Querelen um Steiner Studies setzen sich fort

Zuletzt aktualisiert am 19. April 2020.

Zanders Erzählungen. Eine kritische Analyse des Werkes »Anthroposophie in Deutschland«

Die Querelen um die Steiner Studies, ein Zeitschriften-Projekt Christian Clements, fanden am 27. Januar 2020 in der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft ihre Fortsetzung. Die Leitung des Goetheanum lud zu einer »mehrstündigen Aussprache« zum Thema »Anthroposophie und Wissenschaft« ein, an der die Kulturwissenschaftlerin Angelika Sandtmann als Vertreterin des Arbeitskollegiums der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland, der Physiker und Pädagoge Martin Basfeld, der Arzt Armin Husemann, die Professoren Peter Heusser, Wolf-Ulrich Klünker und Peter Selg sowie acht Mitglieder der Goetheanum-Leitung teilnahmen.

Das Gespräch kam aufgrund eines offenen – bisher nicht veröffentlichten – Briefes zustande, den (Armin) Husemann, Basfeld und Heusser an den Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft geschrieben hatten. Das Nachrichtenblatt Anthroposophie weltweit veröffentlichte unter dem Titel Anthroposophie und Wissenschaft in seiner Märznummer (2/2020, S. 10) einen Bericht zu diesem Gespräch, der durch eine hoffnungslose Konfundierung unterschiedlicher Wissenschaftsbegriffe und mehr oder weniger dezent eingestreuten Genderjargon gekennzeichnet ist.

Über den Inhalt des Briefes wird mitgeteilt, er habe die Mitwirkung Klünkers und Schierens im Beirat der genannten Zeitschrift problematisiert. Da »einige Mitglieder« dieses Beirats (von diesen »einigen« wird nur Helmut Zander namentlich erwähnt) »nachweislich die Wissenschaftsbasis der Anthroposophie« ablehnten und »Unwahrheiten über sie« verbreiteten, sei zu befürchten, die Zeitschrift werde sich zu einem »gegen die Anthroposophie gerichteten akademischen Sprachrohr« entwickeln.

Das »fünfstündige Gespräch«, heißt es weiter, habe verschiedenste Themen berührt, unter anderem eine wünschenswerte »stärkere wissenschaftliche Repräsentanz der Anthroposophie«, die »primär handlungsorientierte Wissenschaft« in der Landwirtschaft (gemeint dürfte die Forschung zum biologisch-dynamischen Landbau sein), die »phänomenorientierte Naturwissenschaft«, »evidenzbasierte Forschung in der Medizin« und eine »öffentlich vertretene«, »eigenständige erkenntnistheoretische und geisteswissenschaftliche Methodik«.

Schon an diesen wenigen Sätzen fällt die Konfusion der Wissenschaftsbegriffe auf.

Einerseits ist die Rede von der »Wissenschaftsbasis der Anthroposophie«, die von Zander »abgelehnt« werde; wohlgemerkt: abgelehnt, nicht bestritten! Die Formulierung setzt eine vorhandene »Wissenschaftsbasis« der Anthroposophie voraus. Was ist aber diese Wissenschaftsbasis im Unterschied zur Anthroposophie? Ist die Anthroposophie etwas anderes als Geisteswissenschaft? Und worin besteht dann ihre Wissenschaftsbasis? Ist sie anthroposophisch oder nicht? Wenn sie nicht anthroposophisch ist, wie kann sie dann die Anthroposophie als Wissenschaft fundieren? Wenn sie anthroposophisch ist, worin unterscheidet sie sich als Basis von der Anthroposophie als Geisteswissenschaft, die auf ihr aufgebaut ist?

Dann ist die Rede von einer wünschenswerten »stärkeren wissenschaftlichen Repräsentanz der Anthroposophie«. Was ist mit dieser »wissenschaftlichen Repräsentanz« gemeint? Dass die Anthroposophie sich stärker als Wissenschaft präsentiert? Und was soll das heißen? Oder dass sie stärker in den Wissenschaften repräsentiert ist? Ist demnach die Anthroposophie keine Wissenschaft und muss um ihre Repräsentanz in diesen nachsuchen? Wer soll diese Repräsentanz dann aber hervorbringen bzw. bewirken? Die anthroposophischen Nichtwissenschaftler, die sich im Handumdrehen in Wissenschaftler verwandeln, sobald sie in den Wissenschaften in Erscheinung treten? Oder die wahren Wissenschaftler, die zwar mit Anthroposophie nichts am Hut haben, aber dennoch fähig sein sollen, sie zu repräsentieren?

