Zuletzt aktualisiert am 21. Oktober 2015.
Von zwei Gefahren der imaginativen Welt spricht Steiner im restlichen Teil des Kapitels über die Imagination in die »Stufen der höheren Erkenntnis«. Man könnte diese Gefahren mit Hilfe des griechischen Mythos umschreiben: so wie Narziss blickt der Geistesschüler in den Spiegel seiner Seele und sieht ein Bild, ohne zu wissen, was es darstellt und er verliebt sich in dieses Bild, ohne zu wissen, dass er sich in sein eigenes Spiegelbild verliebt. Der Wunsch des Narziss, sich mit seinem Spiegelbild zu vereinigen, führt zu seinem Ertrinken im See, in dessen glatter Oberfläche er sich spiegelte. Vor dem Hintergrund der Ausführungen Steiners über die imaginative Welt – aber auch unabhängig davon – birgt der Mythos eine tiefe Weisheit. Er erzählt von einer gescheiterten imaginativen Selbsterkenntnis. Der Grund für Narzissens Unglück ist die fehlende Erkenntnis. Hätte er erkannt, wen er sieht, wäre er nicht in Liebe zu diesem Bild entbrannt, sondern hätte das Werben der Bergnymphe Echo erhört, die ihm den Namen seines Wesens zurief, der, hätte er ihn vernommen, ihn aus seiner Verzauberung hätte erlösen können.
So wie die Sinneswahrnehmungen (Sensationen) der Ergänzung durch die Begriffe bedürfen, damit sie uns ihre Bedeutungen enthüllen, bedürfen auch die Bilder der Imagination der Ergänzung durch etwas, das dem Begriff entspricht. Dieses Etwas stammt aber, wie sie noch zeigen wird, nicht aus dem Reservoir der Seele selbst, sondern aus der von dieser unabhängigen, objektiven Geistwelt, auch wenn die Seele an seiner Hervorbringung beteiligt ist.
Auf der zweiten Stufe der imaginativen Erkenntnis beginnen die von der Seele erlebten Bilder zwar, sich zum Wesensausdruck geistiger Wesen umzuwandeln, aber wer sie erlebt, erkennt zunächst nicht, wovon sie Ausdruck sind. Er nimmt, wie Steiner sagt, die »Äußerungen geistiger Wesen wahr, aber nicht diese Wesen selbst«. Es ist, als stünden wir einem Menschen gegenüber, der eine Maske trägt, ohne zu wissen, welcher Mensch sich hinter der Maske verbirgt. Sobald die Maske zu sprechen beginnt, offenbart sich das Wesen hinter der Maske – und dies geschieht in der Inspiration.
Dennoch ist der Durchgang durch die imaginativen Offenbarungen notwendig, denn die höhere Welt, so Steiner, wäre nur »schatten- und schemenhaft«, wenn sie sich nicht in der ganzen »herrlichen Fülle der Bilder« manifestieren würde. Damit der Schüler sich nicht im Zaubergarten der Imaginationen verirrt, ist es ratsam, dass er sich mit Wesenskundigen austauscht, die mit der Bildersprache der Imagination vertraut sind. Die Situation lässt sich mit der eines Museumsbesuchers vergleichen, der mit der Ikonografie alter Meister nicht vertraut ist, und die Bilder, die er betrachtet, nicht versteht. Ein erfahrener Ikonologe kennt die Bedeutung der Bilder, er weiß, worauf sie hindeuten, und vermag dem Unerfahrenen diese Erkenntnis mitzuteilen. Solche Ikonologen bezeichnet Steiner als »spirituelle Führer« oder Meister.
