Emanuel Swedenborg

Zuletzt aktualisiert am 11. Juni 2013.

Emanuel Swedenborg, Aufklärer und Mystiker

Emanuel Swedenborg, Aufklärer und Mystiker

Goodrick-Clarke führt Emanuel Swedenborg (1688-1772) als Hauptrepräsentanten der Theosophie des 18. Jahrhunderts und Schlüsselgestalt in der Geschichte der westlichen Esoterik ein. Aber mit der Theosophie Jacob Boehmes und seiner Nachfolger im 17. Jahrhundert (das man als »goldenes Zeitalter der Theosophie« bezeichnen kann) hat die Gottesweisheit Swedenborgs wenig Ähnlichkeit. Und sie unterscheidet sich ebenso sehr von der Theosophie seiner Zeitgenossen Martinès de Pasqually oder Saint-Martin. Schon Antoine Faivre ist aufgefallen, dass Swedenborgs Gottesweisheit zwar Mittelwesen, Korrespondenzen und einen Zugang zu höheren Welten kennt, aber gänzlich der mythischen und dramatischen Elemente entbehrt, die man in früheren und zeitgenössischen Formen der Theosophie findet. So gibt es bei Swedenborg weder einen Fall der Menschheit, noch eine Reintegration, weder eine Transmutation, noch eine Wiedergeburt. Stattdessen bewegt er sich in einem relativ nüchternen Mesokosmos voller Geister, der in einer sachlichen Sprache beschrieben wird. Bei diesen Geistern handelt es sich um die Seelen der Verstorbenen, welche die Lebenden belehren, die Heilige Schrift deuten und neue theologische Ideen vermitteln. Man könnte sagen, Swedenborgs Theosophie sei erheblich von der Wissenschaft und der Rationalität der Aufklärung beeinflusst worden, aber es finden sich ebenso Einflüsse des protestantischen Pietismus in ihr. Seine Anpassung an den säkularisierenden Einfluss der Aufklärung lässt ihn zu einer Schlüsselgestalt in der Herausbildung der modernen Esoterik werden.

Aufgeklärter Wissenschaftler …

Swedenborg darf als Wissenschaftler und Visionär einen herausragenden Platz in der europäischen Geistesgeschichte beanspruchen. Gegen Ende eines gepeinigten Jahrhunderts geboren, hatte er Teil am Aufbau jener modernen Weltsicht, die auf Vernunft, Wissenschaft und materiellem Fortschritt beruht. Bevor er 25 Jahre alt war, hatte er bereits mit Isaac Newton, Edmund Halley und anderen führenden Wissenschaftlern in England, Frankreich und Holland zusammengebarbeitet. Zwischen 1680 und 1710, dem Jahr, als Swedenborg sein Heimatland verließ, um nach London und Paris zu gehen, entwickelten sich in den europäischen Hauptstädten dank Christian Huygens, Robert Boyle, Robert Hooke und Hermann Boerhaave die neuen Wissenschaften der Astronomie, Physik, Chemie und Biologie rapide. Gleichzeitig schufen Denker wie René Descartes und Baruch de Spinoza geometrische und mechanistische Philosophien, die der Welt optimistisch eine rationale, zweckmäßige Ordnung zugrunde legten. Zwischen 1700 und 1740 schufen die europäischen Wissenschaften in hohem Tempo ein rationales Verständnis der Natur, mit dem Ziel, ihre Kräfte für den Nutzen des Menschen einzusetzen. Die schnelle Vermehrung wissenschaftlicher Erkenntnis sowie ihre Anwendung in der Navigation, Technik und Industrie entfesselte eine einzigartige Woge ökonomischen Wachstums in Europa und legte den Grund für die koloniale Expansion.

Swedenborg war in dieser sich schnell verändernden Welt zu Hause. Er arbeitete an technischen Erfindungen, neuen Maschinen und großen Projekten der Ingenieurskunst und hatte zwischen 1724 und 1747 ein Amt im schwedischen Ministerium für Bergbau inne. Er reiste überall in Europa herum und veröffentlichte bahnbrechende Werke auf so unterschiedlichen Gebieten wie der Astronomie, der Physik, dem Ingenieurswesen, der Chemie, der Geologie, der Anatomie, der Physiologie und Psychologie. Gleichzeitig spielte er eine wichtige Rolle in öffentlichen Institutionen Schwedens, die mit Finanzen und Politik zu tun hatten. Diese weltlichen, rationalen Interessen absorbierten Swedenborg vollständig. Bis zu seinem 50. Geburtstag schien er an Religion kein Interesse zu haben und nahm kaum an einem Gottesdienst teil. Aber im Frühjahr 1744 änderte sich das Leben dieser bekannten Gestalt der europäischen Wissenschaft, dieses Mitglieds der Schwedischen Akademie, das auf der Höhe seiner Macht angelangt war, plötzlich und unwiderruflich.

… und Visionär

Swedenborg erlebte bei seiner Reise durch Holland, in der Osterwoche 1744, eine emotionale Krise, die in einer nächtlichen Vision des Christus gipfelte. Er fiel aus seinem Bett, fand sich an Jesu Brust ruhen und fühlte sich von Gott zu einer besonderen Mission berufen. In den folgenden Monaten versuchte er sich in seinem neuen religiösen Erleben zurecht zu finden. Er führte ein enthüllendes Traumtagebuch und schrieb »Worship and Love of God«, eine außerordentliche Synthese aus Mythologie und Wissenschaft. Im Frühjahr 1745 hatte er in London seine erste Vision der spirituellen Welt und ihrer Bewohner. Gott der Herr erschien Swedenborg und erklärte ihm, seine Mission sei es, »der Menschheit die spirituelle Bedeutung der Hl. Schrift zu erklären.«

Von da an besaß Swedenborg die Fähigkeit, in die geistige Welt zu blicken und empfing ständig Inspirationen, die den Inhalt seiner neuen Berufung konkretisierten. 1748 begann er an den »Arcana Coelestia«, den »Himmlischen Geheimnissen« zu schreiben, einem achtbändigen visionären Werk, auf das ein Strom von weiteren Büchern folgte, die der Theologie und der Bibelexegese gewidmet waren, unter anderem »Erden im Himmel«, »Das Letzte Gericht«, »Das Neue Jerusalem und seine himmlische Lehre« und sein berühmtestes Buch, »Himmel und Hölle«, die alle 1758 erschienen. In den 1760er Jahren veröffentlichte er weitere Bücher zur Schriftdeutung. Die Verstorbenen und die Engel erklärten ihm deren Bedeutung durch Visionen, die ihn in imaginative Paläste und Gärten, in Vorlesungssäle, Kollegien und Konferenzen führten, die in wunderbaren, geheimnisvollen Landschaften lagen.

