Der Krieg um die Rohstoffe

Zuletzt aktualisiert am 3. September 2023.

Der ehemalige britische Diplomat Alastair Crooke, Gründer und Direktor des Konflikt-Forums in Beirut und die ehemalige österreichische Außenministerin Karin Kneissl setzen sich mit dem Krieg um die Rohstoffe und seinen ideologischen Aspekten auseinander.

Der Krieg um die Rohstoffe

Staatliche Requirierung von Tankstellen in Frankreich, 14. Oktober 2022. Quelle: France24.

Europas lautes Schweigen – Der seltsame Fall des Hundes, der nicht bellte

Alastair Crooke, Originalveröffentlichung 10. Oktober 2022.

»Merkwürdig: die Tatsache, dass der Hund nicht bellte, obwohl man es von ihm erwartet hätte.« Sir A. Conan Doyle

Die westlichen Medien sind voll von Spekulationen darüber, ob wir an der Schwelle zum Dritten Weltkrieg stehen oder nicht. Eigentlich sind wir schon dort. Der lange Krieg hat nie aufgehört. Im Gefolge der amerikanischen Finanzkrise von 2008 mussten die USA die Absicherungen ihrer Wirtschaft verstärken. Für die Anhänger von Leo Strauss (die neokonservativen Falken) war die damalige Schwäche Russlands nach dem Kalten Krieg eine »Gelegenheit«, eine neue Kriegsfront zu eröffnen. Die US-Falken wollten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Russlands wertvolle Ressourcen plündern, um ihre eigene Wirtschaft zu stärken und es in eine Vielzahhl von Teilen zerlegen.

Für die Straussianer ist der Kalte Krieg nie zu Ende gegangen. Die Welt bleibt binär – »wir und sie, gut und böse«.

Doch die neoliberale Ausplünderung war letztlich nicht erfolgreich – zum anhaltenden Leidwesen der Straussianer. Spätestens seit 2014 (so ein hochrangiger russischer Beamter) hat sich das »Great Game« der USA auf den Versuch verlagert, die Energieströme und -korridore zu kontrollieren – und den Energiepreis zu bestimmen. Auf der anderen Seite stehen die Gegenmaßnahmen Russlands zur Schaffung fließender und dynamischer Transitnetze durch Pipelines und asiatische Binnengewässer – ebenfalls zur Beeinflussung des Energiepreises. (Jetzt über OPEC+).

Mit der Abhaltung der Referenden in der Ukraine, der Mobilisierung der russischen Streitkräfte und der Ankündigung, für Gespräche offen zu sein, erhöht Putin eindeutig den Einsatz. Sollten die von der NATO geführten Ukrainer ab nächster Woche in die Gebiete der »befreiten Republiken« vordringen, würde dies einen direkten Angriff auf russischen Boden bedeuten. Die Vergeltungsdrohung wird durch die Mobilisierung eines massiven Militäraufgebots untermauert.

Dann wurden die Nordstream-Pipelines in die Luft gesprengt. Vereinfacht ausgedrückt, handelt es sich um ein Spiel mit hohem Einsatz, bei dem es um Energie geht – und um die relativen Stärken und Schwächen der westlichen und der russischen Wirtschaft. Biden gibt 1 Million Barrel pro Tag aus den strategischen Reserven frei, und die OPEC+ scheint eine Kürzung um 1,5 Millionen Barrel pro Tag vorzunehmen.

Einerseits sind die USA eine große rohstoffreiche Volkswirtschaft, Europa jedoch nicht. Außerdem ist es viel stärker von Lebensmittel- und Energieeinfuhren abhängig. Und mit dem endgültigen Platzen der Geldblase von über 20 Milliarden Dollar, die durch die Zentralbanken (FED) geschaffen wurde, ist nicht klar, ob ihre Intervention jetzt eine Lösung darstellt. Die Inflation verändert das Kalkül. Eine Rückkehr zum Quantitative Easing (»unbegrenzten Gelddrucken«) wird in einem inflationären Umfeld höchst problematisch.

