Warum weiße Privilegien ein Mythos sind – Teil 2

Zuletzt aktualisiert am 12. Januar 2024.

»Niemand wird Politik wirklich verstehen, solange er nicht begreift, dass Politiker nicht versuchen, unsere Probleme zu lösen. Sie versuchen ihre eigenen Probleme zu lösen – von denen das erste ist, gewählt zu werden und das zweite, wiedergewählt zu werden. Was auch immer das dritte sein mag, es ist ohne Bedeutung.« Thomas Sowell in »Dismantling America«. Foto: © mackinac.org

»Rasse« wird in den USA, die sich darin – zur Zeit noch – erheblich von Europa unterscheiden, als Erklärung für alles Mögliche herangezogen. Da amerikanische Diskursströmungen regelmäßig, wenn auch mit einiger Verspätung, in Kontinentaleuropa rezipiert werden, ist zu erwarten, dass sich dieser Trend auch hierzulande stärker durchsetzen und – analog zu den USA – zu einer noch tieferen Spaltung jener europäischen Gesellschaften führen wird, die wenigstens ansatzweise eine Grundlage für die entsprechenden Diskussionen in der Zusammensetzung ihrer Bevölkerungen aufweisen. In den USA sind sowohl die Linke als auch die Rechte – unter umgekehrten Vorzeichen – in einen permanenten Rassendiskurs verstrickt. Er ist in den Wissenschaften ebenso gegenwärtig wie in den Medien.

Das nur rassistisch denkbare »weiße Privileg« ist mittlerweile selbst unter Gebildeten zu einem bevorzugten Paradigma geworden. Extremisten jeder Couleur dient es geradezu als Universalerklärung aller sozialen Missstände. Diese Tatsache steht in einem merkwürdigen Widerspruch zu der Behauptung, es gebe überhaupt keine »Rassen«. Dieser Widerspruch lässt sich nicht ohne weiteres auflösen. Man kann einen Kuchen nicht gleichzeitig aufessen und für später aufbewahren. Genau dieses Paradoxon soll aber gegenwärtig auf vielen Gebieten in die Tat umgesetzt werden. Eine in sich widersprüchliche »große Transformation« wird auf den Weg gebracht, die voraussichtlich die Gesellschaften, die ihr nicht widerstehen, zugrunde richten wird. Das geflügelt-berüchtigte Wort Yascha Mounks vom »historisch einzigartigen Experiment«, dem die westlichen Demokratien unterworfen würden[1], gilt nicht nur für die Migration, sondern für eine ganze Reihe weiterer Gebiete: die Energieversorgung, die Ökonomie, den Rechtsstaat, die Grundlagen der Demokratie und so weiter und so fort. Exponenten des Klimaalarmismus drohen sogar mit einer unvermeidlichen »Kriegswirtschaft«, wenn die von ihnen geforderten Maßnahmen nicht zügig umgesetzt werden.[2]

Im ersten Teil dieses Beitrags habe ich argumentiert, die Strategie, Diskriminierung mit der Begründung zu bekämpfen, »Rassen« seien »soziale Konstrukte«, und daher nicht real, führe sich durch ihre Selbstwidersprüchlichkeit ad absurdum. Dazu ist eine Erläuterung angebracht. Man könnte nämlich einwenden, obwohl Rassen bloße Konstrukte und damit keine Realität seien, stellten doch diese Konstrukte selbst eine soziale Realität dar: jene der in den entsprechenden Vorurteilen befangenen Bewusstseine nämlich, die aufgrund derselben handelten, als existierten Rassen tatsächlich. Man hätte es dann mit der Realität eines falschen Bewusstseins zu tun, aus der eine falsche soziale Realität hervorgehen würde. Das falsche Bewusstsein müsste aufgeklärt und erzogen und wenn dies nicht hilft, dazu gezwungen werden, seinen Irrtum einzusehen und sich der Wahrheit zu beugen.

Erwägen wir den Einwand. Die Theorie, Allgemeinbegriffe, die Wahrnehmungsinhalte in Gruppen zusammenfassen, seien bloße Erfindungen (Konventionen, Verschwörungen), erhebt den Anspruch auf Allgemeingültigkeit, sonst wäre sie weder eine Theorie, noch ernst zu nehmen. Sie muss also auch auf sich selbst anwendbar sein, sofern die Gesetze der Logik noch etwas gelten. Mit anderen Worten: die Theorie der »sozialen Konstrukte« ist ihrerseits ein soziales Konstrukt und nicht realer, als die sozialen Konstrukte, deren Realitätsgehalt sie kritisiert. Gälte die These von der »sozialen Konstruktion«, stünden sich unterschiedliche Theoriekonstrukte gegenüber, die miteinander um die Erklärung der sozialen Realität konkurrieren, die keinerlei Merkmal an sich tragen, das eine rationale Entscheidung für das eine oder das andere ermöglicht. Die Kriterien der Wahrheit müssten außerhalb der Theorie liegen. Da es aber keine Kriterien der Wahrheit geben kann, da Wahrheit ebenfalls ein soziales Konstrukt ist, ist die Frage, welches Konstrukt wahrer ist, überhaupt nicht mehr beantwortbar. Die Konsequenz des Dekonstruktivismus ist also die reine Willkür in Erkenntnis- und Wahrheitsfragen. Überträgt man diese Einsicht in die soziale Realität, werden Entscheidungen vollkommen beliebig und können nicht mehr aus rationaler Überlegung oder einem geregelten demokratischen Verfahren hervorgehen. Infolge dieser Willkür erodieren Wissenschaft ebenso wie Politik. In der Wissenschaft könnte es nicht mehr um Wahrheit, in der Politik nicht mehr um das allgemeine Gute, das Gemeinwohl, gehen. Sie würden zum Spielball von Gruppenegoismen, von Macht und Profit. In der Tat lässt sich diese Entwicklung an den westlichen Gesellschaften beobachten, deswegen sprechen aufgeweckte Diagnostiker von einem »postfaktischen« oder einem »postdemokratischen« Zeitalter. Es ist also höchste Zeit, das Ruder herumzureißen und sich darauf zu besinnen, dass allgemeine Werte auf dem Spiel stehen, auf deren Anerkennung die Existenz freier Gesellschaften beruht. Wir müssen uns vom Relativismus, von der Beliebigkeit und Verantwortungslosigkeit verabschieden, wenn unsere Lebensform, die das Ergebnis einer Jahrtausende währenden geschichtlichen Entwicklung ist, nicht unwiederbringlich verloren gehen soll. Wir müssen uns aber ebenso von der Heuchelei verabschieden, die im Namen der Demokratie den Souverän bevormundet, im Namen der Einheit die Meinungsfreiheit bekämpft und im Namen der Gerechtigkeit den Nächsten.

