Zuletzt aktualisiert am 20. November 2012.
Übertragung ins Neuhochdeutsche: Lorenzo Ravagli.
Es haben die Menschen immer gemeint, der Himmel sei viele hundert und tausend Meilen von diesem Erdboden entfernt und Gott wohne allein in demselben Himmel: es haben auch wohl etliche Physiker sich unterstanden, dessen Höhe zu messen und gar seltsame Dinge hervorgebracht.
Zwar habe ich selber vor dieser meiner Erkenntnis und Offenbarung Gottes dafür gehalten, dass das allein der rechte Himmel sei, der sich mit einem runden Zirkel ganz lichtblau hoch über den Sternen schließt, in der Meinung, Gott habe allein da drinnen sein besonderes Wesen und regiere nur allein in der Kraft seines Heiligen Geistes in dieser Welt.
Als mir aber dieses gar manchen harten Stoß gegeben hat, ohne Zweifel von dem Geiste, der da Lust zu mir gehabt hat, bin ich endlich gar in eine harte Melancholie und Traurigkeit geraten, als ich die große Tiefe dieser Welt anschaute, dazu die Sonne und die Sterne, die Wolken, dazu Regen und Schnee und in meinem Geist die ganze Schöpfung der Welt betrachtete.
Da fand ich denn in allen Dingen Gutes und Böses, in den unvernünftigen Kreaturen, wie dem Holz, den Steinen, der Erde und den Elementen, eben sowohl als auch in Menschen und Tieren. Dazu betrachtete ich das kleine Fünklein des Menschen, wie er doch gegenüber diesem großen Werk des Himmels und der Erde vor Gott möchte geachtet sein.
Weil ich aber fand, dass in allen Dingen Böses und Gutes war, in den Elementen ebenso wie in den Kreaturen, und dass es in dieser Welt dem Gottlosen so wohl geht wie dem Frommen, auch dass die barbarischen Völker die besten Länder innehaben und dass ihnen das Glück wohl noch mehr beisteht, als den Frommen, wurde ich darüber ganz melancholisch und hoch betrübt und es konnte mich keine Schrift trösten, welche mir doch wohl bekannt war: dabei wird dann gewiss der Teufel gefeiert haben, der mir oft heidnische Gedanken eingab, die ich hier lieber verschweigen will.
Als ich aber in solcher Trübsal meinen Geist, von dem ich wenig oder nichts verstand, ernsthaft in Gott erhob wie in einem großen Sturm, und mein ganzes Herz und Gemüt, samt allen andern Gedanken und Willensregungen, darauf richtete, ohne Nachlassen mit der Liebe und Barmherzigkeit Gottes zu ringen, und nicht nachzulassen, er segnete mich denn, das ist, er erleuchtete mich denn mit seinem Heiligen Geist, damit ich seinen Willen verstehen möge und ich meine Traurigkeit los werde, so brach der Geist durch.
Als ich aber in meinem andringenden Eifer so hart gegen Gott und alle Pforten der Hölle anstürmte, als hätte ich noch mehr Kräfte, und ich bereit war, mein Leben hinzugeben, was ich freilich ohne Gottes Beistand nicht vermocht hätte, da ist nach etlichen harten Stürmen mein Geist durch die Pforten der Hölle durchgebrochen bis in die innerste Geburt der Gottheit und allda mit Liebe umfangen worden wie ein Bräutigam seine liebe Braut umfängt.
Was aber für ein Triumphieren in dem Geist gewesen ist, kann ich nicht schreiben oder sagen, es lässt sich auch mit nichts vergleichen, als nur mit dem, wo mitten im Tod das Leben geboren wird oder mit der Auferstehung von den Toten.
In diesem Licht hat mein Geist alsbald durch alles gesehen und an allen Kreaturen, auch an Kraut und Gras, Gott erkannt, wer er sei und wie er sei und was sein Wille sei: und in diesem Licht ist alsbald auch mein Wille gewachsen mit großem Trieb, das Wesen der Gottheit zu beschreiben.