Ein vorausschauender Finanzkommentator merkte an: »Beim Platzen von Blasen geht es nicht nur darum, dass überhöhte Preise fallen, sondern auch darum, dass man erkennt, dass eine ganze Denkweise falsch war«. Einfach ausgedrückt: Haben die Straussianer ihren Beifall zum Anschlag auf die Pipelines ausreichend durchdacht? Blinken hat die Sabotage der Nordstream-Pipeline und das daraus resultierende Energiedefizit Europas gerade als »enorme Chance« für die USA bezeichnet. Seltsamerweise fiel die Sabotage mit Berichten zusammen, wonach geheime Gespräche zwischen Deutschland und Russland im Gang seien, um alle Nordstream-Probleme zu lösen und die Versorgung wieder aufzunehmen.

Was aber, wenn die daraus resultierende Krise die politischen Strukturen in Europa zum Einsturz bringt? Was ist, wenn sich herausstellt, dass die USA nicht immun sind gegen die Art von Finanzkrise, mit der das Vereinigte Königreich konfrontiert ist? Team Biden und die EU haben die Eile, mit der sie Russland sanktionieren, offensichtlich nicht durchdacht. Sie haben auch nicht die Konsequenzen durchdacht, die sich ergeben, wenn ihr europäischer Verbündeter Russland verliert.

Diese »Finanzkrieg«-Elemente werden wahrscheinlich mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken als Siege oder Rückschläge auf dem Schlachtfeld in der Ukraine (wo die Zeit des Herbstregens bereits begonnen hat), und der Boden wird nicht vor November gefrieren. Der Konflikt steuert auf eine Pause zu, so wie auch die Aufmerksamkeit des Westens für den Ukraine-Krieg etwas zu schwinden scheint.

Was jedoch für viele »merkwürdig« ist, ist die unheimliche Stille, in die Europa verfallen ist, nachdem seine lebenswichtigen Energiepipelines in Zeiten der Finanzkrise zertrümmert auf dem Grund der Ostsee liegen. Das ist der »Hund«, der in der Nacht nicht gebellt hat – obwohl man es eigentlich erwartet hätte. In der europäischen Presse ist kaum ein Wort oder ein Raunen über diese Angelegenheit zu hören – und auch nicht aus Deutschland … Es ist, als ob es nie passiert wäre. Aber natürlich weiß die Euro-Elite, »wer es war«.

Um dieses Paradoxon zu verstehen, müssen wir uns das Zusammenspiel der drei wichtigsten Strömungen in Europa ansehen. Jede von ihnen hält sich für einen »Gewinner«, für das »A und O« der Zukunft. Doch in Wirklichkeit sind sie nur »nützliche Werkzeuge« in den Augen derer, die »die Fäden ziehen« und jeder Geschichte den gewünschten Drall verleihen – d.h. die psychologischen Operationen hinter dem Vorhang kontrollieren.

Darüber hinaus gibt es eine große Diskrepanz zwischen den Motiven. Die Straussianer führen hinter dem Vorhang einen Krieg – einen existenziellen Krieg, um ihre Vormachtstellung zu erhalten. Die beiden anderen Strömungen sind utopische Projekte, die sich als leicht manipulierbar erwiesen haben.

Die »Straussianer« sind Anhänger von Leo Strauss, dem führenden Theoretiker der Neokonservativen. Viele von ihnen sind ehemalige Trotzkisten, die von der Linken zur Rechten übergelaufen sind (man kann sie auch als »Neocon-Falken« bezeichnen). Ihre Botschaft ist eine sehr einfache Doktrin des Machterhalts: »Niemals loslassen«; jeden Rivalen am Großwerden hindern; alles tun, was nötig ist.

Der führende Straussianer, Paul Wolfowitz, schrieb diese einfache Doktrin der »Ausschaltung aller aufstrebenden Rivalen, bevor sie dich zerstören« in das offizielle US-Verteidigungsplanungsdokument von 1992 – und fügte hinzu, dass Europa und Japan insbesondere »entmutigt« werden sollten, die globale Vormachtstellung der USA in Frage zu stellen. Diese Rahmen-Doktrin wurde zwar von den nachfolgenden Clinton-, Bush- und Obama-Regierungen neu verpackt, blieb aber in ihrem Kern unverändert.