Kommen wir nach dieser Einleitung zu Harinam und Henderson zurück, die in ihrem Artikel – dessen ersten Teil wir bereits referiert haben – dafür plädieren, die Theorien sozialer Ungleichheit von ihren ideologischen Scheuklappen zu befreien und den Blick unbefangen auf die Vielschichtigkeit der realen gesellschaftlichen Verhältnisse zu richten. Dieser unvoreingenommene Blick ist ihrer Auffassung nach nicht nur die Voraussetzung einer wirklichen Erkenntnis, sondern auch eines politischen Handelns, das die Lage der Benachteiligten tatsächlich zu verbessern vermag.

Fallstricke monokausaler Erklärungen

Eine der Konsequenzen, die nach Auffassung des Autorenduos aus der Ideologie der Gleichheit hervorgeht, ist die Vorstellung, Gleichberechtigung sei nur dann zu erreichen, wenn alle sozialen Gruppen in allen Aktivitäten und Institutionen paritätisch vertreten seien. Repräsentation soll durch Parität ersetzt werden. Diese Forderung halten sie für einen Trugschluss, der außerdem grundlegenden Gesetzen der Statistik widerspreche[3]. In der Natur gebe es das Prinzip der Parität nicht. Grob ungleiche Verteilungen der Ergebnisse seien die Regel, nicht die Ausnahme.

Einmal mehr berufen sie sich auf den Ökonomen Thomas Sowell, aus dessen Buch The Quest for Cosmic Justice sie Beispiele zur Illustration heranziehen: Mehr als 80 Prozent der Donut-Shops in Kalifornien sind im Besitz von Immigranten aus Kambodscha. In den 1960er Jahren waren in Malaysia zwischen 80 und 90% aller Studenten der Medizin, der Natur- und Ingenieurswissenschaften Chinesen, obwohl der chinesische Anteil an der Bevölkerung nur 36% betrug.[4] Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellten die Schotten vier Fünftel der Zuckerverarbeitungsmaschinen weltweit her. 1937 waren 91 Prozent aller Lebensmittelläden in Vancouver, Kanada, im Besitz japanischer Immigranten.

Obwohl es naheläge, solche auffälligen Ungleichheiten zu Faktoren wie unterschiedlichen Ernteerträgen, der Geburtsreihenfolge, geografischen und klimatischen Bedingungen, technologischen Fortschritten oder demografischen Gesetzmäßigkeiten in Beziehung zu setzen, erscheinen diese moralisch neutralen – naturwissenschaftlichen – Erklärungen einem Argument Sowells zufolge (in Discrimination and Disparities), weit weniger attraktiv, als solche, die geeignet sind, »moralische Empörung hervorzurufen«.[5]

Der Mensch neigt laut Hariman und Henderson dazu, das, was offensichtlich ist oder in die Augen springt, auch für das Erklärende zu halten. Da jedoch im politischen Kontext – dies sei hier zur Argumentation der beiden hinzugefügt – die Aufmerksamkeit vom thymos gesteuert wird, der aufgrund seiner Eigenlogik nach Gegenständen verlangt, über die er sich empören kann, wird als Diskriminierung – und damit als böswillige Verschwörung – missverstanden, was in Wahrheit durch Faktoren bedingt ist, die mit Moral nichts zu tun haben.[6]Die paradoxen Essentialisten, die »weiße Privilegien« wie eine platonische Idee vor sich her tragen, sehen in der ungleichen Verteilung von Vorteilen und dem unterschiedlichen Status gesellschaftlicher Gruppen das Ergebnis vergangener und gegenwärtiger verwerflicher Interventionen. Ohne die heimliche – oder unheimliche – Einmischung weißer Rassisten gäbe es überall gleiche Ergebnisse.

Unterschiede jedoch, wenden Harinam und Henderson ein, implizierten nicht ohne weiteres Diskriminierung. Vielmehr beruhe diese Annahme auf einem klassischen Trugschluss, der als »falscher Umkehrschluss« (»affirming the consequent«) bekannt sei.[7] Dieser schreibe eine bestimmte Folge einer vorausgehenden Bedingung zu, auch wenn es viele mögliche andere Bedingungen für sie geben könne. So sei der folgende Konditionalsatz zweifellos wahr: »Wenn es regnet, dann wird das Gras nass.« Falsch sei jedoch der Rückschluss von der wahren Folge auf die Ursache: »Wenn das Gras nass ist, muss es geregnet haben.« Das Gras könne auch aus vielen anderen Gründen nass sein, zum Beispiel durch Tau oder weil es gesprenkelt wurde. Entsprechendes gelte für die Aussage: »Wenn es Diskriminierung gibt, dann werden Statusunterschiede und ungleiche Verteilungen auftreten.« Auch dies sei eine wahre Aussage über eine Beziehung von Bedingung und Folge. Aber wenn irgendwo Statusunterschiede oder ungleiche Verteilung aufträten, bedeute dies nicht, dass sie zwingend eine Folge von Diskriminierung seien. – Der Fehlschluss ist ohne Zweifel populär, er prägt in Form falscher Schuldzuweisungen geradezu das politische Denken. Er liegt um so näher, je augenfälliger die für verantwortlich erklärten Faktoren seien, z. B. Hautfarbe oder Geschlecht.

