Deutschlands Rolle in Amerikas Weltordnung

Zuletzt aktualisiert am 7. November 2022.

Deutschlands Rolle in Amerikas Weltordnung ist laut Michael Hudson die eines wirtschaftlichen Vasallen im Krieg gegen Russland, China und den Rest Eurasiens. Seine pointierte These verbindet der Wirtschaftswissenschaftler mit einem frappierenden Vergleich: in unserer Zeit spielt sich eine Wiederholung des Investiturstreites und der mittelalterlichen Kreuzzüge ab. Wie damals die Durchsetzung des universellen Machtanspruchs der römischen Päpste gegen das sakrale Königtum einer legitimierenden moralischen Erzählung bedurfte, wird heute die Durchsetzung des imperialen Machtanspruchs des westlichen Bündnisses unter seinem amerikanischen Hegemon mit einer moralischen Erzählung vom Kampf des Guten gegen das Böse gerechtfertigt. Wie damals wird auch heute anathematisiert und exkommuniziert, um Herrschaft durchzusetzen. Michael Hudson lehrt an der Universität von Missouri, Kansas City.

Deutschlands Rolle in Amerikas Weltordnung

Der Vatikan. Tempel des katholischen Universalismus.

Deutschlands Rolle in Amerikas Weltordnung

Deutschland ist zu einem wirtschaftlichen Satelliten in Amerikas neuem Kalten Krieg gegen Russland, China und den Rest Eurasiens geworden.

Deutschland und andere NATO-Länder wurden aufgefordert, sich selbst Handels- und Investitionssanktionen aufzuerlegen, die den heutigen Stellvertreterkrieg in der Ukraine überdauern werden. US-Präsident Biden und die Sprecher seines Außenministeriums haben erklärt, dass die Ukraine nur der erste Schauplatz einer viel umfassenderen Dynamik ist, die die Welt in zwei gegensätzliche Gruppen von Wirtschaftsbündnissen spaltet. Dieser globale Bruch verspricht ein zehn- oder zwanzigjähriger Kampf zu werden, in dem es darum geht, ob die Weltwirtschaft eine unipolare, auf den Dollar ausgerichtete Wirtschaft oder eine multipolare, auf mehrere Währungen ausgerichtete Welt sein wird, die sich auf das eurasische Kernland mit gemischten öffentlich-privaten Wirtschaften konzentriert.

Präsident Biden hat diese Spaltung als eine zwischen Demokratien und Autokratien bezeichnet. Die Terminologie ist eine typische Orwellsche Doppeldeutigkeit. Mit »Demokratien« meint er die USA und die verbündeten westlichen Finanzoligarchien. Ihr Ziel ist es, die Wirtschaftsplanung aus den Händen gewählter Regierungen an die Wall Street und andere Finanzzentren unter US-Kontrolle zu verlagern. US-Diplomaten nutzen den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank, um die Privatisierung der weltweiten Infrastruktur und die Abhängigkeit von US-amerikanischen Technologie-, Öl- und Lebensmittelexporten zu fördern.

»Autokratien« nennt Biden Länder, die sich der Finanzialisierung und Übernahme durch Privatisierung widersetzen. In der Praxis bedeutet die Rhetorik der USA, dass sie ihr eigenes Wirtschaftswachstum und ihren Lebensstandard fördern und das Finanz- und Bankwesen als öffentliche Versorgungseinrichtungen erhalten. Im Grunde geht es darum, ob Volkswirtschaften von Bankenzentren geplant werden, um finanziellen Reichtum zu schaffen – durch die Privatisierung grundlegender Infrastrukturen, öffentlicher Versorgungseinrichtungen und sozialer Dienste wie der Gesundheitsfürsorge in Monopole – oder ob Lebensstandard und Wohlstand erhöht werden, indem Bankwesen und Geldschöpfung, öffentliche Gesundheit, Bildung, Transport und Kommunikation in öffentlicher Hand bleiben.

