Der Verborgene, der über allen thront – 1912 – Teil 1 (Christologie #29)

Zuletzt aktualisiert am 8. Juli 2017.

Rudolf Steiner, Elementarwesen. Skizze

Rudolf Steiner, Elementarwesen. Skizze

Weiter oben wurde die Frage aufgeworfen, ob der Hinweis der Geheimwissenschaft im Umriss auf einen nicht näher bezeichneten »Herrscher im Sonnenreiche« möglicherweise unausgesprochene Aspekte der Christologie verhüllt. Dass dies tatsächlich der Fall ist, geht aus Vorträgen hervor, die vom 3. bis 14. April 1912 in Helsinki gehalten wurden.[1] Der Titel der Vorträge stammt von Steiner, der Text geht auf einen unbekannten Stenographen zurück, dessen Übertragung in Klartext der ersten Ausgabe der Reihe als Zyklus 21 zugrunde liegt. Die heutige Ausgabe beruht auf diesem Erstdruck, der noch 1912 in Berlin erschien.

Die eindrucksvollen Schilderungen erörtern ausführlich, wie der Titel schon sagt, das Leben der geistigen Wesenheiten in den Himmelskörpern und Naturreichen. Unser Sonnensystem – ja das System von Systemen, aus welchen der Kosmos besteht – wird vom Vortragenden nicht als leblose Ansammlung staubartiger Massen betrachtet, deren Entstehung und Auflösung, Konstellationen und Bewegungen von mechanischen Gesetzen beherrscht werden, sondern als erhabener, lebendiger Organismus, der, um es mit Platos Timaios auszudrücken, »ein Lebewesen«, »ein sichtbarer Gott«, ein »Abbild des Geistkosmos« ist.[2] Alles, was wir im Menschen finden, finden wir auch im Kosmos: Form, Leben, Bewusstsein, Individualität (Ich), ja sogar seine geistigen Wesensglieder – ersterer ist also ein wahrer Mikrokosmos. Aber die Vorträge sind nicht dem Mikro-, sondern dem Makrokosmos gewidmet. Geprägte Form – nicht nur jene, die lebend sich entwickelt –, könnte man den Grundgedanken der Vorträge zusammenfassen, ist Ausdruck, Manifestation von ätherischem Leben, astralischem Bewusstsein, ichhafter Geistigkeit und vielem mehr. Ob es sich um die Erde, den Mond, Planeten, Sonnen oder Kometen handelt – in allem findet der tieferdringende Blick eine in sich gestufte geistige Wesenswelt, deren Weben und Leben sich in den Vorgängen niederschlägt, die dem sinnlichen Auge allein zugänglich sind. Die sichtbare Welt ist in eine unsichtbare eingebettet, aus deren überschäumendem Reichtum die erstere nicht nur hervorgegangen ist, sondern unablässig – in permanenter Gestaltung und Umgestaltung – hervorgeht. Selbstverständlich ist die mathematische oder mechanische Betrachtungsweise der Naturwissenschaften nicht falsch, aber einseitig, wenn sie dieses unendlich komplexe Gewebe von Wesenheiten auf Zahlen, chemische Elemente oder physikalische Kräfte reduziert. Noch Newton, der Verfasser der Principia mathematica, sah in Raum und Zeit ein »Sensorium Gottes«, durch das er zu allen Zeiten und an allen Orten instantan wirkt und während er die universellen Bewegungsgesetze ausarbeitete, suchte er zugleich nach dem Stein der Weisen.

