Wissenschaft und Esoterik IXX – Die Organisation des Geheimnisses

Zuletzt aktualisiert am 10. März 2020.

5. Die Organisation des Geheimnisses

Schrieb eine Freimaurer-Oper: Wolfgang Amadeus Mozart

Wie die Anhänger der alten Weisheit in der Renaissance waren auch die Alchemisten überzeugt, sie müssten die erhabene Weisheit wieder finden, die unter einem Schleier von Bildern und Symbolen verborgen und nahezu vergessen war. Beide betrachteten Hermes Trismegistos als Urheber des verlorenen Wissens und beide glaubten, dieses sei von inspirierten Weisen oder alchymischen Adepten in geheimer Form von einer Generation zur anderen weiter gegeben worden.

Aber vor dem 17. Jahrhundert scheint – laut Hanegraaff – niemand auf die Idee gekommen zu sein, dass die Übermittlung des geheimes Wissens einer gewissen äußeren Organisation bedürfe. Erst in der »Fama Fraternitatis« der Rosenkreuzer taucht 1614 die Idee einer »geheimen Bruderschaft« auf, der genau diese Funktion zugeschrieben wird. Die »Fama« schrieb den »okkulten Wissenschaften« die Aufgabe zu, die Geheimnisse der Natur zu erforschen. Während die Legende der Rosenkreuzer sich auf den Flügeln des Paracelsismus entfaltete, verband sie sich mit den Traditionen der Alchemie. Diese enthielt bereits wunderbare Wandlungserzählungen über geistige Wiedergeburt und Regeneration, die sowohl auf den einzelnen Menschen als auch auf die Gesellschaft angewandt werden konnten. Die Idee der hermetischen Adepten, die ihre Geheimnisse durch eine symbolische Sprache mitteilten, passte wie angegossen auf eine geheime Bruderschaft, die ebendies mit ihrigen eigenen Überlieferungen tat. Von hier war es nicht mehr weit bis zu der Vorstellung, die Mitglieder dieser unsichtbaren Bruderschaft besäßen aufgrund ihrer Meisterschaft in den »okkulten Wissenschaften« außerordentliche magische Kräfte.

Vor dem Hintergrund der wachsenden Spannung zwischen Protestanten und Katholiken, die sich schließlich im 30jährigen Krieg entluden, nahmen die Rosenkreuzer in den Augen mancher Autoren die Gestalt einer protestantischen Verschwörergruppe an, die im Geheimen gegen den Jesuitenorden arbeitete. Noch immer ist die Frage unbeantwortet, wann und wie genau die Legende der Rosenkreuzer zur Begründung von rosenkreuzerischen Organisationen führte, die nach dem Modell dieser Legende aufgebaut waren und ob die Bruderschaft nicht schon zuvor in irgendeiner Form bestanden hatte. Mit der Gründung der Freimaurerei wurde die Idee einer geheimen Bruderschaft jedenfalls historisch nachweisbare Realität.

Die Frage ist jedoch, wann entstand die Freimaurerei? Die traditionelle Erzählung über den Ursprung der Freimaurerei, die Ende der 1980er Jahre gründlich dekonstruiert wurde, wird immer noch gerne erzählt. Danach soll sie als rationalistische und humanitäre Organisation 1717 in Gestalt der Großloge von England begründet worden sein. In Frankreich soll sie ab 1740 durch die Einführung von Hochgraden mit esoterischen Inhalten, die der ursprünglichen Freimaurerei fremd waren, eine Wende zum »Irrationalen« genommen haben. David Stevenson hat 1988 in einer bahnbrechenden Studie nachgewiesen, dass das Jahr 1717 für die Geschichte der Freimaurerei, die bis 1600 zurückverfolgt werden kann, nahezu irrelevant ist (David Stevenson, »The Origins of Freemasonry: Scotland’s Century, 1590-1710«.)

