Tödliche Medikamente – organisierte Kriminalität

Zuletzt aktualisiert am 3. September 2023.

Tödliche Medikamente, organisierte Kriminalität

Peter Christian Gøtzsche, Verfasser des Buches »Tödliche Medizin, organisierte Kriminalität«

Jahrzehntelang war Peter Christian Gøtzsche einer der angesehensten Ärzte und Medizinforscher Dänemarks. Auch noch, als er sein Buch über tödliche Medikamente und organisierte Kriminalität schrieb. Der Angriff kam erst einige Jahre danach. Und von einer unerwarteten Seite.

Gøtzsche gehörte 1993 zu den Gründern der Cochrane Collaboration, einer gemeinnützigen Organisation, die sich als weltweites Netzwerk von Ärzten, Wissenschaftlern, Angehörigen von Gesundheitsberufen und Patienten für eine evidenzbasierte Medizin einsetzt. Zu diesem Zweck etablierte sie ein System der Überprüfung medizinischer und pharmakologischer Forschung, das eine unabhängige Beurteilung von Studien ermöglichte. Weltweit galten die Reviews der Cochrane Collaboration, die in der gleichnamigen Onlinebibliothek veröffentlicht werden, als Standard der methodisch-kritischen Evaluation medizinischer Forschung.

Als Mitarbeiter der Collaboration trug Gøtzsche zu einer Vielzahl dieser kritischen Überprüfungen bei und setzte selbst Maßstäbe für evidenzbasierte Forschung. Die Leitideen der Cochrane Collaboration waren nicht nur methodischer, sondern auch ethischer Natur: Transparenz, Gewissenhaftigkeit, Freiheit der wissenschaftlichen Forschung und Debatte jenseits aller Zensur oder ökonomischer Einflüsse und eben – internationale – Zusammenarbeit (collaboration). Er gründete das Nordic Cochrane Collaboration Center am Rigshospitalet in Kopenhagen und wurde aufgrund seiner Verdienste 2010 zum Professor für klinisches Forschungsdesign an der Universität Kopenhagen berufen. Weltweit bekannt wurde er für seine Kritik an vorbeugenden Mammographie-Screenings, die angeblich dazu beitrugen, Frauen vor Brustkrebs zu schützen. Seine Kritik: die Zahl der Fehldiagnosen und infolgedessen überflüssigen Behandlungen mit schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit der betroffenen Frauen war höher als die Zahl derer, die durch die Früherkennung vor Brustkrebs bewahrt wurden.

Er veröffentlichte eine Reihe von Büchern, darunter 2013 Deadly Medicines and Organised Crime: How Big Pharma Has Corrupted Healthcare, das 2014 in deutscher Übersetzung mit dem Titel: Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität erschien, und 2015 ein gleichartiges Buch, das sich speziell mit dem Missbrauch von Psychopharmaka in der Psychiatrie befasste (Deadly Psychiatry and Organised DenialTödliche Psychopharmaka und organisiertes Leugnen. Wie Ärzte und Pharmaindustrie die Gesundheit der Patienten vorsätzlich aufs Spiel setzen, 2016).

Die strengen Maßstäbe, die Gøtzsche während Jahrzehnten an die forschende Pharmaindustrie angelegt hatte, galten aus seiner Sicht aber auch für ihn selbst und die Organisation, für die er arbeitete, die Cochrane Collaboration. Als diese 2018 in einer Übersichtsarbeit zu einem positiven Ergebnis bezüglich unerwünschter Nebenwirkungen verschiedener HPV-Impfstoffe[1] für Frauen kam, kritisierte er diese im British Medical Journal (BMJ) als unvollständig, weil sie wichtige Beweise gar nicht berücksichtigt habe.[2]

Goetzsche, Tödliche MedikamenteWegen dieser Veröffentlichung wurde Gøtzsche aus der Cochrane Collaboration, deren Vorstand er seit 2017 angehörte, ausgeschlossen. Die Begründung: »fortgesetztes schlechtes Benehmen.« Der verantwortliche CEO der Collaboration, Mark Wilson, verlangte vom dänischen Gesundheitsministerium außerdem, ihm die Leitung des Cochrane Zentrums am Rigshospitalet zu entziehen, was auch geschah.