Swedenborgs visionäre Fähigkeit war einzigartig. Niemals zuvor hatte es einen christlichen Visionär gegeben, der zugleich über die intellektuelle Ausbildung und die Fähigkeiten eines Wissenschaftlers verfügte. Im Unterschied zu den Entrückungen, mystischen Vereinigungen und Aufstiegserlebnissen, die den englischen, deutschen und spanischen Mystikern vom Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert vertraut waren, nahmen Swedenborgs Visionen stets auf die Bedeutung der Hl. Schrift Bezug, was seinen Büchern eine bemerkenswerte Nüchternheit verleiht. Man liest einen prosaischen, aber überzeugenden Bericht über Begegnungen mit Geistern, deren Mitteilungen detaillierte Informationen über Gott, den Himmel und die Erde, die Aufgaben des Menschen, das Letzte Gericht und das Leben nach dem Tode enthalten.

Swedenborgs Geburt fiel in die Zeit des Aufstiegs des europäischen Rationalismus, seine neue spirituelle Berufung während des Höhepunktes der Aufklärung schien zu dieser in krassem Widerspruch zu stehen. In der Mitte des Jahrhunderts hatte die Anbetung der Natur und der Vernunft, die in den Werken Voltaires, Jean-Jacques Rousseaus und Kants ihren Höhepunkt erreichte, den Prozess der Säkularisierung beschleunigt. Swedenborg rief naturgemäß Kontroversen hervor und die Lager waren schnell gebildet. 1760 verteidigte Friedrich Christoph Oetinger (1702-1782), der berühmte deutsche Pietist und Prälat, Swedenborgs Werk und lud ihn nach Deutschland ein. Oetingers äußerst wohlwollendes Buch »Swedenborgs und anderer irdische und himmlische Philosophie« war aus seinen Studien zu Boehme entstanden und verglich den schwedischen Seher mit anderen zeitgenössischen Denkern. In der Zwischenzeit schrieb Immanuel Kant eine bissige und – wie er später selbst zugestand – , ungerechte Besprechung mit dem Titel »Träume eines Geistersehers« (1766), die das Ansehen Swedenborgs unter den Denkern der Aufklärung beschädigte. Während Swedenborgs Visionen Tagesgespräch in England, Frankreich und Deutschland waren, brach in Schweden eine kirchliche Kontroverse los und man bemühte sich darum, sein Werk für häretisch zu erklären. Irgendwann erlosch dieser Sturm und Swedenborg wurde rehabilitiert. Er starb 1772 im Alter von 84 Jahren in London. Am Ende des Jahrhunderts hatten seine vielen Anhänger in England die »Neue Kirche« gegründet, um seine Lehren zu propagieren, die sich im 19. Jahrhundert in Amerika und anderen Ländern ausbreitete. 1911 wurde Swedenborgs Leichnam in die Kathedrale von Uppsala umgebettet. Als berühmter Sohn seines Landes verehrt, ruht er dort neben Königen und anderen führenden Gestalten Schwedens.

Swedenborg ist nicht nur eine führende Gestalt in der Geschichte der christlichen Mystik und der westlichen Esoterik, er ist gleichzeitig auch ein bedeutender Repräsentant des Denkens des 18. Jahrhunderts. Inspiration und hochfliegende Ziele, ein leidenschaftliches Interesse an den neuen mathematischen Wissenschaften und eine erstaunliche Fähigkeit des Forschens und wissenschaftlichen Arbeitens, sowie sein öffentliches Leben und seine politischen Aktivitäten als Adliger im schwedischen Oberhaus und seine Reisen nach Amsterdam, Leipzig, Paris, Rom und London zeichnen ihn als kosmopolitischen Philosophen der Aufklärung aus. Swedenborg ist auch für die Geschichte des religiösen Denkens von Bedeutung, da er der protestantischen Theologie neue Perspektiven eröffnete, welche die Rechtfertigung durch den Glauben, die Ethik, die Eschatologie und das Leben nach dem Tod betreffen. Er lässt sich deshalb sowohl in den Hauptstrom der westlichen esoterischen Tradition einordnen, als auch in die Geschichte der christlichen Visionäre.

Das Zeitalter der Vernunft und der Pietismus

Das Jahr 1710, in dem Swedenborg das erste Mal nach England kam, ruft Bilder eines eleganten Hannoveranischen London hervor. Hier standen die jüngst errichtete St. Pauls Kathedrale Christopher Wrens, das Greenwich Observatorium unter der Leitung des königlichen Astronomen John Flamsteed und die eleganten Herrenhäuser, die von erfolgreichen Whig-Magnaten zur Zeit von Königin Anne gebaut worden waren. Die Bank von England hatte 1694 ihre Tore eröffnet, täglich wurden neue Beteiligungsgesellschaften gegründet und der Handel expandierte in England und Europa. Aber diese komfortable, ja selbstgefällige Ära war ein relativ junges, hart erkämpftes Phänomen. Nur ein Vierteljahrhundert zuvor hatte sich Europa einem Zeitalter der Religionskriege entwunden, die nahezu ununterbrochen von 1559 bis 1689 währten. Während dieser Periode wurde Europa von den französischen Bürgerkriegen erschüttert, von der niederländischen Revolte, der schottischen Rebellion, dem Kampf der spanischen Armada gegen England, dem Dreißigjährigen Krieg in Deutschland, der puritanischen Revolution und dem Bürgerkrieg in England. All diese Konflikte hatten ihren Ursprung in der religiösen Kontroverse, die im frühen 16. Jahrhundert durch die Reformation in Gang gesetzt worden war, deren Auswirkungen Europa mehr als anderthalb Jahrhunderte mit Brandschatzung und Mord überzogen. Noch waren die Erinnerungen an Märtyrer, Kreuzzügler, Aberglauben, Intoleranz, den Kampf der Sekten und an Hymnen singende Armeen nicht verblasst. Erst als diese ideologischen Konflikte in den 1680er Jahren endgültig ausgebrannt waren, kehrte die europäische Politik zu ihren säkularen Leitbildern zurück. Seither waren die Menschen glücklich, in die weltlichen, aber komfortablen Reiche von Handel und Investment, Wissenschaft und sozialem Fortschritt eintauchen zu dürfen.