Die Vorgeschichte der Freimaurerei reicht bis ins Mittelalter zurück. Die Gilden der Maurer, deren vornehmste Aufgabe im Bau von Kathedralen bestand, waren damals lokal organisiert und die Maurer reisten von Ort zu Ort ihrer Arbeit nach. Sie gründeten Treffpunkte, sogenannte Logen, in denen sie essen und schlafen konnten. Um festzustellen, ob Fremde ausgebildete Mitglieder der Gilde waren, wurden Erkennungsrituale entwickelt. Bevor sie zur Loge zugelassen werden konnten, wurden die Neuankömmlinge durch praktische Aufgabenstellungen, Fragen zur Legende der Gilde oder mit Hilfe von Passworten geprüft. Nach der Zulassung mussten sie schwören, den Regeln des Handwerks zu folgen und seine Geheimnisse zu wahren.

Die Legende des Maurertums ist für die Geschichte der Freimaurerei von Bedeutung. Sie ist in verschiedenen Fassungen in der sogenannten »Alten Konstitution« enthalten. Hier wird die Maurerei mit der Geometrie, einer der sieben mittelalterlichen freien Künste gleichgesetzt. Diese wurde angeblich von Jabal, einem der Söhne Lamechs erfunden. Dieser hatte die Geheimnisse der Kunst auf einer Säule aufgetragen, welche die Sintflut überstand. Hermarius, ein Enkel des Moses, der in Wahrheit Hermes Trismegistos war, hatte sie wiederentdeckt. Durch ihn verbreitete sich die Kunst auf der ganzen Welt. Abraham und sein Partner Euklid brachten sie den Ägyptern bei, von hier kam sie ins Heilige Land, wo David und Salomo den Tempel von Jerusalem erbauten. Von hier aus verbreitete sie sich weiter und gelangte dank St. Alban auch nach England. Auch andere Gilden besaßen solche Ursprungslegenden, aber die der Maurer drückt besonders den berechtigten Stolz auf eine Kunst aus, der das Mittelalter seine großen Kathedralen verdankte.

Ende des 17. Jahrhunderts verfasste ein schottischer Meister namens William Shaw neue Statuten, die alle Elemente enthielten, die sich auch noch heute in der Freimaurerei finden. Die Symbolik der Freimaurerei entlehnte ihre Sprache aus der hermetischen Philosophie der Renaissance, wie schon Frances Yates 1964 in ihrem Buch über Giordano Bruno feststellte. Dadurch lag ihre Verknüpfung mit den Rosenkreuzern und der Alchemie nahe, besonders als während des 17. Jahrhunderts die Aufnahme von nicht-operativen, also nicht als Maurer tätigen Brüdern, begann. Berühmt ist der Fall von Elias Ashmole, der 1646 initiiert wurde. Ashmole war Antiquar, Autor alchemistischer Bücher und Anhänger einer großen Synthese der okkulten Wissenschaften. Es war nur logisch, dass Ashmole als Alchemist um Aufnahme in die Bruderschaft begehrte, denn wenn die Alchemisten ihre Geheimnisse in der Architektur der Kathedralen verborgen hatten, wie die Legende von Nicolas Flamel behauptete, dann kannten die Maurer möglicherweise diese Geheimnisse.

Die Freimaurerei war bei weitem nicht jene rationalistische und humanistische Vereinigung, als die sie die traditionelle Erzählung ausgibt. Noch Anfang des 18. Jahrhunderts gehörten ihr Rosenkreuzer und Adepten an, die den Orden auf »Hermes Trismegistos, den manche auch Moses nennen«, zurückführten. Viele hielten die Freimaurer daher für Alchemisten. Das ist nicht verwunderlich. Wie auch die Bruderschaft der Rosenkreuzer war der Freimaurerorden streng christlich (Juden, Muslime und Heiden waren ausgeschlossen, Eide wurden auf die Bibel geschworen, Toleranz galt nur für die diversen christlichen Sekten). Freimaurerei und Alchemie wurzelten in mittelalterlichen Künsten und verfügten über ähnliche Ursprungslegenden, die Hermes und Ägypten eine zentrale Rolle zusprachen. Da man die Rosenkreuzer als Hüter des alten geheimen Wissens, besonders der Alchemie, betrachtete, lag es nahe, solche Kenntnisse auch den Freimaurern zuzuschreiben. Und wie die Alchemisten suchten die Freimaurer nach einem verlorengegangenen Wissen, dem »verlorenen Meisterwort« oder dem Geheimnis in dessen Besitz sich Hiram Abiff, der Erbauer des salomonischen Tempels befunden haben sollte. Für viele Uneingeweihte lag daher der Schluss nahe, dass die Freimaurer dasselbe Geheimnis bewahrten, wie die Rosenkreuzer.

