftet die Seele den Astralleib wieder mit diesem Geistselbst Es drückt sich dies so aus, daß dann die Triebe, Begierden und Leidenschaften durchleuchtet sind von dem, was das Ich aus dem Geiste empfangen hat. Das Ich ist dann vermöge seines Anteiles an der geistigen Welt Herr geworden in der Welt der Triebe, Begierden und so weiter. In dem Maße, als es dies geworden ist, erscheint das Geistselbst im Astralleib. Und dieser selbst wird dadurch verwandelt. Der Astralleib erscheint dann selbst als zweigliedrige Wesenheit, als zum Teil unverwandelt, zum Teil verwandelt. Daher kann man das Geistselbst in seiner Offenbarung am Menschen als den verwandelten Astralleib bezeichnen. Ein ähnliches geht in dem Menschen vor, wenn er in sein Ich den Lebensgeist aufnimmt. Dann verwandelt sich der Lebensleib. Er wird durchdrungen von dem Lebensgeist. Dieser offenbart sich in der Art, daß der Lebensleib ein anderer wird. Daher kann man auch sagen, daß der Lebensgeist der verwandelte Lebensleib ist. Und nimmt das Ich den Geistesmenschen in sich auf, so erhält es dadurch die starke Kraft, den physischen Leib damit zu durchdringen. Es ist natürlich, daß dasjenige, was so von dem physischen Leibe verwandelt ist, nicht mit der physischen Sinnen wahrzunehmen ist. Es ist ja gerade das am physischen Leib Geistesmensch geworden, was vergeistigt ist. Es ist dann für die sinnliche Wahrnehmung als Sinnliches vorhanden; und insofern dieses Sinnliche vergeistigt ist, muß es vom geistigen Erkenntnisvermögen wahrgenommen werden. Den äußeren Sinnen erscheint eben auch das vom Geistigen durchdrungene Physische nur sinnlich. Mit Zugrundelegung von alledem kann man auch folgende Gliederung des Menschen geben:
1. Physischer Leib
2. Lebensleib
3. Astralleib
4. Ich als Seelenkern
5. Geistselbst als verwandelter Astralleib
6. Lebensgeist als verwandelter Lebensleib
7. Geistesmensch als verwandelter physischer Leib.
[1] Der Verfasser dieses Buches hat lange Zeit nach Abfassung desselben (vgl. Zeitschrift «Das Reich», viertes Buch des ersten Jahrgangs [Januar 19171) dasjenige. Was hier Äther- oder Lebensleib genannt wird, auch «Bilde-Kräfte-Leib» genannt. Zu dieser Namengebung fühlte er sich veranlaßt, weil er glaubt, daß man nicht genug tun kann, um dem Mißverständnis vorzubeugen, das hier mit Ätherleib Gemeinte zu verwechseln mit der «Lebenskraft» der älteren Naturwissenschaft. Wo es sich um Abweisung dieser älteren Vorstellung einer Lebenskraft im Sinne der modernen Naturwissenschaft handelt, steht der Verfasser in einem gewissen Sinne auf dem Standpunkt der Gegner einer solchen Kraft. Denn mit dieser wollte man die besondere Wirkungsweise der unorganischen Kräfte im Organismus erklären. Aber was im Organismus unorganisch wirkt, das wirkt da nicht anders als in dem Bereich der unorganischen Welt. Die Gesetze der unorganischen Natur sind im Organismus keine anderen als im Kristall usw. Aber im Organismus liegt eben etwas vor, was nicht unorganisch ist: das bildende Leben. Diesem liegt der Äther- oder Bilde-Kräfte-Leib zugrunde. Durch seine Annahme wird die berechtigte Aufgabe der Naturforschung nicht gestört: dasjenige, was sie über Kräftewirksamkeiten in der unorganischen Natur beobachtet, auch in die Organismenwelt hinein zu verfolgen. Und es abzulehnen, diese Wirksamkeit innerhalb des Organismus durch eine besondere Lebenskraft abgeändert zu denken, das sieht auch eine wahre Geisteswissenschaft als berechtigt an. Der Geistesforscher spricht vom Ätherleib insofern, als im Organismus sich noch anderes offenbart als im Leblosen. -Trotz alledem findet sich der Verfasser dieses Buches nicht veranlaßt, hier den Namen «Ätherleib» durch den anderen «Bilde-Kräfte-Leib» zu ersetzen, da innerhalb des ganzen Zusammenhanges, der hier sich findet, für jeden, der sehen will, ein Mißverständnis ausgeschlossen ist. Ein solches kann nur eintreten, wenn man den Namen in einer Ausführung gebraucht, die diesen Zusammenhang nicht zeigen kann. (Man vergleiche damit auch das am Schlusse dieses Buches unter «Einzelne Bemerkungen und Ergänzungen» Gesagte.)
Wiederverkörperung des Geistes und Schicksal
In der Mitte zwischen Leib und Geist lebt die Seele. Die Eindrücke, die ihr durch den Leib zukommen, sind vorübergehend. Sie sind nur so lange vorhanden, als der Leib seine Organe den Dingen der Außenwelt öffnet. Mein Auge empfindet die Farbe an der Rose nur so lange, als die Rose ihm gegenübersteht und es selbst geöffnet ist. Die Gegenwart sowohl des Dinges in der Außenwelt wie auch diejenige des leiblichen Organs sind notwendig, damit ein Eindruck, eine Empfindung oder Wahrnehmung zustande kommen können. Was ich aber im Geiste als Wahrheit über die Rose erkannt habe, das geht mit der Gegenwart nicht vorüber. Und es ist in seiner Wahrheit auch ganz und gar nicht von mir abhängig. Es wäre wahr, auch wenn ich niemals der Rose gegenübergetreten wäre. Was ich durch den Geist erkenne, ist in einem Elemente des Seelenlebens gegründet, durch das die Seele mit einem Weltinhalt zusammenhängt, der in ihr sich unabhängig von ihren vergänglichen Leibesgrundlagen offenbart. Es kommt nicht darauf an, ob das sich Offenbarende selbst überall ein Unvergängliches ist, sondern darauf, ob die Offenbarung für die Seele so geschieht, daß dabei nicht ihre vergängliche Leibesgrundlage in Betracht kommt, sondern dasjenige, was in ihr von diesem Vergänglichen unabhängig ist. Das Dauernde in der Seele ist in dem Augenblicke in die Beobachtung gestellt, in dem man gewahr wird, daß Erlebnisse da sind, die nicht durch ihr Vergängliches begrenzt sind. Auch darum handelt es sich nicht, ob diese Erlebnisse zunächst durch vergängliche Verrichtungen der Leibesorganisation bewußt werden, sondern darum, daß sie etwas enthalten, was zwar in der Seele lebt, aber doch in seiner Wahrheit unabhängig ist von dein vergänglichen Vorgange der Wahrnehmung. Zwischen Gegenwart und Dauer ist die Seele gestellt, in dem sie die Mitte hält zwischen Leib und Geist. Aber sie vermittelt auch Gegenwart und Dauer. Sie bewahrt das Gegenwärtige für die Erinnerung. Dadurch entreißt sie es der Vergänglichkeit und nimmt es in die Dauer ihres Geistigen auf. Auch prägt sie das Dauernde dem Zeitlichvergänglichen ein, indem sie in ihrem Leben sich nicht nur den vorübergehenden Reizen hingibt, sondern von sich aus die Dinge bestimmt, ihnen ihr Wesen in den Handlungen einverleibt, die sie verrichtet. Durch die Erinnerung bewahrt die Seele das Gestern; durch die Handlung bereitet sie das Morgen vor.
Meine Seele müßte das Rot der Rose immer von neuem wahrnehmen, um es im Bewußtsein zu haben, wenn sie es nicht durch die Erinnerung behalten könnte. Das, was nach dem äußeren Eindruck zurückbleibt, was von der Seele behalten werden kann, kann unabhängig von dem äußeren Eindrucke wieder Vorstellung werden. Durch diese Gabe macht die Seele die Außenwelt so zu ihrer eigenen Innenwelt, daß sie diese dann durch das Gedächtnis – für die Erinnerung – behalten und unabhängig von den gewonnenen Eindrücken mit ihr weiter ein eigenes Leben führen kann. Das Seelenleben wird so zur dauernden Wirkung der vergänglichen Eindrücke der Außenwelt.
Aber auch die Handlung erhält Dauer, wenn sie einmal der Außenwelt aufgeprägt ist Schneide ich einen Zweig von einem Baume, so ist durch meine Seele etwas geschehen, was den Lauf der Ereignisse in der Außenwelt vollkommen ändert. Es wäre mit dem Zweige an dem Baume etwas ganz anderes geschehen, wenn ich nicht handelnd eingegriffen hätte. Ich habe eine Reihe von Wirkungen ins Leben gerufen, die ohne mein Dasein nicht vorhanden gewesen wären. Was ich heute getan habe, bleibt für morgen bestehen. Es wird dauernd durch die Tat, wie meine Eindrücke von gestern für meine Seele dauernd geworden sind durch das Gedächtnis.
Für dieses Dauerndwerden durch die Tat bildet man im gewöhnlichen Bewußtsein nicht in der gleichen Art eine Vorstellung aus, wie diejenige ist, die man für «Gedächtnis» hat, für das Dauerndwerden eines Erlebnisses, das auf Grund einer Wahrnehmung erfolgt. Aber wird nicht das «Ich» des Menschen mit der in der Welt erfolgten Veränderung durch seine Tat ebenso verbunden wie mit der aus einem Eindruck erfolgenden Erinnerung? Das «Ich» urteilt über neue Eindrücke anders, je nachdem es die eine oder die andere Erinnerung hat oder nicht. Aber es ist auch als «Ich» in eine andere Verbindung zur Welt getreten, je nachdem es die eine oder die andere Tat verrichtet hat oder nicht. Ob ich auf einen andern Menschen einen Eindruck gemacht habe durch eine Tat oder nicht, davon hängt es ab, ob etwas in dem Verhältnisse der Welt zu meinem «Ich» vorhanden ist oder nicht. Ich bin in meinem Verhältnis zur Welt ein anderer, nachdem ich auf meine Umgebung einen Eindruck gemacht habe. Daß man, was hier gemeint ist, nicht so bemerkt wie die Veränderung des «Ich» durch Erwerb einer Erinnerung, das rührt allein davon her, daß die Erinnerung sich sogleich bei ihrer Bildung verbindet mit dem Seelenleben, das man schon immer als das Seinige empfunden hat; die äußere Wirkung der Tat aber verläuft, losgelöst von diesem Seelenleben, in Folgen, die noch etwas anderes sind, als was man davon in der Erinnerung behält. Dessen ungeachtet aber sollte man zugeben, daß, nach einer vollbrachten Tat, etwas in der Welt ist, dem sein Charakter durch das «Ich» aufgeprägt ist. Man wird, wenn man das hier in Betracht Kommende wirklich durchdenkt, zu der Frage kommen: Könnte es nicht sein, daß die Folgen einer vollbrachten Tat, denen ihr Wesen durch das «Ich» aufgeprägt ist, eine Tendenz erhalten, zu dem Ich wieder hinzuzutreten, wie ein im Gedächtnis bewahrter Eindruck wieder auflebt, wenn sich dazu eine äußere Veranlassung ergibt? Das im Gedächtnis Bewahrte wartet auf eine solche Veranlassung. Könnte nicht das in der Außenwelt mit dem Ich-Charakter Bewahrte ebenso warten, um so von außen an die Menschenseele heranzutreten, wie die Erinnerung von innen an diese Seele bei gegebener Veranlassung herantritt? Hier wird diese Sache nur als Frage hingestellt: denn, gewiß, es könnte sein, daß sich die Veranlassung niemals ergäbe, daß die mit dem Ich-Charakter behafteten Folgen einer Tat die Menschenseele treffen könnten. Aber daß sie als solche vorhanden sind und daß sie in ihrem Vorhandensein das Verhältnis der Welt zu dem Ich bestimmen, das erscheint sofort als eine mögliche Vorstellung, wenn man, was vorliegt, denkend verfolgt. Es soll in den nachfolgenden Betrachtungen untersucht werden, ob es im Menschenleben etwas gibt, das von dieser «möglichen» Vorstellung aus auf eine Wirklichkeit deutet.
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Es sei nun erst das Gedächtnis betrachtet. Wie kommt es zustande? Offenbar auf ganz andere Art als die Empfindung oder Wahrnehmung. Ohne Auge kann ich nicht die Empfindung des «Blau» haben. Aber durch das Auge habe ich noch keineswegs die Erinnerung an das «Blau». Soll mir das Auge jetzt diese Empfindung geben, so muß ihm ein blaues Ding gegenübertreten. Die Leiblichkeit würde alle Eindrücke immer wieder in Nichts zurücksinken lassen, wenn nicht, indem durch den Wahrnehmungsakt die gegenwärtige Vorstellung sich bildet, zugleich in dem Verhältnisse zwischen Außenwelt und Seele sich etwas abspielte, was in dem Menschen eine solche Folge hat, daß er später durch Vorgänge in sich wieder eine Vorstellung von dem haben kann, was früher eine Vorstellung von außen her bewirkt hat. Wer sich Übung für seelisches Beobachten erworben hat, wird finden können, daß der Ausdruck ganz schief ist, der von der Meinung ausgeht: man habe heute eine Vorstellung und morgen trete durch das Gedächtnis diese Vorstellung wieder auf, nachdem sie sich inzwischen irgendwo im Menschen aufgehalten hat. Nein, die Vorstellung, die ich jetzt habe, ist eine Erscheinung, die mit dem «jetzt» vorübergeht. Tritt Erinnerung ein, so findet in mir ein Vorgang statt, der die Folge von etwas ist, das außer dem Hervorrufen der gegenwärtigen Vorstellung in dem Verhältnis zwischen Außenwelt und mir stattgefunden hat. Die durch die Erinnerung hervorgerufene Vorstellung ist eine neue und nicht die aufbewahrte alte. Erinnerung besteht darin, daß wieder vorgestellt werden kann, nicht, daß eine Vorstellung wieder aufleben kann. Was wieder eintritt, ist etwas anderes als die Vorstellung selbst. (Diese Anmerkung wird hier gemacht, weil auf geisteswissenschaftlichem Gebiete notwendig ist, daß man sich über gewisse Dinge genauere Vorstellungen macht als im gewöhnlichen Leben und sogar auch in der gewöhnlichen Wissenschaft.)
Ich erinnere mich, das heißt: ich erlebe etwas, was selbst nicht mehr da ist. Ich verbinde ein vergangenes Erlebnis mit meinem gegenwärtigen Leben. Es ist so bei jeder Erinnerung. Man nehme an, ich treffe einen Menschen und erkenne ihn wieder, weil ich ihn gestern getroffen habe. Er wäre für mich ein völlig Unbekannter, wenn ich nicht das Bild, das ich mir gestern durch die Wahrnehmung gemacht habe, mit meinem heutigen Eindruck von ihm verbinden könnte. Das heutige Bild gibt mir die Wahrnehmung, das heißt meine Sinnesorganisation. Wer aber zaubert das gestrige in meine Seele herein? Es ist dasselbe Wesen in mir, das gestern bei meinem Erlebnis dabei war und das auch bei dem heutigen dabei ist Seele ist es in den vorhergehenden Ausführungen genannt worden. Ohne diese treue Bewahrerin des Vergangenen wäre jeder äußere Eindruck für den Menschen immer wieder neu. Gewiß ist, daß die Seele den Vorgang, durch welchen etwas Erinnerung wird, dem Leibe wie durch ein Zeichen einprägt; doch muß eben die Seele diese Einprägung machen und dann ihre eigene Einprägung wahrnehmen, wie sie etwas Äußeres wahrnimmt. So ist sie die Bewahrerin der Erinnerung.
Als Bewahrerin des Vergangenen sammelt die Seele fortwährend Schätze für den Geist auf. Daß ich das richtige von dem Unrichtigen unterscheiden kann, das hängt davon ah, daß ich als Mensch ein denkendes Wesen bin, das die Wahrheit im Geiste zu ergreifen vermag. Die Wahrheit ist ewig; und sie könnte sich mir immer wieder an den Dingen offenbaren, auch wenn ich das Vergangene immer wieder aus dem Auge verlöre und jeder Eindruck für mich ein neuer wäre. Aber der Geist in mir ist nicht allein auf die Eindrücke der Gegenwart beschränkt; die Seele erweitert seinen Gesichtskreis über die Vergangenheit hin. Und je mehr sie aus der Vergangenheit zu ihm hinzuzufügen vermag, desto reicher macht sie ihn. So gibt die Seele an den Geist weiter, was sie vom Leibe erhalten hat.
Der Geist des Menschen trägt dadurch in jedem Augenblicke seines Lebens zweierlei in sich. Erstens die ewigen Gesetze des Wahren und Guten und zweitens die Erinnerung an die Erlebnisse der Vergangenheit. Was er tut, das vollbringt er unter dem Einflusse dieser beiden Faktoren. Wollen wir einen Menschengeist verstehen, so müssen wir deshalb auch zweierlei von ihm wissen: erstens, wieviel von dem Ewigen sich ihm offenbart hat, und zweitens, wieviel Schätze aus der Vergangenheit in ihm liegen.
Diese Schätze bleiben dem Geiste keineswegs in unveränderter Gestalt. Die Eindrücke, die der Mensch aus den Erlebnissen gewinnt, schwinden dem Gedächtnisse allmählich dahin. Nicht aber ihre Früchte. Man erinnert sich nicht aller Erlebnisse, die man in der Kindheit durchgemacht hat, während man sich die Kunst des Lesens und des Schreibens angeeignet hat. Aber man könnte nicht lesen und schreiben, wenn man diese Erlebnisse nicht gehabt hätte und ihre Früchte nicht bewahrt geblieben wären in Form von Fähigkeiten. Und das ist die Umwandlung, die der Geist mit den Gedächtnisschätzen vornimmt. Er überläßt, was zu Bildern der einzelnen Erlebnisse führen kann, seinem Schicksale und entnimmt ihm nur die Kraft zu einer Erhöhung seiner Fähigkeiten. So geht gewiß kein Erlebnis ungenützt vorüber: die Seele bewahrt es als Erinnerung, und der Geist saugt aus ihm dasjenige, was seine Fähigkeiten, seinen Lebensgehalt bereichern kann. Der Menschengeist wächst durch die verarbeiteten Erlebnisse.
Kann man also auch die vergangenen Erlebnisse im Geiste nicht wie in einer Sammelkammer aufbewahrt finden, man findet ihre Wirkungen in den Fähigkeiten, die sich der Mensch erworben hat.
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Bisher sind der Geist und die Seele nur betrachtet worden innerhalb der Grenzen, die zwischen Geburt und Tod liegen. Man kann dabei nicht stehenbleiben. Wer das tun wollte, der gliche dem, welcher auch den menschlichen Leib nur innerhalb derselben Grenzen betrachten wollte. Man kann gewiß vieles innerhalb dieser Grenzen finden. Aber man kann nimmermehr aus dem, was zwischen Geburt und Tod liegt, die menschliche Gestalt erklären. Diese kann sich nicht aus bloßen physischen Stoffen und Kräften unmittelbar auferbauen. Sie kann nur von einer ihr gleichen Gestalt abstammen, die sich auf Grund dessen ergibt, was sich fortgepflanzt hat. Die physischen Stoffe und Kräfte bauen den Leib während des Lebens auf: die Kräfte der Fortpflanzung lassen aus ihm einen andern hervorgehen, der seine Gestalt haben kann, also einen solchen, der Träger desselben Lebensleibes sein kann.
Jeder Lebensleib ist eine Wiederholung seines Vorfahren. Nur weil er dieses ist, erscheint er nicht in jeder beliebigen Gestalt, sondern in derjenigen, die ihm vererbt ist. Die Kräfte, die meine Menschengestalt möglich gemacht haben, lagen in meinen Vorfahren. Aber auch der Geist des Menschen erscheint in einer bestimmten Gestalt (wobei das Wort Gestalt natürlich geistig gemeint ist). Und die Gestalten des Geistes sind die denkbar verschiedensten bei den einzelnen Menschen. Nicht zwei Menschen haben die gleiche geistige Gestalt. Man muß auf diesem Gebiete nur ebenso ruhig und sachlich beobachten wie auf dem physischen. Man kann nicht sagen, die Verschiedenheiten der Menschen in geistiger Beziehung rühren allein von den Verschiedenheiten ihrer Umgebung, ihrer Erziehung und so weiter her. Nein, das ist durchaus nicht der Fall; denn zwei Menschen entwickeln sich unter den gleichen Einflüssen der Umgebung, der Erziehung und so weiter in ganz verschiedener Art. Deshalb muß man zugeben, daß sie mit ganz verschiedenen Anlagen ihren Lebensweg angetreten haben.
Hier steht man vor einer wichtigen Tatsache, die Licht ausbreitet über die Wesenheit des Menschen, wenn man ihre volle Tragweite erkennt. Wer seine Anschauung nur nach der Seite des materiellen Geschehens hin richten will, der könnte allerdings sagen, die individuellen Verschiedenheiten menschlicher Persönlichkeiten rühren von den Verschiedenheiten in der Beschaffenheit der stofflichen Keime her. (Und unter Berücksichtigung der von Gregor Mendel gefundenen und von andern weitergebildeten Vererbungsgesetze kann eine solche Ansicht vieles sagen, was ihr den Schein von Berechtigung auch vor dem wissenschaftlichen Urteil gibt.) Ein solcher Beurteiler zeigt aber nur, daß er keine Einsicht in das wirkliche Verhältnis des Menschen zu dessen Erleben hat. Denn die sachgemäße Beobachtung ergibt, daß die äußeren Umstände auf verschiedene Personen in verschiedener Art durch etwas wirken, das gar nicht unmittelbar mit der stofflichen Entwickelung in Wechselbeziehung tritt. Für den wirklich genauen Erforscher auf diesem Gebiete zeigt sich, daß, was aus den stofflichen Anlagen kommt, sich unterscheiden läßt von dem, was zwar durch Wechselwirkung des Menschen mit den Erlebnissen entsteht, aber nur dadurch sich gestalten kann, daß die Seele selbst diese Wechselwirkung eingeht. Die Seele steht da deutlich mit etwas innerhalb der Außenwelt in Beziehung, das, seinem Wesen nach, keinen Bezug zu stofflichen Keimanlagen haben kann.
Durch ihre physische Gestalt unterscheiden sich die Menschen von ihren tierischen Mitgeschöpfen auf der Erde. Aber sie sind innerhalb gewisser Grenzen in bezug auf diese Gestalt untereinander gleich. Es gibt nur eine menschliche Gattung. Wie groß auch die Unterschiede der Rassen, Stämme, Völker und Persönlichkeiten sein mögen: in physischer Beziehung ist die Ähnlichkeit zwischen Mensch und Mensch größer als die zwischen dem Menschen und irgendeiner Tiergattung. Alles, was in der menschlichen Gattung sich ausprägt, wird bedingt durch die Vererbung von den Vorfahren auf die Nachkommen. Und die menschliche Gestalt ist an diese Vererbung gebunden. Wie der Löwe nur durch Löwenvorfahren, so kann der Mensch nur durch menschliche Vorfahren seine physische Gestalt erben.
So wie die physische Ähnlichkeit der Menschen klar vor Augen liegt, so enthüllt sich dem vorurteilslosen geistigen Blicke die Verschiedenheit ihrer geistigen Gestalten.
Es gibt eine offen zutage liegende Tatsache, durch welche dies zum Ausdrucke kommt. Sie besteht in dem Vorhandensein der Biographie eines Menschen. Wäre der Mensch bloßes Gattungswesen, so könnte es keine Biographie geben. Ein Löwe, eine Taube nehmen das Interesse in Anspruch, insofern sie der Löwen-, der Taubenart angehören. Man hat das Einzelwesen in allem Wesentlichen verstanden, wenn man die Art beschrieben hat. Es kommt hier wenig darauf an, ob man es mit Vater, Sohn oder Enkel zu tun hat. Was bei ihnen interessiert, das haben eben Vater, Sohn und Enkel gemeinsam. Was der Mensch bedeutet, das aber fängt erst da an, wo er nicht bloß Art-, oder Gattungs-, sondern wo er Einzelwesen ist. Ich habe das Wesen des Herrn Schulze in Krähwinkel durchaus nicht begriffen, wenn ich seinen Sohn oder seinen Vater beschrieben habe. Ich muß seine eigene Biographie kennen. Wer über das Wesen der Biographie nachdenkt, der wird gewahr, daß in geistiger Beziehung jeder Mensch eine Gattung für sich ist.
Wer freilich Biographie bloß als eine äußerliche Zusammenstellung von Lebensereignissen faßt, der mag behaupten, daß er in demselben Sinne eine Hunde- wie eine Menschenbiographie schreiben könne. Wer aber in der Biographie die wirkliche Eigenart eines Menschen schildert, der begreift, daß er in ihr etwas hat, was im Tierreiche der Beschreibung einer ganzen Art entspricht. Nicht darauf kommt es an, daß man – was ja wirklich selbstverständlich ist – auch von einem Tiere – besonders von einem klugen – etwas Biographieartiges sagen kann, sondern darauf, daß die Menschenbiographie nicht dieser Tierbiographie, sondern der Beschreibung der tierischen Art entspricht. Es wird ja immer wieder Menschen geben, die das hier Gesagte damit werden widerlegen wollen, daß sie sagen, Menageriebesitzer zum Beispiel wissen, wie individuell einzelne Tiere derselben Gattung sich unterscheiden. Wer so urteilt, der zeigt aber nur, daß er individuelle Verschiedenheit nicht zu unterscheiden vermag von Verschiedenheit, die nur durch Individualität erworben sich zeigt.
Wird nun die Art oder Gattung im physischen Sinne nur verständlich, wenn man sie in ihrer Bedingtheit durch die Vererbung begreift, so kann auch die geistige Wesenheit nur durch eine ähnliche geistige Vererbung verstanden werden. Meine physische Menschengestalt habe ich wegen meiner Abstammung von menschlichen Vorfahren. Woher habe ich dasjenige, was in meiner Biographie zum Ausdrucke kommt? Als physischer Mensch wiederhole ich die Gestalt meiner Vorfahren. Was wiederhole ich als geistiger Mensch? Wer behaupten will: dasjenige, was in meiner Biographie eingeschlossen ist, bedürfe keiner weiteren Erklärung, das müsse eben hingenommen werden, der soll nur auch gleich behaupten: er habe irgendwo einen Erdhügel gesehen, auf dem sich die Stoffklumpen ganz von selbst zu einem lebenden Menschen zusammengeballt haben.
Als physischer Mensch stamme ich von anderen physischen Menschen ab, denn ich habe dieselbe Gestalt wie die ganze menschliche Gattung. Die Eigenschaften der Gattung konnten also innerhalb der Gattung durch Vererbung erworben werden. Als geistiger Mensch habe ich meine eigene Gestalt, wie ich meine eigene Biographie habe. Ich kann also diese Gestalt von niemand anderem haben als von mir selbst. Und da ich nicht mit unbestimmten, sondern mit bestimmten seelischen Anlagen in die Welt eingetreten bin, da durch diese Anlagen mein Lebensweg, wie er in der Biographie zum Ausdruck kommt, bestimmt ist, so kann meine Arbeit an mir nicht bei meiner Geburt begonnen haben. Ich muß als geistiger Mensch vor meiner Geburt vorhanden gewesen sein. In meinen Vorfahren bin ich sicher nicht vorhanden gewesen, denn diese sind als geistige Menschen von mir verschieden. Meine Biographie ist nicht aus der ihrigen erklärbar Ich muß vielmehr als geistiges Wesen die Wiederholung eines solchen sein, aus dessen Biographie die Meinige erklärbar ist. Der andere zunächst denkbare Fall wäre der, daß ich die Ausgestaltung dessen, was Inhalt meiner Biographie ist, nur einem geistigen Leben vor der Geburt (beziehungsweise der Empfängnis) verdanke. Zu dieser Vorstellung hätte man aber nur Berechtigung, wenn man annehmen wollte, daß, was auf die Menschenseele aus dem physischen Umkreis herein wirkt, gleichartig sei mit dem, was die Seele aus einer nur geistigen Welt hat. Eine solche Annahme widerspricht der wirklich genauen Beobachtung. Denn was aus dieser physischen Umgebung bestimmend für die Menschenseele ist, das ist so, daß es wirkt wie ein später im physischen Leben Erfahrenes auf ein in gleicher Art früher Erfahrenes. Um diese Verhältnisse richtig zu beobachten, muß man sich den Blick dafür aneignen, wie es im Menschenleben wirksame Eindrücke gibt, die so auf die Anlagen der Seele wirken wie das Stehen vor einer zu verrichtenden Tat gegenüber dem, was man im physischen Leben schon geübt hat; nur daß solche Eindrücke eben nicht auf ein in diesem unmittelbaren Leben schon Geübtes auftreffen, sondern auf Seelenanlagen, die sich so beeindrucken lassen wie die durch Übung erworbenen Fähigkeiten. Wer diese Dinge durchschaut, der kommt zu der Vorstellung von Erdenleben, die dem gegenwärtigen vorangegangen sein müssen. Er kann denkend nicht bei rein geistigen Erlebnissen vor diesem Erdenleben stehenbleiben.
Die physische Gestalt, die Schiller an sich getragen hat, die hat er von seinen Vorfahren ererbt. Sowenig aber diese physische Gestalt aus der Erde gewachsen sein kann, sowenig kann es die geistige Wesenheit Schillers sein. Er muß die Wiederholung einer andern geistigen Wesenheit sein, aus deren Biographie die Seinige erklärbar wird, wie die physische Menschengestalt Schillers durch menschliche Fortpflanzung erklärbar ist.
So wie also die physische Menschengestalt immer wieder und wieder eine Wiederholung, eine Wiederverkörperung der menschlichen Gattungswesenheit ist, so muß der geistige Mensch eine Wiederverkörperung desselben geistigen Menschen sein. Denn als geistiger Mensch ist eben jeder eine eigene Gattung.
Man kann gegen das hier Gesagte einwenden: das seien reine Gedankenausführungen; und man kann äußere Beweise verlangen, wie man sie von der gewöhnlichen Naturwissenschaft her gewohnt ist. Dagegen muß gesagt werden, daß die Wiederverkörperung des geistigen Menschen doch ein Vorgang ist, der nicht dem Felde äußerer physischer Tatsachen angehört, sondern ein solcher, der sich ganz im geistigen Felde abspielt. Und zu diesem Felde hat keine andere unserer gewöhnlichen Geisteskräfte Zutritt als allein das Denken. Wer der Kraft des Denkens nicht vertrauen will, der kann sich über höhere geistige Tatsachen eben nicht aufklären.
Für denjenigen, dessen geistiges Auge erschlossen ist, wirken die obigen Gedankengänge genau mit derselben Kraft, wie ein Vorgang wirkt, der sich vor seinem physischen Auge abspielt. Wer einem sogenannten «Beweise», der nach der Methode der gewöhnlichen naturwissenschaftlichen Erkenntnis aufgebaut ist, mehr Überzeugungskraft zugesteht als den obigen Ausführungen über die Bedeutung der Biographie, der mag im gewöhnlichen Wortsinn ein großer Wissenschaftler sein: von den Wegen der echt geistigen Forschung ist er aber sehr weit entfernt.
Es gehört zu den bedenklichsten Vorurteilen, wenn man die geistigen Eigenschaften eines Menschen durch Vererbung von Vater oder Mutter oder anderen Vorfahren erklären will. Wer sich des Vorurteils schuldig macht, daß zum Beispiel Goethe das, was sein Wesen ausmacht, von Vater und Mutter ererbt habe, dem wird auch zunächst kaum mit Gründen beizukommen sein, denn in ihm liegt eine tiefe Antipathie gegen vorurteilslose Beobachtung. Eine materialistische Suggestion hindert ihn, die Zusammenhänge der Erscheinungen im rechten Lichte zu sehen.
In solchen Ausführungen sind die Voraussetzungen gegeben, um die menschliche Wesenheit über Geburt und Tod hinaus zu verfolgen. Innerhalb der durch Geburt und Tod bestimmten Grenzen gehört der Mensch den drei Welten, der Leiblichkeit, dem Seelischen und dem Geistigen, an. Die Seele bildet das Mittelglied zwischen Leib und Geist, indem sie das dritte Glied des Leibes, den Seelenleib, mit der Empfindungsfähigkeit durchdringt und indem sie das erste Glied des Geistes, das Geistselbst, als Bewußtseinsseele durchsetzt. Sie hat dadurch während des Lebens Anteil an dem Leibe sowohl wie an dem Geiste. Dieser Anteil kommt in ihrem ganzen Dasein zum Ausdruck. Von der Organisation des Seelenleibes wird es abhängen, wie die Empfindungsseele ihre Fähigkeiten entfalten kann. Und von dem Leben der Bewußtseinsseele wird es andererseits abhängig sein, wie weit das Geistselbst in ihr sich entwickeln kann. Die Empfindungsseele wird einen um so besseren Verkehr mit der Außenwelt entfalten, je wohlgebildeter der Seelenleib ist. Und das Geistselbst wird um so reicher, machtvoller werden, je mehr ihm die Bewußtseinsseele Nahrung zuführt. Es ist gezeigt worden, daß während des Lebens durch die verarbeiteten Erlebnisse und die Früchte dieser Erlebnisse dem Geistselbst diese Nahrung zugeführt wird. Denn die dargelegte Wechselwirkung zwischen Seele und Geist kann natürlich nur da geschehen, wo Seele und Geist ineinander befindlich, voneinander durchdrungen sind, also innerhalb der Verbindung von «Geistselbst mit Bewußtseinsseele».
Es sei zuerst die Wechselwirkung von Seelenleib und Empfindungsseele betrachtet. Der Seelenleib ist, wie sich ergeben bat, zwar die feinste Ausgestaltung der Leiblichkeit, aber er gehört doch zu dieser und ist von ihr abhängig. Physischer Körper, Ätherleib und Seelenleib machen in gewisser Beziehung ein Ganzes aus. Daher ist auch der Seelenleib in die Gesetze der physischen Vererbung, durch die der Leib seine Gestalt erhält, mit einbezogen. Und da er die beweglichste, gleichsam flüchtigste Form der Leiblichkeit ist, so muß er auch die beweglichsten und flüchtigsten Erscheinungen der Vererbung zeigen. Während daher der physische Leib nur nach Rassen, Völkern, Stämmen am wenigsten verschieden ist und der Ätherleib zwar eine größere Abweichung für die einzelnen Menschen, aber doch noch eine überwiegende Gleichheit aufweist, ist diese Verschiedenheit beim Seelenleib schon eine sehr große. In ihm kommt zum Ausdruck, was man schon als äußere, persönliche Eigenart des Menschen empfindet. Er ist daher auch der Träger dessen, was sich von dieser persönlichen Eigenart von den Eltern, Großeltern und so weiter auf die Nachkommen vererbt.
