Zuletzt aktualisiert am 17. März 2016.
Thomas setzt sich in seinen »Quaestionen« mit Platons Ideenlehre, der Illuminationstheorie des Augustinus, dem Materialismus Demokrits und mit Avicennas Theorie der aktiven Intelligenz auseinander. Auch wenn er die Vorstellung verwirft, der Mensch sei einer unmittelbaren Geisterkenntnis fähig, da sein Erkennen an Sinnesvorstellungen und damit an den Leib gebunden ist, behauptet er andererseits, er erkenne durch ein »geistiges Licht«, das in ihm sei, und dieses geistige Licht sei das »Abbild des ungeschaffenen Lichtes, das die ewigen Urbilder aller Dinge« in sich enthalte.
Aus der Summa Theologiae, Quaestio 84, Artikel 3-7. Übersetzung Lorenzo Ravagli.
Artikel 3. Erkennt die Seele alle Dinge durch angeborene Ideen?
Da die Form das Prinzip der Tätigkeit ist, muss ein Ding zur Form in Beziehung stehen, die das Prinzip seiner Tätigkeit ist. Wenn z.B. die Aufwärtsbewegung aus der Leichtigkeit resultiert, dann muss das, was sich nur potentiell aufwärts bewegt, auch nur potentiell leicht sein, während das, was sich tatsächlich aufwärts bewegt, tatsächlich leicht sein muss. Nun beobachten wir, dass der Mensch manchmal nur ein potentiell Wissender ist, sowohl in bezug auf die Sinneswahrnehmung als auch in bezug auf das Denken. Und wir beobachten, dass er aus dieser Potentialität herausgeführt wird – durch die Wirkung der sinnlichen Gegenstände auf seine Sinne zum aktuellen Sinneswahrnehmen, durch Belehrung oder Entdeckung zum aktuellen Verstehen. Daher müssen wir sagen, dass die denkende Seele in zweierlei Hinsicht potentiell ist: in bezug auf die Bilder, die die Prinzipien des Wahrnehmens sind und in bezug auf die Bilder, die die Prinzipien des Verstehens sind. Daher vertrat Aristoteles die Auffassung (De Anima III, 4), dass der Geist, durch den die Seele erkennt, keine angeborenen Ideen besitzt, sondern anfangs potentiell gegenüber all diesen Ideen ist.
Da aber das, was aktuell eine Form besitzt, manchmal aufgrund irgendwelcher Hindernisse unfähig ist, dieser Form gemäß tätig zu sein, so wie ein leichter Gegenstand daran gehindert sein kann, sich aufwärts zu bewegen, hat Plato angenommen, dass der menschliche Geist von Natur aus mit allen Ideen begabt ist, dass er aber, weil er mit dem Körper vereinigt ist, durch ihn an der Verwirklichung seiner Erkenntnistätigkeit gehindert wird. Das aber scheint undenkbar.
Erstens aus folgendem Grund. Wenn die Seele von Natur aus eine Erkenntnis aller Dinge besitzt, scheint es unmöglich, dass sie die Existenz einer solchen Erkenntnis so sehr vergisst, dass sie nicht mehr weiß, dass sie sie besitzt; denn kein Mensch vergisst, was er von Natur aus weiß; dass zum Beispiel das Ganze größer als der Teil ist und solche Dinge. Insbesondere scheint dies unvernünftig, wenn wir annehmen, dass es für die Seele natürlich ist, mit dem Körper vereinigt zu sein: denn es ist undenkbar, dass die naturgemäße Tätigkeit eines Dinges durch etwas vollständig verunmöglicht wird, was ihrer Natur gemäß ist.
Zweitens wird die Falschheit dieser Ansicht durch die Tatsache bewiesen, dass beim Fehlen eines Sinnes die Erkenntnis dessen, was durch diesen Sinn zugänglich ist, ebenfalls fehlt: zum Beispiel hat ein Mensch, der blind geboren ist, keine Erkenntnis der Farben. Dies wäre nicht der Fall, wenn die Seele angeborene Bilder alles Erkennbaren besäße. Daher müssen wir schließen, dass die Seele körperliche Dinge nicht durch angeborene Ideen erkennt.
