Zuletzt aktualisiert am 29. August 2013.
Am 15. Juni 1921 sprach Rudolf Steiner vor den künftigen Priestern der Christengemeinschaft darüber, wie sie als Prediger die Schöpfung und das Wirken Christi behandeln sollten. Seine Ausführungen sind nicht nur für Prediger oder Priester von Interesse.
»Wenn Sie zu einem solchen Begriff kommen wollen wie dem der Schöpfung, dann müssen Sie … in den Menschen ein Bewusstsein von folgendem hervorrufen:
Sieht man heute die mineralische Natur an, dann herrscht in ihr das Gesetz der Erhaltung des Stoffes und der Kraft. Und diese Welt, die wir uns da anschauen, scheint ewig zu sein. Aber wenn man sich klarmacht, dass diese Welt nur im Raum ist und dem Raum aus dem Irdischen nur die Mineralien, die Pflanzen aber vom außerirdischen Raum eingefügt sind, dass schon mit dem Tiere etwas hereinkommt aus einem vorirdischen Zustand – denn dasjenige, was heute auf der Erde Naturgesetz ist, kann natürlich das Tier nicht zum Menschen machen –, wenn Sie sich klarmachen, dass die Naturgesetze selber einen Anfang genommen haben, dann werden Sie verstehen können, dass der Begriff der Schöpfung mitenthält das Entstehen der Naturgesetze, während wir heute einfach die Naturgesetze ausdehnen nach vorne und hinten ins Unendliche hinein. So kommen wir zum Begriff der Schöpfung.
Da ist auf etwas aufmerksam zu machen, was Ihnen den Beweis liefern kann, dass, wenn man zum einfachen Gemüt spricht, man für die höchsten Dinge eigentlich immer ein gewisses Verständnis wird finden können. Wenn man in meiner Jugend zu einem österreichischen Bauern ging, der nicht schulgebildet war, sondern nur in seiner Dorfschule lesen und schreiben gelernt hatte und zu ihm von der Natur so sprach, wie man es in der Schule gelernt hatte, so starrte er einen an. Er konnte diesen Begriff der Natur mit dem, was er wusste, überhaupt nicht in Einklang bringen. Man konnte nicht zu ihm in der gewöhnlichen Weise sagen, man betrachtet die Natur, sie bringt Pflanzen und Tiere hervor, sie ist schön, die Natur erscheint im Lichte – und so weiter; da hätte man ebenso gut etwas Chinesisches sagen können. Da gab es einen österreichischen Dialektdichter, der gebrauchte das Wort ›d’Naduar‹. Wenn aber der österreichische Bauer, der nur Lesen und Schreiben gelernt hat, der nicht den Sinn hat für den Naturbegriff, wie er figuriert in der neueren Wissenschaft, von Natur sprach, so hatte er einen anderen Begriff von Natur. Für ihn war ›Natur‹ der männliche Same und ohne diesen Nebenbegriff konnte er das Wort Natur nicht verstehen. Er verstand: Was in der Natur unschuldig lebt, das hat er in sich, aber es ist in ihm übertönt von dem, was schuldig werden kann. Er sah die Natur als einen Teil von sich an, was sich daran reiht, wenn von der Geburt die Rede sein kann, und er hatte daneben den Begriff, dass bei der Geburt noch etwas anderes in den Menschen hereinzieht als die Natur, deshalb nennt er den männlichen Samen die Natur, das Naturhafte allerdings, was mit dem Geborenwerden zusammenhing. Er hatte diesen geheimnisvollen Zusammenhang zwischen unserem Geborenwerden und dem, ein Naturwerk zu sein.
Und wie es bei diesem auffallenden Begriff ist, so findet man, wenn man nur sucht, auch wenn man übergehen will zum Schöpfungsbegriff, durchaus die Möglichkeit, anzuknüpfen an Begriffe, die dem einfachsten Gemüt verständlich sind. Der Schöpfungsbegriff kann etwas durchaus Verständliches werden, aber man muss eben wirklich versuchen, mit gutem Willen über dasjenige hinauszukommen, was uns die moderne Bildung gibt. Und so kommt man dann auch dazu, allmählich den Menschen begreiflich zu machen, dass die Menschenschöpfung vor der Naturschöpfung liegt, dass also der Mensch in die Welt eingezogen ist in einer Zeit, wo die Natur noch nicht gewirkt hat, wo es noch nicht Vererbung, Befruchtung und so weiter gab. Man kommt zurück zu einem Zustand, wo noch nicht Vererbung und Befruchtung da waren, wo unsere gegenwärtige Welt noch keine äußere Weltordnung war, wo sich vollziehen konnte der Abfall der geistigen Wesenheiten, die dann den Menschen später mitgerissen haben, man kommt zurück zu einem Zustand in der vornatürlichen Zeit, wo der Fall in die Sünde für den Menschen noch keine Möglichkeit war.