Auch die Rede von der »primär handlungsorientierten Wissenschaft« in der Landwirtschaft setzt eine Wissenschaft voraus. Handelt es sich dabei um eine anthroposophische Wissenschaft oder eine nichtanthroposophische? Was zeichnet diese handlungsorientierte Wissenschaft als anthroposophische aus?

Dasselbe gilt für eine »phänomenorientierte Naturwissenschaft«. Was ist bei dieser das Kriterium der Wissenschaftlichkeit? Die Phänomenorientierung? Die Behauptung, es handle sich um Naturwissenschaft? Wo steckt aber das Anthroposophische? In der Phänomenorientierung? Und welche Naturwissenschaft ist nicht an Phänomenen orientiert, deren Entstehungsgesetze sie zu erklären versucht?

Die »evidenzbasierte Forschung in der Medizin«: geht es nicht in jeder medizinischen Forschung um Evidenz? Um evidenten Nachweis von Kausalitäten und Wirksamkeiten? Was ist daran spezifisch anthroposophisch?

Schließlich die »eigenständige erkenntnistheoretische und geisteswissenschaftliche Methodik«, die stärker öffentlich vertreten werden soll. Dagegen ist nun gar nichts einzuwenden. Bildet die Erkenntnistheorie und Erkenntniskritik bekanntlich das Fundament der Anthroposophie als Geisteswissenschaft und ist ihre eigenständige Methodik der Garant ihrer Wissenschaftlichkeit. Das Problem ist hier weniger, dass diese nicht öffentlich vertreten würde, sondern dass sie nicht als solche anerkannt wird. Nicht zuletzt von Hartmut Traub, der gerade dieses Fundament der Anthroposophie einer vernichtenden Fundamentalkritik unterzogen hat, was jedoch die Alanus Hochschule nicht daran hinderte, ihn auf einen Lehrstuhl zu berufen.[1]

Außerdem sei festgestellt worden, heißt es im Bericht weiter, dass es »trotz wertvoller Einzelleistungen« und »immenser Arbeit in den Fachsektionen« in der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft ein »Desiderat an wissenschaftlicher Forschung« gebe, für die »der anthroposophische, mehrdimensionale, spezifisch wissenschaftliche Ansatz für die einzelnen Fachgebiete methodisch wie inhaltlich weiter ausgearbeitet und publiziert werden« müsse.

Worin besteht die »immense Arbeit« der Sektionen der Hochschule für Geisteswissenschaft, wenn es trotz dieser immensen Arbeit ein »Desiderat an wissenschaftlicher Forschung« gibt? Hat man bisher alles Mögliche, nur keine Wissenschaft betrieben? Und eine immense Energie in diese unwissenschaftliche Arbeit gesteckt? An einer Hochschule für Geisteswissenschaft?

Außerdem, wird berichtet, müsse der »Wissenschaftsbefähigung« von »Lehrenden und Studierenden« ein noch größeres Gewicht gegeben werden. Nicht nur den Studenten, die an der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft – was? – studieren, mangelt es scheinbar an »Wissenschaftsbefähigung«, sondern auch dem Lehrkörper. Wissenschaftsbefähigung – also Befähigung zur Wissenschaft. Wenn weder der Lehrkörper zur Wissenschaft befähigt ist, noch die Studenten, die von ihm unterrichtet werden, was hat dieses ganze Personal an einer Hochschule für Geisteswissenschaft zu suchen? Oder geht es auch hier wieder darum, dass ihnen nicht genügend Fähigkeiten zur Wissenschaftsmimikri anerzogen werden, wie sie an nichtanthroposophischen Hochschulen exzessiv betrieben wird, z.B. in Genderstudies oder in der Klimaforschung? Bei denen die Wissenschaftsbefähigung im Wesentlichen darin besteht, sich den einschlägigen Jargon und die fachspezifischen Vorurteile anzueignen, sowie ausreichende Kenntnisse darüber, wie man Anträge auf Bezuschussung überflüssiger Pseudoforschung durch Ministerien oder Drittmittelgeber formuliert?

Da die Wissenschaftlichkeit der Anthroposophie besonders in der Medizin derzeit in Frage gestellt werde, so der Bericht weiter, sei eine »kompetente Forschung« und »entsprechende Repräsentanz der Anthroposophie auf wissenschaftlichem Feld« »für die kommenden Jahre eine große Notwendigkeit«. Ähnliches gelte auch für andere Fachgebiete.

