Zuletzt aktualisiert am 22. Juli 2024.
Fortsetzung von: Die spirituelle Landschaft Zoroasters.
»Geosophie« – Gäasophia – könnte man laut Corbin als Übersetzung des persischen Namens der Sophia, des weiblichen Erzengels der Erde, der »Spenta Armaiti« gelten lassen. Der Mazdaismus betrachtet den Menschen als Sohn dieses weiblichen Erzengels, als Wesen, dessen Dasein nicht auf das Leben zwischen Geburt und Tod eingegrenzt ist, sondern ein Leben vor der Geburt und nach dem Tode einschließt. Der Mensch ist ihr Sohn als »präexistentes himmlisches Ich«, um dessentwillen sie ihm auf Erden Gestalt gibt. Die Geburt dieses Ich ist die Vollendung eines Geschehens im Himmel, bei dem die Fravarti sich entschließen, auf die stoffliche Erde herabzusteigen und hier an der Seite der Mächte des Lichtes den Kampf gegen die Dämonen in Menschengestalt aufzunehmen. Die präexistente Seele des Menschen entscheidet sich dafür, auf die Erde herabzusteigen, um den Mächten des Lichtes beizustehen, so wie diese dem Menschen nach dem Tode beistehen.
Die Wahl der Seele wird auch ihr Richter sein. Jede Seele des Lichtes muss an der Aufgabe der Saoshyants, der aufeinanderfolgenden Heilande, mitwirken, die Erde umzuwandeln und die dämonischen Mächte aus der Schöpfung Ohrmazds zu vertreiben. Die geistige Schau, die die Erde und all ihre Geschöpfe in Symbole umwandelt, stellt den Beginn dieser Reinigung der Erde dar. Der Erfolg der inkarnierten Seele wird durch den Grad der Umwandlung gemessen, den sie erreicht, das heißt, durch das Maß ihres Xvarnah, ihres Wachstums in die künftige himmlische Existenzform hinein, durch das Wachstum ihres Auferstehungsleibes, der aus der Substanz der himmlischen Erde gebildet wird, die sie durch ihre Arbeit an sich selbst hervorbringt.
Diese Arbeit der Seele besteht darin, die Weisheitswesenheit der Spenta Armaiti in sich auszugebären. Wenn ihr dies gelingt, ist sie der wahre »Sohn des Erzengels der Erde« und vermag diesen Erzengel zu schauen. Und sie erlangt ein Bewusstsein ihrer himmlischen Brüder und Schwestern. Daena, die Tochter Spenta Armaitis, die himmlische Sophia, ist von Engel-Göttinnen umgeben, deren Erscheinungen im Avesta mit Ausdrücken beschrieben werden, die Ausdrucksformen des Urbildes des vollkommenen Menschen sind. Hier tritt dem Menschen in den Bildern der mazdäischen Engellehre sein eigenes Wesen entgegen. Zu den Heerscharen des Himmels gehört auch der weibliche Erzengel der Erde. Die Verwandtschaft des Menschen zu ihm bildet den Inhalt des mazdäischen Sakramentes der Erde, ihr sophianisches Geheimnis.
Bisher wurden laut Corbin nur wenige Versuche unternommen, die mazdäische Engellehre als Ganzes zu verstehen. Fehlt dieses Verständnis, ist seiner Ansicht nach auch das sophianische Geheimnis der Erde nicht begreiflich. Soweit es den Menschen anbetrifft, besteht dieses Geheimnis darin, dass er mit dem Gewand der Sophia bekleidet wird. Dieser Vorgang beinhaltet zweierlei: die Seele der Daena wird in ihm geboren, und der Mensch wird in ihr geboren. Bei dieser doppelten Geburt, die mit der Wiederherstellung der ursprünglichen Erde einhergeht, stehen die weiblichen Erzengel dem Mutter-Erzengel der Erde und ihrem Menschenkind bei.