Und da die Botschaft – »jeden Rivalen blockieren« – so direkt und überzeugend ist, wechseln die Straussianer problemlos von einer politischen Partei zur anderen. Sie haben auch ihre »nützlichen« Hilfskräfte, die tief in der US-Elite und den Institutionen der Staatsmacht verankert sind. Die älteste und treueste dieser Hilfskräfte ist jedoch die anglo-amerikanische Geheimdienst- und Sicherheitsallianz.

Die »Straussianer« ziehen es vor, ihre Pläne »hinter dem Vorhang« und in bestimmten US-Denkfabriken zu schmieden. Sie gehen mit der Zeit, schlagen vorübergehend ihre Zelte auf, passen sich aber nie den vorherrschenden kulturellen Trends »da draußen« an. Ihre Allianzen bleiben immer opportunistisch. Sie nutzen die zeitgenössischen Impulse vor allem, um neue Rechtfertigungen für den amerikanischen Exzeptionalismus zu finden.

Der erste wichtige Impuls bei der gegenwärtigen Neuausrichtung ist die liberale, von Aktivisten betriebene, auf soziale Gerechtigkeit ausgerichtete Identitätspolitik. Warum »Wokeismus« (der Kult des »Erwachtseins«)? Warum sollte »Woke« für die CIA und den MI6 von Interesse sein? Weil er revolutionär ist. Die Identitätspolitik wurde während der Französischen Revolution entwickelt, um den Status quo zu verändern, das Pantheon der Heldenmodelle zu stürzen, die bestehende Elite zu verdrängen und eine »neue Klasse« an die Macht zu bringen. Das erregt definitiv das Interesse der Straussianer.

Biden preist gerne die Besonderheit »unserer Demokratie« an. Natürlich bezieht sich Biden nicht auf die Demokratie im weiteren Sinne, sondern auf Amerikas liberal geprägte Rechtfertigung für die globale Hegemonie (definiert als »unsere Demokratie«). »Wir haben die Pflicht und die Verantwortung, ›unsere Demokratie‹ zu verteidigen, zu bewahren und zu schützen … Sie ist bedroht«, sagt er.

Die zweite Schlüsselströmung – die Grüne Transformation – findet sich unter dem Dach der Biden-Administration zusammen mit der sehr radikalen und ausgeprägten Philosophie des Silicon Valley – einer eugenischen und transhumanen Sichtweise, die sich in mancher Hinsicht mit der der »Davos«-Gruppe deckt, wie auch mit der der vorwärtsstürmenden Klimanotstands-Aktivisten.

Nur um das klarzustellen: Diese beiden unterschiedlichen, aber gleichgewichtigen Strömungen »unserer Demokratie« haben den Atlantik überquert, und sich tief in die Brüsseler Führungsschicht eingegraben. Vereinfacht gesagt, hält die Euro-Version des liberalen Aktivismus an der Strauss’schen Doktrin des amerikanischen und westlichen Exzeptionalismus fest – zusammen mit der Forderung, dass »Feinde« in den extremsten »manichäischen« Begriffen dargestellt werden müssen.

Das Ziel des »Manichäismus« ist es (seit Carl Schmitt), jegliche Verhandlung mit Rivalen auszuschließen, indem sie als so »böse« dargestellt werden, dass ein Diskurs mit ihnen sinnlos und moralisch fehlerhaft ist.

Der Wandel der liberal geprägten Politik jenseits des Atlantiks sollte nicht überraschen. Der regulierte EU-Binnenmarkt wurde genau deshalb geschaffen, um die politische Debatte durch technisches Management zu ersetzen. Doch gerade die Sterilität des wirtschaftlich-technischen Diskurses hat das so genannte »Demokratiedefizit« hervorgebracht. Letzteres wurde immer mehr zum unübersehbaren Defizit in der Union.

Die Euro-Eliten brauchten also dringend ein Wertesystem, um die dadurch entstandene Lücke zu schließen. Also sprangen sie auf den liberal geprägten »Zug« auf. Daraus und aus der »messianisch« gestimmten Unterstützung des Club of Rome für die Deindustrialisierung schufen die Euro-Eliten ihre strahlende neue Sekte der absoluten Reinheit, eine grüne Zukunft und rostfreie »europäische Werte«, die das Demokratiedefizit kompensieren.

