Was tun die Exusiai im Phantom des Menschen? – 1911 – Teil 2 (Christologie #28)

Zuletzt aktualisiert am 2. Juli 2017.

Anastasis. Jim Forest. Eremitage. St. Petersburg. Ikone aus dem 17. Jahrhundert. Lizenzinformation am Ende des Textes.

Anastasis. Eremitage, St. Petersburg. Ikone aus dem 17. Jahrhundert. Foto: Jim Forest. Lizenzinformation am Ende des Textes.

Wie bereits erwähnt, ist mit dem Tod des Menschen ein Rätsel verbunden, dessen Auflösung die Auferstehung (ἀνάστασις) Christi darstellt. Seine Forschungen zur Auferstehung erläuterte Steiner erstmals ausführlicher in der Vortragsreihe Von Jesus zu Christus, die im Oktober 1911 in Karlsruhe stattfand. Voraussetzung für das Verständnis der Anastasis ist die Unterscheidung zwischen dem sichtbaren physischen Leib des Menschen und dessen unsichtbarer, übersinnlicher »Formgestalt«, die von Steiner als »Phantom« bezeichnet wird. »Wer hat ohne hellseherische Anschauung jemals einen physischen Menschenleib gesehen?«, lautete die provokante Frage. Obwohl er als solcher nicht sichtbar ist, kann die Bedeutung dieses Leibes für die Existenz des Menschen gar nicht genug betont werden.

Die Rettung des Phantoms

Diese Bedeutung wird im siebten Vortrag der genannten Reihe (11.10.1911) herausgearbeitet. Ohne ihn könnte der Mensch nämlich gar kein Selbstbewusstsein erlangen. Der Leib ist in Wahrheit ein »Spiegelungsapparat«: »Dass wir uns auf der Erde das Ich-Bewusstsein aneignen können, dazu muss unser physischer Leib mit der Gehirnorganisation ein Spiegelapparat sein. Wir müssen lernen, an der Spiegelung uns unser selbst bewusst zu werden«. Nun wirkte sich der luziferische Einfluss aber auch auf diesen »Spiegelungsapparat« und damit auf das Phantom aus. Das Phantom ist der »Formleib«, der die materiellen Bestandteile, die den physischen Leib durchziehen, organisiert und zusammenhält. Indem die luziferischen Kräfte in die menschliche Organisation eindrangen, begannen sie, dieses Phantom zu zerstören. Daher folgte auf den Sündenfall der Tod.[1] Er ist »nichts anderes«, als der Zerfall des Phantoms. Seitdem zerfällt der physische Leib von Geburt an, das Leben ist eine Krankheit zum Tode. Die vollständige Zersetzung nach dem Tod macht nur manifest, was sonst verschleiert bleibt. Ohne den luziferischen Einfluss befänden sich die aufbauenden und zerstörenden Kräfte im menschlichen Leib im Gleichgewicht, durch ihn erlangten die letzteren ein Übergewicht über die ersteren. Dieser Zerfall des physischen Leibes, die Vernichtung seiner Form, nahm im Verlauf der Zeit immer mehr zu, so dass schließlich das Ichbewusstsein, »die eigentliche Errungenschaft der Erdentwicklung«, verlorenzugehen drohte. Immer dumpfer wäre das Ichgefühl geworden, um mit dem Zerfall des Leibes gänzlich zu verschwinden. Für den Erhalt des Phantoms genügte es offenbar nicht, dass die Geister der Form, wie es weiter oben hieß, mit ihrem Leben in ihm anwesend waren, vielmehr musste sich die vereinte Kraft der Exusiai in einem menschlichen Leib inkarnieren und ihn von Grund auf erneuern. Drei Jahre nach dieser Inkarnation trat das Mysterium von Golgatha ein, und jener Mensch, der Träger des »kosmischen Christuswesens« war, durchlebte einen Tod, bei dem »das Sterbliche« seines physischen Leibes nach drei Tagen verschwand, während sich der »Kraftträger« der physisch-materiellen Teile vollständig erneuert aus dem Grab erhob. Aus dem Grab erhob sich, was »die Beherrscher« von Saturn, Sonne und Mond, die Throne, Kyriotetes und Dynamis (und natürlich die Exusiai, die Steiner nicht nennt), dem Menschen ursprünglich zugedacht hatten: »das reine Phantom des physischen Leibes, mit allen Eigenschaften des physischen Leibes«. Und dieses Phantom des Auferstandenen bildete den Keim jenes spirituellen Stammbaumes, von dem Paulus als dem »zweiten Adam« sprach, den Geistleib Christi, der »in die Zahl schoss« und den jeder Mensch »anzuziehen« vermag, wie Paulus sagt. »Es ist möglich«, so Steiner, »jene Beziehung zu dem Christus herzustellen, durch welche der Erdenmensch seinem sonst zerfallenden physischen Leib einfügt dieses Phantom, das aus dem Grabe von Golgatha auferstanden ist«. Durch einen »mystisch-christologischen Prozess« erhält der Mensch anstelle des dem Verfall preisgegebenen einen anderen Leib, der den Tod überdauert, einen unverweslichen Geistleib oder vielmehr: der Same der Unverweslichkeit wird in sein Phantom gesenkt, der sich in Zukunft entfalten kann. »Es ist« laut Steiner »eine okkulte Tatsache«, die jeder, der mit hellseherischem Auge die Geschichte betrachtet, wahrzunehmen vermag, »dass jene geistige Zelle, d.h., der Leib, der den Tod besiegt hat, der Leib des Christus Jesus, aus dem Grabe auferstanden ist und sich jedem mitteilt, der die entsprechende Beziehung zu dem Christus sich aneignet im Laufe der Zeit«.[2]