Sich mit dem Gewand der Sophia zu bekleiden, bedeutet für den Menschen, in seinem Leben das Wesen der Spenta Armaiti abzubilden und ein Bewusstsein seines geistigen Urbildes zu erlangen. Was heißt das genau? Spenta Armaiti wird im Avesta ähnlich beschrieben, wie Sophia, die göttliche Weisheit, die Jahwe im Alten Testament bei der Schöpfung hilft. Sie ist die Tochter des »Herrn der Weisheit«, die »Gebieterin seines Hauses«, die »Mutter aller Kreaturen« und der Ort, an dem sie wohnen. Das Avesta sagt: »Wir weihen diesen heiligen Gesang Spenta Armaiti, dem Ort, an dem alle Kreaturen wohnen«. Die Anrufung spricht nicht von einem bestimmten Ort auf der Erde, sondern von der »Herrin des Hauses«. In diesem Haus darf nur wohnen, wer ein Leben führt, das sich im Einklang mit den heiligen Werken und Absichten des weiblichen Erzengels befindet, der über dieses Haus herrscht. Das Haus ist kein physisches Haus, sondern befindet sich im Inneren des Menschen, und zwar jedes Menschen, der die Aufgabe eines verkörperten Fravarti erfüllt.
Im innersten Wesen des Menschen entfaltet sich somit die sophianische Natur der Spenta Armaiti. Von den weiblichen Erzengeln heißt es im Avesta, die Geschöpfe Orhmazds erhielten ihr Leben von Khordat, dem Erzengel des Wassers, ihre Unsterblichkeit von Amertat, dem Erzengel des pflanzlichen Lebens, und ihren »vollkommenen Gedanken« von Spenta Armaiti. Spenta Armaiti, dem vollkommenen Gedanken, dem Gedanken der Ruhe und Sanftmut, der meditativen Imagination und stillen Meditation, steht der Erzdämon Taromati gegenüber, »der regellose Gedanke«, der »Geist der Gewalt«, des »Aufruhrs« und der »Unterdrückung«. Die vollkommene Form geistiger Aktivität, »der vollkommene Gedanke im Glanz der Liebe«, macht das sophianische Wesen der Tochter des Lichtgottes aus. Wenn der Gläubige dieses Weisheitswesen in sich aufnimmt und den Gedanken der Weisheit in sich zur Entfaltung bringt, gebiert er in seiner Seele die Tochter des Ohrmazd. Er wird nicht nur zum Kind der Mutter Erde, sondern zum Kind des weiblichen Erzengels der Erde, mit anderen Worten, er lässt die himmlische Erde, das Haus, dessen Herrin Spenta Armaiti ist, in seiner Seele Gestalt annehmen. Die Meditation der Weisheit ist das Organ, das die himmlische Erde gebiert und in jeder Seele, die diese Erde in sich gebiert, wird das himmlische »Ich«, die »imago« der Seele von ihrer Mutter Spenta Armaiti geboren, jener Spiegel, der seine eigene Umwandlung, seine Gäasophia, im Bild der heiligen Erde spiegelt.
Der Vorgang der Geburt des himmlischen Ich in der Seele des Menschen lenkt den Blick auf die Spuren einer mystischen Physiologie. Im Avesta heißt es: »Im Lebensleib des Menschen gibt es einen Gedanken, in ihm wohnt Spenta Armaiti. In diesem Gedanken gibt es ein Wort, in ihm wohnt Ashi Vanuhi, die Schwester der Daena. Und in diesem Gedanken gibt es eine Handlung, in der Daena wohnt.« Die zoroastrische Triade von »Gedanke, Wort und Handlung«, ist die Wohnstätte einer Dreiheit von weiblichen Erzengeln. So wie der innere Gedanke im Wort oder in der Handlung zum Ausdruck kommt, so erscheint die himmlische Gestalt der Daena der geistigen Schau, in dem Maße, als es der Seele gelingt, die Weisheitswesenheit der Spenta Armaiti in sich zu verwirklichen. Mit anderen Worten: die Meditation oder der »vollkommene Gedanke« ist das Organ, aus dem das himmlische Ich geboren wird, was nichts anderes bedeutet, als dass Spenta Armaiti die Mutter der Daena ist. Der »vollkommene Gedanke« ist keine bloße Phantasie, er ist eine Macht, die imstande ist, Gestalten hervorzubringen und zu beleben. Diese Kraft im Menschen entspricht einer Wesenheit, die auch der Manichäismus kennt, der sie »Mutter des Lebens«, »Mutter aller Lebenden« nennt. Nach Corbin bringt die mazdäische Verehrung des Erzengels der Erde jenen tiefenpsychologischen Archetypus zur Erscheinung, der von Jung als »Anima« bezeichnet wird, das Ewig-Weibliche im Mann.
