Was tun die Exusiai im Phantom des Menschen? – 1911 – Teil 1 (Christologie #27)

Zuletzt aktualisiert am 1. Juli 2017.

Die Erde im Sonnenwind. Grafik NASA.

Die Erde im Sonnenwind. Grafik NASA.

Im Oktober 1911 hielt Steiner in Karlsruhe jene Vortragsreihe[1] für Mitglieder der deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft, von der – wie er später wiederholt bemerkte – die »Feindschaft der Jesuiten« gegen die Anthroposophie ausgegangen sei.[2] Veranlasst worden sei diese Feindschaft durch seine Ausführungen über die Exerzitien des Ignatius von Loyola als okkulten Schulungsweg, der aufgrund einer »Überspannung des Jesus-Prinzips« eine »außerordentlich gefährliche Verirrung« darstelle und dem Rosenkreuzerweg diametral entgegengesetzt sei.[3] In dieser Vortragsreihe findet sich der erste explizite Hinweis darauf, dass Christus gegen Ende des 20. Jahrhunderts das »karmische Richteramt« übernehmen wird.[4] Mehr als zwei Jahrtausende hatte Moses, der dem Menschen nach dem Tod – »beim Eintritt in die Läuterungszeit« – gegenübertrat und ihm sein Sündenregister vorhielt, dieses Amt inne. Nun aber wird Christus zum »Herrn des Karma« und darauf bedacht sein, den karmischen Ausgleich für jeden einzelnen Menschen »in der bestmöglichen Weise in die allgemeinen Weltangelegenheiten einzufügen«.[5] Dieses übersinnliche Ereignis wird immer stärker in das Leben des Menschen vor dem Tod hineinwirken, so dass er – jeder Mensch – die Empfindung entwickeln wird, mit allem, was er tue, vor Christus – dem »großen menschlichen Erdenvorbild«, dem der Geistesschüler bekanntlich auch an der Schwelle begegnet – Rechenschaft ablegen zu müssen. Dieses Gefühl werde sich im weiteren Verlauf der Bewusstseinsentwicklung umgestalten und die Seele »mit einem Licht durchtränken«, das vom Menschen ausgehen und »die Christus-Gestalt in der ätherischen Welt beleuchten« werde.[6] Dies ist eine zeitlich frühere Erklärung für das Sichtbarwerden Christi in ätherischer Gestalt, nachdem wir eine spätere Herleitung dieses Ereignisses (im Vortrag vom 2. Mai 1913) aus der Erlösung jenes Engels, dessen Ätherleib Organ der Epiphanie Christi ist, bereits weiter oben kennengelernt haben. Die beiden Erklärungen schließen sich natürlich nicht aus, sondern ergänzen sich.

Auf diese Themen soll hier jedoch nicht weiter eingegangen werden, vielmehr wenden wir uns dem zentralen Gegenstand dieser Reihe zu: der Auferstehung. Die Karlsruher Vorträge aus dem Jahr 1911 sind die ersten, in welchen Steiner ausführlich unter Verwendung einer neuen – oder zumindest präzisierten – Terminologie und in Anknüpfung an die Lehre des Paulus vom ersten und zweiten (letzten) Adam[7] auf die genaueren Umstände dieses Vorgangs eingeht.[8] Der Gegenstand wird im fünften bis siebten Vortrag entwickelt, der achte fügt einige Ergänzungen hinzu. Die Ausführungen über die Auferstehung sind deshalb für unsere Fragestellung von Interesse, weil in ihrem Verlauf einige Bemerkungen über Christus als hierarchisches bzw. überhierarchisches Wesen fallen. Außerdem machen sie deutlich, dass Steiners Christologie, je mehr sie sich nach oben in Richtung Trinität ausweitete, zugleich um so tiefer in die Mysterien der Menschwerdung eindrang. Die sich in zwei Richtungen erstreckende Erkenntnisbewegung erinnert an das bekannte Bild des Baumes, der um so höher in den Himmel ragt, je tiefer er in der Erde verwurzelt ist.