Die beiden letztgenannten Strömungen – die Identitätspolitik und die Grüne Agenda – hatten und haben in der EU die Führung inne, wobei die Straussianer hinter dem Vorhang stehen und den Hebel der Geheimdienst- und Sicherheitsachse betätigen.

Die neuen Eiferer waren in den 1990er Jahren tief in der europäischen Elite verwurzelt, insbesondere im Gefolge von Tony Blairs Import der Clinton-Weltanschauung, und sie waren bereit, das Pantheon der alten Ordnung zu stürzen, um eine neue, »entindustrialisierte« grüne Welt zu errichten, die die westlichen Sünden des Rassismus, des Patriarchats und der Heteronormativität abwaschen würde.

Sie gipfelte in der Aufstellung einer »revolutionären Vorhut«, deren missionarische Wut sich sowohl gegen »den Anderen« (bei dem es sich zufälligerweise um Amerikas Rivalen handelt) als auch gegen diejenigen im eigenen Land (sei es in den USA oder in Europa) richtet, die als »Extremisten« definiert werden, die »unsere (liberale) Demokratie« bedrohen; oder die zwingende Notwendigkeit einer »Grünen Revolution«.

Dies ist der Punkt: An der Spitze der europäischen »Speerspitze« befinden sich die grünen Eiferer – insbesondere die wahrhaft revolutionäre deutsche grüne Partei. Sie haben die Führung in Deutschland inne und sind am Ruder der EU-Kommission. Es ist grüner Fanatismus, der sich mit der »Ruinierung Russlands« verbindet – eine berauschende Mischung.

Die deutschen Grünen sehen sich selbst als Legionäre in dieser neuen transatlantischen imperialen »Armee«, die buchstäblich die Säulen der europäischen Industriegesellschaft einreißt, ihre rauchenden Ruinen und ihre unbezahlbaren Schulden durch ein digitalisiertes Finanzsystem und eine »erneuerbare« wirtschaftliche Zukunft ersetzt.

Und dann, wenn Russland ausreichend geschwächt ist und Putin seine Wirkung entfaltet hat, werden sich die Geier über den russischen Kadaver hermachen und nach Ressourcen Ausschau halten – genau wie in den 1990er Jahren.

Aber sie haben vergessen … Sie haben vergessen, dass Straussianer keine dauerhaften »Freunde« haben: Das Primat der USA übertrumpft immer die Interessen der Verbündeten.

Was können die europäischen grünen Eiferer sagen? Sie wollten sowieso die Säulen der Industriegesellschaft einreißen. Nun, sie haben es geschafft. Der Nordstream-»Fluchtweg« aus der wirtschaftlichen Katastrophe ist weg. Es bleibt nichts anderes übrig, als unbeeindruckt zu murmeln: »Putin hat’s geschafft«. Und über den Untergang Europas nachzudenken und darüber, was das bedeuten könnte.

Wie geht es weiter? Die Falken werden nun wahrscheinlich ihre nächste Runde in dem mit hohen Einsätzen verbundenen Hütchenspiel um den 3. Weltkrieg beginnen. Der steigende Dollar ist ein Vektor. Die Frage ist, wer die besseren Karten in der Hand hat. Der Westen glaubt, dass er die Ukraine-Karte in der Hand hat. Russland glaubt, dass es das wirtschaftliche Ass in der Hand hat: Lebensmittel, Energie und Rohstoffsicherheit – und eine stabile Wirtschaft. Die Ukraine steht für ein ganz anderes Schlachtfeld: das langfristige Bestreben Straussens, Russland seines historischen »Sicherheitsgürtels« zu berauben, das im Gefolge des Kalten Krieges mit der Zersplitterung der Sowjetunion begann.

Vieles wird von den Folgen der geplatzten Blase abhängen. Wie es ein Kommentator ausdrückte: »Der Zeitpunkt ist gekommen, an dem die Zentralbanker ihre Geldpolitik straffen und ihre verschiedenen Marktverzerrungen abbauen müssen: Die Auswirkungen sind bereits jetzt katastrophal«, sagte Lindsay Politi, ein Fondsmanager. »Und die Zentralbanken sind noch nicht fertig. Die Inflation verändert das Kalkül: Viele Zentralbanken haben einfach nicht mehr die Möglichkeit, unbegrenzt Geld zu drucken«.

