Die ätherische Wiederkunft Christi – 1910 – Teil 1 (24)

Zuletzt aktualisiert am 10. Juni 2017.

Abraham als Vater der Völker oder der zwölf Stämme oder der Gläubigen.

Abraham als Vater der Völker oder der zwölf Stämme oder der Gläubigen. Herrad von Landsberg – Hortus Deliciarum. Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=31440336

Das Jahr 1910 zeichnet sich durch bedeutende neue Beiträge Steiners zur Christologie aus. In zahlreichen Mitgliedervorträgen wurde in der ersten Jahreshälfte das »Ereignis der Christus-Erscheinung in der ätherischen Welt« behandelt. Diese Vorträge sind 1965 in Band 118 der Gesamtausgabe zusammengestellt worden, dessen Titel von den Herausgebern stammt.

Das erste Mal sprach Steiner über dieses Ereignis am 12. Januar 1910 in Stockholm, am selben Tag, an dem Annie Besant aus Benares ein Telegramm an C.W. Leadbeater sandte, in dem sie mitteilte, durch seine an diesem Tag erfolgte Initiation sei Krishnamurti zum Vehikel Lord Maitreyas avanciert und er habe bei diesem Geschehen wie ein »Abbild des Christuskindes« ausgesehen. Die zeitliche Koinzidenz ist bemerkenswert; selbstverständlich konnte Steiner durch äußere Nachrichtenkanäle nichts von diesem Vorgang im fernen Benares wissen.[1] Von diesem Vortrag existieren keine Aufzeichnungen, dafür von sechzehn weiteren, die zwischen dem 25. Januar und 15. Mai 1910 stattfanden. Sie geben zwar keinen Aufschluss über die angeschnittenen Fragen nach den himmlischen Wesensgliedern jener Entität, die den Christusnamen trägt, sie bringen aber die »ätherische Wiederkunft« Christi ab dem 20. Jahrhundert mit der Entwicklung des Gottesbewusstseins in der Menschheit in Zusammenhang und verweisen auf ein Geheimnis der Theophanie, das erst zwei Jahre später (1913) entschlüsselt werden sollte. Ich greife hier eine repräsentative Darstellung heraus: den Vortrag vom 6. März 1910 in Stuttgart.

Steiner eröffnet ihn mit dem Hinweis auf ein »Gesetz«, nach dem sich »gewisse Ereignisse in der Menschheitsentwicklung« wiederholen. Dieser Hinweis bedarf einer kurzen Erläuterung. Das Gesetz der Wiederspiegelung oder Wiederholung ist weder ein metaphysisches Postulat noch ein philosophisches Konstrukt, sondern Ergebnis einer geistempirischen Tatsachenforschung. Es ist eine Manifestation der Lebensform der Zeit, insofern diese als Wesenheit erkannt wird. Die Zeit ist die geistige Substanz der Archai und trat mit diesen zusammen bereits auf dem alten Saturn in Erscheinung.[2] Die Wärmeleiber der Geister der Persönlichkeit durchziehen den gesamten Kosmos und ermöglichen dadurch Bewegung, Leben und Entwicklung. Entwicklung vollzieht sich nicht kontinuierlich-inkrementell, sondern zyklisch und in Sprüngen. Einzelne Stufen oder Epochen verhalten sich im Organismus der Zeit wie Organe, deren Inhalt mit dem Bewusstseinsinhalt einzelner Archai zusammenfällt, die sich bei ihrer Tätigkeit in regelmäßiger Folge abwechseln.[3] Obwohl Steiner von einem »Gesetz«[4] spricht, lassen sich die Auswirkungen desselben nicht abstrakt konstruieren, sondern müssen im Einzelnen empirisch erforscht werden. Aufgrund der Tatsache, dass das Bewusstsein der Archai das Medium der Entwicklung ist, stellen Wiederholungen keine mechanischen Replikationen dar, sondern Metamorphosen eines gleichbleibenden Wesensinhaltes unter veränderten Bedingungen. Damit überhaupt von Entwicklung gesprochen werden kann, ist sowohl Identität als auch Differenz notwendig. Das, was sich entwickelt, bleibt mit sich identisch, es setzt aber in zeitlicher Aufeinanderfolge unterschiedliche Erscheinungsgestalten aus sich heraus und aktualisiert dadurch die in ihm angelegte potentielle Universalität.[5] Die erst in der Neuzeit konzipierte Idee der Entwicklung widerspricht der formalen Logik, aber auch die Logik entwickelt sich, sie ist – wie alle Gesetze – Ausdruck von Lebensbeziehungen kosmischer Intelligenzen. Das aut-aut (entweder-oder) der Verstandesseele geht in das cum-tum (sowohl als auch) der Bewusstseinsseele über – von Aristoteles zu Hegel – und die dialektische Selbstbewegung des Begriffs in die Logik des Geistselbstes, in der das Subjekt des Denkens das Denken als Umbildungsstoff ergreift und es zum Schauen weiterbildet.