Zwar führt die Seele als solche, wie auseinandergesetzt worden ist, ein vollkommenes Eigenleben; sie schließt sich mit ihren Neigungen und Abneigungen, mit ihren Gefühlen und Leidenschaften in sich selbst ab. Aber sie ist doch als Ganzes wirksam, und deshalb kommt auch in der Empfindungsseele dieses Ganze zur Ausprägung. Und weil die Empfindungsseele den Seelenleib durchdringt, gleichsam ausfüllt, so formt sich dieser nach der Natur der Seele, und er kann dann als Vererbungsträger die Neigungen, Leidenschaften und so weiter von den Vorfahren auf die Nachkommen übertragen. Auf dieser Tatsache beruht, was Goethe sagt: «Vom Vater hab’ ich die Statur, des Lebens ernstes Führen; vom Mütterchen die Frohnatur und Lust zu fabulieren.» Das Genie hat er natürlich von beiden nicht. Auf diese Art zeigt sich uns, was der Mensch von seinen seelischen Eigenschaften an die Linie der physischen Vererbung gleichsam abgibt.
Die Stoffe und Kräfte des physischen Körpers sind in gleicher Art auch in dem ganzen Umkreis der äußeren physischen Natur. Sie werden von da fortwährend aufgenommen und an sie wieder abgegeben. Innerhalb einiger Jahre erneuert sich die Stoffmasse, die unsern physischen Körper zusammensetzt, vollständig. Daß diese Stoffmasse die Form des menschlichen Körpers annimmt und daß sie innerhalb dieses Körpers sich immer wieder erneuert, das hängt davon ab, daß sie von dem Ätherleib zusammengehalten wird. Und dessen Form ist nicht allein durch die Vorgänge zwischen Geburt – oder Empfängnis – und Tod bestimmt, sondern sie ist von den Gesetzen der Vererbung abhängig, die über Geburt und Tod hinausreichen. Daß auf dem Wege der Vererbung auch seelische Eigenschaften übertragen werden können, also der Fortgang der physischen Vererbung einen seelischen Einschlag erlangt, das hat seinen Grund darin, daß der Seelenleib von der Empfindungsseele beeinflußt werden kann.
Wie gestaltet sich nun die Wechselwirkung zwischen Seele und Geist? Während des Lebens ist der Geist in der oben angegebenen Art mit der Seele verbunden. Diese empfängt von ihm die Gabe, in dem Wahren und Guten zu leben und dadurch in ihrem Eigenleben, in ihren Neigungen, Trieben und Leidenschaften den Geist selbst zum Ausdruck zu bringen. Das Geistselbst bringt dem «Ich» aus der Welt des Geistes die ewigen Gesetze des Wahren und Guten. Diese verknüpfen sich durch die Bewußtseins-Seele mit den Erlebnissen des seelischen Eigenlebens. Diese Erlebnisse selbst gehen vorüber. Aber ihre Früchte bleiben. Daß das Geistselbst mit ihnen verknüpft war, macht einen bleibenden Eindruck auf dasselbe. Tritt der menschliche Geist an ein solches Erlebnis heran, das einem andern ähnlich ist, mit dem es schon einmal verknüpft war, so sieht er in ihm etwas Bekanntes und weiß sich ihm gegenüber anders zu verhalten, als wenn es zum erstenmal ihm gegenüberstände. Darauf beruht ja alles Lernen. Und die Früchte des Lernens sind angeeignete Fähigkeiten.
Dem ewigen Geiste werden auf diese Art Früchte des vorübergehenden Lebens eingeprägt.
Und nehmen wir nicht diese Früchte wahr? Worauf beruhen die Anlagen, die als das Charakteristische des geistigen Menschen oben dargelegt worden sind? Doch nur in Fähigkeiten zu diesem oder jenem, die der Mensch mitbringt, wenn er seinen irdischen Lebensweg beginnt. Es gleichen in gewisser Beziehung diese Fähigkeiten durchaus solchen, die wir uns auch während des Lebens aneignen können. Man nehme das Genie eines Menschen. Von Mozart ist bekannt, daß er als Knabe ein einmal gehörtes langes musikalisches Kunstwerk aus dem Gedächtnisse aufschreiben konnte. Er war dazu nur fähig, weil er das Ganze auf einmal überschauen konnte. Innerhalb gewisser Grenzen erweitert der Mensch auch während des Lebens seine Fähigkeit, zu überschauen, Zusammenhänge zu durchdringen, so daß er dann neue Fähigkeiten besitzt. Lessing hat doch von sich gesagt, daß er sich durch kritische Beobachtungsgabe etwas angeeignet habe, was dem Genie nahekommt. Will man solche Fähigkeiten, die in Anlagen begründet sind, nicht als Wunder anstaunen, so muß man sie für Früchte von Erlebnissen halten, die das Geistselbst durch eine Seele gehabt hat. Sie sind diesem Geistselbst eingeprägt worden. Und da sie nicht in diesem Leben eingepflanzt worden sind, so in einem früheren. Der menschliche Geist ist seine eigene Gattung. Und wie der Mensch als physisches Gattungswesen seine Eigenschaften innerhalb der Gattung vererbt, so der Geist innerhalb seiner Gattung, das heißt innerhalb seiner selbst. In einem Leben erscheint der menschliche Geist als Wiederholung seiner selbst mit den Früchten seiner vorigen Erlebnisse in vorhergehenden Lebensläufen. Dieses Leben ist somit die Wiederholung von andern und bringt mit sich, was das Geistselbst in dem vorigen Leben sich erarbeitet hat. Wenn dieses in sich etwas aufnimmt, was Frucht werden kann, so durchdringt es sich mit dem Lebensgeist. Wie der Lebensleib die Form von Art zu Art wiederholt, so der Lebensgeist die Seele vom persönlichen Dasein zu persönlichem Dasein.
Durch die vorangehenden Betrachtungen wird die Vorstellung in den Bereich der Gültigkeit erhoben, die den Grund für gewisse Lebensvorgänge des Menschen in wiederholten Erdenleben sucht. Ihre volle Bedeutung kann diese Vorstellung wohl nur erhalten durch eine Beobachtung, die aus geistigen Einsichten entspringt, wie sie durch das Betreten des am Schlusse dieses Buches beschriebenen Erkenntnispfades erworben werden. Hier sollte nur gezeigt werden, daß eine durch das Denken recht orientierte gewöhnliche Beobachtung schon zu dieser Vorstellung führt. Eine solche Beobachtung wird zunächst allerdings die Vorstellung gewissermaßen silhouettenhaft lassen. Und sie wird sie nicht ganz bewahren können vor den Einwürfen einer nicht genauen, von dem Denken nicht richtig geleiteten Beobachtung. Aber andererseits ist richtig, daß, wer sich eine solche Vorstellung durch gewöhnlich denkende Beobachtung erwirbt, sich bereitmacht zur übersinnlichen Beobachtung. Er bildet gewissermaßen etwas aus, was man haben muß vor dieser übersinnlichen Beobachtung, wie man das Auge haben muß vor der sinnlichen Beobachtung. Wer einwendet, daß man sich ja durch Bildung einer solchen Vorstellung die übersinnliche Beobachtung selbst suggerieren könne, der beweist nur, daß er nicht in freiem Denken auf die Wirklichkeit einzugehen vermag und daß gerade er sich dadurch seine Einwände selbst suggeriert.
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So werden die seelischen Erlebnisse dauernd nicht nur innerhalb der Grenzen von Geburt und Tod, sondern über den Tod hinaus bewahrt. Aber nicht nur dem Geiste, der in ihr aufleuchtet, prägt die Seele ihre Erlebnisse ein, sondern wie (Seite 25) gezeigt worden ist, auch der äußeren Welt durch die Tat. Was der Mensch gestern verrichtet hat, ist heute noch in seiner Wirkung vorhanden. Ein Bild des Zusammenhanges von Ursache und Wirkung in dieser Richtung gibt das Gleichnis von Schlaf und Tod.
Oft ist der Schlaf der jüngere Bruder des Todes genannt worden. Ich stehe des Morgens auf. Meine fortlaufende Tätigkeit war durch die Nacht unterbrochen. Es ist nun unter gewöhnlichen Verhältnissen nicht möglich, daß ich des Morgens meine Tätigkeit in beliebiger Weise wieder aufnehme. Ich muß an mein Tun von gestern anknüpfen, wenn Ordnung und Zusammenhang in meinem Leben sein soll. Meine Taten von gestern sind die Vorbedingungen derjenigen, die mir heute obliegen. Ich habe mir mit dem, was ich gestern vollbracht habe, für heute mein Schicksal geschaffen. Ich habe mich eine Weile von meiner Tätigkeit getrennt; aber diese Tätigkeit gehört zu mir und sie zieht mich wieder zu sich, nachdem ich mich eine Weile von ihr zurückgezogen habe. Meine Vergangenheit bleibt mit mir verbunden; sie lebt in meiner Gegenwart weiter und wird mir in meine Zukunft folgen. Nicht erwachen müßte ich heute morgen, sondern neu, aus dem Nichts heraus geschaffen werden, wenn die Wirkungen meiner Taten von gestern nicht mein Schicksal von heute sein sollten. Sinnlos wäre es doch, wenn ich unter regelmäßigen Verhältnissen ein Haus, das ich mir habe bauen lassen, nicht beziehen würde. Ebensowenig wie der Mensch am Morgen neugeschaffen ist, ebensowenig ist es der Menschengeist, wenn er seinen irdischen Lebensweg beginnt. Man versuche sich klarzumachen, was bei dem Betreten dieses Lebensweges geschieht. Ein physischer Leib tritt auf, der seine Gestalt durch die Gesetze der Vererbung erhält. Dieser Leib wird der Träger eines Geistes, der ein früheres Leben in neuer Gestalt wiederholt. Zwischen beiden steht die Seele, die ein in sich geschlossenes Eigenleben führt. Ihre Neigungen und Abneigungen, ihre Wünsche und Begierden dienen ihr; sie stellt das Denken in ihren Dienst. Sie empfängt als Empfindungsseele die Eindrücke der Außenwelt; und sie trägt sie dem Geiste zu, auf daß er die Früchte daraus sauge für die Dauer. Sie hat gleichsam eine Vermittlerrolle, und ihre Aufgabe ist erfüllt, wenn sie dieser Rolle genügt. Der Leib formt ihr die Eindrücke; sie gestaltet sie zu Empfindungen um, bewahrt sie im Gedächtnisse als Vorstellungen und gibt sie an den Geist ab, auf daß er sie durch die Dauer trage. Die Seele ist eigentlich das, wodurch der Mensch seinem irdischen Lebenslauf angehört. Durch seinen Leib gehört er der physischen Menschengattung an. Durch ihn ist er ein Glied dieser Gattung. Mit seinem Geiste lebt er in einer höheren Welt. Die Seele bindet zeitweilig beide Welten aneinander.
Aber die physische Welt, die der Menschengeist betritt, ist ihm kein fremder Schauplatz. In ihr sind die Spuren seiner Taten eingeprägt. Es gehört von diesem Schauplatz etwas zu ihm. Das trägt das Gepräge seines Wesens. Es ist verwandt mit ihm. Wie die Seele einst die Eindrücke der Außenwelt ihm übermittelt hat, auf daß sie ihm dauernd werden, so hat sie, als sein Organ, die ihr von ihm verliehenen Fähigkeiten in Taten umgesetzt, die in ihren Wirkungen ebenfalls dauernd sind. Dadurch ist die Seele in diese Taten tatsächlich eingeflossen. In den Wirkungen seiner Taten lebt des Menschen Seele ein zweites selbständiges Leben weiter. Dies aber kann die Veranlassung dazu geben, das Leben daraufhin anzusehen, wie die Schicksals-Vorgänge in dieses Leben eintreten. Etwas «stößt» dem Menschen zu Er ist wohl zunächst geneigt, ein solch «Zustoßendes» wie ein «zufällig» in sein Leben Eintretendes zu betrachten. Allein er kann gewahr werden, wie er selbst das Ergebnis solcher «Zufälle» ist. Wer sich in seinem vierzigsten Lebensjahre betrachtet und mit der Frage nach seinem Seelenwesen nicht bei einer wesenlos abstrakten Ich-Vorstellung stehenbleiben will, der darf sich sagen: ich bin ja gar nichts anderes, als was ich geworden bin durch dasjenige, was mir bis heute schicksalsmäßig «zugestoßen» ist. Wäre ich nicht ein anderes, wenn ich zum Beispiel mit zwanzig Jahren eine bestimmte Reihe von Erlebnissen gehabt hätte statt derjenigen, die mich getroffen haben? Er wird dann sein «Ich» nicht nur in seinen von «innen» heraus kommenden Entwickelungsimpulsen suchen, sondern in dem, was «von außen» gestaltend in sein Leben eingreift. In dem, was «ihm geschieht», wird er das eigene Ich erkennen. Gibt man sich solch einer Erkenntnis unbefangen hin, dann ist nur ein weiterer Schritt wirklich intimer Beobachtung des Lebens dazu nötig, um in dem, was einem durch gewisse Schicksalserlebnisse zufließt, etwas zu sehen, was das Ich von außen so ergreift, wie die Erinnerung von innen wirkt, um ein vergangenes Erlebnis wieder aufleuchten zu lassen. Man kann sich so geeignet dazu machen, in dein Schicksalserlebnis wahrzunehmen, wie eine frühere Tat der Seele den Weg zu dem Ich nimmt, so wie in der Erinnerung ein früheres Erlebnis den Weg zur Vorstellung nimmt, wenn eine äußere Veranlassung dazu da ist. Es wurde früher als von einer «möglichen» Vorstellung gesprochen, daß die Folgen der Tat die Menschenseele wieder treffen können (vergleiche Seite 26ff.). Innerhalb des einzelnen Erdenlebens ist für gewisse Tatfolgen deshalb ein solches Treffen ausgeschlossen, weil dieses Erdenleben dazu veranlagt war, die Tat zu vollbringen. Da liegt in dem Vollbringen das Erleben. Eine gewisse Folge der Tat kann da die Seele so wenig treffen, wie man sich an ein Erlebnis erinnern kann, in dem man noch darinnen steht. Es kann sich in dieser Beziehung nur handeln um ein Erleben von Tatfolgen, welche das «Ich» nicht mit den Anlagen treffen, die es in dem Erdenleben hat, aus dem heraus es die Tat verrichtet. Es kann der Blick nur auf Tatfolgen aus anderen Erdenleben sich richten. So kann man – sobald man empfindet: was als Schicksalserlebnis scheinbar einem «zustößt», ist verbunden mit dem Ich, wie das, was «aus dem Innern» dieses Ich selbst sich bildet – nur denken, man habe es in einem solchen Schicksalserlebnis mit Tatfolgen aus früheren Erdenleben zu tun. Man sieht, zu der für das gewöhnliche Bewußtsein paradoxen Annahme, die Schicksalserlebnisse eines Erdenlebens hängen mit den Taten vorangehender Erdenleben zusammen, wird man durch eine intime, vom Denken geleitete Lebenserfassung geführt. Wieder kann diese Vorstellung nur durch die übersinnliche Erkenntnis ihren Vollgehalt bekommen: ohne diese bleibt sie silhouettenhaft. Aber wieder bereitet sie, aus dem gewöhnlichen Bewußtsein gewonnen, die Seele vor, damit diese ihre Wahrheit in wirklich übersinnlicher Beobachtung schauen kann.
Nur der eine Teil meiner Tat ist in der Außenwelt; der andere ist in mir selbst. Man mache sich durch einen einfachen Vergleich aus der Naturwissenschaft dieses Verhältnis von Ich und Tat klar. Tiere, die einmal als Sehende in die Höhlen von Kentucky eingewandert sind, haben durch das Leben in denselben ihr Sehvermögen verloren. Der Aufenthalt im Finstern hat die Augen außer Tätigkeit gesetzt. In diesen Augen wird dadurch nicht mehr die physische und chemische Tätigkeit verrichtet, die während des Sehens vor sich geht. Der Strom der Nahrung, der für diese Tätigkeit früher verwendet worden ist, fließt nunmehr anderen Organen zu. Nun können diese Tiere nur in diesen Höhlen leben. Sie haben durch ihre Tat, durch die Einwanderung, die Bedingungen ihres späteren Lebens geschaffen. Die Einwanderung ist zu einem Teil ihres Schicksals geworden. Eine Wesenheit, die einmal tätig war, hat sich mit den Ergebnissen der Taten verknüpft. So ist es mit dem Menschengeiste. Die Seele hat ihm gewisse Fähigkeiten nur vermitteln können, indem sie tätig war. Und entsprechend den Taten sind diese Fähigkeiten. Durch eine Tat, welche die Seele verrichtet hat, lebt in ihr die krafterfüllte Anlage, eine andere Tat zu verrichten, welche die Frucht dieser Tat ist die Seele trägt dieses als Notwendigkeit in sich, bis die letztere Tat geschehen ist. Man kann auch sagen, durch eine Tat ist der Seele die Notwendigkeit eingeprägt, die Folge dieser Tat zu verrichten.
Mit seinen Taten hat der Menschengeist wirklich sein Schicksal bereitet. An das, was er in seinem vorigen Leben getan hat, findet er sich in einem neuen geknüpft. – man kann ja die Frage aufwerfen: wie kann das sein, da doch wohl der Menschengeist bei seiner Wiederverkörperung in eine völlig andere Welt versetzt wird, als diejenige war, die er einstens verlassen hat? Dieser Frage liegt eine seht am Äußerlichen des Lebens haftende Vorstellung von Schicksalsverkettung zugrunde. Wenn ich meinen Schauplatz von Europa nach Amerika verlege, so befinde ich mich auch in einer völlig neuen Umgebung. Und dennoch hängt mein Leben in Amerika ganz von meinem vorhergehenden in Europa ab. Bin ich in Europa Mechaniker geworden, so gestaltet sich mein Leben in Amerika ganz anders, als wenn ich Bankbeamter geworden wäre. In dem einen Falle werde ich wahrscheinlich in Amerika von Maschinen, in dem andern von Bank-Einrichtungen umgeben sein. In jedem Falle bestimmt mein Vorleben meine Umgebung; es zieht gleichsam aus der ganzen Umwelt diejenigen Dinge an sich, die ihm verwandt sind. So ist es mit dem Geistselbst. Es umgibt sich in einem neuen Leben notwendig mit demjenigen, mit dem es aus den vorhergehenden Leben verwandt ist.
Und deswegen ist der Schlaf ein brauchbares Bild für den Tod, weil der Mensch während des Schlafes dem Schauplatz entzogen ist, auf dem sein Schicksal ihn erwartet. Während man schläft, laufen die Ereignisse auf diesem Schauplatz weiter. Man hat eine Zeitlang auf diesen Lauf keinen Einfluß. Dennoch hängt unser Leben an einem neuen Tage von den Wirkungen der Taten am vorigen Tage ab. Wirklich verkörpert sich unsere Persönlichkeit jeden Morgen aufs neue in unserer Tatenwelt. Was während der Nacht von uns getrennt war, ist tagsüber gleichsam um uns gelegt.
So ist es mit den Taten der früheren Verkörperungen des Menschen. Sie sind mit ihm als sein Schicksal verbunden, wie das Leben in den finstern Höhlen mit den Tieren verbunden bleibt, die durch Einwanderung in diese Höhlen das Sehvermögen verloren haben. Wie diese Tiere nur leben können, wenn sie sich in der Umgebung befinden, in die sie sich selbst versetzt haben, so kann der Menschengeist nur in der Umwelt leben, die er sich durch seine Taten selbst geschaffen hat. Daß ich am Morgen die Lage vorfinde, die ich am vorhergehenden Tage selbst geschaffen, dafür sorgt der unmittelbare Gang der Ereignisse. Daß ich, wenn ich mich wieder verkörpere, eine Umwelt vorfinde, die dem Ergebnis meiner Taten aus dem vorhergehenden Leben entspricht, dafür sorgt die Verwandtschaft meines wieder verkörperten Geistes mit den Dingen der Umwelt. Man kann sich danach eine Vorstellung davon bilden, wie die Seele dem Wesen des Menschen eingegliedert ist. Der physische Leib unterliegt den Gesetzen der Vererbung. Der Menschengeist dagegen muß sich immer wieder und wieder verkörpern; und sein Gesetz besteht darin, daß er die Früchte der vorigen Leben in die folgenden hinübernimmt. Die Seele lebt in der Gegenwart. Aber dieses Leben in der Gegenwart ist nicht unabhängig von den vorhergehenden Leben. Der sich verkörpernde Geist bringt ja aus seinen vorigen Verkörperungen sein Schicksal mit. Und dieses Schicksal bestimmt das Leben. Welche Eindrücke die Seele wird haben können, welche Wünsche ihr werden befriedigt werden können, welche Freuden und Leiden ihr erwachsen, mit welchen Menschen sie zusammenkommen wird: das hängt davon ab, wie die Taten in den vorhergehenden Verkörperungen des Geistes waren. Menschen, mit welchen die Seele in einem Leben verbunden war, wird sie in einem folgenden wiederfinden müssen, weil die Taten, welche zwischen ihnen gewesen sind, ihre Folgen haben müssen. Wie die eine Seele, werden auch die mit dieser verbundenen in derselben Zeit ihre Wiederverkörperung anstreben. Das Leben der Seele ist somit ein Ergebnis des selbstgeschaffenen Schicksals des Menschengeistes. Dreierlei bedingt den Lebenslauf eines Menschen innerhalb von Geburt und Tod. Und dreifach ist er dadurch abhängig von Faktoren, die jenseits von Geburt und Tod liegen. Der Leib unterliegt dem Gesetz der Vererbung; die Seele unterliegt dem selbstgeschaffenen Schicksal. Man nennt dieses von dem Menschen geschaffene Schicksal mit einem alten Ausdrucke sein Karma. Und der Geist steht unter dem Gesetze der Wiederverkörperung, der wiederholten Erdenleben.
Man kann demnach das Verhältnis von Geist, Seele und Körper auch so ausdrücken: Unvergänglich ist der Geist; Geburt und Tod walten nach den Gesetzen der physischen Welt in der Körperlichkeit; das Seelenleben, das dem Schicksal unterliegt, vermittelt den Zusammenhang von beiden während eines irdischen Lebenslaufes. Alle weiteren Erkenntnisse über das Wesen des Menschen setzen die Bekanntschaft mit den «drei Welten» selbst voraus, denen er angehört. Von diesen soll das Folgende handeln.
Ein Denken, welches den Erscheinungen des Lebens sich gegenüberstellt und das sich nicht scheut, die sich aus einer lebensvollen Betrachtung ergebenden Gedanken bis in ihre letzten Glieder zu verfolgen, kann durch die bloße Logik zu der Vorstellung von den wiederholten Erdenleben und dem Gesetze des Schicksals kommen. So wahr es ist, daß dem Seher mit dem geöffneten «geistigen Auge» die vergangenen Leben wie ein aufgeschlagenes Buch als Erlebnis vorliegen, so wahr ist es, daß die Wahrheit von alledem der betrachtenden Vernunft aufleuchten kann. [1]
[1] Man vergleiche das hierzu am Ende des Buches unter Einzelne Bemerkungen und Ergänzungen» Gesagte.
I. Die Seelenwelt
Die Betrachtung des Menschen hat gezeigt, daß er drei Welten angehört. Aus der Welt der physischen Körperlichkeit sind die Stoffe und Kräfte entnommen, die seinen Leib auferbauen. Er hat von dieser Welt Kenntnis durch die Wahrnehmungen seiner äußeren physischen Sinne. Wer allein diesen Sinnen vertraut und lediglich deren Wahrnehmungsfähigkeit entwickelt, der kann sich keinen Aufschluß verschaffen über die beiden andern Welten, über die seelische und geistige.
Ob ein Mensch sich von der Wirklichkeit eines Dinges oder Wesens überzeugen kann, das hängt davon ab, ob er dafür ein Wahrnehmungsorgan, einen Sinn, hat.
Es kann natürlich leicht zu Mißverständnissen führen, wenn man, wie es hier geschieht, die höheren Wahrnehmungsorgane geistige Sinne nennt. Denn wenn man von «Sinnen» spricht, so verbindet man damit unwillkürlich den Gedanken des «Physischen». Man bezeichnet ja gerade die physische Welt auch als die «sinnliche» im Gegensatz zur «geistigen». Um das Mißverständnis zu vermeiden, muß man berücksichtigen, daß hier eben von «höheren Sinnen» nur vergleichsweise, in übertragenem Sinne gesprochen wird. Wie die physischen Sinne das Physische wahrnehmen, so die seelischen und geistigen das Seelische und Geistige. Nur in der Bedeutung von «Wahrnehmungsorgan» wird der Ausdruck «Sinn» gebraucht. Der Mensch hätte keine Kenntnis von dem Licht und der Farbe, wenn er nicht ein lichtempfindendes Auge hätte; er wüßte nichts von Klängen, wenn er nicht ein klangempfindendes Ohr hätte. In dieser Beziehung sagt mit vollem Recht der deutsche Philosoph Lotze: «Ohne ein Licht empfindendes Auge und ohne ein Klang empfindendes Ohr wäre die ganze Welt finster und stumm. Es würde in ihr ebensowenig Licht oder Schall geben, als ein Zahnschmerz möglich wäre ohne einen den Schmerz empfindenden Nerv des Zahnes.»
Um das, was hiermit gesagt ist, im richtigen Lichte zu sehen, braucht man sich nicht einmal zu überlegen, wie ganz anders, als für den Menschen, sich die Welt für die niederen Lebewesen offenbaren muß, die nur eine Art Tast- oder Gefühlssinn über die ganze Oberfläche ihres Körpers ausgebreitet haben. Licht, Farbe und Ton können für diese jedenfalls nicht in dem Sinne vorhanden sein wie für Wesen, die mit Augen und Ohren begabt sind. Die Luftschwingungen, die ein Flintenschuß verursacht, mögen auch auf sie eine Wirkung ausüben, wenn sie von ihnen getroffen werden. Daß sich diese Luftschwingungen der Seele als Knall offenbaren, dazu ist ein Ohr notwendig. Und daß sich gewisse Vorgänge in dem feinen Stoffe, den man Äther nennt, als Licht und Farbe offenbaren, dazu ist ein Auge notwendig.
Nur dadurch weiß der Mensch etwas von einem Wesen oder Dinge, daß er durch eines seiner Organe eine Wirkung davon empfängt. Dies Verhältnis des Menschen zur Welt des Wirklichen kommt trefflich in dem folgenden Ausspruch Goethes zur Darstellung:
«Eigentlich unternehmen wir umsonst, das Wesen eines Dinges auszudrücken Wirkungen werden wir gewahr, und eine vollständige Geschichte dieser Wirkungen umfaßte wohl allenfalls das Wesen jenes Dinges. Vergebens bemühen wir uns, den Charakter eines Menschen zu schildern: man stelle dagegen seine Handlungen, seine Taten zusammen, und ein Bild des Charakters wird uns entgegentreten. Die Farben sind Taten des Lichtes, Taten und Leiden … Farben und Licht stehen zwar untereinander in dem genauesten Verhältnis, aber wir müssen uns beide als der ganzen Natur angehörig denken; denn sie ist es ganz, die sich dadurch dem Sinne des Auges besonders offenbaren will. Ebenso entdeckt sich die Natur einem andern Sinne.. So spricht die Natur hinabwärts zu anderen Sinnen, zu bekannten, verkannten, unbekannten Sinnen; so spricht sie mit sich selbst und zu uns durch tausend Erscheinungen. Dem Aufmerksamen ist sie nirgends tot, noch stumm.»
Es wäre unrichtig, wenn man diesen Ausspruch Goethes so auffassen wollte, daß damit die Erkennbarkeit des Wesens der Dinge in Abrede gestellt würde. Goethe meint nicht: man nehme nur die Wirkung des Dinges wahr und das Wesen verberge sich dahinter. Er meint vielmehr, daß man von einem solchen «verborgenen Wesen» gar nicht sprechen soll. Das Wesen ist nicht hinter seiner Offenbarung; es kommt vielmehr durch die Offenbarung zum Vorschein. Nur ist dies Wesen vielfach so reich, daß es sich andern Sinnen in noch anderen Gestalten offenbaren kann. Was sich offenbart, ist zum Wesen gehörig, nur ist es wegen der Beschränktheit der Sinne nicht das ganze Wesen. Diese Goethesche Anschauung ist auch durchaus die hier geisteswissenschaftlich gemeinte.
Wie im Leibe Auge und Ohr als Wahrnehmungs-Organe, als Sinne für die körperlichen Vorgänge sich entwickeln, so vermag der Mensch in sich seelische und geistige Wahrnehmungsorgane auszubilden, durch die ihm die Seelen- und die Geisteswelt erschlossen werden. Für denjenigen, der solche höhere Sinne nicht hat, sind diese Welten «finster und stumm», wie für ein Wesen ohne Ohr und Auge die Körperwelt «finster und stumm» ist. Allerdings ist das Verhältnis des Menschen zu diesen höheren Sinnen etwas anders als zu den körperlichen. Daß diese letzteren in ihm vollkommen ausgebildet werden, dafür sorgt in der Regel die gütige Mutter Natur. Sie kommen ohne sein Zutun zustande. An der Entwickelung seiner höheren Sinne muß er selbst arbeiten. Er muß Seele und Geist ausbilden, wenn er die Seelen- und Geisteswelt wahrnehmen will, wie die Natur seinen Leib ausgebildet hat, damit er seine körperliche Umwelt wahrnehmen und sich in ihr orientieren könne. Eine solche Ausbildung von höheren Organen, welche die Natur noch nicht selbst entwickelt hat, ist nicht unnatürlich; denn im höheren Sinne gehört ja auch alles, was der Mensch vollbringt, mit zur Natur. Nur derjenige, welcher behaupten wollte, der Mensch müsse auf der Stufe der Entwickelung stehenbleiben, auf der er aus der Hand der Natur entlassen wird, – nur der könnte die Ausbildung höherer Sinne unnatürlich nennen. Von ihm werden diese Organe «verkannt» in ihrer Bedeutung im Sinne des angeführten Ausspruches Goethes. Ein solcher sollte nur aber auch gleich alle Erziehung des Menschen bekämpfen, denn auch sie setzt das Werk der Natur fort. Und insbesondere müßte er sich gegen die Operation von Blindgeborenen wenden. Denn ungefähr so wie dem operierten Blindgeborenen ergeht es dem, der in sich seine höheren Sinne in der Art erweckt, wie im letzten Teile dieser Schrift dargelegt wird. Mit neuen Eigenschaften, mit Vorgängen und Tatsachen, von denen die physischen Sinne nichts offenbaren, erscheint ihm die Welt. Ihm ist klar, daß er durch diese höheren Organe nichts willkürlich zu der Wirklichkeit hinzufügt, sondern daß ihm ohne dieselben der wesentliche Teil dieser Wirklichkeit verborgen geblieben wäre. Die Seelen- und Geisteswelt sind nichts neben oder außer der physischen, sie sind nicht räumlich von dieser getrennt. So wie für den operierten Blindgeborenen die vorherige finstere Welt in Licht und Farben erstrahlt, so offenbaren dem seelisch und geistig Erweckten Dinge, die ihm vorher nur körperlich erschienen waren, ihre seelischen und geistigen Eigenschaften. Allerdings erfüllt sich diese Welt auch noch mit Vorgängen und Wesenheiten, die für den nicht seelisch und geistig Erweckten völlig unbekannt bleiben.
(Später soll in diesem Buche genauer über die Ausbildung der seelischen und geistigen Sinne gesprochen werden. Hier werden zunächst diese höheren Welten selbst beschrieben. Wer diese Welten leugnet, der sagt nichts anderes, als daß er seine höheren Organe noch nicht entwickelt hat. Die Menschheitsentwickelung ist auf keiner Stufe abgeschlossen; sie muß immer weitergehen.)
Man stellt sich oft unwillkürlich die «höheren Organe» als zu ähnlich den physischen vor. Man sollte sich aber klarmachen, daß man es mit geistigen oder seelischen Gebilden in diesen Organen zu tun hat. Man darf deshalb auch nicht erwarten, daß dasjenige, was man in den höheren Welten wahrnimmt, etwa nur eine nebelhaft verdünnte Stofflichkeit sei. Solange man so etwas erwartet, wird man zu keiner klaren Vorstellung von dem kommen können, was hier mit «höheren Welten» eigentlich gemeint ist. Es wäre für viele Menschen gar nicht so schwer, wie es wirklich ist, etwas von diesen «höheren Welten» zu wissen – zunächst allerdings nur das Elementare -, wenn sie sich nicht vorstellten, daß es doch wieder etwas verfeinertes Physisches sein müsse, was sie wahrnehmen sollen. Da sie so etwas voraussetzen, so wollen sie in der Regel das gar nicht anerkennen, um was es sich wirklich handelt. Sie finden es unwirklich, lassen es nicht als etwas gelten, was sie befriedigt, und so weiter. Gewiß: die höheren Stufen der geistigen Entwickelung sind schwer zugänglich; diejenige aber, die hinreicht, um das Wesen der geistigen Welt zu erkennen – und das ist schon viel -, wäre gar nicht so sehr schwer zu erreichen, wenn man sich zunächst von dem Vorurteile freimachen wollte, welches darin besteht, das Seelische und Geistige doch wieder nur als ein feineres Physisches sich vorzustellen.
So wie wir einen Menschen nicht ganz kennen, wenn wir bloß von seinem physischen Äußeren eine Vorstellung haben, so kennen wir auch die Welt, die uns umgibt, nicht, wenn wir bloß das von ihr wissen, was uns die physischen Sinne offenbaren. Und so wie eine Photographie uns verständlich und lebensvoll wird, wenn wir der photographierten Person so nahetreten, daß wir ihre Seele erkennen lernen, so können wir auch die körperliche Welt nur wirklich verstehen, wenn wir ihre seelische und geistige Grundlage kennenlernen. Deshalb empfiehlt es sich, hier zuerst von den höheren Welten, von der seelischen und geistigen, zu sprechen und dann erst die physische vom geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkte aus zu beurteilen.
Es bietet gewisse Schwierigkeiten, in der gegenwärtigen Kulturepoche über die höheren Welten zu sprechen. Denn diese Kulturepoche ist vor allem groß in der Erkenntnis und Beherrschung der körperlichen Welt. Unsere Worte haben zunächst ihre Prägung und Bedeutung in bezug auf diese körperliche Welt erhalten. Man muß sich aber dieser gebräuchlichen Worte bedienen, um an Bekanntes anzuknüpfen. Dadurch wird bei denen, die nur ihren äußeren Sinnen vertrauen wollen, dem Mißverständnis Tür und Tor geöffnet.
