Der Rassismus und sein Doppelgänger

Zuletzt aktualisiert am 19. April 2020.

»Die Tyrannei erkennt man daran, dass man unter ihrer Herrschaft Meinungen gleich Verbrechen für strafbar hält und verfolgt.« Spinoza, Theologisch-Politischer Traktat, Vorrede.

In der bundesdeutschen Auseinandersetzung über den Rassismus hat bisher das Werk Pierre-André Taguieffs zu Unrecht kaum eine Rolle gespielt. Seine im Jahr 2000 in deutscher Übersetzung erschienene Kritik der antirassistischen Vernunft [1] zeigt die grundlegenden Widersprüche und Defizite im Antirassismus, dem Doppelgänger des Rassismus auf und versucht die philosophischen Grundlagen für einen ernst zu nehmenden Universalismus jenseits des vulgären Antirassismus zu formulieren. Der 1946 geborene Philosoph und Politologe ist Forschungsdirektor am Centre National de la Recherche Scientifique und Professor am Institut d’études politiques in Paris. Er gehört zu den prominentesten Analytikern der Neuen Rechten und ist einer der führenden Rassismusforscher Frankreichs. Er wirkt außerdem seit seiner Gründung im Jahr 1985 als Redakteur bzw. Lektor am Jahrbuch »Politica hermetica« mit, das sich mit den Querverbindungen zwischen Esoterik und Politik beschäftigt, zu dessen Lektoren seit 1990 auch der französische Esoterikforscher Antoine Faivre gehört.[2] Taguieffs Kritik der antirassistischen Vernunft ist zwar im Hinblick auf die spezifische französische Situation formuliert, kann aber in ihren Grundzügen auch auf den deutschen Sprachraum übertragen werden, da seine prinzipiellen Überlegungen von konkreten politischen Gegebenheiten unabhängig sind. Einige dieser Überlegungen, die die Kritik der antirassistischen Vernunft betreffen, sollen im Folgenden vorgestellt werden.

Antirassismus als antiquierte Ideologie

Im Antirassismus hat nach Taguieffs Auffassung eine Ideologie überlebt, die in den 1930er Jahren gegen den Nazismus entwickelt wurde. Damals war der »Antifaschismus« der kleinste gemeinsame Nenner, auf den die pluralistischen Demokratien und der totalitäre Stalinismus sich einigen konnten, die beide durch die kriegerische Expansion des nazistischen Staatsrassismus bedroht wurden. Mit dem Verschwinden des Nazismus musste der Antirassismus nach neuen Objekten suchen, auf die er angewendet werden konnte. Südafrika entsprach dem entwickelten diagnostisch-polemischen Modell, so dass sich der Antirassismus in den 1960er Jahren von einer Kritik am Neonazismus zur Kritik an der südafrikanischen Apartheid wandelte, nicht ohne auf seinem linken Flügel die Stigmatisierung des Zionismus als Rassismus in sich aufzunehmen.

In den 1970er Jahren sah sich der Antirassismus in der Position der wissenschaftlichen Autorität gegenüber »perversen und archaischen Delirien«. Er beruhte auf der Annahme, der Rassismus sei im Wesentlichen eine Rassentheorie, definiert in der Terminologie der Biologen, nach der es Unterschiedlichkeit und Ungleichheit von Rassen und einen ewigen Konflikt um die Beherrschung der Welt gebe.

Die Neue Rechte (GRECE, Club d´Horloge) brachte jedoch zu dieser Zeit in Frankreich Theorien ins Spiel, die nicht den Erwartungen der Antirassisten entsprachen, da sie sich nicht mehr auf das aus den 1930er Jahren übernommene Rassismusmodell bezogen. Sie entwickelte einen »Rassismus« der Differenz auf kultureller Grundlage. Hinzu kam der von der Front National vertretene Nationalpopulismus, der an das Recht der Völker auf ihre eigene Identität anschloss. Auch im deutschen Sprachraum gab und gibt es vergleichbare Gruppierungen, in denen ähnliche identitäre Diskurse geführt werden, die aber im Gegensatz zu ihren Vorbildern in Frankreich weitgehend marginalisiert sind. Drei große Verschiebungen haben laut Taguieff in den Auseinandersetzungen über Identität und Differenz zwischen 1970 und heute stattgefunden: von der Rasse zu »Ethnie« und Kultur, von der Ungleichheit zum Unterschied und von der Angst vor dem Anderen (Heterophobie) zur Achtung vor dem Anderen (Heterophilie). Die »Rassenbildung« findet heute nach Taguieff nicht mehr mittels biologischer Begriffe statt, sondern über Sprache, Kultur, Religion, Tradition und Milieu. Er spricht geradezu von einer »Kulturalisierung« oder »Vergeistigung« des »rassistischen Diskurses«, wobei natürlich die Frage ist, ob es sich bei dieser Diagnose nicht um die Übertragung eines Begriffs in ein anderes Bedeutungsfeld und damit um eine ungebührliche Erweiterung handelt, die letztlich selbst der kritisierten Tendenz zur »Naturalisierung« oder »Essentialisierung« verfällt. Die Hinwendung zum Kulturkonzept machte jedenfalls das klassische antirassistische Motiv, das für den Kampf gegen den »zoologischen« Rassismus entwickelt worden war, wirkungslos. Die traditionelle antifaschistische Argumentation verlor angesichts des nun propagierten Ethnopluralismus, der das Recht auf kulturelle Identität betonte, ihre Wirksamkeit. Der Ethnopluralismus verschleiert nach Taguieffs Ansicht die Konzepte der Ungleichheit und Hierarchie. Die Ungleichheit wird durch den Unterschied ersetzt. Der Befürwortung des Ethnopluralismus liege eine Angst vor der Mischung zugrunde, die zur Forderung nach Bewahrung der einzelnen Gruppen in der Gemeinschaft führe. Gegenstück dieser Forderung sei die Angst vor der endgültigen Vernichtung der (nationalen, regionalen, ethnischen) kollektiven Identität.