Das Land, das bei diesem globalen Bruch den größten »Kollateralschaden« erleidet, ist Deutschland. Als Europas fortschrittlichste Industrienation ist das Land bei Stahl, Chemie, Maschinen, Automobilen und anderen Konsumgütern am stärksten von Importen russischen Gases, Öls und Metallen wie Aluminium, Titan und Palladium abhängig. Doch trotz zweier Nord-Stream-Pipelines, die gebaut wurden, um Deutschland mit preiswerter Energie zu versorgen, wurde Deutschland aufgefordert, sich vom russischen Gas abzuschneiden und zu deindustrialisieren. Dies bedeutet das Ende seiner wirtschaftlichen Vormachtstellung. Der Schlüssel zum BIP-Wachstum in Deutschland, wie auch in anderen Ländern, ist der Energieverbrauch pro Arbeitnehmer.

Diese »antirussischen« Sanktionen machen den neuen Kalten Krieg von Natur aus antideutsch. US-Außenminister Anthony Blinken hat gesagt, dass Deutschland das günstige russische Pipeline-Gas durch hochpreisiges amerikanisches LNG-Gas ersetzen sollte. Um dieses Gas importieren zu können, wird Deutschland in kurzer Zeit über 5 Milliarden Dollar ausgeben müssen, um Hafenkapazitäten für den Umschlag von LNG-Tankern zu schaffen. Dies wird dazu führen, dass die deutsche Industrie nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Insolvenzen werden zunehmen, die Beschäftigung wird zurückgehen, und Deutschlands NATO-freundliche Führer werden eine chronische Depression und einen sinkenden Lebensstandard herbeiführen.

Die meisten politischen Theorien gehen davon aus, dass Nationen in ihrem eigenen Interesse handeln. Andernfalls sind sie Satellitenstaaten, die ihr Schicksal nicht selbst in die Hand nehmen. Deutschland ordnet seine Industrie und seinen Lebensstandard dem Diktat der US-Diplomatie und dem Eigeninteresse des amerikanischen Öl- und Gassektors unter. Es tut dies freiwillig – nicht aufgrund militärischer Gewalt, sondern aus der ideologischen Überzeugung heraus, dass die Weltwirtschaft von den US-amerikanischen Planern des Kalten Krieges gelenkt werden sollte.

Manchmal ist es einfacher, die heutige Dynamik zu verstehen, wenn man sich von der eigenen unmittelbaren Situation löst und sich historische Beispiele für die Art von politischer Diplomatie ansieht, die die Welt von heute spaltet. Die beste Parallele, die ich finden kann, ist der Kampf im mittelalterlichen Europa zwischen dem römischen Papsttum und den deutschen Königen – den Heiligen Römischen Kaisern – im 13. Jahrhundert. Dieser Konflikt spaltete Europa entlang von Linien, die denen von heute sehr ähnlich sind. Eine Reihe von Päpsten exkommunizierte Friedrich II. und andere deutsche Könige und mobilisierte Verbündete zum Kampf gegen Deutschland und dessen Kontrolle über Süditalien und Sizilien.

Deutschlands Rolle in Amerikas Weltordnung

Das Kapitol. Tempel des anglo-amerikanischen Universalismus.

Der Antagonismus des Westens gegen den Osten wurde durch die Kreuzzüge (1095-1291) angefacht, so wie der heutige Kalte Krieg ein Kreuzzug gegen Volkswirtschaften ist, die die Vorherrschaft der USA in der Welt bedrohen. Im mittelalterlichen Krieg gegen Deutschland ging es darum, wer das christliche Europa beherrschen sollte: das Papsttum, wobei die Päpste zu weltlichen Kaisern wurden, indem sie die Macht beanspruchten, die weltlichen Herrscher der einzelnen Königreiche moralisch zu legitimieren und zu akzeptieren – oder ebendiese weltlichen Herrscher.

Die Entsprechung des mittelalterlichen Europa zu Amerikas Neuem Kalten Krieg gegen China und Russland war das Große Schisma von 1054. Leo IX. forderte die unipolare Kontrolle über die Christenheit und exkommunizierte die orthodoxe Kirche mit Sitz in Konstantinopel und die gesamte christliche Bevölkerung, die ihr angehörte. Ein einziges Bistum, Rom, trennte sich von der gesamten christlichen Welt jener Zeit, einschließlich der alten Patriarchate von Alexandrien, Antiochien, Konstantinopel und Jerusalem.