Diskriminierung haben wir demnach als eine von vielen möglichen Erklärungen für unterschiedliche Verteilungen von Errungenschaften oder Vorteilen auf Gruppen, aber nicht als die einzig mögliche zu betrachten. Das Maß der Wirksamkeit jedes einzelnen möglichen Faktors muss validiert werden. Empörung oder andere moralische Regungen verleihen schlechten Argumenten kein zusätzliches Gewicht und ersetzen nicht den empirischen Nachweis eines tatsächlichen Zusammenhangs.

Monokausale Erklärungen, die komplexe, womöglich sogar viele unterschiedliche Sachverhalte erklären sollen, stehen von vorneherein im Ideologieverdacht. Entsprechend aufgebläht müssen auch die Begriffe werden, die als universelles Explanans dienen sollen: Pauschalaussagen wie »alles ist Materie«, »alles ist Geist«, oder »alles ist Rasse, es gibt keine andere Wahrheit« (Benjamin Disraeli), erklären alles und deswegen in Wahrheit nichts. Sie verhalten sich wie die Kühe Hegels, die in der Nacht alle schwarz sind. Die tatsächliche wissenschaftliche Forschung, sei es nun die Soziologie oder auch die Klimaforschung, fördert eine Vielfalt unterschiedlicher, sich häufig widersprechender Resultate zutage, die nicht ohne weiteres auf einen einfachen Nenner zu bringen sind. Solche Vereinfachungen sind jedoch gerade im Interesse der Politik, d.h. thymotischer Wirkungen erforderlich.

Am Beispiel des Verhaltensgenetikers Robert Plomin verdeutlichen die Autoren das Problem. Er untersuchte in seinem Buch Blueprint Unterschiede in der akademischen Leistung von Jungen und Mädchen. Ihm zufolge kann weniger als 1% dieser Leistungen durch das Geschlecht erklärt werden. Aber Geschlechtsunterschiede sind auffällig und daher ist die Neigung groß, Unterschiede in den Leistungen auf diese Unterschiede zurückzuführen.

Auch andere scheinbar offensichtliche Faktoren können unterschiedliche Leistungen nicht vollständig erklären, selbst wenn sie miteinander kombiniert werden. So lassen Leistungen im Studium sich weder aus den Ergebnissen sekundärer Bildung oder standardisierter Tests, noch aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaftsschicht ableiten.

Vielmehr zeigten Untersuchungen, dass der sozioökonomische Status, hohe Schulnoten und die Ergebnisse standardisierter Tests zusammen nur etwa 41% der Unterschiede in Hochschulnoten erklärten.[8] 41% seien zwar nach sozialwissenschaftlichen Maßstäben viel. Dennoch könne kein einzelner dieser Faktoren und auch nicht alle zusammen die unterschiedlichen Leistungen von College-Studenten vollständig erklären.

Komplexe, multifaktorielle Theorien sind also monokausalen vorzuziehen, komplexe Sachverhalte aus einem einzigen Faktor zu erklären, seien es nun die Gene, die Umwelt oder die Gesellschaft, fördert hingegen den politisch brauchbaren Irrtum. Dies gilt auch für die sogenannten weißen Privilegien. Anstatt diese wie einen Alloperator zu benutzen, der eine Vielzahl von Variablen auf eine einzige reduziert, sollten diese Variablen im Einzelnen untersucht und ihre Anteile am Zustandekommen sozialer Sachverhalte berücksichtigt werden.

Auf vier dieser Variablen gehen Harinam und Henderson im Folgenden näher ein: die Umwelt (geographischer Determinismus), die Persönlichkeit (Eigenverantwortung), die Herkunft (Familienstruktur) und die Tradition (Kultur).

Geographie

In einer Studie über die Mobilität aufeinanderfolgender Generationen in den USA habe Raj Chetty von der Universität Harvard festgestellt, dass die Mobilität in den einzelnen Gebeten der USA erheblich variiere.[9] Die Chancen der Kinder, den gesellschaftlichen Status ihrer Eltern zu übertreffen, hingen zum Teil davon ab, wo sie lebten.

Im Einzelnen bedeutet dies: Die relative soziale Mobilität von Kindern, die im Südosten der USA aufwuchsen, war am geringsten, während sie bei Kindern aus der westlichen Gebirgsregion und dem ländlichen Mittleren Westen am höchsten war. Ein Beispiel aus der erwähnten Studie Chettys: »Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind, ausgehend von einer Familie im untersten Quintil [Fünftel] der nationalen Einkommensverteilung das oberste Quintil erreicht, liegt in Charlotte, North Carolina bei 4,4%, in San Jose, Kalifornien hingegen bei 12,9%.«

Aber nicht nur die soziale Mobilität, sondern auch die durchschnittliche Lebenserwartung variiere: Während sie in den USA durchschnittlich bei 79,1 Jahren liege, reiche sie von 66 Jahren in den am schlechtesten gestellten Gemeinden bis zu 87 Jahren in den am besten gestellten.[10]

Die Differenz zwischen Schwarzen und Weißen in der Aufwärtsmobilität wiederum sei am geringsten an Orten mit geringer und hoher Armut.[11] Schwarze Männer, die als Kinder frühzeitig in Viertel mit weniger Armut gezogen seien, hätten eine größere Chance auf ein höheres Einkommen und einen Collegeabschluss und seien weniger gefährdet, im Gefängnis zu landen, als Schwarze, denen ein solcher Umzug nicht gelungen sei.[12] Im Gegensatz dazu blieben schwarze und weiße Männer im Vergleich zu ihren Eltern gleich arm, wenn sie in einem von Armut geprägten Gebiet lebten. Dieses Ergebnis zeige, dass Unterschiede in Gruppen vom Wohnort der Menschen abhängig seien.