Dass die imaginative Welt so etwas wie ein Zaubergarten ist, zeigt sich auch an der zweiten Gefahr, die sie in sich birgt, auf die der Mythos hindeutet, wenn er sagt, Narziss habe sich in sein eigenes Bild verliebt. Dem Bild (Abbild) steht hier das Gefühl oder das Begehren gegenüber, das durch dieses Bild ausgelöst wird. Das Seelenleben des Menschen besteht nicht nur aus Vorstellungen (Bildern), sondern auch aus Gefühlen, Begierden, Wünschen und Leidenschaften. Narziss sieht im Spiegel sich selbst, seine eigene Seele, und das Bild, das er sieht, ruft unbändiges Verlangen hervor. Ebenso sieht der Imaginierende sich selbst, seine eigene Seele. Da sich die Seele von den äußeren Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung zurückgezogen hat, bewegt sie sich ausschließlich in ihren eigenen Inhalten, und was ihr gegenständlich wird, kann daher nur ihre eigene Substanz sein – und das, was sich dieser seelischen Substanz, d.h. den Kräften des Vorstellens, Fühlens und Wollens von jenseits der Seele einprägt.
Die Gefahren, die Steiner im Folgenden schildert, sind bereits aus »Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?« bekannt; sie werden dort unter dem Titel »Begegnung mit dem Doppelgänger« abgehandelt. Der Ozean der bewegten Bilder ist vielschichtig und komplex. Es verbildlichen sich nicht nur vom Menschen unabhängige geistige Wesenheiten, sondern auch die Seele selbst mit all ihren Neigungen, Abneigungen, Ängsten, Zweifeln, Wünschen und Begehrungen in ihm.
Die Konfrontation mit diesen Bildern der eigenen Seele ist unumgänglich und zentral für die Entwicklung des imaginativen Bewusstseins, dies betont bereits »Wie erlangt man …?«, dies bringt auch die »Geheimwissenschaft im Umriss« in ihrem Schulungskapitel bei der Behandlung der zwei »Quellen der Täuschung« zum Ausdruck: der Geistesschüler muss unterscheiden lernen zwischen dem, »was er in die Dinge hineinsieht und dem was sie wirklich sind«. Dies ist nur möglich, wenn er sein eigenes Wesen als »Bild für sich wahrnimmt«, das sich deutlich unterscheidbar aus der übrigen Bilderwelt herauslöst. Das eigene Seelenleben mit all seinen symbolischen Ausdrucksformen muss ihm gegenständlich werden, objektiv gegenübertreten, damit er aus der unmittelbaren Anschauung heraus erkennen kann, was zu ihm gehört und was nicht. Narziss müsste also den Blick nicht nur seinem Antlitz in der Wasseroberfläche zuwenden, sondern auch dem, was von diesem Antlitz verdeckt wird, dem was es umgibt: der Welt, die sich in dieser Oberfläche spiegelt, dem Himmel, den Wolken, der Sonne, den Sternen – oder er müsste durch dieses Antlitz hindurch auf den Grund des Sees schauen. Das Seelenleben des Menschen tritt ihm also in der Imagination gegenständlich gegenüber, seine »eigenen Gefühle, Vorstellungen, Leidenschaften usw. treten buchstäblich aus ihm heraus, nehmen Gestalt, Farbe und Ton an. Er steht ihnen jetzt so gegenüber wie in der physischen Welt ganz fremden Gegenständen und Wesenheiten«.
Wir haben vom imaginativen Spiegel der Seele gesprochen, in dem diese sich selbst anschaut. Eine Eigenart des Spiegels ist, dass er die Aktionen verkehrt, die er darstellt: gehe ich auf den Spiegel zu, geht das Spiegelbild auf mich zu, entferne ich mich vom Spiegel, entfernt sich das Spiegelbild von mir.
»Was vom Menschen ausströmt, erscheint so, als wenn es von außen an ihn herankommen wollte«. Und was in Wahrheit von ihm ausströmt, kommt nicht nur auf ihn zu, sondern wird auch noch in ein symbolisches Bild verwandelt. Denn auch die Eigenschaften der Seele – die ihrerseits ein objektiver Inhalt der geistigen Welt ist – ziehen jene Elemente an sich heran, in welchen sie ihren Wesensausdruck finden. Ein Wunsch, so Steiner, »verwandelt sich in eine Gestalt, beispielsweise in die Form eines phantastisch aussehenden Tieres, oder auch wohl eines menschenähnlichen Wesens. Dieses scheint ihn zu bestürmen, einen Angriff auf ihn auszuführen oder ihn auch zu veranlassen, dieses oder jenes zu tun. So kann es kommen, dass der Mensch sich vorkommt als umgeben und umflattert von einer ganz phantastischen, oft reizvollen und verführerischen, oft auch grausigen Welt. In Wahrheit stellt diese nichts anderes vor als seine eigenen Gedanken, Wünsche und Leidenschaften, welche in Bilder verwandelt sind«.
