Zuletzt aktualisiert am 9. Dezember 2015.
Die zweite Meditation des Buches »Ein Weg zur Selbsterkenntnis …« greift die Verunsicherung angesichts des Todes auf und führt durch Betrachtungen zum Ätherleib über den Horizont des gewöhnlichen Bewusstseins hinaus.
Dieses Bewusstsein, so Steiner, kann zwar wissen, dass der Leib mit dem Tod »in den Naturzusammenhang« übergeht, der an dem, was die Seele »vor dem Tod als ihr eigenes Dasein erlebt« keinen Anteil nimmt und diesem Dasein auch während des Lebens gleichgültig gegenübersteht, aber daraus lassen sich keine Schlüsse auf die Zustände nach dem Tod ziehen. Zwar ist die Seele während des Lebens gegenüber dem Leib »selbstständig«, aber der Beobachtungsweg wird durch den Tod unterbrochen. Die Sinne und der Verstand sind an den Leib gebunden und vergehen mit ihm. Das muss der Mensch sich nüchtern eingestehen. Diese Einsicht kann zu zwei Konsequenzen führen: zur Resignation und zum Agnostizismus oder zum Versuch, die Erkenntnismittel zu erweitern, um die Seele auch nach dem Tod beobachten zu können. Sie muss gleichsam künstlich in einen Zustand versetzt werden, der jenem des Todes analog ist, damit der Tatsachenbeweis des Fortbestands ihrer Selbstständigkeit auch nach dem Tod erbracht werden kann. Initiation war immer und ist auch heute Vorausnahme des Todes.
Ein solcher Zustand ist im Prinzip durch Meditation erreichbar, die zur »Verstärkung« der Seelenkräfte führt. Die Methode der Meditation besteht darin, einzelne Gedanken aus dem gewöhnlichen Verlauf des Seelenlebens auszusondern und zum Inhalt fortgesetzter, wiederholter Versenkung zu erheben. Während der Hingabe an solche Gedanken müssen alle anderen Inhalte aus der Seele ausgeschlossen sein. Dadurch verstärken sich die Kräfte des inneren Erlebens, sie verdichten sich gleichsam.
So wie die Seele sich in der Meditation des ersten Kapitels an den sinnlichen Weltinhalt hingab und diesem im Spiegel ihrer Hingabe zur Epiphanie verhalf, gibt sie sich nun einem geistigen Inhalt hin und verhilft diesem zur Epiphanie. Während in der Meditation des ersten Kapitels deutlich der Übergang von der Empfindungsseele zur Verstandes- und Gemütsseele anklang, ist hier offensichtlich von der Bewusstseinsseele die Rede. Laut »Theosophie« ist die »Empfindungsseele« jener nach allen Seiten wirksame »Tätigkeitsquell«, der aus den Sinneseindrücken innere Erlebnisse »hervorlockt«. Die inneren Erlebnisse fügt die Seele eigenständig zu den Sinneswahrnehmungen hinzu. Was sie an ihnen erlebt, stammt nicht aus ihnen. Bereits als »Verstandesseele« zieht sie sich in die »Einsamkeit ihres Eigenseins« zurück, stellt sich der Sinnenwelt gegenüber und erlebt die Zerrissenheit zwischen den empirischen »Data« der Sinne und den scheinbar bloß erdachten »Noumena« der kategorialen Welt. Die Verstandesseele ist das »unglückliche Bewusstsein« Hegels. Zur Bewusstseinsseele wird sie, insofern sie im Licht des Geistes, das in ihr aufleuchtet, die Manifestation eines Ewigen erkennt, das sie über diese Zerrissenheit vermeintlich unüberwindbarer Gegensätze hinausführt. Gibt sie sich diesem Licht hin und »lebt« in ihm, ist sie »eines Ewigen teilhaftig«, an dessen Erscheinen sie mitbeteiligt ist. Meditation ist seelische Hingabe an den Geist. Durch die fortgesetzte, vertiefte Hingabe wird die Seele geistförmig. »Die Kugel der Seele ist lichtförmig« schreibt Marc Aurel, »wenn sie … mit dem Licht leuchtet, mit dem sie die Wahrheit sieht, die aller Dinge und die in ihr selbst« (Wege zu sich selbst, XI, 12; Sphaira psychēs augoeides).