Aus diesem Grund ist die Explosion der Hochgrade mit ihren Anspielungen auf okkulte Wissenschaften seit 1740 oder die Alchemie der Gold- und Rosenkreuzer auch keine Verirrung innerhalb der Freimaurerei, sondern eine logische Weiterentwicklung der alten maurerischen Traditionen. Wenn es eine Abweichung von diesen alten Traditionen gab, dann so Hanegraaff, war das die rationalistische, humanistische und deistische Richtung, die die englische Maurerei zu beherrschen begann. Ebenso wie die moderne Chemie sich konstituierte, indem sie Teile ihrer eigenen Geschichte von sich abtrennte, entstand auch die moderne Freimaurerei, indem sie einen Teil ihrer Tradition von sich abspaltete. Bei der ersteren war es die Alchemie, bei der letzteren die Idee der »okkulten Bruderschaft«. Dieser Abspaltungsprozess lässt sich bis auf die Konstitution von Anderson aus dem Jahr 1723 zurückverfolgen, aus der alle Erwähnungen von Hermes Trismegistos gestrichen sind und nur die Bibel als Referenz übrigblieb. Moses trat nun an die Stelle der Ägypter. Die englische Maurerei benötigte zwar weiterhin eine altehrwürdige Legende, hielt aber die hermetische Tradition für überflüssig.

Nachdem erst einmal aus der Legende des Rosenkreuzertums reale initiatorische Organisationen wie die Freimaurerei entstanden waren, konnte deren Existenz in die Vergangenheit zurückprojiziert werden – vorausgesetzt, man geht nicht davon aus, dass die Ursprungslegenden nicht doch irgendeinen historischen Kern enthalten. Hanegraaff jedenfalls geht davon aus, dass die Geschichten der alten Weisheit nun im Sinne der Idee der geheimen Bruderschaften umgeschrieben wurden. Und er hält diesen Vorgang für äußerst bedeutsam. Denn nicht einmal die extremen Gegner des Heidentums, die an eine häretische, vom Teufel inspirierte Gegentradition glaubten, hatten sich vorgestellt, die alte Weisheit sei durch geheime Untergrundorganisationen tradiert worden. Die politischen Implikationen dieser Idee waren enorm: auf einmal waren »okkulte«, geheime Verschwörungen von Menschen vorstellbar, die auf die Umwälzung der bestehenden Ordnung abzielten. Diese Idee sollte für die Art, wie man im 19. und 20. Jahrhundert das »Okkulte« imaginierte von herausragender Bedeutung sein: aus ihr entstanden politisch verhängnisvolle Verschwörungstheorien über Juden, Freimaurer oder Satanisten bis hin zu Dan Browns »Da Vinci Code«.

Im 18. Jahrhundert wurde der Diskurs über geheime Gesellschaften von Initiierten, die hinter den Kulissen der Geschichte ihre eigenen wohlwollenden oder düsteren Absichten verfolgten, zunehmend komplexer. Einige Motive sind für die Geschichte der Esoterik besonders bedeutsam. Zu diesen gehört die Auseinandersetzung über die jüdische Sekte der Essäer. Die ägyptischen Therapeuten wurden fälschlicherweise als ihr Gegenstück identifiziert. Schon Eusebius hatte die Essäer als frühe christliche Mönche gedeutet. Nach der Reformation verteidigten viele katholische Autoren das Mönchstum unter Verweis auf die »christlichen« Essäer, während die Protestanten darauf beharrten, diese seien Juden gewesen. Katholiken erklärten Jesus, Maria, Johannes den Täufer und die Apostel zu Essäern, – eine Identifikation, die bis heute überlebt hat.