Will man eine sprechende Veranschaulichung dieser Erfahrung, sollte man sich die »Versuchung des Hl. Antonius« ansehen, die der Isenheimer Altar Mathias Grünewalds darstellt. Hier stürmen tatsächlich fantastische »Fabelwesen«, grausige Gestalten auf den am Boden liegenden Antonius ein, zerren an seinen Haaren und bedrängen ihn. Betrachtet man diese »Fabelwesen« jedoch als imaginativen Wesensausdruck seelischer Eigenschaften, dann erkennt man erst, was das Gemälde in Wirklichkeit darstellt: eine Begegnung des »Heiligen« mit seinem Doppelgänger, dem ungeläuterten Teil seines seelischen Lebens.
Das »Selbst« des Menschen »verwandelt« sich in »Bilder« und die Unterscheidung dieser Bilder der eigenen Subjektivität von der »wirklichen geistigen Welt«, der geistigen »Außenwelt«, die nach Steiners Auffassung unabhängig von diesem Selbst existiert, ist keineswegs »leicht«. Ja, sie ist anfangs »geradezu unmöglich«. Denn ein und dasselbe Bild kann Ausdruck einer Seeleneigenschaft des Schülers oder Ausdruck einer von ihm unabhängigen geistigen Wesenheit sein. Beide treten zunächst in Form von Bildern auf und bei der Deutung der betreffenden Bilder ist »größte Vorsicht« geboten, übereilte Urteile müssen vermieden werden.
Hinzu kommt, dass diese Bilder auch täuschen können. Sie sind nicht nur Ausdruck der Wahrheit, sondern auch der Falschheit. Steiner spricht in diesem Zusammenhang von den »Verführungskünsten der Seelenbilder«. Seeleneigenschaften stellen sich, in Abhängigkeit von in der Seele vorherrschenden Sympathien oder Antipathien, nicht als das dar, was sie in Wirklichkeit sind, sondern als ihr Gegenteil. Moralisch zweifelhafte oder verwerfliche Eigenschaften erscheinen verlockend, verführerisch, während sich moralisch Erstrebenswertes möglicherweise in wenig anziehender Form darstellt. Die mittelalterliche Symbolik kannte eine solche Ausdrucksform der Täuschung z.B. in der Gestalt der »Frau Welt«, die dem Betrachter eine glänzende, verlockende Vorderseite zuwandte, während ihre Rückseite von Verwesung und Würmern zerfressen war. Der griechischen Imagination zeigte sie sich in Gestalt der Sirenen, die den Seefahrer durch ihren betörenden Gesang zu sich lockten, um ihn zu verschlingen. Wenn man als Pilger auf dem Erkenntnispfad nicht vom Urteil Kundiger, die solche Täuschungen durchschauen, abhängig sein oder bleiben will, bleibt nur die konsequente Schulung des eigenen Unterscheidungsvermögens, das an den konkreten Erscheinungsformen ihrer Masken geschult werden muss, um »Trugbild« von »Wahrheit« unterscheiden zu können.