Manches kann ja zunächst nur gleichnisweise ausgesprochen und angedeutet werden. Aber so muß es sein, denn solche Gleichnisse sind ein mittel, durch das der Mensch zunächst auf diese höheren Welten verwiesen wird und durch das seine eigene Erhebung zu ihnen gefördert wird. (Von dieser Erhebung wird in einem späteren Kapitel zu sprechen sein, in dem auf die Ausbildung der seelischen und geistigen Wahrnehmungsorgane hingewiesen werden wird. Zunächst soll der Mensch durch Gleichnisse von den höheren Welten Kenntnis nehmen. Dann kann er daran denken, sich selbst einen Einblick in dieselben zu verschaffen.) Wie die Stoffe und Kräfte, die unsern Magen, unser Herz, unsere Lunge, unser Gehirn und so weiter zusammensetzen und beherrschen, aus der körperlichen Welt strammen, so stammen unsere seelischen Eigenschaften, unsere Triebe, Begierden, Gefühle, Leidenschaften, Wünsche, Empfindungen und so weiter aus der seelischen Welt. Des Menschen Seele ist ein Glied in dieser seelischen Welt, wie sein Leib ein Teil der physischen Körperwelt ist. Will man zunächst einen Unterschied der körperlichen Welt von der seelischen angeben, so kann man sagen, die letztere ist in allen ihren Dingen und Wesenheiten viel feiner, beweglicher, bildsamer als die erstere. Doch muß man sich klar darüber bleiben, daß man eine gegenüber der physischen völlig neue Welt betritt, wenn man in die seelische kommt. Redet man also von gröber und feiner in dieser Hinsicht, so muß man sich bewußt bleiben, daß man vergleichsweise andeutet, was doch grundverschieden ist. So ist es mit allem, was über die Seelenwelt in Worten gesagt wird, die der physischen Körperlichkeit entlehnt sind. Berücksichtigt man dieses, dann kann man sagen, daß die Gebilde und Wesen der Seelenwelt ebenso aus Seelenstoffen bestehen und ebenso von Seelenkräften gelenkt werden, wie das in der physischen Welt mit physischen Stoffen und Kräften der Fall ist.
Wie den körperlichen Gebilden die räumliche Ausdehnung und räumliche Bewegung eigentümlich sind, so den seelischen Dingen und Wesenheiten die Reizbarkeit, das triebhafte Begehren. Man bezeichnet deshalb die Seelenwelt auch als die Begierden- oder Wunschwelt oder als die Welt des «Verlangens». Diese Ausdrücke sind der menschlichen Seelenwelt entlehnt. Man muß deshalb festhalten, daß die Dinge in denjenigen Teilen der Seelenwelt, die außer der menschlichen Seele liegen, von den Seelenkräften in dieser ebenso verschieden sind wie die physischen Stoffe und Kräfte der körperlichen Außenwelt von den Teilen, die den physischen Menschenleib zusammensetzen. (Trieb, Wunsch, Verlangen sind Bezeichnungen für das Stoffliche der Seelenwelt. Dieses Stoffliche sei mit «astral» bezeichnet. Nimmt man mehr Rücksicht auf die Kräfte der Seelenwelt, so kann man von «Begierdewesenheit» sprechen. Doch darf man nicht vergessen, daß hier die Unterscheidung von «Stoff» und «Kraft» keine so strenge sein kann wie in der physischen Welt. Ein Trieb kann ebensogut «Kraft» wie «Stoff» genannt werden.) Wer zum erstenmal einen Einblick in die seelische Welt erhält, für den wirken die Unterschiede, die sie von der physischen aufweist, verwirrend. Doch das ist ja auch beim Erschließen eines vorher untätigen physischen Sinnes der Fall. Der operierte Blindgeborene muß sich auch erst orientieren lernen in der Welt, die er vorher durch den Tastsinn gekannt hat. Ein solcher sieht zum Beispiel die Gegenstände zuerst in seinem Auge; dann erblickt er sie außer sich, doch erscheinen sie ihm zunächst so, wie wenn sie auf einer Fläche aufgemalt wären. Erst allmählich erfaßt er die Vertiefung, den räumlichen Abstand der Dinge und so weiter.
In der Seelenwelt gelten durchaus andere Gesetze als in der physischen. Nun sind ja allerdings viele seelische Gebilde an solche der andern Welten gebunden. Die Seele des Menschen zum Beispiel ist an den physischen Menschenleib und an den menschlichen Geist gebunden. Die Vorgänge, die man an ihr beobachten kann, sind also zugleich von der leiblichen und geistigen Welt beeinflußt. Darauf muß man bei der Beobachtung der Seelenwelt Rücksicht nehmen; und man darf nicht als seelische Gesetze ansprechen, was aus der Einwirkung einer andern Welt stammt.
Wenn zum Beispiel der Mensch einen Wunsch aussendet, so ist dieser von einem Gedanken, einer Vorstellung des Geistes getragen und folgt dessen Gesetzen. So wie man aber die Gesetze der physischen Welt feststellen kann, indem man von den Einflüssen absieht, die zum Beispiel der Mensch auf deren Vorgänge nimmt, so ist ein ähnliches auch mit der seelischen Welt möglich.
Ein wichtiger Unterschied der seelischen Vorgänge von den physischen kann dadurch ausgedrückt werden, daß man die Wechselwirkung bei den ersteren als eine viel innerlichere bezeichnet. Im physischen Raume herrscht zum Beispiel das Gesetz des «Stoßes». Wenn eine bewegte Elfenbeinkugel auf eine ruhende aufstößt, so bewegt sich die letztere weiter in einer Richtung, die sich aus der Bewegung und Elastizität der ersteren berechnen läßt. Im Seelenraume hängt die Wechselwirkung zweier Gebilde, die einander treffen, von ihren inneren Eigenschaften ab. Sie durchdringen sich gegenseitig, verwachsen gleichsam miteinander, wenn sie miteinander verwandt sind. Sie stoßen sich ab, wenn ihre Wesenheiten sich widerstreiten.
Im körperlichen Raume gibt es zum Beispiel für das Sehen bestimmte Gesetze.
Man sieht entfernte Gegenstände in perspektivischer Verkleinerung. Wenn man in eine Allee hineinsieht, so scheinen – nach den Gesetzen der Perspektive – die entfernteren Bäume in kleineren Abständen voneinander zu stehen als die nahen. Im Seelenraume erscheint dem Schauenden dagegen alles, das Nahe und das Entfernte, in den Abständen, die es durch seine innere Natur hat. Durch solches ist natürlich ein Quell der mannigfaltigsten Irrungen für denjenigen gegeben, der den Seelenraum betritt und da mit den Regeln zurechtkommen will, die er von der physischen Welt her mitbringt.
Es gehört zu dem ersten, was man sich für die Orientierung in der seelischen Welt aneignen muß, daß man die verschiedenen Arten ihrer Gebilde in ähnlicher Weise unterscheidet, wie man in der physischen Welt feste, flüssige und luft- oder gasförmige Körper unterscheidet. Um dazu zu kommen, muß man die beiden Grundkräfte kennen, die hier vor allem wichtig sind. Man kann sie Sympathie und Antipathie nennen. Wie diese Grundkräfte in einem seelischen Gebilde wirken, danach bestimmt sich dessen Art. Als Sympathie muß die Kraft bezeichnet werden, mit der ein Seelengebilde andere anzieht, sich mit ihnen zu verschmelzen sucht, seine Verwandtschaft mit ihnen geltend macht. Antipathie ist dagegen die Kraft, mit der sich Seelengebilde abstoßen, ausschließen, mit der sie ihre Eigenheit behaupten. In welchem Maße diese Grundkräfte in einem Seelengebilde vorhanden sind, davon hängt es ab, welche Rolle dieses in der seelischen Welt spielt. Drei Arten von Seelengebilden hat man zunächst zu unterscheiden, je nach dem Wirken von Sympathie und Antipathie in ihnen. Und diese Arten sind dadurch voneinander verschieden, daß Sympathie und Antipathie in ihnen in ganz bestimmten gegenseitigen Verhältnissen stehen. In allen Dreien sind beide Grundkräfte vorhanden. Man nehme zunächst ein Gebilde der ersten Art Es zieht andere Gebilde seiner Umgebung vermöge der in ihm waltenden Sympathie an. Aber außer dieser Sympathie ist: in ihm zugleich Antipathie vorhanden, durch die es in seiner Umgebung Befindliches von sich zurückstößt. Nach außen hin wird ein solches Gebilde so erscheinen, als wenn es nur mit Kräften der Antipathie ausgestattet wäre. Das ist aber nicht der Fall. Es ist Sympathie und Antipathie in ihm. Nur ist die letztere überwiegend. Sie hat über die erstere die Oberhand. Solche Gebilde spielen eine eigensüchtige Rolle im Seelenraum. Sie stoßen vieles um sich her ab und ziehen nur weniges liebevoll an sich heran. Daher bewegen sie sich als unveränderliche Formen durch den Seelenraum. Durch die Kraft der Sympathie, die in ihnen ist, erscheinen sie als gierig. Die Gier erscheint aber zugleich unersättlich, wie wenn sie nicht zu befriedigen wäre, weil die vorwaltende Antipathie so vieles Entgegenkommende abstößt, daß keine Befriedigung eintreten kann. Will man die Seelengebilde dieser Art mit etwas in der physischen Welt vergleichen, so kann man sagen: sie entsprechen den festen physischen Körpern. Begierdenglut soll diese Region der seelischen Stofflichkeit genannt werden.
Das, was von dieser Begierdenglut den Seelen der Tiere und Menschen beigemischt ist, bestimmt dasjenige in ihnen, was man die niederen sinnlichen Triebe nennt, ihre vorwaltenden selbstsüchtigen Instinkte.
Die zweite Art der Seelengebilde ist diejenige, bei denen sich die beiden Grundkräfte das Gleichgewicht halten, bei denen also Sympathie und Antipathie in gleicher Stärke wirken. Diese treten anderen Gebilden mit einer gewissen Neutralität gegenüber; sie wirken als verwandt auf sie, ohne sie besonders anzuziehen und abzustoßen. Sie ziehen gleichsam keine feste Grenze zwischen sich und der Umwelt. Fortwährend lassen sie andere Gebilde in der Umgebung auf sich einwirken; man kann sie deshalb mit den flüssigen Stoffen der physischen Welt vergleichen. Und in der Art, wie solche Gebilde anderes an sich heranziehen, liegt nichts von Gier. Die Wirkung, die hier gemeint ist, liegt zum Beispiel vor, wenn die Menschenseele eine Farbe empfindet. Wenn ich die Empfindung der roten Farbe habe, dann empfange ich zunächst einen neutralen Reiz aus meiner Umgebung. Erst wenn zu diesem Reiz das Wohlgefallen an der roten Farbe hinzutritt, dann kommt eine andere Seelenwirkung in Betracht. Das, was den neutralen Reiz bewirkt, sind Seelengebilde, die in solchem Wechselverhältnisse stehen, daß Sympathie und Antipathie einander das Gleichgewicht halten. Man wird die Seelenstofflichkeit, die hier in Betracht kommt, als eine vollkommen bildsamen, fließende bezeichnen müssen. Nicht eigensüchtig wie die erste bewegt sie sich durch den Seelenraum, sondern so, daß ihr Dasein überall Eindrücke empfängt, daß sie sich mit vielem verwandt erweist, das ihr begegnet. Ein Ausdruck, der für sie anwendbar ist, dürfte sein: fließende Reizbarkeit.
Die dritte Stufe der Seelengebilde ist diejenige, bei welcher die Sympathie die Oberhand über die Antipathie hat. Die Antipathie bewirkt das eigensüchtige Sichgeltendmachen; dieses tritt aber zurück hinter der Hinneigung zu den Dingen der Umgebung. Man denke sich ein solches Gebilde innerhalb des Seelenraumes. Es erscheint als der Mittelpunkt einer anziehenden Sphäre, die sich über die Gegenstände der Umwelt erstreckt solche Gebilde muß man im besonderen als Wunsch-Stofflichkeit bezeichnen. Diese Bezeichnung erscheint deshalb als die richtige, weil durch die bestehende, nur gegenüber der Sympathie schwächere, Antipathie die Anziehung doch so wirkt, daß die angezogenen Gegenstände in den eigenen Bereich des Gebildes gebracht werden sollen. Die Sympathie erhält dadurch einen eigensüchtigen Grundton. Diese Wunsch-Stofflichkeit darf mit den gas- oder luftförmigen Körpern der physischen Welt verglichen werden. Wie ein Gas sich nach allen Seiten auszudehnen bemüht ist, so breitet sich die Wunsch-Stofflichkeit nach allen Richtungen aus.
Höhere Stufen von Seelen-Stofflichkeit kennzeichnen sich dadurch, daß bei ihnen die eine Grundkraft völlig zurücktritt, nämlich die Antipathie, und nur die Sympathie sich als das eigentlich Wirksame erweist. Nun kann sich diese zunächst innerhalb der Teile des Seelengebildes selbst geltend machen. Diese Teile wirken gegenseitig aufeinander anziehend. Die Kraft der Sympathie im Innern eines Seelengebildes kommt in dem zum Ausdrucke, was man Lust nennt. Und jede Herabminderung dieser Sympathie ist Unlust. Die Unlust ist nur eine verminderte Lust, wie die Kälte nur eine verminderte Wärme ist. Lust und Unlust ist dasjenige, was im Menschen als die Welt der Gefühle – im engeren Sinne – lebt. Das Fühlen ist das Weben des Seelischen in sich selbst. Von der Art, wie die Gefühle der Lust und Unlust in dem Seelischen weben, hängt das ab, was man dessen Behagen nennt.
Eine noch höhere Stufe nehmen diejenigen Seelengebilde ein, deren Sympathie nicht im Bereich des Eigenlebens beschlossen bleibt. Von den drei niederen Stufen unterscheiden sich diese, wie ja auch schon die vierte, dadurch, daß bei ihnen die Kraft der Sympathie keine ihr entgegenstellende Antipathie zu überwinden hat. Durch diese höheren Arten der Seelen-Stofflichkeit schließt sich erst die Mannigfaltigkeit der Seelengebilde zu einer gemeinsamen Seelenwelt zusammen. Sofern die Antipathie in Betracht kommt, strebt das Seelengebilde nach etwas anderem um seines Eigenlebens willen, um sich selbst durch das andere zu verstärken und zu bereichern. Wo die Antipathie schweigt, da wird das andere als Offenbarung, als Kundgebung hingenommen. Eine ähnliche Rolle wie das Licht im physischen Raume spielt diese höhere Form von Seelen-Stofflichkeit im Seelenraum. Sie bewirkt, daß ein Seelengebilde das Dasein und Wesen der andern um deren selbst willen gleichsam einsaugt, oder man könnte auch sagen, sich von ihnen bestrahlen läßt. Dadurch, daß die Seelenwesen aus diesen höheren Regionen schöpfen, werden sie erst zum wahren Seelenleben erweckt. Ihr dumpfes Leben im Finstern schließt sich nach außen auf, leuchtet: und strahlt selbst in den Seelenraum hin; das träge, dumpfe Weben im Innern, das sich durch die Antipathie abschließen will, wenn nur die Stoffe der unteren Regionen vorhanden sind, wird Kraft und Regsamkeit, die vom Innern ausgeht und sich nach außen strömend ergießt. Die fließende Reizbarkeit der zweiten Region wirkt nur beim Zusammentreffen der Gebilde. Dann strömt allerdings eins in das andere über. Aber Berührung ist hier notwendig. In den höheren Regionen herrscht freies Hinstrahlen, Ergießen. (Mit Recht bezeichnet man das Wesen dieses Gebietes als ein «Hinstrahlen», denn die Sympathie, welche entwickelt wird, wirkt so, daß man als Sinnbild dafür den Ausdruck gebrauchen kann, der von der Wirkung des Lichtes genommen ist.) Wie eine Pflanze im Keller verkümmert, so die Seelengebilde ohne die sie belebenden Seelenstoffe der höheren Regionen. Seelenlicht, tätige Seelenkraft und das eigentliche Seelenleben im engeren Sinne gehören diesen Regionen an und teilen sich von hier aus den Seelenwesen mit.
Drei untere und drei obere Regionen der Seelenwelt hat man also zu unterscheiden; und beide sind vermittelt durch eine vierte, so daß sich folgende Einteilung der Seelenwelt ergibt:
1. Region der Begierdenglut
2. Region der fließenden Reizbarkeit
3. Region der Wünsche
4. Region von Lust und Unlust
5. Region des Seelenlichtes
6. Region der tätigen Seelenkraft
7. Region des Seelenlebens.
Durch die ersten drei Regionen erhalten die Seelengebilde ihre Eigenschaften aus dem Verhältnisse von Antipathie und Sympathie; durch die vierte Region webt die Sympathie innerhalb der Seelengebilde selbst; durch die drei höchsten wird die Kraft der Sympathie immer freier und freier; leuchtend und belebend durchwehen die Seelenstoffe dieser Region den Seelenraum, aufweckend, was sich sonst durch sich selbst im Eigendasein verlieren müßte.
Es sollte eigentlich überflüssig sein, doch wird, der Klarheit willen, hier doch betont, daß diese sieben Abteilungen der Seelenwelt nicht etwa voneinander getrennte Gebiete darstellen. So wie Festes, Flüssiges und Gasförmiges sich im Physischen durchdringen, so durchdringen sich Begierdenglut, fließende Reizbarkeit und die Kräfte der Wunschwelt im Seelischen. Und wie im Physischen die Wärme die Körper durchdringt, das Licht sie bestrahlt, so ist es im Seelischen mit Lust und Unlust und mit dem Seelenlicht der Fall. Und ein ähnliches findet statt für die tätige Seelenkraft und das eigentliche Seelenleben.
II. Die Seele in der Seelenwelt nach dem Tode
Die Seele ist das Bindeglied zwischen dem Geiste des Menschen und seinem Leibe. Ihre Kräfte der Sympathie und Antipathie, die durch ihr gegenseitiges Verhältnis die Seelenäußerungen: Begierde, Reizbarkeit, Wunsch, Lust und Unlust und so weiter bewirken, – sie sind nicht nur zwischen Seelengebilde und Seelengebilde tätig, sondern sie äußern sich auch gegenüber den Wesenheiten der anderen. Welten, der physischen und der geistigen Welt. Während die Seele im Leibe wohnt, ist sie gewissermaßen an allein beteiligt, was in diesem Leibe vorgeht. Wenn die physischen Verrichtungen des Leibes mit Regelmäßigkeit vor sich gehen, so entsteht in der Seele Lust und Behagen; wenn diese Verrichtungen gestört sind, so tritt Unlust und Schmerz ein.
Und auch an den Tätigkeiten des Geistes hat die Seele ihren Anteil: dieser Gedanke erfüllt sie mit Freude, jener mit Abscheu; ein richtiges Urteil hat den Beifall der Seele, ein falsches ihr Mißfallen.
Ja, es hängt die Entwickelungsstufe eines Menschen davon ab, ob die Neigungen seiner Seele mehr nach der einen oder der andern Richtung hin gehen. Ein Mensch ist um so vollkommener, je mehr seine Seele mit den Äußerungen des Geistes sympathisiert; er ist um so unvollkommener, je mehr ihre Neigungen durch die Verrichtungen des Leibes befriedigt werden.
Der Geist ist der Mittelpunkt des Menschen, der Leib der Vermittler, durch den der Geist die physische Welt betrachtet und erkennt und durch den er in ihr wirkt. Die Seele aber ist der Vermittler zwischen beiden. Sie entbindet dem physischen Eindruck, den die Luftschwingungen auf das Ohr machen, die Empfindung des Tones, sie erlebt die Lust an diesem Ton. Alles das teilt sie dem Geiste mit, der dadurch zum Verständnisse der physischen Welt gelangt. Ein Gedanke, der in dem Geiste auftritt, wird durch die Seele in den Wunsch nach Verwirklichung umgesetzt und kann erst dadurch mit Hilfe des leiblichen Werkzeuges zur Tat werden.
Nun kann der Mensch nur dadurch seine Bestimmung erfüllen, daß er all seinem Wirken die Richtung durch den Geist geben läßt. Die Seele kann durch sich selbst ihre Neigungen ebensogut dem Physischen wie dem Geistigen entgegenbringen. Sie senkt gleichsam ihre Fühlfäden ebenso zum Physischen hinunter, wie sie sie zum Geistigen hinaufstreckt. Durch das Einsenken in. Die physische Welt wird ihre eigene Wesenheit von der Natur des Physischen durchdrungen und gefärbt. Da der Geist aber nur durch ihre Vermittlung in der physischen Welt wirken kann, so wird ihm selbst dadurch die Richtung auf das Physische gegeben. Seine Gebilde werden durch die Kräfte der Seele nach dem Physischen hingezogen. Man betrachte den unentwickelten Menschen. Die Neigungen seiner Seele hängen an den Verrichtungen seines Leibes. Er empfindet nur Lust bei den Eindrücken, welche die physische Welt auf seine Sinne macht. Und auch sein Geistesleben wird dadurch ganz in diese Sphäre herangezogen. Seine Gedanken dienen nur der Befriedigung seines physischen Bedürfnislebens.
Indem das geistige Selbst von Verkörperung zu Verkörperung lebt, soll es immer mehr aus dem Geistigen heraus seine Richtung erhalten. Sein Erkennen soll von dem Geiste der ewigen Wahrheit, sein Handeln von der ewigen Güte bestimmt werden.
Der Tod bedeutet, als Tatsache der physischen Welt betrachtet, eine Veränderung der Verrichtungen des Leibes. Dieser hört mit dem Tode auf, durch seine Einrichtung der Vermittler der Seele und des Geistes zu sein. Er zeigt fernerhin sich in seinen Verrichtungen ganz der physischen Welt und ihren Gesetzen unterworfen; er geht in dieselbe über, uni sich in ihr aufzulösen. Nur diese physischen Vorgänge des Leibes können mit den physischen Sinnen nach dem Tode betrachtet werden. Was mit Seele und Geist dann geschieht, das entzieht sich diesen Sinnen. Denn sinnlich können ja auch während des Lebens Seele und Geist nur insofern beobachtet werden, als diese in physischen Vorgängen ihren äußeren Ausdruck erlangen. Nach dem Tode ist ein solcher Ausdruck nicht mehr möglich. Deshalb kommt die Beobachtung der physischen Sinne und die sich auf sie begründende Wissenschaft für das Schicksal von Seele und Geist nach dem Tode nicht in Betracht. Da tritt eben eine höhere Erkenntnis ein, die auf der Beobachtung der Vorgänge in der Seelen- und der Geisteswelt beruht.
Hat sich nun der Geist von dem Leibe gelöst, so ist er noch immer mit der Seele verbunden. Und wie ihn während des physischen Lebens der Leib an die physische Welt gekettet hat, so jetzt die Seele an die seelische.
Aber in dieser seelischen Welt ist nicht sein ureigenes Wesen zu finden. Sie soll ihn nur verbinden mit dem Felde seines Schaffens, mit der physischen Welt. Um in einer neuen Verkörperung mit vollkommenerer Gestalt zu erscheinen, muß er Kraft und Stärkung aus der geistigen Welt schöpfen. Er ist aber durch die Seele in die physische Welt verstrickt worden. Er ist an ein Seelenwesen gebunden, das durchdrungen und gefärbt ist von der Natur des Physischen, und er hat dadurch selbst diese Richtung erhalten. Nach dem ,Tode ist die Seele nicht mehr an den Leib, sondern nur noch an den Geist gebunden. Sie lebt nun in einer seelischen Umgebung. Nur die Kräfte dieser Welt können daher noch auf sie eine Wirkung haben. Und an dieses Leben der Seele in der Seelenwelt ist zunächst auch der Geist gebunden. Er ist so an dasselbe gebunden, wie er während der physischen Verkörperung an den Leib gebunden ist. Wann der Leib stirbt, das wird durch dessen Gesetze bestimmt im allgemeinen muß ja gesagt werden: nicht die Seele und der Geist verlassen den Leib, sondern er wird von denselben entlassen, wenn seine Kräfte nicht mehr im Sinne der menschlichen Organisation wirken können. Ebenso ist das Verhältnis von Seele und Geist. Die Seele wird den Geist in die höhere, in die geistige Welt entlassen, wenn ihre Kräfte nicht mehr im Sinne der menschlichen Seelenorganisation wirken können. In dem Augenblicke wird der Geist befreit sein, wenn die Seele dasjenige der Auflösung übergeben hat, was sie nur innerhalb des Leibes erleben kann, und nur das übrig behält, was mit dem Geiste weiterleben kann. Dies Übrigbehaltene, was zwar im Leibe erlebt, aber als Frucht in den Geist eingeprägt werden kann, verbindet die Seele mit dem Geist in der rein geistigen Welt.
Um das Schicksal der Seele nach dem Tode kennenzulernen, muß also ihr Auflösungsprozeß betrachtet werden. Sie hatte die Aufgabe, dem Geist die Richtung nach dem Physischen zu geben. In dem Augenblicke, wo sie diese Aufgabe erfüllt hat, nimmt sie die Richtung nach dem Geistigen. Wegen dieser Natur ihrer Aufgabe müßte sie eigentlich sofort nur geistig tätig sein, wenn der Leib von ihr abfällt, wenn sie also nicht mehr Bindeglied sein kann. Und sie würde das auch sein, wenn sie nicht durch ihr Leben im Leibe von diesem beeinflußt, in ihren Neigungen zu ihm hingezogen worden wäre. Ohne diese Färbung, die sie durch die Verbindung mit dem Leiblichen erhalten hat, würde sie sogleich nach der Entkörperung den bloßen Gesetzen der geistig-seelischen Welt folgen und keine weitere Hinneigung zum Sinnlichen entwickeln. Und das wäre der Fall, wenn der Mensch beim Tode vollständig alles Interesse an der irdischen Welt verloren hätte, wenn alle Begierden, Wünsche und so weiter befriedigt wären, die sich an das Dasein knüpfen, das er verlassen hat. Sofern dies aber nicht der Fall ist, haftet das nach dieser Richtung Übriggebliebene an der Seele.
Man muß hier, um nicht in Verwirrung zu geraten, sorgfältig unterscheiden zwischen dem, was den Menschen an die Welt so kettet, daß es auch in einer folgenden Verkörperung ausgeglichen werden kann, und dem, was ihn an eine bestimmte, an die jeweilig letzte Verkörperung kettet. Das erstere wird durch das Schicksalsgesetz, Karma, ausgeglichen; das andere aber kann nur nach dem Tode von der Seele abgestreift werden.
Es folgt auf den Tod für den Menschengeist eine Zeit, in der die Seele ihre Neigungen zum physischen Dasein abstreift, um dann wieder den bloßen Gesetzen der geistig-seelischen Welt zu folgen und den Geist freizumachen. Es ist naturgemäß, daß diese Zeit um so länger dauern wird, je mehr die Seele an das Physische gebunden war. Sie wird kurz sein bei einem Menschen, der wenig an dem physischen Leben gehangen hat, lang dagegen bei einem solchen, der seine Interessen ganz an dieses Leben gebunden hat, so daß beim Tode noch viele Begierden, Wünsche und so weiter in der Seele leben.
Am leichtesten erhält man von dem Zustande, in dem die Seele in der nächsten Zeit nach dem Tode lebt, eine Vorstellung durch folgende Überlegung. Man nehme ein ziemlich krasses Beispiel dazu: die Genüsse eines Feinschmeckers. Er hat seine Lust am Gaumenkitzel durch die Speisen. Der Genuß ist natürlich nichts Körperliches, sondern etwas Seelisches. In der Seele lebt die Lust und auch die Begierde nach der Lust. Zur Befriedigung der Begierde ist aber das entsprechende körperliche Organ, der Gaumen und so weiter, notwendig. Nach dem Tode hat nun die Seele eine solche Begierde nicht sogleich verloren, wohl aber hat sie das körperliche Organ nicht mehr, welches das Mittel ist, die Begierde zu befriedigen. Es ist nun – zwar aus einem anderen Grunde, der aber ähnlich, nur weit stärker wirkt – für den Menschen so, wie wenn er in einer Gegend, in der weit und breit kein Wasser ist, brennenden Durst litte. So leidet die Seele brennend an der Entbehrung der Lust, weil sie das körperliche Organ abgelegt hat, durch das sie die Lust haben kann. So ist es mit allem, wonach die Seele verlangt und das nur durch die körperlichen Organe befriedigt werden kann. Es dauert dieser Zustand (brennender Entbehrung) so lange, bis die Seele gelernt hat, nicht mehr nach solchem zu begehren, was nur durch den Körper befriedigt werden kann. Und die Zeit, welche in diesem Zustande verbracht wird, kann man den Ort der Begierden nennen, obgleich man es natürlich nicht mit einem «Orte» zu tun hat. Betritt die Seele nach dem Tode die seelische Welt, so ist sie deren Gesetzen unterworfen. Diese wirken auf sie; und vor’ dieser Wirkung hängt es ab, in welcher Art die Neigung zum Physischen in ihr getilgt wird. Die Wirkungen müssen verschieden sein, je nach den Arten der Seelenstoffe und Seelenkräfte, in deren Bereich sie nunmehr versetzt ist. Jede dieser Arten wird ihren reinigenden, läuternden Einfluß geltend machen. Der Vorgang, der hier stattfindet, ist so, daß alles Antipathische in der Seele allmählich von den Kräften der Sympathie überwunden und daß diese Sympathie selbst bis zu ihrem höchsten Gipfel geführt wird. Denn durch diesen höchsten Grad von Sympathie mit der ganzen übrigen Seelenwelt wird die Seele gleichsam in dieser zerfließen, eins mit ihr werden; dann ist ihre Eigensucht völlig erschöpft. Sie hört auf, als ein Wesen zu existieren, das dem physisch-sinnlichen Dasein zugeneigt ist: der Geist ist durch sie befreit. Daher läutert sich die Seele durch die oben beschriebenen Regionen der Seelenwelt hindurch, bis sie in der Region der vollkommenen Sympathie mit der allgemeinen Seelenwelt eins wird. Daß der Geist bis zu diesem letzten Momente der Befreiung seiner Seele selbst an diese gebunden ist, rührt davon her, daß er durch sein Leben mit ihr ganz verwandt geworden ist. Diese Verwandtschaft ist eine viel größere als die mit dem Leibe. Denn mit dem letzteren ist er mittelbar durch die Seele, mit dieser aber unmittelbar verbunden. Sie ist ja sein Eigenleben. Deshalb ist der Geist nicht an den verwesenden Leib, wohl aber an die sich allmählich befreiende Seele gebunden.
Wegen der unmittelbaren Verbindung des Geistes mit der Seele kann der erstere sich von dieser erst dann frei fühlen, wenn sie selbst mit der allgemeinen Seelenwelt eins geworden ist.
Insofern die seelische Welt der Aufenthalt des Menschen unmittelbar nach dem Tode ist, kann sie der «Ort der Begierden» genannt werden. Die verschiedenen Religionssysteme, die ein Bewußtsein von diesen Verhältnissen in ihre Lehren aufgenommen haben, kennen diesen «Ort der Begierden» unter dem Namen «Fegefeuer», «Läuterungsfeuer» und so weiter.
Die niederste Region der Seelenwelt ist diejenige der Begierdenglut. Durch sie wird nach dem Tode alles das aus der Seele ausgetilgt, was sie an gröbsten, mit dem niedersten Leibesleben zusammenhängenden selbstsüchtigen Begierden hat. Denn durch solche Begierden kann sie von den Kräften dieser Seelenregion eine Wirkung erfahren. Die unbefriedigten Begierden, die aus dem physischen Leben zurückgeblieben sind, bilden den Angriffspunkt. Die Sympathie solcher Seelen erstreckt sich nur über das, was ihr eigensüchtiges Wesen nähren kann; und sie wird weit überwogen von der Antipathie, die sich über alles andere ergießt. Nun gehen aber die Begierden auf die physischen Genüsse, die in der Seelenwelt nicht befriedigt werden können. Durch diese Unmöglichkeit der Befriedigung wird die Gier aufs höchste gesteigert. Zugleich muß aber diese Unmöglichkeit die Gier allmählich verlöschen. Die brennenden Gelüste verzehren sich nach und nach; und die Seele hat erfahren, daß in der Austilgung solcher Gelüste das einzige Mittel liegt, das Leid zu verhindern, das aus ihnen kommen muß. Während des physischen Lebens tritt ja doch immer wieder und wieder Befriedigung ein. Dadurch wird der Schmerz der brennenden Gier durch eine Art Illusion verdeckt. Nach dem Tode, im «Läuterungsfeuer», tritt dieser Schmerz ganz unverhüllt auf. Die entsprechenden Entbehrungserlebnisse werden durchgemacht. Ein finsterer Zustand ist es, in dem die Seelen sich dadurch befinden. Nur diejenigen Menschen können selbstverständlich diesem Zustande verfallen, deren Begierden im physischen Leben auf die gröbsten Dinge abzielten. Naturen mit wenig Gelüsten gehen, ohne daß sie es merken, durch ihn hindurch, denn sie haben zu ihm keine Verwandtschaft. Es muß gesagt werden, daß durch die Begierdenglut die Seelen um so länger beeinflußt werden, je verwandter sie durch ihr physisches Leben dieser Glut geworden sind; je mehr sie es daher nötig haben, in ihr geläutert zu werden. Man darf solche Läuterung nicht in demselben Sinne als ein Leiden bezeichnen, wie man ähnliches in der Sinnenwelt nur als Leiden empfinden müßte. Denn die Seele verlangt nach dem Tode nach ihrer Läuterung, weil nur durch diese eine in ihr bestehende Unvollkommenheit getilgt werden kann.
Eine zweite Art von Vorgängen der Seelenwelt ist so, daß. Sich Sympathie und Antipathie bei ihnen das Gleichgewicht halten. Insofern eine Menschenseele in dem gleichen Zustande nach dem Tode ist, wird sie eine Zeitlang von diesen Vorgängen beeinflußt. Das Aufgehen im äußeren Tand des Lebens, die Freude an den vorüberflutenden Eindrücken der Sinne bedingen diesen Zustand. Die Menschen leben in ihm, insofern er durch die angedeuteten Seelenneigungen bedingt ist Sie lassen sich von jeder Nichtigkeit des Tages beeinflussen. Da aber ihre Sympathie sich keinem Dinge in besonderem Maße zuwendet, gehen die Einflüsse rasch vorüber. Alles, was nicht diesem nichtigen Reich angehört, ist solchen Personen antipathisch. Erlebt nun nach dem Tode die Seele diesen Zustand, ohne daß die sinnlich-physischen Dinge da sind, die zu seiner Befriedigung notwendig gehören, so muß er endlich verlöschen. Natürlich ist die Entbehrung, die vor dem völligen Erlöschen in der Seele herrscht, leidvoll. Diese leidvolle Lage ist die Schule zur Zerstörung der Illusion, in die der Mensch während des physischen Lebens eingehüllt ist.
