Der Inkarnation Ahrimans entgegen (4)

Zuletzt aktualisiert am 22. November 2020.

Der Inkarnation Ahrimans entgegen (4). – Der vierte in der Reihe der hier publizierten Vorträge wurde von Steiner am 15. November 1919 in Dornach gehalten (GA 191). Er gehört derselben Reihe wie der zweite vom 1. November dieses Jahres an. Auch er beschäftigt sich mit der künftigen Inkarnation Ahrimans im dritten Jahrtausend nach Christus und der Vorbereitung der Menschheit auf diese Inkarnation. Die Zwischenüberschriften stammen von mir.

Der Inkarnation Ahrimans entgegen

Rudolf Steiner: Entwurf des Titels für die Zeitschrift »Soziale Zukunft«, Organ des Schweizer Bundes für Soziale Dreigliederung ab Juli 1919. Verantwortliche Redakteure: Rudolf Steiner und Roman Boos.

Der Vortrag fügt zu den bisherigen einige zusätzliche Aspekte hinzu. Er schildert, welche Errungenschaften die Menschheit der Auseinandersetzung mit der vergangenen, luziferischen Inspiration verdankt (Sprechen und Denken) und lässt erwarten, dass aus dem aktiven Ringen mit der ahrimanischen Versuchung wertvolle neue Fähigkeiten entstehen, die spiritueller Natur sind. Zentral ist dabei, wie aus anderen Darstellungen Steiners hervorgeht, die Erkenntnis des Bösen.

Anschaulich wird die luziferische Tendenz im Denken (Generalisierung, Abstraktion) im Unterschied zur ahrimanischen (Vereinzelung, Konkretion) geschildert. Im äußersten Extrem kann die durch letztere induzierte Auflösung von Zusammenhang zur Persönlichkeitsspaltung führen. Eindrucksvoll fasst Steiner diese Tendenz ins Bild eines mit sich selbst verfeindeten Menschen, bei dem die rechte Hälfte mit der linken im Krieg liegt.

Daraus, dass sich die Menschheit dem geistigen Einfluss Ahrimans widerstandslos ergibt, könnte sich eine »ahrimanische Spiritualität« ergeben. Von der Gründung einer »Geheimschule« ist die Rede, in der die Menschen durch »grandioseste Zauberkünste« zur Hellsicht geführt würden. Solche Zauberkünste müssten jedoch zur vollständigen Atomisierung und zum Kulturverlust, letztlich zum Ende der Menschheit führen, wie wir sie kennen.

Die heilende spirituelle Weisheit der Zukunft muss Ahriman abgerungen werden. Bei diesem Ringen kann das Erlebnis auftreten, als würde die Luft um den Menschen herum »zu Granit erstarren«. Es sei hierzu an eine Passage aus Max Webers 1904–1905 erschienenem Essay »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus« erinnert:

»Der Puritaner wollte Berufsmensch sein, – wir müssen es sein. Denn indem die Askese aus den Mönchszellen heraus in das Berufsleben übertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann, half sie an ihrem Teile mit daran, jenen mächtigen Kosmos der modernen, an die technischen und ökonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschineller Produktion gebundenen, Wirtschaftsordnung erbauen, der heute den Lebensstil aller Einzelnen, die in dieses Triebwerk hineingeboren werden – nicht nur der direkt ökonomischen Erwerbstätigen –, mit überwältigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird, bis der letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist. Nur wie ›ein dünner Mantel, den man jederzeit abwerfen könnte‹, sollte nach Baxters Ansicht[1] die Sorge um die äußeren Güter um die Schultern seiner Heiligen liegen. Aber aus dem Mantel ließ das Verhängnis ein stahlhartes Gehäuse werden. Indem die Askese die Welt umzubauen und in der Welt sich auszuwirken unternahm, gewannen die äußeren Güter dieser Welt zunehmende und schließlich unentrinnbare Macht über den Menschen, wie niemals zuvor in der Geschichte. Heute ist ihr Geist – ob endgültig, wer weiß es? – aus diesem Gehäuse entwichen. Der siegreiche Kapitalismus jedenfalls bedarf, seit er auf mechanischer Grundlage ruht, dieser Stütze nicht mehr. Auch die rosige Stimmung ihrer lachenden Erbin: der Aufklärung, scheint endgültig im Verbleichen, und als ein Gespenst ehemals religiöser Glaubensinhalte geht der Gedanke der ›Berufspflicht‹ in unserm Leben um. Wo die ›Berufserfüllung‹ nicht direkt zu den höchsten geistigen Kulturwerten in Beziehung gesetzt werden kann – oder wo nicht umgekehrt sie auch subjektiv einfach als ökonomischer Zwang empfunden werden muss –, da verzichtet der Einzelne heute meist auf ihre Ausdeutung überhaupt. Auf dem Gebiet seiner höchsten Entfesselung, in den Vereinigten Staaten, neigt das seines metaphysischen [1920: religiös-ethischen] Sinnes entkleidete Erwerbsstreben heute dazu, sich mit rein agonalen Leidenschaften zu assoziieren, die ihm nicht selten geradezu den Charakter des Sports aufprägen.

Niemand weiß noch, wer künftig in jenem Gehäuse wohnen wird und ob am Ende dieser ungeheuren Entwicklung ganz neue Propheten oder eine mächtige Wiedergeburt alter Gedanken und Ideale stehen werden, oder aber – wenn keins von beiden – ›chinesische‹ [1920: mechanisierte] Versteinerung, mit einer Art von krampfhaftem Sich-wichtig-nehmen verbrämt. Dann allerdings könnte für die ›letzten Menschen‹ dieser Kulturentwicklung das Wort zur Wahrheit werden: ›Fachmenschen ohne Geist, Genussmenschen ohne Herz: dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben‹.«[2]

Die mit der Heraufkunft Ahrimans einhergehende Gefahr ruft zur geistigen Aktivität auf: laut Steiner geht es darum, »die Erdenkultur für Christus zu retten«.