Diese Abspaltung stellte die römische Diplomatie vor ein politisches Problem: Wie konnte sie alle westeuropäischen Königreiche unter ihrer Kontrolle halten und von ihnen das Recht auf finanzielle Unterstützung einfordern? Dieses Ziel erforderte die Unterordnung der weltlichen Könige unter die päpstliche religiöse Autorität. Im Jahr 1074 verkündete Gregor VII., Hildebrand, 27 päpstliche Diktate[1], die die Verwaltungsstrategie Roms zur Sicherung seiner Macht über Europa umrissen.

Diese päpstlichen Forderungen stehen in auffälliger Parallele zur heutigen US-Diplomatie. In beiden Fällen erfordern militärische und weltliche Interessen eine Sublimierung in Form eines ideologischen Kreuzzugsgeistes, um das Gefühl der Solidarität zu festigen, das jedes System imperialer Herrschaft erfordert. Die Logik ist zeitlos und universell.

Die päpstlichen Diktate waren in zweierlei Hinsicht radikal. Erstens stellten sie den Bischof von Rom über alle anderen Bistümer und schufen so das moderne Papsttum. Klausel 3 legte fest, dass allein der Papst die Befugnis hatte, Bischöfe zu ernennen, abzusetzen oder wiedereinzusetzen. In Artikel 25 wurde das Recht, Bischöfe zu ernennen (oder abzusetzen), dem Papst und nicht den lokalen Herrschern übertragen. Und Klausel 12 gab dem Papst das Recht, Kaiser abzusetzen, in Anlehnung an Klausel 9, die »alle Fürsten dazu verpflichtete, allein dem Papst die Füße zu küssen«, um als legitime Herrscher zu gelten.

Auch heute beanspruchen die US-Diplomaten das Recht, zu bestimmen, wer als Staatsoberhaupt eines Landes anerkannt werden soll. Im Jahr 1953 stürzten sie den gewählten Führer des Iran und ersetzten ihn durch die Militärdiktatur des Schahs. Dieser Grundsatz gibt US-Diplomaten das Recht, »farbige Revolutionen« für Regimewechsel zu sponsern, wie z. B. ihre Unterstützung lateinamerikanischer Militärdiktaturen, die Klientel-Oligarchien im Dienste der US-amerikanischen Unternehmens- und Finanzinteressen schaffen. Der Staatsstreich in der Ukraine im Jahr 2014 ist nur die jüngste Ausübung dieses Rechts der USA, Führer zu ernennen und abzusetzen.

In jüngster Zeit haben US-Diplomaten Juan Guaidó anstelle des gewählten Präsidenten zum Staatsoberhaupt Venezuelas ernannt und ihm die Goldreserven des Landes überlassen. Präsident Biden hat darauf bestanden, dass Russland Putin absetzen und einen US-freundlicheren Führer an seine Stelle setzen muss. Dieses »Recht«, Staatsoberhäupter auszuwählen, ist eine Konstante in der Politik der USA, die sich seit dem Zweiten Weltkrieg immer wieder in die politischen Angelegenheiten Europas eingemischt hat.

Das zweite radikale Merkmal der päpstlichen Diktate war ihr Ausschluss jeglicher Ideologie und Politik, die von der päpstlichen Autorität abwich. Klausel 2 besagt, dass nur der Papst »universal« genannt werden kann. Jede abweichende Meinung war per Definition ketzerisch. Klausel 17 besagt, dass kein Kapitel oder Buch ohne päpstliche Autorität als kanonisch angesehen werden kann.

Eine ähnliche Forderung erhebt die heutige, von den USA geförderte Ideologie der finanzialisierten und privatisierten »freien Märkte«, d. h. die Deregulierung der staatlichen Macht, die die Wirtschaft im Sinne anderer Interessen als denen der US-zentrierten Finanz- und Unternehmenseliten gestalten könnte.