Diese Vorgänge lösten in der interessierten Fachwelt und weit über sie hinaus einen Aufschrei der Empörung aus. Einer der prominensten Kritiker des offiziellen Corona-Narrativs, der Medizinwissenschaftler John Ioannidis von der Stanford Universität, schrieb Ende 2018 über diesen Skandal[3]: »Die Cochrane Collaboration wurde 1993 mit großem Enthusiasmus gegründet. Sie verfolgte das Ziel, der evidenzbasierten Medizin weltweit zum Durchbruch zu verhelfen, durch die Erstellung qualitativ hochstehender, rigoros systematischer Übersichtsarbeiten und dies auf der Grundlage freiwilliger, in gemeinsamer Arbeit verankerter, unabhängiger, kritischer Untersuchungen. Ein Vierteljahrhundert lang hat das Netzwerk enorm viel geleistet und seine Mitglieder sollten stolz auf ihre Erfolge sein. Die Qualität, Tiefe und Breite der Expertise der beteiligten Menschen ist beispiellos. […] Jüngst aber ging viel von diesem moralischen und wissenschaftlichen Kapital durch eine Reihe trauriger Ereignisse verloren. Der Vorstand von Cochrane entschied, Peter Gøtzsche, eines seiner Mitglieder, aus dem Vorstand und aus der Vereinigung insgesamt auszuschließen. Vier andere Mitglieder des Vorstands traten deswegen unter Protest zurück. […]

Gøtzsche versuchte, das Nordische Cochrane Zentrum, dessen Direktor er war, aus dem Netzwerk herauszulösen, aber das dänische Gesundheitsministerium entzog ihm die Leitung und kündigte ihm als klinischem Professor am Rigshospitalet und an der Universität Kopenhagen. Rund 9000 Personen unterzeichneten eine Petition, die diese Entscheidung scharf kritisierte, und viele weitere haben dem Gesundheitsminister persönliche Briefe zur Unterstützung Gøtzsches geschrieben […]

Entgegen der Behauptung der verbliebenen Vorstandsmitglieder, es gehe bei diesem Vorgang nicht um Redefreiheit, wissenschaftliche Debatte, Toleranz, Meinungsverschiedenheit oder Kritik, werden durch ihn genau diese Themen auf die Tagesordnung gesetzt, ob nun irgendeine Art von ›schlechtem Benehmen‹ eine Rolle spielte oder nicht […] Jeder wird sich unweigerlich fragen, ob Cochrane unter seinem derzeitigen Vorsitzenden Wissenschaftler zum Schweigen bringt. Ist das Netzwerk kommerziellen Interessen zum Opfer gefallen? Ist es gelähmt? Kam es zu einer feindlichen Übernahme?

Goetzsche, PsychopharmakaGøtzsche ist bekannt für seine Neigung zu scharfer Kritik. Aber er ist auch für seine wissenschaftlichen Leistungen anerkannt. Er ist ohne Zweifel ein Riese, der überragende Beiträge zur evidenzbasierten Medizin geleistet hat. Seine Arbeit trug entscheidend zur Förderung der Transparenz in der klinischen Forschung bei, indem sie Einseitigkeiten aufdeckte und Interessenkonflikte bekämpfte. Sowohl die Referenzen auf seine wissenschaftlichen Arbeiten als auch deren soziale Auswirkungen sind phänomenal […]