Im fünften Vortrag (9. Oktober) wird im Hinblick auf den Tod eine beunruhigende Frage aufgeworfen: Wenn der Schein des Todes zuträfe, würde der physische Leib des Menschen, der bereits auf dem alten Saturn veranlagt worden ist, einfach verschwinden, indem er verwest oder verbrennt und in den physischen Elementen aufgeht, »nachdem Jahrmillionen und aber Jahrmillionen hindurch, während Saturn-, Sonnen- und Mondenzeit die bedeutendsten Anstrengungen übermenschlicher, … göttlich-geistiger Wesen gemacht worden sind, um diesen physischen Leib herzustellen. Wir hätten also die sehr merkwürdige Tatsache vor uns, dass durch … drei planetarische Stufen hindurch … eine ganze Götterschar arbeitet an der Herstellung eines Weltelementes … und dieses Weltelement wäre dazu bestimmt, während der Erdenzeit jedesmal zu verschwinden, wenn ein Mensch stirbt«. In der Tat könnte man nach dem Sinn einer solchen Veranstaltung fragen! Die Antwort dürfte für manche Zuhörer und Leser nicht weniger beunruhigend gewesen sein, entzieht sie doch allen Scheingewissheiten des Alltagsbewusstseins den Boden. Dennoch – oder gerade deshalb – hat sie bis heute nichts von ihrem paradoxen Charme verloren: Der physische Leib des Menschen kann gar nicht verschwinden, weil er niemals erschienen ist. In Wirklichkeit ist er unsichtbar. Was wir sehen, tasten, fühlen können und als »Leib« oder Körper bezeichnen, ist ein mit Erdenstoff angefülltes Kompositum aus mehreren Gliedern. Dieses Kompositum zerfällt beim Tod, nicht aber die einzelnen übersinnlichen Bestandteile, aus denen es zusammengesetzt ist – auch nicht der unsichtbare physische Leib des Menschen. Im erfrischend provokativen Wortlaut der Aufzeichnung lautet dieses Argument: »Wer hat ohne hellseherische Anschauung jemals einen physischen Menschenleib gesehen? … Nicht einen physischen Menschenleib sieht der mit physischen Sinnen und mit physischem Verstande begabte Beschauer, sondern ein viergliedriges Wesen – und den physischen Leib nur insofern, als er durchdrungen ist von den übrigen menschlichen Wesensgliedern«.[9] Was dem gewöhnlichen Bewusstsein vielleicht nur widersinnig erscheint, die übersinnliche Natur des physischen Leibes, gehört für das hellseherische Bewusstsein zu den »schwierigsten«, sogar »den allerschwierigsten« Problemen. Tatsächlich scheint es, als ob beim »großen Experiment des Todes«, das die Natur durchführt, der Leib des Menschen in seine Bestandteile zerlegt wird und seine Form verliert. Der Leichnam enthält nur noch zerfallende, verwesende, zerstäubende Stoffe, und das Wichtigste, das dem Leib während des Lebens anhaftet: die lebendige Form, scheint zu verschwinden. Auch »für den gewöhnlichen hellseherischen Blick« scheint nach dem Tod nichts vom physischen Leib übrig zu bleiben. Je mehr sich aber das Hellsehen entwickelt, um so deutlicher wird, dass die physischen Stoffe und Kräfte, die beim Tod zurückgelassen werden, nicht der ganze Leib sind. Vielmehr gehört zu ihm »die Formgestalt des Menschen«, ein »Geistgewebe«, das die physischen Stoffe und Kräfte bearbeitet und ihnen jene wandelbare Form verleiht, die während des Lebens sichtbar ist. So wie der Künstler, der eine Statue aus einem Marmorblock hervorzaubert, den Gedanken der Statue in sich