Julius Evola und der italienische Faschismus nach dem II. Weltkrieg

Zuletzt aktualisiert am 10. Dezember 2015.

Julius Evola und Frithjof Schuon gehörten zur ersten Generation der Traditionalisten und lebten am längsten. Bevor Evola 1974 starb, sollte er laut Sedgwick noch eine bedeutende Rolle in der italienischen Nachkriegsgeschichte spielen. Er wurde zum am besten bekannten und am meisten beschimpften Traditionalisten.

Pino-Rauti

Pino Rauti gründete 1956 den »Ordine Nuovo«, eine Splittergruppe der MSI. Rauti war ein entschiedener Anhänger Evolas.

Die Ereignisse des II. Weltkriegs diskreditierten den Faschismus in Italien, aber im Unterschied zu Deutschland gab es hier kein politisches Programm der Alliierten, um den Faschismus auszumerzen. Die extreme Rechte erholte sich in Italien schneller als in Deutschland. Als dies geschah, erwies sich die Tatsache, dass Evola eine Randfigur des italienischen Faschismus gewesen war, als Vorteil.

Die Geschichte der extremen Rechten in Italien lässt sich in zwei Phasen unterteilen. Die erste war mit Mussolinis Faschismus verbunden, die andere mit dem neuen Radikalismus, der 1968 Gestalt annahm. In beiden Phasen begleiteten eine Reihe außerparlamentarischer Bewegungen die Aktivitäten der führenden rechten Partei, des Movimento Sociale Italiano (MSI). Für die meisten dieser Gruppen, nicht aber für die MSI, waren die Werke Evolas von zentraler Bedeutung.

Zuerst stand Evola mit den »Fasci di Azione Rivoluzionaria« (FAR) in Verbindung, auch wenn nicht klar ist, auf welche Weise. Die FAR wurde 1946 gegründet und teilte sich bald in zwei Gruppen, eine revolutionäre und eine utopische. 1949 veröffentlichte Evola in »Imperium«, der Zeitschrift einer Jugendorganisation der MSI einen Artikel, der vermutlich an den utopischen Flügel der FAR gerichtet war und die Bedeutung der spirituellen Revolution hervorhob. Dieser Artikel bildete die Grundlage einer wichtigen Flugschrift, die 1950 unter dem Titel »Orientamenti« (»Orientierungen«) herauskam. Zu dieser Zeit dachte Evola noch immer in den Kategorien eines initiatischen, uranischen Ordens. Nach manchen Quellen unterstützte er Junio Valerio Borghese, einen Aristokraten, Faschisten und Helden des II. Weltkriegs.

Evola tigre (400 x 550)

Julius Evolas »Cavalcare la Tigre« wurde zu einem zentralen Text der italienischen Rechtsextremen.

1951 verhaftete die italienische Polizei etwa 30 Mitglieder der FAR und klagte sie der Verschwörung zur Wiedereinführung des Faschismus an. Evola gehörte zu den Inhaftierten, obwohl er kein Mitglied der FAR war. Er wurde angeklagt, diese mit seinen Schriften inspiriert zu haben, eine zweifelhafte Anklage, die vor Gericht nicht standhielt. Das öffentliche Interesse an diesem Prozess förderte Evolas Karriere. Er erweiterte seine Flugschrift von 1950 zu einem Buch, das 1961 unter dem Titel »Cavalcare le Tigre: Orientamenti esistenziali per un’epoca della dissoluzione« erschien (»Den Tiger reiten. Existentielle Orientierungen in einem Zeitalter der Auflösung«). »Cavalcare le Tigre« wurde später ein zentraler Text der italienischen Rechtsextremen. Es markiert zugleich das Ende von Evolas Interesse an initiatischen und uranischen Orden.