Warum, so fragen die Autoren, zeichnen sich einige Gebiete durch eine höhere Aufwärtsmobilität aus, als andere? Laut Tim Carney vom American Enterprise Institute ist das soziale Kapital der Schlüssel. Orte mit größerer nachbarschaftlicher Aktivität führten unabhängig vom Einkommen zu einer größeren Aufwärtsmobilität. Chetty, der eine »Rangliste« des sozialen Kapitals entwickelt hat, fand eine starke Korrelation zwischen nachbarschaftlicher Aktivität (sozialem Engagement) und Aufwärtsmobilität, wobei Religiosität (z. B. Kirchenbesuch) den Weg ebnete. Sowohl in der weißen Arbeiterklasse als auch in den schwarzen Innenstadtvierteln fehlten die bürgerlichen Institutionen, die Aufwärtsmobilität ermöglichten. Andere Untersuchungen legten nahe, dass eine Erhöhung des Anteils der Menschen, die andere für vertrauenswürdig hielten, um 15 % zu einer Steigerung des Einkommens pro Person um 1% führe.[13]

Eigenverantwortung

Der zweite Faktor, die Eigenverantwortung, bezieht sich auf die individuelle Entscheidungsfindung. Die Rolle der persönlichen Verantwortung bei der Entstehung von Gruppenunterschieden wird laut Hariman und Henderson durch eine viel beachtete Studie des Brookings Institute deutlich.[14] Die Autoren Ron Haskins und Isabel Sawhill, hätten herausgefunden, dass Menschen drei Dinge tun müssten, um Armut zu vermeiden: die Schule beenden, in Vollzeit arbeiten und keine Kinder außerhalb der Ehe haben.[15] Diese Reihe sei inzwischen als »Erfolgssequenz« bekannt. Und die Statistiken, die sie stützten, seien beachtlich.

Laut Haskins und Sawhill hatten Personen in Familien, die sich an die Erfolgssequenz hielten, eine 98-prozentige Chance, der Armut zu entkommen. Im Gegensatz dazu blieben 76% derjenigen, die sich nicht an eine dieser Normen hielten, arm. In einer 2003 durchgeführten Analyse der Volkszählungsdaten zeigten die Autoren, dass die Armutsquote in den USA um mehr als 70 Prozent gefallen wäre, wenn die Armen die Erfolgssequenz befolgt hätten. Die Sequenz trifft auch auf die Kanadier zu. Eine ähnliche Studie des Fraser Institute ergab, dass 99,1 Prozent der Kanadier, die die Erfolgssequenz befolgten, nicht in Armut lebten.[16] Das Muster bleibe auch bei den Millennials stabil. Einer Untersuchung von Wendy Wang und Brad Wilcox zufolge lebten 97 Prozent der Millennials, die der Sequenz folgten, nicht in Armut.[17]

Aber lassen sich Unterschiede von sozialen Gruppen durch Eigenverantwortung erklären? Bei einer erneuten Analyse der Studie von Haskins und Sawhill hätten Autoren des Brookings Institute herausgefunden, dass »Schwarze und Weiße, die den drei Normen folgen, ungefähr die gleiche Chance haben, in die Nähe der Mitte zu gelangen, mit Einkommen, die drei- bis fünfmal so hoch sind, als die bundesweite Armutsgrenze.«[18] Sawhill betone[19], Schwarze hätten sowohl absolut als auch relativ weit mehr gewonnen als Weiße, obwohl sie von einem niedrigeren Niveau als Weiße ausgegangen seien. Ungeachtet der rassischen und ethnischen Herkunft sei es einer deutlichen Mehrheit der Erwachsenen, die der Erfolgssequenz folgten, gelungen, der Armut zu entgehen.

Familienstruktur

Einem Element der Erfolgssequenz widmen die Autoren eine genauere Betrachtung: der Familienstruktur.

Im Jahr 1970 machten verheiratete Eltern und ihre Kinder laut U.S. Volkszählungsbüro 40% der Haushalte aus.[20] 2012 war diese Zahl auf 20% gesunken. 1960 waren 72% der Erwachsenen verheiratet, 2016 nur noch 50%. Gemäß Pew-Research hat sich die Zahl der amerikanischen Kinder, die bei einem unverheirateten Elternteil leben, seit 1968 von 13 auf 32% mehr als verdoppelt.[21] Inzwischen werden fast 40% aller Kinder unehelich geboren[22], wobei 47% der schwarzen und 23% der hispanischen Kinder von alleinstehenden Müttern großgezogen werden.[23]

Diese Zahlen belegten, dass die amerikanische Familienstruktur zerfallen sei, und dieser Zerfall wirke sich gravierend auf die gesellschaftlichen Chancen der jeweiligen sozialen Gruppen aus. Im Allgemeinen werde ein Kind die besten Entwicklungschancen im Kindes- und Erwachsenenalter haben, wenn es von verheirateten Eltern großgezogen werde. Die Sozialwissenschaft sei sich in ihren Auffassungen zu diesem Thema bemerkenswert einig.