Durch das Mysterium von Golgatha wurde der physische Leib des Menschen vor dem endgültigen Zerfall gerettet. Aber nicht nur der physische Leib, sondern auch sein Ich. Denn das Ich ist auf diesen Leib als Spiegelungsapparat angewiesen, um ein Bewusstsein von sich zu erlangen. Da dem menschlichen Phantom durch das Ereignis von Golgatha die Auferstehungskraft Christi eingeimpft wurde, wird das Ich aus der Finsternis, in der es zu versinken drohte, wieder zum Licht aufzusteigen vermögen. Dieses Ereignis bewirkte eine »vollständige Wiederaufrichtung der verlorenen Entwicklungsprinzipien des Menschen«. Indem er den unverweslichen Leib Christi in sich aufnimmt, wird sein Ichbewusstsein immer heller werden und er wird allmählich imstande sein, sein ewiges Wesen zu erkennen, das »sich von Inkarnation zu Inkarnation hindurchzieht«. Wichtig ist nicht, was Christus gelehrt, sondern was er der Menschheit gegeben hat: Zurückgegeben hat er ihr »das vollständige menschliche Phantom« – seine Auferstehung ist »die Geburt« dieses »neuen Gliedes der menschlichen Natur, eines unverweslichen Leibes«. (Bei diesem neuen Glied handelt es sich nicht etwa um ein zusätzliches Wesensglied, sondern um das, was durch die Transsubstantiation aufgrund der Aufnahme des neuen Lebenskeimes aus dem zerfallenden Phantom entsteht: um den unverweslichen Geistleib, also den Geistesmenschen).

Asche und Salz

Noch einmal kommt Steiner, wie gesagt, im achten Vortrag (12.10.) auf dieses Thema zurück. Greifen wir zwei Gesichtspunkte heraus. Auch hier ist zunächst vom menschlichen Ich und den Geistern der Form die Rede. Vor der lemurischen Zeit, als dieses Ich »geboren« wurde, hat es eigentlich keinen rechten Sinn von Menschen auf der Erde zu sprechen. Vor dieser Zeit war das menschliche Ich noch nicht abgetrennt von der Substanz »derjenigen Hierarchie, die zunächst zu diesem Ich die Veranlassung gegeben hat, von der Hierarchie der Geister der Form«. »Gleichsam ein Teil der Substanz« dieser Geister der Form ging in der lemurischen Zeit in die menschlichen Leibesglieder »zur Ich-Bildung« über. Aber nicht die gesamte Substanz, aus der die menschlichen Ichwesen entstanden, wurde ausgegossen, sondern ein Teil dieser »Ich-Substanz« wurde von den Exusiai zurückbehalten. »Gleichsam ein Ich« wurde bewahrt vor dem Eintauchen in die fleischlichen Inkarnationen, ein Ich, das jene Gestalt, jene Substantialität behielt, die dem Menschen eignete, als er noch ein integriertes Organ des Bewusstseins der Exusiai war. Dieses Ich, das dem Ich Adams vor seiner ersten Inkarnation vergleichbar ist[3], lebte neben der übrigen Menschheit, die sich auf der Erde durch das sterbliche Fleisch hindurchwühlte, im Himmel fort. In der atlantischen Zeit wurde es »in einer wichtigen Mysterienstätte wie in einem Tabernakel aufbewahrt«. Es war unberührt von allen luziferischen und ahrimanischen Einflüssen, »vollständig jungfräulich«, »ein Nichts, ein Negatives gegenüber allen Erdenerlebnissen«. Bei der Geburt des Jesus von Nazareth (des nathanischen Jesus) wurde es »aus einem vorderasiatischen Mysterium, wo dieser Menschenkeim aufbewahrt worden war«, in dessen Leib »übergeleitet«.[4] Da dieser Jesus kein Ich besaß, das sich immer wieder inkarnierte und die luziferischen oder ahrimanischen Einflüsse in sich aufgenommen hatte, brauchte es nicht abgestoßen zu werden, als die Individualität des Zarathustra im 12. Lebensjahr in ihn einzog. Bis zu diesem Zeitpunkt blieb Jesus in seiner Individualität, seinem Ich, vollkommen unberührt von luziferischen und ahrimanischen Kräften. Die folgenden Jahre hindurch bis zur Taufe war »in der dreifachen Leiblichkeit« Jesu »die Menschennatur – gemeint ist hier mit »Menschennatur« das jungfräuliche »Ich« Jesu – mit jener Individualität verbunden, »die am bedeutsamsten hineingeschaut hatte in die Wesenheit des Makrokosmos«. Durch seine »reine Menschensubstanz« trug der nathanische Jesus die »intensivsten Kräfte des Mitleids und der Liebe in sich«. Da sein Astralleib zudem von den Kräften des Gautama Buddha durchdrungen wurde, entwickelte er die »innerlichste Innerlichkeit«. Und durch all diese Vorbereitungen wurde Jesus dazu befähigt, bei der Taufe am Jordan »den Christus-Extrakt des Makrokosmos« in sich aufzunehmen.