Die bedeutendste rechtsextreme Organisation in der ersten Zeit nach dem II. Weltkrieg war der »Ordine Nuovo«, eine Splittergruppe der MSI, die Pino Rauti 1956 gegründet hatte. Rauti war ein entschiedener Anhänger Evolas, oder wenigstens seiner Schriften. Der Ordine Nuovo hatte das erklärte Ziel, alles Traditionale, das überlebt hatte, zu verteidigen. Es gab eine gleichnamige Zeitschrift und Seminare, die auf Evolas und manchmal auf Guénons Werken fußten. Eine kleine Gruppe von Mitgliedern beschäftigte sich sogar mit Evolas frühesten Interessen, der zeremoniellen Magie und dem römischen Heidentum und gründete in den späteren 1960er Jahren die »Dioskuri« in Rom. Über diese ist wenig bekannt, abgesehen davon, dass sie in Schwierigkeiten gerieten, die manche ihrer Mitglieder in den Selbstmord trieben. Es sollen auch Tiere geopfert worden sein. 1975 existierten die Dioskuren in Rom nicht mehr, aber in Messina gab es noch einen Ableger.

Die meisten Aktivitäten des Ordine Nuovo waren zugleich geistig und politisch. Der italienische Soziologe Franco Ferraresi ist überzeugt, der Ordine Nuovo habe auch einer Reihe weiterer, lose verbundener Gruppen als Vorbild gedient, von denen einige bewaffnete Aktionen – Bombenattentate und einen Putschversuch – durchführten.

Aber der unmittelbare Anstoß zur Gewalt ging nicht von Evolas Schriften aus, sondern vom beginnenden Kalten Krieg und Aktivitäten wie jenen der algerischen nationalen Befreiungsfront (FLN), der bewaffneten Bewegung, welche die Franzosen schließlich aus Algerien vertrieb. Die italienische kommunistische Partei war die stärkste in Europa und die Furcht, Italien könne an die Sowjets fallen, war weit verbreitet, nicht nur in Washington, sondern auch in Teilen der italienischen Regierung, im Militär und Sicherheitsdiensten. Diese Kreise sahen die Aktivitäten der FLN im Kontext des Kalten Krieges und nicht in dem der Dekolonialisierung und entwickelten die Idee eines »revolutionären Krieges«. Danach strebte die Sowjetunion einen nichtkonventionellen, revolutionären Krieg gegen den Westen an, den sie durch Stellvertreter wie die FLN oder die PCI (die Kommunistische Partei Italien) in Gang zu setzen versuchte. Es war das Recht und die Pflicht der westlichen Staaten, auf diesen revolutionären Krieg ebenso zu antworten, wie auf einen konventionellen und die entsprechenden Waffen zu benutzen: die aufständischen und terroristischen Taktiken, die von Gruppen wie der FLN erfolgreich angewandt wurden.

Manche Anhänger Evolas im Ordine Nuovo befürworteten den revolutionären Krieg. Sie standen aber nicht an der Spitze dieser Bewegung, die mit dem Traditionalismus ohnehin nichts zu tun hatte. Eine römische Gruppe hingegen, die aus dem Ordine Nuovo hervorgegangen war – die »Avanguardia Nazionale Giovanile« (»Junge Nationale Avantgarde«) des Stefano Delle Chiaie – stand an vorderster Front bei der Umsetzung dieser Theorie.  Mit ihren etwa 500 Mitgliedern war sie für wenigstens 15 Terroranschläge zwischen 1962 und 1967 verantwortlich, und genoss manchmal die Sympathien (möglicherweise sogar die Unterstützung) des staatlichen Sicherheitsapparats. Die Strategie war manchmal direkt, manchmal indirekt. Einige Aktivisten zum Beispiel bekehrten sich scheinbar zur Linken und warfen Molotow-Cocktails aus Gruppen linker Studenten – Aktionen, die vermutlich dazu dienen sollten, die politischen Gegner zu diskreditieren.

Die Verbindung zwischen der Avanguardia und dem Traditionalismus ist unklar. Die intellektuellen Hervorbringungen der Avanguardia zeugten von einem kruden Antikommunismus und es ist nicht erkennbar, ob und wenn ja, welche traditionalistischen Ideen Delle Chiaie aus dem Ordine Nuovo mitbrachte. Deutlicher sind die Beziehungen im Fall der Gruppe des Ordine Nuovo in Udine, die von den Brüdern Gaetano und Vincenzo Vinceguerra geführt wurde. Als sie wegen Morden und Bombenattentaten 1971-72 vor Gericht standen, zitierten sie nicht nur Evola, sondern auch Guénon zur Rechtfertigung. Ein anderer Vermittler war Franco Freda, später der bedeutendste intellektuelle Schüler Evolas, der an seine Ideen anknüpfte, ohne ihn persönlich gekannt zu haben.