Die Ergebnisse der Meditation können an der Seele selbst beobachtet werden. Neue Erlebnisse treten auf. Anschaulich schildert Steiner ein solches Erlebnis, das während des Schlafs auftreten kann: »Man fühlt sich etwa allseitig von Gewitterstürmen umgeben. Man hört Donner und vernimmt Blitze. Man weiß sich in einem Zimmer eines Hauses. Man fühlt sich durchsetzt von einer Kraft, von welcher man vorher nichts gewusst hat. Dann vermeint man Risse um sich her in den Mauern zu sehen. Man ist veranlasst, sich oder einer Person, die man neben sich zu haben glaubt, zu sagen: jetzt handelt es sich um Schweres; der Blitz geht durch das Haus, er erfasst mich; ich fühle mich von ihm ergriffen. Er löst mich auf«.
Dabei ist dem Menschen unmittelbar bewusst, dass er nicht träumt, sondern sich in einer Art Wachzustand befindet, in dem etwas in sein Bewusstsein einbricht, das sich von allen Erlebnissen unterscheidet, die ihm im gewöhnlichen Wachzustand zugänglich sind. Von diesem Aufwachen während des Schlafs in eine Art Zwischenzustand des Bewusstseins war bereits in »Wie erlangt man Erkenntnisse …?« im Kapitel über die »Kontinuität des Bewusstseins« die Rede.
Im Anschluss an dieses Erlebnis taucht die Seele wieder in ihre gewöhnliche Bewusstseinsverfassung ein und erinnert sich an das Erlebte. Sie vermag also, das Erfahrene in die Erinnerung zu übertragen. Entscheidend sind bei diesem Erlebnis jedoch nicht die Bilder und Begriffe, die nachträglich benutzt werden, um das Erlebte zu beschreiben, sondern der Inhalt des Erlebnisses. »Blitz, Donner und Mauerrisse« legen sich als Vorstellungsschleier über das Erlebte, es selbst stellt aber etwas ganz anderes dar. Und dieses »ganz andere« berechtigt einen dazu, anzunehmen, »dass man etwas erlebt hat, wozu man den Leib nicht als Vermittler der Beobachtung gehabt hat. Man hat ohne den Leib unmittelbar durch die in sich stärker gewordene Seele beobachtet«.
Dieses Erlebnis ist eine Beobachtung am »eigenen Selbst«. Man weiß »etwas anderes«, das nicht aus den Sinnen stammt und man weiß es »auch anders«. Das Erlebnis ist die Folge einer »inneren Umwandlung« der Seele. Und solche Erlebnisse außerhalb des Leibes sind notwendig, um jene Erkenntnisgrenze zu überwinden, vor die der Mensch durch den Tod gestellt wird. Die Ungewissheit angesichts dieses Abgrundes, der alles zu verschlingen droht, wird, wie man sieht, nicht durch ein theoretisches Argument überwunden, sondern durch eine Tathandlung, – wer Gewissheit über seine Unsterblichkeit erlangen will, muss sich in einen Bewusstseinszustand versetzen, in dem dieses Unsterbliche beobachtbar ist. Gegen die Sterblichkeit der Seele spricht nicht das metaphysische Argument ihrer »Gottgeschaffenheit«, die platonische Idee, dass ihr das Leben immanent ist oder die Kantsche Hoffnung, die sich aus den Imperativen der praktischen Vernunft ableiten lässt, sondern eine Erfahrung.
Diese »out of body experience«[1] unterscheidet sich von jener innerhalb des Leibes. Ihren »sinnlichen Leib« (den physischen Leib mit seiner Sinnesorganisation) empfindet die Seele als etwas, was von der übrigen Welt getrennt ist, in der außerleiblichen Erfahrung empfindet sie sich mit ihrer Umgebung verbunden, so wie sie ihre Hand mit dem übrigen Körper verbunden fühlt. Die Umgebung, in der sie sich nun aufhält, ist ihr gegenüber nicht gleichgültig, sie fühlt sich mit ihr »zusammengewachsen«, »verwoben«. Die Wirkungen dieser Umgebung gehen durch sie »wahrnehmbar hindurch«.