Nach diesen vorbereitenden Erklärungen kommt Steiner erneut auf das Phantom des physischen Leibes zu sprechen. Dadurch, dass die luziferischen und ahrimanischen Kräfte auf das Ich des Jesus keinen Einfluss genommen hatten, bildete sich, als die Christus-Wesenheit an seine Stelle trat, auch nichts von dem aus, was sonst immer im Leib des Menschen wirken musste und zur Degeneration des Phantoms geführt hatte. Abgesehen von den weiter oben erwähnten »Resten« des luziferischen Einflusses, der auch nach der Jordantaufe in den Leibesgliedern Jesu erhalten blieb, kamen keine neuen hinzu. Diese »Reste« sollten bei der Versuchungsgeschichte eine Rolle spielen. Das menschliche Phantom, so Steiner, war ursprünglich dazu bestimmt, »unberührt zu bleiben von den materiellen Teilen, die aus dem Mineral-, Pflanzen- und Tierreich als Nahrungsmittel aufgenommen werden«. Es blieb aber nicht unberührt, sondern die luziferischen Kräfte erzeugten eine starke Anziehung zwischen diesen Stoffen – insbesondere den »Aschebestandteilen« – und dem Phantom. Statt sich mit dem Ätherleib zu verbinden, verband es sich mit den Aschebestandteilen, den Zerfallsprodukten des physischen Leibes. »Eigentlich« – ursprünglich – sollte sich das menschliche Phantom lediglich mit den leicht löslichen, flüchtigen »Salzbestandteilen« des Leibes verbinden.[5] In Jesus hingegen wurden die luziferischen Einflüsse »hintangehalten«, so dass sich keinerlei Anziehungskräfte zwischen dem Phantom und den Aschebestandteilen geltend machten, die er aufnahm. Durch den Einzug der Christuswesenheit in Jesus wurde jeder Zusammenhang des Phantoms mit diesen Aschebestandteilen vernichtet und lediglich derjenige mit den Salzbestandteilen blieb erhalten. Infolgedessen war das Phantom des Jesus von Nazareth, als er ans Kreuz genagelt wurde, »völlig intakt« und bestand »als geistleibliche, nur übersinnlich sichtbare Form«.[6] Sie hatte einen viel loseren Zusammenhang mit den materiellen Bestandteilen des Leibes als bei jedem anderen Menschen. Und als der Leib nach dem Tode einbalsamiert wurde, verflüchtigten sich diese Bestandteile unter dem Einfluss der benutzten Substanzen rasch, so dass die Jünger nach der Auferstehung nur noch die Tücher vorfanden, aber keinen Leichnam. Denn das Phantom, an dem die Entwicklung des Ich hängt, war auferstanden. Daher erkannte Maria Magdalena die Gestalt des Auferstandenen erst nicht wieder, »denn er erschien im Geistleib«, von dem Paulus sagte, er werde sich wie ein Samenkorn vermehren und in alle Menschen übergehen. Auch Paulus erschien nicht etwa bloß der Ätherleib des Auferstandenen – so wie der Ätherleib eines Eingeweihten dem Hellsehenden erscheinen kann: »Würde Paulus nur die Erscheinung eines reinen, von dem physischen Leibe unabhängigen Ätherleibes gehabt haben, so würde er anders gesprochen haben. Er würde gesagt haben, er hätte geschaut einen, der eingeweiht worden war und unabhängig von dem physischen Leibe mit der Erdentwicklung weiterlebt. Das würde für ihn auch nichts besonders Überraschendes gehabt haben.« Aber Paulus erlebte etwas anderes, von dem er wusste, dass sich durch dieses Erlebnis die Schrift erfüllte: er sah »in der geistigen Atmosphäre der Erde ein vollständiges menschliches Phantom«, einen »aus dem Grabe erstandenen menschlichen Leib als übersinnliche Gestalt«. Diese Erscheinung überzeugte ihn von der Auferstehung, davon, dass Christus in einem physischen Leib da war und dass er »die Urform« des menschlichen Leibes zum Heil aller Menschen gerettet hatte.