Die Forderung nach Universalität im neuen Kalten Krieg ist in die Sprache der »Demokratie« gehüllt. Aber die Definition von Demokratie im neuen Kalten Krieg ist einfach »pro-amerikanisch«, und insbesondere die neoliberale Privatisierung als die von den USA geförderte neue Wirtschaftsreligion. Diese Ethik gilt als »Wissenschaft«, wie der Quasi-Nobel-Preis für Wirtschaftswissenschaften zeigt. Das ist der moderne Euphemismus für neoliberalen Wirtschaftsmüll der Chicagoer Schule, IWF-Sparprogramme und Steuerbegünstigung für die Reichen.

Die päpstlichen Diktate legten eine Strategie fest, um die unipolare Kontrolle über die weltlichen Bereiche zu sichern. Sie machten den päpstlichen Vorrang vor weltlichen Königen geltend, vor allem vor den deutschen Heiligen Römischen Kaisern. Klausel 26 gab den Päpsten die Befugnis, jeden zu exkommunizieren, der »nicht im Frieden mit der römischen Kirche« war. Dieser Grundsatz implizierte die abschließende Klausel 27, die es dem Papst ermöglichte, »Untertanen von ihrer Treue zu bösen Menschen zu entbinden”. Dies ermutigte die mittelalterliche Version der »farbigen Revolutionen«, um einen Regimewechsel herbeizuführen.

Was die Länder in dieser Solidarität einte, war die Feindschaft gegen Gesellschaften, die nicht der päpstlichen Zentralgewalt unterstanden – die muslimischen Ungläubigen, die Jerusalem besaßen, und auch die französischen Katharer und alle anderen, die als Ketzer galten. Vor allem gab es eine Feindseligkeit gegenüber Regionen, die stark genug waren, sich den päpstlichen Forderungen nach finanziellen Tributen zu widersetzen.

Das heutige Gegenstück zu einer solchen ideologischen Macht, Ketzer zu exkommunizieren, die sich den Forderungen nach Gehorsam und Tribut widersetzen, wäre die Welthandelsorganisation, die Weltbank und der IWF, die wirtschaftliche Praktiken diktieren und »Bedingungen« festlegen, denen alle Mitgliedsregierungen unter Androhung von US-Sanktionen folgen müssen – die moderne Version der Exkommunikation von Ländern, die die Oberhoheit der USA nicht akzeptieren. Klausel 19 der Diktate besagte, dass der Papst von niemandem verurteilt werden durfte – so wie sich die Vereinigten Staaten heute weigern, ihre Handlungen den Urteilen des Weltgerichtshofs zu unterwerfen. Ebenso wird heute erwartet, dass die US-Satelliten dem Diktat der NATO und anderer Institutionen (wie dem IWF und der Weltbank) bedingungslos folgen. Wie Margaret Thatcher über ihre neoliberale Privatisierung sagte, die den öffentlichen Sektor Großbritanniens zerstörte: There Is No Alternative (TINA).

Ich möchte damit die Analogie zu den heutigen US-Sanktionen gegen alle Länder hervorheben, die amerikanischen diplomatischen Forderungen nicht nachkommen. Handelssanktionen sind eine Form der Exkommunikation. Sie kehren den Grundsatz des Westfälischen Friedens von 1648 um, der jedes Land und seine Herrscher unabhängig von fremder Einmischung machte. Präsident Biden bezeichnet die Einmischung der USA als Gewährleistung des von ihm postulierten Gegensatzes zwischen »Demokratie« und »Autokratie«. Mit Demokratie meint er eine Klienteloligarchie unter US-Kontrolle, die finanziellen Reichtum schafft, indem sie den Lebensstandard der Arbeitnehmer senkt, im Gegensatz zu gemischten, öffentlich-privaten Volkswirtschaften, die auf die Förderung des Lebensstandards und der sozialen Solidarität abzielen.

Wie ich bereits erwähnt habe, hat das Große Schisma durch die Exkommunizierung der orthodoxen Kirche in Konstantinopel und ihrer christlichen Bevölkerung die verhängnisvolle religiöse Trennlinie geschaffen, die den »Westen« seit einem Jahrtausend vom Osten trennt. Diese Spaltung war so wichtig, dass Wladimir Putin sie in seiner Rede vom 30. September 2022[2] zitierte, in der er die heutige Abkehr von den westlichen Volkswirtschaften mit den USA und der NATO im Zentrum beschrieb.