Auch hier erhebt sich wieder die Frage: Was heißt Wissenschaftlichkeit? Ist man von seiner eigenen Wissenschaftlichkeit so wenig überzeugt? Und erfolgt diese Infragestellung nicht vielmehr aus der Perspektive eines inkompatiblen, aber als Standard ausgegebenen Wissenschaftsverständnisses? Ginge es nicht eher darum, die methodologischen und epistemologischen Grundlagen der Kritik in Frage zu stellen? Sollte man, statt sich dem Machtanspruch eines Wissenschaftskartells zu unterwerfen und dessen Forschungsstandards zu übernehmen, diesen Machtanspruch nicht besser erkenntniskritisch und wissenschaftssoziologisch hinterfragen?

»Es wäre ein Besorgnis erregendes Symptom«, schreiben Christiane Haid, Georg Soldner, Johannes Wirz und Justus Wittich, die den Bericht »für die Goetheanumleitung« unterzeichnet haben, »wenn Anthroposophie im Lichte der Öffentlichkeit als Offenbarungsglaube erscheinen und nicht, ihrer Bestimmung gemäß, den Weg wissenschaftlicher Forschung gehen würde.« Dieser »Weg wissenschaftlicher Forschung« dürfe aber nicht dazu führen, sich einem »reduktionistischen Wissenschaftsbegriff« zu unterwerfen. Vielmehr müsse »die Forschung der Anthroposophie« im wissenschaftlichen Diskurs »angemessen und ohne Scheu vor Kritikern« vertreten werden.

Ein Besorgnis erregendes Symptom? Symptom wofür? Für die Voreingenommenheit der Öffentlichkeit? Oder für die Defizite der anthroposophischen scientific community? Dass die Anthroposophie »im Lichte der Öffentlichkeit« – was immer das auch heißen mag – als »Offenbarungsglaube erscheint« – mit anderen Worten, dass sie als Offenbarungsglaube denunziert wird, ist kein neues Phänomen, sondern ein Problem, mit dem schon Steiner konfrontiert war. Hat ihn dieser Einwand dazu veranlasst, sich an die Wissenschaftsauffassung seiner Kritiker anzupassen? Hat er nicht vielmehr alles getan, die Andersartigkeit seines Verständnisses von Wissenschaft immer präziser herauszuarbeiten? Die Anthroposophie, wird gesagt, müsse »ihrer Bestimmung gemäß« »den Weg wissenschaftlicher Forschung gehen«. Ist sie denn etwas anderes als Forschungspraxis? Selbst in ihrer hermeneutischen Dimension, der man ja mit gutem Willen auch Clement zurechnen kann? Warum muss sie erst jetzt den Weg wissenschaftlicher Forschung gehen, wo sie doch gemäß Steiners Definition ein »Erkenntnisweg« ist? Die Beteuerung, man dürfe sich keinem »reduktionistischen Wissenschaftsbegriff« unterwerfen, ist lobenswert. Was aber tut man anderes, wenn man sich vom universitären, staatlich bevormundeten Wissenschaftskartell das Siegel der Wissenschaftlichkeit erhofft, indem man sich an die von diesem propagierten – oft genug von ihm selbst nicht eingehaltenen – Standards anbiedert?

Peter Heusser, Anthroposophie und Wissenschaft. Eine Einführung

In diesem Zusammenhang wird im Bericht auf den wohl als vorbildlich erachteten Dialog mit »kritischen Wissenschaftlern« verwiesen, der seit Jahren an der Uni Witten und der Alanus Hochschule auf »sachlich-thematischen« Feldern praktiziert werde. Dieser Dialog sei nicht nur »fruchtbar«, sondern verhelfe den »Studierenden« auch zu »eigener Urteilsfähigkeit«. Namentlich erwähnt werden Christian Clement als Herausgeber der kritischen Steinerausgabe und Hartmut Traub, der Verfasser des Buches Philosophie und Anthroposophie, der inzwischen als Professor an die Alanus Hochschule berufen wurde. Ohne dass näher beschrieben wird, wer mit wem in welchem Arbeitszusammenhang seit 2013 zu Clement in »Kontakt« steht, wird dieser Kontakt als »positiv« bewertet; die positive Bewertung im Falle Traubs soll sich wohl aufgrund seiner Berufung an die Alanus Hochschule von selbst verstehen. Da beide als Herausgeber der »wissenschaftlichen Online-Zeitschrift« Steiner Studies vorgesehen sind, soll dieses »positive Urteil« offenbar ein entsprechendes Licht auf das Zeitschriftenprojekt werfen. Was sind eigentlich die Kriterien, die das Zeitschriftenprojekt Clements zu einem »wissenschaftlichen« machen? Hat sich das schon jemand gefragt? Verfährt man hier einfach nach dem Grundsatz, »Wissenschaft ist, was Wissenschaftler tun«, warum gilt dieser Grundsatz dann nicht für die anthroposophische scientific community?