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Franco Freda entwickelte die Leninsche Idee der revolutionären Zellen zum »spontaneismo armato« der italienischen Rechtsextremen weiter.

Freda, der seit 1966 dem Ordine Nuovo angehörte, leitete eine Gruppe in Padua, die 1969 mit Bombenanschlägen begann. Die Strategie war indirekt. Einmal platzierten Fredas Anhänger fünf Bomben in Banken in Rom und Mailand und denunzierten dann den 22. März, eine anarchistische Gruppe, bei der Polizei als Täter. Die Mitglieder des 22. März wurden verhaftet und andere Anarchisten litten unter Repressalien, die durch eine Welle öffentlicher Empörung mitverursacht wurden. Die Operation ist ein Lehrbeispiel des revolutionären Krieges – abgesehen davon, dass sie nicht die gewünschten Folgen hatte. Nach und nach wurde klar, dass die Anarchisten nicht die Bombenleger sein konnten. Und die wahren Hintermänner konnten aufgrund eines Sicherheilslecks in Fredas Organisation dingfest gemacht werden.

Auch die langfristigen Folgen der Operationen Fredas entsprachen nicht den Erwartungen. Unmittelbar nach den Attentaten fiel Giuseppe Pinelli, ein Mitglied des 22. März, aus einem Fenster des Polizeihauptquartiers in Mailand, wo er verhört wurde. Diesen Vorfall griff Dario Fo, ein Linker und späterer Nobelpreisträger, in seinem Theaterstück »Tödlicher Unfall eines Anarchisten« auf. Das Stück, ein vernichtender Angriff auf die Brutalität und Dummheit der Polizei, war in den folgenden Jahrzehnten äußerst erfolgreich, besonders an Universitäten, und förderte antiautoritäre Einstellungen in Generationen von Studenten in ganz Europa. Eine der wichtigsten Konsequenzen dieses Versuchs, den Traditionalismus in die Praxis umzusetzen, war also entschieden anti-traditionalistisch. Versuche, in einer bestimmten Epoche gegen den Strom zu schwimmen, laufen stets Gefahr, vom Strom mitgerissen zu werden. Vergleichbares widerfuhr auch Nasrs Traditionalismus im Iran, der zu einer Revolution beitrug, die Nasr eigentlich zu verhindern versuchte.

Viele weitere Attentate folgten. Wegen der Anwendung indirekter Strategien und weil viele Ermittlungen im Sande verliefen, konnten die wahren Verantwortlichen für die dramatische Zunahme politischer Gewalt in Italien zu dieser Zeit – allein 1969 gab es 145 einzelne terroristische Vorfälle – niemals ermittelt werden. Sicher aber ist, dass Aktivisten, die mit dem Ordine Nuovo zu tun hatten, für eine erhebliche Anzahl dieser Attentate verantwortlich waren.

Das wohl dramatischste Ereignis war der Versuch eines Staatstreichs im Jahr 1970, der eine mögliche kommunistische Machtübernahme zu verhindern suchte. Borghese führte eine Truppe von Amateur-Fallschirmspringern, Waldhütern und Einzelpersonen an, die mit dem Ordine Nuovo verbunden waren. Der Versuch, Schlüsselstellen in Rom zu besetzen, wurde abgebrochen, bevor er richtig begonnen hatte und es gab so viele Farcen (zum Beispiel überluden Verschwörer, die unterwegs waren, um den römischen Polizeichef zu verhaften, einen Fahrstuhl und steckten die ganze Nacht darin fest), dass ein Gericht sich weigerte, die Verschwörer wegen bewaffneten Aufstands anzuklagen, weil man diese Dilettanten nicht als eine ernsthafte Bedrohung der Republik betrachten könne.

Die erste Phase rechter Gewalt in Italien endete 1974 mit der gerichtlich verfügten Auflösung des Ordine Nuovo und der Avanguardia. Weder Evola noch der Traditionalismus waren für die unmittelbaren Ziele ihrer Gewalt verantwortlich (Kampf gegen den Kommunismus) oder für die gewählten Mittel – die Ursprünge der Idee des revolutionären Krieges liegen woanders. Aber ein Beitrag des Traditionalismus zu dieser Epoche bestand in der Vision einer besseren Zukunft, die viele Rechte motivierte. Der andere Beitrag bestand darin, dass Evolas »spiritueller Krieger« – das »absolute Individuum« – viele der Beteiligten inspirierte.