Im 12. und 13. Jahrhundert protestierten die normannischen Eroberer Englands, Frankreichs und anderer Länder sowie die deutschen Könige wiederholt, wurden wiederholt exkommuniziert und unterwarfen sich schließlich den päpstlichen Forderungen. Es dauerte bis zum 16. Jahrhundert, bis Martin Luther, Zwingli und Heinrich VIII. schließlich eine protestantische Alternative zu Rom schufen und das westliche Christentum multipolar machten.

Warum hat es so lange gedauert? Die Antwort ist, dass die Kreuzzüge eine organisierende ideologische Schwerkraft darstellten. Das war die mittelalterliche Analogie zum heutigen Kalten Krieg zwischen Ost und West. Die Kreuzzüge schufen einen geistigen Brennpunkt für »moralische Reformen«, indem sie den Hass gegen »den Anderen« mobilisierten – den muslimischen Osten und zunehmend auch gegen Juden und europäische Christen, die sich der römischen Kontrolle entzogen. Das war die mittelalterliche Analogie zu den heutigen neoliberalen Doktrinen des »freien Marktes« der amerikanischen Finanzoligarchie und ihrer Feindseligkeit gegenüber China, Russland und anderen Nationen, die dieser Ideologie nicht folgen.

Im neuen Kalten Krieg mobilisiert die neoliberale Ideologie des Westens Angst und Hass auf »die Anderen« und dämonisiert Nationen, die einen unabhängigen Weg verfolgen, als »autokratische Regime«. Es wird offener Rassismus gegenüber ganzen Völkern gefördert, wie die Russophobie und die »Cancel Culture« zeigen, die den Westen derzeit überschwemmen.

So wie der multipolare Übergang des westlichen Christentums die protestantische Alternative des 16. Jahrhunderts erforderte, muss der Bruch des eurasischen Kernlandes mit dem bankenzentrierten NATO-Westen durch eine alternative Ideologie zur Organisation gemischter öffentlich-privater Volkswirtschaften und ihrer Finanzinfrastruktur gefestigt werden.

Die mittelalterlichen Kirchen im Westen wurden ihrer Almosen und Stiftungen beraubt, um dem Papsttum den Peterspfennig und andere Subventionen für die Kriege zukommen zu lassen, die es gegen Herrscher führte, die sich den päpstlichen Forderungen widersetzten. England spielte die Rolle des Hauptopfers, so wie heute Deutschland. Enorme englische Steuern, die angeblich zur Finanzierung der Kreuzzüge erhoben wurden, wurden abgezweigt, um Friedrich II., Konrad und Manfred in Sizilien zu bekämpfen. Diese Abzweigung wurde von päpstlichen Bankiers aus Norditalien (Lombarden und Cahorsins) finanziert und zu königlichen Schulden, die in der gesamten Wirtschaft weitergegeben wurden.

Englands Barone führten in den 1260er Jahren einen Bürgerkrieg gegen Heinrich II. und beendeten damit seine Mitschuld, die Wirtschaft den päpstlichen Forderungen geopfert zu haben.

Was die Macht des Papsttums über andere Länder beendete, war die Beendigung seines Krieges gegen den Osten. Als die Kreuzfahrer 1291 Akkon, die Hauptstadt Jerusalems, verloren, verlor das Papsttum seine Kontrolle über die Christenheit. Es gab kein »Böses« mehr zu bekämpfen, und das »Gute« hatte seinen Schwerpunkt und seine Kohärenz verloren. 1307 beschlagnahmte der französische König Philipp IV. (»der Schöne«) den Reichtum des großen militärischen Bankordens der Kirche, den die Tempelritter im Pariser Tempel hüteten. Auch andere Herrscher verstaatlichten die Templer, und das Geldwesen wurde der Kirche entzogen. Ohne einen gemeinsamen Feind, der von Rom definiert und gegen den mobilisiert wurde, verlor das Papsttum seine unipolare ideologische Macht über Westeuropa.

Das moderne Äquivalent zur Ablehnung der Templer und des päpstlichen Finanzwesens wäre der Rückzug der Länder aus Amerikas neuem Kalten Krieg. Sie müssten den Dollarstandard und das US-amerikanische Banken- und Finanzsystem ablehnen, – was tatsächlich geschieht, da immer mehr Länder Russland und China nicht als Gegner, sondern als große Chancen für gegenseitige wirtschaftliche Vorteile sehen.

