Zuletzt aktualisiert am 13. Mai 2022.
Nachdem er die nationalbolschewistische Partei verlassen hatte, konzentrierte sich Dugin auf seinen Verlag Arktogeia. Dieser veröffentlichte Übersetzungen westlicher Traditionalisten, neun seiner eigenen Bücher und einige Erzählungen von Gustav Meyrink.
Durch eine Reihe von Zeitschriften, Rundfunksendungen und das Internet versuchte Dugin seine Version des Traditionalismus zu verbreiten. Erneut war der gemäßigte Traditionalismus am erfolgreichsten. Eine »seriöse« theoretische Zeitschrift (»Elementi«) begann 1993 mit einer Auflage von 50.000, die 1996 aber bereits auf 2.000 geschrumpft war. Am selben Mangel an Interesse litt auch der esoterische Verlag »Byelovodiye«, der Anfang der 1990er Jahre eine Reihe von Übersetzungen Guénons und Evolas herausbrachte, die Reihe 1997 aber einstellte. 1999 waren die einzigen Traditionalisten, deren Bücher in Moskauer Buchhandlungen erhältlich waren, Eliade und Burckhardt.
Erfolgreicher als seine Zeitschrift war die von Dugin produzierte wöchentliche Radiosendung »Finis Mundi«. Sie entwickelte sich mit ihrer Mischung aus Wagnermusik und apokalyptischen Botschaften unter Studenten zur Kultsendung. Jede Folge behandelte einen Philosophen. Das Programm wurde jedoch 1997 nach acht Wochen bereits wieder eingestellt, laut Dugin aus politischen, nicht journalistischen Gründen.
Der Einfluss von Dugins Webseite arctogaia.ru ist schwer abzuschätzen. 1999 enthielt sie Abteilungen zu Metaphysik, Politik, Literatur und Erotik und Diskussionsforen über Traditionalismus, Hermetik, Literatur und alten Glauben. Nur eine kleine Zahl von Besuchern schien die Foren zu nutzen. Möglicherweise waren die Wirkungen der Webseite in Amerika und Europa größer, als in Russland. Heute beschäftigt sie sich mit Themen wie: Staatsbürgerkunde für die Bürger des neuen Russland, Konspirationstheorie, der Philosophie des Krieges und politischer Philosophie, dem Traditionalismus, aber auch dem Russischen Thing, der »absoluten Heimat«, den Templern des Proletariats, der konservativen Revolution, der hyperboräischen Theorie, den Mysterien von Eurasien und dem »absoluten Pfad«.
Ende der neunziger Jahre war der wichtigste Zugang Dugins zur Öffentlichkeit eine Seite in Prochanows Zeitung »Zavtra« (»Morgen«), der Nachfolgerin von »Heute«, die von Jelzin im Oktober 1993 verboten worden war. Die »Zavtra« veröffentlichte populistische Titel wie »Jelzin – ein Dieb. Dyachenko – eine Diebin?« (letztere ist Jelzins Tochter) und Beiträge über militärische Luftfahrt sowie Enthüllungen über demokratische Politiker, die angeblich als amerikanische Spione oder jüdische Agenten tätig waren. Dugins Seite – eine Beilage mit dem Titel »Eurasische Invasion« – war viel intellektueller. Ein entschieden postmodernes Layout, das sich vom Rest der Zeitung deutlich abhob, konnte mit einem Gedanken des Tages von Emerson abschließen und die Entsprechung zu dem Leitartikel der »Zavtra«: »Jelzin – ein Dieb. Dyachenko – eine Diebin?« war: »Nationaler Existenzialismus: der Körper als Performance.«
Die Eurasier als Bewegung und Partei
Um 2000, als Vladimir Putin dem politischen Leben in Russland eine gewisse Verlässlichkeit verlieh, die sich vorteilhaft von den Schwankungen und der sichtbaren Korruption der späten Jelzin-Jahre abhob, war nicht zu übersehen, dass die Opposition immer bedeutungsloser wurde. Die Partei der Nationalbolschewisten erhielt ihren Todesstoß, als Limonow wegen des illegalen Besitzes von Waffen verhaftet wurde und andere vergleichbare Gruppen sich auflösten. Selbst die kommunistische Partei schien mit ihren langsam aussterbenden Wählern und ihrer Fixierung auf die Vergangenheit zum Untergang bestimmt.
Dugin zog den Schluss, dass die Opposition und die kommunistische Partei keine Zukunft mehr hatten. Daher begann er eine neue Linie zu entwickeln, die er »radikalen Zentrismus« nannte. Diese neue Position, die er 2001 mit der Gründung der Eurasischen Bewegung öffentlich machte, war insofern zentristisch, als sie den Präsidenten Putin als Patrioten unterstützte, der offenbar beabsichtige, die russische Größe wiederherzustellen und für die Idee Russlands als eurasische Großmacht empfänglich sei. Und sie war insofern radikal, als Dugins Eurasiertum für die eurasische Bewegung zentral war und die liberalen Aspekte in Putins politischem Programm toleriert und manchmal bekräftigt wurden (das heißt, sie war überhaupt nicht radikal).
