Zuletzt aktualisiert am 17. Mai 2014.
Verleger und Wissenschaftler riefen Anfang Juli bei einer Tagung in Berlin dazu auf, endlich eine öffentliche Debatte über die Strukturen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), das von ihr praktizierte anonyme Gutachterverfahren, und die Rolle des Wissenschaftsrates bei den Finanzströmen zu führen, die die DFG verwaltet. Sie kritisierten die Förderpolitik der DFG, die an einen Geheimbund erinnere und warfen ihr schwere Versäumnisse vor.
Der Heidelberger Wissenschaftsverleger Georg Siebeck sprach von der »undurchsichtigen Rolle« des DFG in der Wissenschaftspolitik. Viele seiner Autoren und Herausgeber beklagten sich über die DFG, doch niemand wage, seine Kritik öffentlich zu äußern. Die DFG werde vom Bund, ihrem Hauptgeldgeber, zunehmend instrumentalisiert, so Siebeck. Sie sei zwar die größte wissenschaftsfördernde Institution in Deutschland, aber nicht mit »der Wissenschaft« gleichzusetzen. Die DFG hat als eingetragener Verein keinerlei Offenlegungspflicht über die Verwendung der Steuergelder, die sie vom Staat erhält. Siebeck kritisierte auch die »Macht anonymer Gutachter«, die mit den Grundsätzen des wissenschaftlichen Diskurses nicht vereinbar sei. Bereits 2006 hat der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages im Anschluss an eine rechtswissenschaftliche Studie von Stefanie Salaw-Hanslmaier festgestellt, dass die gutachterliche Praxis der DFG rechtsstaatlichen Prinzipien nicht genüge, da die Entscheidungen weder begründet würden, noch Widerspruchsmöglichkeiten bestünden. Siebeck forderte Transparenz, anstelle von klandestinen Verfahren. Ein besonderer Stein des Anstoßes ist für ihn die Antragsforschung, die den Erfolg eines Projekts daran messe, ob sein Ergebnis möglichst genau mit seinem Antrag zusammenpasse – eine für die Ergebnisoffenheit wissenschaftlicher Forschung widersinnige Konstellation. In den Gremien der DFG, den Ministerien und Großforschungseinrichtungen gebe es ein immer wiederkehrendes Geflecht von Personal, das den Verdacht nähre, hier würden von einer etablierten Nomenklatura sachfremde Entscheidungen getroffen und gegenseitig Forschungspfründen zugespielt.
Der Begründer des »Heidelberger Appells für Publikationsfreiheit und Wahrung der Urheberrechte«, Roland Reuß, übertraf Siebeck noch mit seiner Kritik: »Die durch eklatante Unterausstattung der Universitäten unkontrolliert wachsende und alles sich unterwerfende Macht des transföderal und opak oligarchisch agierenden Forschungsförderungsapparats ist nicht nur eine konkrete politische Gefahr, weil sie die Chance der Erforschung radikal neuer Ansätze und damit letztlich auch die Möglichkeit gesellschaftlich notwendiger Transformationen minimiert. Sie demoralisiert vor allem das forschende Individuum, die Basis jeden wissenschaftlichen Fortschritts.« Mit anderen Worten: Der Förderungsapparat ist ein sich selbst reproduzierendes und perpetuierendes System, das sich an den etablierten Standards des wissenschaftlichen Mainstreams orientiert und so aktiv – ob beabsichtigt oder nicht – die Entwicklung des Neuen, die Erweiterung des Wissens und der Erkenntnis unterdrückt.
Zwar ging die Organisation der Forschungsförderung nach dem Zweiten Weltkrieg als privater Verein aus guten Absichten hervor – wollte man doch den Mißbrauch der Vorgängerinstitution durch die NS-Machthaber zukünftig verhindern – inzwischen hat sich die Situation durch den zunehmenden Zentralismus jedoch grundlegend geändert. Eben, was man verhindern wollte, wird nun zum Problem. Reuß: »Je mehr Geld in diesen Verein gepumpt wurde, desto größer wurde die Versuchung der Geldgeber, den Vorzug des deutschen Vereinsrechts, interne Entscheidungen nach außen abzudichten, gegen die durchaus ehrenwerten Absichten der Gründer auszumanövrieren.« Zwischen 2,2 und 2,7 Milliarden Euro fließen jährlich über die Konten der DFG. Wofür sie ausgegeben werden, darüber gibt es keine Auskunft. Die DFG ist nicht einmal dem Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig. Dadurch wird der geschlossene Verein zu einem »zentralen Herrschaftsinstrument«, so Reuß, das über die Förderung von Forschung lenkend in das gesamte Wissenschaftssystem eingreife. Die DFG verweigere »die Diskussion mit der wissenschaftlichen Basis in allen zentralen Fragen« und wenn sie als Stimme der deutschen Wissenschaft auftrete, dann sei dies nicht mehr als eine anmaßende Behauptung. Die in der DFG vertretenen Wissenschaftsinstitutionen, die in eklatantem Ausmaß von der Politik abhängig seien, bildeten nach außen eine »Allianz der Einschüchterung«. (Dem 39 Mitglieder umfassenden Senat der DFG gehören unter anderem die Hochschulrektorenkonferenz, die Union der deutschen Akademien der Wissenschaft und die Max-Planck-Gesellschaft an). Kritische Fragen seien bei der DFG nicht erwünscht. Die DFG wolle »gläserne Forscher«, verhülle sich selbst jedoch »wie die Kaaba«. Reuß forderte, die DFG müsse auf ihrer Webseite in jährlichen Berichten detailliert ausweisen, welche Projekte in welchen Fachbereichen gefördert würden, alle Anträge müßten dokumentiert und veröffentlicht werden, ebenso müßten die Gutachten, ob zustimmend oder ablehnend, vollständig unter dem Namen der Gutachter veröffentlicht werden. (Auf diese Weise ließe sich zum Beispiel nachvollziehen, wie die Entscheidung zustande kam, die Entstehung des Werkes »Anthroposophie in Deutschland« von Helmut Zander zu fördern.)