Artikel 4. Schöpft die Seele die allgemeinen Begriffe aus unabhängig vom Stoff existierenden, geistigen Formen?
Manche haben behauptet, die Allgemeinbegriffe unseres Denkens würden aus gewissen für sich bestehenden, vom Stoff getrennten Formen oder Substanzen abgeleitet. Und dies auf zweierlei Art. Plato behauptete, die Formen der Sinnendinge existierten für sich ohne Stoff; zum Beispiel die Form des Menschen »an sich« und die Form oder Idee des Pferdes »an sich« usw. Er behauptete, an diesen Formen hätten sowohl die Seele als auch der körperliche Stoff teil; die Seele gelange durch sie zur Erkenntnis und der körperliche Stoff erlange durch sie seine Existenz: ebenso, wie der körperliche Stoff durch seine Teilhabe an der Idee des Steines zum individuellen Stein werde, so gelange unser Denken durch Teilhabe an der Idee des Steines zur Erkenntnis des Steines. Nun erfolgt die Teilhabe an einer Idee durch die Vermittlung eines Bildes im Teilhabenden, so wie ein Abbild an seinem Modell teilhat. So wie Plato annahm, dass die sinnlichen Formen, die im körperlichen Stoff sind, aus den Ideen als deren Abbilder abgeleitet sind, so nahm er an, dass die Allgemeinbegriffe unseres Denkens die aus den Ideen abgeleiteten Bilder sind. Daher führte er die Wissenschaften und Definitionen auf diese Ideen zurück.
Da es aber der Natur der Sinnesgegenstände widerspricht, dass ihre Formen ohne Stoff existieren, wie Aristoteles auf vielerlei Arten nachweist (Metaph, VI), behauptete Avicenna, der diesen Nachweis ignorierte, die allgemeinen Formen aller Sinnesgegenstände existierten nicht für sich allein ohne allen Stoff, sondern präexistierten ohne allen Stoff in reinen Geistwesen: vom ersten dieser Geistwesen, so sagte er, gelangten sie in ein zweites usw. bis zum letzten Geistwesen, das er als »tätige Intelligenz« (nus poietikos) bezeichnete, aus der seiner Ansicht nach die allgemeinen Formen in unsere Seele und die Formen der Sinnendinge in den körperlichen Stoff einfließen. Daher stimmt Avicenna mit Plato darin überein, dass die Allgemeinbegriffe unseres Denkens aus gewissen vom Stoff getrennten Formen stammen; aber Plato meinte, diese existierten für sich, während Avicenna sie in die »tätige Intelligenz« versetzte. Sie unterschieden sich auch dadurch, dass Avicenna annahm, die Allgemeinbegriffe verblieben nicht in unserem Denken, nachdem es sie aktuell gedacht hat, sondern es müsse sich erneut der tätigen Intelligenz zuwenden, um sie von neuem zu empfangen. Daher behauptete er auch nicht, die Seele besitze eine angeborene Erkenntnis, im Gegensatz zu Plato, der annahm, die Ideen, an welchen die Seele teilhabe, verblieben auf immer in ihr.
Diese Ansicht kann aber keinen zureichenden Grund nennen, warum die Seele überhaupt mit dem Körper verbunden ist. Denn man kann nicht sagen, dass die denkende Seele mit dem Körper um des Körpers willen verbunden ist: weder ist die Form um des Stoffes willen, noch der Beweger um des Bewegten willen, sondern vielmehr umgekehrt. Insbesondere scheint der Körper für die denkende Seele notwendig, damit diese ihre eigene Tätigkeit des Erkennens ausüben kann: denn was ihre Existenz betrifft, ist die Seele nicht vom Körper abhängig. Wenn aber die Seele von Natur aus die eingeborene Fähigkeit besäße, ideelle Formen allein durch den Einfluss bestimmter rein geistiger Prinzipien aufzunehmen, und sie nicht von den Sinnen empfangen müsste, bedürfte sie des Körpers nicht, um zu erkennen: deshalb hätte ihre Vereinigung mit dem Körper keinen Sinn.