Während 8% der ehelich geborenen Kinder als Erwachsene in Armut lebten, seien 27% der unehelich geborenen später arm.[24] Nach einer Studie der Sozialwissenschaftler Robert Lerman, Joseph Price und Brad Wilcox erreichten »Jugendliche, die mit beiden leiblichen Eltern aufwachsen, ein höheres Einkommen, arbeiten mehr Stunden pro Woche und sind als Erwachsene eher verheiratet, verglichen mit Kindern, die bei Alleinerziehenden aufwachsen.«[25] Die Wahrscheinlichkeit für ein Kind, das von einer nie verheirateten Mutter im unteren Fünftel des durchschnittlichen Familieneinkommens geboren wurde, sei dreimal größer[26], im unteren Fünftel zu bleiben, als für ein Kind, das von einer ständig verheirateten Mutter mit einem ebenso niedrigen Einkommen geboren wurde. Stabil verheiratete Eltern zu haben, führe zu einem Zuwachs des Pro-Kopf-Einkommens der Familie von 40.000 Dollar im Jahr.[27]

Darüber hinaus erlitten Kinder, die von Alleinstehenden großgezogen werden, nicht nur wirtschaftliche Einbußen, sondern seien auch einem größeren Risiko körperlicher Schäden ausgesetzt.

Die Befunde zu den Missbrauchsraten von Kindern sind in der Tat alarmierend.[28] Wenn sie bei einem Alleinstehenden aufwachsen, werden sie dreimal häufiger missbraucht, als wenn sie bei verheirateten leiblichen Eltern aufwachsen. Und Kinder, die bei einem Alleinstehenden mit einem Lebenspartner aufwachsen, werden zehnmal häufiger missbraucht als solche, die bei ihren verheirateten leiblichen Eltern aufwachsen.

Andere Untersuchungen wiesen darauf hin, dass die Kosten des Kindesmissbrauchs »die Kosten von Krebs oder Herzerkrankungen übersteigen … Die Ausrottung des Kindesmissbrauchs in Amerika würde die Gesamtrate der Depressionen um mehr als die Hälfte, den Alkoholismus um zwei Drittel, und Selbstmord, den Konsum intravenös verabreichter Drogen sowie häusliche Gewalt um drei Viertel senken.«[29]

Alleinstehende Elternschaft erhöhe die Wahrscheinlichkeit von Kindesmissbrauch, Überlebende von Kindesmissbrauch erhielten seltener Bildung und Arbeit und erlebten eher Depressionen, Sucht und eine Vielzahl anderer schädlicher Folgen. Es könne sein, dass die Nachteile der Alleinstehenden noch größer seien als die Vorteile intakter Familienstrukturen. Nicht, dass die intakten Familien der Himmel wären, aber die zerbrochenen Familien sind offensichtlich die Hölle.

Darüber hinaus zeigten Untersuchungen von Lerman[30] und Sawhill[31], dass das Wachstum der Kinderarmut von den 1970er bis in die 1990er Jahre zum Teil durch die Zunahme von Alleinstehenden bedingt war.

Tatsächlich läge die derzeitige Kinderarmutsquote (21,3%) um fast ein Viertel niedriger, wenn die Quote der Alleinstehenden von 1970 (12%) stabil geblieben wäre. Mehrere Studien hätten die Auswirkungen der Ehe auf die Armutsquoten simuliert, indem sie alleinlebende Männer und Frauen zusammenrechneten, um den Effekt zu schätzen. Eine berichtete von einem Anstieg des durchschnittlichen Pro-Kopf-Familieneinkommens um 43,2% und einem Rückgang der Kinderarmut um 24,7%.[32] Andere errechneten eine 43% geringere schwarze Kinderarmut[33] und eine 40% geringere Armutsquote bei Müttern.[34]

Beachtenswert sei, dass die wirtschaftliche Kluft zwischen Schwarzen und Weißen praktisch verschwinde, wenn man die Familienstruktur berücksichtige. Trotz höherer Armutsquote unter schwarzen Amerikanern sei sie bei verheirateten schwarzen Amerikanern in jedem Jahr seit 1994 geringer als 10% und liege damit konstant niedriger als die der weißen. Während die Armutsquote der Schwarzen im Jahr 2016 bei 22% und die der Weißen bei 11% lag, lag sie bei verheirateten Schwarzen bei 7,5%. Darüber hinaus habe eine Studie ergeben, dass die Armutslücke um mehr als 70% reduziert würde, wenn Schwarze und Weiße die gleiche Familienstruktur hätten.[35]

Der Einwand, die heute vergleichsweise schwache schwarze Familienstruktur sei eine Erbschaft der Sklaverei wird laut Harinam und Henderson durch die empirische Forschung nicht gestützt. Aus einer Untersuchung Walter E. Williams[36] gehe hervor, dass alle Kinder in bis zu drei Vierteln der Sklavenfamilien des 19. Jahrhunderts dieselbe Mutter und denselben Vater hatten. 85% der verwandten schwarzen Haushalte in New York waren 1925 Zwei-Eltern-Haushalte, während drei Viertel aller schwarzen Familien 1880 in Philadelphia intakt waren. Laut Thomas Sowell zeigten Volkszählungsdaten, dass es bei Schwarzen eine Generation nach Aufhebung der Sklaverei einen leicht höheren Prozentsatz verheirateter Erwachsener als bei Weißen gegeben habe.[37] Diese Tatsache sei bei jeder Volkszählung von 1890 bis 1940 unverändert geblieben.

Vor den 1960er Jahren betrug der Unterschied bei den Heiratsraten zwischen schwarzen und weißen Männern nie mehr als 5%. Heute beträgt er mehr als 20%.