Auf einige Bemerkungen aus dem letzten Vortrag (14. Oktober) sei hier noch kurz eingegangen. Hier weist Steiner darauf hin, dass der Kreuzestod auf einem Entschluss »jener Wesenheit aus den höheren Hierarchien« beruhte, »die wir als die Christus-Wesenheit bezeichnen« – eine merkwürdige Formulierung angesichts der trinitarischen Bezüge die im Folgenden hergestellt werden –, und dass dieser Entschluss, den sie um ihrer selbst willen gar nicht hätte fällen müssen, eine Tat der göttlichen Liebe war. Ein Gott war es, »der am Kreuze hing«, und er vollbrachte diese Tat »aus freiem Willen – das heißt, aus Liebe«. Diesem Entschluss ging jedoch ein anderer voraus, ohne den er nicht möglich oder nötig gewesen wäre: hätte nämlich »jener Gott, der mit dem Namen des Vatergottes bezeichnet wird«, die luziferischen Einflüsse auf den Menschen nicht zugelassen, so hätte dieser sein freies Ich nicht entwickeln können. Darin liegt der Sinn des »Bösen« in der kosmischen Evolution. Nachdem aber das Ich sich um der Freiheit willen in die Materie verstrickt hatte, musste es aus dieser Verstrickung wieder befreit werden. Und da es dies aus eigener Kraft nicht vermochte, bedurfte es »der ganzen Liebe des Sohnes«, um diese Befreiung durch das Opfer auf Golgatha zu ermöglichen. »Dadurch ist Freiheit des Menschen, vollständige menschliche Würde erst möglich geworden. Dass wir freie Wesen sein können, das verdanken wir einer göttlichen Liebestat … Den Freiheitsgedanken sollten die Menschen nicht ergreifen können ohne den Erlösungsgedanken des Christus … Wenn wir frei sein wollen, müssen wir das Opfer bringen, unsere Freiheit dem Christus zu verdanken«.[7] Von der prometheischen Diatribe im zweiten Band der Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften, die im Jahr 1887 niedergeschrieben wurde: »Es ist allein des Menschen würdig, dass er selbst die Wahrheit suche, dass ihn weder Erfahrung noch Offenbarung leite. Wenn das einmal durchgreifend erkannt sein wird, dann haben die Offenbarungsreligionen abgewirtschaftet. Der Mensch wird dann gar nicht mehr wollen, dass sich Gott ihm offenbare oder Segen spende. Er wird durch eigenes Denken erkennen, durch eigene Kraft sein Glück begründen wollen. Ob irgendeine höhere Macht unsere Geschicke zum Guten oder Bösen lenkt, das geht uns nichts an; wir haben uns selbst die Bahn vorzuzeichnen, die wir zu wandeln haben. Die erhabenste Gottesidee bleibt doch immer die, welche annimmt, dass Gott sich nach Schöpfung des Menschen ganz von der Welt zurückgezogen und den letzteren ganz sich selbst überlassen habe« – von dieser Diatribe zum Satz: »Wenn wir frei sein wollen, müssen wir das Opfer bringen, unsere Freiheit dem Christus zu verdanken«, hat Steiner einen weiten Weg zurückgelegt.

