Hochgradmaurerei und Illuminismus im 18. Jahrhundert

Zuletzt aktualisiert am 19. Juli 2024.

Hochgradmaurerei und Illuminismus im 18. Jahrhundert

Entstanden im Geiste des freimaurerischen Illuminismus: »Er heißt das Begonnene gut / 1776 / Eine neue Ordnung der Zeitalter / Das große Siegel«

Fortsetzung des Artikels »Rosenkreuzertum«.

Wenn das Rosenkreuzertum den Mythos einer geheimen Gesellschaft schuf, in der die hermetischen Wissenschaften gepflegt wurden, dann stellte die Freimaurerei das Instrument für die historische Übermittlung theosophischer und alchymischer Traditionen dar. Die Meinungen sind geteilt, ob die Maurerei von Anfang an esoterisch war oder erst später zu ihren esoterischen Themen kam. Goodrick-Clarke neigt der letzteren Auffassung zu.

Die exoterischen traditionellen Erzählungen jedenfalls führen die Maurerei auf mittelalterliche Gilden freier Handwerker zurück, welche die großen europäischen Kathedralen errichteten. Da ihre Tätigkeit – untypisch für die sesshafte mittelalterliche Gesellschaft – stets zeitlich begrenzt war, schufen die Gilden ein hilfreiches Netzwerk von Logen an den Orten, wo gebaut wurde. Moderne Erzählungen führen diese lineare Herkunft der Maurerei aus »operativen« Logen als Beispiel für die Entstehung bekenntnisfreier sozialer Gemeinschaften an, die sich in der frühen Moderne bildeten. Irgendwann im 17. Jahrhundert schlossen sich Angehörige der Mittelklasse und Händler existierenden »operativen« Logen an oder begannen, neue, »spekulative« Logen zu gründen, um in ihnen zusammen Feste zu feiern, philosophische Diskussionen zu führen und eine besondere Form ritueller Aktivitäten zu entwickeln, die auf der Bibel und den Symbolen des Maurerhandwerks fußten. Daher die kryptische Bezeichnung der Freimaurerei als »Handwerk«, »craft«. Manche Theorien zur Entstehung der Maurerei, die sie in enge Beziehung zur Geschichte der Esoterik setzen, suchen ihre Ursprünge in hermetischen Traditionen und dem Rosenkreuzertum, in Schottland oder im Orden der Tempelritter. Diese Legenden über mittelalterliche Ursprünge oder Anfänge in der Renaissance können gewisse historische Tatsachen zu ihren Gunsten ins Feld führen, aber ihr Hauptziel liegt in der Konstruktion von Mythen über die Maurerei, die letztlich alle im 18. Jahrhundert entstanden sind und die jeweiligen esoterischen Allianzen ihrer Schöpfer widerspiegeln.

Traditionell wird die spekulative Maurerei mit der Gründung der Londoner Großloge 1717 in Verbindung gebracht, die vier bereits bestehende Logen in sich vereinigte. James Anderson veröffentlichte 1723 die erste »Konstitution«. Bereits diese enthielt einen Abriss der Geschichte der englischen Maurerei und eine Beschreibung ihrer Beziehung zu Gott und zur Religion. Die »Konstitution« lieferte eine weitgehend legendenhafte Geschichte des Maurerhandwerks, die von Adam bis zur Gründung der Großloge in London reichte. Wie John Hamill bemerkte, handelte es sich bei dieser Geschichte um eine »Apologie, die aus Legende, Volksüberlieferung und Tradition« bestand, um einer relativen jungen Institution eine ehrwürdige Abkunft zu bescheinigen. In der Fassung der »Konstitution« von 1738 trug Anderson eine weitaus detailliertere Geschichte vor. Nunmehr verfügte die Maurerei über eine ungebrochene Tradition, die frühmittelalterliche englische Könige und andere ehrwürdige Figuren einschloss, und sie war keine neue Organisation, sondern belebte eine alte Einrichtung wieder, die wegen der Nachlässigkeit ihres Großmeisters, Sir Christopher Wren, erst kürzlich in den Niedergang geraten sei. Nach diesen Erzählungen wurde die Maurerei in England formalisiert, ursprünglich als System von zwei Graden, zu denen später der Meistergrad hinzugefügt worden war. Das System der drei Grade (Lehrling, Geselle und Meister) entwickelte sich binnen kurzem zum Markenzeichen jener Maurerei, die unter der Leitung der Vereinigten Großloge in London stand. In dieser ursprünglichen Form war die Maurerei nicht esoterisch, aber ihre Verbreitung auf dem Kontinent und die Ausarbeitung von Hochgraden führte zu weitläufigen Verflechtungen mit esoterischen Strömungen und Inhalten.

»Schottische« und ritterliche Maurerei

Die Einführung der Maurerei in Frankreich stellt den ersten Streitpunkt in einem englisch-schottischen Disput über die Ursprünge und Umstände der Ausarbeitung der Ritter- und Hochgrade dar. Nach der Absetzung der Stuart-Dynastie 1688 flüchteten König Jakob II., viele Angehörige des schottischen Hochadels und königstreue Ritter nach Frankreich. Zur Unterstützung ihres Thronanspruchs sammelten der Prätendent und seine Nachfolger jakobitische (nicht jakobinische!) Kreise um sich, die sich zu einer Brutstätte der Verschwörung und Intrige entwickelten. Die Freimaurerei etablierte sich zwischen 1725 und 1730 formell als englischer Import in Frankreich. Sie fand unter den französischen Gebildeten großen Zuspruch, der sich teilweise einem modischen Interesse an englischen Institutionen verdankte. Auch wenn die Pariser Großloge die französische Maurerei in den 1730er Jahren dominierte, begannen sich exotischere Formen in ganz Frankreich auszubreiten, die von Höflingen entwickelt wurden, welche Begriffe wie »chevalier«, »chevalerie« und »chapitre« (Ritter, Rittertum, Kapitel) benutzten.

Das wiederkehrende Thema der frühen französischen Maurerei ist das eines jakobitischen Einflusses. Die Behauptung, die Maurerei sei durch schottische Jakobiten nach Frankreich gelangt, ließ die Idee entstehen, es habe eine ältere Tradition und Abstammungslinie gegeben, die im Gegensatz zu einer späteren stand, die aus der Londoner Großloge hervorging. Während der exilierte Hof der Stuarts in Paris eine Prozession von Lords und Rittern bot, förderten neue Moden und Vorlieben der Gegenaufklärung eine Verbindung der Freimaurerei in Frankreich und Deutschland mit neumittelalterlichen, ritterlichen und christlichen Motiven.

Schlüsselfigur dieser ritterlichen und mystischen »schottischen« Maurerei (die in Wahrheit in Frankreich entstand) war Andrew Michael Ramsay (1686-1743). Der gebürtige Schotte besuchte die Universität von Edinburgh und arbeitete in London, wo er sich den Philadelphiern unter Jane Leade anschloss, einer Gemeinschaft von Anhängern der Theosophie Jacob Boehmes. Später ging er nach Frankreich, wo er bei François Fénelon (1651-1715), dem französischen Philosophen und Erzbischof von Cambrai studierte, der die Jansenisten und die quietistische Mystikerin Madame Guyon verteidigte. Im Jahr 1720 hatte sich Ramsay der jakobitischen Sache angeschlossen und unterrichtete für kurze Zeit Charles Edward Stuart, den jungen englischen Thron-Prätendenten.