Das Erscheinen dieses Archetyps im Bewusstsein lässt sich laut Corbin nur aus dem überirdischen Drama verstehen, das die vorgeburtliche Wahl der menschlichen Fravarti darstellt: sie müssen sich entscheiden, ob sie unverletzt in der himmlischen Welt verbleiben oder zur Erde herabsteigen wollen, um im Heer des Erzengels der Erde gegen die Dämonen der Finsternis mitzukämpfen. Die Fravarti sind die himmlischen Urbilder und Schutzengel, die spirituellen Führer aller Wesen, der irdischen und der himmlischen. Was bedeutet es, wenn paradoxerweise behauptet wird, diese Fravarti inkarnierten sich selbst auf der Erde? Der Fravarti, die Engels-Seele, die ihr himmlisches Dasein aufgegeben hat, um in die Schrecken einer von Ahriman verseuchten Existenz abzutauchen, steht nicht alleine, denn mit ihm streiten alle anderen Lichtwesen für den Erzengel der Erde. Der »Engel« ist zugleich sein Glaube und sein Richter, sein Dasein auf Erden und sein höheres himmlisches Dasein, sein himmlischer Beistand. Aber diese Tatsache wird der inkarnierten Seele erst nach dem Tode offenbart, daher ist Daena, der Engel der inkarnierten Seele, auf dessen Ruf der Fleisch gewordene Fravarti geantwortet hat, auch »die Seele auf dem Pfad«, das heißt jene himmlische Seele, der die Menschenseele auf ihrem Pfad zur Chinvatbrücke begegnet.
Aus diesem Grund sieht die Seele des Menschen auch in die Zukunft, in der Morgendämmerung der geistigen Landschaft, wenn sie in der Mitte der Welt auf dem Gipfel steht, von dem aus sich die Chinvatbrücke in die Ferne erstreckt, und sie sieht am diesseitigen Ende der Brücke Daena stehen, die ihr als ihre eigene himmlische Seele den Übergang erleichtern soll. Als solche ist Daena ein weiteres Beispiel für die archetypische Sophia, sie ist die Tochter der Sophia, die Sophia des Alten Testaments, die Tochter Jahwes, die Bildnerin der geschaffenen Welt, die bezaubernde Jungfrau, der »jeder Jüngling, der nach Wissen begehrt, ewige Treue schwört«. Sie ist die »Kore«, die Jungfrau der Hermetik, die »Jungfrau des Lichtes« des Manichäismus und der gnostischen »Pistis Sophia«.