Vertikal wird die horizontale Ebene zyklischer Wiederholungen von der Spiegelungsachse des Christus-Ereignisses durchschnitten, durch welches das Ewige ins Zeitliche einbricht und den Richtungssinn der kosmischen Evolution umkehrt. Der Reigen der Archai blickt auf den führenden kosmischen Geist als seine ruhende Mitte und führt seine heilige Prozession in zyklischen Wellenbewegungen um ihn auf. Der Verlauf der Zeit könnte daher auch als Spirale beschrieben werden, die von der Spitze eines Kegels sich um dessen verborgene Achse auswickelt, um sich, wenn sie seine Basis erreicht hat, auf dem selben Weg – der doch ein anderer ist, weil die Erfahrungen der Ausfaltung in den Rückweg integriert werden –  wieder einzuwickeln. Die Spitze des Kegels repräsentiert den Geburtsort der Archai, den alten Saturn, wo die Zeit aus dem Schoß der Ewigkeit hervortritt, die Basis ihre größte Dilatation im Schwerefeld der Erde, wo die Erscheinung des Ewigen im Zeitlichen sie zur Rückkehr in ihren Grund bewegt.

Ins Auge gefasst werden von Steiner im vorliegenden Vortrag die drei Jahrtausende vor und nach der Begründung des Christentums. Im Jahr 3101 vor Christus begann das Kali Yuga, das »finstere Zeitalter« der hinduistischen Zeitrechnung, das 1899 zu Ende ging, also 5000 Jahre dauerte. Äußerlich betrachtet ist dieses Zeitalter jedoch keineswegs finster, vielmehr brachte es unter anderem all die »großen Errungenschaften« der Neuzeit. Vor dem (fließenden) Beginn dieses Zeitalters war die Fähigkeit des Hellsehens noch weit verbreitet, ab dem 3. Jahrtausend begann sich die an das Denken gebundene Urteilsfähigkeit und mit ihr das individuelle Selbstbewusstsein auszubilden. Dieses Selbstbewusstsein hat sich der Mensch durch den Verlust des Zusammenhangs mit der geistig-göttlichen Welt erkauft, an die Stelle der Urteile der Götter trat das Urteil des Menschen.

Das erste der drei vorchristlichen Jahrtausende schuf »eine Art Ersatz für das Hineinschauen in die geistige Welt«: Abraham, der Stammvater des jüdischen Volkes, bildete stellvertretend für die gesamte Menschheit das Vermögen aus, das Gehirn als Organ des Denkens zu benutzen und aufgrund des Denkens ein Gottesbewusstsein zu entwickeln, dem Gott als verwandt mit dem menschlichen Ich-Bewusstsein erschien – als »Welten-Ich«, das dem Menschen-Ich korrespondiert. Aufgrund der Bedeutung der »Abraham-Individualität« für die Bewusstseinsgeschichte kann dieses erste Jahrtausend als abrahamitisches Zeitalter bezeichnet werden.[6]

Auf dieses Zeitalter folgte als zweites Jahrtausend das mosaische. Nun offenbarte sich der »Gott Jahwe, das Welten-Ich« nicht mehr nur als »Gott eines Volkes«[7], sondern als »Gott der Elemente«. Als »großen Fortschritt« bezeichnet es Steiner, dass die irdischen Elemente – Blitz, Donner usw. – als »Ausflüsse oder Taten des Welten-Ich« empfunden wurden. Der Fortschritt bestand darin, dass sich das Geistige, das die Menschheit vor diesem Zeitalter als Pluralität, als Vielheit hierarchischer Wesen erlebte, zunehmend als Einheit manifestierte und in den Erscheinungen der Natur als einheitlicher Weltengrund wahrgenommen wurde. Die »einheitliche Führung« der Wesensvielheit vermochte die Menschheit vor Beginn des dritten vorchristlichen Jahrtausends noch nicht zu empfinden. »Man sah die einzelnen Glieder der Hierarchien, man sah eine Vielheit von Götterwesen. Sie zusammenzufassen zu einer Einheit, das war nur den Eingeweihten möglich. Jetzt aber [im mosaischen Zeitalter] stellte sich das Welten-Ich, das der Mensch … zuerst auffasste mit dem physischen Werkzeug des Gehirns, welches bei Abraham sich besonders ausprägte, vor ihn hin, jetzt fasste der Mensch dieses Welten-Ich auf als sich kundgebend in den verschiedenen Reichen der Natur, in den verschiedenen Elementen«.