Mir den hier veröffentlichten vier Vorträgen aus dem Jahr 1919 ist die Phänomenologie des Ahrimanischen nicht erschöpft. Bereits im Herbst 1917 hat Steiner eine Reihe von Vorträgen gehalten, die andere, noch tiefgründigere Aspekte dieser Phänomenologie berühren. Sie sind in den Bänden 177 und 178 der Gesamtausgabe enthalten.[3]


Gestern [d.h. am 14. November][4] habe ich Sie darauf aufmerksam gemacht, wie eine Art von Urwissen, von Urweisheit im Besitze der menschlichen Seele war, und wie diese Urweisheit bis in unsere Zeiten herein gewissermaßen versickert ist, nach und nach aufgebraucht worden ist, so dass die Menschen über die zivilisierte Erde hin mit ihrem Wissen, mit ihrer Erkenntnis mehr und mehr sich angewiesen fühlen auf dasjenige, was ihnen wird aus dem physischen Dasein heraus. Unter Wissen und Erkenntnis verstehe ich hier nicht bloß das, was »Wissenschaft« ist, sondern das, was im Bewusstsein in den Seelen auch für das gewöhnliche Leben vorhanden ist.

Urwissen der Menschheit

Nun entsteht ja auf dem Boden der Geisteswissenschaft natürlich zunächst die Frage: Wie ist denn eigentlich dieses Urwissen der Menschheit zustande gekommen?

Da muss ich von neuen Gesichtspunkten aus auf Dinge hinweisen, die wir ja von anderer Seite her schon mannigfaltig besprochen haben.

Blicken wir zurück zu dem Zeitpunkt, da der Mensch anfing, eigentlicher Erdenbürger zu werden, da der Mensch herabstieg seinem geistig-seelischen Wesen nach auf die eigentliche Erde, sich umkleidete mit den Kräften der Erde und irdisches Wesen in irdischer Sphäre wurde.

Wenn alles nur so gewesen wäre, dass der Mensch mit den Vorbedingungen, die in seinem eigenen Wesen lagen, auf die Erde herabgestiegen wäre, so würde die Menschheit sich ganz anders entwickeln müssen, als sie sich in Wirklichkeit durch die verschiedenen Kulturepochen hindurch entwickelt hat. Die Menschen hätten schon damals ausgehen müssen von einer gewissen Beziehung zur Umwelt. Sie hätten sich erwerben müssen aus, ich möchte nicht gerade sagen, hellseherischen, aber etwas hellseherischen Instinkten heraus, Erdenerkenntnis. Diese Erdenerkenntnis hätten sie sich sehr langsam erwerben können.

Sie würden lange Zeit ungeschickte, kindliche Wesen geblieben sein. Sie würden sich allerdings bis in unsere Zeit herein heraufgearbeitet haben bis zu einer gewissen menschheitlichen Seelen- und Leibes-Verfassung, aber sie würden keineswegs zu derjenigen geistigen Höhe gekommen sein, zu der sie gekommen sind. Dass sie sich anders als durch die verschiedenen Kindheitsstufen hindurch entwickeln konnten, das ist dem Umstande zu verdanken, dass in die Erdenentwickelung hinein sich verflochten haben diejenigen Wesenheiten, die wir immer genannt haben die luziferischen Wesenheiten.

Jetzt, seit neuerer Zeit wissen wir ja auch, dass eine Luziferindividualität selbst sich in einem gewissen Zeitpunkt der vorchristlichen Zeitrechnung in Asien inkarniert hat, und dass von dieser luziferischen Wesenheit die heidnische Urweisheit, namentlich diejenige, die noch zu bemerken ist auf dem Boden der historischen Tatsachen, ausgegangen ist. Aber im Spiel, möchte ich sagen, der Menschheitsentwickelung waren immer die luziferischen Wesenheiten dabei.

Warnung vor Missverständnissen

Nun möchte ich Sie ganz ernstlich bitten – obwohl ich weiß, wie wenig solche Bitten eigentlich nützen –, wenn von luziferischer Wesenheit gesprochen wird, nicht an dieses Denken über luziferische Wesenheit mit voller Spießigkeit, mit voller Philistrosität heranzutreten. Denn es herrscht heute noch vielfach auch unter denjenigen, die sich zur anthroposophischen Bewegung bekennen, die Neigung, zu sagen – ich habe öfter von dieser Neigung gesprochen –: Ja, das ist ja luziferisch, um Gottes willen, nur nicht dem sich nahen, nur das ja von sich weisen!

Es handelt sich darum, dass alle diese Dinge von den verschiedensten Gesichtspunkten aus beurteilt werden müssen, und dass streng ins Auge zu fassen ist, dass eben die ganze heidnische Urweisheit von luziferischer Quelle ausgegangen ist. Aber es muss studiert werden, wie das eigentlich sich vollzogen hat.

Die luziferischen Urlehrer der Menschheit

Und je weiter wir zurückgehen in der Menschheitsentwickelung, desto mehr finden wir gewisse Menschen, die durch ihre in ihren Reinkarnationen gelegenen Vorbedingungen dazu reif waren, sich bekanntzumachen mit denjenigen Weistümern, die im Besitze der luziferischen Wesenheiten sind. Wir sprechen ja zum Beispiel von den sieben heiligen Rishis der Inder. So wie der Inder selbst immer, wenn er aus seiner Weisheit heraus gesprochen hat, aufgefasst hat die Weisheit der sieben heiligen Rishis, wusste er, insofern er ein Eingeweihter war in diese Dinge, dass die eigentlichen Lehrer der Rishis luziferische Wesenheiten waren.

Denn dasjenige, was die luziferischen Wesenheiten in die Erdenentwickelung mitgebracht haben, in die sie, wie gesagt, sich hineinverflochten haben, das ist vor allen Dingen alles dasjenige, was die die menschliche Kultur durchsetzende Gedankenwelt, die intellektualistische Gedankenwelt, die im besten Sinne des Wortes vernünftige Welt, die Weisheitswelt, immer war. Gerade wenn man an den Menschheitsursprung zurückgeht, dann findet man, dass die Quellen für die heidnischen Weistümer immer in luziferischen Wesenheiten zu suchen sind.