Bereits bei der Wahrnehmung des »elementarischen« Leibes ist die Subjekt-Objekt-Spaltung, die das gewöhnliche Bewusstsein kennzeichnet, aufgehoben. Das beobachtende Subjekt steht dem Gegenstand seiner Beobachtung nicht äußerlich gegenüber, sondern beobachtet einen Teil seiner selbst. (Der Ätherleib des Menschen ist eine »Ausstülpung« aus dem Reich der Archangeloi und kehrt nach dem Tod in dieses Reich zurück. Die Archangeloi »senken gleichsam einen Teil ihres Wesens nach dem irdischen Menschenreich hin und konstituieren dadurch den menschlichen Ätherleib Zeit seines Lebens«. [GA 205] Als »Ausstülpung« ist er mit der gesamten ätherischen Welt verbunden, so wie ein Golf des Meeres mit dem ganzen Meer verbunden ist. Er lässt sich aber doch von diesem Meer unterscheiden, da er durch die Küstenlandschaft des physischen Leibes eingefasst wird. GA 205, 17.07.1921)
Daher vermag die Seele beim elementarischen Wahrnehmen auch »Teile« ihrer Umgebung zu unterscheiden, die ihr näher und solche, die ihr fernerstehen (so wie der pazifische Ozean dem Golf von Neapel fernersteht als das Mittelmeer). Im gewöhnlichen Bewusstsein erlebt die Seele ihren Leib als ein »Stück der Außenwelt«. Wenn sie außerhalb ihres Leibes wahrnimmt, empfindet sie umgekehrt einen Teil ihrer Außenwelt als zu sich gehörig, eben jenen Teil, der sich wie ein Meeresarm der allgemeinen ätherischen Welt in ihren physischen Leib erstreckt. Dieser Teil steht ihr näher, als das restliche Meer, mit dessen grenzenlosen Weiten sie dennoch verbunden ist. Diesen Teil des Äthermeeres, der als nicht-sinnlicher, übersinnlicher »Leib« in ihren physischen hereinflutet, kann man laut Steiner als »elementarischen« oder »Ätherleib« bezeichnen.
Während eine »wahre« Vorstellung des physischen Leibes sich bereits durch bloße Überlegung ergibt, führt erst die spirituelle Wanderschaft der Seele mit Hilfe meditativer Vertiefung in Gebiete, die außerhalb dieses Leibes liegen, und damit zur Wahrnehmung des »ätherischen oder Bildekräfteleibes«. Mit der Wahrnehmung dieses Leibes hat die Seele bereits die Grenze überschritten, die der Tod dem Bewusstsein setzt. Die außersinnliche Wahrnehmung stellt eine erste Analogie des nachtodlichen Erlebens dar. Denn auch in diesem tritt zuerst die Wahrnehmung des ätherischen Leibes auf.
Eine eindrucksvolle Schilderung der Erlebnisse des Menschen unmittelbar nach dem Tod findet sich in einer Vortragsreihe, die wenige Monate vor Ausbruch des I. Weltkriegs in Wien gehalten wurde (»Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt«, GA 153, hier Vortrag vom 13.4.1914). Sie wirft zusätzliches Licht sowohl auf das imaginative Schauen des Ätherleibes als auch auf die Konstitution des gewöhnlichen Bewusstseins: So wie für das imaginative Bewusstsein des Geistesschülers als erstes die Wahrnehmung seines eigenen Selbstes auftritt, eine Wahrnehmung, die sich aufgliedert in einen dunklen, von Unvollkommenheit durchtränkten Aspekt (die verschiedenen Doppelgänger) und einen lichten Aspekt, der das Urbild der dem Menschen erreichbaren Vollkommenheit ist (der Hüter der Schwelle – der Engel, Erzengel – Christus [2]) so gliedert sich das Erleben des Menschen nach dem Tod in einen dunklen Aspekt (Hölle, Fegefeuer, Kamaloka, niedere Seelenwelt) und einen lichten Aspekt (höhere Seelenwelt – Himmel – Geisterland) auf. All diese Aspekte seines Wesens trägt der Mensch im Leben zwischen Geburt und Tod in sich, auch wenn ihm nur ihr Abglanz bewusst wird: seine innere Hölle in seinem Begierden- und Wunschleben, seinem Denken, das »den Bedürfnissen der Empfindungsseele dient«, seinen inneren Himmel in seinem Willens-, Gefühls- und Gedankenleben, sofern es bereits auf der Erde das »ewige Licht der Wahrheit« und jenes »seraphische Liebesfeuer« in sich aufnimmt, das alles Vergängliche verzehrt.