Aber die Aufklärung war ein vielschichtiges Phänomen, das aus drei Phasen bestand, von denen die frühe und die späte Phase Zeugen blühender konkurrierender mystischer und präromantischer Strömungen waren. In der Frühaufklärung entstand in Deutschland und Schweden als Reaktion gegen den orthodoxen Lutheranismus die pietistische Bewegung, in die viele bedeutende deutsche Idealisten geboren wurden, Kant und Andreas Rüdiger eingeschlossen. Swedenborg war der Sohn von Jesper Swedberg (1653-1735), eines mächtigen Bischofs der schwedischen lutheranischen Kirche. Als junger Mann war Swedberg weit herumgereist und hatte den englischen Puritanismus und den deutschen Pietismus erlebt, eine Bewegung die von Johannes Arndt (1555-1621) in Gang gesetzt und von Philipp Jakob Spener (1635-1705) und August Hermann Francke (1633-1727) fortgeführt wurde. Diese Männer verbanden ihren lutherischen Glauben mit einer Frömmigkeit des Herzens, die sie Waisenhäuser, Schulen und die soziale Wohlfahrt im allgemeinen verbessern ließ. Swedberg war von der Forderung des Pietismus nach aktiver christlicher Arbeit beeinflusst und verwarf die Vorstellung, der Glaube allein genüge, um die Seele zu retten. In seinen hohen Ämtern als Bischof, Rektor der Universität und Theologieprofessor suchte er die Strenge der lutherischen Orthodoxie zu mildern, indem er die Seelsorge verbesserte und besonderes Gewicht auf die persönliche Bekehrung und ein praktisch gelebtes Christentum legte. Er glaubte als frommer Christ an Engel, Geister, den Teufel und die Wirksamkeit von Exorzismen und sah Gott und Satan in einem tödlichen Kampf um jede Menschenseele, seine eigene nicht ausgenommen, die von zahlreichen Versuchungen heimgesucht wurde. Dies war die Umgebung, in der Emanuel Swedenborg aufwuchs.

Die »geometrische« Weltsicht Newtons

Die Beschäftigung des jungen Swedenborg mit humanistischen Studien unter der Aufsicht seines Schwagers Eric Benzelius (1675-1743), in dessen Haushalt er von 1703-1709 lebte, bedeutet einen großen Schritt weg von den starken religiösen Überzeugungen und der Frömmigkeit seines Vaterhauses. Benzelius, ein glänzender junger Professor in Uppsala, ermunterte Swedenborg zu diesen Studien und könnte entscheidend bei seiner Förderung gewesen sein. Er sandte eine ganze Reihe von aufgeweckten jungen Studenten in die Städte Westeuropas, um sich dort in Forschungsgebiete zu vertiefen, die es in Schweden noch nicht gab. Als Swedenborg nach London ging, hatte er bereits die Werke von Isaac Newton, Nicolas Malebranche, John Norris und Robert Boyle verschlungen und schien das kirchengebundene Christentum hinter sich gelassen zu haben.

Auch wenn der Bischof fürchtete, sein Sohn sei zu den Atheisten und Freidenkern übergelaufen, betrachtete Swedenborg die Natur wie viele zu dieser Zeit als Buch, das Gott geschrieben hatte und das als Quelle der Erkenntnis nur von der Hl. Schrift übertroffen wurde. Die Vorstellung eines vernünftig geordneten Universums, das eine Offenbarung Gottes und die sichtbare Realisation seines Willens war, verlieh der Wissenschaft eine priesterliche Dimension. In dieser Hinsicht war Swedenborg von Jan Swammerdam (1637-1680) beeinflusst, dem berühmten holländischen Naturgelehrten, dessen wunderschön illustriertes Buch über Insekten den suggestiven Titel »Biblia naturae« (»Bibel der Natur«, 1737) trug.

Swedenborgs frühe Leidenschaft für die Wissenschaft spiegelt den Glauben des Rationalismus an eine Naturordnung wieder, die auf Gott zurückzuführen ist. Die Wissenschaft, der er 1710 in England begegnete, war von der mechanistischen Weltsicht beherrscht. Mathematik, Mechanik und Astronomie waren Teile einer Wissenschaft der Zahlen und Körper. Aus der Messung und Korrelation von Phänomenen gingen Naturgesetze in Gestalt mathematischer Formeln hervor, und Unbekannte konnten mit Hilfe von Algebra und numerischer Kalkulation berechnet werden. Die Mathematisierung physischer Körper, Kräfte, Bewegungen, Gewichte und Maße wurde angewandt, um die Bewegung von Projektilen, Planeten und Gezeiten vorauszusagen, um die Aufnahmefähigkeit von Schiffen, die Größe von Dämmen und Kanälen und die Leistungsfähigkeit von Maschinen zu berechnen. Swedenborg glaubte, Mathematik, Geometrie und Mechanik offenbarten die tiefste Ordnung der Natur und stellten die Mittel bereit, um diese den Zwecken des Menschen zu unterwerfen. 1718 veröffentlichte er sogar einen Aufsatz, der versuchte, geistige und gedankliche Vorgänge aus kleinsten Vibrationen oder »Schwingungen« herzuleiten, wobei er sich auf eine Idee des italienischen Wissenschaftlers Giovanni Alfonso Borelli (1608-1679) bezog. In den 1720er Jahren setzte er den Versuch fort, mit Hilfe mechanischer Begriffe die Sinneswahrnehmung und das menschliche Bewusstsein zu erklären.