Das gewählte Mitglied eines Vorstandes, das eine abweichende Meinung vertritt, aufgrund diffuser Anschuldigungen auszuschließen, die nicht einmal öffentlich gemacht werden können, passt nicht zu einer wissenschaftlichen Organisation. Dieses Ausmaß an Intoleranz erinnert mehr an eine mittelalterliche Theokratie. Tatsächlich haben mittelalterliche Theokratien eine größere Offenheit an den Tag gelegt, da sie in der Regel die Gründe für ihr Missfallen öffentlich dargelegt haben. Die Kündigung Gøtzsches« durch das dänische Gesundheitsministerium »ist sogar noch traumatischer für die Gedankenfreiheit und die menschliche Würde. Sie gibt der Botschaft Auftrieb, dass jemand, der nicht mit einer Mehrheit übereinstimmt (oder was manche Leute für eine Mehrheit ausgeben), gefeuert werden kann […]

Es ist unverhältnismäßig, Vertreter abweichender Meinungen mit administrativen Manipulationen zum Schweigen zu bringen. Im Gegenteil: es ist für die Wissenschaft unabdingbar, solche abweichenden Meinungen zu respektieren und ihren Vertretern jede denkbare Möglichkeit zu geben, ihre Ansichten zu verteidigen.«

Auch Transparency International meldete sich damals zu Wort. Das deutsche Regionalbüro veröffentlichte im Januar 2019 eine Presseerklärung, in der es hieß, Gøtzsche sei entlassen worden, weil er die wissenschaftliche Vorgehensweise der Cochrane Collaboration »grundsätzlich und die damit verbundene Pharma-Nähe kritisiert« habe. »Peter Gøtzsche«, so Transparency International weiter, »setzt sich seit Jahren für die Transparenz klinischer Studiendaten ein. Zusammen mit Tom Jefferson und Lars Jøergensen veröffenlichte er einen Review zur HPV-Impfung. Darin deckten sie auf, dass in den veröffentlichten Studien zur Wirksamkeit der HPV-Impfung ein großer Teil der Daten von Teilnehmerinnen nicht berücksichtigt worden war. Damit stellten sie das positive Ergebnis eines aktuellen Cochrane Systematic Review zur HPV-Impfung grundsätzlich in Frage […] Hinter dem ›schlechten Benehmen‹ steht der Streit um eine Grundsatzfrage: Peter Gøtzsche setzt sich vehement dafür ein, dass alle Daten von klinischen Studien veröffentlicht werden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Pharmafirmen immer wieder Daten zurückhalten, um behaupten zu können, ein Medikament wäre wirksam. So hat Roche Milliarden an seinem Anti-Grippemittel Tamiflu, dem antivirale Eigenschaften zugeschrieben wurden, verdient. Tatsächlich war das Mittel aber kaum wirksam. Das stellte sich aber erst heraus, als der Pharmariese gerichtlich gezwungen wurde, zurückgehaltene Studiendaten herauszugeben.«[4]

Gute Medizin, schlechte MedizinPikanterweise reagierte Transparency International in einem ähnlich gelagerten Fall diametral entgegengesetzt. Anfang 2020 ging es um ein eigenes Vorstandsmitglied, und die NGO, die sich angeblich weltweit für Transparenz und gegen Korruption einsetzt, handelte genauso, wie sie es der Cochrane Collaboration vorwarf. Im März 2020 erklärte deren Vorstand, sie lasse mit sofortiger Wirkung die Mitgliedschaft Wolfgang Wodargs vorläufig ruhen.[5] Damit verlor er seine Vorstandsfunktion und seine leitende Funktion in der Arbeitsgruppe Gesundheit. Begründung: »schlechtes Benehmen«; genauer gesagt, wie wörtlich erklärt wurde: »Für uns als Organisation ist es […] untragbar, wenn ein Vorstandsmitglied seine ›persönlichen‹, vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gestützten Thesen über Plattformen verbreitet, die den demokratischen Grundprinzipien von Transparency entgegenstehen.« Der Vorstand gab seine Absicht bekannt, ein unabhängiges Gremium zu beauftragen, das sich mit den Äußerungen Wodargs auf »zum Teil antidemokratischen und verschwörungstheoretischen Plattformen« befassen sollte. Mit anderen Worten: es gibt zwar das Grundrecht der Meinungsfreiheit, aber nicht im Rahmen der Organisation Transparency International, die sich für dieses Grundrecht einsetzt. Transparency International wird oder wurde übrigens, ebenso wie die Cochrane Collaboration, von der Bill & Melinda Gates Stiftung gefördert. [6]