Drittens kommen in der Seelenwelt die Vorgänge in Betracht mit vorherrschender Sympathie, diejenigen mit vorherrschender Wunschnatur. Ihre Wirkung erfahren die Seelen durch alles das, was eine Atmosphäre von Wünschen nach dem Tode erhält. Auch diese Wünsche ersterben allmählich wegen der Unmöglichkeit ihrer Befriedigung.
Die Region der Lust und Unlust in der Seelenwelt, die oben als die vierte bezeichnet worden ist, legt der Seele besondere Prüfungen auf. Solange diese im Leibe wohnt, nimmt sie an allem teil, was diesen Leib betrifft. Das Weben von Lust und Unlust ist an diesen geknüpft. Er verursacht ihr Wohlgefühl und Behagen, Unlust und Unbehagen. Der Mensch empfindet während des physischen Lebens seinen Körper als sein Selbst. Das, was man Selbstgefühl nennt, gründet sich auf diese Tatsache. Und je sinnlicher die Menschen veranlagt sind, desto mehr nimmt ihr Selbstgefühl diesen Charakter an.
Nach dem Tode fehlt der Leib als Gegenstand dieses Selbstgefühls. Die Seele, welcher dieses Gefühl geblieben ist, fühlt sich deshalb wie ausgehöhlt. Ein Gefühl, wie wenn sie sich selbst verloren hätte, befällt sie. Dieses hält so lange an, bis erkannt ist, daß im Physischen nicht der wahre Mensch liegt. Die Einwirkungen dieser vierten Region zerstören daher die Illusion des leiblichen Selbst. Die Seele lernt diese Leiblichkeit nicht mehr als etwas Wesentliches empfinden. Sie wird geheilt und geläutert von dem Hang zu der Leiblichkeit. Dadurch hat sie überwunden, was sie vorher stark an die physische Welt kettete, und sie kann die Kräfte der Sympathie, die nach außen gehen, voll entfalten. Sie ist sozusagen von sich abgekommen und bereit, teilnahmsvoll sich in die allgemeine Seelenwelt zu ergießen.
Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß die Erlebnisse dieser Region im besonderen Maße Selbstmörder durchmachen. Sie verlassen auf künstlichem Wege ihren physischen Leib, während doch alle Gefühle, die mit diesem zusammenhängen, unverändert bleiben. Beim natürlichen Tode geht mit dem Verfall des Leibes auch ein teilweises Ersterben der an ihn sich heftenden Gefühle einher. Bei Selbstmördern kommen dann noch zu der Qual, die ihnen das Gefühl der plötzlichen Aushöhlung verursacht, die unbefriedigten Begierden lind Wünsche, wegen deren sie sich entleibt haben.
Die fünfte Stufe der Seelenwelt ist die des Seelenlichtes. Die Sympathie mit anderem hat in ihr bereits eine hohe Geltung. Mit ihr sind die Seelen verwandt, insofern sie während des physischen Lebens nicht in der Befriedigung niederer Bedürfnisse aufgegangen sind, sondern Freude, Lust an ihrer Umwelt gehabt haben. Die Naturschwärmerei, insofern sie einen sinnlichen Charakter an sich getragen hat, unterliegt zum Beispiel hier der Läuterung. Man muß aber diese Art von Naturschwärmerei wohl unterscheiden von jenem höheren Leben in der Natur, das geistiger Art ist und welches den Geist sucht, der sich in den Dingen und Vorgängen der Natur offenbart. Diese Art von Natursinn gehört zu den Dingen, die den Geist selbst entwickeln und die ein Bleibendes in diesem Geiste begründen. Von diesem Natursinn ist aber eine solche Lust an der Natur zu unterscheiden, die ihren Grund in den Sinnen hat. Dieser gegenüber bedarf die Seele ebenso der Läuterung wie gegenüber anderen Neigungen, die im bloßen physischen Dasein begründet sind. Viele Menschen sehen in Einrichtungen, die der sinnlichen Wohlfahrt dienen, in einem Erziehungssystem, das vor allem sinnliches Behagen herbeiführt, eine Art Ideal. Von ihnen kann man nicht sagen, daß sie nur ihren selbstsüchtigen Trieben dienen. Aber ihre Seele ist doch auf die Sinnenwelt gerichtet und muß durch die in der fünften Region der seelischen Welt herrschende Kraft der Sympathie, der diese äußeren Befriedigungsmittel fehlen, geheilt werden. Die Seele erkennt hier allmählich, daß diese Sympathie andere Wege nehmen muß. Und diese Wege werden gefunden in der durch die Sympathie mit der Seelenumgebung bewirkten Ausgießung der Seele in den Seelenraum.
Auch diejenigen Seelen, welche von ihren religiösen Verrichtungen zunächst eine Erhöhung ihrer sinnlichen Wohlfahrt verlangen, werden hier geläutert. Sei es, daß ihre Sehnsucht auf ein irdisches, sei es, daß sie auf ein himmlisches Paradies gehe. Sie finden im «Seelenlande» dieses Paradies; aber nur zu dem Zwecke, um die Wertlosigkeit desselben zu durchschauen. Alles das sind natürlich nur einzelne Beispiele für Läuterungen, die in dieser fünften Region stattfinden. Sie könnten beliebig vermehrt werden. Durch die sechste Region, diejenige der tätigen Seelenkraft, findet die Läuterung des tatendurstigen Teiles der Seele statt, der nicht einen egoistischen Charakter trägt, doch aber in der sinnlichen Befriedigung, welche die Taten bringen, seine Motive hat. Naturen, die eine solche Tatenlust entwickeln, machen äußerlich durchaus den Eindruck von Idealisten, sie zeigen sich als aufopferungsfähige Personen. Im tieferen Sinne kommt es ihnen aber doch auf die Erhöhung eines sinnlichen Lustgefühls an. Viele künstlerische Naturen und solche, welche sich wissenschaftlicher Betätigung hingeben, weil es ihnen so gefällt, gehören hierher. Was diese an die physische Welt kettet, das ist der Glaube, daß Kunst und Wissenschaft um eines solchen Gefallens willen da seien.
Die siebente Region, die des eigentlichen Seelenlebens, befreit den Menschen von seinen letzten Hinneigungen zur sinnlich-physischen Welt. Jede vorhergehende Region nimmt von der Seele das auf, was ihr verwandt ist. Was nun noch den Geist umgibt, das ist die Meinung, daß seine Tätigkeit der sinnlichen Welt ganz gewidmet sein soll. Es gibt hochbegabte Persönlichkeiten, die aber über nicht viel anderes nachsinnen als über die Vorgänge der physischen Welt. Man kann einen solchen Glauben einen materialistischen nennen. Dieser Glaube muß zerstört werden, und er wird es in der siebenten Region. Da sehen die Seelen, daß keine Gegenstände für materialistische Gesinnung in der wahren Wirklichkeit vorhanden sind. Wie Eis in der Sonne schmilzt dieser Glaube der Seele hier dahin. Das Seelenwesen ist nunmehr aufgesogen von seiner Welt, der Geist aller Fesseln ledig. Er schwingt sich auf in die Regionen, wo er nur in seiner eigenen Umgebung lebt.
Die Seele hat ihre vorige Erdenaufgabe erfüllt, und es hat sich nach dem Tode gelöst, was von dieser Aufgabe als eine Fessel für den Geist geblieben ist. Indem die Seele den Erdenrest überwunden hat, ist sie selbst ihrem Elemente zurückgegeben.
Man sieht aus dieser Darstellung, daß die Erlebnisse der seelischen Welt, und damit auch die Zustände des seelischen Lebens nach dem Tode, ein immer weniger der Seele widerstrebendes Aussehen gewinnen, je mehr der Mensch von dem abgestreift hat, was ihm von der irdischen Verbindung mit der physischen Körperlichkeit an unmittelbarer Verwandtschaft mit dieser anhaftet.
Je nach den im physischen Leben geschaffenen Vorbedingungen wird die Seele länger oder kürzer der einen oder anderen Region angehören. Wo sie Verwandtschaft fühlt, bleibt sie so lange, bis diese getilgt ist. Wo keine Verwandtschaft vorhanden ist, geht sie unfühlend über die möglichen Einwirkungen hinweg. Es sollten hier nur die Grundeigenschaften der Seelenwelt geschildert und der Charakter des Lebens der Seele in dieser Welt in allgemeinen Zügen dargestellt werden. Dasselbe gilt für die folgenden Darstellungen des Geisterlandes. Es würde die Grenzen, welche dieses Buch einhalten soll, überschreiten, wenn auf weitere Eigenschaften dieser höheren Welten eingegangen werden sollte. Denn von dem, was sich mit Raumverhältnissen und dem Zeitverlauf vergleichen läßt, in bezug auf die hier alles ganz anders ist als in der physischen Welt, kann nur verständlich gesprochen werden, wenn man es in ganz ausführlicher Art darstellen will. Einiges Wichtige darüber findet man in meiner «Geheimwissenschaft».
III. Das Geisterland
Bevor nun der Geist auf seiner weiteren Wanderung betrachtet werden kann, muß das Gebiet selbst erst beobachtet werden, das er betritt. Es ist die «Welt des Geistes». Diese Welt ist der physischen so unähnlich, daß alles das, was über sie gesagt wird, demjenigen wie Phantastik Vorkommen muß, der nur seinen physischen Sinnen Vertrauen will. Und in noch höherem Maße gilt hier, was schon bei der Betrachtung der «Welt der Seele» gesagt worden ist: man muß sich der Gleichnisse bedienen, um zu schildern. Denn unsere Sprache, die zumeist nur der sinnlichen Wirklichkeit dient, ist mit Ausdrücken, die sich für das «Geisterland» unmittelbar anwenden lassen, nicht gerade reich gesegnet. Besonders hier muß daher gebeten werden, manches, was gesagt wird, nur als Andeutung zu verstehen. Es ist alles, was hier beschrieben wird, der physischen Welt so unähnlich, daß es nur in dieser Weise geschildert werden kann. Der Schreiber dieser Darstellung ist sich immer bewußt, wie wenig seine Angaben wegen der Unvollkommenheit unserer für die physische Welt berechneten sprachlichen Ausdrucksmittel wirklich der Erfahrung auf diesem Gebiete gleichen können.
Vor allen Dingen muß betont werden, daß diese Welt aus dem Stoffe (auch das Wort «Stoff» ist natürlich hier in einem sehr uneigentlichen Sinne gebraucht) gewoben ist, aus dem der menschliche Gedanke besteht. Aber so wie der Gedanke im Menschen lebt, ist er nur ein Schattenbild, ein Schemen seiner wirklichen Wesenheit Wie der Schatten eines Gegenstandes an einer Wand sich zum wirklichen Gegenstand verhält, der diesen Schatten wirft, so verhält sich der Gedanke, der durch den menschlichen Kopf erscheint, zu der Wesenheit im «Geisterland», die diesem Gedanken entspricht. Wenn nun der geistige Sinn des Menschen erweckt ist, dann nimmt er diese Gedankenwesenheit wirklich wahr, wie das sinnliche Auge einen Tisch oder einen Stuhl wahrnimmt. Er wandelt in einer Umgebung von Gedankenwesen. Das sinnliche Auge nimmt den Löwen wahr und das auf Sinnliches gerichtete Denken bloß den Gedanken des Löwen als ein Schemen, als ein schattenhaftes Bild. Das geistige Auge sieht im «Geisterland» den Gedanken des Löwen so wirklich wie das sinnliche den physischen Löwen. Wieder kann hier auf das schon bezüglich des «Seelenlandes» gebrauchte Gleichnis verwiesen werden. Wie dem operierten Blindgeborenen auf einmal seine Umgebung mit den neuen Eigenschaften der Farben und Lichter erscheint, so erscheint demjenigen, der sein geistiges Auge gebrauchen lernt, die Umgebung mit einer neuen Welt erfüllt, mit der Welt lebendiger Gedanken oder Geistwesen.
In dieser Welt sind nun zunächst die geistigen Urbilder aller Dinge und Wesen zu sehen, die in der physischen und in der seelischen Welt vorhanden sind. Man denke sich das Bild eines Malers im Geiste vorhanden, bevor es gemalt ist. Dann hat man ein Gleichnis dessen, was mit dem Ausdruck Urbild gemeint ist. Es kommt hier nicht darauf an, daß der Maler ein solches Urbild vielleicht nicht im Kopfe hat, bevor er malt; daß es erst während der praktischen Arbeit nach und nach vollständig entsteht. In der wirklichen «Welt des Geistes» sind solche Urbilder für alle Dinge vorhanden, und die physischen Dinge und Wesenheiten sind Nachbilder dieser Urbilder.
Wenn derjenige, welcher nur seinen äußeren Sinnen vertraut, diese urbildliche Welt leugnet und behauptet, die Urbilder seien nur Abstraktionen, die der vergleichende Verstand von den sinnlichen Dingen gewinnt, so ist das begreiflich; denn ein solcher kann eben in dieser höheren Welt nicht wahrnehmen; er kennt die Gedankenwelt nur in ihrer schemenhaften Abstraktheit. Er weiß nicht, daß der geistig Schauende mit den Geisteswesen so vertraut ist wie er selbst mit seinem Hunde oder seiner Katze und daß die Urbilderwelt eine weitaus intensivere Wirklichkeit hat als die sinnlich-physische.
Allerdings ist der erste Einblick in dieses «Geisterland» noch verwirrender als derjenige in die seelische Welt. Denn die Urbilder in ihrer wahren Gestalt sind ihren sinnlichen Nachbildern sehr unähnlich. Ebenso unähnlich sind sie aber auch ihren Schatten, den abstrakten Gedanken.
In der geistigen Welt ist alles in fortwährender beweglicher Tätigkeit, in unaufhörlichem Schaffen. Eine Ruhe, ein Verweilen an einem Orte, wie sie in der physischen Welt vorhanden sind, gibt es dort nicht. Denn die Urbilder sind schaffende Wesenheiten. Sie sind die Werkmeister alles dessen, was in der physischen und seelischen Welt entsteht. Ihre Formen sind rasch wechselnd; und in jedem Urbild liegt die Möglichkeit, unzählige besondere Gestalten anzunehmen. Sie lassen gleichsam die besonderen Gestalten aus sich hervorsprießen; und kaum ist die eine erzeugt, so schickt sich das Urbild an, eine nächste aus sich hervorquellen zu lassen. Und die Urbilder stehen miteinander in mehr oder weniger verwandtschaftlicher Beziehung. Sie wirken nicht vereinzelt. Das eine bedarf der Hilfe des andern zu seinem Schaffen. Unzählige Urbilder wirken oft zusammen, damit diese oder jene Wesenheit in der seelischen oder physischen Welt entstehe.
Außer dem, was durch «geistiges Sehen» in diesem «Geisterlande» wahrzunehmen ist, gibt es hier noch etwas anderes, das als Erlebnis des «geistigen Hörens» zu betrachten ist. Sobald nämlich der «Hellsehende» aufsteigt aus dem Seelen- in das Geisterland, werden die wahrgenommenen Urbilder auch klingend. Dieses «Klingen» ist ein rein geistiger Vorgang. Es muß ohne alles Mitdenken eines physischen Tones vorgestellt werden. Der Beobachter fühlt sich wie in einem Meere von Tönen. Und in diesen Tönen, in diesem geistigen Klingen drücken sich die Wesenheiten der geistigen Welt aus. In ihrem Zusammenklingen, ihren Harmonien, Rhythmen und Melodien prägen sich die Urgesetze ihres Daseins, ihre gegenseitigen Verhältnisse und Verwandtschaften aus. Was in der physischen Welt der Verstand als Gesetz, als Idee wahrnimmt, das stellt sich für das «geistige Ohr» als ein Geistig-Musikalisches dar. (Die Pythagoreer nannten daher diese Wahrnehmung der geistigen Welt «Sphärenmusik». Dem Besitzer des «geistigen Ohres» ist diese «Sphärenmusik» nicht bloß etwas Bildliches, Allegorisches, sondern eine ihm wohlbekannte geistige Wirklichkeit.) Man muß nur, wenn man einen Begriff von dieser «geistigen Musik» erhalten will, alle Vorstellungen von sinnlicher Musik beseitigen, wie sie durch das «stoffliche Ohr» wahrgenommen wird. Es handelt sich hier eben um «geistige Wahrnehmung», also um eine solche, die stumm bleiben muß für das «sinnliche Ohr». In den folgenden Beschreibungen des «Geisterlandes» sollen der Einfachheit halber die Hinweise auf diese «geistige Musik» weggelassen werden. Man hat sich nur vorzustellen, daß alles, was als «Bild», als ein «Leuchtendes» beschrieben wird, zugleich ein Klingendes ist. Jeder Farbe, jeder Lichtwahrnehmung entspricht ein geistiger Ton, und jedem Zusammenwirken von Farben entspricht eine Harmonie, eine Melodie und so weiter. Man muß sich nämlich durchaus vergegenwärtigen, daß auch da, wo das Tönen herrscht, das Wahrnehmen des «geistigen Auges» nicht etwa aufhört. Es kommt eben das Tönen zu dem Leuchten nur hinzu. Wo von «Urbildern» in dem Folgenden gesprochen wird, sind also die «Urtöne» hinzuzudenken. Auch andere Wahrnehmungen kommen hinzu, die gleichnisartig als «geistiges Schmecken» und so weiter bezeichnet werden können. Doch soll hier auf diese Vorgänge nicht eingegangen werden, da es sich darum handelt, eine Vorstellung von dem «Geisterlande» durch einige aus dem Ganzen herausgegriffene Wahrnehmungsarten in demselben zu erwecken.
Nun ist zunächst notwendig, die verschiedenen Arten der Urbilder voneinander zu unterscheiden. Auch im «Geisterland» hat man eine Anzahl von Stufen oder Regionen auseinanderzuhalten, um sich zu orientieren. Auch hier sind, wie in der «Seelenwelt», die einzelnen Regionen nicht etwa schichtenweise übereinandergelagert zu denken, sondern sich gegenseitig durchdringend und durchsetzend. Die erste Region enthält die Urbilder der physischen Welt, insofern diese nicht mit Leben begabt ist. Die Urbilder der Mineralien sind hier zu finden, ferner die der Pflanzen; diese aber nur insofern, als sie rein physisch sind; also insofern man auf das Leben in ihnen keine Rücksicht nimmt. Ebenso trifft man hier die physischen Tier- und Menschenformen an. Damit soll dasjenige nicht erschöpft sein, was sich in dieser Region befindet; es soll nur durch naheliegende Beispiele illustriert werden.
Diese Region bildet das Grundgerüst des «Geisterlandes». Es kann verglichen werden mit dem festen Land unserer physischen Erde. Es ist die Kontinentalmasse des «Geisterlandes». Seine Beziehung zur physisch-körperlichen Welt kann nur vergleichsweise beschrieben werden. Man bekommt eine Vorstellung davon etwa durch folgendes: Man denke sich irgendeinen begrenzten Raum mit physischen Körpern der mannigfaltigsten Art ausgefüllt. Und nun denke man sich diese physischen Körper weg und an ihrer Stelle Hohlräume in ihren Formen. Die früher leeren Zwischenräume denke man sich aber mit den mannigfaltigsten Formen erfüllt, die zu den früheren Körpern in mannigfachen Beziehungen stehen. – So etwa sieht es in der niedrigsten Region der Urbilderwelt aus. In ihr sind die Dinge und Wesen, die in der physischen Welt verkörpert werden, als «Hohlräume» vorhanden. Und in den Zwischenräumen spielt sich die bewegliche Tätigkeit der Urbilder (und der «geistigen Musik») ab. Bei der physischen Verkörperung werden nun die Hohlräume gewissermaßen mit physischem Stoffe erfüllt. Wer zugleich mit physischem und geistigem Auge in den Raum schaute, sähe die physischen Körper und dazwischen die bewegliche Tätigkeit der schaffenden Urbilder. Die zweite Region des «Geisterlandes» enthält die Urbilder des Lebens. Aber dieses Leben bildet hier eine vollkommene Einheit. Als flüssiges Element durchströmt es die Welt des Geistes, gleichsam als Blut alles durchpulsend. Es läßt sich mit dem Meere und den Gewässern der physischen Erde vergleichen. Seine Verteilung ist allerdings ähnlicher der Verteilung des Blutes in dem tierischen Körper als derjenigen der Meere und Flüsse. Fließendes Leben, aus Gedankenstoff gebildet, so könnte man diese zweite Stufe des «Geisterlandes» bezeichnen. In diesem Element liegen die schaffenden Urkräfte für alles, was in der physischen Wirklichkeit als belebte Wesen auftritt. Hier zeigt es sich, daß alles Leben eine Einheit ist, daß das Leben in dem Menschen verwandt ist mit dem Leben aller seiner Mitgeschöpfe.
Als dritte Region des «Geisterlandes» müssen die Urbilder alles Seelischen bezeichnet werden. Man befindet sich hier in einem viel dünneren und feineren Element als in den beiden ersten Regionen. Vergleichsweise kann es als der Luftkreis des «Geisterlandes» bezeichnet werden. Alles, was in den Seelen der beiden anderen Welten vorgeht, hat hier sein geistiges Gegenstück. Alle Empfindungen, Gefühle, Instinkte, Leidenschaften und so weiter sind hier auf geistige Art noch einmal vorhanden. Die atmosphärischen Vorgänge in diesem Luftkreise entsprechen den Leiden und Freuden der Geschöpfe in den andern Welten. Wie ein leises Wehen erscheint hier das Sehnen einer Menschenseele; wie ein stürmischer Luftzug ein leidenschaftlicher Ausbruch. Wer über das hier in Betracht Kommende sich Vorstellungen bilden kann, der dringt tief ein in das Seufzen einer jeglichen Kreatur, wenn er seine Aufmerksamkeit darauf richtet. Man kann hier zum Beispiel sprechen von stürmischen Gewittern mit zuckenden Blitzen und rollendem Donner; und geht man der Sache weiter nach, so findet man, daß sich in solchen «Geistergewittern» die Leidenschaften einer auf der Erde geschlagenen Schlacht ausdrücken.
Die Urbilder der vierten Region beziehen sich nicht unmittelbar auf die andern Welten. Sie sind in gewisser Beziehung Wesenheiten, welche die Urbilder der drei unteren Regionen beherrschen und deren Zusammentritt vermitteln. Sie sind daher beschäftigt mit dem Ordnen und Gruppieren dieser untergeordneten Urbilder. Von dieser Region geht demnach eine umfassendere Tätigkeit aus als von den unteren.
Die fünfte, sechste und siebente Region unterscheiden sich wesentlich von den vorhergehenden. Denn die in ihnen befindlichen Wesenheiten liefern den Urbildern der unteren Regionen die Antriebe zu ihrer Tätigkeit. In ihnen findet man die Schöpferkräfte der Urbilder selbst. Wer zu diesen Regionen aufzusteigen vermag, der macht Bekanntschaft mit den «Absichten» [1], die unserer Welt zugrunde liegen. Wie lebendige Keimpunkte liegen hier noch die Urbilder bereit, um die mannigfaltigsten Formen von Gedankenwesen anzunehmen. Werden diese Keimpunkte in die unteren Regionen geführt, dann quellen sie gleichsam auf und zeigen sich in den mannigfaltigsten Gestalten. Die Ideen, durch die der menschliche Geist in der physischen Welt schöpferisch auftritt, sind der Abglanz, der Schatten dieser Keimgedankenwesen der höheren geistigen Welt. Der Beobachter mit dem «geistigen Ohr», welcher von den unteren Regionen des «Geisterlandes» zu diesen oberen aufsteigt, wird gewahr, wie sich das Klingen und Tönen in eine «geistige Sprache» umsetzt. Er beginnt das «geistige Wort» wahrzunehmen, durch das für ihn nun nicht allein die Dinge und Wesenheiten ihre Natur durch Musik kundgeben, sondern in «Worten » ausdrücken. Sie sagen ihm, wie man das in der Geisteswissenschaft nennen kann, ihre «ewigen Namen» .
Man hat sich vorzustellen, daß diese Gedankenkeimwesen zusammengesetzter Natur sind. Aus dem Elemente der Gedankenwelt ist gleichsam nur die Keimhülle genommen. Und diese umschließt den eigentlichen Lebenskern. Damit sind wir an die Grenze der «drei Welten» gelangt, denn der Kern stammt aus noch höheren Welten. Als der Mensch, seinen Bestandteilen nach, in einem vorangehenden Abschnitt beschrieben worden ist, wurde für ihn dieser Lebenskern angegeben und der «Lebensgeist» und «Geistesmensch» als seine Bestandteile genannt. Auch für andere Weltwesenheiten sind ähnliche Lebenskerne vorhanden. Sie stammen aus höheren Welten und werden in die drei angegebenen versetzt, um ihre Aufgaben darin zu vollbringen. Hier soll nun die weitere Pilgerfahrt des menschlichen Geistes durch das «Geisterland» zwischen zwei Verkörperungen oder Inkarnationen verfolgt werden. Dabei werden die Verhältnisse und Eigentümlichkeiten dieses «Landes» noch einmal klar hervortreten.
[1] Daß solche Bezeichnungen wie «Absichten» auch nur als «Gleichnisse gemeint sind, ist aus dem oben über die Schwierigkeiten des sprachlichen Ausdrucks Gesagten selbstverständlich. An ein Aufwärmen der alten «Zweckmäßigkeitslehre» ist nicht gedacht.
IV. Der Geist im Geisterland nach dem Tode
Wenn der Menschengeist auf seinem Wege zwischen zwei Verkörperungen die «Welt der Seelen» durchwandert hat, dann betritt er das «Land der Geister», um da zu verbleiben, bis er zu einem neuen leiblichen Dasein reif ist. Den Sinn dieses Aufenthaltes im «Geisterland» versteht man nur, wenn man die Aufgabe der Lebenspilgerfahrt des Menschen durch seine Verkörperung hindurch in der richtigen Art zu deuten weiß. Während der Mensch im physischen Leibe verkörpert ist, wirkt und schafft er in der physischen Welt. Und er wirkt und schafft in ihr als geistiges Wesen. Was sein Geist ersinnt und ausbildet, das prägt er den physischen Formen, den körperlichen Stoffen und Kräften ein. Er hat also als ein Bote der geistigen Welt den Geist der Körperwelt einzuverleiben. Nur dadurch, daß er sich verkörpert, kann der Mensch in der Körperwelt wirken. Er muß den physischen Leib als sein Werkzeug annehmen, damit er durch das Körperliche auf Körperliches wirken und damit Körperliches auf ihn wirken kann. Was aber durch diese physische Körperlichkeit des Menschen hindurchwirkt, das ist der Geist. Von diesem gehen die Absichten, die Richtungen aus für das Wirken in der physischen Welt.
Solange nun der Geist im physischen Leibe wirkt, kann er als Geist nicht in seiner wahren Gestalt leben. Er kann gleichsam nur durch den Schleier des physischen Daseins hindurchscheinen. Das menschliche Gedankenleben gehört nämlich in Wahrheit der geistigen Welt an; und so, wie es im physischen Dasein auftritt, ist seine wahre Gestalt verschleiert. Man kann auch sagen, das Gedankenleben des physischen Menschen sei ein Schattenbild, ein Abglanz der wahren geistigen Wesenheit, zu der es gehört. So tritt während des physischen Lebens der Geist auf der Grundlage des physischen Körpers mit der irdischen Körperwelt in Wechselwirkung. Wenn nun auch gerade in dem Wirken auf die physische Körperwelt eine der Aufgaben des Menschengeistes liegt, solange er von Verkörperung zu Verkörperung schreitet, so könnte er doch diese Aufgabe keineswegs entsprechend erfüllen, wenn er nur im leiblichen Dasein lebte. Denn die Absichten und Ziele der irdischen Aufgabe werden ebensowenig innerhalb der irdischen Verkörperung ausgebildet und gewonnen, wie der Plan eines Hauses auf dem Bauplatz zustande kommt, auf dem die Arbeiter wirken. Wie dieser Plan im Büro des Architekten ausgearbeitet wird, so werden die Ziele und ab sichten des irdischen Schaffens «im Lande der Geister» ausgebildet.
Der Geist des Menschen muß in diesem Lande immer wieder zwischen zwei Verkörperungen leben, um, gerüstet mit dem, was er sich von da mitbringt, an die Arbeit in dem physischen Leben herantreten zu können. Wie der Architekt, ohne die Ziegel und den Mörtel zu bearbeiten, in seiner Arbeitsstube den Hausplan verfertigt nach Maßgabe der baukünstlerischen und anderer Gesetze, so muß der Architekt des menschlichen Schaffens, der Geist oder das höhere Selbst, im «Geisterland» die Fähigkeiten und Ziele nach den Gesetzen dieses Landes ausbilden, um sie dann in die irdische Welt überzuführen. Nur wenn der Menschengeist immer wieder und wieder in seinem eigenen Bereich sich aufhält, wird er auch durch die physisch-körperlichen Werkzeuge in die irdische Welt den Geist tragen können.
Auf dem physischen Schauplatz lernt der Mensch die Eigenschaften und Kräfte der physischen Welt kennen. Er sammelt da während des Schaffens die Erfahrungen darüber, was für Anforderungen die physische Welt an den stellt, der in ihr arbeiten will. Er lernt da gleichsam die Eigenschaften des Stoffes kennen, in dem er seine Gedanken und Ideen verkörpern will. Die Gedanken und Ideen selbst kann er nicht aus denn Stoff heraussaugen. So ist die irdische Welt zugleich der Schauplatz des Schaffens und des Lernens. Im «Geisterland» wird dann das Gelernte in lebendige Fähigkeit des Geistes umgebildet. Man kann den obigen Vergleich fortsetzen, um die Sache sich zu verdeutlichen. Der Architekt arbeitet den Plan eines Hauses aus. Dieser wird ausgeführt. Dabei macht er eine Summe der mannigfaltigsten Erfahrungen. Alle diese Erfahrungen steigern seine Fähigkeiten. Wenn er den nächsten Plan ausarbeitet, fließen alle diese Erfahrungen mit ein. Und dieser nächste Plan erscheint gegenüber dem ersten bereichert um alles das, was an dem vorigen gelernt worden ist. So ist es mit den aufeinanderfolgenden menschlichen Lebensläufen. In den Zwischenzeiten zwischen den Verkörperungen lebt der Geist in seinem eigenen Bereich. Er kann sich ganz den Anforderungen des Geisteslebens hingeben; er bildet sich, befreit von der physischen Körperlichkeit, nach allen Seiten aus und arbeitet in diese seine Bildung die Früchte der Erfahrungen seiner früheren Lebensläufe hinein. So ist sein Blick immer auf den Schauplatz seiner irdischen Aufgaben gerichtet, so arbeitet er stets daran, die Erde, insofern diese der Platz seines Wirkens ist, durch die ihr notwendige Entwickelung hindurch zu verfolgen. Er arbeitet an sich, um bei jedesmaliger Verkörperung dem Zustande der Erde entsprechend seine Dienste im irdischen Wandel leisten zu können. Dies ist allerdings nur ein allgemeines Bild von den aufeinanderfolgenden menschlichen Lebensläufen. Und die Wirklichkeit wird mit diesem Bilde niemals ganz, sondern nur mehr oder weniger übereinstimmen. Die Verhältnisse können es mit sich bringen, daß ein folgendes Leben eines Menschen viel unvollkommener ist als ein vorhergehendes. Allein im ganzen und großen gleichen sich in den aufeinanderfolgenden Lebensläufen solche Unregelmäßigkeiten innerhalb bestimmter Grenzen wieder aus.
Die Bildung des Geistes im «Geisterland» geschieht dadurch, daß der Mensch sich in die verschiedenen Regionen dieses Landes einlebt. Sein eigenes Leben verschmilzt in entsprechender Aufeinanderfolge mit diesen Regionen; er nimmt vorübergehend ihre Eigenschaften an. Sie durchdringen dadurch sein Wesen mit ihrem Wesen, auf daß ersteres dann mit dem letzteren gestärkt im Irdischen wirken könne.
In der ersten Region des «Geisterlandes» ist der Mensch umgeben von den geistigen Urbildern der irdischen Dinge. Während des Erdenlebens lernt er ja nur die Schatten dieser Urbilder kennen, die er in seinen Gedanken erfaßt. Was auf der Erde bloß gedacht wird, das wird in dieser Region erlebt. Der Mensch wandelt unter Gedanken, aber diese Gedanken sind wirkliche Wesenheiten. Was er während des Erdenlebens mit seinen Sinnen wahrgenommen hat, das wirkt auf ihn jetzt in seiner Gedankenform. Aber der Gedanke erscheint nicht als der Schatten, der sich hinter den Dingen verbirgt, sondern er ist lebensvolle Wirklichkeit, welche die Dinge erzeugt. Der Mensch ist gleichsam in der Gedankenwerkstätte, in der die irdischen Dinge geformt und gebildet werden. Denn im «Lande des Geistes» ist alles lebensvolle Tätigkeit und Regsamkeit. Hier ist die Gedankenwelt am Werke als Welt lebendiger Wesen, schöpferisch und bildend. Man sieht da, wie das gebildet wird, was man im Erdendasein erlebt hat. Wie man im physischen Leibe die sinnlichen Dinge als Wirklichkeit erlebt, so erlebt man jetzt als Geist die geistigen Bildungskräfte als wirklich. Unter den Gedankenwesen, die da vorhanden sind, ist auch der Gedanke der eigenen physischen Leiblichkeit. Dieser fühlt man sich entrückt. Nur die geistige Wesenheit empfindet man als zu sich gehörig. Und wenn man den abgelegten Leib, wie in der Erinnerung, nicht mehr als physisch, sondern als Gedankenwesen gewahr wird, dann tritt schon in der Anschauung seine Zugehörigkeit zur äußeren Welt hervor. Man lernt ihn als etwas zur Außenwelt Gehöriges betrachten, als ein Glied dieser Außenwelt. Man trennt folglich nicht mehr seine Leiblichkeit von der anderen Außenwelt als etwas dem eigenen Selbst näher Verwandtes ab. Man fühlt in der gesamten Außenwelt mit Einschluß der eigenen leiblichen Verkörperungen eine Einheit. Die eigenen Verkörperungen verschmelzen hier mit der übrigen Welt zur Einheit. So blickt man hier auf die Urbilder der physisch-körperlichen Wirklichkeit als auf eine Einheit, zu der man selbst gehört hat. Man lernt deshalb nach und nach seine Verwandtschaft, seine Einheit mit der Umwelt durch Beobachtung kennen. Man lernt zu ihr sagen: Das, was sich hier um dich ausbreitet, das warst du selbst.