Wenn aber gesagt wird, unsere Seele benötige die Sinne, um zu erkennen, weil sie durch sie in gewisser Weise aufgeweckt werde, solche Dinge zu betrachten, deren geistige Formen sie aus rein geistigen Prinzipien empfange, dann scheint auch dies eine ungenügende Erklärung. Denn diese Auferweckung scheint für die Seele nicht nötig, außer sie wäre aufgrund ihrer Vereinigung mit dem Körper in eine gewisse Schläfrigkeit verfallen, oder in einen Zustand des Vergessens, wie die Platoniker meinten. So hätten die Sinne keine Bedeutung für die erkennende Seele, außer, dass sie ein gewisses Hindernis beiseite räumten, das die Seele beeinträchtigt, weil sie mit dem Körper verbunden ist. Der Grund für die Verbindung der Seele mit dem Körper bliebe also weiterhin ungeklärt.
Wenn man aber mit Avicenna annimmt, dass die Sinne für die Seele notwendig sind, weil sie durch sie dazu veranlasst wird, sich zur »tätigen Intelligenz« zu erheben, von der sie die ideellen Formen empfängt, dann ist auch dies keine ausreichende Erklärung. Denn, wenn es der Natur der Seele entspricht, durch ideelle Formen zu erkennen, die sie von der »tätigen Intelligenz« empfängt, dann folgt daraus, dass die Seele eines einzelnen Menschen, dem ein bestimmter Sinn fehlt, sich einfach zur tätigen Intelligenz erheben könnte, entweder aufgrund der ihr angeborenen Neigung, oder aufgrund der Anregung durch einen anderen Sinn, um von ihr jene ideellen Formen zu empfangen, von welchen ihr die entsprechenden sinnlichen Formen fehlen. Und so vermöchte ein blind Geborener Erkenntnis der Farben zu erlangen, was offensichtlich nicht der Fall ist. Wir müssen daraus schließen, dass die geistigen Formen, durch die unsere Seele erkennt, nicht aus irgendwelchen Geistwesen stammen.
Artikel 5. Erkennt die denkende Seele die stofflichen Dinge aus ihren ewigen Urbildern?
Augustinus sagt (De Doctr. Christ. II, 11): »Wenn jene, die als Philosophen bezeichnet werden, zufällig etwas Wahres sagten, das mit unserem Glauben übereinstimmt, dann müssen wir es von ihnen als unrechtmäßigen Besitzern zurückfordern. Denn manche Lehren der Heiden sind verfälschte Nachbildungen oder abergläubische Erfindungen, die wir sorgfältig vermeiden müssen, wenn wir die Gesellschaft dieser Heiden ablehnen«. Daher griff Augustinus, der von den Lehren der Platoniker durchtränkt war, immer, wenn er in ihren Ansichten etwas fand, das mit dem Glauben übereinstimmte, die betreffende Ansicht auf, alles aber, was er im Gegensatz zum Glauben fand, verbesserte er. Nun war Plato der Ansicht, dass die Formen der Dinge getrennt vom Stoff existieren; diese Formen nannte er Ideen. Indem unser Denken an ihnen teilhabe, erkenne es alle Dinge: so dass unser Denken durch die Teilhabe an der Idee des Steines diesen erkenne, ebenso wie der körperliche Stoff durch Teilhabe an derselben Idee zum Stein werde.
Da es aber dem Glauben zu widersprechen scheint, dass die für sich seienden Formen der Dinge außerhalb der Dinge und getrennt vom Stoff, wie die Platoniker annahmen, als Leben »an sich« oder Weisheit »an sich« schöpferische Wesen sind, wie Dionysios erklärt (Div. Nom, XI), ersetzte Augustinus die von Plato verteidigten Ideen durch die Urbilder aller Geschöpfe im göttlichen Geist, nach deren Vorbild alle Dinge geschaffen sind und die von der Seele des Menschen erkannt werden.