Bei diesen Ausführungen Steiners sollte bedacht werden, dass die Ausdrücke »Trugbilder« oder »Täuschungen« nicht die Imaginationen als solche qualifizieren. Nicht die Imagination, der bildhafte Ausdruck einer geistigen Wesenheit, ist das Trugbild oder die Täuschung, denn Wesensausdruck sind die wirklichen Imaginationen (im Unterschied zu Phantasiebildern) allemal, sondern diese werden zu Trugbildern oder Täuschungen, wenn die Urteilsfähigkeit des Beobachters das wahre Wesen nicht zu erkennen vermag, das sich im betreffenden Bild ausdrückt. Es sind die Seeleneigenschaften selbst, welche ihre eigenen Spiegelbilder verfälschen. Solange der Spiegel der Seele (speculum animae) nicht vollkommen rein ist, können sich in die Bilder Farben oder Elemente hineinmischen, die das Bild verfälschen. Daher ist gerade die Selbsterkenntnis in dieser Bilderwelt der Seele unumgänglich. Schließlich geht es darum, wahre von falschen Imaginationen, Masken und Täuschungen von unverfälschten Wesensoffenbarungen zu unterscheiden und das wird nur gelingen, wenn alles Täuschende und Verfälschende, das der Seele anhaftet, aus dieser herausgeläutert wird. Und das ist kein bloß abstrakter Vorgang, sondern ein mühseliger, meist schmerzlicher Prozess, der dem Erleiden einer schweren Krankheit, ja dem Tod gleichkommt. Die esoterischen Traditionen des Abendlandes haben auch von einem Verbrennungsprozess gesprochen, von der Veredelung unedler Metalle im Läuterungsfeuer des Geistes.
Es dürfte auch ohne weiteres klar sein, dass dieser Abstieg in die Hölle der eigenen Subjektivität notwendig ist, wenn man den Einfluss dieser Subjektivität in der geistigen Anschauung überwinden will. Der Schauplatz der Objektivität, der innere Himmel, der auf dem Wege der Läuterung erreicht wird, ist das eigene Subjekt, aber ein Subjekt das gewissermaßen ganz Objekt geworden ist, das, indem es sich zum Objekt gemacht hat, zu erkennen vermag, was am Angeschauten Bild seiner Subjektivität und was Ausdruck einer subjektunabhängigen Wesenswelt ist. Gerade damit er zur selbstständigen Unterscheidungsfähigkeit gelangt, muss der Wanderer auf dem Pfad durch die »Vorspiegelungen« der eigenen Seele hindurchgehen, er muss das Unterscheiden erleben und erleiden, um an der Beschaffenheit der Bilder selbst erkennen zu können, welche Wesen sich durch sie kundgeben.
Von dieser Möglichkeit der Urteilstäuschung gegenüber imaginativen Bildern spricht präzise die »Geheimwissenschaft im Umriss«, als einer zweiten Quelle der Täuschung. Sie tritt dann zutage, »wenn man einen Eindruck, den man empfängt, unrichtig deutet«.
Während bei der sinnlichen Wahrnehmung die Urteilstäuschung den Gegenstand der Wahrnehmung – da dieser von außen gegeben ist – nicht verändert, und die Täuschung durch wiederholte (»unbefangene«) Beobachtung behoben werden kann, trägt man in der Imagination das unrichtige Urteil in den Gegenstand der Wahrnehmung hinein, es wird zu einem Bestandteil der Erscheinung des Gegenstandes selbst. Der Beobachtung zeigt sich das im Bild objektiv gewordene falsche Urteil, ohne dass es als solches erkannt würde. Wie der Wanderer zwischen den Welten durch die Anschauung seines Doppelgängers die Fähigkeit erwirbt, die Färbung der Bilder durch seine eigenen Seeleneigenschaften zu erkennen, wird er auch die Fähigkeit entwickeln müssen, »an der Beschaffenheit der Gegenstände selbst zu erkennen, ob sie Wirklichkeit oder Täuschung sind«, wie es in der »Geheimwissenschaft im Umriss« heißt. Eine solche Unterscheidung wäre nicht möglich, wenn die Täuschungen genau so aussehen würden, wie die Wirklichkeit. Dies ist aber nicht der Fall: »Täuschungen der übersinnlichen Welt haben« laut Steiner »an sich selbst Eigenschaften, durch welche sie sich von Wirklichkeiten unterscheiden. Und es kommt darauf an, dass der Geistesschüler weiß, an welchen Eigenschaften er die Wirklichkeiten erkennen kann«.