So wie Gøtzsche war und ist auch Wodarg ein Kritiker der Pharmaindustrie, deren Tentakel alle Gesellschaftsbereiche durchdringen. Wie Gøtzsche kämpft auch Wodarg gegen die Profitinteressen einer Industrie, die behauptet, die Gesundheit der Menschen zu schützen, aber in Wahrheit an deren Krankheit verdient. Beide engagierten sich in NGOs, deren Ziel es ist, das Wohlergehen der Bürger gegen die gruppenegoistischen Ziele von Aktien- und Investmentgesellschaften zu verteidigen. Beide vertreten das Interesse der Öffentlichkeit gegen die dunklen Machenschaften am Rande der Kriminalität oder mitten in dieser operierender internationaler Unternehmen. (Ein Hinweis am Rande: dieser Vergleich impliziert keinerlei Urteile über die wissenschaftliche Urteilskraft oder die medizinische Expertise der verglichenen Personen, das tertium comparationis ist das Verhalten von Transparency International in bezug auf die Frage der Meinungsfreiheit. Und wer generell einen Vergleich zwischen Gøtzsche und Wodarg für abwegig hält, sollte diesen Blogartikel von Gøtzsche zur Kenntnis nehmen [deutsche Übersetzung])

In Gøtzsches Buch Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität wird unter anderem von einer Untersuchung des britischen Parlaments in den Jahren 2004 und 2005 berichtet. Dessen Gesundheitsausschuss kam zur Ansicht, die Pharmaindustrie übe einen »enormen, nicht hinnehmbaren Einfluss« auf die Gesellschaft aus.[7] »Die Abgeordneten«, schreibt Gøtzsche, »fanden eine Branche vor, die Ärzte, Wohlfahrtseinrichtungen, Patientengruppen, Journalisten und Politiker kauft und die bisweilen wenig oder unzulänglich überwacht wird. Zudem ist das Gesundheitsministerium nicht nur für die nationale Gesundheit zuständig, sondern auch für das Wohl der Pharmaindustrie. Aus dem Bericht des Ausschusses geht eindeutig hervor, dass es gut für alle wäre, den Einfluss der Industrie zu beschränken, auch für die Industrie selbst, die sich dann darauf konzentrieren könnte, neue Medikamente zu entwickeln, anstatt Ärzte, Patientengruppen und andere zu korrumpieren […] Besondere Sorgen machte dem Ausschuss die zunehmende Medikalisierung: der Glaube, jedes Problem verlange nach einer Tablette. […]

Trotzdem unternahm die Regierung nach diesem vernichtenden Urteil nichts, wahrscheinlich deshalb, weil die Pharmaindustrie nach dem Tourismus und der Finanzindustrie die drittprofitabelste Branche des Landes ist. Obwohl die britischen Politiker nun über den unerträglichen Einfluss der Pharmaindustrie auf die öffentliche Gesundheit informiert waren, erklärten sie, es gebe keinen unerträglichen Einfluss der Pharmaindustrie auf die öffentliche Gesundheit.«

In den USA gibt es ein Gesetz namens RICO, den Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act aus dem Jahr 1970, das die Grundlage für die Bekämpfung der Mafia und ähnlicher Organisationen darstellt. Das Gesetz versteht unter organisierter Kriminalität, dass bestimmte Straftaten von unter einander vernetzten Gruppen von Personen systematisch (wiederholt und planmäßig) begangen werden, darunter: Erpressung, Betrug, Drogenhandel, Unterschlagung, Behinderung der Justiz, Behinderung der Polizeibehörden, Beeinflussung von Zeugen, politische Korruption und anderes. »Die Pharmakonzerne«, so Gøtzsche, »begehen solche Straftaten andauernd; deshalb ist kein Zweifel daran möglich, dass ihr Geschäftsmodell die Kriterien für das organisierte Verbrechen erfüllt.«