Die »neorassistischen« Diskurse nähren sich nach Taguieff seither aus der Beschwörung des Verschwindens der Vielfalt. Die positiv gewertete Vielfalt von Kulturen und Ethnien werde aus der Sicht der Ethnopluralisten von einer Gleichförmigkeit bedroht, in der die Individuen und Kulturen untergehen. Die Tendenz zur Tribalisierung zeige sich in Autonomie- und Unabhängigkeitsbewegungen, in neuen Nationalismen und auch als Eurozentrismus. Der »Kulturpluralismus« wird von Taguieff als weithin akzeptierte, weil verschleierte Form des »Rassismus« betrachtet. Die Ideologie des Unterschieds zeige sich nicht nur in der Rückbesinnung auf neue Kollektive, sondern auch im herrschenden hedonistischen Individualismus: beide kulturell-politischen Strömungen wendeten sich gegen universalistische Forderungen, denen sie vorwürfen, sie würden Gemeinschaftsidentitäten ebenso zerstören wie das Individuum.

Die Neue Rechte verfolgte gegenüber den Begriffen und Werten des Antirassismus, der auf das Preisen des Unterschieds fixiert war, eine erfolgreiche Umkehrstrategie. Die positive Bewertung des Unterschieds wurde übernommen und als Ethnopluralismus, als Recht der Völker auf den Unterschied neu gedeutet. Seitdem konkurrieren zwei sich widersprechende Formulierungen des Rassismus miteinander: Rassismus als »Preisen des Unterschieds« und Rassismus als »Ablehnung des Unterschieds«. In den Diskursen, die auf die Bildung neuer »Rassen« abzielen, finden sich nun dieselben Wortspiele, dieselben grundlegenden Überzeugungen und Ideale wie in den militant antirassistischen Diskursen.

Der Grundwiderspruch des Antirassismus

Im antirassistischen Lager führte das Abhandenkommen seines klassischen Objekts bzw. seine begriffliche Transformation zu einem grundlegenden Widerspruch. Antirassisten fordern einerseits den absoluten Respekt vor den Unterschieden der Kollektive, das Recht auf die Unterschiede und andererseits den Übergang in die interethnische und interkulturelle Mischung, die zur Auflösung der Unterschiede führen soll. Dieser Widerspruch des Antirassismus ist Folge zweier unvereinbarer »Logiken«.

1. Der Antirassismus vertritt einerseits einen »Universalismus des Individuums«, er sieht sich als Kampf gegen dessen Unterdrückung durch Kollektive. Als solcher fordert er die Beachtung der Menschenrechte, die bedingungslose Absage an die Eigenwerte einer rassisch verstandenen, geschlossenen Gesellschaft, die Abschaffung von Gruppenidentitäten und partikulären Traditionen, die dem Fortschritt zu mehr Gleichheit im Wege stehen. Er plädiert für die universelle Mischung der Individuen.

2. Er vertritt andererseits einen »Kommunitarismus der Traditionen« und versteht sich als Kampf für die vom Aussterben bedrohten Kollektive. Als solcher fordert er das Recht auf den kulturellen, ethnischen, rassischen Unterschied, auf das »Schwarzsein«, »Judesein«, das Recht der Völker, an ihren Traditionen festzuhalten, ihre Pflicht, sie selbst zu bleiben, die Absage an den Rassismus, der als Universalismus verstanden wird, der die Unterschiede beseitigen will und damit ethnozidär oder genozidär ist.

Die beiden unvereinbaren Positionen des Antirassismus lassen sich auch als Angst vor dem Anderen (Heterophobie) und Liebe zum Anderen (Heterophilie), als Ablehnung des Unterschieds und Lob des Unterschieds, als Partikularismus und Universalismus bezeichnen. Indem der Antirassismus sich jeweils durch die Verneinung einer Position seines feindlichen Gegenübers definiert, blendet er die identische Position aus, die er selbst gegen die andere Position seines Gegenübers vertritt. Sein Kampf gegen den »Rassismus« ist ein Kampf gegen sich selbst. Dieser Widerspruch spiegelt sich in den widersprüchlichen Definitionen des Rassismus durch den Antirassismus.

1. Einerseits wird der Rassismus als Angst vor dem Anderen (Heterophobie) definiert, als absolute Verneinung oder Ablehnung des Unterschieds, als Feindseligkeit gegen alle Unterschiede. Er soll das Andere, Fremde, den Unterschied negativ bewerten und deswegen nach Einförmigkeit, nach Aufhebung aller Unterschiede streben. Das Andere, das Fremde soll ihn beunruhigen, irritieren. Angst vor dem Anderen kann sich als Wunsch äußern, den Unterschied zwischen dem Anderen und dem Eigenen abzuschaffen. Als Mittel zur Abschaffung des Unterschieds bieten sich drei Wege an: der Dialog, der auf Übereinstimmung abzielt, die Assimilation (Akkulturation), die als fremdartig wahrgenommene Individuen dem Eigenen angleicht oder die Vernichtung des Anderen. Assimilation und Vernichtung streben auf unterschiedlichen Wegen nach der Beseitigung unterscheidender Merkmale (durch Erziehung, Eugenik oder Genozid).

2. Andererseits wird der Rassismus definiert als Liebe zum Anderen (Heterophilie), als absolute Bestätigung, Verteidigung oder Verabsolutierung des Unterschieds, als dessen Naturalisierung oder »Essentialisierung«. Essentialismus bedeutet hier die dauerhafte Klassifizierung von Menschengruppen. Die ihnen zugeschriebenen Charakteristika werden verdichtet, verhärtet, als permanent betrachtet, in »Stereotype« gegossen (»Rasseneigenschaften«). Als Essentialismus geht der Rassismus aus Rassenbegriffen hervor, die der Zoologie entlehnt und auf den Menschen übertragen werden. Rassen sind für den Essentialismus verschiedene, in der Zeit fortdauernde Wesenheiten, deren Existenz (»Reinheit«) aber fortwährend bedroht ist. Insofern er auf Naturwissenschaft zurückgreift, ist er Naturalismus oder Biologismus: Menschengruppen werden als (unveränderliche) Naturgruppen betrachtet. Die reine Rassenbildung sieht das rassisch verstandene Individuum als beliebigen Vertreter einer bestimmten Gruppe, die ihm sein substantielles Wesen, seine essentielle Identität verleiht. Das Individuum wird entrealisiert. Einzelne Menschen gelten als Verkörperung des jeweiligen Typus, dieser Jude als »der Jude«, dieser Araber als »der Araber«, dieser Weiße als »der Weiße«.