Man kann fragen: Ja, wie ist denn so etwas eigentlich möglich? – Da muss man sich klar darüber sein, dass ja der Mensch eben hätte kindlich bleiben müssen, wenn er nicht fortdauernd den aus den Mysterien heraus kommenden Unterricht von allerlei luziferischen Wesenheiten hätte bekommen können. Das Wesentliche ist, dass diejenigen, die zum Fortschritt, zur Heranbildung der Menschheit das nötige Wissen, die nötige Weisheit haben mussten, eben die Erb- und Urweisheit, sich nicht wie ein moderner Philister scheuten, diese Weisheit zu empfangen vom luziferischen Elemente, sondern dass sie auch alles das auf sich nahmen, was der Mensch auf sich nehmen muss, wenn er solchen Unterricht aus Geistessphären von luziferischen Wesenheiten erhält. Da musste der Mensch vor allen Dingen auf sich nehmen – man könnte es Verpflichtung nennen, obwohl natürlich solche Worte nicht immer ganz genau das Wesen der Sache ausdrücken können – diese luziferische Weisheit, die ja Weltenweisheit ist.

Der Unterschied zwischen der guten Weisheit und der luziferischen Weisheit besteht ja darin, dass die gute Weisheit in anderen Händen ist, und die luziferische Weisheit, die inhaltlich dieselbe ist, in luziferischen Händen; der Inhalt ist ganz derselbe. Das ist dasjenige, um was es sich handelt.

Es handelt sich nicht darum, dass es eine Weisheit gibt, die man sich so hübsch in seine Seelenkammer einpökeln kann, damit man dann dadurch ein guter Mensch wird, sondern es handelt sich darum, dass die Weisheit zwar eine einheitliche ist in der Welt, dass der Unterschied nur der ist, dass sie zum Beispiel in den Händen der weisen Menschen, die sie gut verwalten, oder in den Händen der Angeloi, Archangeloi und so weiter, oder aber in den Händen Luzifers sein kann. Von anderer Seite her war in den alten Zeiten für den Menschheitsfortschritt die Weisheit nicht zu erlangen. So mussten die Eingeweihten der alten Zeiten sie aus den luziferischen Händen entgegennehmen, und sie mussten eben die Verpflichtung eingehen, nicht den anderen Aspirationen der luziferischen Wesenheiten zu verfallen.

Es war die Absicht Luzifers, die Weisheit der Menschheit zu überliefern, um sie dadurch dazu zu bringen, den Weg der Erdenentwickelung nicht auf sich zu nehmen, sondern die Bahn der Entwickelung in einer überirdischen Sphäre, in einer der Erde entrückten Sphäre durchzumachen. Also wenn ich schematisch zeichnen soll, so möchte ich sagen: Wenn dies die Erdoberfläche ist (siehe Skizze, weiß), so hätte der Mensch auf der Erdoberfläche diesen Weg durchzumachen (rot), wenn er hier die Erde betritt.

Der Inkarnation Ahrimans entgegen

Skizze

Die luziferischen Wesenheiten impfen dem Menschen ihre Weisheit ein, aber sie wollen, dass er dadurch von der Erde abzweigt und nicht die Erdenentwickelung durchmacht (siehe Skizze, oberste Linie). Die Erde will Luzifer ihrem Schicksal überlassen, von den Menschen unbevölkert sein lassen; er will die Menschheit für ein besonderes, dem Christus-Reiche fremdes Reich gewinnen.

Sprechen und Denken verdanken wir Luzifer

Die Weisen der alten Zeiten, die die Urweisheit aus Luzifers Händen empfangen haben, die mussten also die Verpflichtung übernehmen, nicht dem Luzifer nachzugeben, sondern seine Weisheit zu empfangen, aber sie im Dienste der Erdenentwickelung zu gebrauchen. Das ist es, was im Wesentlichen durch die Mysterien der vorchristlichen Zeiten ja auch geleistet worden ist. Und wenn man fragt, was eigentlich die Menschheit bekommen hat durch diese Mysterien der vorchristlichen Zeiten, durch den Einfluss der luziferischen Wesenheiten, die zuerst, also noch in der nachatlantischen Zeit, inspirierten gewisse Persönlichkeiten, die Rishis der Inder, und dann selbst ihren Sendboten auf die Erde schickten, wie ich Ihnen angedeutet habe, so ist es alles dasjenige, was die Menschen aufgebracht haben seit ihrer Entwickelung an Fähigkeit des Sprechens und an Fähigkeit des Denkens. Denn Sprechen und Denken sind ursprünglich durchaus luziferischer Natur, nur dass diese Künste gewissermaßen dem Luzifer entlistet worden sind von den Weisen der Urzeit. Wenn Sie Luzifer fliehen wollen, dann müssen Sie sich entschließen, in der Zukunft stumm zu sein und nicht zu denken!

Diese Dinge gehören eben zu jener Initiationswissenschaft, die nach und nach die Menschheit erfahren muss, trotzdem die jahrhundertealte Philistererziehung der zivilisierten Welt die Menschen zurückbeben lässt vor diesen Wahrheiten. Man hat ja so lange dieses karikierte Abbild von Luzifer und Ahriman, das der mittelalterliche Teufel zugleich ist, den Menschen vorgehalten. Man hat die Menschen so lange in einer philisterhaften Atmosphäre aufwachsen lassen, dass sie diese Weistümer, die aber mit der Entwickelung der Menschheit innig zusammenhängen, heute immer noch eigentlich nur mit Schaudern aufnehmen, denn es ist ja den Menschen so furchtbar angenehm, wenn sie sagen können: Vor dem Teufel hüte ich mich, dem Christus gebe ich mich gefangen in kindlicher Einfalt, dann werde ich selig, dann bin ich mit meiner Seele unter allen Umständen gerettet.

So leicht in seinen Untergründen ist das Menschenleben eben nicht. Es handelt sich durchaus darum, dass für die Zukunft der Menschheitsentwickelung diese Dinge, von denen wir jetzt reden, der Menschheit nicht vorenthalten werden dürfen. Denn es muss gewusst werden, dass gerade die Kunst des Sprechens und die Kunst des Denkens etwas ist, was in diese Erdenentwickelung nur hat hereinkommen können dadurch, dass der Mensch es auf dem Umwege durch die luziferische Vermittlung erhalten hat.