Einen weiteren Fortschritt in der Entwicklung des Gottesbewusstseins brachte das letzte dieser drei Jahrtausende, das salomonische, das schließlich in jenem Ereignis gipfelte, durch das »dieselbe göttliche Wesenheit«, die Abraham und Moses als Jahwe erschien, Menschengestalt annahm. Etwas weniger karg sind die Bemerkungen über das salomonische Zeitalter im Parallelvortrag vom 15. März 1910 in München: »Im dritten Jahrtausend der so sich durchringenden Gotteserkenntnis erfolgte die salomonische Epoche, in welcher Gott sich durch die Symbole des Tempels offenbarte, den Salomo zu Jerusalem erbaut hatte. Die göttliche Offenbarung erfolgte also stufenweise: bei Abraham als Ich-Gott oder Jahwe-Gott; bei Moses im Feuer des brennenden Busches, in Blitz und Donner; bei Salomo im Symbolum des Tempels«.[8] Christus unterscheidet sich nicht von Jahwe, so Steiner weiter – nicht mehr jedenfalls, als sich das Sonnenlicht vom Mondlicht unterscheidet. Die »Geistessonne«, die in Christus erschien, wurde zuvor vom Mond in Gestalt Jahwes zurückgestrahlt. »Wie das Mondenlicht das Sonnenlicht zurückstrahlt, so strahlte sich die Christus-Wesenheit für Abraham, Moses, Salomo zurück. Es war immer dieselbe Wesenheit. Sie erschien dann selber als die Christus-Sonne … mit der Begründung des Christentums«.

Diese drei Zeitalter spiegeln sich über die Achse des Christus-Ereignisses in den drei nachchristlichen Jahrtausenden. Der Grundzug des salomonischen Zeitalters bestimmt das erste Jahrtausend nach Christus, jener des mosaischen das zweite und jener des abrahamitischen das dritte. Der Geist Salomos »lebt und webt in den hervorragendsten Geistern des ersten christlichen Jahrtausends«, Natur und Wesen des Christus-Ereignisses versuchte man aus der Weisheit Salomos[9] zu begreifen.

Im zweiten Jahrtausend ist es der Geist des Moses, der »die Besten« durchdringt. Während das erste mosaische Jahrtausend den Blick auf die äußere Natur richtete, um das »Welten-Ich«, den »Welten-Gott« als einheitlichen Geistesgrund in Blitz und Donner zu finden, beginnt sich nun »dieselbe Wesenheit« mit dem Anbruch des zweiten mosaischen Zeitalters im Inneren des Menschen zu offenbaren.

Wie deutlich wird, ist die Wiederholung jedoch keine bloße Reproduktion des schon Dagewesenen, sondern eine Wiederspiegelung unter umgekehrten Vorzeichen. Nicht mehr aus den Elementen der Natur, sondern »aus den tiefsten Untergründen« der Menschenseele offenbart sich die Gottheit. Als Beleg dafür führt Steiner die christliche Mystik an. In ihr offenbarte sich das Welten-Ich »mit derselben Gewalt« von innen her, mit der es sich einst Moses durch die Elemente ankündigte. Der Geist des Moses lebte in den christlichen Mystikern, so Steiner.[10]

Während das erste nachchristliche Jahrtausend aufgrund salomonischer Weisheit das Wissen von den himmlischen Hierarchien als »christliche Mysterienanschauung« ausgestaltete, schuf das zweite das »tiefe mystische Bewusstsein vom Einheitsgott, der in der menschlichen Seele auferstehen kann«.[11]

Nun steht die Menschheit vor dem Anbruch des zweiten abrahamitischen Zeitalters. Während das erste ein »an das Gehirn gebundenes Gottesbewusstsein« vermittelte, wird das zweite das Umgekehrte vollbringen: es wird den Übergang vom einheitlichen, denkend erfassten Gottesbegriff zur Schau der Vielfalt, der Pluralität der göttlichen Welt vollziehen. »Wir gehen den Weg, der die Menschen wieder eintreten lassen wird in Zustände natürlichen Hellsehens, natürlich hellseherischer Kräfte«. Dieses Hellsehen bezieht sich auf die ätherische Welt, der der menschliche Ätherleib angehört. Seine ersten Anzeichen werden sich »verhältnismäßig bald« zeigen. Noch im 20. Jahrhundert sei es der Menschheit beschieden, so Steiner, die ersten Elemente dieses ätherischen Hellsehens zu entwickeln, das »gewiss« auftreten werde.