Manche Leser mögen dieses Urteil für überzogen oder einseitig halten. Gøtzsche räumt natürlich ein, dass es viele anständige und ehrliche Leute in der Pharmaindustrie gibt, aber, so schreibt er auch, »diejenigen, die es an die Spitze schaffen, sind nach der Ansicht des Kriminologen John Braithwaite, der viele von ihnen interviewte, ›rücksichtslose Bastarde‹«. In den Vereinigten Staaten übertreffen die Pharmariesen alle anderen Branchen, was die Zahl der Straftaten anbelangt. Sie begehen mehr als dreimal so viele schwere oder mittelschwere Gesetzesverstöße wie andere Unternehmen, und dieser Rekord bleibt auch dann bestehen, wenn man die Unternehmensgröße berücksichtigt. Auch wenn es um internationale Bestechung und Korruption sowie kriminelle Fahrlässigkeit bei der Herstellung von Medikamenten geht, sind die Pharmariesen Rekordhalter.«[8]

Gøtzsche zitiert einen ehemaligen Marketingdirektor von Pfizer, der sich zum Informanten und Kronzeugen wandelte: »Es ist beängstigend, wie viele Ähnlichkeiten zwischen dieser Industrie und der Mafia bestehen. Die Mafia verdient obszön viel Geld, ebenso diese Industrie. Die Nebenwirkungen des organisierten Verbrechens sind Tötungen und Tote, genau wie in der Pharmaindustrie. Die Mafia besticht Politiker und andere, genau wie die Pharmaindustrie … Der Unterschied besteht darin, dass die Leute in der Pharmaindustrie – nun ja, ich würde sagen, 99 Prozent von ihnen – sich für gesetzestreue Bürger halten, nicht für Leute, die jemals eine Bank ausrauben würden … Doch wenn sie eine Gruppe bilden und Unternehmen leiten, scheint etwas mit ihnen zu geschehen … Ansonsten gute Bürger sind nun Teil eines Unternehmens. Es ist beinahe vergleichbar mit Kriegsverbrechen. Im Krieg tun die Menschen Dinge, die sie sich vorher nie zugetraut hätten. In einer Gruppe tun die Menschen Dinge, die sie sonst nicht tun würden. Die Gruppe versichert ihnen ja, dass sie richtig handeln.«[9]

Einige Beispiele aus den Jahren 2007 bis 2012[10]: Im Jahr 2007 bezahlte Merck Nordamerika 670 Millionen Dollar wegen Betruges, weil die Firma versäumt hatte, Medicaid und anderen staatlichen Gesundheitsprogrammen die ihnen zustehenden Rabatte einzuräumen. Sie hatte außerdem Ärzte bestochen, dass sie bestimmte Medikamente verschrieben. Die Schmiergelder an die Ärzte wurden als Honorare für Ausbildung, Konsultationen und Marktforschung getarnt.

2009 kam es zum damals größten Vergleich wegen Betrugs mit Medikamenten in der Geschichte der amerikanischen Justiz. Die Firma Pfizer erklärte sich bereit, 2,3 Milliarden Dollar Strafe zu bezahlen, weil sie Medikamente für nicht zugelassene Anwendungen verkauft hatte. Eine Milliarde zahlte Pfizer dafür, um nicht angeklagt zu werden. Auch hier ging es um Bestechung von Ärzten.

MammografieIm selben Jahr bezahlte Sanofi-Aventis wegen Betrugs 95 Millionen Dollar, weil das Unternehmen von Gesundheitsbehörden zu hohe Preise für Medikamente verlangt hatte. Der Betrug erstreckte sich auf die Jahre 1995 bis 2000.