trägt, so existiert »in der Außenwelt« der »reale Gedanke des Menschenleibes«, der den »Stoffen der Erde eingeprägt« wird. Und dieser reale Gedanke des physischen Leibes, in den die physischen Stoffe »wie in ein Netz hineingeladen« werden, ist bei weitem bedeutender als diese Stoffe. Die ganze Arbeit, die von den schöpferischen Geistern durch Saturn, Sonne und Mond hindurch geleistet worden ist, zielte nicht darauf ab, etwas hervorzubringen, was mit dem Tod zerfällt und den Elementen übergeben wird, sie erzeugte vielmehr eine unsichtbare Formgestalt des Menschen, oder wie Steiner auch sagt, ein Phantom. [10] Der Keim dieses Phantoms wurde dem Kosmos von den Thronen auf dem alten Saturn einverleibt, an ihm arbeiteten die Geister der Weisheit auf der alten Sonne, die Geister der Bewegung auf dem alten Mond und die Geister der Form seit Beginn der Erdentwicklung. Durch diese hingebungsvolle Arbeit der Götter ist das Phantom des physischen Leibes entstanden. Daher tragen die Geister der Form ihren Namen, weil sie dem physischen Leib seine heutige Gestalt gegeben haben, weil sie in der Formgestalt dieses Leibes leben.[11] Die Exusiai leben im Phantom des physischen Leibes, sie sind mit ihrem Leben in ihm anwesend. Als »durchsichtiger Kraftleib« wurde dieses Phantom von den himmlischen Heerscharen »in die Erdenevolution hineingestellt«, als erste Gestalt des Menschen, vor allem anderen. Die physischen Stoffe, die der Mensch aufnimmt, indem er isst, füllen diesen Kraftleib, dieses Netz aus organisierenden Kräften lediglich aus. Was das physische Auge sieht, ist in Wahrheit das Mineralische, das den Leib durchdringt, nicht dieser selbst. »Herübergekommen ist von Saturn, Sonne und Mond jener Kraftzusammenhang, der uns im unsichtbaren Phantom des physischen Leibes in seiner wahren Gestalt entgegentritt«.[12] Unsichtbar war der Mensch am Ausgangspunkt seines irdischen Daseins. Auch durch den Hinzutritt von Ätherleib, Astralleib und Ich – bei welchen es sich ohnehin um nichtsinnliche Glieder des Menschen handelt – wird das Phantom nicht sichtbar. Weshalb ist sein Leib dann überhaupt wahrnehmbar? Infolge des luziferischen Einflusses. Durch ihn ist der unsichtbare Mensch »in die dichtere Materie hinuntergeworfen« worden und nahm sie in sich auf. So wie durchsichtiges Glas, wenn farbige Flüssigkeit in es hineingegossen wird, wird das Phantom sichtbar, wenn die physischen Stoffe und Kräfte es durchziehen. Daher, so Steiner, betonten die Alchemisten auch, der physische Leib des Menschen bestehe in Wahrheit aus derselben Substanz, wie der durchsichtige, kristallförmige Stein der Weisen. »Der physische Leib besteht wirklich aus absoluter Durchsichtigkeit«. Er ist ein diamantener Leib.[13] Diese Schilderungen machen erneut deutlich, dass die luziferischen Wirkungen zu den »wahrhaftigen Bildekräften des Menschen« gehören. Um noch einmal daran zu erinnern: der verführerische Einfluss Luzifers ergriff zunächst den menschlichen Astralleib, dieser überwältigte das dem Menschen eben erst zuteil gewordene Ich und die Auswirkungen des Falls beider erstreckten sich auf den Ätherleib und das Phantom des physischen Leibes. Durch seinen Fall erst ist der Mensch »zum Träger der irdischen Gestalt geworden«.[14]