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Kurz gesagt: Es gibt Wege, wenn sie nur gesucht werden, um aus dem Begriffssystem der heutigen Bildung hinauszukommen in ein vollmenschliches Vorstellungssystem, das zu der übersinnlichen Welt den Zugang hat; und zu alldem ist … notwendig, dass man sich von Anthroposophie in einem gewissen Sinn befruchten lässt. Verstehen können die Leute das, was man ihnen sagt, durchaus, wenn man den Ton findet dadurch, dass man sich erst selber in die Meditation versetzt.
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Was durch die Predigt gemütsinnig hindurchgehen soll, ist das Verbundensein des Predigers mit dem übersinnlichen Gehalt und Impuls der Welt selber, und der übersinnliche Gehalt und Impuls wird niemals durch Abstraktes gegeben.
Der Prediger muss innig in Demut davon durchdrungen sein, dass die bloße Handhabung der logischen Vernunft selber schon Sünde ist, und dass der Betrieb der Naturwissenschaft eben innerhalb der modernen Zeit das Religiöse ertötet, dass wir durch die Religion die Welt von der naturwissenschaftlichen Auffassung erlösen müssen, dass es zum Religiösen gehört, die Naturwissenschaft zu überwinden, und dass es ein Gebot des Christus Jesus selber ist, die Naturwissenschaft zu überwinden, dass der Christus Jesus eben deshalb unter uns lebt, und dass wir seine Mission ausdrücken, die Naturwissenschaft zu überwinden, wenn wir uns mit ihm verbinden.
Wir müssen uns auf der einen Seite klar sein: Der Mensch muss in der Welt wirken, daher muss er mit dem sinnlichen Ergreifen der Welt schon sündigen. Wir sehen die Sünde, wie sie notwendig ist. Und sehen wir, dass das Pendel – weil Rhythmus in der Welt ist – nach der anderen Seite ausschlagen muss, nach der Seite der Erlösung von der Naturwissenschaft, dann sehen wir ohne Muckertum die Notwendigkeit, dass Naturwissenschaft dasteht. Wir werden sie nicht ausmerzen können, denn wir anerkennen die Notwendigkeit, dass der Mensch mit Ahriman Bekanntschaft machen muss, aber wir müssen uns klar werden, dass das Pendel nach der anderen Seite ausschlagen muss. Aber der Rhythmus muss uns klar werden, dass nur im Gleichgewichtszustand die beiden Dinge zusammenwirken können. Und dazu, sehen Sie, muss ich Sie aufmerksam machen auf etwas, was Sie vielleicht überraschen wird, was aber doch in Ihr Bewusstsein wird übergehen müssen, wenn Sie den notwendigen Ton für eine zukünftige Predigt finden wollen.
Sehen Sie, wir leben eigentlich heute in einem Bewusstsein, das eine Art von Fortsetzung des alten urpersischen Weltenbewusstseins ist, das ja lebte in Ahriman und Ormuzd. Es sieht in Ahriman den bösen Gott, der widerstrebt dem Ormuzd, und in dem Ormuzd den guten Gott, der die Werke des Ahriman zunichte macht. Man weiß nicht, dass der Urperser das Bewusstsein hatte, dass man weder dem Ahriman noch dem Ormuzd [allein] folgen darf, sondern ihrem Zusammenwirken. Und ihr Zusammenwirken äußert sich in einer solchen Gestalt, wie es der Mithras war. Ormuzd ist eine luziferartige Gestalt, die uns weltlos macht, wenn wir uns ihr hingeben, die uns der Schwere entreißen und uns im Lichte verbrennen lassen möchte. Der Mensch muss den Weg finden zwischen dem Lichte und der Schwere, zwischen Luzifer und Ahriman, und deshalb müssen wir die Möglichkeit haben, nicht in irgendeinem Dualismus zu denken, sondern in der Trinität zu denken. Wir müssen die Möglichkeit haben zu sagen: Die persische Dualität Ormuzd und Ahriman ist heute Luzifer und Ahriman, und der Christus steht in der Mitte drinnen, der Christus ist derjenige, der das Gleichgewicht bewirkt.
Nun hat alle religiöse Entwickelung bisher, insbesondere die theologische, eine sehr verderbliche Gleichung aufgestellt, sie hat die Christus-Figur so nahe als möglich an die Luzifers herangebracht. Es ist fast ein Wiederauferstehen des altpersischen Ormuzd, wenn man erlebt, wie heute von Christus gesprochen wird. Man denkt nur immer die Dualität, also das Böse im Gegensatz zum Guten. Durch keine Dualität wird das Weltproblem gelöst, sondern einzig und allein durch die Trinität. Denn sobald man die Zweiheit hat, hat man nicht nur das Gute und das Böse, sondern man hat den Kampf zwischen dem Licht und der Finsternis, den Kampf, der nicht enden darf mit dem Sieg des einen über das andere, sondern der enden muss mit der Harmonisierung der beiden. Das ist eigentlich dasjenige, was man in den Christus-Begriff hineinbringen muss. Christus setzt sich nicht umsonst zu den Zöllnern und Sündern.