Luzifer: Vereinheitlichung; Ahriman: Differenzierung

Ich möchte sagen: Sie können heute noch Ihrem Denken das luziferische Element anmerken. Über die Sprachen, die ja seit langem differenziert der Erde angepasst sind, ist Ahriman bereits hergefallen, der die Differenzierung bewirkt hat, der die einheitliche Sprache in die differenzierte Erdensprache heruntergebildet hat. Während Luzifer immer die Tendenz der Vereinheitlichung hat, ist das ahrimanische Prinzip von der Tendenz durchdrungen, zu differenzieren. Wie wäre denn das Denken, wenn es nicht luziferisch wäre?

Ja, sehen Sie, wenn das Denken nicht luziferisch wäre, dann würden die meisten Menschen der Erde, alle diejenigen, die nicht luziferisch denken, so denken, wie einer derjenigen Menschen, der am wenigsten luziferisch dachte; das ist Goethe. Goethe gehört zu denjenigen Menschen, die am wenigsten luziferisch dachten, die in einer gewissen Beziehung darauf ausgingen, den luziferischen Mächten kühn ins Angesicht zu schauen.

Das aber macht notwendig, sich möglichst ans konkrete Einzelne zu halten. In dem Augenblick, wo man generalisiert, wo man vereinheitlicht, naht man sich schon dem luziferischen Denken. Wenn Sie jeden einzelnen Menschen, jedes einzelne Tier, jede einzelne Pflanze, jeden einzelnen Stein für sich betrachten würden, mit Ihrem Denken nur das einzelne Objekt ins Auge fassen würden, nicht Gattungen und Arten bilden würden, nicht generalisieren würden, nicht vereinheitlichen würden im Denken, dann würden Sie allerdings wenig von luziferischem Denken aufnehmen. Aber wer das schon als Kind machen würde, würde ja heute in allen Schulen gleich in der ersten Klasse durchfallen! Darum kann es sich also gar nicht handeln.

Es geht heute darum, einzusehen, dass das allgemeine Denken, dasjenige Denken, das insbesondere im heidnischen Wesen heimisch war, nach und nach überhaupt versiegt. Die Menschen sind nicht mehr so veranlagt, dass dieses luziferische Element der Vereinheitlichung ihnen viel Nutzen stiften kann auf der Erde. Dafür sorgt eben der Umstand, dass die gottgeschaffene menschliche Natur allmählich nachgekommen ist in der Entwickelung, mit der Erde, mit dem Irdischen verwandt geworden ist. Dadurch, dass der Mensch mit dem Irdischen verwandt geworden ist, dadurch ist er heute weniger verwandt – schon durch sein Naturell selber – mit dem luziferischen Element, das ihn eigentlich von der Erde abbringen will.

Volkschauvinismus, Spaltung, Identitätspolitik

Aber es wäre schlimm, wenn der Mensch nur von dem luziferischen Elemente abkommen würde und nichts anderes an die Stelle treten würde. Es wäre sehr, sehr schlimm. Denn dann würde der Mensch ganz mit der Erde, das heißt mit dem einzelnen Erdenterritorium, auf dem er geboren wird, zusammenwachsen. Er würde sich in seiner Kultur vollständig spezifizieren, vollständig differenzieren. Wir sehen ja heute diese Tendenz sich herausentwickeln.

Besonders veranlagt war die Sache schon seit dem Beginne des 19.Jahrhunderts; aber wir sehen heute, wie aus der Weltkriegskatastrophe die Tendenz sich herausentwickelt, sich in immer kleinere und kleinere Gruppen zu spalten.

Der Volkschauvinismus nimmt immer mehr und mehr überhand, bis er dazu führen wird, dass sich die Menschen in immer kleinere und kleinere Gruppen spalten, so dass schließlich die Gruppe zuletzt nur einen einzelnen Menschen umfassen könnte.

Dann könnte es dahin kommen, dass die einzelnen Menschen auch in einen linken und rechten sich spalten würden, und in einen Krieg mit sich selbst kommen könnten, wo sich der rechte Mensch mit dem linken in den Haaren liegt.

Viele Anlagen dazu zeigen sich ja auch heute schon in der Entwickelung der Menschheit.

Dem muss eben das Gegengewicht geschaffen werden. Und dieses Gegengewicht kann nur geschaffen werden dadurch, dass ebenso wie eine Urweisheit die heidnische Kultur durchdrang und durchsetzte, auch eine neue Weisheit, doch nun aus freiem Menschenwillen heraus, errungen wird, eine neue Weisheit der Erdenkultur überliefert werden wird. Diese neue Weisheit muss wiederum eine Initiationsweisheit sein. Diese neue Weisheit muss wiederum über das hinausgehen, was nur im Einzelnen gewonnen werden kann.

Mögliche Zukunft: Ahrimanisierung der Menschheitskultur

Und hier kommen wir zu jenem Kapitel, das auch dem heutigen Menschen nicht vorenthalten werden darf. Wenn der Mensch gegen die Zukunft hin nichts tun würde, um eine neue Weisheit selbst zu erringen, dann würden in unterbewussten Tiefen der Menschennatur die Dinge vorgehen, die ich Ihnen ja zum Teil schon geschildert habe, nämlich die Ahrimanisierung der ganzen Menschheitskultur. Die Menschheitskultur würde ahrimanisiert werden, und es würde dann jener Inkarnation des Ahriman, von der ich Ihnen gesprochen habe, ein leichtes sein, mit ihrem eigenen Wesen die Erdenkultur zu durchdringen. Deshalb muss eben vorgebaut werden in Bezug auf alle die Strömungen, die die ahrimanische Kultur fördern.

Was würde nun aber eintreten, wenn zum Beispiel die Menschen so blieben, wie sie heute gute Neigung haben zu sein, wenn sie also die zu Ahriman hinführenden Strömungen nicht in der Weise auffassen, durchschauen und dadurch in das richtige Geleise führen würden, wie wir das neulich besprochen haben? Dann würde eben, sobald Ahriman in dem bestimmten Zeitpunkte sich in der westlichen Welt inkarniert, die Menschheitskultur ganz ahrimanisiert werden.

Was würde Ahriman bringen? Ahriman würde den Menschen durch die grandiosesten Künste alles dasjenige bringen, was bis dahin nur mit großer Mühe und Anstrengung erworben werden kann an hellseherischem Wissen, wie es hier gemeint ist. Denken Sie sich, wie unendlich bequem das sein würde! Die Menschen würden gar nichts zu tun brauchen. Sie würden materialistisch hinleben können, sie würden essen und trinken können, so viel eben nach der Kriegskatastrophe da ist, und würden sich nicht zu kümmern brauchen um irgendein Geistesstreben. Die Ahrimanströmungen würden ihren »schönen, guten« Verlauf nehmen.