Wenn daher gefragt wird: Erkennt die menschliche Seele alle Dinge in ihren ewigen Urbildern?, dann müssen wir antworten, dass man von der Erkenntnis eines Dinges aus einem anderen in einem doppelten Sinn spricht.
Erstens nämlich kann ein Ding durch sich selbst erkannt werden, wie man an einem Spiegel sehen kann, der die Bilder von Dingen widerspiegelt. Auf diese Art vermag die Seele in ihrem gegenwärtigen Zustand nicht alle Dinge in ihren ewigen Urbildern zu sehen; aber die Seligen, die Gott sehen und in ihm alle Dinge, erkennen auf diese Weise alle Dinge in ihren ewigen Urbildern.
Zweitens kann man ein Ding aus einem anderen erkennen, wenn dieses andere das Prinzip seiner Erkenntnis ist: so können wir sagen, dass wir in der Sonne sehen, was wir durch die Sonne sehen. Und auf diese Weise müssen wir sagen, dass die menschliche Seele alle Dinge aus ihren ewigen Urbildern erkennt, da wir aufgrund unserer Teilhabe an diesen Urbildern alle Dinge erkennen. Denn das geistige Licht, das in uns ist, ist nichts anderes, als ein Abbild des ungeschaffenen Lichtes, an dem wir teilhaben, in dem die ewigen Urbilder enthalten sind. Daher steht geschrieben (Psalm 4:6-7): »Viele sagen: Wer wird uns die guten Dinge zeigen«, worauf der Psalmist antwortet: »Das Licht deines Geistes, O Herr, leuchtet über uns«, so als ob er sagen wollte: Durch den Siegelabdruck des göttlichen Lichtes in uns vermögen wir alle Dinge zu erkennen.
Da aber neben dem geistigen Licht in uns geistige Formen, die aus den Dingen stammen, für unsere Erkenntnis der stofflichen Dinge erforderlich sind, entsteht diese Erkenntnis nicht allein aus unserer Teilhabe an den ewigen Urbildern, wie die Platoniker behaupteten, die annahmen, die bloße Teilhabe an den Ideen genüge für die Erkenntnis. Daher sagt auch Augustinus (De Trin., IV, 16): »Auch wenn die Philosophen durch überzeugende Argumente beweisen, dass alle Dinge in der Zeit gemäß ewiger Urbilder geschehen, vermochten sie deswegen aus ihnen zu erkennen oder in ihnen zu sehen, wie viele Arten von Lebewesen existieren oder deren Ursprung zu erkennen? Suchten sie nach dieser Erkenntnis nicht in der Geschichte der Zeiten und Orte?«
Dass aber Augustinus nicht der Ansicht war, alle Dinge würden aus ihren »ewigen Urbildern« oder in ihrer »unveränderlichen Wahrheit« erkannt, so als würden die ewigen Urbilder selbst gesehen, geht aus folgender Aussage hervor: dass »nicht jede denkende Seele einer solchen Schau würdig ist«, nämlich der Schau der ewigen Urbilder, »sondern allein jene, die heilig und rein sind«, wie die Seelen der Seligen.
Artikel 6. Kann die gedankliche Erkenntnis aus den Sinnendingen abgeleitet werden?
Zu dieser Frage vertraten die Philosophen drei unterschiedliche Ansichten. Demokrit meinte, »alle Erkenntnis wird durch Bilder verursacht, die aus den Dingen hervor- und in unsere Seele übergehen«, wie Augustinus in seinem Brief an Dioscorus schreibt (CXVIII, 4). Und Aristoteles sagt (De Somn. et Vigil.), Demokrit habe behauptet, die Erkenntnis werde »durch ein Ausströmen von Bildern« verursacht. Der Grund für diese Ansicht war, dass sowohl Demokrit als auch andere ältere Philosophen nicht zwischen Denken und Wahrnehmen unterschieden, wie Aristoteles erklärt (De Anima III, 3). Da also der Sinn vom Sinnesgegenstand eine Einwirkung empfängt, dachten sie, all unsere Erkenntnis werde durch eine solche Einwirkung verursacht. Und diese Einwirkung glaubte Demokrit durch die ausfließenden Bilder verursacht.