Ganz anders wird das Ärgernis Helmut Zander beurteilt: dass er »in Bezug auf die Anthroposophie und die Forschung zu Rudolf Steiner« als »wissenschaftlich nicht seriös« angesehen werden könne, darin stimmten laut dem Bericht alle »Teilnehmer/innen« überein. Hier ist man nun auf einmal vollkommen überzeugt, im Besitz der maßgeblichen Kriterien zu sein, um über Wissenschaftlichkeit und Nichtwissenschaftlichkeit zu urteilen, die man bisher vermissen ließ. Woher kommt diese Sicherheit auf einmal her? Zwar habe ihn sein zweibändiges Werk über Anthroposophie in Deutschland und seine Steiner-Biographie »in der Öffentlichkeit zum Experten gemacht«, heißt es weiter, sie seien aber »weder von der Quellenauswahl noch in den getroffenen Aussagen oder Ergebnissen wissenschaftlich haltbar«. Trifft dieses Argument zu, hätte man tatsächlich den Fall eines ausgewiesenen oder besser eines von der Öffentlichkeit »anerkannten wissenschaftlichen Experten«, der in Wahrheit ein aufgeblasener Popanz ist. Ist nicht ein Großteil dessen, was sich heute Wissenschaft nennt, ein ebensolcher Popanz, in dem sich interessengeleitete Auftragsforschung mit akademischem Dekorum bemäntelt? Zander, wird gesagt, habe es nicht einmal für nötig befunden, nachgewiesene und von ihm selbst »zugegebene Falschaussagen« in weiteren Veröffentlichungen zu korrigieren. Richtig! Hier geht es gar nicht um Wissenschaft und ihre Gütekriterien, sondern um die moralische Verantwortung von Wissenschaftlern. Wie sieht es mit dieser bei anderen Koryphäen aus?

Kurios ist der folgende Satz: »Der ›Gegner‹­Begriff (obwohl als Begriff nicht von allen in der Runde geteilt) erscheint hier [bei Zander] angemessen, da es nicht um eine unterschiedliche Bewertung von Fakten, sondern um eine primär auf die Dekonstruktion der Anthroposophie und Rudolf Steiners gerichtete Intention dieses Autors geht, die zu einer unseriösen, verzerrend­einseitigen Darstellung und Interpretation der gegebenen Fakten führt.« Hier kommt auf einmal ein Kriterium von Wissenschaft ins Spiel: Fakten. Sind Wissenschaftler Faktenchecker? Was sind Fakten? Sind Forschungsergebnisse Rudolf Steiners »Fakten«? Wird nicht gerade deren Faktizität aufgrund eines defizitären Faktenbegriffs verworfen? Was sind in historischer Forschung – als solche gibt sich Zanders Machwerk bekanntlich aus – Fakten? Sind nicht alle Fakten der Historie Interpretationen? Wie unterscheidet man dann eine verzerrende von einer nicht verzerrenden Interpretation? Oder: Sind Prognosen der Klimaforschung, die mit Hilfe von Computermodellen erstellt werden, Fakten – oder nicht vielmehr Konstruktionen? Wenn man aber solche Konstruktionen als wissenschaftlich gelten lässt, warum dann nicht auch anthroposophische »Konstruktionen«, wie zum Beispiel die Kosmogonie der Geheimwissenschaft im Umriss?

Was das Urteil über Zander anbetrifft, fällt noch etwas anderes auf. Nicht nur ist hier unklar, wessen Urteil eigentlich wiedergegeben wird: das aller »Teilnehmer/innen« – gab es neben Sandtmann und Haid noch weitere weibliche Teilnehmer? – oder das der Berichterstatter (Haid, Soldner, Wirz, Wittich), sondern auch, wer und aus welchem Grund die Verwendung des Ausdrucks »Gegner« in Bezug auf Zander für unangemessen erachtete. Husemann dürfte es jedenfalls nicht gewesen sein, wie aus dem Zusatz zum Bericht hervorgeht, auf dessen Abdruck er bestanden hat. In diesem – von Armin Husemann verfassten – Zusatz heißt es: »Von Armin Husemann wurde vorgebracht, dass Helmut Zander in seinem Werk Anthroposophie in Deutschland auf wenigen Seiten Rudolf Steiner fünf Mal explizit Lügen vorwirft, die wörtlich als Zitate verlesen wurden. Zander kommt zu dem Résumé: ›Wie mag es in einem Menschen aussehen, der sich in immer mehr Lügen flüchtet?‹ Er sieht Rudolf Steiner befangen in einer ›Selbstverurteilung zur Unwahrheit‹ (S. 463).«