Die Vaterlosigkeit steht nach Harinam und Henderson im Zentrum des Problems. Im Jahr 2008 stellte Präsident Obama fest, dass Kinder, die ohne Vater aufwuchsen, »fünfmal häufiger in Armut leben und Verbrechen begehen, neunmal häufiger die Schule abbrechen und 20-mal häufiger im Gefängnis landen«. Warren Farrell und John Gray betonten in ihrem Buch The Boy Crisis: »Ein Kind seines Vaters zu berauben, heißt, ihm einen Teil seines Lebens zu nehmen.«[38]

Bei vaterlosen Kindern werden höhere Selbstmordraten[39], stärkerer Drogenmissbrauch[40] und mehr Bluthochdruck festgestellt[41]. 85 Prozent der jungen Männer im Gefängnis wuchsen in vaterlosen Haushalten auf.[42] Jeder Anstieg der Vaterlosigkeit um 1% in einem Wohnviertel gehe mit einem Anstieg der Gewalt bei Jugendlichen um 3% einher.[43] Bei Frauen sei die Abwesenheit des Vaters ein bemerkenswert starker Prädiktor für frühe sexuelle Aktivität und Teenager-Schwangerschaft. [44] Die Raten der Teenagerschwangerschaft bei Mädchen mit abwesenden Vätern seien 7- bis 8-mal höher als bei Mädchen mit anwesenden Vätern. Vaterlosigkeit unterliege einem Zyklus. Mütter im Teenageralter, die eher aus vaterlosen Haushalten stammten, würden später selbst eher zu alleinstehenden Müttern.

Kultur

Kultur umfasst nach dem Verständnis unserer Autoren »nicht nur Bräuche, Werte und Einstellungen, sondern auch Fähigkeiten und Talente«, die sich unmittelbar auf den wirtschaftlichen Status auswirken. Wer eine einzigartige Kultur besitze, nehme sie oft mit, wo immer er hingehe. Kritiker kultureller Einflüsse hätten die Rolle der Kultur bei der Besserstellung einst armer Einwanderergruppen lange Zeit heruntergespielt. Ihre Bedeutung lasse sich am Beispiel libanesischer und chinesischer Amerikaner verdeutlichen.

Als die Einwanderung aus dem Libanon in die Vereinigten Staaten Ende des 19. Jahrhunderts begann, hätten die meisten dieser frühen Einwanderer ihren Unterhalt als Straßenhändler verdient. Sobald genug Geld gespart war, eröffneten sie eigene Läden, die 16 Stunden am Tag geöffnet waren, ihre Kinder räumten Regale ein und lieferten Waren aus. Die Kinder saugten die praktische Klugheit in sich auf, die der Betrieb eines selbstständigen Unternehmens mit knappen Ressourcen erforderte, sie wurden von der Arbeitsmoral ihrer Eltern durchdrungen und lernten die Bedeutung einer solidarischen Familie und aufgeschobener Belohnung aus unmittelbarer Erfahrung kennen.[45]  Der zunehmende Geschäftserfolg unter den libanesischen Amerikanern bot ihren Kindern größere Bildungschancen, und sie konnten in die Bereiche Medizin, Recht und Wissenschaft einsteigen. Entscheidend war nicht das wenige Geld, mit dem die Einwanderer ankamen, sondern die Kultur der harten Arbeit und des Geschäftssinns, die sie mitbrachten.

Dieses Muster der Aufwärtsmobilität lasse sich auch an den chinesischen Amerikanern beobachten. Sie kamen mit kaum mehr als ihren Kleidern am Leib in Amerika an, ihre Lebensumstände waren anfangs so prekär, dass die Selbstmordrate unter ihnen in San Francisco dreimal höher war, als der nationale Durchschnitt.[46]  Dennoch sind die nachfolgenden Generationen von Chinesen in den Vereinigten Staaten durch unermüdliche Anstrengungen wohlhabend geworden. Die in Brooklyn ansässigen Chinesen z.B., die aus der Provinz Fujian eingewandert waren, erduldeten laut Kay Hymowitz »Massenquartiere, arbeiteten täglich brutal lange als Kellner, Geschirrspüler und Reinigungspersonal in Hotels – und sandten ihre chinesischsprachigen Kinder in die öffentlichen Eliteschulen der Stadt und die verschiedensten Universitäten«.[47]

Im Allgemeinen habe sich diese Kultur der Entschlossenheit und des Opfers für die Chinesen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sozial ausgezahlt. Laut Amy Chua und Jed Rubenfeld[48] weisen asiatische amerikanische Teenager – und asiatische Amerikaner im Allgemeinen – dramatisch niedrigere Raten von Drogenkonsum und starkem Alkoholkonsum auf als jede andere »Rassengruppe« in den Vereinigten Staaten. Darüber ließen sich bei asiatisch-amerikanischen Mädchen mit 11 Geburten pro Tausend im Jahr 2010 die mit Abstand niedrigsten Geburtenraten aller »Rassengruppen« nachweisen, die Weißen lägen bei 24 Geburten.

Die Einstellung zur Arbeit sei von Gruppe zu Gruppe in derselben Gesellschaft unterschiedlich. In seinem Buch White Liberals und Black Rednecks beschreibe Thomas Sowell das Fehlen einer Arbeitsmoral unter den weißen Einwohnern der südlichen Bundesstaaten in der Zeit vor dem Bürgerkrieg.[49] Im Vergleich zu deutschen Einwanderern, die bei der Rodung des Landes mühsam Bäume mit ihren Wurzeln ausgruben, fällten die amerikanischen Weißen einfach die Bäume und pflügten die Stümpfe unter.[50] Ähnliche Unterschiede gab es bei der Herstellung von Milchprodukten. Während der Süden der USA 1860 über 40% der Milchkühe verfügte, produzierte er nur 20% der Butter und nur ein Prozent des Käses.[51] Kulturelle Werte beeinflussten offensichtlich die Produktivität »innerhalb der Angehörigen derselben Rasse«.