Das bevorstehende Ereignis eröffnet dem 20. Jahrhundert allerdings eine deutliche Alternative: entweder es »versinkt im Sumpf des Materialismus« oder es nimmt die Geisteswissenschaft in sich auf. »Tritt« der Materialismus das keimende Bewusstsein von der geistigen Welt »tot«, wird Unheil über dieses Jahrhundert kommen. Im anderen Fall wird ihm Heil aus dem spirituellen Bewusstsein erwachsen. Wie auch immer diese Prüfung ausfällt, das dritte Jahrtausend wird dank der Inspiration Abrahams diesen globalen Schritt in der Bewusstseinsentwicklung vollziehen: so wie er »das Gottesbewusstsein in das Gehirn« hineinführte, wird er es wiederum aus ihm herausführen. Die Menschheit auf diesen großen Entwicklungsschritt vorzubereiten, ist eine der Aufgaben der Geisteswissenschaft. Man könnte diese neben anderem also auch als eine aktuelle abrahamitische Offenbarung bezeichnen.

Die Erlebnisse, die mit diesem aufkeimenden »natürlichen Hellsehen« verbunden sind, charakterisiert Steiner am Beispiel des Paulus. Paulus wusste aus der »hebräischen Geheimlehre« zweierlei: dass einst eine göttliche Individualität auf die Erde heruntersteigen, den Tod überwinden und durch ihre Auferstehung die geistige Sphäre der Erde verändern werde. »Während vorher ein Hellseher in der geistigen Atmosphäre der Erde die Christus-Wesenheit nicht gesehen hat – die konnte er nur sehen bei dem Blick zum Sonnengeist«, musste nach dem Sieg über den Tod Christus »für das hellseherische Bewusstsein in der Erdensphäre« zu finden sein. Und von dieser Anwesenheit Christi in der Sphäre der Erde konnte sich Paulus durch sein eigenes Hellsehen überzeugen. »Er fing … an, die Überzeugung zu haben, dass der Christus auch der vorhergesagte Messias ist, … als er wie durch eine Gnade von oben hellseherisch wurde und den Christus in der Erdensphäre entdeckte. Er ist also schon dagewesen, er ist schon auferstanden, musste er sich sagen. Indem Paulus selber hellseherisch den Christus gesehen hat in der geistigen Erdensphäre, wusste er: Jetzt ist er da«.

Dieses Erlebnis des Paulus ist aber nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt beschränkt. Mit dem Anbruch des neuen abrahamitischen Zeitalters und dem Heranreifen des natürlichen Hellsehens wird es immer mehr Menschen zugänglich.[12] »Das wird das Große, das Gewaltige des nächsten Zeitalters sein, dass für viele Menschen das Ereignis von Damaskus aufleben wird … Indem die Menschen fähig werden, den Ätherleib zu sehen, werden sie den Ätherleib des Christus Jesus sehen lernen, wie der Paulus ihn gesehen hat. Das ist dasjenige, was als das Charakteristikum eines neuen Zeitalters beginnt, und was bei den ersten Vorläufern der Menschen mit diesen Fähigkeiten sich schon zwischen 1930 bis 1940/45 zeigen wird«.[13]

»Wenn die Menschen aufmerksam sein werden, werden sie dieses Ereignis von Damaskus und damit Klarheit und Wahrheit über das Christus-Ereignis durch unmittelbare geistige Anschauung erleben. … Der geistige Beweis des Christus Jesus wird dadurch geliefert werden, dass gehegt werden die Fähigkeiten der Menschen, dass sie schauen sollen den wahrhaft vorhandenen Christus in seinem Ätherleib«.