Die Schilderung Steiners sei wegen ihrer unnachahmlich authentischen Diktion im (stenographierten) Wortlaut wiedergegeben.
»Der Mensch hat bis zu seinem Tode auf der Erde gelebt, er ist gewohnt gewesen in dieser Zeit auf der festen, materiellen Erde zu stehen, … die Wesen des mineralischen, pflanzlichen, tierischen Reiches, Berge, Flüsse, Wolken, Sterne, Sonne und Mond zu sehen, und ist gewohnt worden, durch seinen eigenen Gesichtspunkt und durch seine im physischen Leib vorhandenen Fähigkeiten, sich dieses Ganze so vorzustellen, wie man es sich ja doch vorstellt, trotzdem man heute durch den Kopernikanismus weiß, dass es im Grunde ein Scheinbild ist: Da oben ist das blaue Himmelsgewölbe wie eine Himmelsschale, da sind die Sterne darauf, darüber gehen Sonne und Mond und so weiter, man selber ist wie in dieser Schale, in dieser Hohlkugel, im Inneren da drinnen, in der Mitte, auf der Erde, mit dem, was einem die Erde für die Wahrnehmung zeigt.
…
Wenn nun der Mensch durch die Pforte des Todes gegangen ist, so ist das erste, dass er die Vorstellung in seiner Seele ausbilden muss: Du bist jetzt außerhalb dieser blauen Kugel, in der du warst. Du siehst sie von außen an, aber so, als ob sie zu einem Stern zusammengeschrumpft wäre. Man hat zunächst kein Bewusstsein von der Sternenwelt, in die man sich eigentlich ausbreitet, sondern man hat zunächst nur ein Bewusstsein von dem, was man verlassen hat: dass man seine Bewusstseinssphäre, die man gehabt hat im physischen Leibe, verlassen hat, dass man das verlassen hat, bis wohin einen die menschlichen Fähigkeiten, die im physischen Leibe ausgebildet sind, haben schauen lassen. …
Wie gesagt, zusammengeschrumpft wie zu einem Sterne ist das, was uns vorher den Inhalt unseres Bewusstseins gab, nur dass sich, von diesem Sterne ausgehend, dasjenige ausbreitet, was man nennen könnte: erstrahlende kosmische Weisheit.
…
Das glimmt und glitzert uns entgegen wie von einem feurigen Stern. Jetzt ist es nicht blau wie das Firmament, sondern jetzt ist es feurig, rötlich erglimmend, und davon ausstrahlend in den Raum die Fülle von Weisheit, die uns aber zuerst zeigt – sie ist in sich ganz beweglich – das, was man ein Erinnerungstableau unseres letzten Erdenlebens nennen könnte. All die Vorgänge, die wir mit unserem inneren Seelenerleben durchmessen haben zwischen der Geburt und dem Tode, wo wir bewusst dabei waren, treten vor unsere Seele hin, aber so, dass wir wissen: Du siehst das alles, weil der Stern, der da vor dir aufglänzt, der Hintergrund ist, der durch seine innere Tätigkeit bewirkt, dass du das alles sehen kannst, was sich als ein Erinnerungstableau ausbreitet. Das ist so mehr vom Standpunkt der Imagination aus gesprochen.
Vom Standpunkt der Innerlichkeit gesprochen ist das Erlebnis etwa dieses, dass derjenige, der durch die Pforte des Todes gegangen ist, nunmehr ganz erfüllt ist von dem Gedanken: Ja, du hast deinen Leib verlassen. Jetzt, in der geistigen Welt, ist dieser Leib lauter Wille. Ein Willensstern, ein Stern, dessen Substanz Wille ist, das ist dein Leib. Und dieser Wille erglüht in Wärme und strahlt dir in den Weltenweiten, in die du dich jetzt selber ergossen hast, dein eigenes Leben zwischen der Geburt und dem Tode wie ein großes Tableau zurück. Und du verdankst dem Umstande, dass du innen verweilen konntest in diesem Stern, dass du alles das aus der Welt ziehen und saugen konntest, was du auf dem physischen Plan aus der Welt eben gezogen und gesaugt hast. Denn dieser Stern, dieser Willensstern, der jetzt den Hintergrund bildet, das ist das Geistige deines physischen Leibes, dieser Willensstern ist der Geist, der deinen physischen Leib durchtränkt und durchkraftet. Das, was dir als Weisheit erstrahlt, das ist die Tätigkeit, die Beweglichkeit deines Ätherleibes.