Die moderne Phase der Essäerlegende begann mit einem Text von Johann Georg Wachter, der 1707 in einem einflussreichen Text die historisch abenteuerliche Behauptung aufstellte, die Essäer seien Anhänger einer dezidiert natürlichen Theologie auf deistischer Grundlage gewesen, die bis auf das alte Ägypten und die Kabbala zurückgehe. Jesus war nach Wachter ein Essäer und keineswegs von Gott inspiriert, sondern rein menschlicher Erfinder einer neuen Religion. Diese These wurde von Aufklärern wie Voltaire und Friedrich dem Großen aufgegriffen. Der »Essäer Jesus« sollte eine rein deistische Religion begründet haben. So verstanden konnte dieses »ursprüngliche essäische Christentum« von Protestanten und Aufklärern als Waffe gegen dessen Hellenisierung durch die katholische Kirche benutzt werden. 1792 formulierte ein Autor, das Christentum sei reiner Essäismus gewesen, bis zu dem Zeitpunkt, als Paulus mit der Heidenmission begann. Die Vorstellung der Essäer als einer Bruderschaft mit einer vernünftigen, deistischen Religion machte sie für die englischen Freimaurer attraktiv. Schon 1730 wurden sie als Freimaurer »avant la lettre« beschrieben, bald auch als die »wahren« Freimaurer. Aber auch Aufklärer, die keine Freimaurer waren, begannen die Essäer als geheime Bruderschaft zu betrachten, welche die Ideale der Aufklärung vertreten und überall auf der Welt ihre Spuren hinterlassen hatte. Manche Theologen modellierten Ende des 18. Jahrhunderts das Bild der Essäer exakt nach dem Vorbild der zeitgenössischen Freimaurerei, als geheime Bruderschaft mit Passworten, Prüfungsritualen, Einweihungsgraden und weltweiter Verbreitung.

Die Essäer wurden zu Erben der alten Traditionen des orientalisierten Platonismus und mit den Mysterienreligionen der Antike in Verbindung gebracht. Für Freimaurer war der Pythagoräismus wegen der Geometrie von besonderem Interesse. Aber um die Freimaurerei auf antike initiatische Orden zurückführen zu können, musste noch rund ein Jahrtausend überbrückt werden. Hier kamen die Tempelritter ins Spiel.

Da der salomonische Tempel in der maurerischen Symbolik eine zentrale Rolle spielte, lag eine Verknüpfung der Maurerei mit den Tempelrittern nahe. 1736 stellte Andrew Michael Ramsay die Kreuzritter als Vorfahren der Freimaurer dar. Schon vor 1750 führte diese Verknüpfung zur Gründung eines Templerhochgrades, des »Ordens der sublimen auserwählten Ritter«, auf den ein ganzes System von Templermaurerei, die »Strikte Observanz«, folgte, die in Deutschland zwischen 1750 und 1770 den Ton angab. Wer zum inneren Zirkel zugelassen wurde, erfuhr, dass die Tempelritter in der Freimaurerei überlebt hatten und von »unbekannten Oberen« gelenkt wurden. Aus dieser maurerischen Tradition entstanden nichtmaurerische Neutemplervereinigungen, die bis heute existieren.

Die Templer, so die Legende, kamen im Heiligen Land mit geheimen essäischen und pythagoräischen Traditionen in Kontakt. Als Philipp IV. den Templerorden aufrieb, rettete der letzte Großmeister Jacques de Molay dessen Geheimnisse vor dem Untergang. Sie gelangten schließlich nach Schottland, ins Ursprungsland der Maurerei. Seither hatte immer eine ununterbrochene Folge von Großmeistern existiert, auch wenn ihre Namen und Aufenthaltsorte den Uneingeweihten verborgen geblieben waren. Die Zeit war noch nicht gekommen, um die Geheimnisse des Ordens zu enthüllen. Diese Legende, die 1760 das erste Mal auftauchte, enthält alle Elemente einer Erzählung, die in »okkultistischen« Kreisen bis zum heutigen Tag aufrecht erhalten wird. Es handelt sich um eine Variante der Erzählung von der alten Weisheit, die aus dem alten Orient kam. Die Essäer hatten sie aus pythagoräischen Quellen im Heiligen Land entgegengenommen, von hier hatten die Templer sie nach Schottland gebracht. Von dieser Legende einer Verbindung der Pythagoräer über die Essäer und die Templer zu den Freimaurern ging eine sich uferlos vermehrende Zahl von historischen Fantasien und Verschwörungstheorien über geheime Netzwerke und Gesellschaften aus, die das letzte Geheimnis suchen oder in dessen Besitz sind.