Im Kali Yuga vermochte sich Christus nur »durch eine physische Inkarnation« zu offenbaren. Da sich das Bewusstsein der Menschheit aber weiterentwickelt, wird er sich künftig in anderer Form zeigen. Er wird sich in jener Welt offenbaren, in der »nur Ätherleiber gesehen werden« können. »Denn eine zweite physische Verkörperung des Christus gibt es nicht«.

Die wichtigsten Ereignisse der Menschheitsgeschichte werden sich in Zukunft nicht in der physischen Welt abspielen, sondern in der ätherischen Welt. Zu ihnen gehört die Schau der »Äthergestalt« Christi.

Diese Hinweise verbindet Steiner mit einer Warnung vor falschen Messiassen, die aufgrund des materialistischen Missverständnisses, Gott werde in physischer Gestalt wiederkehren, mit Sicherheit Zuspruch erleben werden. »Und solche wird es genug geben in der Mitte des 20. Jahrhunderts, die benutzen werden den materialistischen Glauben der Menschen, die benutzen werden das materialistische Denken und Fühlen der Menschen, um sich für den Christus auszugeben«. Solche falschen Messiasse habe es auch schon früher gegeben, aber die Auswirkungen ihres Auftretens seien nicht so fatal gewesen, als sie es in Zukunft sein würden, denn damals war »an die Menschheit noch nicht die Forderung gestellt, zu unterscheiden das Wahre vom Falschen. Jetzt erst stehen wir in dem Zeitalter, wo es verhängnisvoll werden könnte, wenn die Menschen die geistige Probe nicht bestehen würden … Die nach Geisteswissenschaft Strebenden werden sich als diejenigen erweisen müssen, welche die falschen Messiasse unterscheiden können von dem einzigen Messias, der nicht im Fleisch, sondern der für die neuerwachten Fähigkeiten als eine spirituelle Wesenheit erscheint«. Obwohl der Kontext dieser Warnungen religiös ist, darf der Begriff des »Messias« nicht nur religiös verstanden werden, – gemeint ist die irrige Vorstellung, Gott könne erneut in menschlicher Gestalt erscheinen, die in Wahrheit eine Vergottung des Menschen ist.[14]

Der Vortrag mündet in einen Ausblick auf das »geheimnisvolle Land Schamballa«, »aus dem herunterfließen diejenigen Ströme, welche wahre geistige Nahrung geben alldem, was in der physischen Welt geschieht«. Dieses Land – die ätherische Welt – wird der Menschheit durch das neue Hellsehen wieder zugänglich werden. Zu dem ersten, was die Menschen in diesem Land erblicken werden, wird »Christus in seiner Äthergestalt gehören«. »Es gibt keinen anderen Führer« für die Menschheit in dieses für verschwunden erklärte Land, »als Christus«. Er »wird die Menschen nach Schamballa führen«.

Noch einmal wird von Steiner eine Bedingung formuliert: Wenn die Menschheit versteht, dass sie »nicht tiefer herabsinken darf in die Materie«, »dass ein spirituelles Leben seinen Anfang nehmen muss, dann wird sich ergeben zuerst für wenige, dann – in 2500 Jahren – für immer mehr und mehr Menschen das lichtdurchwobene und das lichtdurchglänzte, das von unendlicher Lebensfülle strotzende, das unsere Herzen mit Weisheit erfüllende Land Schamballa«.

Der »größte Wendepunkt in der Entwickelung der Menschheit« steht im Anbruch des neuen abrahamitischen Zeitalters bevor. Durch diese Wende wird sie auch den »Christus-Impuls« immer mehr verstehen. »Je mehr Schauungen sich die Menschen erringen, desto größer …, desto gewaltiger« wird ihnen Christus erscheinen.

Was es mit dem Geheimnis der Theophanie Christi in einem Ätherleib auf sich hat, wird im folgenden Beitrag dargestellt.

Vorheriger Beitrag: Christologische Variationen in der Geheimwissenschaft 1909/1920

wird fortgesetzt

Anmerkungen:

[1] Siehe dazu: Theosophie und Anthroposophie

[2] Siehe dazu: Die Evolution vom Gesichtspunkte des Wahrhaftigen, 31.10.1911, GA 132.