Swedenborgs wissenschaftliches Denken in seinem ersten bedeutenden Werk, den »First Principles of Natural Things« (»Erste Prinzipien der Natur«, 1734) zeugt von dieser mechanistischen und geometrischen Weltsicht. Aber selbst in diesem Werk nimmt Swedenborg »das Unendliche» – womit er eine erste unerklärliche Ursache bezeichnete, die als Quelle der Energie in die menschliche Seele strömt – von dieser mechanistischen Kausalität aus (ebenso in seinem Buch »The Infinite and the Final Cause of Creation« [»Das Unendliche und die letzte Zweckursache der Schöpfung«, 1734]). Dieser Gedanke erinnert an den englischen Deismus, der von John Toland (1670-1722) und Matthew Tindal (ca. 1655-1733) unter »religionshungrigen Rationalisten« begründet wurde, und mit der umstrittenen Richtung des Arianismus verbunden war. Diese religiöse Minderheitenbewegung des frühen Christentums hatte die Trinität und die Göttlichkeit Christi zugunsten eines einzigen väterlichen Gottes verworfen. Führende Aufklärer im hannoveranischen England neigten arianischen, deistischen Ansichten zu, da sie eher mit der mechanistischen und mathematischen Weltsicht vereinbar schienen, als irgendeine Form des Theismus, der davon ausging, dass Gott durch Offenbarung und Wunder in den Gang der Natur und Geschichte eingreift. Zu den Deisten gehörten Isaac Newton (1642-1727) und seine Schüler William Whiston (1667-1752) und Samuel Clarke (1675-1729), deren spektakulärer Bruch mit der Kirche während Swedenborgs erstem Aufenthalt in London für einen Skandal sorgte.

Vitalistische Ideen

Unter dem Einfluss deutscher Aufklärer ging Swedenborg von seiner geometrischen und mechanistischen Weltsicht zu einer organischen und vitalistischen über, welche die Natur als lebendiges, beseeltes Ganzes betrachtete. Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), Christian Wolff (1679-1754) und Andreas Rüdiger (1673-1731) führten in die Wissenschaft und den Rationalismus wieder teleologische Fragestellungen ein. Rüdiger, ein Professor für Philosophie in Halle und Leipzig, stand dem Pietismus nahe. Mit seiner Kritik an der Verwendung mathematischer Methoden in der Philosophie rief Rüdiger eine neue Strömung der akademischen Philosophie im 18. Jahrhundert ins Leben. Zusammen mit seinem jungen Kollegen Christian August Crusius (1715-1775) setzte er sich dem dominanten Einfluss Wolffs entgegen und inspirierte Kant in seiner vorkritischen Phase. Swedenborg beeindruckte vor allem Rüdigers »Göttliche Physik« von 1716, weil sie die mechanische Erkenntnis einer organischen Philosophie der Natur unterordnete, die im Falle Rüdigers von Henry More (1614-1687), einem Cambridger Platoniker stammte.

Den Kern der vitalistischen Ansichten Swedenborgs bildete seine Idee des mathematischen Punktes, den er aus der Bewegung des Unendlichen herleitete, das seiner Auffassung nach nicht den mechanischen Gesetzen unterlag. Diesem Punkt schrieb er eine potentielle Energie zu, deren Übergang zur Aktivität die ersten Partikel und damit die Materie entstehen ließ. Auf diese Weise wird die Bewegung, die aus der potentiellen Energie des Unendlichen entspringt, zum Prinzip des Lebens, welches das gesamte Universum durchdringt. Diese vitalistische Idee widersprach der vorherrschenden cartesischen Unterscheidung zwischen Geist und Körper. Descartes hatte behauptet, die Seele sei etwas rein Geistiges und Gedanken seien abstrakt, aber diese geistige Welt entbehrte jeder konkreten Verbindung mit der sichtbaren, »realen« Welt der Dinge. Swedenborg sah hingegen in einer organisch-vitalistischen Wissenschaft eine Möglichkeit, zu erklären, wie das Geistige im Stoff wirkt, wie es Organe gestaltet, um später durch diese Organe zu wirken. Daher betrachtete er die metaphysische Annahme, geistige Kräfte seien transzendent und abstrakt, als Entmachtung und Verbannung dieser Kräfte aus der Welt, und versuchte stattdessen, sie wieder mit einer physisch fundierten Naturwissenschaft in Verbindung zu bringen, welche das Leben und die Beseelung aus ebendiesen geistigen Kräften erklärte.

Seine Schriften »Dynamik der Seelenwelt, 1740-1741 und »Die Seelenwelt II« (1744-1745) zeugen von dieser Denkweise. Die zwei umfangreichen Werke, die detaillierte Beschreibungen der menschlichen Anatomie, Physiologie und Psychologie enthalten, lassen erkennen, wie sehr sich der Autor darum bemüht, den Sitz der Seele zu finden. Swedenborgs »archeus« (die ursprüngliche Energie) und die »vis formatrix« oder »vis plastica« (die Bildekraft) verbinden den makrokosmischen Gott mit dem Mikrokosmos des einzelnen Menschen, indem sie die formenden Kräfte in den Kosmos selbst verlegen, der seine implizite, von Gott gegebene Ordnung schrittweise entfaltet. Swedenborg beruft sich in seinen Ausführungen auf Henry More und Johann Baptista van Helmont (1577-1644) und reiht sich damit in eine lange Tradition der Naturphilosophie ein, die von Albertus Magnus und Nicolaus Cusanus über Paracelsus – der den Begriff des »archeus« geprägt hatte – und Jacob Boehme bis zu den Rosenkreuzern und Robert Fludd reichte. Martin Lamm hat diese Tradition erforscht, und Swedenborgs Interesse am Neuplatonismus sowie die Tatsache belegt, dass seine wissenschaftliche Weltsicht durch die ihm zuteil gewordenen religiösen Offenbarungen nicht grundlegend verändert wurde (»Emanuel Swedenborg: The Development of His Thought«, 2000; schwedische Erstausgabe 1915). Ernst Benz sicherte später die wissenschaftliche Wiederentdeckung Swedenborgs und seine Befreiung aus einem hagiographischen Kontext ab, indem er dessen Werke in der Hauptströmung der westlichen esoterischen Tradition mit ihren neuplatonischen und hermetischen Vorstellungen über die Beziehungen zwischen Gott und der Seele des Menschen verortete (Benz, »Swedenborg, Naturforscher und Seher«, 1. Aufl. 1948).