Erschienen am 10. Oktober 2022 auf strategic-culture.org. Mit freundlicher Genehmigung der Plattform republiziert.

Der Krieg um die Rohstoffe. Quelle Wikipedia

Konventionelle Öl- und Gasvorkommen. Quelle Wikipedia. Bild vergrößern: anklicken und in neuem Tab öffnen.

Globales Finanzwesen vs. globale Energie: Wer wird gewinnen?

Karin Kneissl, Originalveröffentlichung 13. Oktober 2022 auf The Cradle. Karin Kneissl war von 2017 bis 2019 österreichische Außenministerin und lebt seit 2022 im Libanon im Exil. Mit freundlicher Genehmigung von The Cradle republiziert.

Hinter dem aktuellen Kampf zwischen dem ölkonsumierenden Westen und den ölproduzierenden Ländern steckt mehr, als man auf den ersten Blick sieht, und er geht weit über den Krieg in der Ukraine hinaus.

Als die Europäische Union (EU) am 6. Oktober beschloss, im Rahmen eines neuen Sanktionspakets gegen Moskau eine Obergrenze für den russischen Ölpreis zu verhängen, sprachen sich 23 Ölminister aus der Gruppe der OPEC+-Länder für eine deutliche Kürzung ihrer gemeinsamen Förderquote aus.

Ihr gemeinsamer Beschluss, die Fördermenge um rund zwei Millionen Barrel pro Tag zu senken, löste vor allem in den USA heftige Reaktionen aus, und es war sogar von »Kriegserklärungen« die Rede. Die EU fühlt sich überlistet, da die Produktionskürzungen der OPEC+ die Kraftstoffpreise in die Höhe treiben und ihre acht Sanktionspakete abschwächen könnten. Trotz des Narrativs, dass sich die Welt auf eine »Post-Öl-Ära« zubewegt, scheint der alte Hund noch zu leben, denn die OPEC ist nach wie vor in aller Munde.

Die OPEC ist so relevant wie eh und je

Die OPEC und zehn Nicht-OPEC-Energieproduzenten – darunter Russland – koordinieren ihre Förderpolitik seit Dezember 2016. Damals räumten Analysten diesem »OPEC-plus«-Format wenig Chancen auf Auswirkungen ein.

Ich erinnere mich an viele, die damals im Pressesaal des OPEC-Generalsekretariats in Wien über die Ankündigung spotteten. Aber die OPEC hat in den letzten Jahren den Sturm auf dem globalen Ölmarkt überstanden und ist zu einem wichtigen Akteur geworden.

Erinnern wir uns an die Ausnahmesituation im Frühjahr 2020 während der weltweiten COVID-19-Pandemiesperre, als der Terminhandel für US-Ölsorten zeitweise sogar zu negativen Preisen notierte, um dann im April 2021 wieder auf neue Höchststände anzusteigen.

Im Gegensatz zu den Eskapaden auf dem Ölmarkt zwischen 1973 und 1985, als es kaum einen Konsens unter den OPEC-Mitgliedern gab und viele bereits den Nachruf auf die Organisation geschrieben hatten, gelingt es heute ehemaligen Rivalen wie Saudi-Arabien und Russland, ihre Interessen zu bündeln und mit starken Karten zu spielen.

Damals war es üblich, dass Riad die Interessen Washingtons innerhalb der OPEC berücksichtigte und durchsetzte: Ein einziger Telefonanruf aus der US-Hauptstadt genügte. Als die US-amerikanische Ölgesellschaft ARAMCO – die wie ein verlängerter Arm der USA im Königreich agierte – in den frühen 1970er Jahren im Zuge der weltweit um sich greifenden Verstaatlichungstendenzen von Saudi-Arabien verstaatlicht wurde, versprach man den USA eine Entschädigung per Handschlag.