Evola hatte für die zweite Periode des rechtsgerichteten Terrorismus, die 1968 begann, eine größere Bedeutung. In diesem Jahr stiegen die Verkaufszahlen seines Buches »Den Tiger reiten« von Hunderten in die Tausende. In »Cavalcare le Tigre« behauptet Evola, das späte 20. Jahrhundert sei eine Zeit des Zerfalls. Es gebe keine Staaten, die eine »unabänderliche Autorität« beanspruchen könnten – alle seien nur Ansammlungen repräsentativer und administrativer Systeme – aber es gebe auch keine Partisanen-Bewegungen, denen man sich anschließen könne, da jegliche Vorbedingungen für eine erfolgreiche Aktion der »Richtigstellung«, das heißt, der Herstellung einer legitimen Staatsautorität, fehlten.

Trotz der Unmöglichkeit einer »richtigstellenden« Aktion glaubte Evola, es gebe immer noch Einzelne, die bereit seien, sogar verlorene Stellungen zu verteidigen. Diesen empfahl Evola die »apoliteia« (die Trennung von der Politik), die er als »unwiderrufliche innere Distanzierung von dieser Gesellschaft und ihren Scheinwerten und die Verweigerung welcher moralischen oder spirituellen Bindungen auch immer« definierte. Evola betonte, er beschreibe einen inneren Zustand, der nicht unbedingt äußere Konsequenzen haben müsse, meinte aber auch, er verlange nicht die Abstinenz eines »gewissenhaften Beobachters«.

Was genau die praktische Bedeutung seiner »apoliteia« war, wird bis heute diskutiert. Aber noch wichtiger ist, wie sie tatsächlich interpretiert wurde. Freda machte aus ihr einen Aufruf zum Handeln gegen den bürgerlichen Staat, ohne Rücksicht auf die Folgen, eine Art von traditionalistischem Existentialismus – tatsächlich taucht der Begriff Existentialismus im Untertitel von Evolas Buch auf. Fredas Interpretation war nicht völlig nihilistisch, denn er hielt die Zerstörung des bürgerlichen Staates nur für die Vorbedingung einer weiteren Entwicklung, was den Glauben an die Möglichkeit einer »Richtigstellung« impliziert, aber im Endeffekt rief Freda zu einem rechtsgerichteten Anarchismus auf.

So wie Evola die Aufmerksamkeit von den Zielen des Handelns auf den inneren Zustand richtete, der dem Handeln vorausgeht, so richtete Freda sie von den Zielen – die Planung und Organisation verlangten – auf das Individuum. Freda war einer der ersten, die eine »Insellösung« vorschlugen, jene neue Organisationsform des Rechtsterrorismus, der in den 1970er Jahren entstand, eine Lösung, die durch die Auflösung des Ordine Nuovo erforderlich war. Relativ große und hierarchische Strukturen sollten durch kleine und bewegliche Gruppen ersetzt werden, die sich für eine bestimmte Operation zusammenfanden und danach wieder auflösten, die unabhängig voneinander wirkten und keinem gemeinsamen Kommando unterstanden (»revolutionäre Zellen«).

Die Insellösung bot manche Vorteile. Als Weiterentwicklung des Leninschen Zellensystems, war sie der beste Schutz vor politischer Infiltration: es konnte nie mehr als eine einzige Operation verhindert werden. Sie war aber mehr als ein Schutz, da der Verzicht auf jegliche Kontrolle über die einzelnen Gruppen nur als Bestandteil  eines Verzichts auf eine übergeordnete Strategie sinnvoll war. Die Insellösung war daher das Gegenstück der »apoliteia«, wie Freda sie verstand. Die beiden zusammen ergaben den »spontaneismo armato« (bewaffneten Spontanismus), Fredas destruktivste Erfindung, die er später in seiner Zeitschrift »Quex« verbreitete. Im Endeffekt war der »spontaneismo armato« nicht mehr von willkürlichem Aufruhr zu unterscheiden.