Der Anschluss, der hier an die Trinität gewonnen wird, korrespondiert übrigens mit einer eher beiläufigen Bemerkung im sechsten Vortrag (10. Oktober) über den Bedeutungsgehalt der Auferstehung. »Die Auferstehung«, heißt es hier, »müssen wir tatsächlich auffassen als das Historischwerden der Auferweckung in den heiligen Mysterien zu allen Zeiten – nur mit dem Unterschiede, dass wir sagen müssen: Der, welcher die einzelnen Mysterienschüler auferweckt hat, war in den Mysterien der Hierophant; in den Evangelien wird aber darauf hingewiesen, wie der, der den Christus auferweckt hat, die Wesenheit ist, die wir mit dem Vater bezeichnen, dass der Vater selbst den Christus auferweckt hat«. Und einige Sätze weiter: »die Wesenheit, die als der Vater bezeichnet wird« ist selber »als Hierophant aufgetreten … zur Erweckung des Christus Jesus«. Gott hat sich also keineswegs von der Welt zurückgezogen, sondern er hat als Vater und als Sohn in den Gang der Weltgeschichte eingegriffen, auf eine Weise, von der die ganze Existenz des Menschen, der Sinn seines Daseins und seine höchste Würde abhängt. Wie auch immer die Wesen der Engelreiche in das Erlösungswerk verstrickt sind, zuletzt führt es zur Trinität, zum Vater und zum Sohn zurück.

Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass die Trinität bereits im ersten Vortrag (5. Oktober) in einer an Paracelsus erinnernden Art erwähnt wurde. Hier war die Rede von den »drei Hauptprinzipien aller Weltentwicklung«[8], die in den verschiedensten Weltanschauungen auf unterschiedliche Weise angedeutet werden, und sich innerhalb des menschlichen Lebens auch »exoterisch« ausleben. Es geht also in diesem Vortrag nicht um eine esoterische, auf hellseherischer Forschung beruhende Erläuterung des Wesens und der inneren Struktur der »höchsten Göttlichkeit«, sondern um Hinweise darauf, in welchen Erlebnissen des Alltagsbewusstseins Spuren dieser drei Hauptprinzipien gefunden werden können. Im Folgenden werden drei Gebiete des Lebens ausführlich charakterisiert: das »bewusste Seelenleben«, insofern es sich im Erkennen manifestiert, das »unterbewusste Seelenleben« und das »unerkannte Naturleben«, das sich zu gleicher Zeit auch im Menschen findet, insofern er ein Naturwesen ist. Die »populärste Form«, in welcher diese Dreiheit – jenseits aller »dogmatischen« Formeln, aller »philosophischen und theosophischen« Traditionen – »vom menschlichen Geist« zum Ausdruck gebracht wurde, bestand laut Steiner darin, dass der Horizont des bewussten Erkenntnislebens als »Geist« bezeichnet wurde, das, was im unterbewussten Seelenleben wirkt, als »Sohn oder Logos« und das, was sowohl unerkannte Natur als auch unerkanntes Naturwesen im Menschen ist, als »Vater-Prinzip«. In der Seele des Menschen spielen diese drei Prinzipien zusammen: indem die »dunkel treibenden Seelenmächte« sich in Begriffe und Ideen umwandeln, steigt der Inhalt des Sohnes-Reiches in jenes des Geistes auf und indem der Wille durch das Gefühl in das Vorstellungsleben hineinwirkt, nimmt sogar der Vater im Bewusstsein des Menschen Gestalt an. So gemeinsam nun der Inhalt des Geistes in allen Menschen ist, so individuell ist das Erleben dessen, was in den Tiefen des Gefühlslebens sich als Sohn ankündigt oder was in noch weit verborgeneren Schichten der Seele als Vaterprinzip wirkt. Das unbewusste Gebiet des Seelenlebens, in dem Gefühl und Wille wirken, ist als »unantastbares Heiligtum« zu betrachten, in dem die Individualität jedes Einzelnen sich verbirgt; auf dieses Gebiet gezielt einzuwirken oder es zu manipulieren, käme einem Frevel gleich. Das Gebiet des Sohnes ist gänzlich individuell und sein Inhalt muss von jedem Menschen individuell erlebt werden. Sollte aber das, was Christus der Welt mitteilen wollte, als »umfassendes Ideal« der Brüderlichkeit, das »aller Sonderung entgegenwirkt«, wie es in der Geheimwissenschaft heißt, unter den Menschen eine neue Gemeinschaft stiften, dann musste er auf den Geist oder durch den Geist wirken. Daher sandte er, nachdem er auf die Logos-Natur des Menschen (d.h. das unbewusste Seelenleben) gewirkt hatte, den Heiligen Geist. Die Ausgießung des Geistes ist das aus dem Logos erneuerte gemeinsame Erkenntnisleben der Menschheit, in das die Substanz des Sohnes einfließt. »Indem zunächst in dem bloßen Gedanken erfaßt wurde, daß in Christus Jesus der Idealmensch lebt, zu dem die Bedingungen der Sonderung nicht dringen, wurde das Christentum das Ideal der umfassenden Brüderlichkeit. Über alle Sonderinteressen und Sonderverwandtschaften hinweg trat das Gefühl auf, daß des Menschen innerstes Ich bei jedem den gleichen Ursprung hat«.[9] Zu diesen »Sonderverwandtschaften« gehören auch die typologischen Großgruppen der unterschiedlichen »Menschenrassen«, die sich in der atlantischen Zeit auf der Erde herausgebildet hatten. Solange diese Sonderung wirkte, »konnte es das Ideal der allgemeinen Menschlichkeit« nicht geben, aber »in der Christus-Gestalt« trat ein Ideal auf, »das aller Sonderung entgegenwirkt«, denn im Menschen, der den Christus-Namen trug, lebte »das hohe Sonnenwesen, in dem jedes menschliche Ich seinen Urgrund findet«. Das »Christus-Ereignis« ist also – neben vielem anderen – auch jenes zentrale Ereignis der Menschheitsgeschichte, durch das die Rassenspaltung und der aus ihr abgeleitete Rassismus überwunden wird. Die Restitution des menschlichen Phantoms ist auch die Aufhebung der leiblichen Differenz und die Rückführung der Menschheit zu jenem Idealtypus, den Adam Kadmon, der übergeschlechtliche Urmensch vor aller Sonderung darstellt. So zentral das Ereignis von Golgatha der gesamten Theogonie, Kosmogonie und Anthropogonie der Geisteswissenschaft eingeschrieben ist, so zentral ist ihr auch die Überwindung der Rassendifferenzen eingeschrieben.