Das aber ist einer der Grundgedanken der alten indischen Vedanta-Weisheit. Der «Weise» eignet sich schon während des Erdenlebens das an, was der andere nach dem Tode erlebt, nämlich den Gedanken zu fassen, daß er selbst mit allen Dingen verwandt ist, den Gedanken: «Das bist du.» Im irdischen Leben ist das ein Ideal, dem sich das Gedankenleben hingeben kann; im «Lande der Geister» ist es eine unmittelbare Tatsache, die uns durch die geistige Erfahrung immer klarer wird. Und der Mensch selbst wird in diesem Lande sich immer mehr bewußt, daß er, seinem eigentlichen Wesen nach, der Geisterwelt angehört. Er nimmt sich als Geist unter Geistern, als ein Glied der Urgeister wahr, und er wird in sich selbst des Urgeistes Wort fühlen: ,Ich bin der Urgeist.» (Die Weisheit des Vedanta sagt: «Ich bin Brahman», das heißt ich gehöre als ein Glied dem Urwesen an, aus dem alle Wesen stammen.)
Man sieht: was im Erdenleben als schattenhafter Gedanke erfaßt wird und wohin alle Weisheit abzielt, das wird im «Geisterland» unmittelbar erlebt. Ja es wird während des Erdenlebens nur deswegen gedacht, weil es im geistigen Dasein eine Tatsache ist.
So sieht der Mensch während seines geistigen Daseins die Verhältnisse und Tatsachen, in denen er während des Erdenlebens mitten drinnen steht, von einer höheren Warte aus, gleichsam von außen. Und in der untersten Region des «Geisterlandes» lebt er auf solche Art gegenüber den irdischen Verhältnissen, die unmittelbar mit der physischen körperlichen Wirklichkeit zusammenhängen.
Der Mensch ist auf der Erde in eine Familie, in ein Volk hineingeboren; er lebt in einem gewissen Lande. Durch alle diese Verhältnisse wird sein irdisches Dasein bestimmt. Er findet, weil es die Verhältnisse in der physischen Welt mit sich bringen, diesen oder jenen Freund. Er treibt diese oder jene Geschäfte. Alles das bestimmt seine irdischen Lebensverhältnisse. Alles das tritt ihm nun während seines Lebens in der ersten Region des «Geisterlandes» als lebendige Gedankenwesenheit entgegen. Er durchlebt das alles in einer gewissen Art noch einmal. Aber er durchlebt es von der tätig-geistigen Seite aus. Die Familienliebe, die er geübt hat, die Freundschaft, die er entgegengebracht hat, werden in ihm von innen aus lebendig, und seine Fähigkeiten werden in dieser Richtung gesteigert. Dasjenige im Menschengeist, was als Kraft der Familien-, der Freundesliebe wirkt, wird gestärkt. Er tritt in dieser Beziehung später als ein vollkommenerer Mensch wieder ins irdische Dasein.
Es sind gewissermaßen die alltäglichen Verhältnisse des Erdenlebens, die in dieser untersten Region des «Geisterlandes» als Früchte reifen. Und dasjenige im Menschen, das mit seinen Interessen ganz in diesen alltäglichen Verhältnissen aufgeht, wird den längsten Teil des geistigen Lebens zwischen zwei Verkörperungen mit dieser Region sich verwandt fühlen.
Die Menschen, mit welchen man in der physischen Welt zusammengelebt hat, findet man in der geistigen Welt wieder. Gleich wie von der Seele alles abfällt, was ihr durch den physischen Leib eigen war, so löst sich auch das Band, das im physischen Leben Seele und Seele verknüpft, von den Bedingungen los, welche nur in der physischen Welt Bedeutung und Wirksamkeit haben. Doch setzt sich über den Tod hinaus alles – in die geistige Welt hinein – fort, was im physischen Leben Seele der Seele war. Es ist naturgemäß, daß Worte, welche für physische Verhältnisse geprägt sind, nur ungenau wiedergeben können, was in der geistigen Welt vorgeht. Sofern aber dieses in Betracht gezogen wird, so darf es durchaus als richtig bezeichnet werden, wenn gesagt wird: die im physischen Leben zusammengehörigen Seelen finden sich in der geistigen Welt wieder, um ihr Zusammenleben da in entsprechender Weise fortzusetzen.
Die nächste Region ist diejenige, in welcher das gemeinsame Leben der irdischen Welt als Gedankenwesenheit, gleichsam als das flüssige Element des «Geisterlandes», strömt. Solange man in physischer Verkörperung die Welt beobachtet, erscheint das Leben an einzelne Lebewesen gebunden. Im «Geisterland» ist es davon losgelöst und durchfließt als Lebensblut gleichsam das ganze Land. Es ist da die lebendige Einheit, die in allem vorhanden ist. Während des irdischen Lebens erscheint dem Menschen auch davon nur ein Abglanz. Und dieser spricht sich in jeder Form von Verehrung aus, die der Mensch dem Ganzen, der Einheit und Harmonie der Welt, entgegenbringt. Das religiöse Leben der Menschen schreibt sich von diesem Abglanze her. Der Mensch wird gewahr, inwiefern nicht im Vergänglichen, im einzelnen, der umfassende Sinn des Daseins liegt. Er betrachtet dieses Vergängliche als ein «Gleichnis» und Abbild eines Ewigen, einer harmonischen Einheit. Er blickt in Verehrung und Anbetung zu dieser Einheit auf. Er bringt ihr religiöse Kultushandlungen dar.
Im «Geisterland» erscheint nicht der Abglanz, sondern die wirkliche Gestalt als lebendige Gedankenwesenheit. Hier kann sich der Mensch mit der Einheit, die er auf Erden verehrt hat, wirklich vereinigen. Die Früchte des religiösen Lebens und alles dessen, was damit zusammenhängt, treten in dieser Region hervor. Der Mensch lernt nun aus der geistigen Erfahrung erkennen, daß sein Einzelschicksal nicht getrennt werden soll von der Gemeinschaft, der er angehört. Die Fähigkeit, sich als Glied eines Ganzen zu erkennen, bildet sich hier aus. Die religiösen Empfindungen, alles, was schon im Leben nach einer reinen, edlen Moral gestrebt hat, wird während eines großen Teiles des geistigen Zwischenzustandes Kraft aus dieser Region schöpfen. Und der Mensch wird mit einer Erhöhung seiner Fähigkeiten nach dieser Richtung hin wiederverkörpert werden.
Während man in der ersten Region mit den Seelen zusammen ist, mit denen man im vorangegangenen physischen Leben durch die nächsten Bande der physischen Welt zusammengehangen hat, tritt man in der zweiten Region in den Bereich aller derjenigen, mit denen man in einem weiteren Sinne sich eins fühlte: durch eine gemeinsame Verehrung, durch gemeinsames Bekenntnis und so weiter. Betont muß werden, daß die geistigen Erlebnisse der vorangegangenen Regionen während der folgenden bestehen bleiben. So wird der Mensch nicht etwa den durch Familie, Freundschaft und so weiter geknüpften Banden entrissen, wenn er in das Leben der zweiten und der folgenden Regionen eintritt.
Auch liegen die Regionen des «Geisterlandes» nicht wie «Abteilungen» auseinander; sie durchdringen sich, und der Mensch erlebt sich in einer neuen Region nicht deswegen, weil er sie in irgendeiner Form äußerlich «betreten» hat, sondern weil er in sich die inneren Fähigkeiten erlangt hat, das wahrzunehmen, innerhalb dessen er vorher unwahrnehmend war.
Die dritte Region des «Geisterlandes» enthält die Urbilder der seelischen Welt. Alles, was in dieser Welt lebt, ist hier als lebendige Gedankenwesenheit vorhanden. Man findet da die Urbilder der Begierden, der Wünsche, der Gefühle und so weiter. Aber hier in der Geisterwelt haftet dem Seelischen nichts von Eigensucht an. Ebenso wie alles Leben in der zweiten Region, bildet in dieser dritten alles Begehren, Wünschen, alle Lust und Unlust eine Einheit. Das Begehren, der Wunsch des andern unterscheiden sich nicht von meinem Begehren und Wünschen. Die Empfindungen und Gefühle aller Wesen sind eine gemeinsame Welt, die alles übrige einschließt und umgibt, wie der physische Luftkreis die Erde umgibt diese Region ist gleichsam die Atmosphäre des «Geisterlandes». Es wird hier alles Früchte tragen, was der Mensch im irdischen Leben im Dienste der Gemeinsamkeit, in selbstloser Hingabe an seine Mitmenschen geleistet hat. Denn durch diesen Dienst, durch diese Hingabe hat er in einem Abglanz der dritten Region des «Geisterlandes» gelebt. Die großen Wohltäter des Menschengeschlechtes, die hingebungsvollen Naturen, diejenigen, welche die großen Dienste in den Gemeinschaften leisten, haben ihre Fähigkeit hierzu in dieser Region erlangt, nachdem sie sich in früheren Lebensläufen die Anwartschaft zu einer besonderen Verwandtschaft mit ihr erworben haben.
Es ist ersichtlich, daß die beschriebenen drei Regionen des «Geisterlandes» in einem gewissen Verhältnis stehen zu den unter ihnen stehenden Welten, zu der physischen und der seelischen Welt. Denn sie enthalten die Urbilder, die lebendigen Gedankenwesen, die in diesen Welten körperliches oder seelisches Dasein annehmen. Die vierte Region erst ist das «reine Geisterland». Aber auch diese ist es nicht in vollem Sinne des Wortes. Sie unterscheidet sich von den drei unteren Regionen dadurch, daß in diesen die Urbilder jener physischen und seelischen Verhältnisse angetroffen werden, die der Mensch in der physischen und seelischen Welt vorfindet, bevor er selbst in diese Welten eingreift. Die Verhältnisse des alltäglichen Lebens knüpfen sich an die Dinge und Wesen, die der Mensch in der Welt vorfindet; die vergänglichen Dinge dieser Welt lenken seinen Blick zu deren ewigem Urgrund; und auch die Mitgeschöpfe, denen sich sein selbstloser Sinn widmet, sind nicht durch den Menschen da. Aber durch ihn sind in der Welt die Schöpfungen der Künste und Wissenschaften, der Technik, des Staates und so weiter, kurz alles das, was er als originale Werke seines Geistes der Welt einverleibt. Zu alledem wären, ohne sein Zutun, keine physischen Abbilder in der Welt vorhanden. Die Urbilder nun zu diesen rein menschlichen Schöpfungen finden sich in der vierten Region des «Geisterlandes». Was der Mensch an wissenschaftlichen Ergebnissen, an künstlerischen Ideen und Gestalten, an Gedanken der Technik während des irdischen Lebens ausbildet, trägt in dieser vierten Region seine Früchte. Aus dieser Region saugen daher Künstler, Gelehrte, große Erfinder während ihres Aufenthaltes im «Geisterland » ihre Impulse und steigern hier ihr Genie, um bei einer Wiederverkörperung in verstärktem Maße zur Fortentwickelung der menschlichen Kultur beitragen zu können. Man soll sich nicht vorstellen, daß diese vierte Region des «Geisterlandes» nur für besonders hervorragende Menschen eine Bedeutung habe. Sie hat eine solche für alle Menschen. Alles, was den Menschen im physischen Leben über die Sphäre des alltäglichen Lebens, Wünschens und Wollens hinaus beschäftigt, hat seinen Urquell in dieser Region. Ginge der Mensch in der Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt durch sie nicht hindurch, so würde er in einem weiteren Leben keine Interessen haben, welche über den engen Kreis der persönlichen Lebensführung hinaus zum allgemein Menschlichen führen.
Es ist oben gesagt worden, daß auch diese Region nicht im vollen Sinne das «reine Geisterland» genannt werden kann. Das ist deshalb der Fall, weil der Zustand, in dem die Menschen die Kulturentwickelung auf der Erde verlassen haben, in ihr geistiges Dasein hineinspielt. Sie können im «Geisterland» nur die Früchte dessen genießen, was nach ihrer Begabung und nach dem Entwickelungsgrade des Volkes, Staates und so weiter, in die sie hineingeboren waren, ihnen zu leisten möglich war.
In den noch höheren Regionen des «Geisterlandes» ist der Menschengeist nun jeder irdischen Fessel entledigt. Er steigt auf in das «reine Geisterland», in dem er die Absichten, die Ziele erlebt, die sich der Geist mit dem irdischen Leben gesetzt hat. Alles, was in der Welt schon verwirklicht ist, bringt ja die höchsten Ziele und Absichten nur in einem mehr oder weniger schwachen Nachbilde zum Dasein. Jeder Kristall, jeder Baum, jedes Tier und auch alles das, was im Bereiche menschlichen Schaffens verwirklicht wird, – all das gibt nur Nachbilder dessen, was der Geist beabsichtigt. Und der Mensch kann während seiner Verkörperungen nur anknüpfen an diese unvollkommenen Nachbilder der vollkommenen Absichten und Ziele. So kann er aber innerhalb einer seiner Verkörperungen selbst nur ein solches Nachbild dessen sein, was n Reiche des Geistes mit ihm beabsichtigt ist. Was er als reist im «Geisterland» eigentlich ist, das kommt daher erst dann zum Vorschein, wenn er im Zwischenzustand wischen zwei Verkörperungen in die fünfte Region des Geisterlandes» aufsteigt. Was er hier ist, das ist wirklich er selbst. Das ist dasjenige, was in den mannigfaltigen ,Verkörperungen ein äußeres Dasein erhält. In dieser Region kann sich das wahre Selbst des Menschen nach allen Seiten frei ausleben. Und dieses Selbst ist also dasjenige, welches in jeder Verkörperung immer von neuem als das eine erscheint. Dieses Selbst bringt die Fähigkeiten mit, je sich in den unteren Regionen des «Geisterlandes» ausgebildet haben. Es trägt somit die Früchte der früheren Lebensläufe in die folgenden hinüber. Es ist der Träger er Ergebnisse früherer Verkörperungen.
Im Reiche der Absichten und Ziele befindet sich also las Selbst, wenn es in der fünften Region des «Geisterlandes» lebt. Wie der Architekt an den Unvollkommenheiten lernt, die sich ihm ergeben haben, und wie er in eine neuen Pläne nur das aufnimmt, was er von diesen Unvollkommenheiten in Vollkommenheiten zu wandeln vermochte, so streift das Selbst von seinen Ergebnissen aus früheren Leben in der fünften Region dasjenige ab, was mit den Unvollkommenheiten der unteren Welten zusammenhängt, und befruchtet die Absichten des «Geisterlandes», mit denen es nunmehr zusammenlebt, mit den Ergebnissen seiner früheren Lebensläufe.
Klar ist, daß die Kraft, die aus dieser Region geschöpft werden kann, davon abhängen wird, wieviel sich das Selbst während seiner Verkörperung von solchen Ergebnissen erworben hat, die geeignet sind, in die Welt der Absichten aufgenommen zu werden. Das Selbst, das während des irdischen Daseins durch ein reges Gedankenleben oder durch weise, werktätige Liebe die Absichten des Geistes zu verwirklichen gesucht hat, wird sich eine große Anwartschaft auf diese Region erwerben. Dasjenige, das ganz in den alltäglichen Verhältnissen aufgegangen ist, das nur im Vergänglichen gelebt hat, das hat keine Samen gesät, die in den Absichten der ewigen Weltordnung eine Rolle spielen können. Nur das wenige, das es über die Tagesinteressen hinaus gewirkt hat, kann als Frucht in diesen oberen Regionen des «Geisterlandes» sich entfalten. Aber man soll nicht meinen, daß hier etwa vor allem solches in Betracht kommt, was «irdischen Ruhm» oder ähnliches bringt. Nein, gerade das kommt in Frage, was im kleinsten Lebenskreise zum Bewußtsein führt, daß alles einzelne seine Bedeutung für den ewigen Werdegang des Daseins hat. Man muß sich vertraut machen mit dem Gedanken, daß der Mensch in dieser Region anders urteilen muß, als er dies im physischen Leben tun kann. Hat er zum Beispiel weniges sich erworben, was mit dieser fünften Region verwandt ist, so entsteht in ihm der Drang, sich für das folgende physische Leben einen Impuls einzuprägen, welcher dieses Leben so verlaufen läßt, daß im Schicksal (Karma) desselben die entsprechende Wirkung des Mangels zutage tritt. Was dann in dem folgenden Erdenleben als leidvolles Geschick, vom Gesichtspunkte dieses Lebens aus, erscheint – ja vielleicht als solches tief beklagt wird -, das findet der Mensch in dieser Region des «Geisterlandes» als für ihn durchaus notwendig.
Da der Mensch in der fünften Region in seinem eigentlichen Selbst lebt, so ist er auch herausgehoben aus allem, was ihn aus den niederen Welten während der Verkörperungen umhüllt. Er ist, was er immer war und immer sein wird während des Laufes seiner Verkörperungen. Er lebt in dem Walten der Absichten, welche für diese Verkörperungen bestehen und die er in sein eigenes Selbst eingliedert. Er blickt auf seine eigene Vergangenheit zurück und er fühlt, daß alles, was er in derselben erlebt hat, in die Absichten, die er in Zukunft zu verwirklichen hat, aufgenommen wird. Eine Art Gedächtnis für seine früheren Lebensläufe und der prophetische Vorblick: für seine späteren blitzen auf.
Man sieht: dasjenige, was in dieser Schrift das «Geistselbst» genannt worden ist, lebt in dieser Region, soweit es entwickelt ist, in seiner ihm angemessenen Wirklichkeit. Es bildet sich aus und bereitet sich vor, um in einer neuen Verkörperung sich ein Vollziehen der geistigen Absichten in der irdischen Wirklichkeit zu ermöglichen.
Hat sich dieses «Geistselbst» während einer Reihe von Aufenthalten im «Geisterland » so weit entwickelt, daß es sich völlig frei in diesem Lande bewegen kann, dann wird es seine wahre Heimat immer mehr hier suchen. Das Leben im Geiste wird ihm so vertraut, wie dem irdischen Menschen das Leben in der physischen Wirklichkeit. Die Gesichtspunkte der Geisterwelt wirken fortan auch als die maßgebenden, die es für die folgenden Erdenleben zu den seinigen, mehr oder weniger bewußt oder unbewußt, macht. Als ein Glied der göttlichen Weltordnung kann sich das Selbst fühlen. Die Schranken und Gesetze des irdischen Lebens berühren es nicht in seiner innersten Wesenheit. Die Kraft zu allem, was es vollführt, kommt ihm aus der geistigen Welt. Die geistige Welt aber ist eine Einheit. Wer in ihr lebt, weiß, wie das Ewige an der Vergangenheit geschaffen hat, und er kann von dem Ewigen aus die Richtung für die Zukunft bestimmen. Der Blick über die Vergangenheit weitet sich zu einem vollkommenen. Ein Mensch, der diese Stufe erreicht hat, gibt sich selbst Ziele, die er in einer nächsten Verkörperung ausführen soll. Vom «Geisterland» aus beeinflußt er seine Zukunft, so daß sie im Sinne des Wahren und Geistigen verläuft. Der Mensch befindet sich während des Zwischenzustandes zwischen zwei Verkörperungen in Gegenwart aller derjenigen erhabenen Wesen, vor deren Blicken die göttliche Weisheit unverhüllt ausgebreitet liegt. Denn er hat die Stufe erklommen, auf der er sie verstehen kann. In der sechsten Region des «Geisterlandes» wird der Mensch in allen seinen Handlungen dasjenige vollbringen, was dem wahren Wesen der Welt am angemessensten ist denn er kann nicht nach dem suchen, was ihm frommt, sondern einzig nach dem, was geschehen soll nach dem richtigen Gang der Weltordnung. Die siebente Region des «Geisterlandes» führt an die Grenze der «drei Welten». Der Mensch steht hier den «Lebenskernen» gegenüber, die aus höheren Welten in die drei beschriebenen versetzt werden, um da ihre Aufgaben zu vollbringen. Ist der Mensch an der Grenze der drei Welten, so erkennt er sich somit in seinem eigenen Lebenskern. Das bringt mit sich, daß die Rätsel dieser drei Welten für ihn gelöst sein müssen. Er überschaut also das ganze Leben dieser Welten. Im physischen Leben sind die Fähigkeiten der Seele, durch welche sie die hier geschilderten Erlebnisse in der geistigen Welt hat, unter den gewöhnlichen Lebensverhältnissen nicht bewußt. Sie arbeiten in ihren unbewußten Tiefen an den leiblichen Organen, welche das Bewußtsein der physischen Welt zustande bringen. Dies ist gerade der Grund, warum sie für diese Welt unwahrnehmbar bleiben. Auch das Auge sieht nicht sich, weil in ihm die Kräfte wirken, welche anderes sichtbar machen. Will man beurteilen, inwiefern ein zwischen Geburt und Tod verlaufendes Menschenleben das Ergebnis vorangehender Erdenleben sein kann, so muß man in Erwägung ziehen, daß ein innerhalb dieses Lebens selbst gelegener Gesichtspunkt, wie man ihn zunächst naturgemäß einnehmen muß, keine Beurteilungsmöglichkeit liefert. Für einen solchen Gesichtspunkt könnte zum Beispiel ein Erdenleben als leidvoll, unvollkommen und so weiter erscheinen, während es gerade in dieser Gestaltung für einen außerhalb dieses Erdenlebens selbst liegenden Gesichtspunkt mit seinem Leid, in seiner Unvollkommenheit als Ergebnis früherer Leben sich ergeben muß. Durch das Betreten des Erkenntnispfades in dem Sinne, wie dies in einem der nächsten Kapitel geschildert wird, löst sich die Seele los von den Bedingungen des Leibeslebens. Sie kann dadurch im Bilde die Erlebnisse wahrnehmen, welche sie zwischen dem Tode und einer neuen Geburt durchmacht. Solches Wahrnehmen gibt die Möglichkeit, die Vorgänge des «Geisterlandes» so zu schildern, wie es hier skizzenhaft geschehen ist. Nur wenn man nicht versäumt, sich gegenwärtig zu halten, daß die ganze Verfassung der Seele eine andere ist im physischen Leibe als im rein geistigen Erleben, wird man die hier gegebene Schilderung im rechten Lichte sehen.
V. Die physische Welt und ihre Verbindung mit Seelen- und Geisterland
Die Gebilde der Seelenwelt und des Geisterlandes können nicht der Gegenstand äußerer sinnlicher Wahrnehmung sein. Die Gegenstände dieser sinnlichen Wahrnehmung sind den beschriebenen beiden Welten als eine dritte anzureihen. Auch während seines leiblichen Daseins lebt der Mensch gleichzeitig in den drei Welten. Er nimmt die Dinge der sinnlichen Welt wahr und wirkt auf sie. Die Gebilde der Seelenwelt wirken durch ihre Kräfte der Sympathie und Antipathie auf ihn ein; und seine eigene Seele erregt durch ihre Neigungen und Abneigungen, durch ihre Wünsche und Begierden Wellen in der Seelenwelt. Die geistige Wesenheit der Dinge aber spiegelt sich in seiner Gedankenwelt; und er selbst ist als denkendes Geistwesen Bürger des Geisterlandes und Genosse alles dessen, was in diesem Gebiete der Welt lebt. Daraus wird ersichtlich, daß die sinnliche Welt nur ein Teil dessen ist, was den Menschen umgibt. Aus der allgemeinen Umwelt des Menschen hebt sich dieser Teil mit einer gewissen Selbständigkeit ab, weil ihn die Sinne wahrnehmen können, die das Seelische und Geistige unberücksichtigt lassen, das ebenso dieser Welt angehört. Wie ein Stück Eis, das auf dem Wasser schwimmt, Stoff ist des umgebenden Wassers, aber sich durch gewisse Eigenschaften von diesem abhebt, so sind die Sinnendinge Stoff der sie umgebenden Seelen- und Geisterwelt; und sie heben sich von diesen durch gewisse Eigenschaften ab, die sie sinnlich wahrnehmbar machen. Sie sind – halb bildlich gesprochen – verdichtete Geist- und Seelengebilde; und die Verdichtung bewirkt, daß die Sinne sich von ihnen Kenntnis verschaffen können. Ja, wie das Eis nur eine Form ist, in der das Wasser existiert, so sind die Sinnendinge nur eine Form, in der die Seelen- und Geistwesen existieren. Hat man das begriffen, so faßt man auch, daß, wie das Wasser in Eis, so die Geist- in die Seelenwelt und diese in die Sinnenwelt übergehen können.
Von diesem Gesichtspunkte aus ergibt sich auch, warum der Mensch sich Gedanken über die sinnlichen Dinge machen kann. Denn es gibt eine Frage, welche sich doch jeder Denkende stellen müßte, nämlich die: in welchem Verhältnisse steht der Gedanke, den sich der Mensch über einen Stein macht, zu diesem Steine selbst? Denjenigen Menschen, die besonders tiefe Blicke in die äußere Natur tun, tritt diese Frage in voller Klarheit vor das geistige Auge. Sie empfinden die Zusammenstimmung der menschlichen Gedankenwelt mit dem Bau und der Einrichtung der Natur. In schöner Art spricht sich zum Beispiel der große Astronom Keller über diese Harmonie aus:
«Wahr ist’s, daß der göttliche Ruf, welcher die Menschen Astronomie lernen heißt, in der Welt selbst geschrieben steht, nicht zwar in Worten und Silben, aber der Sache nach, vermöge der Angemessenheit der menschlichen Begriffe und Sinne zu der Verkettung der himmlischen Körper und Zustände.»
Nur weil die Dinge der Sinnenwelt nichts anderes sind als die verdichteten Geistwesenheiten, kann der Mensch, der sich durch seine Gedanken zu diesen Geistwesenheiten erhebt, in seinem Denken die Dinge verstehen. Es stammen die Sinnendinge aus der Geisterwelt, sie sind nur eine andere Form der Geisteswesenheiten; und wenn sich der Mensch Gedanken über die Dinge macht, so ist sein Inneres nur von der sinnlichen Form ab- und zu den geistigen Urbildern dieser Dinge hingerichtet. Ein Ding durch Gedanken verstehen ist ein Vorgang, der verglichen werden kann mit dem, durch welchen ein fester Körper zuerst im Feuer flüssig gemacht wird, damit ihn der Chemiker dann in seiner flüssigen Form untersuchen kann.
In den verschiedenen Regionen des Geisterlandes zeigen sich (vergleiche Seite 57 ff.) die geistigen Urbilder der sinnlichen Welt. In der fünften, sechsten und siebenten Region finden sich diese Urbilder noch als lebendige Keimpunkte, in den vier unteren Regionen gestalten sie sich zu geistigen Gebilden. Diese geistigen Gebilde nimmt in einem schattenhaften Abglanz der Menschengeist wahr, wenn er durch sein Denken sich das Verständnis der sinnlichen Dinge verschaffen will. Wie diese Gebilde sich zur sinnlichen Welt verdichtet haben, das ist für denjenigen eine Frage, der ein geistiges Verständnis seiner Umwelt anstrebt.
Zunächst gliedert sich für die menschliche Sinnesanschauung diese Umwelt in die vier deutlich voneinander geschiedenen Stufen: die mineralische, die pflanzliche, die tierische und die menschliche das Mineralreich wird durch die Sinne wahrgenommen und durch das Denken begriffen. Macht man sich über einen mineralischen Körper einen Gedanken, so hat man es somit mit einem Zweifachen zu tun: mit dem Sinnendinge und mit dem Gedanken. Demgemäß hat man sich vorzustellen, daß dieses Sinnending ein verdichtetes Gedankenwesen ist. Nun wirkt ein mineralisches Wesen auf ein anderes in äußerlicher Weise. Es stößt an dasselbe und bewegt es; es erwärmt es, beleuchtet es, löst es auf und so weiter. Diese äußerliche Wirkungsart ist durch Gedanken auszudrücken. Der Mensch macht sich Gedanken darüber, wie die mineralischen Dinge äußerlich gesetzmäßig aufeinander wirken. Dadurch erweitern sich seine einzelnen Gedanken zu einem Gedankenbilde der gesamten mineralischen Welt. Und dieses Gedankenbild ist ein Abglanz des Urbildes der ganzen mineralischen Sinnenwelt. Es ist als ein Ganzes in der geistigen Welt zu finden. Im Pflanzenreiche treten zu der äußeren Wirkung eines Dinges auf das andere noch die Erscheinungen des Wachstums und der Fortpflanzung hinzu. Die Pflanze vergrößert sich und bringt aus sich Wesen ihresgleichen hervor. Zu dem, was dem Menschen im Mineralreiche entgegentritt, kommt hier noch das Leben. Die einfache Besinnung auf diese Tatsache gibt einen Ausblick, der hier lichtbringend ist die Pflanze hat in sich die Kraft, sich selbst ihre lebendige Gestalt zu geben und diese Gestalt an einem Wesen ihresgleichen hervorzubringen. Und zwischen der gestaltlosen Art der mineralischen Stoffe, wie sie uns in den Gasen, in den Flüssigkeiten und so weiter gegenübertreten, und der lebendigen Gestalt der Pflanzenwelt stehen die Formen der Kristalle mitten drinnen. In den Kristallen haben wir den Übergang von der gestaltlosen Mineralwelt zu der lebendigen Gestaltungsfähigkeit des Pflanzenreiches zu suchen.
In diesem äußerlich sinnlichen Vorgang der Gestaltung – in den beiden Reichen, dem mineralischen und dem pflanzlichen – hat man die sinnliche Verdichtung des rein geistigen Vorganges zu sehen, der sich abspielt, wenn die geistigen Keime der drei oberen Regionen des Geisterlandes sich zu den Geistgestalten der unteren Regionen bilden. Dem Prozeß der Kristallisation entspricht in der geistigen Welt als sein Urbild der Übergang von dem formlosen Geistkeim zu dem gestalteten Gebilde. Verdichtet sich dieser Übergang so, daß ihn die Sinne in seinem Ergebnis wahrnehmen können, so stellt er sich in der Sinnenwelt als mineralischer Kristallisationsprozeß dar.
Nun ist aber auch in dem Pflanzenleben ein gestalteter Geistkeim vorhanden. Aber hier ist dem gestalteten Wesen noch die lebendige Gestaltungsfähigkeit erhalten geblieben. In dem Kristall hat der Geistkeim bei seiner Gestaltung die Bildungsfähigkeit verloren. Er hat sich in der zustande gebrachten Gestalt ausgelebt. Die Pflanze hat Gestalt und dazu auch noch Gestaltungsfähigkeit. Die Eigenschaft der Geistkeime in den oberen Regionen des Geisterlandes ist dem Pflanzenleben bewahrt geblieben. Die Pflanze ist also Gestalt wie der Kristall, und dazu noch Gestaltungskraft. Außer der Form, welche die Urwesen in der Pflanzengestalt angenommen haben, arbeitet an dieser noch eine andere Form, die das Gepräge der Geistwesen aus den oberen Regionen trägt. Sinnlich wahrnehmbar ist an der Pflanze aber nur, was sich in der fertigen Gestalt auslebt; die bildenden Wesenheiten, welche dieser Gestalt die Lebendigkeit geben, sind im Pflanzenreiche auf sinnlich-unwahrnehmbare Art vorhanden. Das sinnliche Auge sieht die kleine Lilie von heute und die größer gewordene nach einiger Zeit. Die Bildungskraft, welche die letztere aus der ersten herausarbeitet, sieht dieses Auge nicht. Diese bildende Kraftwesenheit ist der sinnlich-unsichtbar webende Teil in der Pflanzenwelt. Die Geistkeime sind um eine Stufe Herabgestiegen, um im Gestaltenreich zu wirken. In der Geisteswissenschaft kann von Elementarreichen gesprochen werden. Bezeichnet man die Urformen, die noch keine Gestalt haben, als erstes Elementarreich, so sind die sinnlich unsichtbaren Kraftwesenheiten, die als die Werkmeister des Pflanzenwachstums wirken, Angehörige des zweiten Elementarreiches. In der tierischen Welt kommt zu den Fähigkeiten des Wachstums und der Fortpflanzung noch Empfindung und Trieb hinzu. Das sind Äußerungen der seelischen Welt. Ein Wesen, das mit ihnen begabt ist, gehört dieser Welt an, empfängt von ihr Eindrücke und übt auf sie Wirkungen. Nun ist jede Empfindung, jeder Trieb, die in einem tierischen Wesen entstehen, aus dem Untergrunde der Tierseele hervorgeholt. Die Gestalt ist bleibender als die Empfindung oder der Trieb. Man kann sagen, so wie sich die sich verändernde Pflanzengestalt zur starren Kristallform verhält, so das Empfindungsleben zur bleiben deren lebendigen Gestalt. Die Pflanze geht in der gestaltbildenden Kraft gewissermaßen auf; sie gliedert immer neue Gestalten während ihres Lebens an. Erst setzt sie die Wurzel, dann die Blattgebilde, dann die Blüten und so weiter an. Das Tier schließt mit einer in sich vollendeten Gestalt ab und entwickelt innerhalb derselben das wechselvolle Empfindungs- und Triebleben. Und dieses Leben hat sein Dasein in der seelischen Welt. So wie nun die Pflanze das ist, was wächst und sich fortpflanzt, so ist das Tier dasjenige, was empfindet und seine Triebe entwickelt. Diese sind für das Tier das Formlose, das sich in immer neuen Formen entwickelt. Sie haben letzten Endes ihre urbildlichen Vorgänge in den höchsten Regionen des Geisterlandes. Aber sie betätigen sich in der seelischen Welt. So kommen in der Tierwelt zu den Kraftwesenheiten, die als sinnlich-unsichtbare das Wachstum und die Fortpflanzung lenken, andere hinzu, die noch eine Stufe tiefer gestiegen sind in die seelische Welt. Im tierischen Reich sind als die Werkmeister, welche die Empfindungen und Triebe bewirken, formlose Wesenheiten vorhanden, die sich in seelische Hüllen kleiden. Sie sind die eigentlichen Baumeister der tierischen Formen. Man kann das Gebiet, dem sie angehören, in der Geisteswissenschaft als das dritte Elementarreich bezeichnen.
Der Mensch ist außer mit den bei Pflanzen und Tieren genannten Fähigkeiten noch mit derjenigen ausgestattet, die Empfindungen zu Vorstellungen und Gedanken zu verarbeiten und seine Triebe denkend zu regeln. Der Gedanke, der in der Pflanze als Gestalt, im Tiere als seelische Kraft erscheint, tritt bei ihm als Gedanke selbst, in seiner eigenen Form, auf. Das Tier ist Seele; der Mensch ist Geist. Die Geistwesenheit ist noch um eine Stufe tiefer herabgestiegen. Beim Tiere ist sie seelenbildend. Beim Menschen ist sie in die sinnliche Stoffwelt selbst eingezogen. Der Geist ist innerhalb des menschlichen Sinnenleibes anwesend. Und weil er im sinnlichen Kleide erscheint, kann er nur als jener schattenhafte Abglanz erscheinen, welchen der Gedanke vom Geistwesen darstellt. Durch die Bedingungen des physischen Gehirnorganismus erscheint im Menschen der Geist.