[3] »In jeder [geschichtlichen] Epoche haben wir einen … Geist der Epoche; der gibt am Ende der Epoche sein Amt an seinen Nachfolger ab, dieser wieder an seinen weiteren Nachfolger usw. Die vorangegangenen machen inzwischen ihre eigene Entwicklung durch, dann kommt derjenige, der am längsten nicht daran gewesen ist, wieder an die Reihe, so dass derselbe in einer späteren Epoche während die anderen dann ihre eigene Entwicklung durchmachen, als Geist der Epoche wiederkommt und für die fortgeschrittene Menschheit das, was er selber für seine höhere Mission erworben hat, intuierend der Menschheit einflößt … Wegen dieser Eigenschaft …, dass sie gleichsam Kreise beschreiben und wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückkommen, dass sie Zyklen beschreiben«, werden die Geister der Persönlichkeit (Archai) auch als »Geister der Umlaufszeiten« bezeichnet. Vgl. Die Mission einzelner Volksseelen, GA 121, Dornach 2017, S. 37.

[4] Auswirkungen dieses Gesetzes finden sich auf unterschiedlichsten Ebenen: in der kosmischen Entwicklung, in der Makrogeschichte der Menschheit und der Mikrogeschichte der Biografie, in aufeinanderfolgenden Inkarnationen usw. In bezug auf Abraham, Moses und Salomo ist im hier referierten Vortrag sogar von einem »urewigen Weltengesetz« die Rede: »Denn das ist ein urewiges Weltengesetz, dass sozusagen eine jede Individualität eine bestimmte Tat periodisch mehrmals, vor allen Dingen zweimal zu tun hat, das eine Mal wie als das Gegenteil vom andern. Was Abraham sozusagen der Menschheit heruntergebracht hat in das physische Bewusstsein herein, das wird er für sie wiederum hinauftragen in die geistige Welt hinein«.

[5] »Jedes Wesen« heißt es dazu in der Philosophie der Freiheit, »hat seinen eingeborenen Begriff (das Gesetz seines Seins und Wirkens); aber er ist in den Außendingen unzertrennlich mit der Wahrnehmung verbunden und nur innerhalb unseres geistigen Organismus von dieser abgesondert. Beim Menschen selbst ist Begriff und Wahrnehmung zunächst tatsächlich getrennt, um von ihm ebenso tatsächlich vereinigt zu werden … Es ist in dem Wahrnehmungsobjekt Mensch die Möglichkeit gegeben, sich umzubilden, wie im Pflanzenkeim die Möglichkeit liegt, zur ganzen Pflanze zu werden. Die Pflanze wird sich umbilden wegen der objektiven, in ihr liegenden Gesetzmäßigkeit; der Mensch bleibt in seinem unvollendeten Zustande, wenn er nicht den Umbildungsstoff in sich selbst aufgreift, und sich durch eigene Kraft umbildet«. GA 4, Dornach 1995, S. 169-170. Der dem Menschen eingeborene Begriff, den es mit der Wahrnehmung zu vereinigen, d.h. zu verwirklichen gilt, ist der Begriff der freien Individualität. – Auch die »Entwicklung« (Evolution) wird von Steiner als universelles Prinzip verstanden, dem alles unterworfen ist. Die Geheimwissenschaft im Umriss verfolgt unter anderem das Ziel, diese Auffassung zu erläutern.

[6] Abraham war der Stammvater des hebräischen Volkes. Er übertrug ihm die Aufgabe, das (polytheistisch) Göttliche, das in der äußeren Welt verehrt wurde, im Inneren des Menschen, als Monon, zugänglich zu machen. Er leitete eine Epoche ein, deren Früchte noch heute der ganzen westlichen Kultur und Zivilisation einverleibt sind. Zu diesen Früchten gehören u.a. das kombinatorische Denken und die mathematische Logik. Noch das Mittelalter sah in Abraham den Meister der Arithmetik. Der Gott Abrahams ist derselbe Gott, der von den Mysterien in der äußeren Natur, im Kosmos verehrt wurde (Kosmotheismus). Wenn der Mensch alles, was in der Außenwelt durch Maß und Zahl begreifbar ist, durchdringt, nähert er sich Jahwe, er begreift die geistige Einheit der Natur und erkennt den väterlichen Kosmos der Weisheit. Jahwe wird zuerst in der Gesetzmäßigkeit der Natur erkannt und dann erst kann er auch im eigenen Inneren gefunden werden. Vgl. GA 117, 9.11.1909; GA 118, 6.3. 1910.