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wird fortgesetzt

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Anmerkungen:

[1]  »Der Tod ist der Sünde Sold«, sagt Paulus, Röm 6,23 (τὰ γὰρ ὀψώνια τῆς ἁμαρτίας θάνατος).

[2] Diese und die vorangehenden ähnlichen Formulierungen, die den Eindruck erwecken, die Rettung des Phantoms sei jenen vorbehalten, die aktiv eine Beziehung zum Auferstandenen herstellen, wurden später von Steiner revidiert. 1923 machte er deutlich, dass die Auswirkungen der Auferstehung auf das Phantom jedem Menschen zuteil wurden, ungeachtet seines Glaubens oder seiner religiösen Einstellung: »Die Tat des Christus auf Golgatha ist eine objektive Tat, hängt in ihrer kosmischen Bedeutung nicht von dem ab, was die Menschen über sie glauben. Eine objektive Tatsache ist in sich wesenhaft, so wie sie ist. Wenn ein Ofen warm ist, wird er nicht dadurch kalt, dass eine Anzahl von Leuten glaubt, er sei kalt. Das Mysterium von Golgatha ist eine Rettung der Menschheit vor dem Zerfall des physischen Leibes, gleichgültig, was die Menschen darüber glauben oder nicht glauben. Das Mysterium von Golgatha ist also geschehen für alle Menschen, auch für diejenigen, die nicht daran glauben«. Die menschliche Seele in ihrem Zusammenhang mit göttlich-geistigen Individualitäten, GA 224, Vortrag vom 7.05.1923, Dornach 1983, S. 151 f.

[3] 1913, in seiner Vortragsreihe über die Bhagavad-Gita und die Paulusbriefe bezeichnete Steiner dieses jungfräuliche Ich als »Schwesterseele Adams«, GA 142, 1.01.1913, Dornach 1982, S. 117.

[4] Die Kabbala bezeichnet dieses vollständig jungfräuliche Menschheits-Ich als Schechina. Nach Moses de Leon war der ursprüngliche paradiesische Mensch ein rein geistiges Wesen, eine Synthese aller geistigen Kräfte, die an der Schöpfung mitwirkten. Er war von einer ätherischen Hülle umgeben, aus der später die Organe seines Leibes hervorgingen. Erst durch den Sündenfall nahm er jene körperliche Erscheinungsform an, die aus der Trübung aller Stoffe durch das »Gift der Sünde« entstanden ist. Joseph Gikatilla schreibt über dieses Geschehen: »Am Anfang der Schöpfung war der Hauptkern der Schechina in den unteren Regionen. Und weil die Schechina unten war, waren Himmel und Erde noch eins und in vollkommener Harmonie. Die Quellen und die Kanäle, durch die alles Obere nach unten fließt, wirkten noch ungehemmt und vollständig, und so erfüllte Gott damals alles, von oben bis unten. Als aber Adam kam und sündigte, da gerieten die Ordnungen der Dinge in Unordnung, da zerbrachen die Kanäle«. Die Folge davon war, dass die Schechina »ins Exil« ging, d.h. sich in den Himmel zurückzog. Vgl. Gershom Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, Frankfurt 1980, S. 251 f.