Am 26. Dezember 1736 hielt Ramsay eine berühmte Rede, in der er die Herkunft der Freimaurerei und ihre internationale Verbreitung zu den Kreuzzügen in Beziehung setzte. Ramsays neue Legende besagte, der traditionelle maurerische Zugang zur alten Weisheit, der zum Teil auf die Bibel zurückgehe, aber auch auf die ägyptischen und griechischen Mysterien, sei durch die christlichen Kreuzritter einer Reform unterzogen worden. Um diese historische Legende zu vervollständigen, konstruierte Ramsay eine Geschichte der Logen während des Mittelalters. Könige und Prinzen gründeten Logen, als sie von ihren Kreuzzügen zurückkehrten, aber diese starben aus, mit Ausnahme jener Logen, die sich in Schottland und England befanden. Er betonte die englische Herkunft der Maurerei, behauptete jedoch, sie kehre in ihre französische Heimat, das katholische Königreich der Kreuzfahrer, lediglich zurück.

Da Andersons Konstitutionen die Maurerei in England de facto entchristianisiert hatten, war die durch Ramsay erneuerte, christliche Maurerei in Frankreich höchst anziehend. Ramsay förderte die Tradition der »schottischen« Maurerei in Frankreich, indem er das höhere Alter der schottischen Logen betonte und auf die Rolle der Schotten nach den Kreuzzügen hinwies. Ramsays Einfluss war so groß, dass die Berufung auf legendäre schottische Ursprünge unter Maurern geradezu zu einer Manie wurde.

Während die drei ursprünglichen Grade der Werkmaurerei als das Erbe der operativen Maurer betrachtet wurden, führte Ramsays Behauptung, es habe ritterliche Maurer gegeben, in der französischen Maurerei zur Einführung der »Hochgrade«. Diese hielt man den drei Graden der weltlichen Werkmaurerei für überlegen, sie wurden mit Titeln ausgestattet, die auf Schottland, das Rittertum und die Kreuzzüge Bezug nahmen und ihre Inhaber sollten sich im Besitz eines esoterischen Wissens befinden. In den ritterlichen Logen Frankreichs, die als Kapitel, Direktorien oder Perfektionslogen bezeichnet wurden, verbreitete sich diese Form der »schottischen« Maurerei (»Maçonnerie écossaise«) schnell. Bereits 1750 existierten schottische Logen in Bordeaux, Arras, Toulouse, Lille und Marseille.

Es lässt sich unschwer erkennen, dass die ritterliche Maurerei an Begriffe der Hierarchie und sozialen Ordnung appellierte und dadurch das »ancien régime« wiederspiegelte. Auch wenn die maurerische Bruderschaft der Gleichgestellten Gemeinen und Adligen erlaubte, sich auf der gleichen Ebene zu begegnen, ermöglichte die Einführung der Hochgrade die teilweise Wiederherstellung des Klassenbewusstseins in der Loge.  Adlige konnten in der Loge ihren höheren Status bewahren, und manche Bürgerlichen konnten ihren Wunsch nach einem adligen Status durch den Kauf von Hochgraden befriedigen.

Deutsche Templermaurerei

Während die schottische Maurerei sich Mitte des 18. Jahrhunderts in Frankreich ausbreitete, gewann sie auch in Deutschland und Skandinavien Anhänger. In Deutschland nahm die ritterliche Maurerei Ramsays erstmals die Templerform an. Deutschlands kleine absolutistische Staaten mit ihrem Rang- und Standesbewusstsein verlangten nach einer maurerischen Tradition, die mit ihren konservativen und neumittelalterlichen Neigungen vereinbar war. Der erste Ritus, der praktiziert wurde, verdankte seine Entstehung einem französischen Adligen, dem Grafen Gabriel de Lernay, einem Offizier, der während des siebenjährigen Krieges in Gefangenschaft geraten war. Zusammen mit zwei Deutschen – Baron von Printzen, einem Maurer, der Meister der Loge der drei Weltkugeln in Berlin war und Philipp Samuel Rosa, einem enttäuschten früheren Pastor – gründete er 1758 eine Militärloge in Berlin. Ihr System, das Kapitel von Clermont, bestand aus vier höheren Graden: dem Schottischen Meister, dem Erwählten Meister oder Ritter des Adlers, dem Erhabenen Ritter oder Templer und dem Sublimen Ritter oder Ritter Gottes. Rosa steuerte eine legendäre Geschichte des Ordens und eine Erzählung von ihren weitreichenden Gesandtschaften in Asien und Europa bei. Diese komplizierte Geschichte begann bei Gottes Bündnis mit seinen Auserwählten nach Adams Fall, verlief über den Orden der Noachiten, Nimrod, die Zerstreuung der Brüder seit Babel, die Herrschaft Salomos, die Dekadenz unter Herodes, die Wiederbelebung durch Christus und die spätere Unterstützung durch Kaiser Konstantin in Jerusalem. Zur Zeit der sarazenischen Eroberung verließen die Brüder Jerusalem, um mit den Kreuzrittern zurückzukehren und zu dieser Zeit wurden sie unter Hugo von Payens als Templerorden bekannt.

Die erfolgreichste Form der Templermaurerei war jedoch der »Orden der Strikten Observanz«, der von Karl Gotthelf von Hund (1722-1776) begründet wurde. Hund trug den erblichen Titel eines Herrn von Lipse in der Oberen Lausitz und war ein reicher Landeigentümer in Kursachsen. Nachdem er an der Universität Leipzig studiert und Europa bereist hatte, wurde er Kämmerer des Kurfürsten von Köln und nahm an der Wahl Kaiser Karl VII. in Frankfurt teil, wo er auch in eine Loge aufgenommen wurde. Von Dezember 1742 bis September 1743 weilte er in Paris, wo er verschiedene Logen besuchte. Hund sprach später von einer Initiation in die jakobitische Maurerei in Paris im Jahr 1742 durch einen »unbekannten Oberen«, von dem er glaubte, es handle sich um den englischen Thronprätendenten. Sechs Jahre nach seiner Rückkehr gründete Hund auf seinem Gut in Unwürde zusammen mit der benachbarten Loge der drei Hämmer von Naumburg die »Loge der drei Säulen«. Die beiden Logen bildeten einen »Orient oder inneren Orden«, der auf der jakobitischen Templerlegende fußte.

Zwischen 1751 und 1755 bezeichneten Hund und seine Verbündeten ihr System als »rektifizierte Maurerei« und führten es auf den ursprünglichen Templerorden zurück. Ihr »Rotes Buch« enthielt ursprünglich sechs Grade, und die wiederbelebte Institution bezeichnete sich als VII. Provinz, nach einer Festlegung des Großmeisters Sylvester von Grumbach im Jahr 1301, der damit die Templergebiete an der Elbe und Oder bezeichnete. Die Terminologie, Rituale und Embleme der symbolischen Grade wurden an die Templertradition angepasst. Die Geschichte rekapitulierte die Schicksale der Templer und fügte einen Überlebensmythos hinzu.

Nach der Exekution des letzten Großmeisters, Jacques de Molay, am 11. März 1313, wurde die Sukzession durch die Flucht zahlreicher Templer in nördliche Länder sichergestellt, zu denen Schweden, Norwegen, Irland und Schottland gehörten. Als Maurer verkleidet, flüchteten Pierre d’Aumont (der Provinzialmeister der Auvergne), Sylvester von Gumbach (Wildgraf von Salm) und sieben Ritter zusammen nach Schottland. Die Flüchtlinge übernahmen die Namen, die Kleidung und Gebräuche der Freimaurer und ihre geheime Geschichte verfügte über 21 Großmeister, die bis in die Gegenwart reichten.