Korrespondenzen

Diese esoterischen und mystischen Vorstellungen über Gott, die Natur und den Menschen treten in Swedenborgs späteren wissenschaftlichen Arbeiten deutlich hervor. Seine visionären Schriften, die sich auf Unterhaltungen mit Geistern und Engeln stützen, arbeiteten die esoterische Lehre der Korrespondenzen aus. Seine eigene Auffassung dieser Korrespondenzen, die in der »Dynamik der Seelenwelt« dargelegt wird, fasste bereits ein Manuskript mit dem Titel »Ein hieroglyphischer Schlüssel zu den natürlichen und geistigen Geheimnissen, vermittelt durch Spiegelungen und Korrespondenzen« zusammen, das er 1741 verfasste, das aber erst nach seinem Tod 1784 veröffentlicht wurde. In diesem Werk erläutert Swedenborg bereits vier Jahre vor der Vision seiner Berufung ein Grundgesetz, das die Verwirklichung des göttlichen Lebens in den unterschiedlichen Reichen des Kosmos beherrscht. Es besteht eine Übereinstimmung zwischen den göttlichen, geistigen und natürlichen Dingen und eine Korrespondenz zwischen ihren Zeichen. Die Beziehung zwischen den göttlichen, geistigen und natürlichen Dingen entspricht jener zwischen Urbild, Abbild und Schatten.

Swedenborgs organisch-vitalistische Weltsicht hatte bereits die aristotelische Idee der Form und die »vis formatrix«, die Bildekraft, in sich aufgenommen, die jedem Naturwesen als schöpferische Kraft innewohnt. Seine Vorstellung des schöpferischen Prinzips, das sich wie ein »Ideenkeim« verhält, spiegelt die neuplatonische Idee wieder, dass die universellen Formen in den Stoff eindringen, um ihn zu gestalten. In seinem Werk »Die Verehrung und Liebe Gottes« erklärt Swedenborg, dass alle Körper und Formen der Natur sich aus ihrer Seele, ihrem Urbild herleiten, das sie abbilden. Aus seiner Sicht enthalten die ägyptischen Hieroglyphen eine Erinnerung an diese ursprüngliche, geistig anschaubare Form, die das Wesen der Dinge darstellt. »Die Ägypter scheinen diese Lehre ausgearbeitet zu haben und sie haben diese Korrespondenzen mit unterschiedlichen Hieroglyphen ausgedrückt, die nicht nur die Naturgegenstände abbildeten, sondern auch ihr geistiges Gegenstück.« (»Arcana coelestia« 6692, 7097, 7926; »Spirituelles Tagebuch«, 6083). Lamm und Benz haben darauf hingewiesen, dass Swedenborg mit Texten der neuplatonischen Tradition vertraut war, die beschreiben, wie der göttliche Geist sich stufenweise in immer mehr verdichtenden Abbildern seiner selbst offenbart. Aber Swedenborg bezog sich nicht nur auf die hermetische Entsprechungslehre, sondern auch auf Marsilio Ficinos Übersetzung Plotins sowie die Theologie des Aristoteles, einen pseudepigraphischen neuplatonischen Text, also zwei Kernstücke der esoterischen Philosophie.

Ursprünglich nahm Swedenborg an, allen Worten und Texten wohne eine höhere geistige Bedeutung inne und er ging wie Boehme von der universellen Präsenz der Signaturen in der gesamten Schöpfung aus. Aber seit seiner Vision im April 1745 bezog er die Korrespondenzen zunehmend auf das Wort Gottes. Die Hl. Schrift erschien ihm nun als das sichtbare Abbild der göttlichen Wahrheit, das im Sinne des Goethewortes: »Du gleichst dem Geist, den du begreifst …« auf das Bewusstsein des Menschen zugeschnitten war. Die göttliche Wahrheit ist durch alle Welten hindurch abgestiegen. Auf ihrer höchsten Stufe können nicht einmal die Engel sie begreifen. Auf einer untergeordneten Stufe wird sie für die Engel verständlich und auf einer weiteren auch für andere Wesen der geistigen Welt. Auf der tiefsten Stufe bildet sich die göttliche Wahrheit in den Worten der Hl. Schrift ab, die der Mensch verstehen kann. Der Wortsinn der Schrift ist der Ausgangspunkt, er ist wie eine Hülle, die den geistigen und himmlischen Sinn umschließt. Das physische Wort ist der Behälter eines geistigen und himmlischen Sinnes, ebenso, wie die irdische Welt der Behälter des höheren, geistigen und himmlischen Lebens ist. Die Buchstabenzeichen sind der Leib des himmlischen Wortes, sein Schleier, in den es sich hüllt, damit es dem Menschen auf Erden zugänglich wird. In seinen Büchern »Die Lehre der Hl. Schrift (1763) und »Die wahre christliche Religion« (1771) legte Swedenborg den Umriss einer Enzyklopädie der Korrespondenzen vor, mit den unterschiedlichen Bedeutungen von Tieren, Pflanzen und Mineralen, aber auch von Zahlen, Farben, Bewegungen, Gesten und Gegenständen, die in der Bibel vorkommen. Dieselbe Symbolik entdeckte er auch in seinen Visionen und Träumen.

Die Liebe und der innere Mensch

Nachdem Swedenborg seine neue Gabe der geistigen Wahrnehmung empfangen hatte, legte er seine wissenschaftliche Arbeit beiseite, zog sich im Juni 1747 von seinen Aufgaben im Bergbauministerium zurück und widmete sich ganz dem Studium und der Erklärung der Bibel. In seiner Einleitung zu den »Arcana Coelestia« schrieb er: »Die Gnade des Herrn hat mir das Geschenk des Umgangs mit Geistern und Engeln zuteil werden lassen, den ich nun schon seit einigen Jahren ununterbrochen genieße.« Seither habe er seine Theologie auf der Grundlage von Visionen, Unterhaltungen mit Engeln und gelehrten Diskussionen in der Geisterwelt entwickelt. Diese Theologie schloss Themen wie den inneren und den äußeren Menschen, das Letzte Gericht und Gottes schöpferische Liebe ein, die sich in der Erschaffung einer lebendigen, harmonischen und geordneten Welt äußerte.

In »Himmel und Hölle« identifiziert Swedenborg ein jedes Wesen mit dem, was es am meisten liebt, mit seiner »amor regnans« (»beherrschenden Liebe«): ein Mensch ist das, was er liebt. Ein jeder bestimmt sein inneres Wesen und sein Selbstverständnis durch den Gegenstand seiner Liebe. Während des Lebens auf der Erde wurzelt der innere Mensch im äußeren. Der äußere Mensch gestaltet sich selbst durch das äußere Gedächtnis, das fortwährend neue Eindrücke und Anregungen empfängt, die das Verhalten und den Charakter bestimmen.