Das gebrochene Versprechen

Die Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 versprach ein Ende des Kalten Krieges. Der Warschauer Pakt wurde aufgelöst, Deutschland wurde wiedervereinigt, und amerikanische Diplomaten versprachen ein Ende der NATO, da es keine sowjetische militärische Bedrohung mehr gebe. Die russische Führung gab sich der Hoffnung hin, dass, wie Präsident Putin es ausdrückte, eine neue gesamteuropäische Wirtschaft von Lissabon bis Wladiwostok entstehen würde. Insbesondere von Deutschland wurde erwartet, dass es die Führung bei den Investitionen in Russland und der Umstrukturierung seiner Industrie nach effizienteren Gesichtspunkten übernimmt. Russland würde für diesen Technologietransfer mit Gas und Öl sowie mit Nickel, Aluminium, Titan und Palladium bezahlen.

Es war nicht abzusehen, dass die NATO erweitert werden würde, um einen neuen Kalten Krieg zu riskieren, und schon gar nicht, dass sie die Ukraine, die als die korrupteste Kleptokratie in Europa gilt, unterstützen würde, damit sie von extremistischen Parteien geführt wird, die sich mit deutschen Nazi-Insignien schmücken.

Wie ist es zu erklären, dass das scheinbar logische Potenzial des gegenseitigen Vorteils zwischen Westeuropa und den ehemaligen sowjetischen Volkswirtschaften zu einer Förderung oligarchischer Kleptokratien wurde? Die Zerstörung der Nord Stream-Pipeline bringt die Dynamik auf den Punkt. Fast ein Jahrzehnt lang haben die USA immer wieder gefordert, Deutschland solle seine Abhängigkeit von russischer Energie ablegen. Diese Forderungen wurden von Gerhard Schröder, Angela Merkel und deutschen Wirtschaftsführern abgelehnt. Sie verwiesen auf die offensichtliche wirtschaftliche Logik des gegenseitigen Handels von deutschen Produkten mit russischen Rohstoffen.

Das Problem für die USA bestand darin, Deutschland davon abzuhalten, die Nord Stream 2-Pipeline zu genehmigen.

Victoria Nuland, Präsident Biden und andere US-Diplomaten machten deutlich, dass der Weg dorthin darin bestand, den Hass auf Russland zu schüren. Der neue Kalte Krieg wurde als ein neuer Kreuzzug dargestellt. So hatte George W. Bush Amerikas Angriff auf den Irak zur Beschlagnahmung seiner Ölquellen beschrieben. Der von den USA unterstützte Staatsstreich von 2014 schuf ein ukrainisches Marionettenregime, das acht Jahre lang die russischsprachigen Ostprovinzen bombardiert hat. Die NATO stachelte damit eine russische militärische Antwort an. Die Aufwiegelung war erfolgreich, und die gewünschte russische Antwort wurde als unprovozierte Gräueltat bezeichnet. Der Schutz der Zivilbevölkerung wurde in den von der NATO gesponserten Medien als so anstößig dargestellt, dass die seit Februar verhängten Handels- und Investitionssanktionen gerechtfertigt sind. Das ist es, was ein Kreuzzug bedeutet.

Das Ergebnis ist, dass sich die Welt in zwei Lager spaltet: die US-zentrierte NATO und die entstehende eurasische Koalition. Ein Nebenprodukt dieser Dynamik ist, dass Deutschland nicht in der Lage ist, eine Wirtschaftspolitik zu verfolgen, die auf für beide Seiten vorteilhafte Handels- und Investitionsbeziehungen mit Russland (und vielleicht auch China) setzt. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz reiste Anfang November nach China, um das Land aufzufordern, seinen öffentlichen Sektor abzubauen und die Subventionierung seiner Wirtschaft einzustellen, andernfalls würden Deutschland und Europa Sanktionen gegen den Handel mit China verhängen. Es gibt keine Möglichkeit, dass China dieser lächerlichen Forderung nachkommt, genauso wenig wie die Vereinigten Staaten oder andere Industrienationen die Subventionierung ihrer eigenen Computerchip- und anderer Schlüsselsektoren einstellen würden.[3] Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik ist ein neoliberaler, »libertärer« Arm der NATO, der die Deindustrialisierung Deutschlands und die Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten fordert, wobei China, Russland und deren Verbündete ausgeschlossen werden. Dies verspricht, der letzte Nagel in Deutschlands wirtschaftlichem Sarg zu sein.