Hunds Ritus der Strikten Observanz gedieh prächtig. 1768 gehörten ihm bereits um die vierzig Logen an. Fest etabliert in Schlesien und Sachsen, war er mit Logen in ganz Norddeutschland verbunden, besonders in den großen Städten Berlin, Hamburg, Bremen und Stettin. Er breitete sich im Rheinland aus und gründete Niederlassungen in Kopenhagen, Wien, Prag, Warschau, sogar in Ungarn und der Schweiz. Die neuen Templer wurden nicht nur von der sozialen Exklusivität einer adligen Maurerei angezogen, sondern auch von ihrem Versprechen theosophischer Erkenntnis und alchymischer Geheimnisse. Aber der Strikten Observanz erstand im deutschen Pastor Johann August Starck (1741-1816) ein Rivale, der in Paris in eine Reihe schottischer Grade aufgenommen worden war. Sich auf geheime Leiter in St. Petersburg berufend, behauptete Starcks System eine direkte Herkunft nicht von den Tempelrittern, sondern von den Klerikern dieses Ordens, den wahren Hütern seiner Geheimnisse und alchymischen Lehre. Die Strikte Observanz breitete sich weiter aus, erreichte Frankreich, England, Schweden, Ungarn, Italien und Russland. Hinsichtlich ihrer Hierarchie waren Prinzen und Hochadlige die Leiter der Strikten Observanz; hinsichtlich ihrer Kultur aber hatten Starcks Ideen den Orden zur Hermetik und Esoterik zurückgeführt. Starck und seine Anhänger spalteten sich beim Konvent von Wolfenbüttel 1777 ab und der Konvent von Wilhelmsbad 1782 ließ die Tradition der Templer zugunsten des Rektifizierten Schottischen Ritus und der Chevaliers Bienfaisants de la Cité Sainte hinter sich, die den martinistischen Einfluss repräsentierten, der mit Jean-Baptiste Willermoz aus Lyon verbunden war.

Gegenaufklärung: Theosophische Splittergruppen und Illuministische Gesellschaften

Das gewaltige Wachstum geheimer Gesellschaften, die in Deutschland und Frankreich operierten, relativiert das Bild des 18. Jahrhunderts als einer Zeit des trockenen Rationalismus und Säkularismus, eines Zeitalters der Vernunft, das von der Aufklärung dominiert gewesen sei. Historiker, welche die Verbreitung des Pietismus, der Hochgradmaurerei und des Neu-Rosenkreuzertums zu dieser Zeit in Deutschland untersucht haben, neigen im allgemeinen dazu, die beiden letzteren als »Gegenaufklärung« zu bezeichnen, als nostalgische, traditionalistische, ja sogar repressive Gegenbewegung zur Aufklärung.

Isaiah Berlin prägte den Begriff der »Gegenaufklärung« (»Counter-Enlightenment«), um Gedankenströmungen zu beschreiben, die mit solchen Denkern wie Giambattista Vico, Johann Georg Hamann und Johann Gottfried Herder verbunden waren, welche sich den rationalistischen und liberalen Idealen der Aufklärung entgegenstellten.

John Roberts hat den Aufstieg der geheimen Gesellschaften vor dem Hintergrund dreier Strömungen des Denkens im 18. Jahrhundert beschrieben. Die erste war die Aufklärung, charakterisiert durch eine rationalisierende, verweltlichende Tendenz, und eine Anwaltschaft für neue Formen des Denkens und der Analyse, die sie höher wertete, als Tradition und Autorität. Die zweite war ein neuer politischer Trend, der oft als aufgeklärter Despotismus bezeichnet wird, in dem ein absolutistischer Staat die Gebräuche, gesetzlichen Privilegien und kirchlichen Immunitäten utilitaristisch und rationalistisch im Interesse einer effizienten Verwaltung und staatlicher Macht herausforderte. Diese Eingriffe forderten oft den Widerstand konservativer und populärer Kräfte heraus, die bei jenen Formen der Maurerei Unterstützung fanden, die den altehrwürdigen Adel oder eine ununterbrochene Weisheitstradition betonten. Roberts behauptet, eine dritte Tendenz, der zunehmende Irrationalismus, sei mit dieser Reaktion gegen den praktisch reformierenden Rationalismus und die Aufklärung eng verbunden gewesen. Sie habe ihren Ausdruck in einer Neubewertung gefühlsmäßiger, intuitiver und spiritueller Erfahrungen gefunden. Ihre Erscheinungsformen waren vielfältig und reichten von der Wiederentdeckung mittelalterlicher Motive (Rittertum, Balladen, gotische Architektur), dem vorromantischen Interesse an alter Volksdichtung und Bräuchen bis zu einer Gothic-Literatur, die das Sublime, den Schrecken und das Übernatürliche kultivierte. Es gab auch Kontinuitäten, welche die hermetische Tradition, die Verbreitung der Boehmeschen Theosophie, den Pietismus, die Alchemie und das Rosenkreuzertum einschlossen. Neben der Aufklärung blühte eine breite Gegenkultur von Gruppierungen und geheimen Gesellschaften, die sich diesen Interessen widmeten.

Diese Gesellschaften waren in ihren Ideen und Praktiken offen esoterisch und entwickelten eine symbiotische Beziehung zu Maurerlogen, deren Mitglieder ihrerseits in den Mythen ihrer legendären Ursprünge und hermetischen Lehren schwelgten. Nachdem die kontinentale Maurerei erst einmal diese esoterischen Ideen in sich aufgenommen hatte, spiegelten ihre Hochgrade meist ritterliche, theosophische, rosenkreuzerische und alchymische Ideen wieder. Die Hochgradmaurerei wirkte direkt mit diesen Gruppierungen und geheimen Gesellschaften zusammen, die sich den Mysterien, der Theosophie und der esoterischen Tradition widmeten – und auf diesem Wege entstand eine Art maurerischer Theosophie. Hochgradmaurer, die bereits von Initiationen und Geheimnissen beeindruckt waren, waren auch für höhere Geheimnisse empfänglich, während die genannten Gruppierungen die Freimaurerei als eine verwandte Strömung betrachteten, die dieselbe Inspiration, Symbolik und Neigung zu einer hierarchischen Ordnung teilte. Diese Wechselwirkung zwischen Hochgradmaurerei und theosophischen Gruppierungen zeigt sich deutlich an Martinès de Pasqually, Jean-Baptiste Willermoz, dem Grafen Alessandro Cagliostro und der Freimaurerei Swedenborgs.

Martinès de Pasqually und die Auserwählten Cohens

Mit der Hochgradmaurerei in Frankreich wirkte eine Vielfalt esoterischer Gruppierungen zusammen, die sich mit Theosophie, Magie und Mystik beschäftigten. Die Strömung, die unter dem Namen Martinismus bekannt ist, von Martinès de Pasqually begründet, von Louis-Claude de Saint-Martin fortgesetzt und im Zusammenhang der Hochgradmaurerei von Jean-Baptiste de Willermoz vertreten wurde, stellt ein herausragendes Beispiel der masonischen Theosophie im 18. Jahrhundert dar.

Martinès de Pasqually (1709-1774) war ein spanischer Jude, der sich zum Katholizismus bekehrt hatte oder in einer semi-marranischen, katholischen Familie aufgewachsen war. Sein erstes Experiment mit der Hochgradmaurerei war das »Kapitel der Schottischen Richter« (»Chapître des Juges Ecossais«), das er 1754 in Montpellier gründete. 1762 zog er nach Bordeaux, wo er um 1766 sein eigenes System schuf, den »Orden der Ritter-Maurer der Auserwählten Cohens des Universums« (»Ordre des Chevaliers Maçons Elus Coëns de l’Univers«). Martinès de Pasqually behauptete, er besitze okkulte Kräfte und schuf einen Ritus mit sakramentalem Charakter. Sein ritterlicher Orden lud »Menschen mit Ansprüchen« ein, an der Ausübung einer göttlichen Religion und eines theurgischen Ritus teilzunehmen, der Anrufungen (sogenannte »Operationen«) einschloss, die manchmal zu göttlichen Manifestationen führten, die von höheren Ebenen kamen. Diese Prozedur zielte darauf ab, mit Hilfe ritueller Magie einen Austausch mit unsichtbaren Intelligenzen herbeizuführen. Sie fußte auf der Idee, dass der Mensch und alle beseelten Wesen durch bestimmte Praktiken in den Zustand vor dem Sündenfall zurückgeführt werden könnten.