Laut Gøtzsche beging die Firma Roche den »größten Diebstahl aller Zeiten«, ohne vor Gericht gebracht zu werden. Sie überredete Regierungen der USA und europäischer Länder Tamiflu im Wert von mehreren Milliarden Dollar zu kaufen, um sich auf den Grippewinter 2009 vorzubereiten. Damals ging es um die »Schweinegrippe«. Es gab und gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Tamiflu Grippekomplikationen verhindert oder die Ansteckungsgefahr verringert. Zudem hatte das Medikament erhebliche Nebenwirkungen, die in großem Ausmaß vertuscht wurden. Der Europarat warf den Regierungen, der WHO und EU-Behörden in einer von Wolfgang Wodarg veranlassten Untersuchung vor, riesige Geldsummen für ein überflüssiges Medikament vergeudet zu haben.

Ebenfalls 2009 zahlte Eli Lilly in einem Vergleich mit dem Justizministerium, bei dem es um ein Antipsychotikum ging, mehr als 1,4 Milliarden Dollar. Der Betrag setzte sich aus Schadenersatz, Strafen und Zahlungen an Informanten zusammen. Der Grund waren »unethische Verkaufspraktiken«.

Im Jahr 2010 bezahlte Novartis wegen der illegalen Vermarktung eines Medikamentes gegen Epilepsie 423 Millionen Dollar, um einer Anklage zu entgehen. Auch hier ging es um die Bestechung von Ärzten. Ebenfalls 2010 zahlte AstraZeneca wegen Betrugs 520 Millionen Dollar Strafe. Das Unternehmen hatte sein meistverkauftes Medikament für nicht zugelassene Anwendungen an Kindern, alten Menschen, Veteranen und Gefängnisinsassen angepriesen.

2011 bezahlte GlaxoSmithKline (GSK) im größten Vergleich der amerikanischen Geschichte wegen Arzneimittelbetrug 3 Milliarden Dollar. Auch hier ging es um nicht zugelassene Anwendungen, Bestechung von Ärzten, Behinderung der Justiz, das Verschweigen von Nebenwirkungen usw.

Schließlich entrichteten die beiden Unternehmen Johnson & Johnson und Abbott im Jahr 2012 Strafzahlungen in Höhe von 1,1 Milliarden, bzw. 1,5 Milliarden Dollar. Das erstere hatte die Risiken eines Antipsychotikums heruntergespielt und nicht zugelassene Anwendungen empfohlen. Das letztere ein Epilepsiemedikament illegal vertrieben.

Das sind nur die spektakulärsten Beispiele aus einem Zeitraum von 5 Jahren, die auch nur einen kleinen Teil dessen abdecken, was Gøtzsche der Pharmaindustrie vorwirft. Das Fatale ist: die scheinbar gigantischen Bussen kratzen die betroffenen Unternehmen nicht; sie betragen nur Bruchteile der mit den Medikamenten erzielten Umsätze.

Er fasst seine jahrelangen Untersuchungen für die Cochrane Collaboration im Satz zusammen: »In den Vereinigten Staaten und Europa sind Medikamente die dritthäufigste Todesursache nach Herzkrankheiten und Krebs.«[11]