Das bedingungslose Lob des Unterschieds ist gemeinsames Merkmal einer bestimmten Form des Rassismus und eines ihm zugeordneten Antirassismus. Die Liebe zum Anderen betrachtet den Unterschied an sich als positiv. Der Rassismus als Liebe zum Anderen fußt auf der Verherrlichung des Unterschieds. Ihn beunruhigt das Fehlen der Differenz, die Unmöglichkeit, zu unterscheiden wird als Bedrohung empfunden. Der Rassismus, der auf dem Lob der Unterschiede beruht, ist gegen das Allgemeine gerichtet. Das Allgemeine erscheint ihm bloß als Mittel der Uniformierung, Standardisierung, als Hochstapelei eines Partikularismus, der sich zur allgemeinen Norm erklärt, als travestierter Ethnozentrismus, als Imperialismus mit scheinbar menschlichem Antlitz. Der nivellierende Antirassismus wird seinerseits als kultureller Massenmord, als Ethnozid, als Folge eines Ethnozentrismus stigmatisiert, der umso gefährlicher ist, je mehr er sich auf die Universalität beruft. Der universalistische Antirassismus ist damit der wahre Rassismus, der einzige Rassismus. Der Universalismus führt im Endeffekt zur Auslöschung aller Unterschiede.

Die Ablehnung der Differenz ist gemeinsames Merkmal einer zweiten Form des Rassismus und eines ihm entsprechenden Antirassismus. Die Ablehnung des Anderen betrachtet den Unterschied als negativ. Der Rassismus als Ablehnung des Anderen fußt auf der Angst vor dem Unterschied. Die Präsenz des Anderen wird als Bedrohung empfunden. Der Rassismus, der auf der Ablehnung der Unterschiede beruht, ist gegen das Besondere gerichtet. Das Besondere, Partikulare erscheint ihm als Vehikel der Auflösung, Spaltung, als Egoismus des Fremden, das sich weigert, sich im Allgemeinen aufzulösen, in der kollektiven oder universellen Identität, mit dem der universalistische Rassismus sich identifiziert. Der partikularisierende Antirassismus wird seinerseits als Anschlag auf die eigene Identität, auf die kollektiven Werte und Traditionen, als Kulturvernichter stigmatisiert, der umso gefährlicher ist, als er sich auf die Toleranz beruft.

Ein gegen das Allgemeine gerichteter und den Unterschied liebender Rassismus und ein das Allgemeine betonender und gegen die Unterschiede gerichteter Antirassismus stehen sich gegenüber. Ein auf das Allgemeine gerichteter und die Unterschiede ablehnender Rassismus und ein das Allgemeine ablehnender und die Unterschiede lobender Antirassismus stehen sich gegenüber. Jeder Antirassismus hat seinen eigenen Rassismus. Jeder Rassismus hat seinen antirassistischen Doppelgänger.taguieff-grafik

1. Wird der Rassismus als Angst vor dem Anderen, als Ablehnung des Anderen definiert, dann der Antirassismus als Liebe zum Anderen. Die »rassistische« These lautet: Unterschied bedeutet Verlust der eigenen Identität; die Gegenthese: Unterschied bedeutet Bereicherung. Ethnische und kulturelle Vielfalt gelten dem Antirassismus als natürliches Kapital der Menschheit, als unveräußerlicher Wert, der um jeden Preis erhalten werden muss. Der Unterschied ist der Mensch. Das Lob des Unterschieds beherrscht den antirassistischen Diskurs seit den 1960er Jahren. Der heterophile Antirassismus hält die Unterschiede für gut, für eine Gabe der Natur oder Gottes. Insofern er sich auf Kollektive und ihr Existenzrecht bezieht, führt er zu einer Re-Ethnisierung der Gesellschaft, zu einer Rückkehr der Ethnien und Rassen. Es ist konsequent, wenn er Rechte für Kollektive fordert, nicht für Individuen, Rechte für Frauen als Frauen, für Schwule und Lesben, für Moslems, für nationale, ethnische Minderheiten usw. Wenn er sich für die Rechte indigener Völker oder ursprünglicher Ethnien gegen die nivellierende Macht der Globalisierung einsetzt, ist es nur logisch, wenn diese Rechte im Gegenzug auch für alte und neue Ethnien in den europäischen Kernländern geltend gemacht werden.

2. Wird der Rassismus als Liebe zum Anderen, als Bevorzugung des Anderen definiert, dann der Antirassismus als Angst vor dem Anderen, als Betonung des Allgemeinen, das die Unterschiede verschlingt. Die antirassistische Angst vor dem Anderen misstraut dem Unterschied. Die »rassistische« These lautet: ohne Unterschiede kein Leben; die Gegenthese: Unterschied führt zu Ungleichheit und diese zu Ungerechtigkeit. Differenz, so der Antirassismus, sei Feindseligkeit immanent, die Aggression nähre, die zu Krieg führe. Ungleichheit und Ungerechtigkeit müssen bekämpft, Gleichheit muss hergestellt werden. Differenzierung führt zu Diskriminierung. Auch Urteilen heißt Differenzieren, dieses heißt Bewerten, eine Hierarchie von Werten erstellen. Insofern er alle Unterschiede ablehnt und eine egalitäre Gesellschaft herbeiführen möchte, trägt dieser Antirassismus den Keim eines genozidalen oder ethnozidalen, Kollektive vernichtenden Totalitarismus in sich.

3. Der vulgäre Antirassismus stellt den Versuch dar, die Bejahung des Unterschieds und der Gleichheit, also die Verteidigung des Unterschieds und seine Aufhebung zugleich zum Programm zu erheben. Seine These lautet: Gleichheit im Unterschied. Damit Gleichheit zwischen unterschiedlichen Gruppen herrschen kann, reicht es, den Unterschied festzustellen, ohne über ihn zu urteilen oder ihn zu beurteilen. Das Ideal fordert eine unmögliche Synthese von Gleichheit und Unterschied, es fordert, den Unterschied anzuerkennen und ihn zugleich zu nivellieren, zu unterscheiden, ohne zu unterscheiden. Es fordert Wertschätzung ohne Präferenz, Bewertung, ohne zu bewerten.