Pasqually arbeitete seine Lehre in einer »Abhandlung über die Reintegration der Wesen in ihren ursprünglichen Zustand« aus («Traité sur la réintegration des ȇtres dans leur première propriété, vertu et puissance spirituelle divine«, etwa 1771), einer höchst komplexen Form jüdisch-christlicher Theosophie und Gnosis mit einem Hauch Kabbala, die auf der Vorstellung gründet, dass der Ewige unablässig eine Hierarchie spiritueller Wesen erzeugt, die eine »göttliche Fülle« oder einen »göttlichen Hof« bilden. Diese göttliche Fülle war vollkommen, aber ein Fall trat ein, weil rebellische Geister sich aufbäumten, die ebenso zu ersten Ursachen werden wollten, wie der Ewige, statt sich mit ihrem zweiten Rang zufrieden zu geben. Dies führte zu einer Katastrophe, denn der Ewige bestimmte die ihm getreuen drittrangigen Geister dazu, die zeitliche, stoffliche Welt zu schaffen, in der die rebellischen Geister eingesperrt werden sollten. Während zehn Geister in der göttlichen Fülle verblieben, wurden andere dazu abgeordnet, in den drei Abteilungen des geschaffenen Universums – der überhimmlischen, der planetarischen und der irdischen Welt – tätig zu sein. Diese Emanzipation der Geister (wie Pasqually sie nennt) in den Stoff und die Zeit veranlasste den Ewigen dazu, einen neuen, viertrangigen Geist zu schaffen – den Menschen, eine Emanation, die unmittelbar aus dem Ewigen hervorging und nicht aus irgendeiner untergeordneten materiellen Ursache. Der Mensch wurde zum Objekt einer doppelten Emanzipation: er emanierte in die überhimmlische und in die planetarische Welt, und als dieses überhimmlisch-himmlische Wesen trug er den Namen Adam oder Réau. Seinem freien Willen überlassen, rebellierte Adam nach dem Vorbild der pervertierten Geister, woraufhin er sich selbst als Gefangener der materiellen Welt vorfand.

Martinès de Pasquallys Gnosis zielte darauf ab, die Menschheit aus diesem Zustand der Trennung von Gott zu erlösen. Sein Kult praktizierte eine Art Theurgie, die versuchte, die göttlichen Energien des Menschen zu aktivieren. Der Wille war die einzige göttliche Kraft, welche die Menschen in ihren gefallenen Zustand hinüber gerettet hatten und diesen mussten sie entwickeln, damit sie sich aus der Versklavung durch die rebellischen Geister befreien konnten.

Der Orden der Erwählten Cohens bestand aus zehn Graden, durch welche dieses Ziel erreicht werden sollte. Die drei ersten Grade entsprachen den drei regulären masonischen Stufen des Lehrlings, Gesellen und Meisters. Sie waren profane Grade außerhalb des Tempels und nur Meistermaurer konnten zu den sieben höheren Cohen-Graden vordringen. Diese waren:

4. ein Übergangsgrad, der »Erwählte Meister« oder »Perfekte Erwählte Meister«,
5. die Klasse der Vorhalle, bestehend aus dem »Lehrling-Cohen«, dem »Gesellen-Cohen« und dem »Meister-Cohen«,
6. die Tempelklasse aus dem »Großmeister des Tempels« oder »Ritter des Ostens«,
7. und dem »Réau-Croix« (»Kreuz-Adam«).

Da es sich um einen priesterlichen Orden handelte, stellten die Aufnahmen in die einzelnen Grade »Weihen« und keine maurerischen »Initiationen« dar. Die theurgisch angerufenen Geister erfüllten den Kandidaten mit der spirituellen Realität seines Weihegrades. Durch sie wurde der Cohen befähigt, mit einem der Auserwählten des Ewigen zu kommunizieren, zu denen Adam, Abraham, Moses, Zorababel oder Jesus Christus gehörten, die jeweils über jenen Kreis der göttlichen Fülle herrschten, zu dem der Kandidat zugelassen wurde. Der jeweilige Auserwählte wurde durch die Vermittlung von Engeln bei der zeremoniellen Handlung mit dem Cohen verbunden. Dieses Zusammenwirken erklärt die sogenannten »Pässe« oder »leuchtenden Zeichen«, die manchmal den Auserwählten Cohens während der Zeremonien erschienen. Eine Sammlung von rund 2400 Diagrammen und ebenso vielen hebräischen Namen von Engeln versetzte den Zelebranten in die Lage, die wirkenden Engel aufgrund der Zeichen, die ihnen entsprachen, zu identifizieren. Von Mitgliedern des Ordens wurden regelmäßige Gebete erwartet. Außerdem mussten sie Diäten einhalten und Fasten, sowie andere Formen der moralischen und geistigen Askese praktizieren.

Louis-Claude de Saint-Martin

Martinès betrieb seinen Orden in Bordeaux von 1767 bis 1772. Die Mitglieder kamen hauptsächlich aus den Offiziersrängen der Regimente, die in der Stadt stationiert waren. Während der Blüte des Ordens gehörten ihm ein Dutzend Tempel mit einigen hundert Mitgliedern an.

Louis Claude de Saint-Martin

Louis Claude de Saint-Martin

Louis-Claude de Saint-Martin (1743-1803) wurde in eine fromme Familie niederen Adels geboren. Nach einem Jurastudium und kurzer anwaltlicher Praxis begann er eine militärische Laufbahn. Im Herbst 1768 wurde er in den Orden der Auserwählten Cohen eingeführt und erklomm schnell die aufeinanderfolgenden Grade. Von 1768 bis 1771 arbeitete er als Sekretär von Pasqually und erwarb intime Kenntnisse der Ordenspraktiken. Seine Pflichten brachten ihn mit Jean-Baptiste de Willermoz, dem Leiter der Loge in Lyon zusammen. 1771 gab er seine militärische Laufbahn auf, um sich dem Studium und der Verbreitung der Theosophie zu widmen. Sein erstes Buch »Des erreurs et de la vérité« (»Von den Irrtümern und der Wahrheit, 1775), entwickelt ein theosophisches System, das die Ideen von Martinès in eine Kritik der säkularen Aufklärung einbettet. Saint-Martin weist reduktionistische und rationalistische Erklärungen menschlicher Institutionen zurück und behauptet, Religion, soziale Einrichtungen und Gesetze gingen in Wahrheit auf ein göttliches Wesen zurück, das aktiv in die Geschichte eingreife. Sein zweites Buch »Tableau naturel des rapports qui existent entre Dieu, l’homme, et l’univers« (»Darstellung der Beziehungen zwischen Gott, dem Menschen und dem Universum«, 1782) erklärt die physische Welt aufgrund von Analogien zum Menschen und zu Gott. Infolge des Sündenfalls nahmen die Dinge eine physische Form an. Aber durch die Beseelung unseres Willens mit dem Wunsch (»désir«) und mit Hilfe des Opfers Jesu Christi, vermögen wir uns selbst und die gesamte Natur wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurück zu versetzen. Saint-Martin betrachtete sich als »Reiniger des Tempels der Wahrheit« und wandte sich sowohl gegen den Rationalismus der Aufklärung als auch gegen das orthodoxe Christentum.