Dies zeige sich auch an den Unterschieden zwischen einheimischen und im Ausland geborenen Schwarzen. Obwohl New York das Hauptziel von Schwarzen aus der Karibik war, leben viermal so viele einheimische Schwarze in der Agglomeration. Trotzdem kamen die ersten schwarzen Bezirkspräsidenten Manhattans aus Westindien. Noch 1970 waren die ranghöchsten Schwarzen in der New Yorker Polizei Immigranten aus Westindien, genauso wie alle schwarzen Bundesrichter der Stadt.[52] Die Volkszählungsdaten von 1970 belegten, dass schwarze westindische Familien im Großraum New York über 28% höhere Einkommen verfügten als Familien amerikanischer Schwarzer.[53] Darüber hinaus überträfen die Einkommen der schwarzen Familien aus Westindien in der zweiten Generation das Einkommen der einheimischen schwarzen Familien, die im gleichen Gebiet lebten, um 58%. 2004 veröffentlichte Studien ergäben, dass die absolute Mehrheit der schwarzen College-Alumni westindische oder afrikanische Einwanderer oder Kinder dieser Einwanderer waren.[54]

»Weder Rasse noch Rassismus können diese Unterschiede erklären«, schreiben Harinam und Henderson. Auch die Sklaverei könne sie nicht erklären, da sowohl die westindischen, als auch die einheimischen Schwarzen Sklaverei erlebt hätten. Eine wesentlich plausiblere Erklärung sei hingegen die Kultur. Eine Studie über westindische Schwarze in den Vereinigten Staaten habe festgestellt, dass sie einen Lerneifer besaßen, der die einheimischen Amerikaner »jeder Rasse« übertraf.[55]

Die Bedeutung der Kultur dürfe keinesfalls unterschätzt werden. David Austen-Smith und Roland G. Fryer Jr., hätten darauf hingewiesen, dass »schwarze Vorbilder und Gemeinschaften« ihren Mitgliedern, die versuchten, sich »wie Weiße« zu verhalten, Kosten auferlegten.[56] Fryer und Torelli von der Harvard University hätten anhand von zwei national repräsentativen Datensätzen herausgearbeitet, dass Schwarze dazu neigten, gute Noten mit Unpopularität in Verbindung zu bringen.[57] Die beiden Autoren schätzten, dass die Beseitigung des Unterschieds der Ansichten von Schwarzen und Weißen über Noten und Popularität die Differenz in ihren Testergebnissen um 10%, ihrem schulischen Engagement um 40% und ihrer Bewältigung von Hausaufgaben um 60% verringern würde.

Alles hängt miteinander zusammen

Geographie, Eigenverantwortung, Familienstruktur und Kultur arbeiten demnach Hand in Hand bei der Konstitution von Differenzen. Aus Raj Chettys Untersuchungen sei ein Zusammenhang zwischen Nachbarschaft und wirtschaftlicher Mobilität ersichtlich. Seine Studie decke eine weitere lokale Eigentümlichkeit auf, die mit dem Sozialkapital bei der Förderung der sozialen Mobilität konkurriere: Zwei-Eltern-Haushalte. Es reiche jedoch nicht aus, in einem Zwei-Eltern-Haushalt zu leben. Wenn man in intakten Familien aufwachse, sei »der amerikanische Traum lebendig und gesund«. Die Zunahme intakter Familien in einem Wohnviertel erhöhe das Sozialkapital. Das Sozialkapital, das die geografischen Faktoren verstärke, sei jedoch letztlich eine Folge der Kultur eines Stadtteils. Die kulturellen Werte beeinflussten die Entscheidungen der Anwohner. Und diese Entscheidungen flössen in die Familienstruktur ein und stärkten letztlich die Kultur des Wohnviertels, was wiederum dem Sozialkapital zugutekomme.

All dies, so resümieren unsere Autoren, bedeute, dass jeder einzelne dieser Faktoren mit allen anderen verbunden sei. Jeder für sich könne nur einen Teil der Gründe erklären, warum sich Gruppen voneinander unterschieden. Aber zusammen ergäben sie ein überzeugenderes Bild als die Theorien der Anhänger des weißen Privilegs.

Die beschriebenen Faktoren seien weit weniger spektakulär, als Schuldzuweisungen an eine bestimmte Rassengruppe. Wenn es darum gehe, Befriedigung aus Schuldzuweisungen zu schöpfen[58] und gleichzeitig die Solidarität innerhalb der eigenen Gruppe zu stärken, dann sei die Propagation des weißen Privilegs keine schlechte Strategie. Das »weiße Privileg« gebe eine einfache Antwort und vermittle ein klares Feindbild. Aber wem es ernsthaft darum gehe, die Unterschiede zwischen Gruppen zu verstehen und abzubauen, der müsse einen genaueren Blick auf empirische Untersuchungen werfen.

Vorheriger Beitrag: Warum weiße Privilegien ein Mythos sind (1)


Das passende Interview mit Peter Boghossian zu diesem Thema veröffentlichte die NZZ am 6.11.2019: US-Universitäten und Opferdiskurs. Darin bemerkt Boghossian unter anderem: »Wer nicht mehrfach benachteiligt ist, hat kein Recht zu sprechen, und Diskriminierung verleiht einem in diesen Kreisen einen eigenen Status. Fragt man die Anhänger der Intersektionalität, auf welchen rationalen Argumenten ihre Autorität gründe, sind sie wegen der Frage beleidigt und weisen auf Identitätsmarker hin: ›Du bist ein weisser Mann, natürlich fragst du mich das. Aber du hast kein Recht dazu.‹ Das ist eine Form von Verlogenheit und entspricht der Art, wie Fundamentalisten reagieren würden – also jene Leute, deren kognitiver Apparat von einer Idee überschrieben worden ist, die keine Reflexion mehr duldet. Das moralische Denken hat das rationale abgelöst […] Social Justice und Intersektionalität sind kulturelle Phänomene, die Amok gelaufen sind. Darüber müssen wir ernsthaft reden.« – Boghossian hat bereits 2013 ein Buch veröffentlicht, in dem er sich mit dem Relativismus und Konstruktivismus kritisch auseinandersetzt: Angst vor der Wahrheit. Ein Plädoyer gegen Relativismus und Konstruktivismus.