Diese Aussage ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern beruht auf plausiblen Schätzungen: Diverse Studien zeigen, dass in den USA jährlich 100.000 Menschen an den Medikamenten sterben, die sie einnehmen, obwohl sie sie korrekt einnehmen. Weitere 100.000 sterben an Fehlern bei der Einnahme, z.B. zu hohen Dosen oder aufgrund der Missachtung von Kontraindikationen. Eine norwegische Studie kam zum Ergebnis, dass bei 9 Prozent der Patienten, die im Krankenhaus verstarben, die verabreichten Medikamente die unmittelbare Todesursache waren. Bei weiteren 9 Prozent waren sie die indirekte Todesursache. Da sich etwa ein Drittel aller Todesfälle in Krankenhäusern ereignen, entsprechen diese Zahlen 200.000 verstorbenen Amerikanern pro Jahr. Laut einer Schätzung der Europäischen Kommission sterben jährlich rund 200.000 EU-Bürger an Nebenwirkungen. Demgegenüber starben im Jahr 2010 600.000 Amerikaner an Herzkrankheiten, 575.000 an Krebs und 140.000 an chronischen Erkrankungen der unteren Atemwege. Damit stehen Medikamente und ihre Nebenwirkungen in den USA bei den Todesursachen an dritter Stelle, vor den Atemwegserkrankungen. Wahrscheinlich sterben aber noch weit mehr Menschen an solchen Nebenwirkungen, denn häufig werden Todesfälle aufgrund verschreibungspflichtiger Medikamente in Krankenhausakten oder durch die Rechtsmedizin nicht spezifiziert. (S. 386) Hinzu kommen Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Medikamenten. Dass Medizin tödlich sein kann, wird von Gøtzsche durch eine Fülle von Fallbeispielen dokumentiert. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei Nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) und Psychopharmaka wie Selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmern (SSRI) zuteil, die süchtig machen oder die Suizidneigung erhöhen.

Gøtzsche hält den medizinisch-pharmakologischen Komplex für zutiefst korrupt. Kein Teil dieses Systems ist von Korruption unberührt: Universitäten, Ärzte, Medizinforscher, Gesundheitsämter, Arzneimittelzulassungs- oder kontrollbehörden, Patientenverbände, wissenschaftliche Journale, Journalisten, sie alle sind einbezogen – nicht alle natürlich, aber in allen Bereichen entscheidende Einzelne, ja ganze Gruppen, große Teile von Fachärzteschaften zum Beispiel. »Wir brauchen radikale Veränderungen«, schreibt er. »Vor allem müssen wir unsere Gesellschaft von ihrer Medikamentenabhängigkeit befreien […] Wenn Sie ein Medikament nicht unbedingt benötigen, dann nehmen Sie es nicht. […] Es kommt selten vor, dass ein Medikament ein Leben rettet oder unser Leben erheblich verbessert. Die meisten Medikamente haben keinerlei positiven Wirkungen […] Die Pharmaindustrie steigert ihre Profite, indem sie Medikamente an Gesunde verkauft, die sie nicht brauchen. Diese Praxis breitet sich seit vielen Jahren wie ein Krebsgeschwür in der Gesellschaft aus. In Gang gehalten wird sie von organisiertem Verbrechen, wissenschaftlicher Unehrlichkeit, offenen Lügen und Bestechung. Dem müssen wir ein Ende machen.«[12] Zum Beispiel dadurch, dass Strafen für kriminelles Verhalten von Pharmafirmen massiv erhöht werden, so sehr, dass sie diese mit Bankrott bedrohen.

Wie diese Revolution im Einzelnen beschaffen sein könnte, beschreibt Gøtzsche in den beiden letzten Kapiteln seines Buches, die zahlreiche Reformvorschläge enthalten, die sich auf alle am medizinisch-industriellen Komplex beteiligten Interessengruppen beziehen. Es ist ein Buch, das es verdient, in unserer von Massenpsychosen heimgesuchten Gegenwart in Erinnerung gerufen und von all jenen gelesen zu werden, deren Aufmerksamkeit es bisher entgangen ist.

Weiterführende Hinweise:

Webseite von Peter C. Gøtzsche: https://www.deadlymedicines.dk/home/

Peter C. Gøtzsche: Death of a Whistleblower and Cochrane’s Moral Collapse (Video, youtube)

Der streitbare Wissenschaftler vertritt auch eine dezidierte Position zu Covid-19 (dasselbe in deutscher Übersetzung: Die Panik-Pandemie.)