Es vergeht die Zeit, … wo man den Eindruck hat: das Leben spielt sich ab wie ein Erinnerungstableau. Unsere Gedanken, die zu unseren Erinnerungen während des Lebens auf der Erde geworden sind, rollen da gleichsam ab in diesem Erinnerungstableau, die treten noch einmal vor unsere Seele hin. … Aber man hat auch das ganz deutliche innere Bewusstsein, dass dadurch, dass der Willensstern im Hintergrunde ist, in diesem Erinnerungstableau dasjenige ist, was wir uns im letzten Erdenleben errungen haben; dass darin das ist, um was wir reifer geworden sind, was wir sozusagen durch den Tod als ein Mehr hinausgetragen haben gegenüber dem, was wir beim Eintritt in unsere Geburt als ein Geringeres gehabt haben. Dieses, was wir wie eine Frucht des letzten Lebens bezeichnen können, das fühlen wir so, als wenn es nicht bleiben würde, wie es war während des Erinnerungstableaus, sondern wie wenn es sich fernte, wie wenn es fortginge, wie wenn es in der Zeiten Zukunft hineinginge und in der Zeiten Zukunft entschwände.
…
Also es fernt sich unsere Lebensfrucht, wenn wir eine solche erlangt haben, und wir wissen in der Seele: diese Frucht ist irgendwie vorhanden, aber wir sind hinter ihr zurückgeblieben. Man hat das Bewusstsein, man ist an einem früheren Zeitpunkt verblieben, die Lebensfrucht zieht schnell fort, so dass sie früher ankommt an einem späteren Zeitpunkt, und wir müssen ihr nachziehen, dieser Lebensfrucht.
Das, was ich jetzt gesagt habe, dieses innere Erlebnis, dass die Lebensfrucht im Weltenall weilt, vorhanden ist, das müssen wir uns so recht vorstellen, denn das ist es, was den Grund bildet für unser Bewusstsein, für den Beginn unseres Bewusstseins nach dem Tode.
…
Durch dieses Erfühlen und Erleben unseres innersten irdischen Wesens außer uns haben wir die erste Entzündung unseres Bewusstseins nach dem Tode, daran belebt sich dieses Bewusstsein.
Dann beginnt die Zeit, in welcher es notwendig ist, dass wir Seelenkräfte entwickeln, welche während des Lebens auf dem physischen Plane eigentlich unentwickelt bleiben müssen, weil sie alle dazu verwendet werden, den physischen Leib und das, was zu ihm gehört, das ganze physische Leben, durchzuorganisieren, Seelenkräfte, die während des physischen Lebens in etwas anderes verwandelt sein müssen. Diese Kräfte müssen allmählich erwachen nach dem Tode.
Schon in den Tagen, während welcher wir das Erinnerungstableau erleben, haben wir ein solches Erwachen von Seelenfähigkeiten zu verzeichnen. Wenn das Erinnerungstableau nach und nach abflutet und abdämmert, so geschieht das eigentlich dadurch, dass wir während dieser Tage schon diejenigen Kräfte entwickeln, welche der Erinnerungsfähigkeit zwar zugrunde liegen, aber nicht bewusst werden während des physischen Lebens, und zwar deshalb nicht, weil wir während dieses physischen Lebens sie gerade umwandeln müssen, um Erinnerungen bilden zu können.