Daneben existierten aber weiterhin stabile rechte Gruppen, manche permanent im Untergrund. Interessanter waren eine Reihe von Studienkreisen, die in ganz Italien gegründet wurden und sich mit den Werken Evolas und anderer rechtsgerichteter Autoren befassten. In diesen Gruppen ließen sich Mitstreiter für Aktionen rekrutieren und diese wurden hier intellektuell geformt, aber keine dieser Gruppen übte selbst irgendwelche Attentate aus.

Freda erhob 1974 (im Todesjahr Evolas) den bürgerlichen anstelle des kommunistischen Staates zum Ziel des rechten Aktivismus, ein Wandel der sich auch auf Seiten der Linken spiegelte. Auch die Linke erkor den Staat zum Ziel und benutzte Gewalt nicht mehr wie früher als Form der bewaffneten Propaganda – als Industrielle exekutiert wurden, die für schuldig befunden worden waren, sich besonders repressiv gegen die Interessen der Arbeiterklasse verhalten zu haben. Während die Rechten die Insellösung übernahmen, lösten sich die Linken von solchen Organisationen wie der PCI, die mit anderen politischen Kräften Kompromisse geschlossen hatte. Für viele Linke war die alte Spaltung zwischen Rechts und Links nicht mehr von großer Bedeutung, und wurde von einer anderen zwischen »In« und »Out« ersetzt. Bourgeoise Industrielle waren »out«, ebenso gewerkschaftlich organisierte Arbeiter, während die Arbeitslosen, Frauen, Studenten und andere Randgruppen »in« waren.

In dieser zweiten Periode sahen sich die Linken und die Rechten zum Verwechseln ähnlich. Die blutigste Attacke dieser Jahre, das Bombenattentat auf den Bahnhof in Bologna am 2. August 1980 forderte 85 Todesopfer; viele Jahre war unklar, ob die Linke oder die Rechte es verübt hatte. Nun war nicht nur der Feind für beide derselbe, sondern auch die Rechtfertigung der Gewalt wurde immer existentialistischer, je mehr die Möglichkeit irgendeines politischen Erfolgs dahinschwand. Freda bemühte sich sogar um eine Allianz zwischen Rechts und Links, eine Allianz, die im postsowjetischen Russland dank einer Ideologie Wirklichkeit wurde, die ein Traditionalist aus traditionalistischen und anderen Quellen entwickelte (dazu später).

In Italien veränderte sich das demografische Profil der linken und rechten Aktivisten, als die Polizei die terroristischen Gruppen erfolgreicher infiltrierte und ihre Anführer verhaftete. Während der 1980er Jahre, als die Terroristen auf beiden Seiten immer jünger wurden (oft erst 15 oder 16), verschwanden Strategie und Organisation und an ihre Stelle trat eine Eskalation zunehmend willkürliche Zwischenfälle. Linke erschossen private Sicherheitsbeamte, Angestellte des Arbeitsministeriums und sogar Physiker. Rechte erschossen Polizeibeamte und am Ende sogar jene ihrer Anführer, die nicht im Gefängnis saßen. Am Ende war die Polizei erfolgreich und 1983 gab es keine rechts- oder linksextremen Gruppierungen mehr.

Ob Evola die Wirkungen seiner Publikationen auf seine Zeit vorausgesehen oder beabsichtigt hat, ist nicht bekannt. Vermutlich war dies der Fall, vor allem, wenn man seine frühere Beziehung zur SS und zur Rassenpolitik der Nazipartei bedenkt. Evola kann nicht entgangen sein, was in seinem Namen geschah und die einzige Klarstellung, die er zu »Cavalcare le Tigre« jemals veröffentlichte, bestand in der Bemerkung, das Buch sei für »Traditionalisten« geschrieben. Allerdings veröffentlichte er auch einige Artikel, in denen er die Gewalt gegen das »System« verurteilte, aber die Verurteilung richtete sich eher gegen Exzesse jugendlicher Kraft, als gegen die Gewalt an sich. 1971 sprach Evola mit Henri Hartung, einem Traditionalisten, der keinerlei Sympathie mit der politischen Rechten besaß, über die Studiengruppen in Genua, Palermo und Kalabrien, die seine Werke studierten. Laut Hartung sprach er mit »Zärtlichkeit« von jenen jungen Männern, die sich der weltlichen Erniedrigung durch das Errichten eines spirituellen Staates zu entziehen suchten. Gleichzeitig verurteilte er jedoch entschieden jeden »anachronistischen Aktivismus«, der nicht über die erforderliche theoretische Grundlage verfüge.