MEZIS Stellungnahme zum Konflikt Cochrane / Peter Gøtzsche

Die andere Seite der Medaille: Eine Übersicht der Cochrane-Gøtzsche-Affäre, verfasst von Hilda Bastian, die Gøtzsche »Extremismus« vorwirft


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Anmerkungen:


  1. HPV = Human Papilloma Virus, dem nachgesagt wird, die Entstehung von Gebärmutterhalskrebs zu begünstigen, weswegen eine Reihe staatlicher Gesundheitsinstitutionen vorbeugende Impfungen gegen dieses Virus empfehlen.
  2. L. Jørgensen, P. C. Gøtzsche, T. Jefferson: The Cochrane HPV vaccine review was incomplete and ignored important evidence of bias. In: BMJ Evidence-Based Medicine. 23, 2018, S. 165–168, doi:10.1136/bmjebm-2018-111012
  3. John Ioannidis, Cochrane crisis: Screcy, intolerance and evidence-based values, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/eci.13058
  4. https://www.transparency.de/fileadmin/Redaktion/Aktuelles/2019/19-01-22_Erklaerung_Goetzsche_Transparency_Deutschland.pdf
  5. https://www.transparency.de/aktuelles/detail/article/in-eigener-sache-vorstand-beschliesst-ruhen-der-mitgliedschaft-von-wolfgang-wodarg-1/
  6. Transparency International bis 2009 mit 6,7 Millionen Dollar, https://www.gatesfoundation.org/How-We-Work/Quick-Links/Grants-Database/Grants/2008/07/OPP49401, die Cochrane Collaboration 2016 mit 1,16 Millionen https://www.gatesfoundation.org/How-We-Work/Quick-Links/Grants-Database#q/k=cochrane.
  7. Peter C. Gøtzsche, Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität, München 2019, S. 78 f.
  8. Ebd., S. 79 f.
  9. Ebd., S. 79 f.
  10. Ebd., S. 60 f.
  11. Ebd., S 27.
  12. Ebd., S. 388.

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Ein Kommentar

  1. Diesmal eine Buchbesprechung wieder mit offenen Angriffsflächen für Kritiker eines Kritikers; obendrein eindeutig tendenziös gegen hilfreiche Pharmakonzerne inklusive ihren zweifellos(?) Wohltaten für unsere Wohlstandsgesellschaft im Interesse wohligen Lebens von mehr oder weniger Wohlwollenden und weit darüber hinaus.
    “Der hartnäckige Herr Ravagli, er lässt beinahe “eigensinnig” nicht locker bezüglich einem Misstrauen gegenüber Geschehnissen mit Blick auf die Covid-19-Krise, und er schreibt diesbezüglich ausgerechnet in seinem ANTHROBLOG (“leider”) nicht gesalzen sondern “versalzen” zu Ungunsten von uns vorsichtig kritisch denkenden gut integrierten Bürgern.”
    Als interessierter Leser des ANTHROBLOGS hoffe ich sehr, dass grade die kritische, trotzdem kultivierte Haltung von Herrn Ravagli weiterhin verstanden wird als gute und brauchbare Informationsquelle. Der ANTHROBLOG wird ja besucht von einer mündigen Leserschaft mit dementsprechend geschärftem (eigenen) Urteilsvermögen.
    Es handelt sich auch beim obigen Beitrag um Fragen anregende Hinweise hier innerhalb global orientierten dominanten Pharmakonzernen, zusätzlich in ihren Vernetzungen.- Bezüglich diesen Produktionsfirmen zusammen mit gleichermaßen gewinnorientiertem Umfeld fühle ich persönlich reflexartig ebenfalls (nach meiner Meinung) berechtigtes Misstrauen besonders bei Verkaufsstrategien.- Existenzielle Angstnuancen (neben anderen hinderlichen Gefühlen) innerhalb vom Management und bei leitenden Wissenschaftlern können zu pervertiertem Handeln verführen gegenüber dem Verbraucher.
    Grade in seinen Verantwortungen sollte der Wissenschaftler idealer Weise keinem Druck ausgesetzt sein durch wirtschaftliche Zwangssituationen.

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