Die letzte große Erinnerung, die wir nach dem Tode in Form des Tableaus haben, die muss erst abfluten, die muss nach und nach verdämmern, dann entwickelt sich aus der Verdämmerung heraus das, was wir bewusst nicht haben durften vor dem Tode. Denn hätten wir es bewusst gehabt vor dem Tode, so hätten sich niemals in uns die Erinnerungskräfte bilden können. Umgewandelt in diese Fähigkeit, uns zu erinnern, haben sich die Kräfte, die sich jetzt in der Seele während des Abdämmerns der Erinnerung des Lebenstableaus heraus entwickeln. Umgesetzt in die Erinnerungskraft haben sich diese vor dem Tode, und jetzt kommen sie heraus, indem die Möglichkeit, sich in gewöhnlicher Weise an irdische Gedanken zu erinnern, überwunden wird.
Diese gleichsam ins Geistige umgewandelte Gedächtniskraft erwacht als eine erste geistig-seelische Kraft in uns, die nach dem Tode aus der menschlichen Seele so herauskommt, wie die Seelenkräfte beim heranwachsenden Kinde in den ersten Lebenswochen herauskommen. Indem diese Seelenkraft heranwächst, zeigt sich uns eben, dass hinter den Gedanken, die, während wir auf dem physischen Plane waren, nur Schattenbilder waren, Lebendiges steckt, dass ein Leben und Weben in der Gedankenwelt ist. Wir werden gewahr, dass das, was wir innerhalb des physischen Leibes als unser Gedankentableau haben, eben nur ein Schattenbild ist, dass es in Wahrheit eine Summe, eine Ausbreitung von Elementarwesen ist. Wir sehen gleichsam unsere Erinnerungen abglimmen und sehen dafür aus dem allgemeinen Weisheitskosmos heraus eine ganze Anzahl von Elementarwesen erwachen.
…
Statt dass wir uns wie im Leben an unsere Gedanken erinnern, merken wir nach dem Tode, dass diese Gedanken, die wir als Gedächtnisgedanken im Leben hatten, für uns sich nur so ausnehmen wie Erinnerungen.
Oh, dieser Gedächtnisschatz während des Lebens, er ist etwas ganz anderes als ein bloßer Gedächtnisschatz! Sind wir aus dem physischen Leibe heraus, dann sehen wir diesen ganzen Gedächtnisschatz als lebendige Gegenwart, dann ist er da. Jeder Gedanke lebt als ein Elementarwesen. Wir wissen jetzt: Du hast gedacht während deines physischen Lebens, dir sind deine Gedanken erschienen. Aber während du in dem Wahne warst, du bildetest dir Gedanken, hast du lauter Elementarwesen geschaffen. Das ist das Neue, was du zum ganzen Kosmos hinzugefügt hast. Jetzt ist etwas da, was in den Geist hinein von dir geboren worden ist, jetzt taucht vor dir auf, was deine Gedanken in Wirklichkeit waren.
Man lernt zunächst in unmittelbarer Anschauung erkennen, was Elementarwesen sind, weil man diejenigen Elementarwesen zuerst erkennen lernt, die man selber geschaffen hat. Das ist der bedeutungsvolle Eindruck der ersten Zeit nach dem Tode, dass man das Erinnerungstableau hat. Aber dieses fängt an zu leben, richtig zu leben, und indem es anfängt zu leben, verwandelt es sich in lauter Elementarwesen. Jetzt zeigt es sozusagen sein wahres Antlitz, und darin besteht sein Verschwinden, dass es etwas ganz anderes wird. Wir brauchen, wenn wir zum Beispiel mit sechzig oder achtzig Jahren gestorben sind, jetzt nicht mehr für irgendeinen Gedanken, den wir etwa im zwanzigsten Jahre unseres Lebens gehabt haben, Erinnerungskraft, denn er ist da als lebendiges Elementarwesen, er hat gewartet, und wir brauchen uns nicht an ihn zu erinnern. Denn wären wir zum Beispiel in unserem vierzigsten Lebensjahre gestorben, so wäre der Gedanke erst zwanzig Jahre alt – und das sehen wir ihm deutlich an. Diese Elementarwesen sagen uns selber, wie lange es her ist, seit sie sich gebildet haben. Die Zeit wird zum Raum. Sie steht vor uns, indem die lebendigen Wesen ihre eigenen Zeitensignaturen zeigen. Die Zeit wird zur unmittelbaren Gegenwart für diese Verhältnisse.