Ein weiteres Nebenprodukt von Amerikas neuem Kalten Krieg ist das Ende aller internationalen Pläne zur Eindämmung der globalen Erwärmung. Ein Grundpfeiler der US-Wirtschaftsdiplomatie besteht darin, dass ihre Ölgesellschaften und die ihrer NATO-Verbündeten die weltweite Öl- und Gasversorgung kontrollieren – d. h., die Abhängigkeit von kohlenstoffhaltigen Brennstoffen verringern. Darum ging es bei den NATO-Kriegen im Irak, in Libyen, Syrien, Afghanistan und der Ukraine. Er ist nicht so abstrakt wie »Demokratien gegen Autokratien«. Es geht um die Fähigkeit der USA, anderen Ländern zu schaden, indem sie deren Zugang zu Energie und anderen Grundbedürfnissen unterbrechen.

Ohne das »Gut gegen Böse«-Narrativ des neuen Kalten Krieges verlieren die US-Sanktionen in diesem US-Angriff auf den Umweltschutz und auf den gegenseitigen Handel zwischen Westeuropa und Russland und China ihre Daseinsberechtigung. Das ist der Kontext für den heutigen Kampf in der Ukraine, der nur der erste Schritt in dem voraussichtlich 20 Jahre dauernden Kampf der USA sein wird, um zu verhindern, dass die Welt multipolar wird. Dieser Prozess wird Deutschland und Europa in die Abhängigkeit von den US-Lieferungen von Flüssiggas treiben.

Der Trick besteht darin, Deutschland davon zu überzeugen, dass es in Bezug auf seine militärische Sicherheit von den Vereinigten Staaten abhängig ist. Wovor Deutschland wirklich Schutz braucht, ist der Krieg der USA gegen China und Russland, der Europa marginalisiert und »ukrainisiert«.

Die westlichen Regierungen haben nicht dazu aufgerufen, diesen Krieg auf dem Verhandlungswege zu beenden, denn in der Ukraine wurde kein Krieg erklärt. Die Vereinigten Staaten erklären nirgendwo den Krieg, da dies nach der US-Verfassung eine Entscheidung des Kongresses erfordern würde. Also bombardieren die Armeen der USA und der NATO, organisieren Farbrevolutionen, mischen sich in die Innenpolitik ein (wodurch die Westfälischen Verträge von 1648 obsolet werden) und verhängen Sanktionen, die Deutschland und seine europäischen Nachbarn auseinanderreißen.

Wie können Verhandlungen einen Krieg »beenden«, für den es entweder keine Kriegserklärung gibt oder der eine langfristige Strategie der totalen unipolaren Weltherrschaft ist?

Die Antwort lautet, dass es kein Ende geben kann, bevor nicht eine Alternative zu den derzeitigen US-zentrierten internationalen Institutionen entsteht. Das erfordert die Schaffung neuer Institutionen, die eine Alternative zur neoliberalen, bankenzentrierten Sichtweise bieten, nach der die Volkswirtschaften privatisiert und von den Finanzzentren zentral geplant werden sollten. Rosa Luxemburg bezeichnete die Wahl als die zwischen Sozialismus und Barbarei. Ich habe die politische Dynamik einer Alternative in meinem jüngsten Buch The Destiny of Civilization skizziert.

Dieser Text wurde am 2. November 2022 auf der Webseite von Michael Hudson veröffentlicht.


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Anmerkungen:


  1. https://www.rwi.uzh.ch/static/elt/lst-thier/rgt/default_2/de/html/chapter_1_18.html
  2. Siehe: Das angebliche RAND-Papier und Putins Rede
  3. Siehe Guntram Wolff, »Sholz should send an explicit message on his visit to Beijing«, Financial Times, October 31, 2022. Wolff ist der Direktor und CEO der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

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