Eine ähnliche Auffassung der Aufgabe Abrahams vertrat Philo von Alexandrien. In seinem Werk über Abraham (de Abrahamo) schreibt er: »Die Chaldäer betrieben vorzugsweise die Sternkunde und schrieben alles den Bewegungen der Gestirne zu; daher glaubten sie, dass alles in der Welt von Kräften geleitet wird, die in Zahlen und Zahlenverhältnissen enthalten sind, und priesen das sichtbare Sein, während sie das unsichtbare und rein geistige nicht begriffen. Bei ihrer Durchforschung der in den Himmelskörpern herrschenden Ordnung, die in den Kreisbewegungen der Sonne, des Mondes und der übrigen Planeten und der Fixsterne, sowie in dem Wechsel der Jahreszeiten und in den engen Beziehungen zwischen den himmlischen und irdischen Dingen zu Tage tritt, nahmen sie an, dass die Welt selbst Gott sei … Nachdem Abraham in diesem Glauben herangewachsen und lange Zeit Chaldäer (Sternverehrer) gewesen war, öffnete er wie aus tiefem Schlaf das Auge der Seele und begann, statt tiefer Finsternis reinen Lichtglanz zu schauen; er folgte diesem Lichtglanz und nahm wahr, was er vorher nicht gesehen hatte, einen Lenker und Leiter der Welt, der über sie waltet und in heilsamer Weise sein eigen Werk regiert …« (De Abr, I, 69-70) – Laut Flavius Josephus brachte Abraham die Arithmetik und Astronomie aus Chaldäa nach Ägypten. Auf die Bedeutung von Maß und Zahl, die von der »Sternenordnung« abgelesen und in den physischen Leib des Menschen hineingeheimnisst sind, kommt Steiner auch in seinen Erläuterungen zum Geschlechtsregister des Matthäus-Evangeliums zurück, das die Vorfahren Jesu in dreimal vierzehn Generationen unterteilt (GA 117, 1909, S. 48f). – Zu Abraham siehe: Lorenzo Ravagli: Abrahamitische Kultur – Die Kultur von der alles ausgegangen ist.

[7] Im Alten Testament wird Jahwe als »Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs« (2 Mo 3,16) oder »Gott der Väter« (2 Mos 3,15; 4,5) bezeichnet. Die einseitige Betonung des Vaterprinzips im Protestantismus, die zum Verschwinden der Hierarchienwelt und der kosmischen Christologie führte, stellt einen Rückfall in das vorchristliche Gottesbewusstsein dar.

[8] GA 118, 15.3.1909, S. 150. Die Symbolik des salomonischen Tempels steht im Zentrum des Memphis-Misraim-Dienstes und der esoterischen Lehrstunden, in welchen Steiner zwischen 1904 und 1906 diese Symbolik erläuterte, siehe Die Tempellegende und die Goldene Legende als symbolischer Ausdruck vergangener und zukünftiger Entwicklungsgeheimnisse des Menschen, GA 93.

[9] Die Weisheit Salomos ist nicht nur der Titel eines apokryphen alttestamentlichen Buches, sondern war auch seit dem Altertum sprichwörtlich. Die Kirchenväter pflegten Zitate aus dem Text, der rund 50 v. Chr. verfasst worden sein dürfte, mit der Formel einzuleiten: »Die Weisheit sagt …«. Es ist jene Weisheit, die in den Sprüchen von sich selber sagt: »Der Herr (Adonaj, Jahwe) hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her … Als er die Himmel bereitete, war ich da … als er die Grundfesten der Erde legte, da war ich seine Geliebte bei ihm; ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit …« Spr 8,22-31. Der griechischen sophia – σοφια – sind wir bereits mehrfach begegnet, in Steiners Deutung des Johannes-Evangeliums spielt sie eine herausragende Rolle.

[10] Er lebte und wirkte sogar noch in Johann Gottlieb Fichte, den Steiner 1906 mit Moses verglich. So wie dieser sein Volk an die Grenze des gelobten Landes geführt hatte, ohne es selbst zu betreten, führte Fichte das philosophische Bewusstsein an die Grenze des Landes des Okkultismus, ohne dieses Land zu betreten. »Man möchte diesen Denker mit dem Propheten vergleichen, der nicht selbst das gelobte Land betreten hat, aber die Seinigen bis zu einem Gipfel führt, von dem aus sie die Herrlichkeiten desselben schauen konnten. Fichte führt das Denken bis zu dem Gipfel, von dem aus der Eintritt in das Land des Okkultismus vollzogen werden kann. Und die Vorbereitung, welche man durch ihn erlangt, ist die denkbar reinste«. GA 35, Dornach 1984, S. 56-57. Der herausragenden bewusstseinsgeschichtlichen Bedeutung dieser Epoche ist das Buch Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur modernen Weltanschauung (GA 7) gewidmet.