[5] Salz und Asche sind die beiden Substanzen, die beim christlichen Taufritual, neben Wasser, im Vordergrund stehen. Asche entsteht bei der Verbrennung organischer Substanzen aus deren anorganischen Anteilen (Mineralstoffen), Salz (Natriumchlorid) ist eine kristalline mineralische Substanz. Asche ist das ins Lebendige erhobene Mineralische, das durch das Feuer aus dem Vegetabilen herausgeläutert wird, Salz das Mineralische, das als Mineralisches im Vegetabilen wirkt. Steiner beschäftigte sich bereits 1890 mit der Symbolik von Salz und Asche. An Friedrich Eckstein schrieb der 29-Jährige einen Brief, in dem er um eine Erläuterung der Verse aus Goethes Braut von Korinth bat: »Salz und Wasser kühlt, nicht wo Jugend fühlt«. Interessant ist die Antwort des kenntnisreichen Esoterikers, der auf die Entstehung des Salzes aus der Asche hinweist: »Salz ist ein uraltes Symbol der geistigen Auferstehung und der Unsterblichkeit. Salz entsteht, wenn Holz verbrannt wird und die Asche ausgelaugt wird. Das Salz ist die Materie, die verklärt ist und nur mehr dem reinen mathematischen Gesetz der Sphären gehorcht; alles Unreine in der Mutterlauge zurücklassend. Außerdem bewahrt es das Fleisch vor Fäulnis. – Gott hat mit den Auserwählten einen Salzbund geschlossen, heißt es in der Bibel«. GA 13, Dornach 1987, S. 28 und 31, Briefe 260 und 262.

In einer von Steiner übersetzten »magischen Schlussformel« des Misraim-Dienstes vor 1914 – von der allerdings nicht bekannt ist, ob sie verwendet wurde – tauchen Salz und Asche ebenfalls auf. Die betreffende Passage lautet: »Salz: Weisheit sei in diesem Salz, und es bewahre vor aller Verderbnis unsere Geister und unsere Leiber durch Hochmael und durch die Kraft Ruach-Hochmael; verschwinden mögen die sämtlichen Illusionen des Stoffes und da sei das Salz des Himmels, das Salz der Erde und die Erde des Salzes, damit sich bilden könne der Arbeitsstier und zu ihm treten die Hörner des wollenden Widders. Amen. Asche: Es komme zurück die Asche zur Quelle der Lebenswasser, und die fruchttragende Erde entstehe und die Bäume des Lebens sollen keimen durch die drei Namen Nezah, Hod und Jesod, im Anfange und am Ende, durch Alpha und Omega, die im Geiste sind des Azoth. Amen. Mischung von Salz, Asche und Wasser: Im Salz der ewigen Weisheit und im Wasser der Wiedergeburten und in der Asche der wiedererstandenen neuen Erde bilde sich ›Alles‹ durch Elohim Gabriel, Raphael und Uriel, in Jahrhunderten und Jahrtausenden. Amen«. Siehe GA 265, Dornach 1987, S. 162. Im Ritual der Christengemeinschaft wird mit dem Wasser »alldurchdringenden Weltengebärens«, dem Salz »allbewahrender Weltenmächte« und der Asche »allerneuernder Weltenziele« getauft. Das getaufte Kind soll in der Gemeinde »des Christus Jesus leben durch des Wassers Gebärungskraft, des Salzes Erhaltungsmacht, der Asche Erneuerungskraft – in des Vaters Weltensubstanz, in des Christus Wortesstrom, in des Geistes Lichtesglanz«. GA 343, 5.10.1921, Dornach 1993, S. 376.

[6] Ob das Phantom Jesu auch vor dem Einzug Christi keinerlei Spuren von Degeneration aufgrund der »luziferischen Reste« aufwies, oder erst durch das dreijährige Wirken Christi in diesen Zustand gebracht wurde, darüber sagt Steiner nichts aus. Ich tendiere zur zweiten Annahme, da die Christuswesenheit den –offenbar vorhandenen – »Zusammenhang mit den Aschebestandteilen« vernichtete. Der Leib Jesu, so auserlesen er auch sein mochte, ging aus der irdischen Vererbungsströmung hervor. Das zugehörige Phantom wurde nicht erst durch die Auferstehung wiederhergestellt, sondern war bereits »völlig intakt«, als Jesus »ans Kreuz genagelt« wurde.