Er brachte eine hochfliegende Form der Theosophie hervor, die auf Pasquallys Idee der Reintegration beruhte. Der Mensch ist von seinem göttlichen Erbe und der Unsterblichkeit durch den dichten Schleier der materiellen Welt abgeschnitten, die ihn mitsamt der Natur in einen schlafwandlerischen Zustand versetzt. Er ist in seinem physischen Leib gefangen, aber weiß auch, dass er zu Höherem bestimmt ist. »Wir wandeln in der Dunkelheit, daher suchen wir nach dem Licht, wir irren zwischen Schatten umher, daher suchen wir nach der wahren Realität: die Tatsache, dass wir uns nach beidem sehnen, beweist, dass wir für beides geschaffen wurden und dass wir in unserem gegenwärtigen Zustand weit von unserer Bestimmung entfernt sind«, sagt Saint-Martin. Ebenso wie Martinès sah auch er die Ursache des Bösen in der Degeneration des Willens. Dieser ist aber nicht nur die Fähigkeit, dem Bösen zu wiederstehen, er ist auch das Werkzeug der Transzendenz: »Die Vereinigung mit dem Göttlichen kann nur durch die starke und nicht wankende Entschlossenheit dessen erreicht werden, der sie wünscht; es gibt kein anderes Mittel, sie zu erreichen, als die ausdauernde Anstrengung eines reinen Willens.«

Saint-Martin war demütiger Christ und seine Theologie deshalb auf die jenseitige Welt konzentriert. Er sprach von der unergründlichen Gottheit als der Ersten Ursache, und von einer aktiven und intelligenten Ursache, die zusammen mit zwei untergeordneten Prinzipien die Naturvorgänge und die Ordnung des Kosmos bewirke. Die aktive und intelligente Ursache identifizierte er mit dem »Wiederhersteller«, mit Christus, der die Wiedereinsetzung des Menschen in seinen ursprünglichen Zustand ermögliche. Und die genannte Ursache sei mit dem »Wort« (Logos) des Johannes-Evangeliums identisch. Das Wort wohnte einst im Menschen, ging aber beim Sündenfall verloren. Daher musste das göttliche Wort eingreifen, um den Fortbestand des Universums zu sichern, das sich immer noch in einem prekären, gefährdeten Zustand befindet. Das Wiederfinden des verlorenen Wortes ist die höchste Verpflichtung des Menschen vor sich selbst und der Natur. Wiederfinden kann er es, wenn er sich mit jenem Wort vereinigt, das an die Stelle des ursprünglichen Wortes getreten ist und die Kraft besitzt, alles wiederherzustellen.

Saint-Martins mystische Werke, die er pseudonym unter dem Namen »der unbekannte Philosoph« veröffentlichte, fanden in der gebildeten Klasse Frankreichs großen Anklang, misstrauten doch viele dem Rationalismus der Aufklärung. Saint-Martin begann, sich für den Mesmerismus zu interessieren und trat 1784 in Paris der logenähnlichen »Gesellschaft für Harmonie« bei. Der Mesmerismus ermöglichte seiner Auffassung nach eine unmittelbare Verbindung zur geistigen Welt, in welcher der ursprüngliche Mensch einst gelebt hatte und in die er wieder zurückkehren musste.

Im Jahr 1787 begegnete Saint-Martin bei einer Reise nach London dem englischen Theosophen William Law. Von 1788 bis 1791 wohnte er in Straßburg, wo er Baron Karl Göran Silfverhjelm, den Neffen Swedenborgs traf. In Straßburg begegnete er durch seinen Freund Frédéric-Rodolphe Salzmann, einen maurerischen Theosophen und Madame de Boecklin auch dem Werk Jacob Boehmes. Seitdem schöpfte er aus Boehme seine Inspiration. Er lernte Deutsch und übersetzte Boehme ins Französische (»L’aurore naissante«, 1800; »Les Trois Principes de l’Essence divine«, 1802; »De la Triple Vie de l’Homme«, 1809; »Quarante Questions sur l’âme«, 1807). Seine weiteren Werke waren von Boehme beeinflusst, aber dennoch originell, wie man an »L’Homme de Désir« (»Der Mensch des Wunsches«, 1790) oder »Le Ministère de l’homme-esprit« (»Das Priestertum des Geistesmenschen«, 1802) sehen kann. 1792 begann er eine Korrespondenz mit dem Schweizer Theosophen Niklaus Anton Kirchberger von Liebisdorf. Ihr regelmäßiger Austausch führte dazu, dass Saint-Martin eine ganze Reihe weiterer Theosophen beeinflusste, unter anderem Karl von Eckarthausen, Heinrich Jung-Stilling, Jane Leade, John Pordage, Thomas Bromley und Johann Georg Gichtel.

Der Einfluss von Pasqually, Saint-Martin und Willermoz

Auch wenn Saint-Martin im Orden Pasquallys schnell aufgestiegen war, wandte er sich allmählich von dessen theurgisch-magischen Praktiken ab und einem inneren mystischen Weg zu. Diese Entwicklung hätte man voraussehen können. Saint-Martin hatte einst Pasqually gefragt: »Ist all das nötig, um Gott zu finden?« Sein mangelndes Interesse an zeremonieller Magie, an Ritualen und stufenweiser Initiation spielte bei seiner Beziehung zu Jean-Baptiste Willermoz (1730-1824) eine Rolle, einem reichen Textilfabrikanten in Lyon, der von Pasqually persönlich 1767 in den Orden der Auserwählten Cohens aufgenommen worden war. Willermoz war spätestens 1750 Freimaurer geworden und gehörte 1760 zu den Begründern der »Großloge der Regulären Meister« von Lyon. Dort hatte er einen hohen Rang inne und sammelte und studierte eifrig maurerische Riten. 1763 gründete er ein Kapitel mit ritterlichem Ritus, die »Chevaliers de l’Aigle Noir et Rose-Croix« (»Ritter des Schwarzen Adlers und des Rosenkreuzes«), dessen Leitung er seinem Bruder überließ. Kurz nach seiner Aufnahme in den Orden der Auserwählten Cohens wurde ihm die Leitung der Lyoner Loge anvertraut und im Mai 1768 wurde er zum Réau-Croix geweiht. Seine erste Begegnung mit Saint-Martin fand in der Zeit statt, als dieser Sekretär Pasquallys in Bordeaux war.

1771 lebte Saint-Martin bei Willermoz in Lyon, während er an seinem ersten Buch schrieb. 1772 führte Willermoz seine Neugier dazu, mit der Straßburger Loge der Strikten Observanz zu korrespondieren. Im folgenden Jahr trat er diesem Orden bei und gründete ein Jahr später seine Lyoner Loge »La Bienfaisance« und wurde Kanzler ihrer neuen Provinz Auvergne. Die Einführung der Templer-Maurerei in Frankreich rief ein gewisses Misstrauen hervor, weil sie aus Deutschland stammte und dieses Misstrauen wurde durch Willermoz’ Herrschaftsanspruch verstärkt, der die Strikte Observanz zur führenden Form der Maurerei in Frankreich machen wollte.