Durch eine Umstülpung der Kant’schen Dualität findet der Geistesforscher den gestirnten Himmel in sich und das moralische Gesetz über sich – als sittlichen Gehalt des sinnlichen Universums nämlich, der dem leiblichen Auge verschlossen bleibt. Daher weist der erste Vortrag auch auf die Schlüsselrolle moralischer Empfindungen für die spirituelle Naturerkenntnis hin, in deren »Morgenrot« der Geistesschüler »unverdrossen« seine »ird’sche Brust« baden soll, wie Goethe sagt. Die Hingabe an das Blau des Himmels weckt in der Seele das Gefühl der Frömmigkeit, das in ihr das Organ für das geistige Leben der Natur heranbildet, die Vertiefung in das Grün der Wiesen öffnet den Weg zum Verständnis ihres Vorstellungslebens und die Versenkung in die still ausgebreiteten, weißen Schneedecken lehrt sie das »Stoffesweben« der sinnlichen Welt begreifen. Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren die Chiffren aller Kreaturen sind, wenn die, so singen oder küssen – d.h. sich den Naturerscheinungen gegenüber so empathisch verhalten, wie gegenüber anderen Menschen – mehr als die Tiefgelehrten wissen, dann beginnt die Seele, die durch die Vertiefung solcher Empfindungen sich selbst transformiert, den Ätherleib der Erde wahrzunehmen, und die Mannigfaltigkeit der Wesen, die in ihm wimmeln. »Man gelangt immer mehr zur Anerkennung dieser Äther- oder Lebenswelt«, wenn man »beginnt, die ganze Welt, die um einen herum ist, moralisch zu empfinden«, heißt es im Vortrag vom 3. April 1912. Auf diesem Wege tritt der Geistesschüler in das Reich der Imagination ein und wer durch diese Bewusstseinsform einen ersten Schleier hinwegzieht, der den Ätherleib der Erde verhüllt, wird der Elementarwesen ansichtig, die in Erde, Wasser, Luft und Feuer leben und weben.

Wer einen zweiten Schleier hebt und in seinem Astralleib erwacht, taucht in das wogende Meer der »Geister der Umlaufzeiten« unter, die sich im regelmäßigen Gang der Jahreszeiten, der Umdrehung der Erde um sich selbst, überhaupt in allen rhythmisch wiederkehrenden Vorgängen der Natur offenbaren.[3]

Wer schließlich einen dritten Schleier entfernt und alle ätherischen und astralen Erlebnisse hinter sich lässt, indem er den mystischen Tod durchlebt, erwacht in seinem Ich und fühlt sich »eins mit dem einheitlichen Geist des Planeten«. Für ihn geht die geistige Sonne auf, die in der Nacht nicht erlischt, und er taucht ein in den Planetengeist, wie in ein »Meer, das den ganzen Planeten umspült«. »Dieser Geist der Erde«, führt Steiner im zweiten Vortrag aus (4. April 1912), »hat die Aufgabe, die Erde … in Wechselbeziehung zu bringen zu den übrigen Himmelskörpern, sie so zu dirigieren und zu lenken, dass sie im Lauf der Zeiten in die richtigen Stellungen kommt zu den anderen Himmelskörpern«. Er ist »gleichsam der große Sinnesapparat der Erde« – das Sensorium eines Gottes, um mit Newton zu sprechen.

Blickt man mit dem hellseherischen Bewusstsein auf die verschleierte Welt der Sinne zurück, wird das Weben und Wirken der Elementarwesen in den Naturkräften erkennbar, von welchen die Sinneswissenschaft spricht. »Licht, Wärme, Magnetismus, Elektrizität …, Anziehungskraft, Abstoßungskraft und Schwere«, sind Erscheinungsformen der Naturgeister, die den Ätherleib der Erde bilden. Das Walten der Geister der Umlaufzeiten hingegen, die als Astralleib der Erde angesprochen werden können, manifestiert sich in den Naturgesetzen. Die Regelmäßigkeiten des Naturgeschehens, die von der Physik in mathematischen Formen beschrieben werden, sind Ausdruck der Lebensbeziehungen kosmischer Intelligenzen. Der Geist der Erde schließlich, ihr Ich, manifestiert sich im Sinn des gesamten Planeten, im Sinn der Natur. »Das Mysterium von Golgatha gab der Erde ihren Sinn«, wird Steiner in einem bereits besprochenen Vortrag 1913 in London sagen. Ohne Christus hat die Erde keinen Sinn.[4] Christus ist der Geist der Erde, hieß es im Dezember 1907.[5] »So wie das Ich des Menschen die physische Erdenumgebung wahrnimmt, so nimmt der Planetengeist wahr alles …, was im Umkreis und überhaupt in der Raumeswelt außerhalb des Planeten ist und richtet die Taten des Planeten und auch das Fühlen des Planeten … ein nach diesen Wahrnehmungen … Wie die einzelne menschliche Seele auf … der Erde neben anderen Menschen lebt, sich nach ihnen richtet, so lebt der Planetengeist in seinem Planetenleib … aber dieser Planetengeist lebt in der Gesellschaft anderer Planetengeister …«.[6]