Aber der Geist ist dafür auch des Menschen innerliche Wesenheit geworden. Der Gedanke ist die Form, welche die formlose Geistwesenheit im Menschen annimmt, wie sie in der Pflanze Gestalt, im Tiere Seele annimmt. Dadurch hat der Mensch kein ihn aufbauendes Elementarreich außer sich, insofern er denkendes Wesen ist. Sein Elementarreich arbeitet in seinem sinnlichen Leibe. Nur insofern der Mensch Gestalt und Empfindungswesen ist, arbeiten an ihm die Elementarwesen derselben Art, die an den Pflanzen und Tieren arbeiten. Der Gedankenorganismus aber wird im Menschen ganz vom Inneren seines physischen Leibes herausgearbeitet. Im Geistorganismus des Menschen, in seinem zum vollkommenen Gehirn ausgebildeten Nervensystem, hat man sinnlich-sichtbar vor sich, was an den Pflanzen und Tieren als unsinnliche Kraftwesenheit arbeitet. Dies macht, daß das Tier Selbstgefühl, der Mensch aber Selbstbewußtsein zeigt. Im Tiere fühlt sich der Geist als Seele; er erfaßt sich noch nicht als Geist. Im Menschen erkennt der Geist sich als Geist, wenn auch – durch die physischen Bedingungen – als schattenhaften Abglanz des Geistes, als Gedanke.
In diesem Sinne gliedert sich die dreifache Welt in der folgenden Art: 1. Das Reich der urbildlichen formlosen Wesen (erstes Elementarreich); 2. das Reich der gestaltenschaffenden Wesen (zweites Elementarreich); 3. das Reich der seelischen Wesen (drittes Elementarreich); 4. das Reich der geschaffenen Gestalten (Kristallgestalten); 5. das Reich, das in Gestalten sinnlich wahrnehmbar wird, an dem aber die gestaltenschaffenden Wesen wirken (Pflanzenreich); 6. das Reich, das in Gestalten sinnlich wahrnehmbar wird, an dem aber außerdem noch die gestaltenschaffenden und die sich seelisch auslebenden Wesenheiten wirken (Tierreich); und 7. das Reich, in dem die Gestalten sinnlich wahrnehmbar sind, an dem aber noch die gestaltenschaffenden und seelisch sich auslebenden Wesenheiten wirken und in dem sich der Geist selbst in Form des Gedankens innerhalb der Sinnenwelt gestaltet (Menschenreich).
Hieraus ergibt sich, wie die Grundbestandteile des im Leibe lebenden Menschen mit der geistigen Welt zusammenhängen. Den physischen Körper, den Ätherleib, den empfindenden Seelenleib und die Verstandesseele hat man als in der Sinnenwelt verdichtete Urbilder des Geisterlandes anzusehen. Der physische Körper kommt dadurch zustande, daß des Menschen Urbild bis zur sinnlichen Erscheinung verdichtet wird. Man kann deshalb auch diesen physischen Leib eine zur sinnlichen Anschaulichkeit verdichtete Wesenheit des ersten Elementarreiches nennen. Der Ätherleib entsteht dadurch, daß die auf diese Art entstandene Gestalt beweglich erhalten wird durch eine Wesenheit, die ihre Tätigkeit in das sinnliche Reich herein erstreckt, selbst aber nicht sinnlich anschaubar wird. Will man diese Wesenheit vollständig charakterisieren, so muß man sagen, sie hat zunächst ihren Ursprung in den höchsten Regionen des Geisterlandes und gestaltet sich dann in der zweiten Region zu einem Urbild des Lebens. Als solches Urbild des Lebens wirkt sie in der sinnlichen Welt. In ähnlicher Art hat die Wesenheit, welche den empfindenden Seelenleib aufbaut, ihren Ursprung in den höchsten Gebieten des Geisterlandes, gestaltet sich in der dritten Region desselben zum Urbilde der Seelenwelt und wirkt als solches in der sinnlichen Welt. Die Verstandesseele aber wird dadurch gebildet, daß des denkenden Menschen Urbild sich in der vierten Region des Geisterlandes zum Gedanken gestaltet und als solcher unmittelbar als denkende Menschenwesenheit in der Sinneswelt wirkt.
So steht der Mensch innerhalb der Sinneswelt; so arbeitet der Geist an seinem physischen Körper, an seinem Ätherleib und an seinem empfindenden Seelenleib. So kommt dieser Geist in der Verstandesseele zur Erscheinung.
An den drei unteren Gliedern des Menschen arbeiten also die Urbilder in Form von Wesenheiten mit, die ihm in einer gewissen Art äußerlich gegenüberstehen; in seiner Verstandesseele wird er selbst zum (bewußten) Arbeiter an sich.
Und die Wesenheiten, die an seinem physischen Körper arbeiten, sind dieselben, welche die mineralische Natur bilden. An seinem Ätherleib wirken Wesenheiten von der Art, die im Pflanzenreich, an seinem empfindenden Seelenleib solche, die im Tierreich auf sinnlich-unwahrnehmbare Art leben, die aber ihre Wirksamkeit in diese Reiche herein erstrecken.
So wirken die verschiedenen Welten zusammen. Die Welt, in welcher der Mensch lebt, ist der Ausdruck dieses Zusammenwirkens.
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Hat man die sinnliche Welt in dieser Art begriffen, so eröffnet sich auch das Verständnis für Wesen anderer Art, als diejenigen sind, die in den genannten vier Reichen der Natur ihr Dasein haben. Ein Beispiel für solche Wesenheiten ist das, was man Volksgeist (Nationalgeist) nennt. Dieser kommt nicht in sinnlicher Art unmittelbar zur Erscheinung. Er lebt sich aus in den Empfindungen, Gefühlen, Neigungen und so weiter, die man als die einem Volke gemeinsamen beobachtet. Er ist eine Wesenheit, die sich nicht sinnlich verkörpert; sondern wie der Mensch seinen Leib sinnlich anschaulich gestaltet, so gestaltet sie den ihrigen aus dem Stoffe der Seelenwelt. Dieser Seelenleib des Volksgeistes ist wie eine Wolke, in welcher die Glieder eines Volkes leben, deren Wirkungen in den Seelen der betreffenden Menschen zum Vorschein kommen, die aber nicht aus diesen Seelen selbst stammt. Wer sich den Volksgeist nicht in dieser Art vorstellt, für den bleibt er ein schemenhaftes Gedankenbild ohne Wesen und Leben, eine leere Abstraktion.
Und ein ähnliches wäre zu sagen in bezug auf das, was man Zeitgeist nennt. Ja, es wird dadurch der geistige Blick geweitet über eine Mannigfaltigkeit von anderen, von niederen und höheren Wesenheiten, die in der Umwelt des Menschen leben, ohne daß er sie sinnlich wahrnehmen kann. Diejenigen, welche geistiges Anschauungsvermögen haben, nehmen aber solche Wesen wahr und können sie beschreiben. Zu den niedrigeren Arten solcher Wesen gehört alles, was die Wahrnehmer der geistigen Welt als Salamander, Sylphen, Undinen, Gnomen beschreiben. Es sollte nicht gesagt zu werden brauchen, daß solche Beschreibungen nicht als Abbilder der ihnen zugrunde liegenden Wirklichkeit gelten können. Wären sie dieses, so wäre die durch sie gemeinte Welt keine geistige, sondern eine grob-sinnliche. Sie sind Veranschaulichungen einer geistigen Wirklichkeit, die sich eben nur auf diese Art, durch Gleichnisse, darstellen läßt. Wenn derjenige, der nur das sinnliche Anschauen gelten lassen will, solche Wesenheiten als Ausgeburten einer wüsten Phantasie und des Aberglaubens ansieht, so ist das durchaus begreiflich. Für sinnliche Augen können sie natürlich nie sichtbar werden, weil sie keinen sinnlichen Leib haben. Der Aberglaube liegt nicht darin, daß man solche Wesen als wirklich ansieht, sondern daß man glaubt, sie erscheinen auf sinnliche Art.
Wesen solcher Form wirken an dem Weltenbau mit, und man trifft mit ihnen zusammen, sobald man die höheren, den leiblichen Sinnen verschlossenen Weltgebiete betritt. Abergläubisch sind nicht diejenigen, welche in solchen Beschreibungen die Bilder geistiger Wirklichkeiten sehen, sondern diejenigen, welche an das sinnliche Dasein der Bilder glauben, aber auch diejenigen, welche den Geist ablehnen, weil sie das sinnliche Bild ablehnen zu müssen vermeinen.
Auch solche Wesen sind zu verzeichnen, die nicht bis in die Seelenwelt herabsteigen, sondern deren Hülle nur aus Gebilden des Geisterlandes gewoben ist. Der Mensch nimmt sie wahr, wird ihr Genosse, wenn er das geistige Auge und das geistige Ohr sich für sie eröffnet.
Durch eine solche Eröffnung wird dem Menschen vieles verständlich, was er ohne dieselbe nur verständnislos anstarren kann. Es wird hell um ihn herum; er sieht die Ursachen zu dem, was sich in der Sinnenwelt als Wirkungen abspielt. Er erfaßt dasjenige, was er ohne geistiges Auge entweder ganz ableugnet oder demgegenüber er sich mit dem Ausspruch begnügen muß: «Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumen läßt.» Feiner – geistig – empfindende Menschen werden unruhig, wenn sie eine andere Welt als die sinnliche uni sich herum ahnen, dumpf gewahr werden und innerhalb ihrer tappen müssen wie der Blinde zwischen sichtbaren Gegenständen. Nur die klare Erkenntnis von diesen höheren Gebieten des Daseins, das verständnisvolle Eindringen in dasjenige, was in ihnen vorgeht, kann den Menschen wirklich festigen und ihn seiner wahren Bestimmung zuführen. Durch die Einsicht in das, was den Sinnen verborgen ist, erweitert der Mensch sein Wesen in der Art, daß er sein Leben vor dieser Erweiterung wie ein «Träumen über die Welt» empfindet.
VI. Von den Gedankenformen und der menschlichen Aura
Es ist gesagt worden, daß die Gebilde einer der drei Welten nur dann für den Menschen Wirklichkeit haben, wenn er die Fähigkeiten oder die Organe hat, sie wahrzunehmen. Gewisse Vorgänge im Raume nimmt der Mensch nur dadurch als Lichterscheinungen wahr, daß er ein wohlgebildetes Auge hat. Wieviel sich von dem, was wirklich ist, einem Wesen offenbart, das hängt von dessen Empfänglichkeit ab. Niemals darf somit der Mensch sagen: nur das sei wirklich, was er wahrnehmen kann. Es kann vieles wirklich sein, für dessen Wahrnehmung ihm die Organe fehlen. Nun sind die Seelenwelt und das Geisterland ebenso wirklich, ja in einem viel höheren Sinne wirklich als die sinnliche Welt. Zwar kann kein sinnliches Auge Gefühle, Vorstellungen sehen; aber sie sind wirklich. Und wie der Mensch durch seine äußeren Sinne die körperliche Welt als Wahrnehmung vor sich hat, so werden für seine geistigen Organe Gefühle, Triebe, Instinkte, Gedanken und so weiter zu Wahrnehmungen. Genau wie durch das sinnliche Auge zum Beispiel räumliche Vorgänge als Farbenerscheinungen gesehen werden können, so können durch die inneren Sinne die genannten seelischen und geistigen Erscheinungen zu Wahrnehmungen werden, die den sinnlichen Farbenerscheinungen analog sind. Vollkommen verstehen, in welchem Sinne das gemeint ist, kann allerdings nur derjenige, welcher auf dem im nächsten Kapitel zu beschreibenden Erkenntnispfad gewandelt ist und sich dadurch seine inneren Sinne entwickelt hat. Für einen solchen werden in der ihn umgebenden Seelenwelt die Seelenerscheinungen und im geistigen Gebiet die geistigen Erscheinungen übersinnlich sichtbar. Gefühle, welche er an anderen Wesen erlebt, strahlen wie Lichterscheinungen für ihn von dem fühlenden Wesen aus; Gedanken, denen er seine Aufmerksamkeit zuwendet, durchfluten den geistigen Raum. Für ihn ist ein Gedanke eines Menschen, der sich auf einen andern Menschen bezieht, nicht etwas Unwahrnehmbares, sondern ein wahrnehmbarer Vorgang. Der Inhalt eines Gedankens lebt als solcher nur in der Seele des Denkenden; aber dieser Inhalt erregt Wirkungen in der Geistwelt. Diese sind für das Geistesauge der wahrnehmbare Vorgang. Als tatsächliche Wirklichkeit strömt der Gedanke von einer menschlichen Wesenheit aus und flutet der andern zu. Und die Art, wie dieser Gedanke auf den andern wirkt, wird erlebt als ein wahrnehmbarer Vorgang in der geistigen Welt. So ist für den, dessen geistige Sinne erschlossen sind, der physisch wahrnehmbare Mensch nur ein Teil des ganzen Menschen. Dieser physische Mensch wird der Mittelpunkt seelischer und geistiger Ausströmungen. Nur angedeutet kann die reich-mannigfaltige Welt werden, die sich vor dem «Seher» hier auftut. Ein menschlicher Gedanke, der sonst nur in dem Denkverständnisse des Zuhörenden lebt, tritt zum Beispiel als geistig wahrnehmbare Farbenerscheinung auf. Seine Farbe entspricht dem Charakter des Gedankens. Ein Gedanke, der aus einem sinnlichen Trieb des Menschen entspringt, hat eine andere Färbung als ein im Dienste der reinen Erkenntnis, der edlen Schönheit oder des ewig Guten gefaßter Gedanke. In roten Farbennuancen durchziehen Gedanken, welche dem sinnlichen Leben entspringen, die Seelenwelt. [1] In schönem hellem Gelb erscheint ein Gedanke, durch den der Denker zu einer höheren Erkenntnis aufsteigt. In herrlichem Rosarot erstrahlt ein Gedanke, der aus hingebungsvoller Liebe stammt. Und wie dieser Inhalt eines Gedankens, so kommt auch dessen größere oder geringere Bestimmtheit in seiner übersinnlichen Erscheinungsform zum Ausdruck. Der präzise Gedanke des Denkers zeigt sich als ein Gebilde von bestimmten Umrissen; die verworrene Vorstellung tritt als ein verschwimmendes, wolkiges Gebilde auf.
Und die Seelen- und Geisteswesenheit des Menschen erscheint in dieser Art als übersinnlicher Teil an der ganzen menschlichen Wesenheit.
Die dem «geistigen Auge» wahrnehmbaren Farbenwirkungen, die um den in seiner Betätigung wahrgenommenen physischen Menschen herumstrahlen und ihn wie eine Wolke (etwa in Eiform) einhüllen, sind eine menschliche Aura. Bei verschiedenen Menschen ist die Größe dieser Aura verschieden. Doch kann man sich – im Durchschnitt – etwa vorstellen, daß der ganze Mensch doppelt so lang und viermal so breit erscheint als der physische.
In der Aura fluten nun die verschiedensten Farbentöne. Und dieses Fluten ist ein getreues Bild des inneren menschlichen Lebens, So wechselnd wie dieses sind einzelne Farbentöne. Doch drücken sich gewisse bleibende Eigenschaften: Talente, Gewohnheiten, Charaktereigenschaften auch in bleibenden Grundfarbtönen aus.
Bei Menschen, welche den Erlebnissen des in einem späteren Kapitel dieses Buches geschilderten «Erkenntnispfades» vorerst ferne stehen, können sich Mißverständnisse ergeben über die Wesenheit dessen, was hier als «Aura» geschildert wird. Man kann zu der Vorstellung kommen, als ob dasjenige, was hier als «Farben» geschildert wird, vor der Seele so stände, wie eine physische Farbe vor dem Auge steht. Eine solche «seelische Farbe» wäre aber nichts als eine Halluzination. Mit Eindrücken, die «halluzinatorisch» sind, hat die Geisteswissenschaft nicht das geringste zu tun. Und sie sind jedenfalls in der hier vorliegenden Schilderung nicht gemeint. Man kommt zu einer richtigen Vorstellung, wenn man sich das Folgende gegenwärtig hält. Die Seele erlebt an einer physischen Farbe nicht nur den sinnliche Eindruck, sondern sie hat an ihr ein seelisches Erlebnis. Dieses seelische Erlebnis ist ein anderes, wenn die Seele – durch das Auge – eine gelbe, ein anderes, wenn sie eine blaue Fläche wahrnimmt. Man nenne dieses Erlebnis das «Leben in Gelb» oder das «Leben in Blau». Die Seele nun, welche den Erkenntnispfad betreten hat, hat ein gleiches «Erleben in Gelb» gegenüber den aktiven Seelenerlebnissen anderer Wesen: ein «Erleben in Blau» gegenüber den hingebungsvollen Seelenstimmungen. Das Wesentliche ist nicht, daß der «Seher» bei einer Vorstellung einer anderen Seele so «blau» sieht, wie er dies «blau» in der physischen Welt sieht, sondern daß er ein Erlebnis hat, das ihn berechtigt, die Vorstellung «blau» zu nennen, wie der physische Mensch einen Vorhang zum Beispiel «blau» nennt. Und weiter ist es wesentlich» daß der «Seher» sich bewußt ist, mit diesem seinem Erlebnis in einem leibfreien Erleben zu stehen, so daß er die Möglichkeit empfängt, von dem Werte und der Bedeutung des Seelenlebens in einer Welt zu sprechen, deren Wahrnehmung nicht durch den menschlichen Leib vermittelt ist. Wenn auch dieser Sinn der Darstellung durchaus berücksichtigt werden muß, so ist es für den «Seher» doch ganz selbstverständlich, von «Blau», «Gelb», «Grün» und so weiter in der «Aura» zu sprechen.
Sehr verschieden ist die Aura nach den verschiedenen Temperamenten und den Gemütsanlagen der Menschen; verschieden auch je nach den Graden der geistigen Entwickelung. Eine völlig andere Aura hat ein Mensch, der sich ganz seinen animalischen Trieben hingibt, als ein solcher, der viel in Gedanken lebt. Wesentlich unterscheidet sich die Aura einer religiös gestimmten Natur von einer solchen, die in den trivialen Erlebnissen des Tages aufgeht. Dazu kommt, daß alle wechselnden Stimmungen, alle Neigungen, Freuden und Schmerzen in der Aura ihren Ausdruck finden.
Man muß die Auren der verschiedenartigen Seelenerlebnisse miteinander vergleichen, um die Bedeutung der Farbentöne verstehen zu lernen. Man nehme zunächst Seelenerlebnisse, die von stark ausgeprägten Affekten durchsetzt sind. Sie lassen sich in zwei verschiedene Arten sondern, in solche, bei denen die Seele zu diesen Affekten vorzüglich durch die animalische Natur getrieben wird, und solche, welche eine raffiniertere Form annehmen, die sozusagen durch das Nachdenken stark beeinflußt werden. Bei der ersteren Art von Erlebnissen durchfluten vorzüglich braune und rötlich-gelbe Farbenströmungen aller Nuancen an bestimmten Stellen die Aura. Bei denen mit raffinierteren Affekten treten an denselben Stellen Töne von hellerem Rotgelb und Grün auf. Man kann bemerken, daß mit wachsender Intelligenz die grünen Töne immer häufiger werden. Sehr kluge Menschen, die aber ganz in der Befriedigung ihrer animalischen Triebe aufgehen, zeigen viel Grün in ihrer Aura. Doch wird dieses Grün immer einen stärkeren oder schwächeren Anflug von Braun oder Braunrot haben. Unintelligente Menschen zeigen einen großen Teil der Aura durchflutet von brandroten oder sogar dunkelblutroten Strömungen.
Wesentlich anders als bei solchen Affektzuständen ist die Aura bei der ruhigen, abwägenden, nachdenklichen Seelenstimmung. Die bräunlichen und rötlichen Töne treten zurück und verschiedene Nuancen des Grün treten hervor. Bei angestrengtem Denken zeigt die Aura einen wohltuenden grünen Grundton. So sehen vorzüglich jene Naturen aus, von denen man sagen kann, sie wissen sich in jede Lage des Lebens zu finden.
Die blauen Farbentöne treten bei den hingebungsvollen Seelenstimmungen auf. Je mehr der Mensch sein Selbst in den Dienst einer Sache stellt, desto bedeutender werden die blauen Nuancen. Zwei ganz verschiedenen Arten von Menschen begegnet man auch in dieser Beziehung. Es gibt Naturen, die nicht gewohnt sind, ihre Denkkraft zu entfalten, passive Seelen, die gewissermaßen nichts in den Strom der Weltereignisse zu werfen haben als ihr «gutes Gemüt». Ihre Aura glimmt in schönem Blau. So zeigt sich auch diejenige vieler hingebungsvoller, religiöser Naturen. Mitleidsvolle Seelen und solche, die sich gerne in einem Dasein voll Wohltun ausleben, haben eine ähnliche Aura. Sind solche Menschen außerdem intelligent, so wechseln grüne und blaue Strömungen, oder das Blau nimmt wohl auch selbst eine grünliche Nuance an. Es ist das Eigentümliche der aktiven Seelen im Gegensatz zu den passiven, daß sich ihr Blau von innen heraus mit hellen Farbentönen durchtränkt. Erfindungsreiche Naturen, solche, die fruchtbringende Gedanken haben, strahlen gleichsam von einem inneren Punkte heraus helle Farbentöne im höchsten Maße ist dies der Fall bei denjenigen Persönlichkeiten, die man «weise» nennt, und namentlich bei solchen, welche von fruchtbaren Ideen erfüllt sind. Überhaupt hat alles, was auf geistige Aktivität deutet, mehr die Gestalt von Strahlen, die sich von innen ausbreiten; während alles, was aus dem animalischen Leben stammt, die Form unregelmäßiger Wolken hat, welche die Aura durchfluten.
Je nachdem die Vorstellungen, welche der Aktivität der Seele entspringen, sich in den Dienst der eigenen animalischen Triebe oder in einen solchen idealer, sachlicher Interessen stellen, zeigen die entsprechenden Auragebilde verschiedene Färbungen. Der erfinderische Kopf, der alle seine Gedanken zur Befriedigung seiner sinnlichen Leidenschaften verwendet, zeigt dunkelblaurote Nuancen; derjenige dagegen, welcher seine Gedanken selbstlos in ein sachliches Interesse stellt, hellrotblaue Farbtöne. Ein Leben im Geiste, gepaart mit edler Hingabe und Aufopferungsfähigkeit, läßt rosarote oder hellviolette Farben erkennen.
Allein nicht nur die Grundverfassung der Seele, sondern auch vorübergehende Affekte, Stimmungen und andere innere Erlebnisse zeigen ihre Farbenflutungen in der Aura. Ein plötzlich ausbrechender heftiger Ärger erzeugt rote Flutungen; gekränktes Ehrgefühl, das sich in plötzlicher Aufwallung auslebt, kann man in dunkelgrünen Wolken erscheinen sehen.
Aber nicht allein in unregelmäßigen Wolkengebilden treten die Farbenerscheinungen auf, sondern auch in bestimmt begrenzten, regelmäßig gestalteten Figuren. Bemerkt man bei einem Menschen eine Anwandlung von Furcht, so sieht man diese zum Beispiel in der Aura von oben bis unten wie wellige Streifen in blauer Farbe, die einen blaurötlichen Schimmer haben. Bei einer Person, an der man bemerkt, wie sie mit Spannung auf ein gewisses Ereignis wartet, kann man fortwährend rotblaue Streifen radienartig von innen gegen außen hin die Aura durchziehen sehen.
Für ein genaues geistiges Wahrnehmungsvermögen ist jede Empfindung, die der Mensch von außen empfängt, zu bemerken. Personen, die durch jeden äußeren Eindruck stark erregt werden, zeigen ein fortwährendes Aufflackern kleiner blaurötlicher Punkte und Fleckchen in der Aura. Bei Menschen, die nicht lebhaft empfinden, haben diese Fleckchen eine orangegelbe oder auch eine schöne gelbe Färbung. Sogenannte «Zerstreutheit» der Personen zeigt sich als bläuliche, ins Grünliche spielende Flecke vor mehr oder weniger wechselnder Form.
Für ein höher ausgebildetes «geistiges Schauen» lassen sich innerhalb dieser den Menschen umflutenden und umstrahlenden «Aura» drei Gattungen von Farbenerscheinungen unterscheiden. Da sind zuerst solche Farben, die mehr oder weniger den Charakter der Undurchsichtigkeit und Stumpfheit tragen. Allerdings, wenn wir diese Farben mit denjenigen vergleichen, die unser physisches Auge sieht, dann erscheinen sie diesen gegenüber flüchtig und durchsichtig. Innerhalb der übersinnlichen Welt selbst aber machen sie den Raum, den sie erfüllen, vergleichsweise undurchsichtig; sie erfüllen ihn wie Nebelgebilde.
Eine zweite Gattung von Farben sind diejenigen, welche gleichsam ganz Licht sind. Sie durchhellen den Raum, den sie ausfüllen. Dieser wird durch sie selbst zum Lichtraum.
Ganz verschieden von diesen beiden ist die dritte Art der farbigen Erscheinungen. Diese haben nämlich einen strahlenden, funkelnden, glitzernden Charakter. Sie durchleuchten nicht bloß den Raum, den sie ausfüllen: sie durchglänzen und durchstrahlen ihn. Es ist etwas Tätiges, in sich Bewegliches in diesen Farben. Die anderen haben etwas in sich Ruhendes, Glanzloses. Diese dagegen erzeugen sich gleichsam fortwährend aus sich selbst.
Durch die beiden ersten Farbengattungen wird der Raum wie mit einer feinen Flüssigkeit ausgefüllt, die ruhig in ihm verharrt; durch die dritte wird er mit einem sich stets anfachenden Leben, mit nie ruhender Regsamkeit erfüllt.
Diese drei Farbengattungen sind nun in der menschlichen Aura nicht etwa durchaus nebeneinander gelagert; sie befinden sich nicht etwa ausschließlich in voneinander getrennten Raumteilen, sondern sie durchdringen einander in der mannigfaltigsten Art. Man kann an einem Orte der Aura alle drei Gattungen durcheinanderspielen sehen, wie man einen physischen Körper, zum Beispiel eine Glocke, zugleich sehen und hören kann. Dadurch wird die Aura zu einer außerordentlich komplizierten Erscheinung, denn man hat es, sozusagen, mit drei ineinander befindlichen, sich durchdringenden Auren zu tun. Aber man kann ins klare kommen, wenn man seine Aufmerksamkeit abwechselnd auf eine dieser drei Auren richtet. Man tut dann in der übersinnlichen Welt etwas ähnliches, wie wenn man in der sinnlichen zum Beispiel – um sich ganz dem Eindruck eines Musikstückes hinzugeben – die Augen schließt. Der «Seher» hat gewissermaßen dreierlei Organe für die drei Farbengattungen. Und er kann, um ungestört zu beobachten, die eine oder andere Art von Organen den Eindrücken öffnen und die andern verschließen. Es kann bei einem «Seher» zunächst überhaupt nur die eine Art von Organen, die für die erste Gattung von Farben, entwickelt sein. Ein solcher kann nur die eine Aura sehen; die beiden anderen bleiben ihm unsichtbar. Ebenso kann jemand für die beiden ersten Arten eindrucksfähig sein, für die dritte nicht. Die höhere Stufe der «Sehergabe» besteht dann darin, daß ein Mensch alle drei Auren beobachten und zum Zwecke des Studiums die Aufmerksamkeit abwechselnd auf die eine oder die andere lenken kann.
Die dreifache Aura ist der übersinnlich-sichtbare Ausdruck für die Wesenheit des Menschen. Die drei Glieder: Leib, Seele und Geist, kommen in ihr zum Ausdruck.
Die erste Aura ist ein Spiegelbild des Einflusses, den der Leib auf die Seele des Menschen übt; die zweite kennzeichnet das Eigenleben der Seele, das sich über das unmittelbar Sinnlichreizende erhoben hat, aber noch nicht dem Dienst des Ewigen gewidmet ist; die dritte spiegelt die Herrschaft, die der ewige Geist über den vergänglichen Menschen gewonnen hat. Wenn Beschreibungen der Aura gegeben werden – wie es hier geschehen ist -, so muß betont werden, daß diese Dinge nicht nur schwer zu beobachten, sondern vor allem schwierig zu beschreiben sind. Deshalb sollte niemand in solchen Darstellungen etwas anderes als eine Anregung erblicken. Für den «Seher» drückt sich also die Eigentümlichkeit des Seelenlebens in der Beschaffenheit der Aura aus. Tritt ihm Seelenleben entgegen, das ganz den jeweiligen sinnlichen Trieben, Begierden und den augenblicklichen äußeren Reizen hingegeben ist, so sieht er die erste Aura in den schreiendsten Farbentönen; die zweite dagegen ist nur schwach ausgebildet. Man sieht in ihr nur spärliche Farbenbildungen; die dritte aber ist kaum angedeutet. Da und dort nur zeigt sich ein glitzerndes Farbenfünkchen, darauf hindeutend, daß auch bei solcher Seelenstimmung in dem Menschen das Ewige als Anlage lebt, daß es aber durch die gekennzeichnete Wirkung des Sinnlichen zurückgedrängt wird.
Je mehr der Mensch seine Triebnatur von sich abstreift, desto unaufdringlicher wird der erste Teil der Aura. Der zweite Teil vergrößert sich dann immer mehr und mehr und erfüllt immer vollständiger mit seiner leuchtenden Kraft den Farbenkörper, innerhalb dessen der physische Mensch lebt.
Und je mehr der Mensch sich als «Diener des Ewigen» erweist, zeigt sich die wundersame dritte Aura, jener Teil, der Zeugnis liefert, inwiefern der Mensch ein Bürger der geistigen Welt ist. Denn das göttliche Selbst strahlt durch diesen Teil der menschlichen Aura in die irdische Welt herein. Insofern die Menschen diese Aura zeigen, sind sie Flammen, durch welche die Gottheit diese Welt erleuchtet Sie zeigen durch diesen Aurateil, inwieweit sie nicht sich, sondern dem ewig Wahren, dem edel Schönen und Guten zu leben wissen: inwiefern sie ihrem engen Selbst abgerungen haben, sich hinzuopfern auf dem Altar des großen Weltwirkens.
So kommt in der Aura zum Ausdrucke, was der Mensch im Laufe seiner Verkörperungen aus sich gemacht hat.
In allen drei Teilen der Aura sind Farben der verschiedensten Nuancen enthalten. Es ändert sich aber der Charakter dieser Nuancen mit dem Entwickelungsgrade des Menschen.
Man kann im ersten Teil der Aura das unentwickelte Triebleben in allen Nuancen sehen vom Rot bis zum Blau. Es haben da diese Nuancen einen trüben, unklaren Charakter. Die aufdringlich roten Nuancen deuten auf die sinnlichen Begierden, auf die fleischlichen Lüste, auf die Sucht nach den Genüssen des Gaumens und des Magens. Grüne Nuancen scheinen sich vorzüglich bei denjenigen niederen Naturen hier zu finden, die zum Stumpfsinn, zur Gleichgültigkeit neigen, die gierig jedem Genusse sich hingeben, aber doch die Anstrengungen scheuen, die sie zur Befriedigung bringen. Wo die Leidenschaften heftig nach irgendeinem Ziele verlangen, dem die erworbenen Fähigkeiten nicht gewachsen sind, treten bräunlichgrüne und gelblichgrüne Aurafarben auf. Gewisse moderne Lebensweisen züchten allerdings geradezu diese Art von Auren.
Ein persönliches Selbstgefühl, das ganz in niederen Neigungen wurzelt, also die unterste Stufe des Egoismus darstellt, zeigt sich in unklar-gelben bis braunen Tönen. Nun ist ja klar, daß das animalische Triebleben auch einen erfreulichen Charakter annehmen kann. Es gibt eine rein natürliche Aufopferungsfähigkeit, die sich schon im Tierreiche im hohen Grade findet. In der natürlichen Mutterliebe findet diese Ausbildung eines animalischen Triebes ihre schönste Vollendung. Diese selbstlosen Naturtriebe kommen in der ersten Aura in hellrötlichen bis rosaroten Farbennuancen zum Ausdruck. Feige Furchtsamkeit, Schreckhaftigkeit vor sinnenfälligen Reizen zeigt sich durch braunblaue oder graublaue Farben in der Aura.
Die zweite Aura zeigt wieder die verschiedensten Farbenstufen. Stark entwickeltes Selbstgefühl, Stolz und Ehrgeiz bringen sich in braunen und orangefarbenen Gebilden zum Ausdruck. Auch die Neugierde gibt sich durch rotgelbe Flecken kund. Helles Gelb spiegelt klares Denken und Intelligenz ab; Grün ist der Ausdruck des Verständnisses für Leben und Welt. Kinder, die leicht auffassen, haben viel Grün in diesem Teil ihrer Aura. Ein gutes Gedächtnis scheint sich durch «Grüngelb» in der zweiten Aura zu verraten. Rosenrot deutet auf wohlwollende, liebevolle Wesenheit hin; blau ist das Zeichen von Frömmigkeit. Je mehr sich die Frömmigkeit der religiösen Inbrunst nähert, desto mehr geht das Blau in Violett über. Idealismus und Lebensernst in höherer Auffassung sieht man als Indigoblau.
Die Grundfarben der dritten Aura sind Gelb, Grün und Blau. Helles Gelb erscheint hier, wenn das Denken erfüllt ist von hohen, umfassenden Ideen, welche das Einzelne aus dem Ganzen der göttlichen Weltordnung heraus erfassen. Dieses Gelb hat dann, wenn das Denken intuitiv ist und ihm vollkommene Reinheit von sinnlichem Vorstellen zukommt, einen goldigen Glanz. Grün drückt aus die Liebe zu allen Wesen; blau ist das Zeichen der selbstlosen Aufopferungsfähigkeit für alle Wesen. Steigert sich diese Aufopferungsfähigkeit bis zum starken Wollen, das werktätig in die Dienste der Welt sich stellt, so hellt sich das Blau zum Hellviolett auf. Sind trotz eines höher entwickelten Seelenwesens noch Stolz und Ehrsucht, als letzte Reste des persönlichen Egoismus, vorhanden, so treten neben den gelben Nuancen solche auf, welche nach dem Orange hin spielen.