Wir lernen aus diesen unseren eigenen Elementarwesen, von denen wir im Leben schon umgeben waren, die wir im Tode erblicken, die Natur der elementarischen Welt überhaupt kennen und bereiten uns dadurch vor, auch solche Elementarwesen der Außenwelt zu verstehen im allmählichen Anschauen, die nicht wir geschaffen haben, sondern die ohne uns im geistigen Kosmos vorhanden sind. Durch unsere eigene elementare Schöpfung lernen wir die anderen kennen.
Denken Sie sich einmal, wie unendlich verschieden eigentlich dieses Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt ist von dem irdischen Leben. Das erste, was vorgeht nach der Geburt, ist, dass sich der Mensch noch nicht selber erkennt. Das, was er erlebt als ganz kleines Kind, das erleben die anderen mit ihm. Er ist geboren worden, und die anderen, seine Eltern, schauen dieses Geborene an.
Nach dem Tode schaut man sich zunächst allerdings nicht selber an, aber sein Geborenes schaut man als eine Außenwelt an. Das, was draußen ist, was man geboren hat mit dem Augenblick des Todes, das schaut man selber an.
So wahr der Mensch, wenn er durch die physische Geburt ins Dasein tritt, eine ihm unverständliche Außenwelt vor sich hat und eigentlich ein Wesen ist, welches nur für die anderen zappelt und weint und auch lacht, so ist man nach dem Tode, nach der Geburt für die geistige Welt, die für die physische Welt der Tod ist, zunächst so, dass man beginnt selber in der Umgebung zu sein, die man sich selber geboren hat, die man sich selber um sich herum aufrichtet, weil man sie geboren hat. Man hat die Welt geboren, während man, wenn man ins Physische geboren wird, von der Welt geboren wird. So ist es mit unseren Gedanken und mit dem, was aus den Gedanken wird mit der Erinnerung, dem Gedächtnisschatz« (13.4.1914, GA 153).
Fünf gedankliche Motive dieser Ausführungen seien hervorgehoben:
- Was der Mensch in den ersten Tagen nach dem Tode sieht, verdankt er einem Hintergrund, einem »Spiegelbelag« seines Ätherleibes, dem geistigen Gehalt seines physischen Leibes, dem in »rötlicher Farbe erglimmenden Willensstern«, vor dem sich die »erstrahlende Weisheit«, die Tätigkeit seines Ätherleibes, abhebt und ausbreitet.
- Diese sich in Bildern ausbreitende Weisheit ist die Gedächtniskraft des Lebens zwischen Geburt und Tod, die sich nun in ihrer »wahren Gestalt« zeigt.
- Im nachtodlichen Erleben, ebenso wie im elementarischen (imaginativen) Erleben des Sehers, wird die Zeit zum Raum, mit anderen Worten: der Mensch verlässt mit der Imagination die Sphäre der Zeit. Das Vergangene wird Gegenwart. Die imaginativen Bilder sind Wesen, Elementarwesen, die »Zeitsignaturen« an sich tragen, oder, wie Steiner an anderem Ort auch sagt, ein unterschiedliches »Lebensalter« besitzen.
- Das »Gedankentableau« des gewöhnlichen Bewusstseins zwischen Geburt und Tod erweist sich als »Schattenbild« der unwahrgenommenen geistigen Wirklichkeit, auf der dieses Bewusstsein fußt: Die tiefere Wirklichkeit seines Gedankenerlebens ist die »Lebendigkeit der Vorstellungen«, die in jene Form abstrakter Gedanken »herabgelähmt« wird, von der im ersten Kapitel des Buches »Von Seelenrätseln« 1917 die Rede sein wird: »So wie die Vorstellungen ihrem ureigenen Wesen nach sind, bilden sie zwar einen Teil des Lebens der Seele; aber sie können nicht in der Seele bewusst werden, so lange diese nicht ihre Geistorgane bewusst gebraucht. Sie bleiben, so lange sie ihrem Eigenwesen nach lebendig sind, in der Seele unbewusst. Die Seele lebt durch sie, aber sie kann nichts von ihnen wissen. Sie müssen ihr eigenes Leben herabdämpfen, um bewusste Seelenerlebnisse des gewöhnlichen Bewusstseins zu werden. Diese Herabdämpfung geschieht durch jede sinnliche Wahrnehmung. So kommt, wenn die Seele einen Sinneseindruck empfängt, eine Herablähmung des Vorstellungslebens zustande; und die herabgelähmte Vorstellung erlebt die Seele bewusst als den Vermittler einer Erkenntnis der äußeren Wirklichkeit. Alle Vorstellungen, die von der Seele auf eine äußere Sinnes-Wirklichkeit bezogen werden, sind innere Geist-Erlebnisse, deren Leben herabgedämpft ist. In allem, das man über eine äußere Sinneswelt denkt, hat man es mit den ertöteten Vorstellungen zu tun. Nun geht aber das Vorstellungsleben nicht etwa verloren, sondern es führt sein Dasein, getrennt von dem Gebiete des Bewusstseins, in den nicht bewussten Sphären der Seele. Und da wird es von den Geistorganen wiedergefunden. So wie nun die abgetöteten Vorstellungen von der Seele auf die Sinneswelt bezogen werden können, so die mit den Geistorganen erfassten lebendigen Vorstellungen auf die Geisteswelt«.