Nach dem Tod des Leibes empfängt der Mensch nur noch innere, geistige Eindrücke. Der innere geistige Mensch wird im Leben nach dem Tode vervollkommnet, aber nur in dem Maß, als sich bereits der äußere Mensch um moralischen Fortschritt bemüht hat. Der äußere Mensch kann im Leben nach dem Tod nicht verbessert werden, sondern behält den Charakter, den er sich während des Lebens im Leib angeeignet hat. Swedenborgs Beschreibung der Beziehung von Leib und Geist über den Tod hinaus beeinflusste die esoterischen Ansichten Johann Kaspar Lavaters (1741-1801), des Begründers der Physiognomie. Bei Swedenborg findet sich die Idee des »archetypischen« Menschen, nach der Adam und seine Nachkommen Antlitze besaßen, in denen der innere und der äußere Mensch vollkommen übereinstimmten. Wenn sich etwas so vollkommen entspricht, dann wird der physiognomische Ausdruck schlicht zur archetypischen Sprache. Das körperliche Aussehen der Menschen der Vorzeit brachte die Grundtendenz ihres Seins und ihre individuellen, geistigen und emotionalen Erlebnisse vollständig zum Ausdruck. Die äußere Form war so von der inneren durchdrungen, dass das Antlitz schlicht das Innere bedeutete. (»Arcana Coelestia«, 607, 1119, 3527, 3573)

Tod und Jüngstes Gericht

Nach dem Tod ist der innere Mensch befreit und kann sich ungehindert entfalten, woraufhin er sich einer Gesellschaft zuwendet, die seinen Neigungen entspricht. Jedermann wird von der herrschenden Liebe angezogen, die seinem Wesen innewohnt und ihn zu jenen hinzieht, die von der selben Liebe erfüllt sind – man sucht also die Gesellschaft verwandter Geister. Himmel und Hölle sind demnach keine Welten, die auf den Menschen warten und in die er aufgrund eines göttlichen Urteils nach dem Letzten Gericht versetzt wird. Es gibt keine Engel oder Dämonen unabhängig vom Menschen. Die Hölle besteht aus Menschen, deren Grundtendenz egoistisch ist und die gegen Gott und seine Worte hier auf Erden rebelliert haben. Es gibt auch keinen Himmel unabhängig vom Menschen. Der Himmel besteht aus Menschen, die sich aufgrund ihrer gemeinsamen Liebe zu Gott und ihren Nächsten zusammenschließen. Jede Tat ist in dieser Gemeinschaft ihre eigene Belohnung, ebenso wie in der Hölle jede Tat ihre eigene Bestrafung ist.

Swedenborgs Lehre von Himmel und Hölle steht für eine Theologie, die auf radikale Art in der persönlichen spirituellen Entwicklung gründet. Katholiken und Protestanten hatten stets gelehrt, die Toten würden beim Klang der letzten Posaune körperlich auferstehen, um dem Letzten Gericht unterworfen zu werden und je nach Urteil in der Hölle oder im Himmel landen. Dieses Urteil kam von außen und war endgültig. Im Unterschied dazu beschreibt Swedenborg Himmel und Hölle als geistige Möglichkeiten und Steigerungen irdischer Eigenschaften. Seine Theologie betrachtet die Entwicklung der menschlichen Person auf der Erde und nach dem Tod als kontinuierlichen Prozess. Die irdische, körperliche Welt ist von der geistigen nicht künstlich getrennt. Vielmehr entwickelt sich der innere Mensch des physischen Lebens geistig in der nachtodlichen Welt weiter.

War Swedenborg Esoteriker?

Wenn man Swedenborg in die Geschichte der westlichen Esoterik einfügen will, dann wird die Frage nach der Kontinuität seines Denkens zentral für seine Bewertung als Wissenschaftler und Mystiker. Inge Jonsson orientierte sich an Lamm, der die philosophische Kontinuität zwischen dem wissenschaftlichen Werk und der visionären Theologie aufgezeigt hat (Inge Jonsson, »Emanuel Swedenborg«, New York 1971). Aber Jonsson versuchte den Einfluss des Neuplatonismus der Renaissance, der Cambridge-Platoniker und der naturphilosophischen Tradition des Paracelsus und Johann Baptist van Helmonts auf Swedenborg zu minimieren und stattdessen hervorzuheben, was er alles dem cartesischen Denken und der Aufklärung verdankte. Sie behauptet, Swedenborg habe lediglich einige kleine Änderungen  an seinen psychophysischen Spekulationen vornehmen müssen, um bei jenen Ideen zu landen, die er später durch seine geistigen Visionen empfing.

Swedenborgianer (Mitglieder der Kirche, die von seinen Anhängern gegründet wurde), die an der Vorstellung einer unmittelbaren Offenbarung festhalten, haben auf die kanonische Bemerkung des Visionärs hingewiesen, er habe nie die christlichen Theosophen Boehme oder Law gelesen, weil er seinen Geist für die Belehrungen der Geister habe frei halten wollen. Und in der Tat finden sich in seinen visionären Werken keinerlei Zitate außer solche aus der Hl. Schrift, deren Erklärung er als seine Berufung betrachtete. Jonssons Auffassung steht der Ansicht von Benz entgegen und lässt Swedenborg vor allem als wissenschaftlichen Denker erscheinen, dessen spätere visionäre Laufbahn dazu führte, dass er zu Unrecht als Esoteriker gebrandmarkt wurde, der auf der Welle einer inzwischen ad acta gelegten Naturphilosophie mitschwamm, ja noch schlimmer, als Geisterseher und Rückfall in ein abergläubisches Zeitalter.

Marsha Keith Schuchard hat jedoch gezeigt, wie tief Swedenborg in der westlichen esoterischen Tradition verwurzelt war. Sie hat nachgewiesen, wie sehr Leibniz sich für das Rosenkreuzertum und die christliche Kabbala interessierte und dass er seinen brillanten schwedischen Kollegen Eric Benzelius ermutigte, den Alchemisten und Kabbalisten Franz Mercurius van Helmont (1618-1698) zu besuchen. Schuchards vieldiskutierte Forschungen legen nahe, dass Swedenborg sich sein ganzes Leben lang mit dem Rosenkreuzertum, der Freimaurerei und der christlichen Kabbala beschäftigte. Eine besonders provozierende Behauptung Schuchards besagt, Swedenborg habe lange Zeit Beziehungen zu einem esoterischen Kreis in London unterhalten, dem auch William Blake und Graf Cagliostro angehörten und der von Samuel Jacob Falk geführt worden sei, einem mysteriösen jüdischen Alchemisten und Kabbalisten. Wenn man Swedenborg nicht nur als Menschen betrachtet, der sich für spirituelle Erkenntnisse interessierte, sondern auch für politische und soziale Aktivitäten, dann erscheint diese Behauptung nicht mehr so abwegig.