Plato andererseits unterschied zwischen Denken und Wahrnehmen und nahm an, dass es sich bei ersterem um eine geistige Kraft handle, die sich bei ihrer Tätigkeit keines körperlichen Organs bediene. Und da das Körperliche in etwas Unkörperlichem keine Wirkungen hervorrufen kann, war er der Auffassung, dass die gedankliche Erkenntnis nicht durch die sinnlich wahrnehmbaren Dinge verursacht wird, die auf das Denken einwirken, sondern vielmehr von rein geistigen Formen, an denen das Denken teilhat. Ferner nahm er an, dass der Sinn eine Kraft ist, die von selbst wirkt. Folglich empfängt der Sinn, da es sich bei ihm um eine geistige Kraft handelt, auch keine Einwirkung von der sinnlichen Wahrnehmung, vielmehr empfangen die Sinnesorgane eine solche Einwirkung, durch die die Seele dazu angeregt wird, in sich selbst das Gedankenbild der Form des sinnlichen Gegenstandes zu erzeugen. Augustinus scheint eine ähnliche Ansicht zu vertreten (Gen. ad. lit, XII, 24), wenn er sagt, dass es »nicht der Körper ist, der empfindet, sondern die Seele durch den Körper, von dem sie wie von einem Botschafter Gebrauch macht, um in sich selbst zu reproduzieren, was ihr von außen angekündigt wird«. Und so geht die gedankliche Erkenntnis nach Plato weder aus der sinnlichen hervor, noch die sinnliche Erkenntnis ausschließlich aus den Sinnesgegenständen; vielmehr regen diese die empfindende Seele lediglich zur Empfindung an, während die Sinne das Denken zum Akt des Verstehens anregen.
Aristoteles wählte einen mittleren Weg. Mit Plato war er der Ansicht, Denken und Wahrnehmen sei nicht dasselbe. Aber er war der Auffassung, der Sinn sei nicht aus sich heraus, ohne Mithilfe des Körpers tätig; die Sinnesempfindung ist also nicht allein eine Tätigkeit der Seele, sondern des aus Seele und Körper Zusammengesetzten. Und dies gilt seiner Ansicht nach für alle Tätigkeiten der wahrnehmenden Seele (Empfindungsseele). Da es also nicht undenkbar ist, dass die Sinnesgegenstände außerhalb der Seele eine gewisse Wirkung in diesem Zusammengesetzten hervorrufen, stimmte Aristoteles Demokrit darin zu, dass die Tätigkeit der wahrnehmenden Seele durch den Eindruck des Sinnesgegenstandes auf den Sinn hervorgerufen wird, jedoch nicht durch ausfließende Bilder, wie Demokrit meinte, sondern durch eine Art von Tätigkeit. Denn Demokrit meinte, jede Tätigkeit werde durch den Ausfluss von Atomen bewirkt, wie wir aus De Gener. I,8 entnehmen können. Aristoteles dagegen war der Auffassung, das Denken könne unabhängig von der Mitwirkung des Körpers tätig sein. Nun vermag nichts Körperliches auf etwas Unkörperliches einzuwirken. Daher genügt die Einwirkung des Sinnesgegenstandes nach Aristoteles nicht, um die Tätigkeit des Denkens zu bewirken, sondern dafür ist etwas Edleres erforderlich, denn »das Wirkende ist edler als das Leidende«, wie er sagt (De Gener. I,5). Dies ist jedoch nicht so zu verstehen, als ob die Tätigkeit des Denkens allein durch die Einwirkung gewisser höheren Wesen hervorgerufen werde, wie Plato behauptete, sondern so, dass das höhere und edlere Wirkende, das er als »tätigen Intellekt« bezeichnet, die Sinnesvorstellungen, die von den Sinnen empfangen wurden, durch einen Abstraktionsvorgang in Begriffe umwandelt, die aktuell gedacht werden.