Allein schon der Name der Daena eröffnet einen Einblick in ihr vielschichtiges Wesen. Etymologisch ist sie die »schauende Seele« oder das Organ, durch das die Seele schaut, das Licht, das dieses Organ aussendet und das Sehen ermöglicht, und zugleich das Licht, das gesehen wird, die himmlische Gestalt, der die Seele im Morgendämmer ihrer anbrechenden Ewigkeit von Angesicht zu Angesicht gegenübertritt. Daena ist die Schau der himmlischen Welt, soweit sie gelebt wird, als Religion und bekennender Glaube, und aus diesem Grund ist sie die wahre Individualität, das transzendente himmlische Ich des Menschen. Indem sie diese beiden Aspekte in ihrer Person vereinigt, bringt sie zum Ausdruck, dass ihre Gestaltwerdung im Glauben und durch den Glauben erfolgt. Weil sie der Archetyp ist, der Schutzengel, der den Gläubigen leitet und inspiriert, ist sie auch seine Richterin, die ihm offenbart, in welchem Maß sein vergangenes Leben dem Gesetz entsprochen hat, »wonach er angetreten«. Wenn die Seele am Eingang der Chinvatbrücke verwundert frägt: »Wer bist Du?«, antwortet die wunderschöne Jungfrau: »Ich bin deine eigene Daena«, das heißt: Ich bin in leiblicher Gestalt der Glaube, den Du gelebt hast und jene, die ihn inspiriert hat, ich bin die, deren Ruf Du folgtest und die Dich geleitet hat, die Dich getröstet hat und Dich nun richtet, denn ich bin das Bild, das schon vor Deiner Geburt vor Dir schwebte, das Bild, dem Du immer nachgestrebt bist. Daher ist Daena auch Xvarnah, der persönliche Ruhm und das persönliche Schicksal, die dem irdischen Menschen zugehörige Zeit und Ewigkeit. Der Mensch vermag seine himmlische Idee nicht zu zerstören, aber er vermag sie zu betrügen, sich von ihr zu trennen, und ihm wird dann am Anfang der Chinvatbrücke eine verabscheuungswürdige, dämonische Kreatur, eine Karikatur seines himmlischen Ich gegenübertreten.
Daena-Sophia hat Schwestern, die ihre Urbilder, Vermittler und Boten sind. Es gibt den Engel »Chisti«, ein Wesen aus tätigem Licht, das erleuchtet und sich als Gestalt des Lichtes offenbart. Sie ist es, die jedem Wesen die Fähigkeit der geistigen Schau verleiht, besonders während der Liturgie, deren Teilnehmer sie die Bedeutung der Gesten und Worte des Rituals sehen lässt. In der Liturgie der Daena ist es Chisti, die ihre Gegenwart in der geistigen Schau offenbart, die als »Mutter« ihrer Schwester fungiert, und die Liturgie vollzieht. Sie trägt die Opfer und ist die Priesterin. Da sie die Schau vermittelt, ist sie auch diese Schau und wird geschaut: großgewachsen und schlank, eine weiße Gestalt, in weiße Gewänder gekleidet. Sie verleiht der zoroastrischen Triade von Gedanke, Wort und Tat ihre heilige Bedeutung, und daher wird Daena, die ihren Sitz im Menschen hat, in der heiligen Handlung des meditativen Denkens auch in Gestalt ihrer Schwester, ihres Spiegelbildes visualisiert, deren Erscheinungsform dem entspricht, was im Verlauf der liturgischen Handlung erfahren und erlebt wird. Die Liturgie versetzt den Menschen in die Mitte der Welt, in den heiligen Iran, in dem irdische und himmlische Wesen miteinander kommunizieren können. Als Engel der Liturgie ist Chisti die Gebärerin ihrer Schwester Daena, jenes Wesen, das die liturgische Handlung zu einer Vorausschau der Begegnung nach dem Tode werden lässt.