Missbräuchliche Verwendung des Wortes Rassismus

Taguieff ist der Auffassung, das Wort Rassismus werde durch seine inflationäre und undifferenzierte Verwendung im vulgären Antirassismus seines Wertes als Erkenntnisinstrument beraubt, denn es bezeichne inzwischen jedes Verhalten oder jede Haltung der Aggression oder Feindseligkeit gegenüber einem Einzelnen, der ausschließlich als Mitglied einer definierten Gruppe betrachtet werde. Die missbräuchliche Ausweitung des Rassismusverdachts führe dazu, dass der politische Gegner jederzeit als Rassist stigmatisiert werden könne. Er spricht von einem Konsens im vulgären Antirassismus: Rassismus gibt es immer dann, wenn es Formen der Ausschließung und biologische oder naturalistische Kennzeichen gibt, die auf eine Kategorie angewendet werden. Dieser Konsens unterscheidet drei Grundelemente im Rassismus: die Erklärung der als Rassen gedachten Gruppen zum gänzlich Andersartigen, ihre Biologisierung (Zuschreibung biologischer Stigmata) und die von Opfern erlebte Unterdrückung.

Zwei Annahmen von »manichäischer Simplizität« liegen gemäß Taguieff dieser »vulgären Vorstellung« zugrunde. Die Rassebildner herrschen, unterdrücken, sind Ausbeuter, Genozideure, die als Rasse Gebildeten sind unschuldige Opfer, in keiner Weise für die Ausschließung verantwortlich. Die als Rasse gedachte Gruppe ist Gegenstand einer bedingungslos positiven Bewertung. Es besteht die Tendenz, sie zu idealisieren und zu sublimieren, ihr die Reinheit der absoluten Unschuld zuzuschreiben. Voraussetzung dieser Viktimisierung ist das im Westen verbreitete Schuldgefühl. Wenn der Rassismus (seit 1945 durch die Identifikation des nationalsozialistischen Rassenantisemitismus mit dem Rassismus schlechthin) dem Westen eigen ist, wenn er das absolut Böse ist, dann muss man die Flucht nach vorn in das Anprangern, Demaskieren, Entlarven antreten. Aus diesem Schuldgefühl hat sich eine Ideologie des Verdachts entwickelt, die dem unmoralischen Imperativ gehorcht, den verborgenen, verkappten, verschleierten Rassismus inquisitorisch aufzuspüren, zu jagen, zu entschleiern, anzuprangern, zu ertappen, aufzuzeigen und zu identifizieren. Die vermutete Fortexistenz des Rassismus im Dunkeln begünstigt die Entstehung eines auf Rassistenjagd spezialisierten Intellektuellen. Dieser »ideologische Söldner« lässt sich von der Philosophie des Verdachts leiten, als »ideologischer Beutejäger« strebt er danach, den latenten, verborgenen Rassismus vor aller Augen zu zerren. Der militante Entschlüssler postuliert: Der Rassismus ist umso schädlicher, je weniger er sichtbar ist, je mehr Nichtgesagtes er enthält, je tiefer er sich in die Nischen des Herzens verkriecht. Die Rassisten spielen in der von Auschwitz gekennzeichneten Welt die Rolle der neuen Hexenmeister, als Inkarnation eines neuen Typs des absolut hassenswerten Häretikers, den der demokratisch-inquisitorische Konsens benötigt, um sich selbst zu legitimieren.

Rassismus als Hass, Missachtung und Ungleichheit

Zunehmend wird heute Rassismus als Bezeichnung für »Rassenbildung« (»Rassialisierung«) verwendet, also für Einstellungen, die ungleiche Verhältnisse zwischen rassischen Gruppen schaffen oder bewahren wollen. »Rassebilden« meint die Unterwerfung des Anderen unter den Rassismus. Unter »Rassialisierung« wird jedes von Feindseligkeit, Ausbeutung, Hass, Missachtung oder Beherrschung gekennzeichnete Handeln verstanden. Individuen werden als Opfer betrachtet, allein insofern sie Angehörige einer »als Rasse gebildeten« Gruppe sind. Der Rassismusdiskurs beginnt mit dem Opferdiskurs zu verschmelzen, der ihm eine zusätzliche, affektiv-imaginäre Akzeptanz verleiht. In der journalistischen Ritualisierung wird »Rassismus« als die Gesamtheit der Akte definiert, die man ablehnt oder absolut verurteilt. Das Spezifische des Rassismus wird zugunsten des unendlich ausweitbaren Opferdiskurses verwischt, dem die Beziehung »illegitimer Henker/unschuldiges Opfer« oder schlicht der Gegensatz von Gut und Böse zugrunde liegt.

Dazu kommt eine Mythologisierung: die Dämonisierung des Rassenbildners, die Verabsolutierung der Bösartigkeit des Rassisten; andererseits die Verabsolutierung der Unschuld der Opfer. Der Rassist wird aus dem Menschengeschlecht verjagt, wie ein Virus, der für den Körper hoch gefährlich ist. Die Entmenschlichung des rassistischen Feindes, seine negative Definition als Untermensch führt zur Forderung, ihn moralisch, politisch und ideologisch zu isolieren. Man kann nicht mit »diesen Leuten« diskutieren, denn sie sind vom antirassistischen Dialog ausgeschlossen. Man muss sie daran hindern, uns anzustecken, dafür sorgen, dass sie nicht schaden können, denn ihr Wesen ist es, zu schaden. Sie sind, im eigentlichen Wortsinn, die »Schädlinge«. Die offenkundige Ähnlichkeit der Behandlung »des Rassisten« im Diskurs der Antirassisten und »des Juden« oder »Schwarzen« im Diskurs der Rassisten oder Antisemiten ist nicht zufällig.

Die nichtwissenschaftliche Verwendung des Wortes Rassismus entwickelt in exklusiver Form die Themen der Feindseligkeit, des Hasses, der Missachtung und Ungleichheit. Wenn Rassismus nichts anderes ist, als jemanden »aufgrund seiner Gruppenzugehörigkeit zu missachten« oder jemanden »aufgrund seines Seins zu hassen«, dann lässt sich diese Gruppe beliebig definieren, von der Hautfarbe bis zur Religion oder dem Beruf. Es gibt schließlich so viele Rassismen, wie es Möglichkeiten der Missachtung, Ausschließung oder Feindseligkeit gibt. Der wissenschaftliche Neologismus »Rassialisierung« beruht auf einer unendlichen Ausweitung des Begriffs Rassismus durch eine überkritische Sozialpsychologie. Die westliche Linke, die weiterhin unbestimmt »den Rassismus« oder »die Rassismen« kritisiert, führt die in der hegemonialen Verwendung des Worts Rassismus beobachtbare Tendenz ins Extrem. Der von einem rassistischen Subjekt gefühlte Hass gegen die Opfer: das ist die allgemeine Form der populären Definition des Rassismus. Während diesem Hass eine Angst vor der Vermischung zugrunde liegen soll, macht die antirassistische Argumentation naiv die Befürwortung der Vermischung zur Zauberformel.