[7] 14.10.1911.

[8] Die tria principia der Alchemie – sal, sulphur und mercur – wurden von Paracelsus zu einem universellen heuristischen Konzept ausgearbeitet, das ihm erlaubte, alle Erscheinungen der natürlichen und übernatürlichen Welt aus den dynamischen Verhältnissen dieser Prinzipien, also prozessual, zu erklären. Seine kurze Abhandlung Von den ersten Principiis oder Essentiis beginnt mit den Sätzen: »Ein jegliches Gewächs, das sein Element erzeugte, wird in drei Dinge gesetzt, das ist sal, sulphur und mercurium; aus den dreien wird eine coniunction, die ergibt ein corpus und ein vereinigtes Wesen … Seine Wirkung ist dreifach: eine ist des Salzes, die nimmt hin durch Purgieren, das ist Abführen, Mundificieren, das ist Reinigen, Balsamieren und andere dergleichen Dinge, und herrschet über das, so zur Fäulung geht. Die andere ist des Sulphurs und herrschet über das, was aus den andern zweien zu viel wird, oder zerbricht. Die dritte ist des mercurii, und nimmt hinweg, das in die Consumption, das ist Verzehrung geht«. Paracelsus, Werke, Band 1, Darmstadt 2010, S. 322. – Die zehn Buchstaben des rosenkreuzerischen Weltalphabets stellen eine Metamorphose dieser tria principia dar. Sie treten in Steiners Werk erstmals im Programmheft des Münchner Kongresses 1907 in der Form »E.D.N. – I.C.M. – P.S.S.R.« in Erscheinung. In der Taufformel, die der Waldorflehrer Johannes Geyer am 2. August 1920 von Steiner erhielt, tauchen die tria principia zusammen mit der Rosenkreuzerformel auf: »Dreimalige Besprengung mit Wasser, dem Salz und Holzasche zugesetzt wurde, und Zeichen des Rosenkreuzes an Stirn und Brust. Ex Deo nascimur, In Christo morimur, Per Spiritum Sanctum reviviscimus. In sale sapientiae aeternae et in aqua regenerationis et in cinere germinante terram novam omnia fiant per Eloim, Gabriel, Raphael et Uriel in saecula et aeonas. Amen«. Es folgt der in GA 40 auf S. 336 veröffentlichte Taufspruch, der »des Denkens Licht« mit »dem Geistesstrom«, des »Fühlens Wärme« mit dem »Seelenweben« und des »Willens Kraft« mit dem »ganzen Menschenwesen« in Beziehung setzt. GA 40, Dornach 1998, S. 40 u. 411. Die Formel nach dem Rosenkreuzerspruch lautet übersetzt: »Im Salz der ewigen Weisheit und im Wasser der Wiedergeburt und in der Asche, die eine neue Erde keimen lässt, wird alles durch Elohim, Gabriel, Raphael und Uriel in Zeit und Ewigkeit«. Das Wasser steht traditionell für Merkur (Quecksilber). Angesprochen werden die Elohim und die Erzengel des Mondes, des Merkur und des Saturn.

[9] Geheimwissenschaft im Umriss, GA 13, Dornach 1989, S. 294. Diese Sätze stehen bereits in der ersten Auflage 1909.

Ein Kommentar

  1. Wenn Steiners Ausdruck ‘das Phantom des physischen Leibes‘ in GA 131 einen genitivus objectivus darstellt (Phantom für den physischen Leib), dann lese ich: die Form des physischen Leibes oder die Ich-Organisation. Diese geistige Gestalt ‘gehört zum physischen Leibe dazu‘, ‘ganz wesentlich‘ (wie auch Aristoteles formulierte).

    Das Ich spiegelt sich also nicht am physischen Leib an sich, sondern ‘an der Form des physischen Leibes‘. Auch nicht am Ätherleib oder am Geistesmenschen, sondern am geistigen Leib oder unverweslichen Geistleib, d.h. am erlebbaren «Ich» selbst (10.21, 13.61). Die Exusiai ‘sind die Verleiher der Ich-Organisation‘ (121.69).

    Nach Grundlegendes (1925): “… das Ich baut sich seine «Ich-Organisation» auf; es baut sie wieder ab, indem die Willenstätigkeit im Selbstbewußtsein wirksam wird.“ (27.17). “Bis in die kleinsten Teile seiner Substanz hinein ist der Mensch in seiner Gestaltung ein Ergebnis dieser Ich-Organisation.“ (27.36).

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