Auch die andere Schwester Daenas, Ashi Vanuhi, lädt die Seele zu einer Vorausschau auf die Begegnung mit Daena ein. Sie wirkt als Vermittlerin zwischen ihrer Mutter Spenta Armaiti und ihrer Schwester Daena. Auch sie wird als Tochter Ahura Mazdas bezeichnet, als Schwester der Erzengel, sie erscheint als stolze, schöne Jungfrau, mit einem hoch geschnürten Gürtel, rein, edel und unbesiegbar. Ihre Attribute gleichen denen der anderen weiblichen Erzengel und reproduzieren dasselbe Urbild, aber gleichzeitig genießt sie einen besonderen Vorrang, da Ohrmazd selbst ihr im heiligen Iran Opfer darbringt. In der Mitte der Welt, im heiligen Iran, begegnet ihr auch Zarathustra. Von dieser Begegnung berichtet Yasht XVII. Die Göttin, die ihren Siegeswagen lenkt, wird in ihrer Allmacht angerufen, als Eignerin von Xvarnah. Diese iranische Siegesgöttin ist eine Verwandte der griechischen Nike. Auf ihrem Siegeswagen stehend, lädt sie Zarathustra ein, an ihre Seite zu treten: »Schön bist Du, o Zarathustra, Deinem Leib verleihe ich Xvarnah und Deiner Seele ewigen Segen.«
Ashi Vanuhi besitzt und verleiht Xvarnah, das Licht des geistigen Wesensglanzes und zugleich ist sie der Sieg, das siegende Feuer. In ihrem Wesen vereinigen sich Glanz, Ruhm und Schicksal, die Aura der Glorie eines Lichtwesens. Daher wurde sie im Mithraismus auch mit Tyche gleichgesetzt, der Göttin des siegreichen Schicksals. Wer Ashi Vanuhi in der Mitte der Welt begegnet und sich an ihrer Seite im Siegeswagen niederlässt, bereitet sich auf die nachtodliche Begegnung mit ihrer Schwester Daena vor. Sie ist die siegreiche Imago der Seele, ihre Heiligung durch Xvarnah, die Offenbarung ihres himmlischen Urbildes. Die Schau des heiligen Iran nimmt das Auftauchen der Chinvatbrücke in der Dämmerung der Ewigkeit vorweg, und aus diesem Grund betrachtet die Pahlavitradition Ashi Vanuhi auch als Geist der Weisheit, der die Lichtwesen ins vollendete Dasein, in ihre paradiesische Existenz, geleitet. Daher heißt sie auch »Engel des paradiesischen Wohnsitzes«, Helferin der Spenta Armaiti, die »unser Wohnort« ist.
Nun wird die Verbindung zwischen dem Schicksal der Seele, die sich auf der Erde inkarniert hat, und dem Schicksal dieser Erde greifbar, auf die die Fravarti gekommen sind, um Ohrmazd und den Mächten des Lichtes in ihrem Kampf gegen die Dämonen der Finsternis beizustehen. Ashi Vanuhi ist der Erzengel, der Xvarnah, das Licht der Glorie, ausstrahlt, aber diese ewige Ausstrahlung verwandelt sich in den dritten weiblichen Erzengel, in Arshtat. Als Arshtat ist sie die Imago des geistigen Wesensglanzes, die der Seele das Bild der Erde zurückspiegelt, die in das Bild der Seele verwandelt wird, die die Erde umwandelt. Die Bedeutung Arshtats kann nur aus der eschatologischen Dimension des Xvarnah verstanden werden. Im Avesta werden die Wesen gepriesen, die in Gestalt der Saoshyants aus der Lichtwelt auf die Erde kommen, um ihr Leben zu erneuern, indem sie ihren Leib in einen unzerstörbaren Leib aus Feuer umformen, an dem alle Wesen Anteil haben werden. Schon heute wirken alle Kreaturen des Lichtes auf diesen Augenblick hin. Die Aussicht auf diese Wiedergeburt der Erde im Feuer bewog auch die Fravarti, sich am Kampf auf Erden zu beteiligen. Die Kreaturen des Lichtes empfangen ihre Kraft, diese Umwandlung zu bewirken, von jenem siegreichen Feuer, dessen Ausstrahlung, wenn es sich in Wesen verkörpert, als Arshtat bezeichnet wird.