Willermoz führte die theurgischen Rituale der Auserwählten Cohens fort und bemühte sich darum, ihnen eine freimaurerische Form zu geben. Auf dem nationalen Konvent in Lyon 1778 führte er das »Régime Ecossais Rectifié« (den Rektifizierten Schottischen Ritus) ein, das den Templerritus mit dem religiösen Zeremoniell der Auserwählten Cohens verband. Der Rektifizierte Schottische Ritus besaß eine konzentrische Struktur von vier Kreisen. Die beiden ersten waren die beiden »sichtbaren Klassen« des Ritus: (1) die symbolische Klasse oder der masonische Orden mit den vier Graden des Lehrlings, Gesellen, Meisters und Schottischen Meisters, (2) der innere Orden, der ritterlich war, mit zwei höheren Graden, dem Ecuyer Novice (Junker-Novizen) und dem Chevalier Bienfaisant de la Cité Sainte (Wohltätigen Ritter der Heiligen Stadt [Jerusalem]), (3) einer geheimen Klasse mit zwei höheren Graden, der »Profession« und »Grande Profession« (Berufung und Große Berufung). Diese drei Klassen bildeten zusammen den Rektifizierten Schottischen Ritus. Aber es gab eine vierte Klasse, den Orden der Auserwählten Cohens, der in ein tiefes Geheimnis gehüllt war. Auch wenn die ersten drei Klassen keine theurgischen, kabbalistischen oder alchymischen Praktiken ausübten, kannten sie doch, wie die Auserwählten Cohens, die Lehre Pasquallys von der Wiederherstellung aller Wesen mit ihrem Dreischritt vom ursprünglichen Zustand der Menschheit über ihren Fall zur Reintegration durch das Eingreifen des Wiederherstellers (Christi). Der Freimaurerkonvent von Wilhelmsbad im Jahr 1782 bestätigte nicht nur diese Neuerung, sondern bezeugt auch die Vorherrschaft der auf Pasqually zurückgehenden theosophischen Maurerei über die ältere Templerform für das folgende Jahrzehnt oder mehr.

Da der führende französische Okkultist Papus (Gérard Encausse, 1865-1916) behauptete, den martinistischen Orden 1891 wiederbelebt zu haben und sich dabei auf eine Sukzession berief, die über seine Freunde Henri Delaage und Augustin Chaboseau zu Saint-Martin zurückführe, entstand die Vorstellung, Saint-Martin habe einen eigenen Orden gegründet, der an jenen der Auserwählten Cohens anschloss. Aber es gibt keinerlei Beweis dafür, dass Saint-Martin selbst einen martinistischen Orden gegründet oder irgendjemanden in einen Kultus initiiert hätte. Im Unterschied zu Willermoz mit seiner Vorliebe für gemeinsame Aktivitäten, masonische Orden und theurgische Rituale, neigte Saint-Martin einem mystischen Pfad zu, der nur individuell beschritten werden konnte. Er fühlte sich im Rektifizierten Schottischen Ritus nicht wohl, trat im Juli 1790 aus dessen ritterlichem innerem Orden aus und bat Willermoz darum, seinen Namen aus allen maurerischen Registern zu löschen. Die beiden blieben zwar befreundet, beschritten aber unterschiedliche Wege. Willermoz war ein Genie der Hochgradmaurerei und theurgischer Handlungen – des aktiven, extrovertierten Aspektes des französischen Illuminismus –, während sich Saint-Martin durch seine kontemplative Theosophie, die er in seinen zahlreichen Büchern zum Ausdruck brachte, große Anerkennung und eine ergebene Anhängerschaft in ganz Europa erwarb. So gesehen, gab es zwar viele Martinisten in der illuministischen Subkultur Frankreichs, Deutschlands und Rußlands, aber keinen wirklichen martinistischen Orden bis zu der Gründung von Papusam Ende des 19. Jahrhunderts (von der er behauptete, es handle sich um eine Wiederbelebung).

Wie John Roberts festgestellt hat (»The Mythology of the Secret Societies«, 1972) verkörpert die maurerische Schöpfung von Willermoz »in einer ausdrucksvollen und bewundernswerten Form jenen mystifizierenden, antimaterialistischen und antiaufklärerischen Trend, der in so vielen Erscheinungen der Kultur des 18. Jahrhunderts zu beobachten ist.« Erst die französische Revolution führte zur Auflösung des Ritus, ein Überbleibsel lebte angeblich im Rektifizierten Schottischen Ritus fort, wie er an manchen Orten in Frankreich und der Schweiz gepflegt wird.

Die Erleuchteten von Avignon

Ein weiteres Beispiel für das komplexe Wechselspiel und die Vermischung der Hochgradmaurerei und des Illuminismus bietet Joseph-Antoine Pernéty (1716-1796), ein weiterer Theosoph und Theurg dieser Zeit. Pérnety entdeckte als junger Benediktinermönch in Frankreich die Alchemie und schrieb später zwei große Werke »Fables égyptiennes et grecques dévoilées et réduites au même principe« und »Dictionnaire mytho-hérmetique« (»Ägyptische und griechische Mythen entschleiert und auf denselben Ursprung zurückgeführt«; »Mythisch-hermetisches Wörterbuch«; beide 1785), in denen er alle Mythen als codierte Beschreibungen des großen Werkes der Alchemie, der Herstellung des Steines der Weisen, interpretierte. Die Interpretation der klassischen Mythen als eines Codes der Alchemie war eine Tradition der Renaissance, die von Michael Maier mit seinem Buch »Arcana arcanissima« (»Allergeheimste Geheimnisse«, 1614) begründet worden war. Später veröffentlichte Pérnety ein Buch über Physiognomie und begeisterte sich für Swedenborg, der ihn dem Illuminismus zuführte. Er übersetzte Swedenborgs »Himmel und Hölle« (1782) sowie »Göttliche Liebe und Weisheit« (1786) aus dem Lateinischen ins Französische.

Zum Bibliothekar Friedrich des Großen ernannt, zog Pérnety 1767 nach Berlin, wo er seinem Interesse an der Freimaurerei nachging, das vermutlich schon früher in Frankreich geweckt worden war. 1779 wurde Pérnety eines der ersten Mitglieder einer esoterischen Gesellschaft in Berlin, die später als die »Erleuchteten von Avignon« (»Les Illuminés d’Avignon«) bezeichnet wurde. Dieser Gruppe gehörten Prinz Heinrich von Preußen, sein Bibliothekar Guyton de Morveau (als Brumore bekannt), der als Medium agierte, Pérnetys älterer Bruder und der polnische Graf Thaddeus Grabianka an. Die Mitglieder interessierten sich für Alchemie und konsultierten ein mysteriöses kabbalistisches Orakel, die sogenannte »heilige Stimme« (deren historisches Vorbild vermutlich die Stimme der Prophetie oder »Tochter der Stimme« [Gottes], »bath kol« war, die in der rabbinischen Tradition eine Rolle spielt), von der sie angewiesen wurden, Swedenborgs Lehren zu folgen. Dieses Orakel war Johann Daniel Müller, ein radikaler Pietist, Swedenborgianer, Alchemist, Kabbalist und Endzeitprophet, der sich selbst als jenen »Elias Artista« (»Künstler Elias«) betrachtete, dessen Erscheinen Paracelsus angekündigt hatte. Das Orakel forderte die Gruppe dazu auf, sich aus einer informellen Vereinigung zu einer initiatischen Gesellschaft weiter zu entwickeln. Die Gruppe bildete daraufhin zwei Klassen, die sich an die symbolischen Grade anschlossen: die »Novizen« oder »Kleineren« und die »Erleuchteten«, an deren Spitze der »Magus«, »Hohepriester« oder »Patriarch« stand. Die Gruppe führte Weihehandlungen auf einem Hügel in der Nähe Berlins durch, die neun Tage dauerten, bei denen jeder Kandidat einen »Altar der Macht« aus Torf in einem Steinkreis errichten musste. 1780 wies das Orakel die Mitglieder der Gruppe an, Berlin zu verlassen, um anderswo den Grundstein des neuen Zion zu errichten.