Bewusstseinslehre der Engelwesen

Der dritte bis fünfte Vortrag (5., 6., 7. April 1912) entfalten in bisher nicht dagewesener Form eine Bewusstseinslehre der Engelwesen. Auch in Helsinki weist der Vortragende auf die Grenzen der Darstellbarkeit und die Notwendigkeit eines multiperspektivischen Narrativs hin: »Es wird immer außerordentlich schwierig sein, in den Worten irgendeiner Sprache jene geistigen Wesenheiten zu charakterisieren, welche uns das okkulte Wahrnehmen vermittelt, denn die menschlichen Sprachen, wenigstens die gegenwärtigen, sind ja nur gemacht für die Erscheinungen, für die Tatsachen des physischen Planes. Und daher kann man nur hoffen, dass man durch eine Charakteristik von verschiedenen Seiten aus dem nahekommen kann, was eigentlich gemeint ist, wenn von geistigen Wesenheiten gesprochen wird«.[7]

Die Charakteristik geht, wie häufig, vom Menschen aus, der den Vergleichsgegenstand bildet. Das menschliche Bewusstsein zeichnet aus, dass es sich von der Außenwelt in sich selbst zurückzuziehen vermag, um ein selbstständiges inneres Leben in Denken, Fühlen und Wollen zu entfalten. Wir sind nicht nur an die Wahrnehmung, die Offenbarung der Außenwelt hingegeben, sondern können uns dem inneren Leben unserer Seele zuwenden. Und in dieses innere Leben, das sich im verhangenen Allerheiligsten abspielt, vermag niemand hineinzublicken – es sei denn, wir gewähren selbst diesen Einblick, indem wir unser Innenleben durch Wort, Mimik, Geste oder Tat bis zu einem gewissen Grad enthüllen. Die Differenz zwischen Hingabe an die Außenwelt und Rückzug in die Innenwelt ist nicht so groß, wie jene zwischen Wachen und Schlafen, der Übergang ist fließend, beide Zustände gehen im Wachbewusstsein fortwährend ineinander über.

Anders die Wesen der dritten Triarchie, die Engel, Erzengel und Zeitgeister. Wenn sie sich in sich selbst versenken, gehen sie in einen anderen Bewusstseinszustand über, der dem Schlaf des Menschen vergleichbar ist, im Unterschied zum Wachzustand, der Hingabe an die Außenwelt. Aber auch nur vergleichbar. Der Mensch nimmt wahr, weil ihm die Außenwelt gegeben ist. Er muss sich ihr lediglich hingeben. Die Wesen der dritten Triarchie hingegen nehmen wahr, indem sie sich selbst offenbaren, indem sie tätig sind – so wie der Mensch, wenn er spricht oder sich bewegt. Alles, was sie wahrnehmen, ist zugleich Selbstoffenbarung. Und ihr eigenes Wesen nehmen sie nur wahr, solange sie sich selbst offenbaren. Und wenn sie dies nicht tun, gehen sie in jenen anderen Bewusstseinszustand über, der dem Schlaf vergleichbar ist. Aber in diesem Schlaf versinken sie nicht in Bewusstlosigkeit, sondern verlieren lediglich ihr »Selbstgefühl«, denn ihr Bewusstsein wird in diesem Zustand erfüllt von den Offenbarungen der zweiten Triarchie.