Die Vorausschau auf diese endgültige Umwandlung (Frashkart) und das Bewusstsein, zu den Wesen des Lichtes zu gehören, die in jedem Augenblick der Zeit auf ihre Verwirklichung hinarbeiten, eröffnen einen Ausblick auf jene spirituelle Geographie, die nicht aus Wahrnehmungen der körperlichen Sinne, sondern aus geistigen Wahrnehmungen hervorgeht. Die geistige Kraft der Umwandlung, die aus der Imago des geistigen Wesensglanzes fließt, schließt die ganze Seele ein. Die Wahrnehmung des Feuers der irdischen Glorie kündigt das Aufleuchten eines spirituellen Feuers an, das die Seele zum Glühen bringt, das in ihr das Licht einer erlösenden Gnosis entfacht und ihr Zutritt zur Erde aus Licht verschafft, jener Erde, die aus all den Wesen besteht, für die sie eine Mitverantwortung trägt. Daher tritt auch manchmal Daena, das Licht der Erkenntnis und die Imago der Seele an die Stelle des Erzengels Arshtat. Und aus diesem Grund steht auch der Erzengel Arshtat an der Seite Zamyats, der Göttin der Erde, wenn die Seele nach dem Tode gewogen wird, wenn sie mit jenen himmlischen Urbildern konfrontiert wird, denen sie auf der Erde hätte folgen sollen. Beide Erzengel unterstützen Amertat bei ihrer Beurteilung der Seelen.
Diese Begegnung nach dem Tode ruft in der Seele die Frage hervor, mit welchem Gewicht sie ihr eigenes Xvarnah während des Lebens gemessen hat, das der Umwandlung aller Wesen dienen sollte. Sie frägt sich, in welchem Ausmaß sie selbst ein Saoshyant war, der den Eid seines Gebetes einhielt, die Verklärung der Erde herbeizuführen. Wenn Arshtat und Zamyat vor Amertat, der Unsterblichkeit, die Richter der Seele sind, dann übt dieses Amt auch ihre Schwester Daena aus. Am Ende des Kampfes steht entweder die Umwandlung, die Verklärung, oder eine dämonische Missgestalt, eine »Disfiguration«. Damit das Bild der Erde durchsichtig für die Gestalt ihres Engels wird, muss die Gestalt des Engels in der Seele selbst erblühen. Und eben darin besteht die Geburt der Seele in Daena, in ihr himmlisches Ich, darin auch die letzte Bedeutung des Bekenntnisses »Meine Mutter ist Spenta Armaiti, der Erzengel der Erde.« Nunmehr wird auch deutlich, dass Zamyat, der Erzengel der irdischen Glorie, der im Dämmerungslicht auf den Gipfeln der heiligen Landschaft aufflammt, nicht einfach eine Verdoppelung Spenta Armaitis ist. Zamyat wird nur für jene Seelen sichtbar, für die tatsächlich Spenta Armaiti die Mutter der Daena-Sophia wird. Das himmlische Ich zu gebären und die Verklärung der Erde zu bewirken, das macht das Wesen der Gäa-Sophia aus.
Ausgehend von dieser Gäasophia schuf die religiöse Imaginationskraft des Mazdaismus eine mythische Geschichte, in der die Schau des Erzengels der Erde, der ein – noch nicht irdisches – Menschenwesen gebiert, die übernatürliche Zeugung eines Heilands vorausnimmt, des letzten der Saoshyants, dem schon jetzt jeder Fravarti folgt, auch wenn er noch gar nicht auf Erden erschienen ist.
Gayomart, der erste Mensch, wurde im heiligen Iran geschaffen, am Ufer des Flusses Daiti, in der Mitte der Welt. Als es Ahriman gelang, ihn mit dem Tod zu durchdringen, fiel er auf seine linke Seite, und da sein Leib aus »reinem« Metall bestand, dem Urbild aller Metalle, quollen sieben Metalle aus seinem Leib hervor, jedes aus dem entsprechenden Körperglied. Die Anthropogonie verbindet die kosmische Bedeutung des ersten Menschen mit den Anschauungen über den Menschen als Mikrokosmos, in dem die einzelnen Metalle zu den Gliedern des Körpers in Beziehung stehen. Das Gold, als das achte Metall, geht aus der Seele (Xvarnah) Gaiomarts und seinem Samen hervor. Das Gold entspricht dem Ich des Menschen, das zu den einzelnen Gliedern hinzugefügt wird und sie alle überragt. In der Alchemie ist das Gold das Symbol des Königssohnes, des Auferstehungsleibes, des wahren Selbstes des Menschen. Dieses Gold sammelte Spenta Armaiti zusammen. Vierzig Jahre lang bewahrte sie es auf, und danach spross aus ihm eine außerordentliche Pflanze hervor: sie bildete das erste Menschenpaar, Mahryag-Mahryanag, zwei Wesen, die einander so sehr glichen, und so sehr verbunden waren, dass das weibliche nicht vom männlichen unterschieden werden konnte. Auf dieses zweieine, androgyne Wesen senkte sich Xvarnah herab, das Licht der Glorie, die Seele, die schon vor dem physischen Leib dieses Wesens existierte.