Grandiose Zauberschule, Versinken in Subjektivität durch Hellsicht

Wenn im richtigen Zeitpunkt Ahriman in der westlichen Welt inkarniert wird, würde er eine große Geheimschule gründen, in dieser Geheimschule würden die grandiosesten Zauberkünste getrieben werden, und über die Menschheit würde ausgegossen werden alles dasjenige, was sonst nur mit Mühe zu erwerben ist.

Man darf sich wiederum nicht philiströs vorstellen, dass Ahriman, wenn er herunterkommt, eine Art von »Krampus« ist, der den Menschen allen möglichen Schabernack antut. O nein, alle die Bequemlinge, die heute sagen: Wir wollen nichts von Geisteswissenschaft wissen –, die würden seinem Zauber verfallen, denn er würde in grandiosester Weise die Menschen in großen Mengen durch Zauberkünste zu Hellsehern machen können. Nur würde er allerdings die Menschen so zu Hellsehern machen, dass der einzelne Mensch furchtbar hellsichtig würde, aber ganz differenziert: Dasjenige, was der eine sehen würde, würde der andere nicht sehen, nicht ein dritter.

Die Menschen würden alle durcheinanderkommen, und trotzdem sie ein Fundament von hellseherischer Weisheit empfangen würden, würden sie nur in Streit und Hader kommen können, denn die Gesichte der verschiedenen Menschen wären die verschiedensten. Schließlich aber würden die Menschen mit ihren Gesichten sehr zufrieden sein, denn sie würden ja ein jeder in die geistige Welt hineinsehen können.

Die Folge davon würde aber wiederum sein, dass alles, was Erdenkultur ist, dem Ahriman verfiele! Die Menschheit würde dem Ahriman verfallen, einfach dadurch, dass sie sich nicht selbst angeeignet hat, was ihr dann Ahriman geben würde. Das wäre der allerschlechteste Rat, den man den Menschen geben könnte, wenn man ihnen sagte: Bleibt nur, wie ihr seid! Ahriman wird euch ja alle hellsehend machen, wenn ihr es wollt. Und ihr werdet es wollen, denn Ahriman wird eine große Macht haben!

Aber die Folge davon würde sein, dass auf der Erde das Ahrimanreich errichtet würde, dass die ganze Erde verahrimanisiert würde, dass da gewissermaßen zugrunde gehen würde, was bisher von der Menschenkultur erarbeitet worden ist. Erfüllen würde sich alles dasjenige, was im Grunde in unbewusster Tendenz die gegenwärtige Menschheit ja eigentlich heillos will.

Es handelt sich darum, ob Ahriman das Buch hat oder Christus

Dasjenige, um was es sich handelt, ist nun dieses: Gerade diejenige Zukunftsweisheit, die hellsichtiger Art ist, diese Zukunftsweisheit, die muss wiederum dem Ahriman abgenommen werden. Man kann sagen: Es ist nur ein Buch, nicht zwei Weisheiten – ein Buch.

Es handelt sich nur darum, ob Ahriman das Buch hat oder Christus. Christus kann es nicht haben, ohne dass die Menschheit dafür kämpft. Und die Menschheit kann nur dadurch dafür kämpfen, dass sie sich sagt, sie müsse bis zu demjenigen Zeitpunkte, in dem Ahriman auf der Erde erscheint, durch eigene Anstrengung diesen Inhalt der geistigen Wissenschaft errungen haben.

Sehen Sie, das ist die kosmische Arbeit der Geisteswissenschaft. Die kosmische Arbeit der Geisteswissenschaft besteht ja darinnen, dass das Wissen der Zukunft nicht ahrimanisch werde beziehungsweise bleibe.

Es ist eine gute Methode, dem Ahriman in die Hände zu arbeiten, wenn man von der Bekenntnisreligion alles, was Wissen ist, ausschließt, wenn man immer wieder und wiederum betont, nur der schlichte Glaube mache alles. Wenn man bei diesem schlichten Glauben stehenbleibt, dann verdammt man sich eben in die Seelendumpfheit und Seelenstumpfheit, und dann dringt nicht die Weisheit herein, die dem Ahriman gewissermaßen abgenommen werden soll. Also es handelt sich nicht darum, dass die Menschheit einfach die Zukunftsweisheit empfange, sondern darum, dass die Menschheit diese Zukunftsweisheit sich erarbeite, und dass diejenigen, die sie erarbeiten, die Verpflichtung übernehmen, die Erdenkultur zu retten; die Erdenkultur für Christus zu retten, so wie die alten Rishis und Eingeweihten die Verpflichtung übernommen hatten, nicht nachzugeben dem Ansinnen Luzifers, die Menschheit von der Erde hinwegzuführen.

Spirituelle Weisheit muss Ahriman abgerungen werden

Was ist denn nun eigentlich das zunächst für das menschliche Empfinden Wesentliche dieser Sache? Das Wesentliche dieser Sache ist, dass auch für die Zukunftsweisheit ein ähnlicher Kampf notwendig ist, wie er geleistet werden musste von den uralten Eingeweihten, die den Menschen die Sprache und die Fähigkeit zu denken vermittelt haben, wie er geleistet werden musste gegen Luzifer.

Wie diese Initiierten der Urweisheit dem Luzifer dasjenige abringen mussten, was menschlicher Verstand geworden ist, so muss dasjenige, was Einsicht in das innere Wesen der Dinge in der Zukunft sein soll, abgerungen werden den ahrimanischen Mächten. Diese Dinge spielen stark zwischen den Zeilen des Lebens, und sie spielen schon auch in das Leben herein.

Ich las neulich eine Aufzeichnung, die ein Freund der anthroposophischen Bewegung kurz vor seinem Tode geschrieben hat. Er ist im Kriege verwundet worden und hat noch längere Zeit im Lazarett gelegen, wo er während der Operationen, die an ihm vorgenommen worden sind, manche Einblicke in die geistige Welt gewonnen hat. Die letzten Zeilen aber, die er hinterlassen hat, enthalten eine merkwürdige Stelle.