Bemerkt muß allerdings werden, daß in diesem Teil der Aura die Farben recht verschieden sind von den Nuancen, die der Mensch gewohnt ist in der Sinnenwelt zu sehen. Eine Schönheit und Erhabenheit tritt dem «Sehenden» hier entgegen, mit denen sich nichts in der gewöhnlichen Welt vergleichen läßt.
Diese Darstellung der «Aura» kann derjenige nicht richtig beurteilen, welcher nicht den Hauptwert darauf legt, daß mit dem «Sehen der Aura» eine Erweiterung und Bereicherung des in der physischen Welt Wahrgenommenen gemeint ist. Eine Erweiterung, die dahin zielt, die Form des Seelenlebens zu erkennen, die außer der sinnlichen Welt geistige Wirklichkeit hat. Mit einem Deuten des Charakters oder der Gedanken eines Menschen aus einer halluzinatorisch wahrgenommenen Aura hat diese ganze Darstellung nichts zu tun. Sie will die Erkenntnis nach der geistigen Welt hin erweitern und will nichts zu tun haben mit der zweifelhaften Kunst, Menschenseelen aus ihren Auren zu deuten.
[1] Die hier gegebenen Auseinandersetzungen sind naturgemäß den stärksten Mißverständnissen ausgesetzt. Es soll deshalb in dieser neuen Auflage ganz kurz am Schlusse in einer Bemerkung auf sie zurückgekommen werden, (Vgl. S. 204 ff.)
Der Pfad der Erkenntnis
Die Erkenntnis der in diesem Buche gemeinten Geisteswissenschaft kann jeder Mensch sich selbst erwerben. Ausführungen von der Art, wie sie in dieser Schrift gegeben werden, liefern ein Gedankenbild der höheren Welten. Und sie sind in einer gewissen Beziehung der erste Schritt zur eigenen Anschauung. Denn der Mensch ist ein Gedankenwesen. Und er kann seinen Erkenntnispfad nur finden, wenn er vom Denken ausgeht. Wird seinem Verstande ein Bild der höheren Welten gegeben, so ist dieses für ihn nicht unfruchtbar, auch wenn es vorläufig gleichsam nur eine Erzählung von höheren Tatsachen ist, in die er durch eigene Anschauung noch keinen Einblick hat. Denn die Gedanken, die ihm gegeben werden, stellen selbst eine Kraft dar, welche in seiner Gedankenwelt weiter wirkt. Diese Kraft wird in ihm tätig sein; sie wird schlummernde Anlagen wecken. Wer der Meinung ist, die Hingabe an ein solches Gedankenbild sei überflüssig, der ist im Irrtum. Denn er sieht in dem Gedanken nur das Wesenlose, Abstrakte. Dem Gedanken liegt aber eine lebendige Kraft zugrunde. Und wie er bei demjenigen, der Erkenntnis hat, als ein unmittelbarer Ausdruck vorhanden ist dessen, was im Geiste geschaut wird, so wirkt die Mitteilung dieses Ausdrucks in dem, welchem er mitgeteilt wird, als Keim, der die Erkenntnisfrucht aus sich erzeugt. Wer sich behufs höherer Erkenntnis, unter Verschmähung der Gedankenarbeit, an andere Kräfte im Menschen wenden wollte, der berücksichtigt nicht, daß das Denken eben die höchste der Fähigkeiten ist, die der Mensch in der Sinnenwelt besitzt. Wer also fragt: wie gewinne ich selbst die höheren Erkenntnisse der Geisteswissenschaft?
Dem ist zu sagen: unterrichte dich zunächst durch die Mitteilungen anderer von solchen Erkenntnissen. Und wenn er erwidert: ich will selbst sehen; ich will nichts wissen von dem, was andere gesehen haben, so ist ihm zu antworten: eben in der Aneignung der Mitteilungen anderer liegt die erste Stufe zur eigenen Erkenntnis. Man kann dazu sagen: da bin ich ja zunächst zum blinden Glauben gezwungen. Doch es handelt sich ja bei einer Mitteilung nicht um Glauben oder Unglauben, sondern lediglich um eine unbefangene Aufnahme dessen, was man vernimmt. Der wahre Geistesforscher spricht niemals mit der Erwartung, daß ihm blinder Glaube entgegengebracht werde. Er meint immer nur: dies habe ich erlebt in den geistigen Gebieten des Daseins, und ich erzähle von diesen meinen Erlebnissen. Aber er weiß auch, daß die Entgegennahme dieser seiner Erlebnisse und die Durchdringung der Gedanken des andern mit der Erzählung für diesen andern lebendige Kräfte sind, um sich geistig zu entwickeln.
Was hier in Betracht kommt, wird richtig nur derjenige anschauen, der bedenkt, wie alles Wissen von seelischen und geistigen Welten in den Untergründen der menschlichen Seele ruht. Man kann es durch den «Erkenntnispfad» heraufholen. «Einsehen» kann man nicht nur das, was man selbst, sondern auch, was ein anderer aus den Seelengründen heraufgeholt hat. Selbst dann, wenn man selbst noch gar keine Veranstaltungen zum Betreten des Erkenntnispfades gemacht bat. Eine richtige geistige Einsicht erweckt in dem nicht durch Vorurteile getrübten Gemüt die Kraft des Verständnisses. Das unbewußte Wissen schlägt der von andern gefundenen geistigen Tatsache entgegen. Und dieses Entgegenschlagen ist nicht blinder Glaube, sondern rechtes Wirken des gesunden Menschenverstandes. In diesem gesunden Begreifen sollte man einen weit besseren Ausgangsort auch zum Selbsterkennen der Geistwelt sehen als in den zweifelhaften mystischen «Versenkungen» und dergleichen, in denen man oft etwas Besseres zu haben glaubt als in dem, was der gesunde Menschenverstand anerkennen kann, wenn es ihm von echter geistiger Forschung entgegengebracht wird.
Man kann gar nicht stark genug betonen, wie notwendig es ist, daß derjenige die ernste Gedankenarbeit auf sich nehme, der seine höheren Erkenntnisfähigkeiten ausbilden will. Diese Betonung muß um so dringlicher sein, als viele Menschen, welche zum «Seher» werden wollen, diese ernste, entsagungsvolle Gedankenarbeit geradezu geringachten. Sie sagen, das «Denken» kann mir doch nichts helfen; es kommt auf die «Empfindung», das «Gefühl» oder ähnliches an. Demgegenüber muß gesagt werden, daß niemand im höheren Sinne (das heißt wahrhaft) ein «Seher» werden kann, der nicht vorher sich in das Gedankenleben eingearbeitet hat. Es spielt da bei vielen Personen eine gewisse innere Bequemlichkeit eine mißliche Rolle. Sie werden sich dieser Bequemlichkeit nicht bewußt, weil sie sich in eine Verachtung des «abstrakten Denkens», des «müßigen Spekulierens» und so weiter kleidet.
Aber man verkennt eben das Denken, wenn man es mit dem Ausspinnen müßiger, abstrakter Gedankenfolgen verwechselt. Dieses «abstrakte Denken» kann die übersinnliche Erkenntnis leicht ertöten; das lebensvolle Denken kann ihr zur Grundlage werden. Es wäre allerdings viel bequemer, wenn man zu der höheren Sehergabe unter Vermeidung der Gedankenarbeit kommen könnte. Das möchten eben viele. Es ist aber dazu eine innere Festigkeit, eine seelische Sicherheit nötig, zu der nur das Denken führen kann. Sonst kommt doch nur ein wesenloses Hin- und Herflackern in Bildern, ein verwirrendes Seelenspiel zustande, das zwar manchem Lust macht, das aber mit einem wirklichen Eindringen in höhere Welten nichts zu tun hat.
Wenn man ferner bedenkt, welche rein geistigen Erlebnisse in einem Menschen vor sich gehen, der wirklich die höhere Welt betritt, dann wird man auch begreifen, daß die Sache noch eine andere Seite hat. Zum «Seher» gehört absolute Gesundheit des Seelenlebens. Es gibt nun keine bessere Pflege dieser Gesundheit als das echte Denken. Ja, es kann diese Gesundheit ernstlich leiden, wenn die Übungen zur höheren Entwickelung nicht auf dem Denken aufgebaut sind. So wahr es ist, daß einen gesund und richtig denkenden Menschen die Sehergabe noch gesunder, noch tüchtiger zum Leben machen wird, als er ohne dieselbe ist, so wahr ist es auch, daß alles Sich-Entwickelnwollen bei einer Scheu vor Gedankenanstrengung, alle Träumerei auf diesem Gebiete, der Phantasterei und auch der falschen Einstellung zum Leben Vorschub leistet. Niemand hat etwas zu fürchten, der unter Beobachtung des hier Gesagten sich zu höherer Erkenntnis entwickeln will; doch sollte es eben nur unter dieser Voraussetzung geschehen. Diese Voraussetzung hat nur mit der Seele und dem Geiste des Menschen zu tun; zu reden von einem irgendwie gearteten schädlichen Einfluß auf leibliche Gesundheit ist bei dieser Voraussetzung absurd.
Der unbegründete Unglaube allerdings ist schädlich. Denn er wirkt in dem Empfangenden als eine zurückstoßende Kraft. Er verhindert ihn, die befruchtenden Gedanken aufzunehmen. Kein blinder Glaube, wohl aber die Aufnahme der geisteswissenschaftlichen Gedankenwelt wird bei der Erschließung der höheren Sinne vorausgesetzt. Der Geistesforscher tritt seinem Schüler entgegen mit der Zumutung: nicht glauben sollst du, was ich dir sage, sondern es denken, es zum Inhalte deiner eigenen Gedankenwelt machen, dann werden meine Gedanken schon selbst in dir bewirken, daß du sie in ihrer Wahrheit erkennst. Dies ist die Gesinnung des Geistesforschers. Er gibt die Anregung; die Kraft des Fürwahrhaltens entspringt aus dem eigenen Innern des Aufnehmenden. Und in diesem Sinne sollten die geisteswissenschaftlichen Anschauungen gesucht werden. Wer die Überwindung hat, sein Denken in diese zu versenken, kann sicher sein, daß in einer kürzeren oder längeren Zeit sie ihn zu eigenem Anschauen führen werden.
Schon in dem Gesagten liegt eine erste Eigenschaft angedeutet, die derjenige in sich ausbilden muß, der zu eigener Anschauung höherer Tatsachen kommen will. Es ist die rückhaltlose, unbefangene Hingabe an dasjenige, was das Menschenleben oder auch die außermenschliche Welt offenbaren. Wer von vornherein mit dem Urteil, das er aus seinem bisherigen Leben mitbringt, an eine Tatsache der Welt herantritt, der verschließt sich durch solches Urteil gegen die ruhige, allseitige Wirkung, welche diese Tatsache auf ihn ausüben kann. Der Lernende muß in jedem Augenblicke sich zum völlig leeren Gefäß machen können, in das die fremde Welt einfließt. Nur diejenigen Augenblicke sind solche der Erkenntnis, wo jedes Urteil, jede Kritik schweigen, die von uns ausgehen. Es kommt zum Beispiel gar nicht darauf an, wenn wir einem Menschen gegenübertreten, ob wir weiser sind als er. Auch das unverständigste Kind hat dem höchsten Weisen etwas zu offenbaren. Und wenn dieser mit seinem noch so weisen Urteil an das Kind herantritt, so schiebt sich seine Weisheit wie ein trübes Glas vor dasjenige, was das Kind ihm offenbaren soll. [1]
Zu dieser Hingabe an die Offenbarungen der fremden Welt gehört völlige innere Selbstlosigkeit. Und wenn sich der Mensch prüft, in welchem Grade er diese Hingabe hat, so wird er erstaunliche Entdeckungen an sich selbst machen. Will einer den Pfad der höheren Erkenntnis betreten, so muß er sich darin üben, sich selbst mit allen seinen Vorurteilen in jedem Augenblicke auslöschen zu können. Solange er sich auslöscht, fließt das andere in ihn hinein. Nur hohe Grade von solch selbstloser Hingabe befähigen zur Aufnahme der höheren geistigen Tatsachen, die den Menschen überall umgeben. Man kann zielbewußt in sich diese Fähigkeit ausbilden. Man versuche zum Beispiel gegenüber Menschen seiner Umgebung sich jedes Urteils zu enthalten. Man erlösche in sich den Maßstab von anziehend und abstoßend, von dumm oder gescheit, den man gewohnt ist anzulegen; und man versuche, ohne diesen Maßstab die Menschen rein aus sich selbst heraus zu verstehen. Die besten Übungen kann man an Menschen machen, vor denen man einen Abscheu hat. Man unterdrücke mit aller Gewalt diesen Abscheu und lasse alles unbefangen auf sich wirken, was sie tun.
Oder wenn man in einer Umgebung ist, welche dies oder jenes Urteil herausfordert, so unterdrücke man das Urteil und setze sich unbefangen den Eindrücken aus. [2]
Man lasse die Dinge und Ereignisse mehr zu sich sprechen, als daß man über sie spreche. Und man dehne das auch auf seine Gedankenwelt aus. Man unterdrücke in sich dasjenige, was diesen oder jenen Gedanken bildet, und lasse lediglich das, was draußen ist, die Gedanken bewirken.
Nur wenn mit heiligstem Ernst und Beharrlichkeit solche Übungen angestellt werden, führen sie zum höheren Erkenntnisziele. Wer solche Übungen unterschätzt, der weiß eben nichts von ihrem Wert. Und wer Erfahrung in solchen Dingen hat, der weiß, daß Hingabe und Unbefangenheit wirkliche Krafterzeuger sind. Wie die Wärme, die man in den Dampfkessel bringt, sich in die fortbewegende Kraft der Lokomotive verwandelt, so verwandeln sich die Übungen der selbstlosen geistigen Hingabe in dem Menschen zur Kraft des Schauens in den geistigen Welten.
Durch diese Übung macht sich der Mensch aufnahmefähig für alles dasjenige, was ihn umgibt. Aber zur Aufnahmefähigkeit muß auch die richtige Schätzung treten. Solange der Mensch noch geneigt ist, sich selbst auf Kosten der ihn umgebenden Welt zu überschätzen, so lange verlegt er sich den Zugang zu höherer Erkenntnis. Wer einem jeglichen Dinge oder Ereignisse der Welt gegenüber sich der Lust oder dem Schmerze hingibt, die sie ihm bereiten, der ist in solcher Überschätzung seiner selbst befangen. Denn an seiner Lust und an seinem Schmerz erfährt er nichts über die Dinge, sondern nur etwas über sich selbst. Empfinde ich Sympathie für einen Menschen, so empfinde ich zunächst nur mein Verhältnis zu ihm. Mache ich mich in meinem Urteil, in meinem Verhalten lediglich von diesem Gefühle der Lust, der Sympathie abhängig, dann stelle ich meine Eigenart in den Vordergrund; ich dränge diese der Welt auf. Ich will mich, so wie ich bin, in die Welt einschalten, aber nicht die Welt unbefangen hinnehmen und sie im Sinne der in ihr wirkenden Kräfte sich ausleben lassen.
Mit anderen Worten: ich bin nur duldsam mit dem, was meiner Eigenart entspricht. Gegen alles andere übe ich eine zurückstoßende Kraft. Solange der Mensch in der Sinneswelt befangen ist, wirkt er besonders zurückstoßend gegen alle nicht sinnlichen Einflüsse. Der Lernende muß die Eigenschaft in sich entwickeln, sich den Dingen und Menschen gegenüber in deren Eigenart zu verhalten, ein jegliches in seinem Werte, in seiner Bedeutung gelten zu lassen. Sympathie und Antipathie, Lust und Unlust müssen ganz neue Rollen erhalten. Es kann nicht davon die Rede sein, daß der Mensch diese ausrotten soll, sich stumpf gegenüber Sympathie und Antipathie machen soll. Im Gegenteil, je mehr er in sich die Fähigkeit ausbildet, nicht alsogleich auf jede Sympathie und Antipathie ein Urteil, eine Handlung folgen zu lassen, eine um so feinere Empfindungsfähigkeit wird er in sich ausbilden. Er wird erfahren, daß Sympathien und Antipathien eine höhere Art annehmen, wenn er diejenige Art in sich zügelt, die schon in ihm ist. Verborgene Eigenschaften hat selbst das zunächst unsympathischste Ding; es offenbart sie, wenn der Mensch in seinem Verhalten nicht seinen eigensüchtigen Empfindungen folgt. Wer sich in dieser Richtung ausgebildet hat, der empfindet feiner nach allen Seiten hin als andere, weil er sich nicht von sich selbst zur Unempfänglichkeit verführen läßt. Jede Neigung, der man blindlings folgt, stumpft dafür ab, die Dinge der Umgebung im rechten Licht zu sehen. Wir drängen uns gleichsam, der Neigung folgend, durch die Umgebung hindurch, statt uns ihr auszusetzen und sie in ihrem Werte zu fühlen.
Und wenn der Mensch nicht mehr auf jede Lust und jeden Schmerz, auf jede Sympathie und Antipathie hin seine eigensüchtige Antwort, sein eigensüchtiges Verhalten hat, dann wird er auch unabhängig von den wechselnden Eindrücken der Außenwelt. Die Lust, die man an einem Dinge empfindet, macht einen sogleich von diesem abhängig. Man verliert sich an das Ding. Ein Mensch, der je nach den wechselnden Eindrücken sich in Lust und Schmerz verliert, kann nicht den Pfad der geistigen Erkenntnis wandeln. Mit Gelassenheit muß er Lust und Schmerz aufnehmen. Dann hört er auf, sich in ihnen zu verlieren; dann fängt er aber dafür an, sie zu verstehen. Eine Lust, der ich mich hingebe, verzehrt mein Dasein in dem Augenblicke der Hingabe. Ich aber soll die Lust nur benutzen, um durch sie zum Verständnisse des Dinges zu kommen, das mir Lust bereitet. Es soll mir nicht darauf ankommen, daß das Ding mir Lust bereitet: ich soll die Lust erfahren und durch die Lust das Wesen des Dinges. Die Lust soll für mich nur sein Verkündigung dessen, daß in dem Dinge eine Eigenschaft ist, die sich eignet, Lust zu bereiten. Diese Eigenschaft soll ich erkennen lernen. Bleibe ich bei der Lust stehen, lasse ich mich ganz von ihr einnehmen, so bin ich es nur selbst, der sich auslebt; ist mir die Lust nur die Gelegenheit, eine Eigenschaft des Dinges zu erleben, so mache ich durch dieses Erlebnis mein Inneres reicher. Dem Forschenden müssen Lust und Unlust, Freude und Schmerz Gelegenheit sein, durch die er von den Dingen lernt. Der Forschende wird dadurch nicht stumpf gegen Lust und Schmerz; aber er erhebt sich über sie, damit sie ihm die Natur der Dinge offenbaren. Wer nach dieser Richtung hin sich entwickelt, wird einsehen lernen, welche Lehrmeister Lust und Schmerz sind. Er wird mit jedem Wesen mitempfinden und dadurch die Offenbarung von dessen Innerem empfangen. Der Forschende sagt sich niemals allein: oh, wie leide ich, wie freue ich mich, sondern stets: wie spricht das Leid, wie spricht die Freude. Er gibt sich hin, um Lust und Freude der Außenwelt auf sich einwirken zu lassen. Dadurch entwickelt sich in dem Menschen eine völlig neue Art, sich zu den Dingen zu stellen.
Früher ließ der Mensch diese oder jene Handlung auf diesen oder jenen Eindruck nur deshalb folgen, weil die Eindrücke ihn freuten oder ihm Unlust machten. Jetzt aber läßt er Lust und Unlust: auch die Organe sein, durch die ihm die Dinge sagen, wie sie, ihrem Wesen nach, selbst sind. Lust und Schmerz werden aus bloßen Gefühlen in ihm zu Sinnesorganen, durch welche die Außenwelt wahrgenommen wird. Wie das Auge nicht selbst handelt, wenn es etwas sieht, sondern die Hand handeln läßt, so bewirken Lust und Schmerz in dem geistig Forschenden, insofern er sie als Erkenntnismittel anwendet, nichts, sondern sie empfangen Eindrücke, und das, was durch Lust und Unlust erfahren ist, das bewirkt die Handlung. Wenn der Mensch in der Art Lust und Unlust übt, daß sie Durchgangsorgane werden, so bauen sie ihm in seiner Seele die eigentlichen Organe auf, durch die sich ihm die seelische Welt erschließt. Das Auge kann nur dadurch dem Körper dienen, daß es ein Durchgangsorgan für sinnliche Eindrücke ist; Lust und Schmerz werden zu Seelenaugen sich entwickeln, wenn sie aufhören, bloß für sich etwas zu gelten, und anfangen, der eigenen Seele die fremde Seele zu offenbaren.
Durch die genannten Eigenschaften setzt sich der Erkennende in die Lage, ohne störende Einflüsse seiner Eigenheiten dasjenige auf sich einwirken zu lassen, was in seiner Umwelt wesenhaft vorhanden ist. Er hat aber auch sich selbst in die geistige Umwelt in richtiger Art einzufügen. Er ist ja als denkendes Wesen Bürger der geistigen Welt. Er kann das nur in rechter Weise sein, wenn er während des Geisterkennens seinen Gedanken einen Ablauf gibt, der den ewigen Gesetzen der Wahrheit, den Gesetzen des Geisterlandes, entspricht. Denn nur so kann dieses Land auf ihn wirken und ihm seine Tatsachen offenbaren. Der Mensch gelangt nicht zur Wahrheit, wenn er sich nur den fortwährend durch sein Ich ziehenden Gedanken überläßt. Denn dann nehmen diese Gedanken einen Verlauf, der ihnen dadurch aufgedrängt wird, daß sie innerhalb der leiblichen Natur zum Dasein kommen. Regellos und wirr nimmt sich die Gedankenwelt eines Menschen aus, der sich der zunächst durch sein leibliches Gehirn bedingten Geistestätigkeit überläßt. Da setzt ein Gedanke ein, bricht ab, wird durch einen anderen aus dem Felde geschlagen.
Wer prüfend das Gespräch zweier Menschen belauscht, wer sich unbefangen selbst beobachtet, der erhält eine Vorstellung von dieser irrlichtelierenden Gedankenmasse. Solange nun der Mensch sich bloß den Aufgaben des Sinnenlebens widmet, so lange wird sein wirrer Gedankenablauf durch die Tatsachen der Wirklichkeit immer wieder zurechtgerückt. Ich mag noch so verworren denken: der Alltag drängt mir in meinen Handlungen die der Wirklichkeit entsprechenden Gesetze auf. Mein Gedankenbild einer Stadt mag sich als das regelloseste gestalten: will ich in der Stadt einen Weg machen, so muß ich mich den vorhandenen Tatsachen fügen. Der Mechaniker kann mit noch so bunt durcheinanderwirbelnden Vorstellungen seine Werkstätte betreten; er wird durch die Gesetze seiner Maschinen zu richtigen Maßnahmen geführt.
Innerhalb der Sinnenwelt üben die Tatsachen ihre fortwährende Korrektur für das Denken. Wenn ich eine falsche Ansicht über eine physische Erscheinung oder über die Gestalt einer Pflanze ausdenke, so tritt mir die Wirklichkeit entgegen und rückt mein Denken zurecht. Ganz anders ist es, wenn ich mein Verhältnis zu den höheren Gebieten des Daseins betrachte. Sie enthüllen sich mir nur, wenn ich ihre Welten schon mit einem streng geregelten Denken betrete. Da muß mir mein Denken den rechten, den sicheren Antrieb geben, sonst finde ich nicht die entsprechenden Wege. Denn die geistigen Gesetze, die sich in diesen Welten ausleben, sind nicht bis zur physisch-sinnlichen Art verdichtet und üben also auf mich nicht den gekennzeichneten Zwang aus. Ich vermag diese Gesetze nur zu befolgen, wenn sie mit meinen eigenen, als denen eines denkenden Wesens, verwandt sind. Ich muß mir hier selbst ein sicherer Wegweiser sein. Der Erkennende muß also sein Denken zu einem streng in sich geregelten machen. Die Gedanken müssen sich bei ihm allmählich ganz entwöhnen, den alltäglichen Gang zu nehmen. Sie müssen in ihrem ganzen Verlaufe den inneren Charakter der geistigen Welt annehmen. Er muß sich nach dieser Richtung beobachten können und in der Hand haben. Nicht willkürlich darf sich bei ihm ein Gedanke an den andern anreihen, sondern allein so, wie es dem strengen Inhalte der Gedankenwelt entspricht. Der Übergang von einer Vorstellung zur andern muß den strengen Denkgesetzen entsprechen. Der Mensch muß als Denker gewissermaßen stets ein Abbild dieser Denkgesetze darstellen. Alles, was nicht aus diesen Gesetzen fließt, muß er seinem Vorstellungsablauf verbieten. Tritt ihm ein Lieblingsgedanke in den Weg, so muß er ihn abweisen, wenn der in sich geregelte Ablauf dadurch gestört wird. Will ein persönliches Gefühl seinen Gedanken eine gewisse, nicht in ihnen liegende Richtung aufzwingen, so muß er es unterdrücken.
Plato hat von denjenigen verlangt, die in seiner Schule sein wollten, daß sie zuerst einen mathematischen Lehrgang durchmachen. Und die Mathematik mit ihren strengen Gesetzen, die sich nicht nach dem alltäglichen Gang der Sinneserscheinungen richten, ist wirklich eine gute Vorbereitung für den Erkenntnis Suchenden. Er muß sich, wenn er in ihr vorwärtskommen will, aller persönlichen Willkür, aller Störungen entschlagen. Der Erkenntnis Suchende bereitet sich für seine Aufgabe dadurch vor, daß er durch Willkür alle selbsttätig waltende Willkür des Denkens überwindet. Er lernt, rein den Forderungen des Gedankens zu folgen. Und so muß er lernen, in jeglichem Denken, das der Geisterkenntnis dienen soll, vorzugehen. Dies Gedankenleben selbst muß ein Abbild des ungestörten mathematischen Urteilens und Schließens sein. Er muß bestrebt sein, wo er geht und steht, in solcher Art denken zu können. Dann fließen die Gesetzmäßigkeiten der geistigen Welt in ihn ein, die spurlos an ihm vorüber- und durch ihn hindurchziehen, wenn sein Denken den alltäglichen, verworrenen Charakter trägt. Ein geordnetes Denken bringt ihn von sicheren Ausgangspunkten aus zu den verborgensten Wahrheiten. Solche Hinweise sollen aber nicht einseitig aufgefaßt werden. Wenn auch Mathematik eine gute Disziplinierung des Denkens bewirkt, so kann man doch zu einem reinen, gesunden und lebensvollen Denken auch kommen, ohne Mathematik zu treiben.
Und was der Erkenntnis Suchende für sein Denken anstrebt, das muß er auch für sein Handeln anstreben. Dies muß, ohne störende Einflüsse von seiten seiner Persönlichkeit, den Gesetzen des edlen Schönen und ewig Wahren folgen können. Diese Gesetze müssen ihm die Richtung geben können. Beginnt er etwas zu tun, was er als das richtige erkannt hat, und befriedigt sich an diesem Tun sein persönliches Gefühl nicht, so darf er den betretenen Weg deswegen nicht verlassen. Er darf ihn aber auch nicht verfolgen, weil er ihm Freude macht, wenn er findet, daß er mit den Gesetzen des ewig Schönen und Wahren nicht übereinstimmt. Im alltäglichen Leben lassen sich die Menschen von dem zu ihren Handlungen bestimmen, was sie persönlich befriedigt, was ihnen Früchte trägt. Dadurch zwingen sie die Richtung ihrer Persönlichkeit dem Gang der Welterscheinungen auf. Sie verwirklichen nicht das Wahre, das in den Gesetzen der geistigen Welt vorgezeichnet ist, sie verwirklichen die Forderung ihrer Willkür. Erst dann wirkt man im Sinne der geistigen Welt, wenn man allein deren Gesetze befolgt. Aus dem, was bloß aus der Persönlichkeit heraus getan wird, ergeben sich keine Kräfte, die eine Grundlage bilden können für Geisterkenntnis. Der Erkenntnis Suchende kann nicht bloß fragen: was bringt mir Frucht, womit habe ich Erfolg, sondern er muß auch fragen können: was habe ich als das Gute erkannt?
Verzicht auf die Früchte des Handelns für die Persönlichkeit, Verzicht auf alle Willkür: das sind die ernsten Gesetze, die er sich muß vorzeichnen können. Dann wandelt er in den Wegen der geistigen Welt, sein ganzes Wesen durchdringt sich mit diesen Gesetzen. Er wird frei von allem Zwang der Sinnenwelt: sein Geistmensch hebt sich heraus aus der sinnlichen Umhüllung. So gelangt er hinein in den Fortschritt zum Geistigen, so vergeistigt er sich selbst. Man kann nicht sagen: was nützen mir alle Vorsätze, rein den Gesetzen des Wahren zu folgen, wenn ich mich vielleicht über dieses Wahre irre? Es kommt auf das Streben, auf die Gesinnung an. Selbst der Irrende hat in dem Streben nach dem Wahren eine Kraft, die ihn von der unrichtigen Bahn ablenkt. Ist er im Irrtum, so ergreift ihn diese Kraft und führt ihn die Wege zum Rechten. Schon der Einwand: ich kann auch irren, ist störender Unglaube. Er zeigt, daß der Mensch kein Vertrauen hat in die Kraft des Wahren. Denn gerade darauf kommt es an, daß er sich nicht vermißt, von seinem eigensüchtigen Standpunkte aus sich die Ziele zu geben, sondern darauf, daß er sich selbstlos hingibt und von dem Geiste sich die Richtung bestimmen läßt. Nicht der eigensüchtige Menschenwille kann dem Wahren seine Vorschriften machen, sondern dieses Wahre selbst muß in dem Menschen zum Herrscher werden, muß sein ganzes Wesen durchdringen, ihn zum Abbild machen der ewigen Gesetze des Geisterlandes. Erfüllen muß er sich mit diesen ewigen Gesetzen, um sie ins Leben ausströmen zu lassen.
Wie sein Denken, so muß der Erkenntnis Suchende seinen Willen in strengem Gewahrsam haben können. Er wird dadurch in aller Bescheidenheit – ohne Anmaßung – ein Bote der Welt des Wahren und Schönen. Und dadurch, daß er dies wird, steigt er zum Teilnehmer der Geisteswelt auf. Dadurch wird er von Entwickelungsstufe zu Entwickelungsstufe gehoben. Denn man kann das geistige Leben nicht allein durch Anschauen, sondern man muß es dadurch erreichen, daß man es erlebt
Beobachtet der Erkenntnis Suchende diese dargestellten Gesetze, so werden bei ihm diejenigen seelischen Erlebnisse, die sich auf die geistige Welt beziehen, eine völlig neue Gestalt annehmen. Er wird nicht mehr bloß in ihnen leben. Sie werden nicht mehr bloß eine Bedeutung für sein Eigenleben haben. Sie werden sich zu seelischen Wahrnehmungen der höheren Welt ausbilden. In seiner Seele wachsen die Gefühle, wachsen Lust und Unlust, Freude und Schmerz zu Seelenorganen aus, wie in seinem Körper Augen und Ohren nicht bloß ein Leben für sich führen, sondern selbstlos die äußeren Eindrücke durch sich hindurchgehen lassen. Und dadurch gewinnt der Erkenntnis Suchende die Ruhe und Sicherheit in der Seelenverfassung, die für das Forschen in der Geisteswelt nötig sind. Eine große Lust wird ihn nicht mehr bloß jauchzen machen, sondern ihm Verkünderin sein können von Eigenschaften der Welt, die ihm vorher entgangen sind. Sie wird ihn ruhig lassen; und durch die Ruhe werden die Merkmale der lustbringenden Wesenheiten sich ihm offenbaren. Ein Schmerz wird ihn nicht mehr bloß mit Betrübnis ganz ausfüllen, sondern ihm auch sagen können, welche Eigenschaften das Schmerz verursachende Wesen hat. Wie das Auge nichts für sich begehrt, sondern dem Menschen die Richtung des Weges angibt, den er zu gehen hat, so werden Lust und Schmerz die Seele ihre Bahn sicher führen. Dies ist der Zustand des seelischen Gleichgewichtes, in den der Erkennende kommen muß. Je weniger Lust und Schmerz sich in den Wellen erschöpfen, die sie im Innenleben des Erkennenden aufwerfen, desto mehr werden sie Augen bilden für die übersinnliche Welt. Solange der Mensch in Lust und Leid lebt, so lange erkennt er nicht durch sie. Wenn er durch sie zu leben lernt, wenn er sein Selbstgefühl aus ihnen herauszieht, dann werden sie seine Wahrnehmungsorgane; dann sieht, dann erkennt er durch sie. Es ist unrichtig, zu glauben, der Erkennende werde ein trockener, nüchterner, lust- und leidloser Mensch. Lust und Leid sind in ihm vorhanden, aber dann, wenn er in der Geisteswelt forscht, in verwandelter Gestalt; sie sind «Augen und Ohren» geworden.
Solange man persönlich mit der Welt lebt, so lange enthüllen die Dinge auch nur das, was sie mit unserer Persönlichkeit verknüpft das aber ist ihr Vergängliches. Ziehen wir uns selbst von unserem Vergänglichen zurück und leben wir mit unserem Selbstgefühl, mit unserem «Ich» in unserem Bleibenden, dann werden die vergänglichen Teile an uns zu Vermittlern; und was sich durch sie enthüllt, das ist ein Unvergängliches, ein Ewiges an den Dingen. Dieses Verhältnis seines eigenen Ewigen zum Ewigen in den Dingen muß bei dem Erkennenden hergestellt werden können. Schon bevor er andere Übungen der beschriebenen Art aufnimmt und auch während derselben soll er seinen Sinn auf dieses Unvergängliche hinlenken. Wenn ich einen Stein, eine Pflanze, ein Tier, einen Menschen beobachte, soll ich eingedenk sein können, daß sich in all dem ein Ewiges ausspricht. Ich soll mich fragen können, was lebt als Bleibendes in dem vergänglichen Stein, in dem vergänglichen Menschen? Was wird die vorübergehende sinnliche Erscheinung überdauern?
Man soll nicht glauben, daß solches Hinlenken des Geistes zum Ewigen die hingebungsvolle Betrachtung und den Sinn für die Eigenschaften des Alltags in uns austilge und uns der unmittelbaren Wirklichkeit entfremde. Im Gegenteil. Jedes Blatt, jedes Käferchen wird uns unzählige Geheimnisse enthüllen, wenn unser Auge nicht nur, sondern durch das Auge der Geist auf sie gerichtet ist. Jedes Glitzern, jede Farbennuance, jeder Tonfall werden den Sinnen lebhaft und wahrnehmbar bleiben, nichts wird verlorengehen; nur unbegrenztes neues Leben wird hinzugewonnen werden. Und wer nicht mit dem Auge das Kleinste zu beobachten versteht, wird auch nur zu blassen, blutleeren Gedanken, nicht aber zu geistigem Schauen kommen.