Jane Williams-Hogan, eine führende Swedenborg-Spezialistin, hat untersucht, welche von Faivres Kategorien des esoterischen Denkens sich bei Swedenborg finden lassen. Swedenborgs Theologie bietet eine Fülle von Korrespondenzen, eine reiche Welt von Mittelwesen und die Idee der Wiedergeburt. Aber Williams-Hogan meint, Swedenborg habe der Natur kein eigenes Leben zugesprochen, »auch wenn sie das Geistige wiederspiegle und offenbare.« Dies würde bedeuten, dass sich eine höhere spirituelle Welt des Lebens in einer niederen materiellen Welt spiegelt, die ihrem Wesen nach tot ist. Insofern fände sich das esoterische Motiv einer kontinuierlich beseelten Welt, die Geist und Stoff miteinander versöhnt, bei Swedenborg nicht.

Bei seinen früheren wissenschaftlichen Untersuchungen auf dem Gebiet der Anatomie, Neurologie und Psychologie hatte Swedenborg die Natur bis in ihre kleinsten Teilchen erforscht, ohne den Sitz der Seele in der physischen Welt entdecken zu können. Der Versuch, Spuren des Göttlichen in der Natur zu finden, führte in eine intellektuelle Sackgasse, oder wie er selbst sagte, »in einen Abgrund«. Auch wenn Swedenborg anfangs von der geometrischen und mechanischen Weltsicht Descartes, Spinozas und englischer Naturwissenschaftler ausging, wurde er doch später von Wolff und Rüdiger beeinflusst, denen er die organische, vitalistische Idee einer Entelechie oder geistigen Hierarchie verdankte, die der Schöpfung innewohnt und sich in der Entwicklung entfaltet. Dennoch kann man den grundlegenden Dualismus des Transzendenten und der Natur immer noch in Swedenborgs Idee der Natur als einer cartesischen »res extensa« erkennen. Diese Idee brachte ihn an die Grenzen der Wissenschaft. Er überwand diese Sackgasse durch eine religiöse Krisis, auf die eine Initiation in die Welt der Geister folgte. Deren erlösende Theologie lehrte Swedenborg, dass nach dem Tod eine Vereinigung zwischen dem lebendigen Schöpfer und seiner Schöpfung möglich ist, an einem Ort, der weder göttlich noch natürlich ist, sondern eine Stätte der Imagination, die als Himmel bezeichnet wird. In diesem verbleibenden Dualismus (der sich von der monistischen Pansophie der frühmodernen Naturphilosophie unterscheidet) kündigt sich bereits der Spiritismus und der wissenschaftliche Okkultismus als eine neue Phase der westlichen Esoterik an. Hanegraaff hat bemerkt, dass Swedenborgs Idee einer Zwischenwelt, in der die menschliche Seele an sich selbst arbeiten kann, spätere psychologische Formen der Esoterik vorankündigt. Mehr noch: seine wissenschaftlich akribischen Beschreibungen der Geisterwelt nehmen den Okkultismus voraus, der von der konkreten Welt der Sinne ausgeht, um durch sie zu einem Beweis des Geistigen zu gelangen.

Swedenborgscher Illuminismus

Swedenborg gründete weder eine esoterische Gruppe noch eine Kirche, aber seine Ideen waren für die Illuministen des 18. Jahrhunderts höchst anziehend. Seine mögliche Verbindung mit Samuel Jacob Falk (ca. 1710-1782) in London könnte einen bedeutenden Kanal für einen solchen Einfluss geöffnet haben. In Podolien geboren, war Falk schon in seiner Jugend dem antinomischen, milleniaristischen Sabbatianismus beigetreten, bevor er nach Deutschland auswanderte, wo er an verschiedenen Höfen zu Gast war. 1739 oder 1740 siedelte Falk nach England über, wo er als der »Baal-Schem von London« (»Meister der göttlichen Namen«) bekannt wurde und einen umstrittenen Ruf als Kabbalist genoss. Von 1760 an zog er mystisch interessierte Freimaurer an, die sich für die Kabbala und ihre magischen Versprechen interessierten. Angeblich empfing Marquis de Thomé, der Begründer eines Swedenborg-Ritus in Paris, von ihm kabbalistische Unterweisungen. Es wurde auch – gestützt auf zeitgenössische Quellen in St. Petersburg und Straßburg – behauptet, Cagliostro habe 1776 während eines Aufenthalts in London eng mit Falk zusammengearbeitet, um hier seinen ägyptischen Ritus zu entwickeln. Später führten verschwörungstheoretische Berichte, die auf seine Befragung durch die Inquisition zurückgingen, die Herkunft seines ägyptischen Ritus ebenfalls auf seine angebliche Bekanntschaft mit Falk im Jahr 1776 zurück. Die angelologischen und magischen Aspekte des Ritus von Cagliostro haben in der Tat mehr mit jüdischen als ägyptischen Traditionen gemeinsam.

Der Swedenborgsche Illuminismus war eine kräftige internationale Strömung in den 1770er und 1780er Jahren und stellte die Verbindung zwischen einer Reihe esoterischer Maurergemeinschaften her, die weiter oben beschrieben wurden. Der französische Chirurg Benedict Chastanier (1739 – ca. 1816) hat angeblich bereits 1767 in Frankreich eine Loge »Erleuchteter Theosophen« gegründet, die sich auf die anonymen Schriften Swedenborgs stützte. Als er 1774 nach England ausgewandert war, erfuhr er die Identität des Autors und gründete 1776 eine maurerische Gesellschaft in London, die unter dem Namen »Universale Gesellschaft« bekannt wurde und der Verbreitung der Schriften Swedenborgs diente. Ihr gehörten die Künstler Richard Cosway und Phillipe-Jacques de Loutherbourg sowie der General Charles Rainsford (1728-1809) an, der später Gouverneur von Gibraltar war, ein eifriger Sammler alchymischer und rosenkreuzerischer Manuskripte, der im Laufe seiner militärischen Karriere vielen Hochgradlogen auf dem Kontinent beigetreten war. 1775 traten Chastanier und der Marquis de Thomé den »Philalethen« bei, einer maurerischen Gesellschaft, die von Savalette de Langes in Paris begründet worden war. Eine andere Swedenborgsche Gruppe im London der 1780er Jahre versammelte sich auf Einladung Jacob Duchés im Lambeth Asyl für weibliche Waisenkinder, wo Duché Kaplan war. 1782 nahmen Chastanier und General Rainsford Kontakt zu verwandten Gruppen in Berlin und Paris auf, indem sie eine Broschüre auf französisch veröffentlichten, in der die Grade der »Universal Society« beschrieben wurden. 1783 wurde eine weitere Gesellschaft , die »Theosophical Society« gegründet, um der »Universal Society« als Veröffentlichungsorgan zu dienen.