1784 veranlasste es die Gruppe, nach Avignon umzuziehen, das damals dem Papst unterstand. Zwei Mitglieder der ursprünglichen Gruppe, Brumore und Grabianka, die sich in Polen mit Alchemie beschäftigt hatten, trafen sich daraufhin in der südfranzösischen Stadt. Pérnety hatte Berlin auf Befehl des Orakels schon 1783 verlassen und ließ sich nach einer gewissen Zeit der Wanderschaft in einem Haus unweit von Avignon nieder, das er Tabor nannte und das ihm von einem Schüler, dem Grafen Vernety de Vaucroze, zur Verfügung gestellt worden war. Dort errichtete Pérnety einen Tempel, ein Laboratorium und einen Versammlungsraum, in dem er führende Illuministen wie Gombault, den Engländer William Bousie und den Baron de Staël-Holstein, den schwedischen Botschafter, sowie die Herzogin von Württemberg empfing, die ihrerseits in ihrem Schloss in Montbéliard (Mömpelgard) regelmäßig Saint-Martin und den Schweizer Begründer der esoterischen Physiognomie, Johann Kaspar Lavater beherbergte. Nach Brumores Tod 1786 fielen die Erleuchteten in mehrere Gruppen auseinander: Pérnety führte einen Gruppe unter dem selben Namen fort und hielt am alten Ritual und alchymischen Praktiken fest. Graf Grabianka, der inzwischen ein neues Orakel, den »Homme-Roi« (Ottavio Cappelli) in Rom entdeckt hatte, führte eine zweite Gruppe unter dem Namen das »Neue Jerusalem«, fort, die auf einer vierfältigen Theologie gründete und einen kreuzförmigen Tempel besaß, in dem vier Altäre für Gottvater, Jesus Christus, den Heiligen Geist und die Jungfrau Maria standen. Aber das Vertrauen seiner Anhänger wurde wegen seiner Gefangennahme durch die Inquisition und seinen Widerruf im Jahr 1790 erschüttert. Eine dritte Gruppe, die »Brüderliche Barmherzigkeit« führte der Graf von Montpezat weiter. Die Erleuchteten von Avignon verschwanden aufgrund eines gesetzlichen Verbots im Jahr 1793 von der Bildfläche.

Graf Cagliostro und die Ägyptische Maurerei

Das abenteuerliche Leben Cagliostros (1743-1795) ist voll von exquisiten Ereignissen und Misserfolgen, es stellt ein besonderes Beispiel für die Mystifikation der Maurerei im 18. Jahrhundert dar. In Palermo geboren, wurde Giuseppe Balsamo Novize an einem Priesterseminar, wo er sich für Alchemie, die Beschwörung von Geistern und religiöse Rituale zu interessieren begann. Nach seinem Ausschluss aus dem Seminar führte er ein unstetes Wanderleben, das ihn nach Nordafrika, in die Levante und andere Orte an der Mittelmeerküste führte. Von 1765 bis 1767 war er bei den Johannitern in Malta angestellt, denen er sein Wissen in medizinischer Alchemie verdankte. Er legte sich den Titel eines Grafen und den Namen Alessandro Cagliostro zu und reiste ein Jahrzehnt lang quer durch Europa, um mit magischen Wundern der Hellsicht und Voraussage, mit alchymischen Verwandlungen und durch die kostenlose Heilung von Kranken von sich reden zu machen. Aber erst seine Begegnung mit der Freimaurerei gab seinem Leben ein klares Ziel. In London wurde er am 12. April 1776 in die »Esperance Lodge No. 289« in Soho aufgenommen. Diese Loge gehörte der Strikten Observanz an und bot ein üppiges Ritual, Templerlegenden und das Versprechen der Wiederbelebung des Templerordens und der zeitigen Rache gegen die Kirche.

Iain McCalman schreibt: »Der Eintritt in die geheime Welt der Strikten Observanz gab der bemerkenswerten Intelligenz und dem nicht minder bemerkenswerten Ehrgeiz Cagliostros einen Rahmen. Die Maurerei wurde zum Schmelztiegel seines Genies.« Seine Erfahrung mit der Theologie, dem Ritual und der Organisation des klösterlichen Katholizismus fand nun in einer säkularen Kirche ein freies Betätigungsfeld, das er mit Prozessionen, Theater und geheimnisvollen Symbolen anfüllte. Im Dezember 1777 verließen Cagliostro und seine Frau unter großem Beifall der Strikten Observanz-Loge »Perfect Quality« London, um nach Den Haag zu gehen. Die nächsten zwei Jahre gab sich Cagliostro als Beauftragten des »Großkophta« aus, eines alten ägyptischen »Unbekannten Oberen«, und als solcher wurde er von Logen der Strikten Observanz in Nürnberg, Berlin, Leipzig, Danzig und Königsberg willkommen geheißen. Von Loge zu Loge weiter empfohlen, reiste er im Februar 1779 nach Mitau, der Hauptstadt des Herzogtums Kurland an der Küste des Baltikums, wo die führenden Adligen ihn mit großen Erwartungen empfingen. Graf Johann von Medem und Landmarschall Otto von Medem, beide hochrangige Maurer, hatten in Deutschland studiert, wo sie mit alchymischen und mystischen Gruppen in Kontakt getreten waren. Seither hatten sie Maurerlogen in Mitau betrieben und bei der Ankunft Cagliostros leiteten sie eine Loge der Strikten Observanz. Hier beeindruckte Cagliostro die führenden Familien mit seiner Hellsichtigkeit, seinen Versprechen, verborgene Schätze zu entdecken und Séancen. Nach kurzen Abenteuern mit bescheidenem Erfolg in Sankt Petersburg und Warschau zog er 1780 nach Straßburg weiter, das damals eine Brutstätte von Hochgradlogen war.

Hier widmete er sich der Heilung von Kranken und nahm sich besonders der Armen an, von denen er keine Bezahlung verlangte. Sein Ruf als Heiler und Alchemist verbreitete sich schnell und Prinzkardinal Rohan verlor keine Zeit, seine Bekanntschaft zu machen. Bald genossen Cagliostro und seine Frau den Aufenthalt im Palast des Erzbischofs in Saverne. Zu dieser Zeit begann Cagliostro über einen eigenen Ritus der ägyptischen Maurerei nachzudenken, denn die erste Erwähnung eines solchen Ritus stammt vom September 1781. Möglicherweise ließ er sich zwei zeitgenössischen Publikationen anregen, welche die Maurerei auf das alte Ägypten zurückführten. Das erste der beiden Bücher, »Sethos« von Abbé Terrasson, war 1767 in zweiter Auflage erschienen, das zweite, »Crata Pepoa oder Einweihungen in der alten geheimen Gesellschaft der egyptischen Priester«, verfasst von den beiden Maurern von Koeppen und von Hymnen, war 1777, 1778 und 1782 erschienen. 1783 verließ Cagliostro Straßburg und reiste nach Bordeaux, wo er 11 Monate verbrachte, bevor er im Oktober 1784 nach Lyon weiterzog. Bald suchte er bei Willermoz – erfolglos – um Hilfe bei der Einrichtung einer Loge mit seinem Ritus nach, konnte aber trotzdem am 24. Dezember dieses Jahres die Mutterloge seiner ägyptischen Maurerei mit dem Namen »La Sagesse Triomphante« (»Die triumphierende Weisheit«) in Lyon gründen.

Ende Januar 1785 folgte Cagliostro den Bitten Kardinal Rohans, der ihn nach Paris eingeladen hatte, um ihre Zusammenarbeit fortzusetzen. Dort eröffnete er zwei Logen seines Ritus und sie wurden der letzte Schrei. In einem von Kardinal Rohan zur Verfügung gestellten Haus hielt er Hof, einem Haus, das über ein üppiges, orientalisch ausgestattetes Séancezimmer verfügte. Statuetten der Isis und des Ochsen Anubis standen neben einem ausgestopften Ibis, ein balsamiertes Krokodil, das traditionelle Symbol der Alchemisten, hing an der Decke und die Wände waren mit Hieroglyphen bedeckt. Lakaien, die wie ägyptische Sklaven gekleidet waren, warteten auf. Der Großkophta selbst erschien in einer schwarzen Seidenrobe, die mit roten Hieroglyphen gesäumt war, seinen Kopf bedeckte ein goldfarbener Turban mit Juwelen.