Die Blindheit des Antirassismus

Die Moderne ist – seit dem Anbruch der Neuzeit – individualistisch. Sie wertet das Individuum gegenüber dem gesellschaftlichen oder gemeinschaftlichen Ganzen auf. Der Rassismus, der aus dem Zerfall der Einbindung des Individuums in ein Gemeinschaftsganzes (Religion, Stände, Berufskorporationen, Familie, Ethnien) hervorging, also konstituierende individualistische Züge aufweist, beruht ebenso wie der Antirassismus auf der individualistischen Ideologie. Rassismus und Antirassismus teilen kritiklos die meisten grundlegenden Axiome des Individualismus und stellen zwei miteinander konkurrierende Varianten desselben dar.

Das zentrale politische Defizit des Antirassismus besteht aus der Sicht Taguieffs in seiner Unfähigkeit, Gemeinschaft zu denken. Er vermag die ethischen und politischen Fragen, die er aufwirft, nicht zu beantworten. Er schwankt zwischen der Bevorzugung des Individuums und der Bevorzugung der Menschheit. Er ignoriert alle intermediären Instanzen zwischen Individuum und Menschheit. Die Ideologie der Moderne ist hochgradig individualistisch und universalistisch zugleich, sie wertet die vermittelnden kollektiven oder kommunitären Sphären ab, und damit auch die Unterschiede zwischen Nationen, Kulturen und Völkern, um das Individuum von den »Fesseln des Kollektivs« zu befreien. Der Antirassismus erbt die Parteinahme für das Universelle, er erhebt sie zum Dogma. Die universalistische Position verpflichtet zum Glauben an die Gattung, auf den sich der vulgäre Antirassismus reduziert. Zwar führt der Individualismus zur Privilegierung des empirischen Individuums gegenüber dem Gemeinschaftsganzen, er erhebt aber zugleich die Person unabhängig von Gesellschaft oder Gemeinschaft zum moralisch höchsten Wert. Dies ist die humanistische Variante des Individualismus. Die Reaktion auf die Moralisierung (Universalisierung) des Individuums ist die Individualisierung des Kollektivs (als Nation, als Volk, als Gemeinschaft), so wie die Emanzipation der Individuen eine Antwort auf ihre traditionelle Verwurzelung ist.

Der Antirassismus akzentuiert lediglich eines der beiden Elemente des modernen Begriffspaars Individualismus / Universalismus. Dadurch reproduziert er die Bedingungen für die Entstehung des Rassismus als kommunitarische Reaktion auf den Gegensatz von Individualismus und Universalismus. Antirassismus und Rassismus bilden ein System, »nähren sich gegenseitig« durch ihre Themen, Argumente und Metaphern. Die Unfähigkeit des Antirassismus, das Kollektive zu denken, macht eine seiner größten politischen Schwächen aus. Dadurch vermag sich die Rechte des nicht gestellten Problems der Existenz der Gemeinschaft (von der Ethnie bis zur Nation) zu bemächtigen und es auf ihre Weise ins Gespräch zu bringen.

Die antirassistische Selbstrassenbildung

Der Antirassismus ist rassistoid und rassistogen. Seine wichtigste Überzeugung: die höherwertige Rasse bestimme sich durch das Fehlen eines Eingebundenseins in diese oder jene Rasse. Der antirassistische Rassismus postuliert, das Universelle könne nur durch die radikale Loslösung von jeder partikularen Gemeinschaft erreicht werden. Die antirassistische Militanz predigt das Ideal eines Menschen ohne Eigenschaften, ohne Zugehörigkeit. Darin besteht das linke Lob der Entwurzelung, die Erhöhung des heimatlosen Intellektuellen. Der Intellektuelle erscheint entwurzelt, entortet, sein Wesen durch sein Bedürfnis nach Universalität bestimmt, er ist die reine Instanz, die eine für alle und niemanden bestimmte Position bezieht. Der antirassistische Intellektuelle wird zur Essenz der Menschheit hypostasiert, er erklärt sich zur Inkarnation der denkenden Rasse. Es soll möglich sein, sich auf eine transkulturelle Rationalität zu beziehen, die auf der vollständigen Selbstablösung des Subjekts von der Gemeinschaft beruht. Der Geist ohne kommunitarische Eigenschaften, ohne besondere, ethno-kulturelle Verankerung identifiziert sich mit dem Universellen, er schreibt sich die Fähigkeit zu, das wahrhaft Universelle zu denken. Er ist höherwertig, weil er frei von Bindungen ist, ein reines Subjekt, das ohne intermediäre Instanz direkt mit dem Absoluten kommuniziert. Diese Vorstellung konstituiert die Idee einer einzigartigen Superrasse, einer Rasse des Geistes, die ihre Höherwertigkeit aus dem Fehlen jeglicher Rasseneigenschaften bezieht. Auch hier geht der Antirassismus aus der Umkehrung des Rassismus hervor.

Grundaxiome des Antirassismus

Der Antirassismus, den Taguieff für eine große Ideologie im Werden hält, hat demgemäß ein doppeltes Gesicht, wie alle großen Ideologien: Er ist ein System zur Beschreibung und Erklärung der Welt und zugleich ein System von Normen und Imperativen. Der Antirassismus erklärt und begreift sich als exklusive und legitime Weltanschauung, als universelles Heilmittel gegen andere politische Ideologien.

In der Politik wird seit langem ein Kampf um die Aneignung der antirassistischen Exklusivität geführt. Der Preis ist das Monopol der antirassistischen Kritik. Wer ist der beste oder der wahre Antirassist?

Kommunisten und Sozialisten setzen Nationalismus und Rassismus wegen ihres Antiindividualismus oder Antiuniversalismus gleich; oder Liberalismus und Rassismus, wegen des Sozialdarwinismus, der im Neoliberalismus erneut zu Tage trete.