Die Swedenborgschen Illuminaten in London unterhielten enge Beziehungen zu anderen esoterischen Gesellschaften in Paris, Avignon und Stockholm. Chastanier pflegte seine Kontakte in Paris und konferierte mit dem Marquis de Thomé, der 1784 und 1785 einen Gegenbesuch in London machte. Im Sommer 1783 begannen General Rainsford und William Bousie, ein englisch-französischer Händler, mit der Pariser Loge der »Philalethen« zu korrespondieren, um den Konvent der letzteren im April 1785 vorzubereiten, der die Riten paramaurerischer und esoterischer Gesellschaften untersuchen sollte. Rainsford steuerte Informationen zu Swedenborg, Falk und der kabbalistischen Symbolik der Höheren Grade bei, und Bousie, der 1776 Cagliostro in London kennengelernt hatte und 1783-1787 mit der Universalen und der Theosophischen Gesellschaft zu tun hatte, diente als Verbindungsmann zwischen den Swedenborgianern in London, Paris und Avignon. Bousie und Chastanier hielten auch Kontakt mit den »Erleuchteten von Avignon«. Im Dezember 1785 kam Graf Grabianka nach London, um hier Swedenborgianer für seinen endzeitlichen Kult des »Neuen Jerusalem« zu gewinnen. Er stellte enge Beziehungen zu Jacob Duché her, nahm regelmäßig an den Treffen der Theosophischen Gesellschaft teil und versprach, noch vor seiner Abreise 1786 den Schlüssel zu allen Weisheiten zu offenbaren. Im Februar 1787 schrieb er aus Avignon, um den Glauben der »Erleuchteten von Avignon« zusammenzufassen. Zwei englische Swedenborgianer, William Bryan und John Wright, reisten Ende 1788 über Paris nach Avignon, wo sie sieben Monate blieben, um Auszüge aus den Mitteilungen der »Heiligen Stimme« abzuschreiben und mit den Brüdern an Gottesdiensten teilzunehmen. Das Klima des revolutionären Mystizismus mit seiner Sehnsucht nach religiösen und politischen Umwälzungen zog in den nächsten Jahren viele Adlige und Aristokraten in die südfranzösische Stadt.

Swedenborgs Vermächtnis

Neben den illuministischen Zirkeln war Swedenborgs unmittelbare Hinterlassenschaft die »Neue Kirche«, die in England in dem Augenblick entstanden war, als seine Publikationen in Schweden zu Untersuchungen wegen Ketzerei geführt hatten. Verschiedene englische Geistliche (Anglikaner und Quäker), Ärzte und Wanderprediger griffen seine Sache auf und 1783 existierte bereits die »Theosophische Gesellschaft« (weder mit der Gefolgschaft Boehmes noch mit der späteren Gründung Blavatskys zu verwechseln), um die »himmlischen Lehren vom Neuen Jerusalem« zu verbreiten. Die Neue Kirche fußte auf Swedenborgs Theologie und wurde 1787 gegründet. Sie wanderte als mystisch gefärbte, protestantische Reformbewegung bald nach Nordamerika und über die ganze Welt. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wuchs die Neue Kirche in Großbritannien und bestand aus über 70 Kongregationen mit mehr als 6.300 Mitgliedern. Seither sind die Kongregationen in England wieder kleiner geworden, parallel zum abnehmenden Kirchenbesuch seit dem II. Weltkrieg. Ein Schisma ließ 1890 in den USA zwei Organisationen entstehen: die »General Convention« und die »General Church«. Während die erstere von einst 7000 Mitgliedern auf etwa 2000 im Jahr 1999 geschrumpft war, hat die letztere sich sehr um Erziehung und Gemeinschaftsbildung bemüht und verfügte 2003 weltweit über knapp 5000 Mitglieder. Die USA rühmen sich außerdem dreier von der Neuen Kirche inspirierten Colleges, die eine Ausbildung in Geisteswissenschaften und zum Swedenborgschen Geistlichen anbieten.

Bedeutender als die Organisationen ist jedenfalls das spirituelle und intellektuelle Erbe Swedenborgs. Seine rationale Mystik beeinflusste so unterschiedliche Denker wie Kant, Oetinger, Lavater, Schelling und Wladimir Solowjof. Auch Künstler wurden von ihm angeregt, darunter William Blake, Goethe, Coleridge, Robert Browning, Elizabeth Barrett Browning, Honoré de Balzac, Dostojewski und W.B. Yeats. Ralph Waldo Emerson (1803-1882) und Walt Whitman (1819-1892), die Pioniere des amerikanischen Transzendentalismus, übernahmen die Idee der Korrespondenz zwischen der spirituellen und physischen Welt und entwickelten ihre eigenen Begriffe des Symboles und der Hieroglyphen daraus. Von den Mitgliedern der James-Familie schrieb der ältere Henry James (1811-1882) am eifrigsten über Swedenborg, während sein Sohn William (1842-1910) nach dem Zusammenhang von Wissenschaft und Religion suchte, vor allem in seinem bekanntesten Werk »The Varieties of Religious Experience« (1902). Der japanische Philosoph D.T. Suzuki nannte Swedenborg den »Buddha aus dem Norden« und der französische Esoterikforscher Henry Corbin verglich sein Werk mit der islamischen Mystik. Neuerdings zeigen sich Swedenborgs Ideen über das Leben nach dem Tod auch in Filmen wie »What Dreams May Come« von Vincent Ward (2001). In all diesen Übernahmen geht es um das Wechselspiel zwischen Geist und Stoff und die Zustände des Menschen nach dem Tod. Diese Themen sind Swedenborgs bleibendes Vermächtnis an die moderne Esoterik.

Fortsetzung

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