Beim Menschen stehen sich also gegenüber: Wahrnehmen (Hingabe an die Außenwelt) – selbstständiges Innenleben, bei den Wesen der dritten Triarchie: Selbsterleben durch Offenbaren – Herabdämpfung des Selbstgefühls durch »Geist-Erfüllung«, durch den Eintritt des Wesensinhalts der zweiten Triarchie in das eigene Bewusstsein. Mit dieser Bewusstseinsform der Wesen der dritten Triarchie hängt eine Eigentümlichkeit ihres Lebens zusammen: sie sind nämlich unfähig zur Lüge. Wollten diese Wesen lügen, müssten sie einen Teil ihres Wesens in ihrem Inneren verbergen. Da sie sich selbst aber nur wahrnehmen, indem sie sich offenbaren, könnten sie jenen Teil, den sie verbergen, gar nicht mehr wahrnehmen. Außerdem tritt sogleich, wenn sie sich in ihr Inneres zurückziehen, der Bewusstseinsinhalt der zweiten Triarchie in ihnen auf, so dass sie gar keine Möglichkeit haben, Teile ihres Inneren von der Offenbarung auszuschließen. Sie müssen also »im Reich der absoluten Wahrheit und Wahrhaftigkeit leben, wenn sie ihre Natur nicht verleugnen wollen«.[8]

Eine Erkenntnis dieser Wesen ist für den Okkultisten nur möglich, wenn er einen vergleichbaren Grad der Selbstlosigkeit entwickelt, zum Beispiel durch Mathematisieren.[9] Die dritte Triarchie ist ganz dem Menschen zugewandt: die Engel den einzelnen Menschen, die Erzengel Menschengruppen an verschiedenen Orten während bestimmter Zeitepochen, die Archai der ganzen Menschheit in aufeinanderfolgenden Zeitaltern. Wer durch die erforderliche Selbstlosigkeit über sich hinauswächst, »erlebt zunächst … das Hereinwirken eines Engelwesens in seine eigene Wesenheit«. Die Wesen der dritten Triarchie führen den Menschen über sich selbst hinaus, sie »stiften« ihn zu überpersönlichen Handlungen, überpersönlichem Denken und Fühlen an, sie sind die berufenen Führer zur Selbstlosigkeit, die Mächte der Katharsis: die Engel verbrennen den persönlichen Egoismus, die Erzengel den Gruppen- und Volksegoismus, die Zeitgeister den Egoismus ganzer Epochen. Wir erinnern uns: Die Erzengel wenden ihr Antlitz nicht nur der Menschheit zu, sondern auch Christus, ihrem »Lehrmeister«. Die Engel bilden, genauso wie die Erzengel und Archai, einen Reigen, der die geistige Zentralsonne des Universums umkreist. Christus ist der Lehrmeister der Selbstlosigkeit oder der Liebe katexochen.[10]

Die dritte Triarchie bringt durch ihre Tätigkeit fortwährend Nachkommen hervor.[11] »Offenbaren« heißt in der Engelwelt Erzeugen von Wesen. »So wie eine Pflanze einen Keim von sich abstößt, so bringen die Wesenheiten der dritten Hierarchie … andere Wesenheiten hervor«. Sie »schnüren gleichsam« Wesen von sich ab, »bekommen … Nachkommen«, die allerdings nicht zur Engelwelt gehören. Was sind dies für Nachkommen? Es sind Geister, die aus der Engelwelt in die Naturreiche hinabsteigen und dort nicht Menschendienst, sondern »Naturdienst« verrichten. Die Geister der Erde (Gnomen) sind Nachkommen der Archai, die Geister des Wassers (Undinen) gehen aus den Erzengeln hervor und die Geister der Luft (Sylphen) aus den Engeln. Was es mit den Salamandern, den Geistern des Feuers auf sich hat, bleibt an dieser Stelle offen.[12]