Bedauerlicherweise, so Hanegraaff, ist dieses Geheimnis bis heute geheim geblieben. Aber schon sehr früh glaubte man, es habe mit der Alchemie zu tun. Daher auch der legendäre Reichtum der Templer: sie hatten den Stein der Weisen und die Kunst des Goldmachens entdeckt. Daher das starke Interesse an Alchemie bei den Gold- und Rosenkreuzern im 18. Jahrhundert.

Aber das Geheimnis der Alchemie wurde auch religiös interpretiert. Dann bedeutete es eine spirituelle Transformation, die zu einer höheren Erkenntnis führte. Diese christlich-theosophische Deutung führte zur Gründung einer Vielzahl neuer esoterischer und okkulter Organisationen, die das Ziel einer spirituellen Entwicklung verfolgten. Als im 19. Jahrhundert Staat und Kirche getrennt wurden, bildeten diese Organisationen neue religiöse Bewegungen, die in Konkurrenz zu den Kirchen traten. Esoteriker und Okkultisten, die diesem kultischen Milieu angehörten, entwickelten ihre eigenen Ursprungserzählungen.

Gleichzeitig entstand aus der Mythologie der geheimen Gesellschaften ein neues Genre von Verschwörungsliteratur mit politischer Ausrichtung. Für manche stellte die Ankündigung, das geheime Wissen der klandestinen Orden werde zu einer großen gesellschaftlichen und kulturellen Reform führen, eine Bedrohung dar. Abbé Barruel behauptete in seiner »Bibel der geheimen Gesellschaften«, den »Mémoires pour servir à l’histoire du Jacobinisme« am Ende des 18. Jahrhunderts, diese Bedrohung sei mit der französischen Revolution zur historischen Tatsache geworden. Seither haben immer wieder Konservative nach dem Vorbild Barruels die Moderne und die Demokratie als Ergebnis einer dämonischen Verschwörung von Untergrundorganisationen interpretiert. Auch dies ist ein wesentlicher Aspekt der Art, wie »das Okkulte« in der Moderne imaginiert wurde.

Das Konzept der geheimen Organisationen fasst Hanegraaff als drittes Paradigma auf, das um 1700 entstanden ist, um die Existenz des Religiösen und Esoterischen in der abendländischen Welt nach der Aufklärung theoretisch zu bewältigen. Das erste Paradigma war das religionistische, das von einer nicht weiter reduzierbaren, unmittelbaren persönlichen Erfahrung des Heiligen ausging. Das zweite war das Aufklärungsparadigma, das dieses Heilige aufgrund des gesunden Menschenverstandes verwarf. Obwohl beide weder historisch noch empirisch sind, waren sie doch in der akademischen Welt erfolgreich: das aufklärerische seit dem 19. Jahrhundert und das religionistische in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Das dritte nun existiert in zwei Varianten: einer positiven, nach der eine verborgene Kette von Adepten die wahre Weisheit durch die Jahrtausende bewahrt hat, und einer negativen, nach der dunkle, dämonische Bruderschaften durch die Jahrtausende hindurch gegen die bestehende gesellschaftliche und religiöse Ordnung konspiriert haben.

Nimmt man das durch die historische Forschung diskreditierte Gegensatzpaar der apologetischen Erzählung von der alten Weisheit und der anti-apologetischen Erzählung des Protestantismus hinzu, hat man es mit sechs Alternativen zu tun, sich mit dem heidnischen Erbe des Altertums, seiner Beziehung zum Christentum und überhaupt mit der Existenz des »Esoterischen« im Abendland auseinanderzusetzen. Alle spielten in der Geschichte der abendländischen Esoterik seit dem 18. Jahrhundert eine Rolle. Sie wirkten sich in unterschiedlichen Kombinationen auf die Art aus, wie »das Okkulte« bis heute im Westen »imaginiert« wurde. In den folgenden fünf Unterkapiteln geht Hanegraaff dem Einfluss dieser unterschiedlichen Erzählungen auf Populärliteratur und wissenschaftliche Forschung nach.

Fortsetzung

Kommentare sind geschlossen.

Kommentare sind geschlossen