Esoterik im Vatikan

Zuletzt aktualisiert am 23. Mai 2019.

Der Herausgeber der Zeitschrift »Gnostika«, Hans Thomas Hakl, führte für das Novemberheft 2008 ein Interview mit dem Inhaber des Lehrstuhls »für nichtkonventionelle Religionen und Spiritualitätsformen« an der Päpstlichen Universität Angelicum im Vatikan.

Fluss sieht die Globalisierung nicht nur als ökonomisches, sondern auch als »spirituelles Problem«. Er erkennt in der Gegenwart eine »Krise der Gotteserfahrung«. Sie sei von unterschiedlichen Suchbewegungen nach dem Geheimnisvollen und Heiligen gekennzeichnet. Die Esoterik ist für Fluss eine Strömung »volkstümlicher Religion« im Westen. Sie stellt für ihn so etwas wie einen »Schatten« der etablierten Religionen dar, die von den Kirchen vernachlässigte Praktiken der Lebensbewältigung anbiete. Jede Zeit habe ihre eigene Esoterik. Die Kirche habe die Pflicht, die esoterischen Angebote kritisch zu prüfen, sie könne in ihnen aber auch einen »Prätheismus« sehen, der sich im Vorfeld des hochkirchlichen Theismus bewege und sich zu diesem hinzuentwickeln vermöge. Die »barocke Götterwelt« der Esoterik sei im Gegensatz zum Atheismus prinzipiell offen für die »Vollform des Theismus«. Für Fluss ist Esoterik demnach eine unentwickelte, primitive Form der kirchlichen Hochreligion.

Angesichts der esoterischen Angebote, so Fluss, bedürfe die Kirche aus pastoraler Sicht einer »Kontextualisierung der christlichen Botschaft in eine spirituelle Verzauberung am Ende einer einseitig materiell ausgerichteten Kultur des Westens«. Diese Kontextualisierung zielt auf eine Integration der Esoterik und deren »Veredelung« durch den christlichen Theismus ab, den die Kirche aus seiner Sicht verkörpert. Dabei gehe es der kirchlichen Esoterikforschung nicht um »platte Polemik«, sondern um »sorgfältige Unterscheidung«. Sowohl die Kirche als auch die Esoterik böten den Menschen Lebensorientierung an, aber die »unkonventionellen Spiritualitätsformen« der letzteren hält Fluss, im Gegensatz zu jenen der Kirche, für »konfliktträchtig«. Die möglichen Konflikte sieht der Inhaber des Esoteriklehrstuhls vor allem auf drei Gebieten: dem der öffentlichen Ordnung, der Medizin und Psychologie und dem der Theologie. Esoteriker könnten durch ihr Rechtsverständnis und Finanzgebaren, durch ihr Verständnis von Heilung und durch ihre »manipulative Verwendung der Bibel« von der Norm abweichen, die Fluss offenbar für unverzichtbar hält.

Fluss weist andererseits auf die lange esoterische Tradition der Kirche hin, für die zum Beispiel der Hermetiker Nikolaus von Kues oder die Symbolik der christlich inspirierten bildenden Kunst stehe. Hans Urs von Balthasar habe den Tarot kommentiert. (Valentin Tomberg, den er nicht erwähnt, tat dies bekanntlich auch). Fluss formuliert in diesem Zusammenhang eine originelle Interpretation der christlichen Schöpfungs- und Inkarnationstheologie, wonach die Welt als ein »Hologramm« betrachtet werden dürfe, in dem noch der kleinste Teil das ganze Bild enthalte, das Gott ihr eingestiftet habe. Diese Einsicht sei stets der Besitz »weniger Eingeweihter« gewesen.

In der heutigen Esoterik müssen laut Fluss unterschiedliche Ebenen differenziert werden: an der Oberfläche der Subjektivismus und Eklektizismus einer »praktischen Auswahlesoterik«, in der individuell selbstgestrickte Religion oder der »geschäftige Markt des New Age« den Ton angebe, daneben eine »wohlfeile Gebrauchsesoterik«, die versuche, aus spirituellen Traditionen Profit zu ziehen, zum Beispiel in Managementkursen. Aber es gebe auch »anspruchsvolle Systemesoterik« wie die Theosophie oder Anthroposophie. Der Verlust der Glaubenstraditionen in der heutigen Welt führe dazu, dass mittlerweile das Christentum selbst vielen als etwas Esoterisches erscheine. Gegenüber den »Religionskarikaturen« der Trivialkultur, die aus Versatzstücken der christlichen Tradition virtuelle Pseudochristentümer schüfe, müsse sich das Christentum jedoch zur Wehr setzen.

Die Aufgabe der Kirche angesichts dieser Vielfalt spiritueller und scheinspiritueller Angebote sieht Fluss darin, den Menschen eine klare Entscheidung zu ermöglichen, »welchem Meister« sie folgen wollen. Schließlich dürften christliches Heil und esoterische Heilung nicht miteinander verwechselt werden.

Gefragt nach Gerhard Wehr, der sich mit seinen Publikationen um eine Überbrückung der ideologischen Gräben zwischen konfessionellem Christentum und Anthroposophie bemüht, weist Fluss auf eine der Hauptintentionen der christlichen Esoterik hin; die Theosis, die Gottwerdung des Menschen, die mit der zu ihr hinführenden Theosophia, der Gotteserkenntnis verknüpft sei. Allerdings hätten schon die frühen Kirchenväter die Vorstellung abgelehnt, die Theosis sei die Entwicklung einer »eingeborenen Göttlichkeit im autonomen Besitz des Menschen«. Sie hätten diese vielmehr als »unverdient geschenkte Teilhabe an der göttlichen Natur« verstanden. Hier meldet sich verklausuliert der Anspruch des Dominikaners an, die göttlichen Gnadengaben zu verwalten. Denn wenn es keinen eoterischen Weg zum Heil außerhalb der göttlichen Gnade gibt, dann bedarf der Heilssuchende einer Instanz, die ihm den Zugang zu dieser Gnade vermittelt. Und es kann nur eine legitime Instanz geben. Fluss blendet jedoch aus, dass die Mystik von Justinus Martyr an bis hin zu Meister Eckhart, Angelus Silesius oder Thomas von Kempen auf die Mitwirkung des Menschen an der Herbeiführung der Heilung und Heiligung rechnete. »Wär Christus tausendmal zu Betlehem geboren und nicht in dir, du wärst doch ewiglich verloren«, schrieb Angelus Silesius.

Links:
Zeitschrift Gnostika

Literatur:
Gerhard Wehr, Spirituelle Meister des Westens: Von Rudolf Steiner bis C.G. Jung
Gerhard Wehr, Anthroposophie
Gerhard Wehr, [amazon_textlink asin=’3720525805′ text=’Rudolf Steiner. Leben – Erkenntnis – Kulturimpuls.’ template=’ProductLink’ store=’anthroblog-21′ marketplace=’DE’ link_id=’e96e97b2-032d-11e7-81ab-6be5d4027584′]
Gerhard Wehr, Helena Petrovna Blavatsky: Eine moderne Sphinx – Biographie

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