Es hängt von der Gesinnung ab, die wir uns in dieser Richtung erwerben. Wie weit wir es bringen, das wird von unseren Fähigkeiten abhängen. Wir haben nur das Rechte zu tun und alles übrige der Entwickelung zu überlassen. Zunächst muß es uns genügen, unseren Sinn auf das Bleibende zu richten. Tun wir das, dann wird eben dadurch die Erkenntnis des Bleibenden uns aufgehen. Wir müssen warten, bis uns gegeben wird. Und es wird zur entsprechenden Zeit jedem gegeben, der in Geduld wartet und – arbeitet.
Bald bemerkt unter solchen Übungen der Mensch, welche gewaltige Verwandlung mit ihm vorgeht. Er lernt jedes Ding nur mehr in derjenigen Beziehung wichtig oder unwichtig nehmen, als er das Verhältnis dieses Dinges zu einem Bleibenden, Ewigen erkannt hat. Er kommt zu einer anderen Wertung und Schätzung der Welt, als er sie früher gehabt hat. Sein Gefühl bekommt ein anderes Verhältnis zu der ganzen Umwelt. Das Vergängliche zieht ihn nicht mehr bloß um seiner selbst willen an wie früher; es wird ihm auch noch ein Glied und Gleichnis des Ewigen. Und dieses Ewige, das in allen Dingen lebt, lernt er lieben. Es wird ihm vertraut, wie ihm vorher das Vergängliche vertraut war. Auch dadurch wird er nicht dem Leben entfremdet, sondern er lernt nur ein jegliches Ding seiner wahren Bedeutung nach schätzen. Selbst der eitle Tand des Lebens wird nicht spurlos an ihm vorüberziehen; aber der Mensch verliert sich, indem er nach dem Geistigen sucht, nicht mehr an ihn, sondern erkennt ihn in seinem begrenzten Wert. Er sieht ihn im rechten Lichte. Der ist ein schlechter Erkennender, der nur in Wolkenhöhen wandeln wollte und darüber das Leben verlöre. Ein wirklich Erkennender wird von seiner Gipfelhöhe aus durch klare Übersicht und rechte Empfindung für alles ein jegliches Ding an seinen Platz zu stellen wissen.
So eröffnet sich dem Erkennenden die Möglichkeit, nicht mehr den unberechenbaren Einflüssen der äußeren Sinnenwelt allein zu folgen, die sein Wollen bald da-, bald dorthin lenken. Er hat durch Erkenntnis in der Dinge ewiges Wesen geschaut. Er hat durch die Umwandlung seiner inneren Welt die Fähigkeit in sich, dieses ewige Wesen wahrzunehmen. Für den Erkennenden erhalten die folgenden Gedanken noch eine besondere Wichtigkeit. Wenn er aus sich heraus handelt, so ist er sich bewußt, aus dem ewigen Wesen der Dinge heraus zu handeln. Denn die Dinge sprechen in ihm dieses ihr Wesen aus. Er handelt also im Sinne der ewigen Weltordnung, wenn er aus dem in ihm lebenden Ewigen diesem seinem Handeln die Richtung gibt. Er weiß sich dadurch nicht mehr bloß von den Dingen getrieben; er weiß, daß er sie nach den ihnen selbst eingepflanzten Gesetzen treibt, welche die Gesetze seines eigenen Wesens geworden sind.
Dieses Handeln aus dem Innern kann nur ein Ideal sein, dem man zustrebt. Die Erreichung dieses Zieles liegt in weiter Ferne. Aber der Erkennende muß den Willen haben, diese Bahn klarzusehen. Dies ist sein Wille zur Freiheit. Denn Freiheit ist Handeln aus sich heraus. Und aus sich darf nur handeln, wer aus dem Ewigen die Beweggründe schöpft. Ein Wesen, das dies nicht tut, handelt nach anderen Beweggründen, als den Dingen eingepflanzt sind. Ein solches widerstrebt der Weltordnung. Und diese muß ihm gegenüber dann obsiegen. Das heißt: es kann letzten Endes nicht geschehen, was es seinem Willen vorzeichnet. Es kann nicht frei werden. Willkür des Einzelwesens vernichtet sich selbst durch die Wirkung ihrer Taten.
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Wer in solcher Art auf sein inneres Leben zu wirken vermag, schreitet von Stufe zu Stufe in der Geisterkenntnis vorwärts. Die Frucht seiner Übungen wird sein, daß seinem geistigen Wahrnehmen gewisse Einsichten in die übersinnliche Welt sich eröffnen. Er lernt, wie die Wahrheiten über diese Welt gemeint sind; und er wird von ihnen durch eigene Erfahrung die Bestätigung erhalten. Ist diese Stufe erstiegen, dann tritt an ihn etwas heran, was nur durch diesen Weg Erlebnis werden kann. Auf eine Art, deren Bedeutung ihm erst jetzt klarwerden kann, wird ihm durch die «großen geistigen Führermächte des Menschengeschlechtes» die sogenannte Einweihung (Initiation) zuteil. Er wird zum «Schüler der Weisheit». Je weniger man in einer solchen Einweihung etwas sieht, das in einem äußerlichen menschlichen Verhältnisse besteht, desto richtiger wird die darüber gebildete Vorstellung sein. Nur angedeutet kann hier werden, was mit dem Erkennenden nun vorgeht. Er erhält eine neue Heimat. Er wird dadurch bewußter Einheimischer in der übersinnlichen Welt. Der Quell geistiger Einsicht strömt ihm nunmehr aus einem höheren Orte zu. Das Licht der Erkenntnis leuchtet ihm nunmehr nicht von außen entgegen, sondern er wird selbst in den Quellpunkt dieses Lichtes versetzt In ihm erhalten die Rätsel, welche die Welt aufgibt, ein neues Licht. Er redet fortan nicht mehr mit den Dingen, die durch den Geist gestaltet sind, sondern mit dem gestaltenden Geiste selbst. Das Eigenleben der Persönlichkeit ist dann in den Augenblicken der Geisterkenntnis nur noch da, um bewußtes Gleichnis zu sein des Ewigen. Zweifel an dem Geist, die vorher in ihm noch aufkommen konnten, verschwinden; denn zweifeln kann nur, wen die Dinge über den in ihnen waltenden Geist täuschen. Und da der «Schüler der Weisheit» vermag, mit dem Geiste selbst Zwiesprache zu halten, so schwindet ihm auch jede falsche Gestalt, unter der er sich vorher den Geist vorgestellt hat.
Die falsche Gestalt, in der man sich den Geist vorstellt, ist Aberglaube. Der Eingeweihte ist über den Aberglauben hinaus, denn er weiß, welche des Geistes wahre Gestalt ist. Freiheit von den Vorurteilen der Persönlichkeit, des Zweifels und des Aberglaubens, das sind die Merkmale dessen, der auf dem Erkenntnispfade zur Schülerschaft aufgestiegen ist. Man soll nicht verwechseln dieses Einswerden der Persönlichkeit mit dem umfassenden Geistesleben mit einem die Persönlichkeit vernichtenden Aufgehen derselben in dem «Allgeist». Ein solches «Verschwinden» findet bei wahrer Entwickelung der Persönlichkeit nicht statt. Diese bleibt in dem Verhältnis, das sie mit der Geistwelt eingeht, als Persönlichkeit gewahrt. Nicht Überwindung, sondern höhere Ausgestaltung der Persönlichkeit findet statt. Will man ein Gleichnis für dieses Zusammenfallen des Einzelgeistes mit dem Allgeist, dann kann man nicht das wählen von verschiedenen Kreisen, die in einen zusammenfallen, um in diesem unterzugehen, sondern man muß das Bild vieler Kreise wählen, deren jeder eine ganz bestimmte Farbennuance hat. Diese verschiedenfarbigen Kreise fallen übereinander, aber jede einzelne Nuance bleibt in dem Ganzen ihrer Wesenheit bestehen. Keine verliert die Fülle ihrer Eigenkräfte.
Die weitere Schilderung des «Pfades» soll hier nicht gegeben werden. Sie ist, soweit dies möglich ist, in meiner «Geheimwissenschaft», welche die Fortsetzung dieses Buches bildet, gegeben.
Was hier über den geistigen Erkenntnispfad gesagt ist, kann nur allzuleicht durch eine mißverständliche Auffassung dazu verführen, in ihm eine Empfehlung solcher Seelenstimmungen zu sehen, die eine Abkehr vom unmittelbaren freudigen und tatkräftigen Erleben des Daseins mit sich bringen. Demgegenüber muß betont werden, daß diejenige Stimmung der Seele, welche diese geeignet macht, die Wirklichkeit des Geistes unmittelbar zu erleben, nicht wie eine allgemeine Anforderung über das ganze Leben ausgedehnt werden kann. Der Erforscher geistigen Daseins kann es in seine Gewalt bekommen, für diese Erforschung die Seele in die dazu notwendige Abgezogenheit von der sinnenfälligen Wirklichkeit zu bringen, ohne daß diese Abgezogenheit ihn im allgemeinen zu einem weltfremden Menschen macht.
Auf der anderen Seite muß aber auch erkannt werden, daß ein Erkennen der geistigen Welt, nicht etwa nur ein solches durch Betreten des Pfades, sondern auch ein solches durch Erfassen der geisteswissenschaftlichen Wahrheiten mit dem vorurteilsfreien gesunden Menschenverstande, auch zu einem höheren sittlichen Lebensstand, zu wahrheitsgemäßer Erkenntnis des sinnlichen Daseins, zu Lebenssicherheit und innerer seelischer Gesundheit führt.
[1] Man sieht wohl gerade aus dieser Angabe, daß es sich bei der Forderung der «rückhaltlosen Hingabe» nicht um die Ausscheidung des eigenen Urteils oder um Hingabe an blinden Glauben handelt. Dergleichen hätte doch einem Kinde gegenüber keinen Sinn.
[2] Dieses unbefangene Hingeben hat mit einem «blinden Glauben» nicht das geringste zu tun. Es kommt nicht darauf an, daß man blind an etwas glaubt, sondern darauf, daß man nicht das blinde Urteil» an Stelle des lebendigen Eindruckes setzt.
Einzelne Bemerkungen und Ergänzungen
Zu Seite 15. Von «Lebenskraft» sprechen galt noch vor kurzer Zeit als ein Merkmal eines unwissenschaftlichen Kopfes. Gegenwärtig beginnt man da und dort auch wieder in der Wissenschaft der Idee einer solchen «Lebenskraft» nicht abgeneigt zu sein, wie sie in älteren Zeiten angenommen worden ist. Wer den Gang der wissenschaftlichen Entwickelung in der Gegenwart durchschaut, wird aber doch die konsequentere Logik bei denjenigen sehen, welche in Anbetracht dieser Entwickelung von «Lebenskraft» nichts wissen wollen. Zu dem, was man gegenwärtig «Naturkräfte» nennt, gehört «Lebenskraft» durchaus nicht. Und wer von den Denkgewohnheiten und Vorstellungsarten der gegenwärtigen Wissenschaften nicht zu höheren übergehen will, der sollte nicht von «Lebenskraft» sprechen. Erst die Art des Denkens und die Voraussetzungen der «Geisteswissenschaft» machen es möglich, widerspruchslos an solche Dinge heranzutreten. Auch solche Denker, die ihre Anschauungen auf einem rein naturwissenschaftlichen Boden gewinnen wollen, haben gegenwärtig den Glauben verlassen, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch für die Erklärung der Lebenserscheinungen nur solche Kräfte gelten lassen wollte, die auch in der leblosen Natur wirksam sind. Das Buch eines so bedeutenden Naturforschers wie Oscar Hertwig: «Das Werden der Organismen. Eine Widerlegung von Darwins Zufallstheorie», ist eine weithin leuchtende wissenschaftliche Erscheinung. Es widerspricht der Annahme, daß die bloßen physikalischen und chemischen Gesetzeszusammenhänge das Lebendige gestalten können.
Bedeutsam ist es auch, daß im sogenannten Neovitalismus sich eine Anschauung geltend macht, die für das Lebendige wieder besondere Kraftwirkungen gelten läßt, ähnlich wie es die älteren Anhänger der «Lebenskraft» taten.
Aber niemand wird auf diesem Gebiete über schemenhaft abstrakte Begriffe hinausgelangen, der nicht anerkennen kann, daß sich das im Leben über die unorganischen Kräfte hinaus Wirksame nur in einer Wahrnehmung erreichen läßt, die zum Anschauen eines Übersinnlichen aufsteigt. Nicht auf eine gleichartige Fortsetzung des auf Unorganisches gerichteten naturwissenschaftlichen Erkennens in das Lebensgebiet hin kommt es an, sondern auf die Erringung einer andersgearteten Erkenntnis.
Zu Seite 15. Wenn hier vom «Tastsinn» der niederen Organismen gesprochen wird, so ist mit diesem Worte nicht das gemeint, was in den gewöhnlichen Darstellungen der «Sinne» mit diesem Ausdrucke bezeichnet wird. Gegen die Berechtigung dieses Ausdruckes könnte sogar vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft viel eingewendet werden. Es ist vielmehr hier mit «Tastsinn» ein allgemeines Gewahrwerden eines äußeren Eindruckes gemeint, im Gegensatz zu dem besonderen Gewahrwerden, das im Sehen, Hören und so weiter besteht.
Zu Seite 15-24. Es kann scheinen, als ob die in diesen Ausführungen gegebene Gliederung der menschlichen Wesenheit auf einer rein willkürlichen Unterscheidung von Teilen innerhalb des einheitlichen Seelenlebens beruhte. Demgegenüber ist zu betonen, daß diese Gliederung im einheitlichen Seelenleben eine ähnliche Bedeutung hat wie das Erscheinen der sieben Regenbogenfarbennuancen beim Durchgange des Lichtes durch ein Prisma. Was der Physiker vollbringt zur Erklärung der Lichterscheinungen, indem er diesen Durchgang und die sieben Farbennuancen in seinem Gefolge studiert, das vollbringt in entsprechender Art der Geistesforscher für die Seelenwesenheit. Die sieben Seelenglieder sind nicht bloße Unterscheidungen des abstrahierenden Verstandes. Sie sind dies ebensowenig wie die sieben Farben gegenüber dem Lichte. Es beruht in beiden Fällen die Unterscheidung auf der inneren Natur der Tatsachen. Nur daß die sieben Glieder am Lichte sichtbar werden durch eine äußerliche Vorrichtung, die sieben Glieder der Seele durch die auf das Wesen der Seele gehende geistgemäße Betrachtung. Es kann das wahre Wesen der Seele ohne die Erkenntnis dieser Gliederung nicht erfaßt werden. Denn durch die drei Glieder: physischer Leib, Lebensleib, Seelenleib, gehört die Seele der vergänglichen Welt an; durch die andern vier Glieder wurzelt sie im Ewigen. In der «einheitlichen Seele» ist Vergängliches und Ewiges unterschiedslos verbunden. Man kann, wenn man die Gliederung nicht durchschaut, nicht das Verhältnis der Seele zur Gesamtwelt kennenlernen. Noch ein anderer Vergleich darf gebraucht werden. Der Chemiker spaltet das Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff. Diese beiden Stoffe kann man in dem «einheitlichen Wasser» nicht beobachten. Sie haben aber ihre eigene Wesenheit. Sowohl der Wasserstoff als auch der Sauerstoff bilden Verbindungen mit anderen Stoffen. So gehen im Tode die drei «niederen Glieder der Seele» Verbindungen mit der vergänglichen Weltwesenheit ein; die vier höheren fügen sich dem Ewigen ein. Wer sich sträubt, in die Gliederung der Seele sich einzulassen, der gleicht einem Chemiker, der nichts davon wissen wollte, das Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu zerlegen.
Zu Seite 18. Geisteswissenschaftliche Darstellungen müssen ganz genau genommen werden. Denn nur in der genauen Prägung der Ideen haben sie einen Wert. Wer zum Beispiel in dem Satze: «Sie (die Empfindungen und so weiter) werden bei ihm (nämlich beim Tier) nicht mit selbständigen, über das unmittelbare Erleben hinausgehenden Gedanken durchwoben», die Worte «selbständigen, über das unmittelbare Erleben hinausgehenden» unbeachtet läßt, der könnte leicht in den Irrtum verfallen, hier werde behauptet, in dem Empfinden oder in den Instinkten der Tiere seien keine Gedanken enthalten. Nun steht aber gerade wahre Geisteswissenschaft auf dem Boden einer Erkenntnis, die sagt, daß alles innere Erleben der Tiere (wie alles Dasein überhaupt) gedankendurchwoben ist. Nur sind die Gedanken des Tieres nicht selbständige eines im Tiere lebenden «Ich», sondern sie sind diejenigen des tierischen Gruppen-Ich, welches als ein von außen das Tier beherrschendes Wesen anzusehen ist. Es ist dieses Gruppen-Ich nicht in der physischen Welt vorhanden wie das Ich des Menschen, sondern es wirkt auf das Tier herein aus der auf Seite 36 ff. beschriebenen Seelenwelt. (Genaueres darüber ist in meiner «Geheimwissenschaft» zu finden.) Worauf es beim Menschen ankommt, das ist, daß die Gedanken in ihm selbständiges Dasein gewinnen, daß sie nicht mittelbar in der Empfindung, sondern unmittelbar als Gedanken auch seelisch erlebt werden.
Zu Seite 20. Wenn gesagt wird, kleine Kinder sagen: «Karl ist brav», «Marie will das haben», so muß wohl beachtet werden, daß es weniger darauf ankommt, wie früh Kinder das Wort «Ich» gebrauchen, als darauf, wann sie mit diesem Worte die entsprechende Vorstellung verknüpfen. Wenn Kinder das Wort von Erwachsenen hören, so mögen sie immerhin dasselbe gebrauchen, ohne daß sie die Vorstellung des «Ich» haben. Doch deutet der zumeist späte Gebrauch des Wortes allerdings auf eine wichtige Entwickelungstatsachen hin, nämlich ich auf die allmähliche Entfaltung der Ich-Vorstellung aus dem dunklen Ich-Gefühl heraus.
Zu Seite 21 und 22. Man wird in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» und in meiner «Geheimwissenschaft» die eigentliche Wesenheit der «Intuition» beschrieben finden. Man könnte leicht bei ungenauer Beachtung der Sache zwischen dem Gebrauche dieses Wortes in den beiden Büchern und demjenigen, der sich in diesem Buche auf Seite 22 findet, einen Widerspruch finden. Er ist für den nicht vorhanden, der genau beachtet, daß dasjenige, was aus der geistigen Welt durch die Intuition sich in voller Wirklichkeit für die übersinnliche Erkenntnis enthüllt, sich in seiner niedersten Offenbarung dem Geistselbst so ankündigt wie das äußere Dasein der physischen Welt in der Empfindung.
Zu Seite 25 ff. Über «Wiederverkörperung des Geistes und Schicksal». Gegenüber den Ausführungen dieses Abschnittes wird zu bedenken sein, daß hier der Versuch gemacht ist, aus der gedanklichen Betrachtung des menschlichen Lebenslaufes selbst, ohne Hinblick auf geisteswissenschaftliche Erkenntnisse, wie sie in den andern Abschnitten dargestellt werden, Vorstellungen zu gewinnen darüber, inwiefern dieses Menschenleben und sein Schicksal über sich selbst hinaus zu wiederholten Erdenleben weist. Diese Vorstellungen werden ganz selbstverständlich demjenigen recht bedenklich erscheinen müssen, der nur die gewohnten, auf das Einzelleben gerichteten «fest begründet» findet. Allein, man sollte auch bedenken, daß die hier gegebene Darstellung die Meinung zu begründen sucht, eine solch gewohnte Vorstellungsart könne eben nicht zu Erkenntnissen über die Gründe des Lebenslaufes führen. Deshalb müssen andere Vorstellungen gesucht werden, die den gewohnten scheinbar widersprechen. Und man sucht diese anderen Vorstellungen nur dann nicht, wenn man es grundsätzlich ablehnt, auf einen nur seelisch zu erfassenden Verlauf von Vorgängen die gedankliche Betrachtung ebenso anzuwenden wie auf einen im Physischen sich vollziehenden. Bei einer solchen Ablehnung legt man zum Beispiel keinen Wert auf die Tatsache, daß ein Schicksalsschlag, der das Ich trifft, in der Empfindung sich verwandt erweist dem Auftreffen einer Erinnerung auf ein Erlebnis, das dem erinnerten verwandt ist. Aber wer versucht, wahrzunehmen, wie ein Schicksalsschlag wirklich erlebt wird, der kann dieses Erleben unterscheiden von den Aussagen, die entstehen müssen, wenn der Gesichtspunkt in der Außenwelt genommen wird und dadurch jede lebendige Beziehung des Schlages zum Ich selbstverständlich wegfällt. Für einen solchen Gesichtspunkt erscheint der Schlag entweder als Zufall oder als eine von außen kommende Bestimmung. Da es auch solche Schicksalsschläge gibt, die gewissermaßen einen ersten Einschlag in das Menschenleben bilden und die ihre Folgen erst später zeigen werden, ist die Versuchung um so größer, das für diese Geltende zu verallgemeinern und auf eine andere Möglichkeit gar nicht zu achten. Man beginnt erst darauf zu achten, wenn die Lebenserfahrungen das Vorstellungsvermögen in eine Richtung bringen, wie sie bei Goethes Freund Knebel sich findet, der in einem Briefe schreibt:
«Man wird bei genauer Beobachtung finden, daß in dem Leben der meisten Menschen sich ein gewisser Plan findet, der, durch die eigene Natur oder durch die Umstände, die sie führen, ihnen gleichsam vorgezeichnet ist. Die Zustände ihres Lebens mögen noch so abwechselnd und veränderlich sein, es zeigt sich am Ende doch ein Ganzes, das unter sich eine gewisse Übereinstimmung bemerken läßt … Die Hand eines bestimmten Schicksals, so verborgen sie auch wirken mag, zeigt sich auch genau, sie mag nun durch äußere Wirkung oder innere Regung bewegt sein: ja, widersprechende Gründe bewegen sich oftmals in ihrer Richtung. So verwirrt der Lauf ist, so zeigt sich immer Grund und Richtung durch.»
Solch einer Beobachtung kann leicht mit Einwänden begegnet werden, insbesondere von solchen Persönlichkeiten, die sich auf die Beachtung der Seelenerlebnisse nicht einlassen wollen, aus der sie stammt. Der Verfasser dieses Buches glaubt in den Ausführungen über wiederholte Erdenleben und Schicksal aber genau die Grenzen gezeichnet zu haben, innerhalb der man Vorstellungen über die Gründe der Lebensgestaltung bilden kann. Er hat darauf verwiesen, daß die Anschauung, zu der diese Vorstellungen lenken, von ihnen nur «silhouettenhaft» bestimmt wird, daß sie nur gedanklich vorbereiten können auf dasjenige, was geisteswissenschaftlich gefunden werden muß. Aber diese gedankliche Vorbereitung ist eine innere Seelenverrichtung, die, wenn sie ihre Tragweite nicht falsch einschätzt, wenn sie nicht «beweisen», sondern die Seele bloß «üben» will, den Menschen vorurteilslos-empfänglich macht für Erkenntnisse, die ihm ohne solche Vorbereitung töricht erscheinen.
Zu Seite 38. Was in diesem Buche in dem späteren Kapitel «Pfad der Erkenntnis» von «geistigen Wahrnehmungsorganen» nur kurz gesagt wird, davon findet sich eine ausführliche Darstellung in meinen Büchern «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» und in meiner «Geheimwissenschaft».
Zu Seite 48. Es wäre unrichtig, wenn man deswegen eine rastlose Unruhe in der geistigen Welt annehmen wollte, weil es in ihr «eine Ruhe, ein Verweilen an einem Orte, wie sie in der physischen Welt vorhanden sind», nicht gibt. Es ist dort, wo «die Urbilder schaffende Wesenheiten» sind, zwar nicht das vorhanden, was «Ruhe an einem Orte» genannt werden kann, wohl aber jene Ruhe, welche geistiger Art ist und welche mit tätiger Beweglichkeit vereinbar ist. Sie läßt sich vergleichen mit der ruhigen Befriedigung und Beseligung des Geistes, die im Handeln, nicht im Untätigsein sich offenbaren.
Zu Seite 49 und 50. Man muß das Wort «Absichten» gegenüber den treibenden Gewalten der Weltentwickelung gebrauchen, obwohl dadurch zu der Versuchung Veranlassung gegeben wird, diese Gewalten einfach so vorzustellen, wie menschliche Absichten sind. Vermieden kann diese Versuchung nur werden, wenn man sich bei solchen Worten, die doch nun einmal aus dem Bereich der menschlichen Welt genommen werden müssen, erhebt zu einer Bedeutung derselben, in welcher ihnen alles genommen ist, was sie an engbegrenztem Menschlichem haben, dafür ihnen aber gegeben wird dasjenige, was der Mensch ihnen in den Fällen seines Lebens annähernd gibt, in denen er sich gewissermaßen über sich selbst erhebt.
Zu Seite 50. Weiteres über das «geistige Wort» findet man in meiner «Geheimwissenschaft».
Zu Seite 55. Wenn an dieser Stelle gesagt ist: «… er kann von dem Ewigen aus die Richtung für die Zukunft bestimmen», so ist dies ein Hinweis auf die besondere Art der menschlichen Seelenverfassung in der entsprechenden Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Ein Schicksalsschlag, der den Menschen im Leben der physischen Welt trifft, kann für die Seelenverfassung dieses Lebens etwas dem Willen des Menschen ganz Widerstrebendes zu haben scheinen: in dem Leben zwischen Tod und Geburt waltet in der Seele eine dem Willen ähnliche Kraft, welche dem Menschen die Richtung gibt nach dem Erleben dieses Schicksalsschlages. Die Seele sieht gewissermaßen, daß ihr aus früheren Erdenleben eine Unvollkommenheit anhaftet. Eine Unvollkommenheit, die von einer unschönen Tat oder einem unschönen Gedanken herrührt. In der Seele entsteht zwischen Tod und Geburt der willensähnliche Impuls, die Unvollkommenheit auszugleichen. Sie nimmt deswegen in ihr Wesen die Tendenz auf, in dem weiteren Erdenleben sich in ein Unglück zu stürzen, um durch dessen Erleiden den Ausgleich herbeizuführen. Nach der Geburt im physischen Leibe ahnt die Seele, die von einem Schicksalsschlage getroffen wird, nicht, daß sie in dem rein geistigen Leben vor der Geburt sich selbst die Richtung nach diesem Schicksalsschlage gegeben hat. Was also völlig ungewollt erscheint vom Gesichtspunkt des Erdenlebens, ist von der Seele gewollt im Übersinnlichen. «Von dem Ewigen aus bestimmt sich der Mensch die Zukunft.»
Zu Seite 61 ff. Das Kapitel dieses Buches: «Von den Gedankenformen und der menschlichen Aura», ist wohl das, welches am leichtesten zu Mißverständnissen Anlaß gibt. Gegnerische Empfindungen finden gerade in diesen Ausführungen die besten Gelegenheiten zu ihren Einwänden. Es liegt zum Beispiel wirklich recht nahe, zu verlangen, daß die Aussagen des Sehers auf diesem Gebiete durch Versuche bewiesen werden sollen, welche der naturwissenschaftlichen Vorstellungsart entsprechen. Man kann fordern, es sollen sich eine Anzahl von Menschen, die vorgeben, das Geistige der Aura zu schauen, anderen Menschen gegenüberstellen und deren Aura auf sich wirken lassen. Dann mögen die Seher sagen, welche Gedanken, Empfindungen und so weiter sie als Aura bei den beobachteten Menschen schauen. Wenn dann ihre Angaben untereinander übereinstimmen und wenn sich herausstellt, daß die beobachteten Menschen wirklich die von den Sehern angegebenen Empfindungen, Gedanken und so weiter gehabt haben, dann wolle man an das Vorhandensein der Aura glauben. Das ist gewiß ganz naturwissenschaftlich gedacht allein, es kommt das Folgende in Betracht: Die Arbeit des Geistesforschers an der eigenen Seele, die ihm die Fähigkeit des geistigen Schauens gibt, geht dahin, eben diese Fähigkeit zu erwerben. Ob er dann in einem einzelnen Falle etwas in der geistigen Welt wahrnimmt und was er wahrnimmt, das hängt nicht von ihm ab. Das fließt ihm zu als eine Gabe aus der geistigen Welt. Er kann sie nicht erzwingen, er muß warten, bis sie ihm wird. Seine Absicht, die Wahrnehmung herbeizuführen, kann nie zu den Ursachen des Eintreffens dieser Wahrnehmung gehören. Gerade diese Absicht aber fordert die naturwissenschaftliche Vorstellungsart für das Experiment. Die geistige Welt aber läßt sich nicht befehlen. Sollte der Versuch zustande kommen, so müßte er von der geistigen Welt aus angestellt werden. In dieser müßte ein Wesen die Absicht haben, die Gedanken eines oder mehrerer Menschen einem oder mehreren Sehern zu offenbaren. Diese Seher müßten dann durch «geistigen Antrieb» zur Beobachtung zusammengeführt werden. Dann würden ihre Angaben ganz gewiß miteinander stimmen. So paradox dies alles für das rein naturwissenschaftliche Denken erscheinen mag: es ist doch so. Geistige «Experimente» können nicht wie physische zustande kommen. Wenn der Seher zum Beispiel den Besuch einer ihm fremden Person erhält, so kann er nicht ohne weiteres sich «vornehmen», die Aura dieser Person zu beobachten. Aber er schaut die Aura, wenn innerhalb der geistigen Welt Veranlassung ist, daß sie sich ihm enthüllt.
Mit diesen wenigen Worten soll nur auf das Mißverständliche des oben angedeuteten Einwurfes hingewiesen werden. Was die Geisteswissenschaft zu erfüllen hat, ist, anzugeben, auf welchem Wege der Mensch zum Schauen der Aura kommt; auf welchem Wege er sich also selbst die Erfahrung von ihrem Vorhandensein verschaffen kann. Es kann also die Wissenschaft dem, der erkennen will, nur erwidern: wende die Bedingungen des Schauens auf deine eigene Seele an, und du wirst schauen. Die obige Forderung der naturwissenschaftlichen Vorstellungsart erfüllt zu sehen, wäre allerdings bequemer; allein, wer sie stellt, zeigt, daß er sich nicht von den allerersten Ergebnissen der Geisteswissenschaft wirklich unterrichtet hat.
Mit der in diesem Buche gegebenen Darstellung der «menschlichen Aura» sollte nicht der auf das «Übersinnliche» gehenden Sensationslust entgegengekommen werden, die sich gegenüber der geistigen Welt nur dann für befriedigt erklärt, wenn man ihr etwas als «Geist» vorweist, das sich in der Vorstellung nicht von dem Sinnlichen unterscheidet, bei dem sie also mit ihrem Vorstellen bequem in diesem Sinnlichen bleiben kann. Was auf seiten 61 und 62 f. gesagt ist über die besondere Art, wie die aurische Farbe vorzustellen ist, könnte doch wohl geeignet sein, diese Darstellung vor einem solchen Mißverständnis zu bewahren. Aber es muß auch von dem, der nach rechter Einsicht auf diesem Gebiete strebt, durchschaut werden, daß die Menschenseele notwendig die geistige – nicht sinnliche – Anschauung des Aurischen vor sich hinstellt, wenn sie das Erlebnis des Geistigen und Seelischen hat. Ohne eine solche Anschauung bleibt das Erlebnis im Unbewußten. Man sollte die bildhafte Anschauung nicht mit dem Erlebnis selbst verwechseln; aber man sollte sich auch klar darüber sein, daß in dieser bildhaften Anschauung das Erlebnis einen völlig zutreffenden Ausdruck findet. Nicht einen solchen etwa, den die anschauende Seele willkürlich macht, sondern einen solchen, der sich selbst im übersinnlichen Wahrnehmen bildet.
Man wird gegenwärtig einem Naturforscher verzeihen, wenn er sich veranlaßt findet, von einer Art «menschlicher Aura» so zu sprechen, wie es Professor Dr. Moritz Benedikt in seinem Buche über «Ruten- und Pendellehre» tut. «Es gibt, wenn auch eine geringe Anzahl von Menschen, die ‹dunkelangepaßt› sind. Ein relativ größerer Teil dieser Minorität sieht in der Dunkelheit sehr viel Objekte ohne Farben, und nur relativ sehr wenige sehen die Objekte auch gefärbt … Eine größere Anzahl Gelehrte und Ärzte wurden in meiner Dunkelkammer von meinen zwei klassischen ‹Dunkelangepaßten› … untersucht, und es konnte den von denselben Untersuchten kein gerechter Zweifel an der Richtigkeit der Beobachtung und Schilderung zurückbleiben … Farbenwahrnehmende Dunkelangepaßte sehen nun an der Vorderseite die Stirn und den Scheitel blau, die übrige rechte Hälfte ebenfalls blau und die linke rot oder manche … orangegelb. Rückwärts findet dieselbe Teilung und dieselbe Färbung statt.» Aber man wird das Sprechen von «Aura» dem Geistesforscher nicht so leicht verzeihen. Hier soll nun weder zu diesen Ausführungen Benedikts – die zu den interessantesten der modernen Naturlehre gehören – irgendwie Stellung genommen werden, noch soll eine billige Gelegenheit ergriffen werden, die manche so gerne ergreifen, um Geisteswissenschaft durch die Naturwissenschaft zu «entschuldigen». Es sollte nur darauf hingewiesen werden, wie in einem Falle ein Naturforscher zu Behauptungen kommen kann, die solchen der Geisteswissenschaft nicht so ganz unähnlich sind. Betont muß dabei aber auch werden, daß die geistig zu erfassende Aura, von der in diesem Buche die Rede ist, etwas ganz anderes ist als die mit physischen Mitteln zu erforschende, von der bei Benedikt die Rede ist. Man gibt sich natürlich einer groben Täuschung hin, wenn man meint, die «geistige Aura» könne ein mit äußeren naturwissenschaftlichen Mitteln zu Erforschendes sein. Sie ist nur dem geistigen Schauen zugänglich, das durch den Erkenntnispfad gegangen ist (wie er im letzten Kapitel dieses Buches beschrieben ist). Aber auf einem Mißverständnisse beruhte es auch, wenn man geltend machte, daß die Wirklichkeit des geistig Wahrzunehmenden auf dieselbe Art erwiesen werden soll wie diejenige des sinnlich Wahrzunehmenden.
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