Aber nicht nur die Projektförderung muss laut Reuß öffentlich dokumentiert werden, sondern auch Ernennungen und Wahlen, sowie die personelle Verflechtung der Gremien. Als Beispiel nannte Reuß den Fall des Rektors der Freiburger Universität, Hans-Jochen Schiewer, der sich als Mitglied in mehreren Gremien selbst berate, um das, was er beraten habe, anschließend mit zu beschließen und schließlich zu beforschen.
Verleger und Wissenschaftler sind sich darin einig, dass das Gutachterwesen und die Rolle der Fachreferenten dringend einer Reform bedürfen. Die Fachreferenten sind die Scharniere, über die Förderanträge an anonyme Gutachter weiter geleitet werden. Natürlich sind die Identitäten der Gutachter den Fachreferenten bekannt. So kann ein Fachreferent, wie Reuß sagte, »durch die Zuteilung eines Antrags an diesen oder jenen Gutachter jedes Projekt durch den Vorgang schleusen oder auch scheitern lassen.« Mit den Prinzipien wissenschaftlicher Forschung, Transparenz, Überprüfbarkeit und Intersubjektivität hat dies nichts zu tun. Von der Anonymität der Gutachter sollte man sich verabschieden, die Einrichtung einer Appellationsmöglichkeit bei Ablehnung von Anträgen sei dringend erforderlich. Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags bemerkte 2006: »Da die fachliche Begutachtung durch … Wissenschaftler erfolgt, die auf einem eng verwandten Forschungsgebiet arbeiten, sind Antragsteller und Gutachter in fast allen Fällen nicht nur Kollegen, sondern gleichzeitig auch Konkurrenten um begrenzte Forschungsmittel. Dies kann insbesondere dann problematisch sein, wenn der Antragsteller neu in ein Gebiet ›eindringen‹ will, das der Gutachter bisher weitgehend als seine eigene wissenschaftliche ›Nische‹ definiert hat.« Die einseitige Anonymität (der Gutachter, nicht der Antragsteller), begünstige Revierverhalten. Je nach Konstellation begünstigt sie aber auch Klientelismus. Dazu der Gründer des Heidelberger Appells: »Wer als Wissenschaftler nicht bereit ist, mit seinem Namen zu bürgen, hat als Gutachter in einem für wissenschaftliche Projekte so wichtigen Prozeß nichts verloren.« Damit stellt Reuß nicht nur die Methoden des DFG, sondern das gesamte Verfahren der Peer Review (»gute Forschung ist, was gute Forscher anonym für gute Forschung halten«) zur Disposition.
Paul Feyerabend schlug bereits 1979 in seinem Buch »Erkenntnis für freie Menschen« Lösungen für die hier geschilderten Probleme vor. »Unsere wohltrainierten materialistischen Zeitgenossen«, schrieb er, »bersten natürlich vor Begeisterung, wenn von Dingen wie den Mondfahrten, der Doppelhelix, der Einsteinschen Raumzeitlehre die Rede ist. Aber sehen wir uns die Sache von einem anderen Standpunkt aus an, und sie wird eine lächerliche Übung in Nutzlosigkeit. Milliarden von Dollars, Tausende von wohltrainierten Assistenten, Jahre harter Arbeit wurden eingesetzt, damit ein paar nicht zu intelligente und ziemlich beschränkte Zeitgenossen, unbeholfene Sprünge an einem Ort ausführen konnten, den kein vernünftiger Mensch je besuchen würde – auf einem ausgetrockneten, luftlosen, heißen Stein. Aber Mystiker haben ohne Geld, ohne Assistenten, ohne einen Stab von Wissenschaftlern mit Hilfe ihres Geistes allein das Universum durchkreuzt, bis sie schließlich Gott selbst in all seiner Herrlichkeit sahen, und sie brachten zurück nicht trockene Steine, sondern Trost für die Menschheit. Natürlich macht man heute solche Behauptungen lächerlich und nennt sie abergläubisch – aber das zeigt nur die geistige Unmündigkeit des allgemeinen Publikums und ihrer strengen Lehrer, der Intellektuellen. Eine freie Gesellschaft schließt eine solche Unmündigkeit nicht aus, gestattet ihr aber auch nicht, Erziehung, Geldmittel, Forschung allein zu beeinflussen: Eine freie Gesellschaft trennt Staat und Wissenschaft (und sie trennt auch den Staat von jeder anderen Tradition).«
Die FAZ berichtete am 6. Juli 2011 von der Berliner Veranstaltung.