Naturkräfte, Naturgesetze und Sinn des Planeten

Im vierten Vortrag (6. April) wird ein neuer Anlauf zur Charakterisierung der himmlischen Triarchien unternommen. Auch dieser geht vom Menschen aus, allerdings nicht von Wachen und Schlafen, sondern von seinen höheren Bewusstseinszuständen Imagination, Inspiration und Intuition.

Der erste leibfreie Zustand des Menschen ist die Imagination. Wenn die Wahrnehmungen der Sinne schwinden, nehmen im Inneren die Bildoffenbarungen der geistigen Wesenswelt – »der Wesenheiten der dritten Hierarchie und ihrer Nachkommen, der Naturgeister« – Gestalt an. Organe der Wahrnehmung sind die Geistesaugen, die zuvor im Astralleib ausgebildet worden sind. Die Imaginationen treten auf, wenn das Alltagsbewusstsein erlischt und danach das höhere erwacht. Anfangs muss das gewöhnliche Bewusstsein untergehen, damit das außergewöhnliche aufgehen kann. Erst nachträglich, nach dem Schauen der Imaginationen, vermag man sich sich an das Geschaute zu erinnern. Das imaginative Bewusstsein ist dadurch gekennzeichnet, dass die innere Bildanschauung und die Sinneswahrnehmung nicht koexistieren.

Anders das inspirative Bewusstsein, dessen Organ der Ätherleib ist. Wenn »der Okkultist« im Ätherleib erwacht, vermag er »geistige Wesenheiten und Tatsachen auch wahrzunehmen, wenn er in seinem gewöhnlichen Bewusstseinszustand ist« und durch seine Sinnesorgane die Dinge der Außenwelt erfasst. Auch in bezug auf das Verhältnis zu den wahrgenommenen »Gegenständen« – dieser Ausdruck hat natürlich eine metaphorische Bedeutung – unterscheiden sich die Bewusstseinsformen. Während sich vom imaginativen Zustand noch sagen lässt: »Ich bin hier, das Wesen, das ich wahrnehme, ist dort«, also ein gewisser Grad von Subjekt-Objekt-Trennung vorhanden ist, lässt sich die Inspiration durch den Satz charakterisieren: »Wo das Wesen ist, das wir wahrnehmen, da sind wir selber«. Der Vortragende drückt dies in einem plastischen Bild aus: »Wir sind gleichsam so, dass wir unseren eigenen Ätherleib wie Fangarme nach allen Seiten ausstrecken und uns hineinsaugen in die Wesenheiten, in die wir, also wahrnehmend, unser eigenes Wesen untertauchen«.[13]

Die inspirative Erfahrung ist mit dem Erleben von Mitleid und Liebe im gewöhnlichen Bewusstsein vergleichbar.[14] Beide führen den Menschen aus dem engen Gehäuse der Selbstbezogenheit hinaus und erweitern seinen Horizont mehr als jedes Wissen. »Es ist eigentlich ein wunderbares Mysterium des Menschenlebens, dass wir imstande sind, Mitleid, Liebe zu empfinden. Und unter den gewöhnlichen Erscheinungen des normalen Bewusstseins gibt es wohl kaum etwas, was den Menschen so sehr überzeugen kann von der Göttlichkeit des Daseins … So wie wir untertauchen können mit dem normalen Bewusstsein durch Mitleid und Liebe in Leiden und Freuden bewusster Wesen, so lernt der Hellseher auf der zweiten Stufe der Hellsichtigkeit unterzutauchen nicht nur in alles Bewusste, … sondern … in alles Lebendige«. Mit diesem Untertauchen ist ein Erleben dessen verbunden, »was im Innern der Wesenheiten vorgeht«.