Sie enthalten eine Schauung, in welcher er schildert, was er kurz vor dem Tode erlebt hat. Und zum letzten, was er erlebt hat, gehört, dass ihm alles dasjenige, was sich wie der Luftkreis ausbreitet um ihn herum, wie er sich ausdrückt, »graniten« wird, ganz dicht, steinern wird; graniten wird, wie schwerer Granit sich auf die Seele legt.

Solch einen Eindruck muss man verstehen. Und man kann ihn verstehen, wenn man weiß, dass zu kämpfen ist um dasjenige, was Zukunftsweisheit ist; denn die ahrimanischen Mächte lassen sich diese Zukunftsweisheit nicht so ohne weiteres entringen.

Man darf nicht glauben, dass man in wollüstigen Visionen Weisheit erhoffen kann. Wirkliche Weisheit muss, wie ich neulich auch im öffentlichen Vortrage sagte, »in Leiden erworben werden«. Und von jenen Leiden ist das, was ich Ihnen eben von einem Sterbenden mitgeteilt habe, eigentlich ein recht gutes Bild.

Denn in dem Ringen um die Zukunftsweisheit ist eines der häufigsten Erlebnisse gerade dieses, dass die Welt um einen herum drückt, wie wenn die Luft plötzlich zu Granit erstarren würde.

Man kann wissen, warum diese Dinge so sind. Man braucht ja nur zu bedenken, dass es das Bestreben der ahrimanischen Mächte ist, die Erde zum völligen Erstarren zu bringen. Sie würden ihr Spiel gewonnen haben, sobald es ihnen gelungen wäre, alles dasjenige, was Erde, Wasser, Luft ist, zum völligen Erstarren gebracht zu haben.

Dann würde die Erde sich nicht wiederum zurückentwickeln können zu jener Wärme, aus der sie sich seit der Saturnzeit her entwickelt hat. Diese Wärme soll sie ja wiederum erreichen in der Vulkanzeit. Das zu verhindern, ist das Streben der ahrimanischen Mächte. Und eine wichtige Entscheidung läge schon darin, wenn in der Gegenwart die Menschenseelen etwa nicht erglühen könnten für das, was der geistige Inhalt der Geisteswissenschaft ist. Denn der erste Anstoß zum Erstarren der Erde würde dann gegeben werden von menschlichen Seelen, von der Lässigkeit und Faulheit und Bequemlichkeit der menschlichen Seelen.

Wenn Sie bedenken, dass in diesem Erstarren das eigentliche Ziel der ahrimanischen Mächte liegt, dann wird es Ihnen nicht auffällig sein, dass jenes Zusammenpressen, jenes Granitenwerden des Lebens zu den Erlebnissen gehört, die im Kampfe um die Zukunftsweisheit durchgemacht werden müssen.

Vom Begreifen zum Schauen

Bedenken Sie doch nur, dass die Menschen sich vorbereiten können in der Gegenwart, hineinzuschauen in die geistige Welt, indem sie zunächst durch ihren gesunden Menschenverstand auffassen dasjenige, was Geisteswissenschaft bringen will. Die Anstrengung, die dem Studium dargebracht wird, das durch den gesunden Menschenverstand sich leiten lässt, das kann etwas sein von dem Ringen, das dann hineinführt in das Empfangen von Schauungen aus der geistigen Welt.

Da wird eben manches überwunden werden müssen. Für die heutigen Menschen wird ja die Sache auch zunächst nur deshalb so schwer, weil sie, wenn sie die Geisteswissenschaft verstehen wollen, gegen ihre eigenen granitenen Schädel kämpfen müssen. Wenn nicht diese granitene Härte des eigenen menschlichen Schädels vorhanden wäre, würde ja Geisteswissenschaft viel mehr angenommen werden in der Gegenwart. Viel gescheiter als alles philiströse Perhorreszieren der ahrimanischen Mächte wäre ein solches Bekämpfen des Ahriman, das allerdings nicht philiströs sein kann, und das in einem aufrichtigen, ehrlichen Studium geisteswissenschaftlicher Inhalte besteht. Dann würde nach und nach von den Menschen geistig dasjenige erschaut und empfunden werden, was sonst physisch über die Erde hereintreten muss: Die Erstarrung, das Granitenwerden.

Notwendigkeit des Widerstands

So muss hingewiesen werden darauf, dass es wirklich tief wahr ist, dass die Zukunftsweisheit nur errungen werden kann unter Entbehrungen, Leiden und Schmerzen, dass sie aber zum Heile der Menschheitsentwickelung errungen werden muss im Ertragen der entsprechenden körperlichen und seelischen Leiden. Daher sollte jeder eigentlich das sich zum Grundsatze machen, dass das In-Leiden-Erringen der Weisheit ihn niemals abhalten sollte von dem Verfolgen dieser Weisheit.

Was die Menschheit für das äußere Leben braucht, das ist, dass in Zukunft die Gefahr der Erdenerstarrung, des Frostigwerdens, das zuerst in der moralischen Welt eintreten würde, der Erde weggenommen werde.

Das kann aber nur dadurch sein, dass die Menschen im Geiste nach und nach alles das sich vorstellen und auch innerlich empfinden und mit ihrem Willen dagegenrennen, was sonst äußerliche physische Wirklichkeit werden würde.

Furcht und Feigheit, Wollust und Dumpfheit

Daher kommt es auch, dass im Grunde genommen eigentlich nur die Feigheit in der Gegenwart schuld daran ist, dass die Menschen nicht an die Geisteswissenschaft heran wollen. Sie bringen es sich allerdings nicht zum Bewusstsein; aber es ist eben so, dass Furcht und Feigheit vor dem, was als Schwieriges ihrem Streben sich entgegenlagert, von ihnen zu ertragen ist.

Wie oft hört man immer wieder und wiederum, dass Leute, die in einen anthroposophischen Zweig gehen, Erhebung suchen. Unter einer Erhebung verstehen die Leute oft eine innere seelische Wollust. Die kann nicht geboten werden, denn die würde gerade die Menschen in Dumpfheit einhüllen und sie von dem Lichte, das sie brauchen, entfernen.