- Man lebt unmittelbar nach dem Tod – ebenso wie im imaginativen Bewusstsein während des Lebens – in einer »Umgebung«, die man »selber geboren hat«, die man selbst »um sich herum aufrichtet«.
Im Vortrag des Vortages (GA 153, 12.04.1914) formuliert Steiner die Tatsache, dass der Mensch nach dem Tod in der Umgebung lebt, die »er selbst geboren«, die er »um sich herum aufgerichtet hat«, sogar als allgemeines Gesetz: »Denn alles das, was in der geistigen Welt geschieht zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, ist Folge desjenigen, was in der physischen Welt geschieht zwischen der Geburt und dem Tode. Zwar ist das, was in der geistigen Welt ist … so anders, dass wir uns ganz neue Vorstellungen und Begriffe aneignen müssen, wenn wir die geistige Welt verstehen wollen. Aber dennoch: wie Ursache und Wirkung hängen die beiden gegenseitig zusammen. Nur dann verstehen wir die Zusammenhänge zwischen dem Geistigen und dem Physischen, wenn wir sie als Zusammenhänge von Ursache und Wirkung wirklich erkennen«.
Diese Bemerkung stimmt mit Beobachtungen überein, die bereits Jacob Boehme ausgesprochen hat, der im 16. Kapitel von »De tribus Principiis oder Beschreibung der drei Prinzipien göttlichen Wesens« 1619 schrieb: »Nun siehe, du Menschenkind, das hast du zu erwarten nach dem Zerfall deines Leibes, da du ein ewiger Geist bist: entweder du wirst ein Engel Gottes im Paradies, oder ein hässlicher, ungestalter, teuflischer Wurm, ein Tier oder ein Drache; je nachdem, wem du dich hier in diesem Leben unterworfen hat: dasselbe Bildnis (das du hier in deinem Gemüt getragen hast, mit demselben Bildnis wirst du erscheinen, denn es kann kein anderes Bildnis beim Zerfall deines Leibes herausfahren, als eben das, welches du hier schon getragen hast) wird dir in der Ewigkeit erscheinen«.
Anmerkungen:
[1] Wissenschaftliche Versuche eines Nachweises oder einer Widerlegung von out of body Erfahrungen, die von der Voraussetzung ausgehen, Probanden müssten sinnliche Gegenstände wahrnehmen können, wenn sie sich außerhalb ihres Körpers befinden, müssen notgedrungen scheitern, da die Betroffenen ja gerade die sinnliche Wahrnehmungswelt verlassen und statt der körperlichen Welt ihren eigenen Ätherleib wahrnehmen. Das Design solcher Studien fußt daher auf einem fundamentalen Denkfehler. Einen Überblick solcher Studien vermittelt der englische Wikipedia-Artikel out of body experience.
[2] Nach GA 138 ist der »Hüter der Schwelle« ein Erzengel: »in die Klasse der Archangeloi gehört dieses Wesen« (27.8.1912), nach der »Geheimwissenschaft im Umriss« enthüllt sich der Hüter zuletzt als das »große menschliche Erdenvorbild«, als Christus. Christus wendet dem Menschen im Erzengel sein Antlitz zu und offenbart sich ebenso durch dessen Engel.
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