Es ist offensichtlich, dass dieses Wissen, das Kriterium der Unterscheidung, nicht von außen, aus dem Alltagsbewusstsein, in das imaginative Erleben hineingetragen werden kann, sondern dass es aus der Erfahrung selbst erst entwickelt werden muss. Es ist daher, wie man in der Wissenschaftslehre zu sagen pflegt, ein Kategorienfehler, zu glauben, man könne die Kriterien des Alltagsbewusstseins und des gewöhnlichen Wissenschaftsbetriebs auf die imaginativen Erfahrungen und die imaginative Welt anwenden. Vielmehr müssen neue Erkenntniskriterien entwickelt werden, die dieser Welt und ihrer Erfahrungsart angemessen sind. Zwar gilt auch von dieser Welt, dass sie prinzipiell erfahrbar und dass ihre Erfahrungen wiederholbar sind, aber gerade das, was heute als Inbegriff der Wirklichkeit eines Gegenstandes betrachtet wird: seine eindeutige Verortung in Raum und Zeit, fällt in der imaginativen Welt weg. Denn mit der Imagination lösen sich die sinnlichen Eigenschaften der Gegenstände der äußeren Wahrnehmung von dieser los und beginnen, »frei im Raume« – und in der Zeit – »zu schweben«, d.h. sie befreien sich vom Raum der äußeren Anschauung und von der chronologischen, linearen, irreversiblen Zeit, deren konstitutive Bedingung wiederum die Bewusstseinsform ist, die im letztlich übersinnlichen Kraftzusammenhang des Leibes entsteht.
Steiner verwendet einen drastischen Ausdruck, um die Eigenart der imaginativen Erfahrungsart zu charakterisieren. Der Mensch müsse in ihr gleichsam »aus seiner eigenen Haut herausfahren«, ja, dies obliege dem Schüler »buchstäblich« bei der Geistesschulung zuerst. Dieses Herausfahren aus der eigenen Haut wurde in der Antike als »extasis«, als Ekstase oder im Mittelalter als excessus oder raptus bezeichnet. Es gibt zwei andere Vorgänge, bei denen dieser raptus stattfindet: beim Einschlafen und beim Tod. Der raptus des Einschlafens ist vorübergehend und mit einem Bewusstseinsverlust verbunden, der raptus des Todes endgültig und ohne Wiederkehr (wenn man von der Reinkarnation absieht). Bei der Schulung der Imaginationsfähigkeit, der systematischen Herausbildung ihrer Erkenntnisorgane, bleibt aber das Bewusstsein bestehen, ja es wird auf einen höheren Intensitätsgrad gehoben, und in diesem breitet sich allmählich die »herrliche Fülle der Bilder« aus, durch die sich die objektive geistige Welt zu offenbaren vermag.
Damit ist noch einmal auf die Radikalität der Bewusstseinsveränderung hingedeutet, die bereits mit der ersten Stufe der Geisterkenntnis einhergeht. Mit abstrakten gedanklichen Operationen wie der Allegorisierung oder logischen Verfahren wie der Typologisierung oder Analogisierung lässt sich diese radikale Veränderung nicht gleichstellen oder erklären. Die Imagination unterscheidet sich vom Wachzustand so, wie sich dieser vom Schlafzustand unterscheidet. Er stellt jenem gegenüber ein Erwachen oder eine Wiedergeburt aus dem Tod dar. So wie im Bewusstsein beim Aufwachen eine ganze Welt erscheint, die während des Schlafs in der Nacht der Bewusstlosigkeit versunken war, leuchtet im imaginativen Bewusstsein eine neue Welt aus der Nacht der Seele auf, die zwar immer schon da war, von dieser aber nicht wahrgenommen wurde, weil sie des Lichts ermangelte, das diese innere Welt beleuchtete. Wiedergeboren wird die Seele aus dem Grab des Leibes und erscheint, sofern sie den inneren Doppelgänger zu überwinden vermag, der ihn an diesen Leib fesselt, in einer himmlischen Gestalt, als strahlendes Wesen, das aus Farbe und Licht und manch anderem gewoben ist. Dieses strahlende Wesen ist der himmlische Zwilling oder Gefährte des Menschen. Auch von ihm ist bereits in »Wie erlangt man Erkenntnisse …?« die Rede.
In einem folgenden Beitrag wenden wir uns der Darstellung der Inspiration und den Schulungsmethoden zu, durch die sie ausgebildet werden kann.
Vorheriger Beitrag: Was heißt Geisteskenntnis in der Anthroposophie? – II – Die Imagination