Das Wesentliche ist, dass gegen die nächste Zukunft, von dieser Gegenwart an, den Menschen nicht vorenthalten werden darf, welches die eigentlich treibenden Kräfte der Menschheitsevolution sind. Die Menschen müssen wissen, wie in der Tat das Menschenwesen in einer Art von Gleichgewichtszustand sich befindet zwischen den luziferischen und den ahrimanischen Mächten, und wie die Christus-Wesenheit wirklich eine Art Genosse der Menschen geworden ist: erst aus dem luziferischen Kampf heraus, dann in den ahrimanischen Kampf hinein. Im Lichte dieser Tatsachen muss die Menschheitsevolution überhaupt gesehen werden.

Hochmut, Unbefangenheit

Wer heute die Weltgeheimnisse so darstellt, wie es geschehen muss in der Geisteswissenschaft, der wird gerade wegen wesentlicher Dinge zuweilen arg verspottet. Namentlich wenn man heute gezwungen ist, wie ich es zum Beispiel machen musste in meinem Buche »Theosophie«, immer wieder und wiederum nach der Siebenzahl der Dinge zu schildern, dann spotten die Leute über dieses Schildern nach der Siebenzahl. […] Aber wenn man den Regenbogen in sieben Farben teilt oder die Oktave, die Tonskalen in die Prim, Sekund, Terz und so weiter teilt, und die Oktave dann die Wiederholung ist der Prim, dann spotten die Leute nicht mehr! Im Physischen nehmen die Leute diese Sachen hin, aber im Geistigen darf das nicht sein! Was da wiederum errungen werden muss, war einmal ein Bestandteil der heidnischen Urweisheit. Und ein letztes Flimmern dieser heidnischen Urweisheit in bezug auf so etwas wie die Siebenzahl sehen wir in der Pythagoreer-Schule, die eigentlich ein Mysterium war. Sie können überall in den Schulbüchern heute über Pythagoras lesen, werden aber nirgends Verständnis dafür finden, warum Pythagoras die Weltenordnung auf die Zahl gebaut hat.

Das war aus dem Grunde, weil die Urweisheit alles auf die Zahl gebaut hat. Aber der letzte Funke der Einsicht gerade in die Zahlenweisheit war noch vorhanden, als Pythagoras seine Schule begründete. Andere Glieder der Urweisheit sind länger geblieben; manches hat sich sogar erhalten bis in die Zeiten des 16., 17. Jahrhunderts herein. So hören wir zum Beispiel noch manches physikalisch Vernünftige bis in das 15., 16. Jahrhundert herein von dem oder jenem erzählen mit Bezug auf die höheren Welten. Dann versiegt allmählich, wenn ich so sagen darf, der Urverstand der Menschheit.

Denken wir uns einmal, es lauerte da in einer Ecke irgendwo ein richtiger Vertreter der Gegenwartsbildung und würde sagen: Nun, was lassen sich diese Anthroposophen denn für Zeug vorreden? Wir haben doch so herrliche Errungenschaften in der neuesten Zeit! Was soll denn das heißen, dass da gesagt wird, die Urweisheit sei versiegt? Wir haben ja alles mögliche Große, Gewaltige bekommen, gerade in den letzten Jahrhunderten und bis in unsere Tage herein, vielleicht schließen die Menschen mit 1914 ab, aber immerhin, bis 1914 haben wir so Herrliches bekommen.

Wenn Sie aber unbefangen hinsehen auf das, was wir in der neuesten Zeit bekommen haben, so werden Sie zu dem folgenden Resultat kommen. Gewiss, die Menschen haben allerlei naturwissenschaftliche, naturbeschreibende und geschichtliche Notizen gesammelt. Das Sammeln ist ja insbesondere Mode geworden. Sie haben auch mancherlei Experimente gemacht und diese beschrieben. Aber wenn Sie nun fragen: Ist denn eigentlich in alldem, was ja gerade die neueste Zeit gebracht hat, etwas Neues an Ideen, an Begriffen?

Einzelne verlorene Geister wie Goethe haben an Ideen, an Begriffen etwas Neues gebracht; aber Goethe ist ja nicht verstanden worden. Gehen Sie durch dasjenige, was zum Beispiel in der Naturwissenschaft oder gar in der neuesten geschichtlichen Wissenschaft spielt, da werden Sie finden: Was da an Ideen spielt, das ist nicht neu. Gewiss, Darwin hat Reisen gemacht, hat vieles beschrieben, was er auf Reisen gesehen hat, hat dann zusammengefasst, was er gesehen hat und hat es in eine Idee gebracht. Aber wenn Sie die Evolutionsidee bis in die kleinsten Einzelheiten hinein als Idee auffassen, so finden Sie sie schon bei dem Griechen Anaxagoras. Und so finden Sie die wichtigsten Ideen, die heute die Naturwissenschaft hat, bei Aristoteles, also schon in der vorchristlichen Zeit.

Und diese Ideen sind Schatz der Urweisheit, luziferischer Quell. Nur muss eben nach und nach dasjenige, was diese Urweisheit ist, versiegen, und Neues, in Form von Einsichten in die geistige Welt, muss errungen werden. Es bedarf dazu einer gewissen Willigkeit der Menschen, diejenigen Dinge hinzunehmen, die unmittelbar losarbeiten auf wirkliche neue Ideen.

Mangelnde Selbstreflexion, mangelnder Mut

Und neue Ideen braucht die gegenwärtige Menschheit namentlich in bezug auf das Seelische. Was vom Seelischen heute wissenschaftlich an die Menschen herangebracht wird, das sind ja im Grunde genommen nur noch Worte. Wenn in den gewöhnlichen Schulsälen in gelehrter Art von Wille, von Gedanken, von Gefühlen gesprochen wird, so hat man es eigentlich nur noch mit Worten zu tun, die die Leute wie in einem Kaleidoskop herumwerfen. Aber es sind im Grunde genommen ausgepresste Worte, der Klang der Worte. Die Menschen gehen gar nicht darauf aus, im Ernste dasjenige zu nehmen, was heute auf Neues hinarbeitet.