Der Hellsehende fühlt sich in den Lebewesen, er lernt mit den Pflanzen, Tieren, anderen Menschen leben und beginnt, die Offenbarungen der zweiten Triarchie wahrzunehmen. Wer durch Inspiration in diese Wesen untertaucht, erfährt, dass ihre Offenbarung sich von ihnen absondert und erhalten bleibt, so wie das Haus einer Schnecke. Was sie von sich absondern, ist ihr eigenes Wesen, ihr Selbst, das unabhängig von ihnen weiterexistiert. Wenn diese Wesen von einem Innenzustand zu einem anderen und damit von einer Offenbarung zu einer anderen übergehen, bleibt ihre frühere Selbstoffenbarung als Wesen erhalten. An die Stelle der vorübergehenden Offenbarung der Wesen der dritten Triarchie tritt bei der zweiten die Fähigkeit, sich selbst »in einer Art von Bild objektiv zu machen«. Und an die Stelle jener Geist-Erfüllung, durch welche die zweite Triarchie sich im Bewusstsein der ersten vergegenwärtigt, tritt die Erzeugung von Leben in den Bildern ihres eigenen Wesens. Die Offenbarung der zweiten Triarchie besteht also darin, Abbilder ihrer selbst zu erzeugen und ihre Innerlichkeit darin, in diesen Abbildern Leben zu erregen. Die Geist-Erfüllung der dritten Triarchie erscheint dem hellseherischen Bewusstsein wie geistiges Licht, die Lebenserregung durch die zweite wie geistiges Tönen, wie Sphärenmusik. »Tönend wird für Geistesohren schon der neue Tag geboren«, heißt es in Goethes Faust.

Die zweite Triarchie besitzt, wie die erste, drei Glieder, die sich in der kreatürlichen Welt auf unterschiedliche Art manifestieren: die Exusiai (Geister der Form) in allen Formen des Lebendigen, die Dynamis (Geister der Bewegung) in der Metamorphose, der Umgestaltung der Formen. »Gestaltung (Exusiai), Umgestaltung (Dynamis), des ewigen Sinnes ewige Unterhaltung«. »Geprägte Form« wäre also nicht möglich ohne Exusiai, »die lebend sich entwickelt«, nicht ohne Dynamis. Die Kyriotetes (Geister der Weisheit) schließlich offenbaren sich in den Signaturen der Formen, in dem, was sie als Inneres zum Ausdruck bringen, in Mimik, Gestik, Physiognomie. Die gesamte Natur mit all ihren bewegten Gestalten ist das Antlitz der Kyriotetes.

Wer das Gebet der Sonnenblume, die mit ihrer Blüte der Prozession des Tagesgestirns folgt, als Ausdruck ihrer Innerlichkeit wahrnimmt, beginnt die Offenbarung der Weisheit zu ahnen, von der die kreatürliche Welt durchzogen ist. »Flutende Weisheit geht lebensvoll durch alle Wesen, alle Reiche der Natur, und nicht bloß eine allgemein flutende Weisheit, sondern differenziert ist diese flutende Weisheit in eine Fülle von geistigen Wesenheiten, in die Fülle der Geister der Weisheit«.[15] Auch die Wesen der zweiten Triarchie spalten Nachkommen, »toledot« von sich ab, die sich in die Reiche der Natur hinuntersenken. Es sind die Gruppenseelen der Pflanzen und Tiere, die Archetypen der Gattungen und Arten. Zugänglich sind sie nur dem inspirativen Bewusstsein: »Nur für denjenigen okkult entwickelten Menschen, der das Wesen seines eigenen Ätherleibes wie in Fangarmen ausdehnen kann, ist es möglich, dass er die Wesenheiten der zweiten Hierarchie kennenlernt und auch die Wesenheiten der Gruppenseelen …«.