Weil ich aber nicht alsbald die tiefen Geburten Gottes in ihrem Wesen fassen und in meiner Vernunft begreifen konnte, so hat sich’s wohl 12 Jahre hingezogen, ehe mir der rechte Verstand gegeben worden ist. Und es ist gegangen wie mit einem jungen Baum, den man in die Erde pflanzt, der ist erst jung und zart und hat ein freundliches Aussehen, besonders, wenn er anfängt zu wachsen, er trägt aber nicht alsbald Früchte und ob er gleich blüht, so fallen sie doch ab, es geht auch mancher kalte Wind, Frost und Schnee darüber, ehe er auswächst und Früchte trägt.
Also ist es diesem Geist auch ergangen: das erste Feuer war nur ein Samen, aber nicht ein immer beharrliches Licht, es ist seit der Zeit mancher kalte Wind darüber gegangen, aber der Wille ist nie erloschen …
Von diesem Licht habe ich meine Erkenntnis, dazu meinen Willen und Trieb. Und ich will diese Erkenntnis nach meinen Gaben niederschreiben und Gott walten lassen, sollte ich damit auch die Welt, den Teufel und alle Pforten der Hölle erzürnen und will zusehen, was Gott damit meint. Denn seine Absicht bin ich viel zu schwach zu erkennen, und obgleich der Geist mir etliche zukünftige Dinge zu erkennen gibt, so bin ich doch dem äußerlichen Menschen nach viel zu schwach, solches zu begreifen.
…
Ich bin auch nicht in den Himmel gestiegen und habe alle Werke und Geschöpfe Gottes gesehen, sondern dieser Himmel ist in meinem Geiste offenbar geworden, dass ich im Geist erkenne die Werke und Geschöpfe Gottes: und der Wille ist nicht mein natürlicher Wille, sondern es ist des Geistes Trieb; ich habe auch manchen Sturz des Teufels damit erleiden müssen. Es ist aber der Geist des Menschen nicht allein aus den Sternen und Elementen hergekommen, sondern es ist auch ein Funke aus dem Licht und der Kraft Gottes darin verborgen. Es ist nicht ein leeres Wort, dass in der Genesis steht: Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, ja zum Bilde Gottes schuf er ihn. Denn das bedeutet eben, dass er aus dem ganzen Wesen der Gottheit gemacht worden ist.
…
Und ob mir’s gleich ein Engel vom Himmel sagte, so würde ich’s doch nicht können glauben, viel weniger fassen, denn ich würde immer zweifeln, ob sich’s auch also verhielte: aber so geht mir die Sonne selber in meinem Geiste auf, darum bin ich dessen gewiss und sehe selber die Ankunft und Geburt der heiligen Engel und aller Dinge im Himmel und in dieser Welt. Denn die heilige Seele ist ein Geist mit Gott: ob sie gleich eine Kreatur ist, so ist sie doch den Engeln gleich. Aber es sieht des Menschen Seele viel tiefer als die Engel, die Engel sehen allein bis in die himmlische Herrlichkeit, die Seele aber sieht die himmlische und die höllische Welt, denn sie lebt zwischen beiden.
Darum muss sie sich wohl quetschen lassen und alle Tage und Stunden mit dem Teufel ringen, das heißt mit der höllischen Qualität, und lebt in großer Gefahr in dieser Welt, darum heißt dieses Leben zu Recht Jammertal, voller Angst, stetigem Würgen, Kriegen, Kämpfen und Streiten.
Aber der kalte und halb tote Leib versteht diesen Kampf der Seelen nicht immer, er weiß nicht, wie ihm geschieht, sondern er ist schwermütig und ängstlich und geht von einem Gemach, ja von einem Ort zum andern und sucht Abstinenz oder Ruhe. Und wenn er dahin kommt, so findet er nichts, da läuft der Zweifel und Unglaube mit ihm, ihm ist oft, als wäre er von Gott verstoßen, aber er versteht nicht des Geistes Kampf, wie derselbe bald oben und bald unten liegt, was da für ein heftiges Kriegen und Kämpfen ist mit der höllischen und himmlischen Qualität, und welches Feuer die Teufel aufblasen und die heiligen Engel löschen, gebe ich jeder heiligen Seele zu bedenken.
Du sollst wissen, dass ich hier keine Geschichte aufschreibe, die mir von andern erzählt worden ist, sondern ich stehe unablässig in derselben Schlacht, und befinde mich im großen Streit, und da wird mir dann oft ein Bein gestellt, wie allen Menschen.
Morgenröte im Aufgang, 1612
Auszüge aus dem 9. und 12. Kapitel und der Vorrede des Autors