Der luziferische Rest

Von hier aus lässt sich nun charakterisieren, was Jesus von Nazareth von allen anderen Menschen unterscheidet. Die betreffenden Ausführungen am Ende des Vortrags vom 10. Oktober, die am 12. Oktober wieder aufgegriffen werden, sollten aufmerksam gelesen werden. Was Jesus von anderen Menschen unterscheidet, ist nicht seine menschliche Natur, die ebenso wie alle anderen aus physischem Leib, Ätherleib und Astralleib sowie einem Ich zusammengesetzt ist – mit dem es allerdings eine besondere Bewandtnis hat, wie wir noch erfahren werden –, was ihn von allen anderen unterscheidet, ist die Tatsache, dass ihn dieses Ich in seinem dreißigsten Lebensjahr verlässt und die kosmische Christus-Wesenheit oder wie es im achten Vortrag heißt, »der Christus-Extrakt des Makrokosmos«, »die Substanz des Christus«, an seine Stelle tritt. »Das unterscheidet ihn, dass alle anderen Menschen jenes Ich in sich tragen, das einmal in der Versuchung des Luzifer unterlegen ist, und dass der Christus Jesus dieses Ich nicht mehr in sich trägt, sondern statt dessen die Christus-Wesenheit«. Das aber heißt, dass er von dem, was von Luzifer kommt, nurmehr einen »Rest in sich trägt«, jenen Rest nämlich, von dem seine drei leiblichen Glieder durchdrungen waren, aber kein Ich, das weitere luziferische Einflüsse in diese Leiber leiten könnte. »Ein physischer Leib, ein Ätherleib, ein astralischer Leib, in denen die Reste der luziferischen Einflüsse von früher drinnen sind …, das macht den Christus Jesus aus«. Diese Hinweise scheinen Steiner besonders wichtig gewesen zu sein, da er sie mehrfach wiederholt: »Fassen wir ganz genau ins Auge, was der Christus von der Johannes-Taufe am Jordan bis zum Mysterium von Golgatha ist: ein physischer Leib, ein ätherischer Leib und ein astralischer Leib, der diesen physichen Leib und Ätherleib sichtbar macht, weil er die Reste des luziferischen Einflusses noch enthält«. Auch nach der Jordan-Taufe besitzt Jesus einen sichtbaren physischen Leib, aufgrund der »Reste« des luziferischen Einflusses, der in seinen Leibesgliedern erhalten bleibt.

Vorheriger Beitrag: Jenseits der Seraphim – 1910

wird fortgesetzt

Anmerkungen:

[1] Von Jesus zu Christus, Karlsruhe 5.-14.10.1911, GA 131, Dornach 1982. Die Vortragsreihe wurde 1912 von Marie Steiner als Manuskriptdruck und 1933 als Buch herausgegeben. Die Originalstenogramme des unbekannten Stenographen existieren nicht mehr. Der Titel stammt von Rudolf Steiner.

[2] GA 197, 30.07.1920, Dornach 1996, S. 123; GA 198, 6.6.1920, Dornach 1984, S. 132.

[3] Vortrag vom 5.10.1911. Hier heißt es gegen Ende des Vortrags: »Es gibt wohl kaum einen größeren Gegensatz in der Kulturentwicklung der letzten Jahrhunderte, als den zwischen dem Jesuitismus und dem Rosenkreuzertum«. Das Rosenkreuzertum trat zu Beginn des 17. Jahrhunderts durch die Publikation der Rosenkreuzermanifeste an die europäische Öffentlichkeit, der gegenreformatorische Jesuitenorden wurde 1534 von Ignatius von Loyola gegründet.

[4] Im dritten Vortrag vom 7.10.1911.

[5] 14.10.1911.

[6] 7.10.1911.

[7] Im ersten Korintherbrief verwendet Paulus beide Formeln. 15,45: Ἐγένετο ὁ πρῶτος ἄνθρωπος Ἀδὰμ εἰς ψυχὴν ζῶσαν · ὁ ἔσχατος Ἀδὰμ εἰς πνεῦμα ζῳοποιοῦν. 15,47: ὁ πρῶτος ἄνθρωπος ἐκ γῆς χοϊκός, ὁ δεύτερος ἄνθρωπος ἐξ οὐρανοῦ. – Der erste Mensch, Adam, wurde zu einer lebenden Seele; der letzte Adam zu einem lebenschaffenden Geist. – Der erste Mensch ging aus irdischem Staub hervor, der zweite aus dem Himmel.

[8] Die Auferstehung ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Die Vorträge werden hier unter dem Gesichtspunkt der Frage nach dem Zusammenhang Christi mit den Ordnungen der Engelwesen herangezogen. Wer sich in die Darstellungen Steiners zur Auferstehung vertiefen möchte, sei auf die umfassende Monografie Frank Lindes, Die Auferstehung im Werk Rudolf Steiners, 2 Bde. Salzburg 2015, verwiesen.

[9] 10. Oktober 1911. Auch die folgenden Ausführungen.