Was ist eigentlich noch erforderlich, um den Gebrauch des Ausdrucks »Gegner« zu rechtfertigen?

Nun geht der Bericht auch auf die von verschiedenen Seiten erhobene Forderung ein, Schieren und Klünker sollten als Redakteure der von der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland herausgegebenen Zeitschrift Anthroposophie zurücktreten, da sie bereit seien, mit einem offensichtlichen Gegner Steiners und der Anthroposophie im Beirat einer wissenschaftlichen Zeitschrift »zusammenzuarbeiten«. Ihre Entscheidung (im Original: »Entscheid«) sei nachvollziehbar, gehe es ihnen doch darum, durch ihre »Mitarbeit bei der Zeitschrift« »sachkompetente Darstellungen der Anthroposophie« zu ermöglichen und damit einen »wesentlichen Beitrag in der öffentlichen Diskussion des Werkes Rudolf Steiners« zu leisten.

Rahel Uhlenhoff, Anthroposophie in Geschichte und Gegenwart

Nun ist ein »Beiratsmitglied« keineswegs automatisch »Mitarbeiter« einer Zeitschrift, vielmehr werden als solche in der Regel Redakteure oder Verfasser von Artikeln bezeichnet. Die Aufgabe von »Beiratsmitgliedern«[2] (die nicht einmal »Herausgeber« oder »peer reviewer« sein müssen), besteht nicht in erster Linie darin, selbst Artikel zu schreiben, sondern die Herausgeber oder die Redaktion zu beraten. Eine weitere nicht zu unterschätzende Funktion eines Beirats ist die Steigerung der Reputation einer Zeitschrift. In Bezug auf diese Funktion muss sich jeder, der zur Mitgliedschaft in einem Beirat eingeladen wird, fragen, ob sein Name nicht lediglich der Legitimation eines ansonsten zweifelhaften Projekts dient. Sofern die beiden Mitglieder des Beirats nicht vorhaben, die »sachkompetenten Darstellungen der Anthroposophie« selbst zu verfassen, darf außerdem  gefragt werden, wie sie diese »ermöglichen« wollen. Indem sie Herrn Zander und Herrn Clement beraten? Dass Zander außerordentlich beratungsresistent ist, zeigt schon der zarte Hinweis Husemanns, dass auch Clement trotz aller Kritik seit Jahren an fragwürdigen Interpretationen von Grundbegriffen der Anthroposophie wie »Geisterkenntnis«, »Imagination« »Wesen« usw. festhält, muss jedem klar sein, der die Diskussionen über seine Einleitungen zu den einzelnen Bänden der kritischen Steinerausgabe einigermaßen aufmerksam verfolgt hat (siehe den Hinweis am Ende dieses Artikels).

Die Verfasser des Berichts – möglicherweise auch Schieren und Klünker – scheinen jedoch der Auffassung zu sein, man könne durch eine Mitgliedschaft im Beirat einer Zeitschrift für die Mitwirkung von anthroposophisch versierten »Autor/inn/en« [!] sorgen und dadurch »eine fachlich schlechtere und entsprechend abträgliche Vertretung des Werkes Rudolf Steiners in der Öffentlichkeit« verhindern. Oder doch nicht? »Ob diese Hoffnung sich realisieren lässt, bleibt abzuwarten«, schreiben die Berichterstatter.