Die Bekanntgabe der Existenz einer eurasischen Bewegung scheint im Zusammenhang mit der Registrierung einer eurasischen Partei zu stehen, die einige Monate zuvor ein Abgeordneter der Duma, Abd al-Wahid Niyazov (geboren als Vadim Medwedew), vorgenommen hatte. Niyazov, ein russischer Konvertit zum Islam, der mit Jamal verbunden war, und Dugins Eurasiertum weitgehend zustimmte, war trotz allem kein Traditionalist. Dass er seiner Partei den Namen »eurasisch« gab, ist eher ein Hinweis auf den Erfolg von Dugins Ideen – oder in Dugins Augen ein Versuch, »sich der eurasischen Idee zu bemächtigen«. Niyazow wollte eine Partei, welche die Muslime in der Demokratie repräsentierte, keine rein islamische Partei. Der eurasische Nationalismus rechtfertigte in seinen Augen eine multikonfessionelle Partei und war für ihn ein Mittel, die Loyalität dieser Partei gegenüber dem russischen Staat zu unterstreichen.
Dugin erhielt aus drei Richtungen Unterstützung für seine eurasische Bewegung. Von Traditionalisten, zu denen zwei ehemalige Mitglieder des Kreises um Golowin gehörten, von Golowin selbst und von Yury Mamlejew, dessen Bücher Dugin Scherereien mit dem KGB eingebracht hatten. Außerdem von angesehenen Einzelpersonen wie Alexander Panarin, einem Politikwissenschaftler und Lehrstuhlinhaber an der Universität Moskau. Schließlich von Figuren, die dem Kreml nahestanden und Geheimdienstoffizieren. Es gab Gerüchte, Putins rechte Hand Gleb Pawlovsky unterstütze die eurasische Bewegung, aber dieser war kein offizielles Mitglied. Zu den Mitgliedern gehörten jedoch der bekannte Fernsehmoderator Mikhail Leontjew, der »Lieblingsjournalist« des Präsidenten, und Mufti Talgat Taj al-Din, der Scheich al-Islam Russlands.
Taj al-Din war 1980 zum Mufti der europäischen Union der Sowjetrepubliken und Sibiriens ernannt worden – manche Stimmen sagen, dank dem KGB – und er war linientreu. 1985 verurteilte er zusammen mit drei anderen Sowjetmuftis den »unerklärten Krieg, den amerikanische Imperialisten und ihre Handlanger, die Mudschaheddin, gegen das afghanische Volk« führten. Trotz periodischer Angriffe behielt er seine Stellung und seinen politischen Einfluss während der Perestroika und unter Jelzin und Putin.
Außerdem gab es Gerüchte, die eurasische Bewegung erhalte großzügige finanzielle Unterstützung von Gruppierungen ehemaliger Offiziere des Auslands- und Inlandsgeheimdienstes. Dugins Assistent in der Führung der eurasischen Bewegung Peter Yewgenevitsch Suslov jedenfalls war ein ehemaliger Geheimdienstler. Nach seinem Dienst im KGB zog sich Suslov 1995 in den Ruhestand zurück. Laut einem umstrittenen Bericht soll er auf Mordanschläge spezialisiert gewesen sein und in Verbindung mit einem früheren KGB-Offizier gestanden haben, der tschetschenische Bombenattentate in Moskau fingiert habe. Unterstützung durch Ehemalige schließt nicht unbedingt Unterstützung durch aktive Mitglieder des Geheimdienstes ein, zumindest aber eine Form der Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst und dem Kreml. Angesichts der Tatsache, dass Putin selbst einmal dem KGB angehört hatte, kann man davon ausgehen, dass Geheimdienstoffiziere gerne mit delikaten Aufgaben betraut werden. Es könnte also sein, dass Suslov ein Vertrauter des Kreml in der eurasischen Bewegung war.
Als Folge dieser Unterstützung verfügte die eurasische Bewegung schnell über 50 Ortsgruppen und 2000 Mitglieder. Noch wichtiger ist allerdings, dass die Zusammenarbeit mit dem Kreml dazu führte, dass die eurasische Bewegung gewisse Züge einer Denkfabrik anzunehmen begann, mit einer ähnlichen Funktion wie die RAND Corporation oder der Council on Foreign Relations in den USA. Viele glauben, der Kreml lasse sich manchmal von der eurasischen Bewegung beraten und beeinflusse durch sie die Öffentlichkeit.