Hier tritt im Bild der präadamitische Mensch in Erscheinung, Adam-Eva vor der Trennung der Geschlechter. Die adamitische Menschheit erscheint erst nach der Entzweiung der Geschlechter, die jenes ursprüngliche androgyne Wesen noch in sich vereinigte. Diese Erzählung entschleiert einen Teil des mazdäischen Glaubensbekenntnisses, in dem es heißt: »Spenta Armaiti ist meine Mutter, mein menschliches Wesen habe ich von Mahryag und Mahryanag erhalten.« Die Erde, die das Gold Gayomarts sammelt, ist nicht die gewöhnliche Erde der Physik, sondern der Erzengel der Erde, Spenta Armaiti.
Weder die Geologie noch die gewöhnliche Embryologie können die ungewöhnliche Perspektive dieser Gäasophia eröffnen. Der Mensch, den Spenta Armaiti von ihrem eigenen Sohn empfängt und gebiert, ist nicht mit dem heutigen Menschen vergleichbar. Er ist das ganze Menschenwesen, das androgyne Zwillingswesen Mahryag-Mahryanag. Aber da Ahriman Gayomart mit dem Tode durchdrungen hat, ist dieses Wesen, das aus dem Gold Gayomarts, aus seiner Seele oder seinem Selbst hervorgegangen ist, unstabil und zerbrechlich. Es vermag auf der Erde, die zur Beute der dämonischen Mächte geworden ist, nicht zu existieren. Daher zerbricht seine ursprüngliche Einheit und aus ihm gehen geschlechtlich verschiedene Nachkommen hervor, die geschichtliche Menschheit, die einzige, die wir kennen. Diese geschichtliche Menschheit ist eine Folge der großen kosmischen Katastrophe, des Eintritts des Bösen in die Welt.
Die Wiederherstellung der androgynen Natur kommt im Gedanken zum Ausdruck, dass der Mensch nach dem Tode wieder mit Daena, der Tochter der Spenta Armaiti, vereinigt wird. Daena ist ihre Tochter, so wie der präadamitische androgyne Mensch ihr Sohn ist. Daher präfiguriert das vorgeschichtliche Ereignis der Sammlung des Goldes jene endgültige Auflösung des Knotens der Geschichte, wenn sie wieder die Schwelle zur Metageschichte übertritt. Wenn Spenta Armaiti die Mutter eines Menschensohnes wird, insofern sie die Mutter Daenas ist, dann bezieht sich diese Geburt auf eine endzeitliche Konstellation, die der Name des Engels der Erde schon zum Ausdruck bringt. Erst dann werden die Prophetien erfüllt, die Ardvi Sura Anahita als Helferin der Spenta Armaiti bezeichnen.
Der Mythos des persischen Urmenschen wäre nicht zu verstehen, wenn man Gayomart losgelöst von seinem Zusammenhang mit Zarathustra und dem letzten Saoshyant betrachten würde. Diese drei stellen den Anfang, die Mitte und das Ende des »gemischten« Menschen oder Königs dar. Zarathustra ist der ursprüngliche Mensch, der wiedererstandene Gayomart, so wie der letzte Saoshyant der wiedererstandene Zarathustra sein wird. Von dieser Auferstehung spricht die mazdäische Gnosis, wenn sie den Saoshyant als erhöhten Anthropos bezeichnet. Daher entspricht die übernatürliche und jungfräuliche Empfängnis des Saoshyant, des Urbildes der endgültig vom Tode befreiten Menschheit, der Entstehung Gayomarts als umgekehrtes Spiegelbild.