Armin Husemann  jedenfalls blieb auch nach dem Gespräch bei seiner Auffassung, »eine Mitwirkung im Beirat der Steiner Studies« sei »nicht vereinbar mit der Redaktionstätigkeit für die Vierteljahresschrift Anthroposophie der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland.« Das macht aber nichts, denn wie man dem Zusatz Husemanns am Ende des Berichts entnehmen kann, war er der einzige unter den »Teilnehmer/innen« (oder heißt es in diesem Fall »Teilnehmern«?), der diese Auffassung vertrat. Festgestellt wurde dies durch eine demokratische Abstimmung, was bekanntlich eine weitere Methode ist, Erkenntnisfragen zu beantworten: Georg Soldner stellte »die Frage an die Runde, wer im Kreis der Anwesenden [müsste es nicht heißen: Anwesenden/innen?] nun die Auffassung der Petition von Friedwart Husemann[3] teile, dass die mitgeteilte Entscheidung von Jost Schieren und Wolf­-Ulrich Klünker, mit Helmut Zander in einem Beirat zu kooperieren, ihre Entlassung aus der Redaktion der Zeitschrift Anthroposophie notwendig mache. Dieses Begehren wurde – mit Ausnahme der Gegenstimme von Armin Husemann – abgelehnt.« (Hier sei angemerkt: Warum kommt eigentlich niemand auf die Idee, eine eigene Zeitschrift für wissenschaftliche Steinerstudien zu gründen, in der dann jene »sachkompetenten Darstellungen der Anthroposophie« erscheinen könnten, die einen »wesentlichen Beitrag in der öffentlichen Diskussion des Werkes Rudolf Steiners« leisten sollen? Oder hängt die Wesentlichkeit solcher Beiträge gar nicht davon ab, dass sie überhaupt geschrieben und publiziert werden bzw. schon lange geschrieben und publiziert wurden, sondern von wem oder wo sie publiziert werden? Auch dies wäre ein rein externes, kein internes Kriterium, ähnlich der peer review [Kreuzgutachten] oder der randomisierten Doppelblindstudie, die mit der tatsächlichen Erkenntnisgüte [Validität] nichts zu tun haben. Ein Beispiel einer solchen Zeitschrift existiert ja bereits: RoSE).

Nun, nachdem sich die Leser des Berichts durch diesen Wirrwarr von Begriffen, Urteilen, Vermutungen und Hoffnungen hindurchgearbeitet haben und am Ende vielleicht etwas ratlos zurückbleiben, werden sie immerhin auf die Zukunft vertröstet. Denn die »Urteilsbildung« zu den Fragen »Anthroposophie und Wissenschaft« sowie »zur Einschätzung von Kritikern und bewusster Gegnerschaft« soll »in geeigneter Form« »im Rahmen der Freien Hochschule« fortgesetzt werden. Was darf man sich von solcher Art Urteilsbildung erhoffen?


Hinweise: Artikel zu Christian Clement | Artikel zu Helmut Zander  – siehe auch die Website: zander-zitiert.de | Artikel zu Hartmut Traub | Imagination und Halluzination – Christian Clements Bild der Geistesforschung Rudolf Steiners


Anmerkungen:


  1. Hartmut Traub, Philosophie und Anthroposophie, Stuttgart 2011. Bereits auf den ersten fünfzig Seiten wird hier Steiner vorgeworfen, seine philosophischen Ausführungen genügten nicht »den methodologischen und argumentativen Standards der philosophischen Begriffskunst«, er habe »1918 nicht mehr auf der Höhe seines philosophischen Anschauungs- und begrifflichen Konstruktionsvermögens« gestanden, seine Kantkritik falle auf ihn selbst zurück, er habe sich »unsachgemäße Verzerrungen philosophiegeschichtlicher Positionen« zuschulden kommen lassen, seine »hartnäckige Diskreditierung der Transzendentalphilosophie Kants und Fichtes« beruhe auf einer »oberflächlichen Analyse« und er habe Kant aufgrund eines »mangelhaften Differenzierungs- und Reflexionsvermögens missverstanden«. Ja, Steiners Kantkritik decouvriere sich »als ziemlich hilflose Attacke, die dem Gegner in keiner Hinsicht gewachsen« sei.
  2. Zu den Beiratsmitgliedern sollen laut Ankündigung auch namhafte Esoterikforscher wie Wouter Hanegraaff und Egil Asprem, aber auch Heiner Ullrich (Waldorfpädagogik und okkulte Weltanschauung, 1987; Waldorfpädagogik. Eine kritische Einführung, 2015) und Ansgar Martins (Herausgeber von: Hans Büchenbacher, Erinnerungen 1933-1949, 2014 und Verfasser von: Rassismus und Geschichtsmetaphysik: Esoterischer Darwinismus und Freiheitsphilosophie bei Rudolf Steiner) gehören.
  3. Die Petition Friedrich Husemanns wurde in Ein Nachrichtenblatt 24/2019, S. 20-21 veröffentlicht. Sie kann hier heruntergeladen werden.

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Ein Kommentar

  1. Hervorragender Bericht, vielen Dank!

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