Liberale dagegen setzen Sozialismus und Kommunismus mit dem Rassismus gleich, wegen der Identität der Klassen- und Rassenbildung. Der Sozialismus kann als kommunitaristische Reaktion auf den neuzeitlichen Individualismus interpretiert werden, auch durch ihn wird das Individuum einer feststehenden Kategorie untergeordnet, der es nicht entrinnen kann. Die Ausbeuterklasse ist die dämonisierte Gegenrasse des Proletariats. Die Deutung der gesellschaftlichen Kämpfe als Rassenkämpfe geht bis ins 18. Jahrhundert zurück, als der normannische Adlige Henri de Boulainvilliers den Gegensatz zwischen Adel und Bürgertum in Frankreich als Gegensatz zweier Rassen, jener der Franken und der Gallier interpretierte. An diese Idee, die die französische Geschichtsschreibung bis ins 19. Jahrhundert beeinflusste, knüpften Marx und Engels mit ihrem Begriff des Klassenkampfes an.

Der Antirassismus postuliert, wie alle großen Ideologien, die Existenz eines absoluten Feindes. Indem er diesen Feind, den Rassismus, stets von neuem in die sozialen und politischen Auseinandersetzungen hinein imaginiert, führt er selbst zu Konflikten. Statt die Kultur- und Ideologiekriege zu beenden, belebt und schürt er sie. Seine Argumentation wird von einer Reihe von Grundaxiomen und Stereotypen beherrscht.

Rassismus als Folge einer Krise

Er sieht im Rassismus die Folge einer wirtschaftlichen Krise. Die Fremdenangst (Xenophobie, Heterophobie) hat wirtschaftliche Ursachen, denn die Ökonomie ist das einzig Reale. Die falsche Diagnose führt zu illusionären Therapievorschlägen: um den Rassismus zu beseitigen, müssen dessen Ursachen beseitigt werden. Da diese in der Krise liegen, müssen die Ursachen der Krise beseitigt werden: die Arbeitslosigkeit, die Abwanderung der Produktion in Billiglohnländer, die ungerechten gesellschaftlichen Verhältnisse, die Demokratiedefizite, der Mangel an Bildung.

»Rassisten« und Antirassisten reagieren unterschiedlich auf die Krise, von deren Realität beide überzeugt sind. Erstere wehren sich gegen eine drohende Invasion oder Zerstörung der Identität der Gemeinschaft, einen drohenden Raub des Arbeitsplatzes oder eine Vergewaltigung des Nationalkörpers. Die Antirassisten sehen in dieser Reaktion den spezifischen Rassismus von xenophoben Nationalisten.

Rassismus als Verschwörung

Der Antirassismus sieht im Rassismus die Folge einer Verschwörung. Es gibt verborgene soziale Kräfte, die falsche Interpretationen für soziale und ökonomische Fragen erfinden und verbreiten. Sie beruhen auf der Benennung der für die Krise Verantwortlichen (Sündenböcke), auf die Unzufriedenheit und Hass abgeleitet werden können. Der Rassismus ist also ein Mittel der Desinformation. Die wahren Probleme werden durch ihn verschleiert, die Aufmerksamkeit vom Klassenkampf abgelenkt. Der falsche Rassismus wird aus dem Hintergrund orchestriert oder gezielt inszeniert. Das mystifizierte Subjekt des Rassismus wird vom offen praktizierenden Rassisten unterschieden. Der Rassist ist Objekt einer zynischen Manipulation. Der Rassismus wird zu einem instrumentellen Mythos umgedeutet, zu einer Fiktion der Propaganda. Er wird zu einem Indoktrinierungsmittel im Dienst einer okkulten Politik. Die geheimen Verantwortlichen für den Rassismus, die selbst arassistisch sind, werden mystifiziert, die Rassisten werden zu Opfern, die man missbraucht, deren guter Glaube ausgenutzt wird. Der Antirassismus muss die wahren Verantwortlichen benennen, die die anderen als Marionetten in ihrem zynischen Spiel benutzen.

Die Rassisten als Rasse

Der Antirassismus postuliert die Exterritorialität des antirassistischen Beobachters und Akteurs gegenüber den Rassisten. Der Antirassist, der das Urteilsmonopol beansprucht, stellt sich außerhalb der rassistischen Welt oder der Welt der Rassisten. Zum Postulat der radikalen Trennung zwischen beiden kommt das Postulat der Ungleichheit, denn der Antirassist nimmt für sich in Anspruch, über dem Rassisten zu stehen. Hier tritt das Paradox der egalitären Ideologie zutage: man kann die Gleichheit nur höher als die Ungleichheit bewerten, wenn man eine hierarchische Wertskala voraussetzt, man kann die antirassistischen Werte nur behaupten, wenn man sie über die rassistischen stellt. Dadurch führt man die Ungleichheit wieder ein, die man ansonsten radikal ablehnt, weil man in ihr ein Indiz des Rassismus sieht. Der Rassist wird aus der Welt der Menschen, dem Dialog, ausgeschlossen, er wird kriminalisiert, dämonisiert, als Angehöriger einer minderwertigen Rasse oder Antirasse betrachtet. Der Rassist wird dämonisiert, nachdem er in die Untermenschlichkeit projiziert wurde.

Die Rassisten, die zur Rasse gemacht werden, das ist ein Paradoxon des vulgären Antirassismus und eine seiner Schwächen. Man kann von einem rassistoiden Antirassismus sprechen. Der Antirassismus wird in der Polemik selbst rassebildend, die Rassisten werden zur Antirasse der guten, wahren und reinen Spezies der Antirassisten. Der antirassistische Diskurs funktioniert, indem er die Widersprüche verkennt, die aus der nachahmenden Rivalität von Rassismus und Antirassismus hervorgehen. Er kann sich nur entfalten, indem er sich blind macht gegen die rassistoiden Annahmen und Strukturen, die ihm immanent sind.

Typologie der Rassisten

Die antirassistische Rhetorik konstruiert, analog zu den Typen des zoologischen Rassismus, verschiedene Typen von Rassisten.

Der ignorante oder dumme Rassist. Rassismus ist Folge von Unwissenheit, der antirassistische Kampf Aufklärung und Erziehung. Niemand ist freiwillig Rassist, die Dummen müssen belehrt werden. Der Antirassist hilft die Differenz erkennen und lieben, er lehrt, die Unterschiede zu übersehen und auf das zu achten, was in allen Menschen gleich ist. Indem der Rassist für dumm und primitiv erklärt wird, ist er bedingungslos disqualifiziert. Allerdings setzt diese Disqualifizierung eine Theorie ungleicher Intelligenz voraus, die im antirassistischen Milieu dem Rassismus und der Eugenik zugeschrieben wird. Die Dummheit wird aus dem legitimen Dialog ausgegrenzt, beschämt, wortlos gemacht. Der Antirassist gehört zur intellektuellen Elite, die den Rassisten, den Armen an Geist, verachtet.