Dugins Bewegung ist multikonfessionell. Neben dem Mufti Taj al-Din gibt es Repräsentanten der drei in Russland anerkannten Religionen: des Judentums, des Buddhismus und der orthodoxen Kirche. Angesichts der engen Beziehungen der orthodoxen Kirche zum Kreml spiegelt ihre Teilnahme eher das zentristische als das radikale Element in Dugins Theorie wieder. Den Radikalismus repräsentiert noch eher der Repräsentant des Judentums, Rabbi Avraam Shmulevich, aber die entscheidenden Religionen sind die orthodoxe Kirche und der Islam.
Die islamische Beteiligung kann man als zentristisch oder radikal sehen. Dugins früherer Mitstreiter Jamal war zur Zeit der Gründung der eurasischen Bewegung fest im radikalen Islamismus verankert, der in Russland allgemein, wenn auch unzutreffend als Wahhabismus bezeichnet wird. Aber Dugin zog den Zentrismus dem Radikalismus vor. Er unterschied sorgfältig zwischen Wahhabismus und dem traditionellen Islam, verurteilte den ersteren und pries den letzteren. Der Mufti Taj al-Din begrüßte die eurasische Bewegung als »unsere Antwort auf die Unterstützer des satanischen Wahhabismus«.
Die Gegnerschaft gegen den radikalen Islamismus zeigt sich auch in den Aktivitäten Suslovs. 1999 gründete er eine Stiftung namens »Yedineniye« (»Einheit«). Sie war formal von der eurasischen Bewegung unabhängig, aber bei einer Konferenz, die diese organisiert hatte, schlug sie die Schlichtung des Konfliktes in Tschetschenien in Zusammenarbeit mit einem Anführer der Separatisten, Kozh-Ahmad Nukhaev vor, der ebenfalls ein früherer Geheimdienstler war. Die Grundlage dieser Schlichtung sollte eine Teilung Tschetscheniens in russische und autonome Zonen sein und die Verdrängung des radikalen, wahhabistischen Islam durch den traditionellen, den Sufismus.
Aber Dugins Zentrismus und seine Beziehungen zum Kreml ließen ihn nicht zu einer Puppe des letzteren werden, wie man an den Angriffen vom 11. September 2001 sehen konnte. Der Mufti Taj al-Din folgte der Linie des Kreml und verurteilte die Angriffe umgehend. Auch Dugin brachte sofort sein Mitgefühl zum Ausdruck und verurteilte die mörderischen Akte gegen unschuldige Menschen. Aber er schrieb auch, die Flugzeuge, welche die Zwillingstürme zerstörten, seien die Schwalben der Apokalypse, und glichen den Kugeln Gavrilo Princips in Sarajewo, die 1914 den I. Weltkrieg ausgelöst hatten. Die Schwalben des 11. September, so Dugin am Tag nach dem Attentat, würden Amerika dazu zwingen, auf eine Art zu antworten, die einen möglicherweise apokalyptischen Krieg zwischen Amerika und dem Rest der Welt auslösen werde. Er meinte, Russland solle in diesem Krieg neutral bleiben und seine Beziehungen zum europäischen Block verbessern und angeblich betrachtete er die proatlantische Haltung Putins als den ersten großen geopolitischen Fehler des Präsidenten. Nach seiner Auffassung stellte das amerikanische Eingreifen in Afghanistan einen Schlag gegen die eurasische Strategie in Zentralasien dar. Dennoch sollte man seiner Auffassung nach Putin unterstützen, da die Alternativen noch schlechter seien. Dieser Vorfall zeigt deutlich, dass das radikale Element in Dugins Zentrismus stärker war, als das zentristische. Er vertraute auf seine Überzeugung, »dass wir auf lange Sicht einzig von den Interessen Russlanda geleitet werden. Wenn die Verteidigung dieser Interessen politisch nicht zweckdienlich ist oder wenn sie der gegenwärtigen Situation widerspricht, verteidigen wir sie ebenso.«
2002 beschloss der zweite Kongress der eurasischen Bewegung, diese in eine politische Partei, die »Eurasia-Partei« umzuwandeln.
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»Wir verstehen sehr gut, was hier abläuft, wir wissen, dass diese Aktionen sowohl gegen die Ukraine, als auch gegen Russland gerichtet waren, ebenso auch gegen eine Integration im eurasischen Raum.« Aus Putins Regierungserklärung zur Ukraine und der Krim vom 18. März 2014
Dieser Artikel ist die Fortsetzung von: Alexander Dugins politische Aktivitäten
Quelle: Mark Sedgwick, Against the Modern World. Traditionalism and the Secret Intellectual History of the Twentieth Century, Oxford 2004, S. 233 f.