In dieser Beziehung macht man ja wirklich eigentümliche Erfahrungen. Ich wurde zum Beispiel in Dresden vor einiger Zeit eingeladen, in einer Schopenhauer-Gesellschaft zu sprechen. Eine Schopenhauer-Gesellschaft – ich dachte mir, da muss es etwas ganz Besonderes geben. Und so habe ich denn versucht, darzustellen, wie psychologisch, seelisch aufzufassen ist der Gegensatz zwischen Schlafen und Wachen, Aufwachen und Einschlafen. Ich habe darauf aufmerksam gemacht, was ich Ihnen auch neulich einmal erwähnt habe, dass ja der Nullpunkt zunächst nur im Aufwachen und Einschlafen da ist, dass der Schlaf nicht bloß ein Aufhören des Wachens ist, sondern sich verhält zu dem Wachen wie Schulden zu Vermögen.

Wenn Sie nach so etwas suchen würden in der gegenwärtigen Psychologie, so würden Sie auch nicht einmal den Ansatz dazu finden, diese weittragenden Dinge anzufassen. Es haben sich dann in einer sogenannten Diskussion einige Leute erhoben, die gelehrt waren, das heißt einige Philosophen. Einer davon hat unter anderem die schöne Urteilsfolge zustande gebracht, die ich etwa in der folgenden Weise charakterisieren könnte. Er sagte: Was wir da gehört haben, das alles ist ja nichts, was man wirklich mit einer ernsten Wissenschaft erringen möchte. Die ernste Wissenschaft muss sich mit ganz anderen Dingen befassen. Das hat nichts zu tun mit dem, was wir wissen wollen, denn wenn man die Sache bei Licht betrachtet, so waren das durchaus nicht neue Wahrheiten, sondern etwas, was uns längst bekannt ist.

Also: Dasjenige, was wir gar nicht wissen wollen und was gar nicht Inhalt unserer Wissenschaft ist, das sei etwas Altbekanntes!

Nun, es gibt in der Wirklichkeit Widersprüche, aber Widersprüche dieser Art gibt es nur in den Köpfen der gegenwärtigen Gelehrten. Wenn einer sagt: Die Dinge könne man nicht wissen, sie seien nicht Gegenstand des menschlichen Wissens – gut. Wenn einer aber zu gleicher Zeit sagt, die Dinge seien ihm längst bekannt, dann ist das ein offenbarer Widerspruch! Eine solche Zusammenstellung von zwei Urteilen ist oftmals einem gegenwärtigen Gelehrtenkopf ganz geläufig.

Aber an diesem Denken hängt auch dasjenige, um was es sich in der Gegenwart handelt. Denn der Weg ist weit, weit zwischen dem, dass schließlich der einzelne, der ja immer noch dank der göttlichen Mächte und dank – verzeihen Sie – Luzifer und Ahriman nicht ganz töricht ist, und dem Vertreten dieser Dinge vor der Welt. Der einzelne sieht manches ein von diesen Dingen und bildet sich manchmal bei sich ein gar nicht ungesundes Urteil; aber von diesem Punkte bis dahin, vor der Welt die Sache in entsprechender Weise zu behandeln, ist der Weg weit, recht, recht weit.

Und für viele liegt die Sache doch so, dass sie auf der einen Seite ganz gern in die Geisteswissenschaft untertauchen, wenn sich da eine Gesellschaft mehr sektenartiger Art bildet, in der sie untertauchen können. Wenn sie aber dann wiederum vor der Welt stehen und in der Welt etwas von dem vorstellen sollen, wozu die Welt ihre Dokumente, ihre Zeugnisse gibt, dann raucht die Sache wiederum aus; dann sind sie brave Bürger des braven Philisterlandes. Das aber fördert ganz entschieden die Schritte Ahrimans.


Vorheriger Beiträge: Der Inkarnation Ahrimans entgegen (3) | Der Inkarnation Ahrimans entgegen (2) | Der Inkarnation Ahrimans entgegen (1)


Verwandte Beiträge: Das Weihnachtsfest – ein ewiges Symbol |  Das Christentum als mystische Tatsache – eine Forschungsaufgabe (1) | Das Christentum als mystische Tatsache – eine Forschungsaufgabe (2) | Das Christentum als mystische Tatsache (3) – Von Plato zu den Essäern | Das Christentum als mystische Tatsache (4) – Von der ägyptischen Einweihung zum christlichen Mysterium | Weihnachten im Zeitalter der Identitätskriege


  1. Gemeint ist der anglikanische Geistliche Richard Baxter (1615–1691), aus dessen Werken The Saints’ Everlasting Rest und Christian Directory Weber zitiert. Letzteres bezeichnet Weber als »das umfassendste Kompendium der puritanischen Moraltheologie«.
  2. Max Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, in: Religion und Gesellschaft. Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Frankfurt a.M., o.J. (Zweitausendeins), S. 180 f. Teil II: Die Berufsethik des asketischen Protestantismus. Zuerst erschienen in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 21. Band, Tübingen 1905, S. 1-110. Online zugänglich
  3. GA 177: Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt. Der Sturz der Geister der Finsternis; GA 178: Individuelle Geistwesen und ihr Wirken in der Seele des Menschen.
  4. Dieser Vortrag vom 14. November schildert eine kulturgeographische Dreigliederung der Menschheit, die sich in unterschiedlichen Vereinseitigungen zeigt. Nur indem der »Osten«, der »Westen« und die »Mitte« zusammenwirken und sich gegenseitig ergänzen, kann sich die gesamte Menschheit gedeihlich entwickeln. Der Vortrag enthält auch eine Charakterisierung führender zeitgenössischer Militärs und Politiker (Tirpitz, Ludendorff) als Wiedergänger eines »vorcäsarischen« Menschentyps, an dem das Christentum spurlos vorübergegangen sei (»die vorcäsarischen Größen des alten Rom sind wiederum erstanden in solchen Leuten«).

Seit 15 Jahren veröffentlicht der anthroblog Beiträge zur Anthroposophie und Zeitsymptomen. Unabhängig und unbeeinflusst von Institutionen. Um weiter existieren zu können, ist er auf Ihre Unterstützung angewiesen.


Oder durch eine Banküberweisung an: Lorenzo Ravagli, GLS Bank Bochum, GENODEM1GLS DE18 4306 0967 8212049400.


Ich will zwei- bis dreimal im Jahr durch den Newsletter über neue Beiträge im anthroblog informiert werden!

Kommentare sind geschlossen.