Der schlecht erzogene Rassist. Rassismus kann auch Folge mangelnder Erziehung sein. Der Rassist sagt Dinge, die man nicht sagen soll. Sein Denken wird von »Vorurteilen«, »Stereotypen«, »Klischees« beherrscht. Der Antirassist versucht, ihn zu belehren, aufzuklären, ihm beizubringen, wie man sprechen darf. Man muss ihm gute Manieren beibringen, was mit dem Erlernen der richtigen Sprache beginnt: man darf nicht »Neger« sagen, sondern Schwarze, nicht »Juden«, sondern Israeliten oder Israelis, nicht mehr von »Rassen« sprechen, sondern von Kulturen oder Ethnien, nicht mehr von »Wilden«, sondern von indigenen Völkern, nicht mehr von »Minderwertigkeit« oder »Primitivität«, sondern von Andersartigkeit. Der Rassist muss lernen, wie man denkt und spricht, er muss lernen, die standardisierten Euphemismen zu benutzen, durch deren Gebrauch der gut erzogene Antirassist erkennbar ist. Der Gipfel des antirassistischen Euphemismus ist die Aufhebung des Unterschieds: Die Menschen müssen daran gewöhnt werden, nicht zu urteilen, von einer Beuteilung derer abzusehen, die sich von uns unterscheiden, vor allem, wenn die betreffenden Individuen viktimisierbare Typen repräsentieren. Der umerzogene Rassist muss sich damit begnügen, festzustellen, dass es Differenz gibt und bekennen, dass er diese respektiert oder liebt.

Diese pädagogisierende Haltung zieht den Vorwurf des Konformismus auf sich. Antirassismus besteht letztlich nur noch in einem Bekenntnis zu dem, was zu einer bestimmten Zeit von einer Mehrheit als anständig und akzeptabel betrachtet wird, besteht in der freiwilligen Unterwerfung unter kulturelle Sterotypen. Die Rassisten werden zur unterdrückten, marginalisierten Minderheit, zu Märtyrern, die die letzten Tabus der postmodernen Gesellschaft in Frage stellen oder zu neuen Barbaren, die die Sprache der Zivilisierten nicht beherrschen.

Der Rassist als soziales Symptom. Der Rassist als unschuldiges Symptom für eine Krankheit der Gesellschaft macht diesen zu einem Effekt falscher Strukturen. Beseitigt man die Mängel der Gesellschaft, deren Folge der Rassismus ist, wird auch dieser verschwinden. Der Rassist wird dem neuen Armen, dem Arbeitslosen, dem Kriminellen aus sozialen Gründen gleichgesetzt, wie diese verschwindet er mit den Folgen einer schlechten Gesellschaft. Konsequenter Antirassismus heißt, die Revolution machen, um die Klassengrundlagen des Rassismus zu zerstören. In einer klassenlosen Gesellschaft verschwindet der Rassismus, da er keine Funktion mehr erfüllt.

Der verrückte Rassist. Da er geisteskrank (neurotisch, phobisch) ist, muss man ihn einer psychiatrischen Therapie unterziehen. Der Antirassist ist ein »polymorpher Therapeut«. Jede als irrational taxierte Einstellung wird von ihm pathologisiert. Der Rassismus wird von ihm als Wahnsinn (»Rassenwahn«) definiert. Der Rassist ist zugleich ein pathologischer Fall und eine Bestie. Er ist schlicht ein Tier, das seine Triebe nicht zu beherrschen vermag. Die Krankheit des Rassismus wird zur bedrohlichen Epidemie, zum Virus, zum Nährboden für geistige Seuchen. Im Rassisten schließen sich alle Bilder der Bedrohung zusammen, vom gefährlichen Wahnsinnigen bis zum sich ausbreitenden Krebsgeschwür.

Der böse Rassist. Quelle des Rassismus ist nicht Unwissenheit, sondern Hass, eine Kraft schierer Negativität. Ihn bekämpfen, heißt, ihn disqualifizieren und isolieren, Schaden durch ihn verhüten und ihn am Ende ausschließen. Die Welt der Antirassisten ist erfüllt von Ritualen der Ausschließung. Der Antirassismus wird zur Intoleranz. Es gibt nur ein Wahres, ein Gutes, ein Schönes – auf der Seite der Antirassisten. Neben dem Dogmatismus der Werte fällt die nachahmende Konkurrenz zum Kritisierten auf, die phobische Einstellung: Jeder Kontakt mit der Gruppe der Verpesteten oder Leprösen muss vermieden werden, es muss Distanz geschaffen, getrennt, mit einem Wort: diskriminiert werden. Der Antirassist fordert die Restauration der Tabus, – die Grenzen, die von den Unberührbaren trennen, sollen respektiert werden. Die Dämonisierten hausen im Dreck, im Sumpf. Sie müssen in den Morast zurückgestoßen werden, in dem sie brüten, aus dem sie niemals hätten herauskriechen sollen. Der Antirassist muss sich vor dem hüten, was verschmutzt, wachsam sein, um nicht in den rassistischen Dreck zu fallen. Der Antirassist schreibt sich nicht nur das Monopol der guten Absichten zu, er beansprucht auch die höchste Stellung und den Besitz der Reinheit, fern von Sumpf und Morast, wo sich die Untermenschen, die Bösen und Korrupten tummeln.