Hinweis: Auch in deutschsprachigen Medien werden gewisse Aspekte des Niedergangs der amerikanischen Weißen thematisiert, besonders von der Neuen Zürcher Zeitung: In den USA sterben immer mehr Weiße den »Tod durch Verzweiflung« | Die Hoffnungslosigkeit ergreift auch die jungen Amerikaner | Die USA treiben in eine Apartheid der Zuversicht


Anmerkungen:


  1. Zum Beispiel im Deutschlandfunk am 17.02.1918 
  2. John Schellnhuber in einem Interview für den Tagesspiegel am 13.11.2019 
  3. Power laws, Pareto distributions and Zipf’s law 
  4. The Costs of Malay Supremacy, New York Times 
  5. What Does’t Kill Us Brings Us Together, quillette.com 
  6. Zum thymos als einer Antriebkraft der Politik siehe Peter Sloterdijk, Zorn und Zeit. Politisch-psychologischer Versuch, Frankfurt a.M. 2016. Da die säkularisierte Gesellschaft »unter einem unverzeihlichen Mangel an manifestem Zorn auf die eigenen Zustände leidet, wird die Entwicklung einer Empörungskultur durch methodisch betriebene Zornförderung zur wichtigsten psychopolitischen Aufgabe der Epoche, die in der Französischen Revolution beginnt.« (S. 183). Bei diesem Projekt spielt die Komintern als »Weltbank des Zorns« eine maßgebliche Rolle, währen die Linksparteien bis heute als Lokalbanken des Zorns zu verstehen sind. »Nach allem, was man heute von den kommenden Dingen weiß, muss man annehmen, dass auch die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts von immensen Konflikten geprägt sein wird, die ausnahmslos von Zornkollektiven und gekränkten ›Zivilisationen‹ angezettelt werden«, heißt es an anderer Stelle (S. 49). »Der Aufschub der menschlichen Rache zugunsten der Rache Gottes am Ende der Zeiten wird seit längerem von Unzähligen als eine nicht mehr akzeptable Zumutung empfunden. In einer solchen Lage stehen die Zeichen auf Sturm.« (S. 72)
  7. Affirming the Consequent, Wiley Online Library 
  8. The Role of Socioeconomic Status in SAT-Grade Relationships and in College Admissions Decisions, Psychological Science  
  9. Where is the land of opportunity? The geography of intergenerational mobility in the United States  
  10. Inequalities in Life Expentancy Among US Counties, 1980 to 2014 
  11. Race and Economic Opportunity in the United States: An Intergenerational Perspective  
  12. The Effects of Exposure to Better Neighborhoods on Children: New Evidence from the Moving to Opportunity Experiment 
  13. Matt Ridley, Rational Optimist. How Prosperity Evolves 
  14. Creating an Opportunity Society 
  15. Why Does the Success Sequence Work? 
  16. The Causes of Poverty 
  17. The Millennial Success Sequence 
  18. Following the success sequence? Success is more likely if you’re white.  
  19. Anmerkung 13.
  20. Americas Families and Living Arrangements: 2012 
  21. About one-third of U.S. children are living with an unmarried parent  
  22. http://www.nationalpartnership.org/our-work/health/maternity/
  23. Grafik
  24. The Economics of Non-Marital Childbearing und The »Marriage Premium for Children« 
  25. Family Structure and Economic Success Across the Life Course 
  26. How Marriage and Divorce Impact Economic Opportunity  
  27. Family Structure and Economic Success Across the Life Course 
  28. Fourth National Incidence Study of Child Abuse and Neglect (NIS-4) 
  29. The Body Keeps the Score: Brain, Mind, and Body in the Healing of Trauma 
  30. Helping Disconnected Youth by Improving Linkages Between High Schools and Careers 
  31. For love and money? The impact of family structure on family income 
  32. For Richer or for Poorer: Marriage as an Antipoverty Strategy 
  33. The Impact of the Changing US Family Structure on Child Poverty and Income Inequality 
  34. For Richer or Poorer? Marriage as an Anti-Poverty Strategy in the United States (Article) 
  35. Marriage, Work, and Racial Inequalities in Poverty: Evidence from the U.S. 
  36. Race & Economics: How Much Can Be Blamed on Discrimination?
  37. The Quest for Cosmic Justice 
  38. The Boy Crisis: Why Our Boys Are Struggling and What We Can Do About It 
  39. Suicidal behavior and ideation in a community sample of children: maternal and youth reports 
  40. Parenting Styles and Substance Use during Childhood and Adolescence 
  41. Two-Parent Homes Foster Lower BP in Black Males 
  42. The Boy Crisis: Why Our Boys Are Struggling and What We Can Do About It 
  43. Community Context, Social Integration Into Familiy, and Youth Violence 
  44. Does Father Absence Place Daughters at Special Risk for Early Sexual Activity and Teenage Pregnancy? 
  45. The Lebanese in the World: A Century of Emigration 
  46. Stanford M. Lyman, Chinese Americans 
  47. Brooklyn’s Chinese Pioneers 
  48. The Triple Package: How Three Unlikely Traits Explain the Rise and Fall of Cultural Groups in America 
  49. https://amzn.to/2NbTKDV
  50. Cracker Culture: Celtic Ways in the Old South 
  51. History of agriculture in the southern United States to 1860 
  52. West Indians in New York City and London: A Comparative Analysis 
  53. Ethnicity: Three Black Histories 
  54. https://www.nytimes.com/2004/06/24/us/top-colleges-take-more-blacks-but-which-ones.html
  55. Negro Immigration to the United States 
  56. An Economic Analysis of »Acting White« 
  57. Measuring the Prevalence and Impact of »Acting White« 
  58. Blame Modern Life for Political Strife 

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