[10] Kenner der Schriften Steiners werden sich durch diese Äußerungen über die Funktion der »Formgestalt« des physischen Leibes unweigerlich an die Schilderung der »lebenerfüllten Geistgestalt« des Ätherleibes in der Theosophie erinnert fühlen: »Die Kräfte, durch die ein Mineral entsteht, sind auf die Stoffe selbst gerichtet, die es zusammensetzen. Ein Bergkristall bildet sich durch die dem Silizium und dem Sauerstoff innewohnenden Kräfte, die in ihm vereinigt sind. Die Kräfte, die einen Eichbaum gestalten, müssen wir auf dem Umwege durch den Keim in Mutter- und Vaterpflanze suchen. Und die Form der Eiche erhält sich bei der Fortpflanzung von den Vorfahren zu den Nachkommen. … Im Sinne der Geisteswissenschaft spricht man, wenn man sagt: ein bloßer physischer Körper hat seine Gestalt – zum Beispiel ein Kristall – durch die dem Leblosen innewohnenden physischen Gestaltungskräfte; ein lebendiger Körper hat seine Form nicht durch diese Kräfte, denn in dem Augenblicke, wo das Leben aus ihm gewichen ist und er nur den physischen Kräften überlassen ist, zerfällt er. Der Lebensleib ist eine Wesenheit, durch welche in jedem Augenblicke während des Lebens der physische Leib vor dem Zerfalle bewahrt wird … Nach dem Tode löst sich der physische Leib in der Mineralwelt, der Ätherleib in der Lebenswelt auf. Mit ›Leib‹ soll bezeichnet werden, was einem Wesen von irgendeiner Art ›Gestalt‹, ›Form‹ gibt. Man sollte den Ausdruck ›Leib‹ nicht mit sinnlicher Körperform verwechseln. In dem in dieser Schrift gemeinten Sinne kann die Bezeichnung ›Leib‹ auch für das gebraucht werden, was sich als Seelisches und Geistiges gestaltet«. GA 4, Dornach 1987, S. 36-40. Das Verhältnis zwischen Ätherleib und Phantom wird in den hier behandelten Vorträgen nicht näher erläutert. Von (unsichtbaren, physischen) »Menschenphantomen mit automatenhafter Persönlichkeitsoffenbarung« auf dem alten Saturn ist in der Geheimwissenschaft im Umriss die Rede. Diese Ausführungen beziehen sich auf den »Menschenkeim«, bevor er auf der alten Sonne mit einem eigenen Ätherleib versehen wird. Im Lichte der Darstellungen über das Phantom müssen alle vor 1911 vorgebrachten Äußerungen Steiners über den »physischen Leib« des Menschen neu gelesen werden.

[11] 10. Oktober 1911.

[12] 10. Oktober 1911. Dass hier von einem unsichtbaren Kraftleib oder einem übersinnlichen Kraftzusammenhang die Rede ist, dürfte für Leser, die mit den Grundbegriffen der Physik vertraut sind, nicht befremdlich sein. Schließlich sind auch alle physikalischen Kräfte unsichtbar. Die Kräfte, die die Planetenbahnen bewirken – kinetische Energie, Drehimpulse, Fliehkräfte und Gravitation – sind ebenfalls übersinnlich, sichtbar sind lediglich die Resultanten ihres Zusammenwirkens. Deshalb lässt sich sagen, dass unser Sonnensystem von einem übersinnlichen Kraftzusammenhang angetrieben und zusammengehalten wird. Steiner hat diese übersinnlichen Kräfte lediglich auf die Wesen zurückgeführt, deren Manifestation sie sind. Das Gravitationsfeld eines Himmelskörpers könnte guten Gewissens als »übersinnlicher Kraftleib« bezeichnet werden. Grafische Darstellungen des Magnetfeldes der Erde im Sonnenwind lassen diese als das vielflügelige Wesen erscheinen, das sie ist.

[13] Im Buddhismus des diamantenen Fahrzeugs oder Diamantzepters (Vajrayana) wird dem Erleuchteten ebenfalls ein solcher Leib zugesprochen.

[14] Wer sich an die nicht weit zurückliegenden Vorträge über die biblische Schöpfungsgeschichte erinnert, wird vielleicht versucht sein, zu fragen, worin eigentlich der Unterschied besteht zwischen der Eingliederung des »mondhaften Erdenstaubes« in den Menschen durch Jahwe-Elohim und der Eingliederung der physischen Stoffe und Kräfte in das Phantom aufgrund des Einflusses der luziferischen Mächte. Die Vorgänge sind offensichtlich dieselben, die Wesen, die diese Vorgänge bewirken, jedoch nicht.