Sehen Sie, meine lieben Freunde, die Welt, in der wir leben, ist ja so entstanden, dass sie ursprünglich gebildet worden ist durch alle die Einflüsse, die da wirkten in die Konfiguration hinein, welche wir erleben als die Nachklänge des Rassentums, als die Nachklänge der einzelnen Völker und dergleichen. Betrachten Sie diese Welt, wie sie aus dem Element der Geburt herauskommt, und betrachten Sie die Mission des Christus.
Die Mission des Christus besteht darin, all dieses Naturhafte zu überwinden, gegenüber dem Leben in der Rasse die Liebe zur allgemeinen Menschheit zu pflanzen. Dasjenige, was im Anfange der Erde da war, das Adamitische, soll gerade durch den Christus ausgelöscht werden. Das einzelne Volksgemäße, der Volksegoismus soll durch den Christus, durch das allgemeine Menschentum überwunden werden. Die Erlösung besteht ja nicht darin, dass man in einer ebenso realen Weise wie das Naturhafte selber ist, gegen das Naturhafte arbeitet, sondern dass man das Naturhafte aufnimmt und einen Ausgleich zwischen dem rein Geistigen und dem Naturhaften hervorbringt.
Der Christus-Begriff ist noch nicht in seiner Reinheit herausgearbeitet zwischen Ormuzd und Ahriman, zwischen Luzifer und Ahriman. Der Christus-Begriff muss gefasst werden als dasjenige, was uns dazu bringt, die entgegengesetzten Pole zu harmonisieren. Denn allgemeine Menschheit, Menschenliebe, ist etwas anderes, als was aus Familien, Volkstum, Rassen, Nation und so weiter hervorgeht. Aber nicht das eine soll durch das andere ausgemerzt werden, sondern harmonisiert muss werden Rasse und Individuum.
Die Mission des Christus auf der Erde wird man nur begreifen, wenn man weiß: Der Vatergott ist verbunden mit dem Ewigen allein, nicht mit dem Entstandenen und Vergehenden; der Christus-Impuls ist hereingekommen in die Zeitlichkeit, weil er verbunden ist mit dem Entstandenen und Vergehenden, und er macht das Zeitliche zu dem Ewigen.
Wir müssen lernen, wiederum wörtlich zu nehmen, was in den Evangelien steht: Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen. – Übersetzen wir es in eine Sprache, die heute gesprochen werden kann. Dasjenige, was die Raumesweiten – Himmel in äußerlich räumlichem Sinn – hervorrufen durch die Sterne in den Pflanzen der Erde, dasjenige, was die Erde in den Mineralien selber hervorbringt, das heißt, die ganze irdische Welt, sie wird vergehen. Aber wenn sie vergangen sein wird, wenn Pflanzen und Steine vergangen sein werden, dann wird, nachdem diese Erde verschwunden sein wird, dasjenige leben, was in dem Christus zur Erde gekommen ist, was in dem Wort weiterlebt. Und wenn in unser Wort der Christus aufgenommen ist, so lebt eben nach dem Untergange der Erde zeitlich weiter dasjenige, was in uns durch den Christus lebendig ist nach dem paulinischen Wort: ›Nicht ich, sondern der Christus in mir.‹
Wir müssen uns aufschwingen zu dem Glauben, dass die Naturgesetze nicht ewig sind, sondern dass die Erde ein Ende findet, und dass dasjenige, was ist, nur dadurch sein kann, dass ein schöpferisches Wirken es hinausträgt, wenn unsere Erde untergegangen sein wird. Stein und Pflanze werden vergehen, was aber in uns ist, das darf nicht vergehen, das muss hinausgetragen werden, das kann nur hinausgetragen werden, wenn der Christus in uns ist. Mitkommen werden nur die Tiere, die werden wir dann erlösen müssen. Denn die sind auf der Erde, weil sie in dem Augenblick, wo hereingeschlagen ist in die Welt die Möglichkeit, sündig zu werden, in einem Entwickelungsstadium waren, wo sie ergriffen werden mussten von dem, was nur für den Menschen getaugt hat. Bevor diese Möglichkeit der Sünde in die Welt gekommen war, konnte in der Welt nicht gelitten werden. Mineralien und Pflanzen brauchen als solche nicht zu leiden, aber Mineralien und Pflanzen werden vergehen. Die Tiere waren in einem Entwickelungsstadium, wo sie durch die Menschen mitgerissen wurden zum Leiden. Sie müssen davon wieder erlöst werden, wenn dieses Entwickelungsstadium wieder vorüber ist, wenn die Erde nicht mehr da ist. So wie heute unsere Naturgesetze walten, werden dann die Gesetze walten, welche wir heute nur in unserem Inneren erleben. Das können wir nicht begreifen, wenn wir nicht auch wissen, dass der Mensch vor der Erde da war.«
Der ganze Vortrag ist zugänglich in der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, GA 342, Dornach 1993.