Vorheriger Beitrag: Was tun die Exusiai im Phantom des Menschen – Teil 2

wird fortgesetzt

Anmerkungen:

[1] Die geistigen Wesenheiten in den Himmelskörpern und Naturreichen, Helsingfors (Helsinki) 1912, GA 136, Dornach 1984.

[2] Diese Formel greift Steiner am Ende des fünften Vortrages auf: »Indem wir das Leben der Sternenwelt betrachten, betrachten wir die Leiber der Götter und zuletzt des Göttlichen überhaupt«. GA 132, 7.04.1912.

[3] Bei diesen Geistern der Umlaufzeiten dürfte es sich um die »Zeitgeister« oder »Archai« handeln, welchen in der Vortragsreihe über die biblische Schöpfungsgeschichte ebendiese Tätigkeiten zugeschrieben werden. Siehe: 20. August 1910, Dornach 1976, GA 122.

[4] Vorstufen zum Mysterium von Golgatha, GA 152, Dornach 1980, Vortrag vom 2. Mai 1913.

[5] 13.12.1907, GA 101.

[6] GA 136, 4.04.1912.

[7] GA 136, 5.04.1912.

[8] GA 136, 5.04.1912. Im achten Vortrag (8.04.1912) wird allerdings ausgeführt, dass diese »Verleugnung der eigenen Natur«, dennoch möglich ist und tatsächlich stattgefunden hat. Sie führte dazu, dass »gewisse Wesenheiten«, die der dritten Triarchie angehörten, zu »Geistern der Unwahrheit«, der »Verleugnung«, der »Lüge« wurden und als solche in der Entwicklung des einzelnen Menschen und der Menschheit wirken. Auch aus den anderen Triarchien haben sich durch ähnliche Vorgänge vereinzelte Wesen abgespalten. Näher auf diese Vorgänge einzugehen, würde hier zu weit führen. Aus dem Antagonismus »regulärer« Geister der Form und ihrer irregulären Gegenspieler leitet Steiner im achten Vortrag das Sichtbarwerden der Planeten ab, die ansonsten rein ätherische – also unsichtbare – Sphären wären. Dies ist, nebenbei gesagt, die ursprüngliche Bedeutung der Kristallschalen.

[9] Mathematisieren als Mittel der Selbsterziehung steht hier beispielhaft. Die Hingabe an »hohe moralische Wahrheiten« hat denselben Effekt. Allgemeiner geht es um Katharsis, um die Läuterung des Astralleibs. Nur in einer Seele, die zum »reinen Spiegel« geworden ist, vermag sich der Engel zu offenbaren, der die Lilie in seinen Händen trägt, seinerseits also die selbstlose Reinheit verkörpert.

[10] Vgl. 13. September 1914, GA174a, Dornach 1982, S. 23.

[11] Diese Ausführungen Steiners erinnern an die logoi spermatikoi der Stoa, die als Abkömmlinge des makrokosmischen Logos die Naturwesen durchdringen und die Geschehnisse in der Welt der Elemente lenken.

[12] Diese Abstammungsbeziehungen sind ein Beispiel für die Komplexität geisteswissenschaftlicher Wesenserkenntnis. Es sei an frühere Darstellungen erinnert, wonach wässrige Substanzen die physischen Leiber der Engel, luftartige jene der Erzengel und feurige jene der Archai repräsentieren. Siehe GA 122, 1910 weiter oben. Bei den Elementarwesen handelt es sich nicht um physische, sondern ätherische Wesen, also Apospasmata (Abschnürungen) der dritten Triarchie in der Ätherwelt.

[13] GA 136, 6.04.1912.

[14] Hingabe und Versenkung (an bzw. in die eigene Tätigkeit) werden bereits in den Grundlinien einer Erkenntnistheorie … zu methodologischen Prinzipien der Geisteswissenschaften erklärt.

[15] GA 132, 6.04.1912.

Ein Kommentar

  1. Michael Dackweiler

    Vielen Dank!

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