Das Wider- und Zusammenspiel der luziferischen Wesen und Jahwe-Elohims wird in der Geheimwissenschaft im Umriss ebenfalls geschildert, wenngleich unter Vermeidung einer eindeutig identifizierenden Nomenklatur. Die betreffende Passage sei nach der Ausgabe letzter Hand hier noch einmal im Zusammenhang zitiert. Im folgenden Text umschreiben die »Erden-Mondenwesen«, die das menschliche Bewusstsein zu einem – unselbständigen – Spiegel der kosmischen Weisheit machten, jene Gruppe von Wesenheiten, die in den Vorträgen über die biblische Schöpfungsgeschichte als »Jahwe-Elohim« bezeichnet werden, die »Wesen mit der alten Mondennatur«, die das menschliche Bewusstsein »des Charakters eines bloßen Spiegels des Weltalls entkleideten«, die luziferischen.

»Die geistigen Wesenheiten, welche den Mond aus der Erde herauszogen und ihr eigenes Dasein mit dem Monde verbanden – also Erden-Mondenwesen wurden –, bewirkten durch die Kräfte, die sie von dem letzteren Weltkörper aus auf die Erde sandten, eine gewisse Gestaltung der menschlichen Organisation. Ihre Wirkung ging auf das vom Menschen erworbene ›Ich‹. In dem Zusammenspiel dieses ›Ich‹ mit Astralleib, Ätherleib und physischem Leib machte sich diese Wirkung geltend. Durch sie entstand im Menschen die Möglichkeit, die weisheitsvolle Gestaltung der Welt in sich bewusst zu spiegeln, sie abzubilden wie in einer Erkenntnisspiegelung. Man erinnere sich, wie geschildert worden ist, dass während der alten Mondenzeit der Mensch durch die damalige Abtrennung von der Sonne in seiner Organisation eine gewisse Selbständigkeit, einen freieren Grad des Bewusstseins erworben hat, als der war, welcher unmittelbar von den Sonnenwesen ausgehen konnte. Dieses freie, selbständige Bewusstsein trat – als Erbe der alten Mondenentwickelung – wieder auf während der charakterisierten Zeit der Erdenentwickelung. Es konnte aber gerade dieses Bewusstsein, durch den Einfluss der gekennzeichneten Erden-Mondenwesen wieder zum Einklange mit dem Weltall gebracht, zu einem Abbilde desselben gemacht werden. Das wäre geschehen, wenn sich kein anderer Einfluss geltend gemacht hätte. Ohne einen solchen wäre der Mensch ein Wesen geworden mit einem Bewusstsein, dessen Inhalt wie durch Naturnotwendigkeit, nicht durch sein freies Eingreifen die Welt in den Bildern des Erkenntnislebens gespiegelt hätte. Es ist dieses nicht so geworden. Es griffen in die Entwickelung des Menschen gerade zur Zeit der Mondenabspaltung gewisse geistige Wesenheiten ein, welche von ihrer Mondennatur so viel zurückbehalten hatten, dass sie nicht teilnehmen konnten an dem Hinausgang der Sonne aus der Erde. Und dass sie auch ausgeschlossen waren von den Wirkungen der Wesen, welche vom Erden-Monde aus zur Erde hin sich tätig erwiesen. Diese Wesen mit der alten Mondennatur waren gewissermaßen mit unregelmäßiger Entwickelung auf die Erde gebannt. In ihrer Mondnatur lag gerade das, was während der alten Mondenentwickelung sich gegen die Sonnengeister aufgelehnt hatte, was damals dem Menschen insofern zum Segen war, als durch es der Mensch zu einem selbständigen, freien Bewusstseinszustand geführt worden war. Die Folgen der eigenartigen Entwickelung dieser Wesen während der Erdenzeit brachten es mit sich, dass sie während derselben zu Gegnern wurden derjenigen Wesen, die vom Monde aus das menschliche Bewusstsein zu einem notwendigen Erkenntnisspiegel der Welt machen wollten. Was auf dem alten Monde dem Menschen zu einem höheren Zustande verhalf, ergab sich als das Widerstrebende gegenüber der Einrichtung, welche durch die Erdenentwickelung möglich geworden war. Die widerstrebenden Mächte hatten sich aus ihrer Mondennatur die Kraft mitgebracht, auf den menschlichen Astralleib zu wirken, nämlich – im Sinne der obigen Darlegungen – diesen selbständig zu machen. Sie übten diese Kraft aus, indem sie diesem Astralleib eine gewisse Selbständigkeit – auch nunmehr für die Erdenzeit – gaben gegenüber dem notwendigen (unfreien) Bewusstseinszustande, welcher durch die Wesen des Erdenmondes bewirkt wurde. …