Evola scheint also gebilligt zu haben, was in seinem Namen getan wurde, vorausgesetzt, es beruhte auf der richtigen spirituellen Vorbereitung. Das heißt natürlich nicht, dass Evola für den rechtsextremen Terrorismus in Italien allein verantwortlich war. Im Verlag Fredas erschienen nicht nur Evolas Werke, sondern auch Oswald Spengler und Nietzsche, ebenso wie Corneliu Codreanu und Muammar Gadaffi. Daneben spielten soziale, ökonomische und politische Faktoren eine wesentliche Rolle. Der Terrorismus der 1960er bis 1980er Jahre war ein italienisches, nicht bloß ein rechtes Phänomen. Laut Roger Griffin schuf 1968 ein Klima, in dem Evola hätte erfunden werden müssen, wenn er nicht bereits existiert hätte.

Im Jahr 1983 fand die politische Gewalt von Rechts in Europa ein Ende, nicht aber die Rechte oder der Traditionalismus Evolas. Evola und bis zu einem gewissen Grad auch Guénon, steht weiter auf den Leselisten der Neuen Rechten, was zu der falschen Vorstellung führt, beide seien im Prinzip Theoretiker des Faschismus.

Das bedeutendste Beispiel für den Traditionalismus Evolas am Ende des 20. Jahrhunderts findet sich nicht in Westeuropa, sondern in Russland. Gruppen von Evola-Anhängern gab es auch in Ungarn, Deutschland, Österreich, Frankreich und Argentinien und wahrscheinlich weiteren Ländern.

Auch wenn der Terrorismus, der sich auf Evola berief, 1983 ein Ende fand, bedeutete dies nicht das Ende der Traditionalisten, die in ihn verwickelt waren. Manche, wie Fredas früherer Anhänger Claudio Mutti, wirkten gewaltlos und unabhängig weiter. Andere konzentrierten sich auf Evolas Denken und Schriften und nicht auf Aktionen, besonders jene, die mit der Evola-Stiftung verbunden waren, die 1974 gegründet wurde und sich auf Bildungsarbeit beschränkte. Einige Evola-Studiengruppen existierten weiter, zwei von ihnen als Teile der Jugendorganisation der Alleanza Nationale Silvio Berlusconis.

Freda, den viele Traditionalisten inzwischen verworfen hatten, war 1972 zu 16 Jahren Haft verurteilt worden. In den späten 1980er Jahren tauchte er wieder auf und gründete 1991 die »Nationale Front«. Ihr gehörten hauptsächlich Skinheads an und ihr Hauptthema war die Einwanderung, die nicht mit einem kruden Rassismus bekämpft wurde, sondern mit Angriffen auf den Multikulturalismus, der angeblich die Reinheit der Traditionen untergrub.

In den letzten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts besann sich der italienische Traditionalismus wieder auf seine religiösen Wurzeln. Der Zweig der Dioskuren in Messina hielt zahlreiche Versammlungen ab, die auf die Einigung der unterschiedlichen, römisch-neuheidnischen Strömungen abzielten. 1988 kam aufgrund dieser Bemühungen eine Römisch-Traditionalistische Bewegung zustande und 1992 wurde eine »Römische Kurie« gegründet, welche die neuheidnischen Rituale und die zahlreichen Kalender vereinheitlichte, denen die einzelnen Gruppierungen bisher gefolgt waren.

Auch wenn Evola für die europäische Rechtsextreme und sogar für Teile der amerikanischen Schwesterbewegungen am Ende des 20. Jahrhunderts weiterhin eine Bedeutung hatte, dominierte er die Szene nicht länger. Für einen der wichtigsten Autoren der Neuen Rechten, Alain de Benoist, waren Evola und Guénon zwar von historischem Interesse, hatten aber keine aktuelle Bedeutung mehr. De Benoist hatte die meisten ihrer Werke gelesen und sogar über sie geschrieben, aber seine eigenen Ideen beruhten auf Grundlagen, die mit dem Traditionalismus nichts mehr zu tun hatten.

Fortsetzung

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