Das antirassistische Plädoyer ist ein Beispiel für die »Intoleranz aus Überzeugung«.[3] Der dogmatische Moralist kritisiert und verurteilt, was er für absolut unzulässig hält, er predigt die Intoleranz, da er überzeugt ist, im Besitz der Wahrheit zu sein, sich grundsätzlich im Lager der Guten zu befinden. Die Toleranz darf sich nicht auf die Feinde der Toleranz erstrecken, sonst zerstört sie sich selbst. Bedeutet Toleranz, dass man Nazis die Freiheit lässt, zu reden und zu handeln? Solange sich Praktiken der Intoleranz auf »falsche«, »anti-« oder »unmenschliche« Einstellungen beziehen, sind sie legitim. Deswegen der permanente Ruf nach Verschärfung der Gesetze. Die Gesetze dürfen nicht nur Handlungen, sie müssen auch Gedanken und Gesinnungen verbieten, weil sie der Nährboden des manifesten Bösen sind. Aber die Gesetze reproduzieren auf ihre Weise die Paradoxien des Antirassismus. Entweder gründet der Antirassismus auf einer präzisen und einschränkenden Definition des Rassismus, dann ist der antirassistische Kampf ohne reale gesellschaftliche Tragweite, weil er sich nur gegen marginale Formen des Rassismus richtet, die nur noch als Residuen in gesellschaftlich unbedeutenden Randzonen vegetieren, oder er gründet auf einer weiter gefassten und weniger präzisen Definition und zählt eine große Zahl von Fällen auf, dann sind die Gesetzestexte tendenziell nicht anwendbar, gerade aufgrund der Tatsache, dass sie sich auf zu viele gesellschaftliche Situationen beziehen. Entweder antirassistische Gesetze finden Anwendung, bleiben jedoch ohne Wirkung, weil der Anwendungsbereich beschränkt ist oder sie sind nicht anwendbar, da sie umfassend anwendbar sein wollen.

Die Toleranz gegenüber Gruppen oder Individuen aufzuheben, die man nicht dulden will, gefährdet die Freiheit. Im Namen der Maximalisierung der Tugend ebnet man der ideologischen Despotie den Weg, der Errichtung einer strikten Kontrolle über Meinungen und Verhalten. Die partielle Abschaffung der Toleranz führt zu einer totalitären Form von Gesellschaft.

Antirassismus als Rassismus

Der Antirassismus ist ein Plädoyer für die rassische, ethnische oder kulturelle Identität der Individuen, die auf einen unwegdenkbaren Ursprung bezogen wird. Das legitimiert, was man zu bekämpfen vorgibt, nämlich die rassistische Reduzierung des Individuums auf eine feste Klasse von Zugehörigkeit, die mit den jeweiligen Ursprüngen verwechselt wird. Diese nach Taguieff »perverse Folge« des Antirassismus findet sich in der Forderung nach einer Identität wieder, die die ursprünglichen Differenzen verabsolutiert. Sowohl als Rassist wie auch als Antirassist legitimiert man das Kriterium der Rasse zur Differenzierung von Menschen und neigt dazu, es als wichtigsten und entscheidenden Maßstab zur Klassifizierung von Individuen darzustellen. Die Verfestigung kollektiver Unterschiede, ausschließlich formuliert mit dem Vokabular der Rasse, stellt den perversen Effekt des Antirassismus dar. Am deutlichsten wird dies in der Gesetzgebung zur »affirmative action«, der »reverse discrimination«, die politische und kulturelle Bevorzugung an Rassenzugehörigkeit bindet, um frühere Benachteiligungen wieder gut zu machen. Der Bezug auf die rassische Differenzierung ist eine Annahme, die die erklärten ideologischen Feinde teilen, sie umfasst eine zweite, implizite Annahme: Die Unterschiede gelten als unüberwindlich, als Grenzen, die nicht überschritten werden können. Vor allem bedeutend ist die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen – biologisch gedachten – Gemeinschaft.

Eugenische Visionen des Antirassismus

Der Antirassismus entlehnt aus dem Pazifismus das Ideal der Realisierung des Friedens in der Welt. Hass und Verachtung sind die von ihm am häufigsten stigmatisierten Passionen. Ihre verbalen oder nonverbalen Manifestationen sind Erscheinungsformen des Rassismus. Wenn der Rassismus die Legitimierung und der Kult der Gewalt ist, dann ist der Antirassismus die Gewaltfreiheit. Die heftige Negation des Konflikts mündet in einem Paradox: dem Hass auf den Hass, der Verachtung gegen die Verachtung, dem Krieg gegen den Krieg.

Die Verwirklichung des Friedens auf Erden erfordert die Beseitigung der nicht reduzierbaren Differenz. Die bösen Unterschiede müssen ausgemerzt werden. Die Glieder müssen vom Körper der Menschheit amputiert werden, die den Brand des Konflikts schüren und in Gang halten. Der Antirassismus ist paradox, weil er einen totalen Krieg gegen seinen Feind führt, den er mit der absoluten Verurteilung jeden Krieges legitimiert.

Der Antirassismus fordert die Neutralisierung rassischer Unterschiede, die immer wieder auf unerwartete Weise aufkommen. Die einfache und brutale Lösung des Problems stellt einen der Gemeinplätze das vulgären Antirassismus dar: Da die Wahrnehmung der Hautfarbe rassistische Triebe immer neu belebt und zu differenzierenden ethnischen Sammlungen führt, muss man sich die radikale Abschaffung der Unterschiede der Hautfarbe zum Ziel setzen. Dafür gibt es nur ein Mittel: die Mischung aller mit allen. Um die Wiedergeburt des Rassismus zu verhindern, wird die Auslöschung ethnischer Unterschiede durch universelle Kreuzung vorgeschlagen. Diese kann nur dann vollständig erreicht werden, wenn sie kategorischer Befehl ist: Die Rassenmischung muss von allen praktiziert werden, bedingungslos, damit das angestrebte Ziel erreicht werden kann. Dies setzt die Schaffung eines internationalen antirassistischen Wertesystems voraus, das sich die Beseitigung der sichtbaren Unterschiede zur Aufgabe macht. Diese Vision ist mehr als autoritär, sie ist die Utopie eines biopolitischen Totalitarismus, wie er uns in den eugenetischen Visionen des Rassismus begegnet.


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Anmerkungen

[1] Pierre-André Taguieff, Die Macht des Vorurteils. Der Rassismus und sein Double, Hamburg 2000; franz. Originalausgabe: La force du préjugé, 1988.

[2] Die Jahrbücher veröffentlichen Ergebnisse jährlich stattfindender Kolloquien und befassen sich u.a. mit René Guenon, Julius Evola, Gnostikern und Mystikern im Umkreis der französischen Revolution, der Freimaurerei, Prophetie und Politik, Esoterik und Sozialismus, der okkulten Geschichte, Verschwörungstheorien, Melchisedek und der Theosophie.

[3] Leszek Kolakowski, La dictature de la vérité – un cercle carré, 1972.

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