Artikel 7. Kann der menschliche Geist durch Begriffe erkennen, ohne sich auf Sinnesvorstellungen (Phantasmen) zu stützen?
In unserem gegenwärtigen Leben, in dem unsere Seele mit einem vergänglichen Körper vereint ist, vermag unser Geist unmöglich irgend etwas aktuell zu erkennen, ohne sich auf Sinnesvorstellungen (Phantasmen) zu stützen.
Dies aus folgenden Gründen.
Wäre das Denken eine Kraft, die sich keines körperliches Organs bedient, dann könnte es in seiner Tätigkeit durch die Verletzung eines körperlichen Organs auch auf keine Weise behindert werden, da für seine Tätigkeit keine Kraft erforderlich wäre, die sich eines körperlichen Organs bedient. Nun bedienen sich aber die Imagination (die Kraft der Vorstellungsbildung) und die anderen Seelenkräfte, die zur Empfindungsseele gehören, körperlicher Organe. Daraus folgt, dass für das denkende Erkennen – nicht nur für den Erwerb neuer Erkenntnisse, sondern auch für die Anwendung bereits gewonnener Erkenntnisse – die Tätigkeit der Imagination und der anderen Kräfte der Empfindungsseele erforderlich ist. Denn wenn die Tätigkeit der Imagination aufgrund der Verletzung des körperlichen Organs beeinträchtigt ist, zum Beispiel im Fall eines Rausches, oder wenn die Tätigkeit des Gedächtnisses beeinträchtigt ist, wie im Fall der Ermüdung, dann stellen wir fest, dass der betreffende Mensch auch in der Erkenntnis solcher Dinge beeinträchtigt ist, die er früher bereits erkannt hat.
Jeder weiß aus eigener Erfahrung, dass er beim Versuch, etwas zu verstehen, bestimmte Vorstellungsbilder formt, die ihm als Beispiele dienen, an denen er überprüft, was er zu verstehen sucht. Deswegen legen wir auch Beispiele vor, wenn wir jemandem zur Erkenntnis von etwas verhelfen wollen, an denen er sich Vorstellungen bilden kann, die seinem Verständnis auf die Sprünge helfen.
Dies liegt darin begründet, dass die Kraft der Erkenntnis dem erkannten Gegenstand entsprechen muss. Daher bestehen die Erkenntnisgegenstände der Engel, die vollkommen frei von Körperlichkeit sind, aus rein geistigen, körperfreien Substanzen. Der Erkenntnisgegenstand des menschlichen Geistes dagegen, der mit einem Körper vereint ist, ist der Begriff, der im körperlichen Stoff existiert, und durch solche Begriffe sichtbarer Dinge erhebt er sich zu einer gewissen Erkenntnis der unsichtbaren Dinge. Nun müssen solche Begriffe in einem individuellen Gegenstand existieren, und dies ist nicht möglich ohne Stoff: es gehört zum Wesen eines Steines, in einem individuellen Stein anwesend zu sein und zur Natur eines Pferdes, in einem individuellen Pferd anwesend zu sein usw. Daher kann das Wesen eines Steines oder irgendeines stofflichen Dinges nicht vollständig und wahrhaft erkannt werden, ohne dass erkannt wird, dass es in einem individuellen Gegenstand existiert. Nun erfassen wir das Individuelle durch unsere Sinne und unser sinnliches Vorstellungsvermögen (Imagination). Daher muss sich unser Geist, wenn er seinen ihm zugemessenen Gegenstand erkennen will, notwendig den Sinnesvorstellungen zuwenden, um das allgemeine Wesen erfassen zu können, das im individuellen Gegenstand existiert. Wenn aber der natürliche Gegenstand unseres Geistes rein geistige Wesenheiten wären, oder wenn, wie die Platoniker sagen, das Wesen der Sinnesgegenstände unabhängig vom einzelnen Gegenstand existierte, dann bestünde für unseren Geist keinerlei Notwendigkeit, sich auf Sinnesvorstellungen zu stützen, wenn immer er erkennt.