Die ägyptische Maurerei ließ Frauen und Männer zu, auch wenn sich ihre Logen und Rituale unterschieden. Die Kandidaten konnten jeder Religion angehören, mussten aber an die Existenz eines höchsten Wesens und die Unsterblichkeit der Seele glauben. Männliche Kandidaten mussten bereits den Meistergrad in einer symbolischen Loge erworben haben. Der Orden enthielt die drei höheren Grade des (ägyptischen) Lehrlings, Gesellen und Meisters, die jenen der symbolischen Maurerei entsprachen, und verwendete dieselbe Symbolik – die Legenden von König Salomo und Hiram, dem König von Tyrus eingeschlossen –, ergänzte diese aber durch eine ägyptische Symbolsprache und Elemente der Alchemie, Astrologie und Magie. Trotz der ägyptischen Aufmachung stellte Cagliostros Ritual eine Art jüdisch-christlicher Theurgie dar, es enthielt Bezüge auf Jehova und Anrufungen der sieben Erzengel Anael, Michael, Raphael, Gabriel, Uriel, Zobiachel und Hanachiel. Das Ritual des ägyptischen Meistergrades lehrte, der Mensch sei als Bild Gottes geschaffen worden und solange er seine Unschuld besaß, habe er über alle Lebewesen, Engel und Zwischenwesen geherrscht. Nachdem er aber seine Macht missbraucht hatte, entzog ihm Gott seine Vorrangstellung, die Unsterblichkeit und die Erlaubnis, mit geistigen Wesen zu kommunizieren. Nur einige wenige auserwählte Menschen wie Enoch, Elias, Moses, David, Salomo und der König von Tyrus pflegten diese Gabe fort. Das Ziel der Initiation in den ägyptischen Ritus war die Wiederherstellung der ursprünglichen Reinheit und Macht des Menschen, die dadurch erreicht werden sollte, dass dieser wieder in die Welt der Geister eintrat. Dieser Grad wurde als eine Art Séance zeremonieller Magie beschrieben, bei der ein Knabe oder ein Mädchen, welche die Taube des Ritus repräsentierten, als Vermittler zwischen der physischen und der geistigen Welt wirkten, indem sie in einem Zustand der Trance in eine Wasserkaraffe blickten. Die Rituale beschrieben drei Stufen der Wiederherstellung: eine spirituelle, eine intellektuelle und eine physische. Dreifach erneuert, war der Initiierte zu außerordentlichen Taten der Theurgie und des Heilens imstande.

Die Vorstellungen vom Fall des Menschen aus der ursprünglichen Gnade in die Finsternis der stofflichen Welt und der Notwendigkeit der Wiederherstellung erinnern natürlich an die mystischen Lehren von der Wiedereinsetzung der Wesen, die unter den Auserwählten Cohens und den Chevaliers Bienfaisants verbreitet waren. Es ist möglich, dass Cagliostro diese Lehren bereits 1781 durch Barbier de Tinan, den Präfekten der Chevaliers Bienfaisants sowie Baron von Lutzelburg und Laurent Blessig, zwei andere Straßburger Ritter dieses Ritus kennenlernte. Eine andere Theorie besagt, Cagliostro habe die Ideen Pasquallys bereits viel früher gekannt. Laut John Yarker soll Cagliostro nach seiner Initiation in London 1776 in einer Buchhandlung ein Manuskript von George Cofton über die ägyptischen Ursprünge der Maurerei gefunden haben. Cofton soll ein ehemaliger katholischer Priester aus Irland gewesen sein, den die Lehren Martinès de Pasquallys beeinflusst hatten.

Die theurgischen und alchymischen Aspekte des von Cagliostro geschaffenen Systems werden besonders an der Beschreibung zweier »Quarantänen« oder magischer Klausuren deutlich. Beide dauerten vierzig Tage. Die erste enthielt Rituale und Gebete, die zur theurgischen Herbeirufung der sieben Erzengel mit Hilfe von Talismanen, Siegeln und Fünfecken führten. Die zweite zielte auf die physische Verjüngung und den alchymischen Erwerb der Unsterblichkeit. Die Rituale bestanden aus Fasten, Aderlass und der Einnahme gewisser als »Körner« bezeichneter weißer Pillen, bei denen es sich um aufeinanderfolgende Gaben der »materia prima« handelte. Bei der Einnahme des zweiten Kornes am 33. Tag verlor der Kandidat Haut, Haare und Zähne , aber wenn er das letzte Korn am 36. Tag zu sich nahm, kamen Haut, Haare und Zähne zurück und der Kandidat erlangte seine ursprüngliche Gesundheit wieder. Diese Wunder dürften zu den »geheimsten Geheimnissen« gehören, die man in der esoterischen Maurerei erleben konnte.

Die illuministischen Gesellschaften und viele Formen der Hochgradmaurerei waren in ihren Ideen und Praktiken offen esoterisch. In vielen Fällen gehörten ihre Mitglieder mehr als einer Organisation an und die illuministischen Gruppierungen unterhielten mit den Maurerlogen eine symbiotische Beziehung, deren Mitglieder ihrerseits mit Abstammungsmythen und hermetischen Lehren umgingen. Es sei daran erinnert, dass die französische Maurerei sich frühzeitig von der säkularisierenden, entchristlichenden, demokratisierenden Tendenz der englischen Großloge absetzte (für welche die Anderson-Konstitutionen stehen), indem sie christliche, mittelalterliche, ritterliche und aristokratische Formen ausbildete. Nachdem diese höheren Grade und ihre implizite Hierarchie sich entwickelt hatten, war es möglich, die höheren Grade mit esoterischem Wissen zu verbinden. Die Übernahme esoterischer, hermetischer, theosophischer, alchymischer und rosenkreuzerischer Vorstellungen ist ein komplexer Vorgang, der mit dem Fortwirken der Theosophie und des Pietismus im 18. Jahrhundert und ihrer wachsenden Bedeutung in der Gegenaufklärung zu tun hat.

Die maurerische Laufbahn von Jean Baptiste Willermoz illustriert, wie die Freimaurerei sich auf die Suche nach ihrer tieferen Bedeutung machte. Enttäuscht von der Banalität und Frivolität seiner früheren maurerischen Erfahrungen, hielt er an der Überzeugung fest, die Maurerei enthalte »seltene und wichtige Wahrheiten«. Er versuchte sie so zu reformieren, dass ihre Adepten diese höhere Bedeutung verstehen konnten. So wie Willermoz waren auch viele Hochgradmaurer, die sich auf Initiationen und okkulte Lehren eingelassen hatten, für höhere Geheimnisse empfänglich, während die illuministischen Gruppierungen in der Maurerei eine verwandte Strömung erblickten, die über die gleiche Inspiration, dieselbe Symbolik und hierarchische Ordnung verfügte. Indem die kontinentale Maurerei esoterische Themen mit den Hochgraden verknüpfte, wandelte sie sich zu einem kraftvollen Werkzeug, das die westlichen esoterischen Traditionen durch das 18. Jahrhundert hindurch aufrecht erhielt und zu ihrer Verbreitung beitrug.

Fortsetzung:
Emanuel Swedenborg


Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Möchten Sie die freie Meinungsäußerung und die Freiheit der Wissenschaft und Forschung erhalten?

Dannn unterstützen Sie den anthroblog durch eine einmalige oder wiederkehrende Spende!



Oder durch eine Banküberweisung an: Lorenzo Ravagli, GLS Bank Bochum, IBAN: DE18 4306 0967 8212 0494 00 / BIC: GENODEM1GLS.


Ich will zwei- bis dreimal im Jahr durch den Newsletter über neue Beiträge im anthroblog informiert werden!

Kommentare sind geschlossen.

Kommentare sind geschlossen