Das Bild des Saoshyant ist das Gegenbild des ursprünglichen Menschen, der von den Mächten des Bösen in Stücke gerissen wurde. Die jungfräuliche Geburt hebt die Naturgesetze auf, oder übersteigt die Natur, indem sie den Gegensatz des Männlichen und Weiblichen aufhebt. Ein einzelnes Wesen vereinigt die getrennten Funktionen in sich. So wie das aus Gayomart hervorgegangene Gold von Spenta Armaiti unter dem Schutz der Engel der Erde aufgesammelt wurde, so wurde auch der »Same« Zarathustras, seine Aura des geistigen Wesensglanzes, vom Engel Neryosang in Empfang genommen und der Seele des Wassers, der ätherischen Welt übergeben, das heißt in die Obhut der Göttin Ardvi Sura Anahita, der »Hohen, Erhabenen, Unbefleckten« übergeben. Die Erwartung der Verklärung des Menschen und der Erde kann nur in Begriffen der Gäasophia zum Ausdruck gebracht werden. Der geistige Wesensglanz Zarathustras, sein höheres Geistwesen, wird von Ardvi Sura in Empfang genommen, nach dem Mythos wird es vom Wasser des Sees Kansaoya aufgenommen, aus dem der Berg der Morgendämmerung hervorgeht, der »Berg des Sieges«. Dieser Vorgang wird von einer Heerschar von Fravarti überwacht. Am Ende der zwölf Jahrtausende, wenn unser Äon seinen Lauf vollendet hat, wird eine Jungfrau, die sichtbare Verkörperung von Ardvi Sura, in das Wasser des mystischen Sees eintauchen. Ihr Leib wird vom Licht des Glanzes leuchten und sie wird einen empfangen, der alle Übeltaten der Menschen und Dämonen überwinden wird. Daher wird diese jungfräuliche Mutter, Eredhat Fedhri, auch als Allesbezwingerin, als »Omnivictrix« bezeichnet. Daher auch wird Ardvi Sura Anahita, die das Xvarnah Zarathustras aufbewahrt, aus dem der Held der endgültigen Wiederherstellung geboren wird, von der Liturgie als Helferin Spenta Armaitis bezeichnet und das jungfräuliche Mädchen, das den Erlöser empfängt, ist die irdische Frau, die beide repräsentiert. Die Endzeit des Mazdaismus ist genauso wie das sophianische Geheimnis der Erde durch eine Erhöhung der Sophia gekennzeichnet.
All dies wird sich im heiligen Iran ereignen und das ganze dramatische Geschehen ist nur im heiligen Iran zu sehen, in der Mitte der Welt, auf dem Gipfel der Seele.
Die Welt, die sich durch diese Bilder eröffnet, ist eine Welt, die jenseits von Subjektivität und Objektivität liegt, eine Welt, die das Reale der Physik und das Imaginäre der Phantasie zu einer neuen Form der Realität zusammenschließt. Es ist eine Welt von geistigen Leibern, vergeistigter Leiblichkeit, auf die das gesamte Denken des mystischen Islam, des Sufismus ausgerichtet war, der sich sowohl die Schüler der Philosophie der Erleuchtung Suhrawardis als auch die Schüler der Sufischeichs zuwandten. Diese Welt ist laut Corbin nicht mehr nur die Mitte einer Welt, des heiligen Iran, sondern die Mitte aller Welten. Die Welt der Imaginationen, der Archetypen, der imaginativen Wirklichkeit, vermittelt zwischen der Sphäre der reinen Geistwesen und der sinnlich-sichtbaren Realität. Sie ist der achte Keshvar, die »Erde der smaragdenen Städte«, die mystische Erde von Hurqalya.
Fortsetzung:
Fatima, die Tochter des Propheten und die heilige Erde
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