Die Wirkung, die von den im Mondenzustand zurückgebliebenen Geistwesen auf den Menschen ausging, hatte nun für diesen ein Zweifaches zur Folge. Sein Bewusstsein wurde dadurch des Charakters eines bloßen Spiegels des Weltalls entkleidet, weil im menschlichen Astralleibe die Möglichkeit erregt wurde, von diesem aus die Bewusstseinsbilder zu regeln und zu beherrschen. Der Mensch wurde der Herr seiner Erkenntnis. Andrerseits aber wurde der Ausgangspunkt dieser Herrschaft eben der Astralleib; und das diesem übergeordnete «Ich» kam dadurch in stetige Abhängigkeit von ihm. Dadurch ward der Mensch in der Zukunft den fortdauernden Einflüssen eines niederen Elementes in seiner Natur ausgesetzt. Er konnte in seinem Leben unter die Höhe herabsinken, auf die er durch die Erden-Mondenwesen im Weltengange gestellt war. Und es blieb für die Folgezeit für ihn der fortdauernde Einfluss der charakterisierten unregelmäßig entwickelten Mondwesen auf seine Natur bestehen. Man kann diese Mondwesen im Gegensatz zu den andern, welche vom Erdenmonde aus das Bewusstsein zum Weltenspiegel formten, aber keinen freien Willen gaben, die luziferischen Geister nennen. Diese brachten dem Menschen die Möglichkeit, in seinem Bewusstsein eine freie Tätigkeit zu entfalten, damit aber auch die Möglichkeit des Irrtums, des Bösen«. GA 13, Dornach 1962, S. 246-250. –

Eine der Folgen des luziferischen Einflusses auf den Menschen bestand laut Geheimwissenschaft … darin, dass sich ein »Anziehungsband« zwischen dem Ich und dem »Erdenfeuer« bildete. Diese Anziehung verstrickte ihn stärker in die äußere Stofflichkeit. Sein physischer Leib, der zuvor aus Feuer, Luft und Wasser und einem »Schattenbild aus Erdsubstanz« bestanden hatte, verdichtete sich. Aufgrund der Verdichtung des erdigen Anteils musste der Mensch aus dem Umkreis der Erde auf diese herabsteigen. Da er nunmehr sein Verhältnis zur Außenwelt nach seinen eigenen irrtümlichen Vorstellungen, Begierden und Leidenschaften regelte, trat die Möglichkeit von Krankheiten auf, und er nahm »Erdeneindrücke auf«, die sich mit den Kräften verbanden, die den physischen Leib zerstören. »Auf ein bedeutsames Geheimnis« sei damit gedeutet, so die Geheimwissenschaft …, »auf den Zusammenhang des … Astralleibs« mit Krankheit und Tod.

Ein Kommentar

  1. In GU verwendete Steiner verschiedene Bilder (Beerchen, Spiegel) und Synonyme für die Beschreibung der ersten menschlichen Phantome: einzelne Lebewesen, einzelne Saturnwesen, Einzel-Lebewesen des Saturn, Saturnkörperteilchen, Saturnwärmekörper, Menschen-Phantome, Menschenphantome.
    Allerdings seien die Kräfte des menschlichen Phantoms keine physischen Kräfte, sondern geistige Kräfte der Geister der Form, also Ich-Kräfte. Sie organisieren als geistige Formgestalt ‘die physische Stoffe und Kräfte‘ (GA 131). Das menschliche Phantom ist daher eine Ich-Organisation, würde ich sagen.
    Wie Aristoteles‘ Diktum (Über die Seele, II.2) besagte: “Die Seele ist kein Körper, aber etwas am Körper.“ Eine reale Gedanke eben.

Kommentare sind geschlossen