[11] Eine transzendentalphilosophische Metamorphose dieses »mystischen Einheitsgottes« ist Fichtes Ichbegriff.

[12] Steiner selbst dürfte um die Jahrhundertwende entsprechende hellseherische Erfahrungen durchlebt haben.

[13] Schon 1910 verknüpft Steiner diesen Zeitraum (1930-1945) mit dem Auftreten von Kometen (siehe den Vortrag vom 5. März in Stuttgart, GA 118). Im September 1924 sollte er diese Motive in einer Vortragsreihe für die Priester der Christengemeinschaft aufgreifen und das bedeutungsschwangere prophetische Wort aussprechen: »1933, meine lieben Freunde, bestünde die Möglichkeit, dass die Erde mit allem, was auf ihr lebt, zugrunde ginge, wenn nicht die andere weise Einrichtung da wäre, die sich nicht errechnen lässt. Es ist so, dass die Berechnungen nicht mehr stimmen können dann, wenn die Kometen andere Formen angenommen haben. Man müsste im Sinne des Apokalyptikers sagen: Ehe denn der ätherische Christus von den Menschen in der richtigen Weise erfasst werden kann, muss die Menschheit erst fertig werden mit der Begegnung des Tieres, das 1933 aufsteigt. – Das ist apokalyptisch gesprochen«. Apokalypse und Priesterwirken, GA 346, Dornach 2001, S. 239. Aber bereits am 25. Oktober 1918 war in Dornach von der Notwendigkeit der Begegnung mit dem Bösen als Vorbedingung der »Erneuerung des Mysteriums von Golgatha« die Rede. Dadurch, dass die Menschheit mit ihm konfrontiert wird, entwickelt sie die manichäischen Kräfte, um es zu überwinden: »Jetzt, wo Christus wiederum im Ätherischen erscheinen soll, wo wiederum eine Art Mysterium von Golgatha erlebt werden soll, jetzt wird das Böse eine ähnliche Bedeutung haben wie Geburt und Tod für den vierten nachatlantischen Zeitraum [die griechisch-lateinische Epoche]. Im vierten nachatlantischen Zeitraum entwickelte der Christus Jesus seinen Impuls für die Erdenmenschheit aus dem Tode heraus … So wird aus [der Konfrontation mit] dem Bösen heraus auf eine sonderbare, paradoxe Art die Menschheit des fünften nachatlantischen Zeitraums zu der Erneuerung des Mysteriums von Golgatha geführt. Durch das Erleben des Bösen wird zustande gebracht, dass der Christus wieder erscheinen kann, wie er durch den Tod im vierten nachatlantischen Zeitraum erschienen ist«. Geschichtliche Symptomatologie, GA 185, Dornach 1982, S. 103-104.

[14] Die großen Despoten des 20. Jahrhunderts – Stalin, Hitler, Mao Tsetung – wurden als politisch-religiöse Messiasse verehrt. Sie traten als dämonische Masken vor das aufkeimende Bild des ätherischen Christus. Den religiös überhöhten politischen Cäsarismus kommentierte Steiner 1916: »In dem Augenblicke – fassen Sie diesen Satz wohl – wo sich der Mensch wie ein römischer Cäsar als Gott verehren lässt, verliert er seine Menschlichkeit und sinkt in die Untermenschlichkeit herunter. Er hört auf, Mensch zu sein, wenn er sich als etwas Übermenschliches verehren lässt im sozialen Leben«. 27.11.1916, GA 172, Dornach 2002, S. 205. – Das »Untermenschliche«, in das der zum Gott erhöhte Mensch, der sich als politischer Erlöser verehren lässt, hinuntersinkt, ist das »Tierische«, das 1933 aus dem Abgrund aufsteigt. Die Kritik an der »Vergottung des Menschen« zielt auf die Erhöhung des unerlösten Menschen in einen Rang, der ihm nicht zusteht und nicht etwa auf die allmähliche Vergottung durch Umwandlung und Läuterung seiner niederen Natur. Diese Theosis ist Ziel aller Mysterienschulung und Mystik und bildet das zentrale Thema der Mystik im Aufgang des neuzeitlichen Geisteslebens und des Christentums als mystische Tatsache. Auch der esoterische Schulungsweg der Anthroposophie als Weg zur Theosis charakterisiert werden.

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