Die Ära der »Sieben Schwestern«, eines Kartells von Ölgesellschaften, die den Ölmarkt unter sich aufteilten, ging damit zu Ende. Für die US-Politiker ist diese Ära jedoch – zumindest psychologisch – immer noch präsent. »Es ist unser Öl«, ist ein Ausdruck, den ich in Washington oft höre. Besonders laut wurden diese Stimmen während der illegalen, von den USA angeführten Invasion des Irak im Jahr 2003.

Finanzmarkt versus Energiemarkt

Um den Kern des Konflikts in der Ukraine – wo ein Stellvertreterkrieg tobt – wirklich zu verstehen, muss man die Konfrontation so aufschlüsseln: Die USA und ihre europäischen Verbündeten, die den globalen Finanzsektor vertreten und unterstützen, führen im Wesentlichen einen Kampf gegen den weltweiten Energiesektor.

In den vergangenen 22 Jahren haben wir gesehen, wie einfach es für Regierungen ist, Papiergeld zu drucken. 2022 haben die USA mehr Papiergeld gedruckt als in ihrer gesamten Geschichte. Energie hingegen lässt sich nicht drucken. Und hierin liegt ein grundlegendes Problem für Washington: Der Rohstoffsektor kann die Finanzindustrie übertrumpfen.

Als ich 2005 mein Buch »Der Energiepoker« schrieb, beschäftigte ich mich auch mit der Währungsfrage, d.h. ob Öl langfristig in US-Dollar gehandelt werden wird. Damals sagten meine Gesprächspartner aus den arabischen OPEC-Ländern einhellig, dass der US-Dollar als Ölwährung nicht in Frage gestellt würde. Doch 17 Jahre später hat sich diese Ansicht stark verändert.

Riad öffnet sich der Idee, Öl in anderen Währungen zu handeln, wie sich in diesem Jahr in Gesprächen mit den Chinesen über den Handel in Yuan zeigte. Die Saudis kaufen auch weiterhin russisches Öl, wie andere westasiatische Staaten und Staaten des Globalen Südens, sie haben sich entschieden, die westlichen Sanktionen gegen Moskau zu ignorieren, und bereiten sich zunehmend auf die neue internationale Situation der Multipolarität vor.

Washington ist somit nicht mehr in der Lage, absoluten Einfluss auf die OPEC auszuüben, die sich nun geopolitisch als erweiterte OPEC+ neu positioniert.

Die USA reagieren: Zwischen Trotz und Wut

Die OPEC+-Ministertagung am 6. Oktober war ein deutlicher Vorbote dieser neuen Umstände. Die inhärenten Spannungen zwischen zwei Weltanschauungen traten unmittelbar nach der Sitzung im Presseraum zutage, wo ein saudischer Ölminister die westliche Nachrichtenagentur Reuters in die Schranken wies und US-Journalisten die OPEC heftig dafür angriffen, dass sie »die Weltwirtschaft als Geisel hält«.

Am nächsten Tag kündigte das Weiße Haus zähneknirschend eine harte Politik an. Die Produktionskürzungen der OPEC+ lassen Washington zwischen Schmollen und Rachegelüsten schwanken – vor allem gegenüber den einst so willfährigen Saudis. In wenigen Wochen finden in den USA Zwischenwahlen statt, und die Auswirkungen der steigenden Kraftstoffpreise werden sich zweifellos an den Wahlurnen bemerkbar machen.

Seit fast einem Jahr hat Präsident Joe Biden die Treibstoffvorräte der USA über die strategische Erdölreserve aufgestockt, konnte aber weder den Ölpreis noch die galoppierende Inflation in den Griff bekommen. Der US-Kongress droht damit, mit dem so genannten »NOPEC«-Gesetz – unter dem rechtlichen Vorwand des Kartellverbots – das Vermögen der OPEC-Regierungen zu beschlagnahmen.

Das Konzept kursiert schon seit Jahrzehnten auf dem Capitol Hill, aber diesmal könnten neue irrationale Emotionen die Oberhand gewinnen. Doch feindselige oder drohende US-Aktionen werden wahrscheinlich nach hinten losgehen und die geopolitischen Verschiebungen in Westasien, das sich in den letzten Jahren aus der US-Umlaufbahn entfernt hat, noch beschleunigen. Viele arabische Hauptstädte haben den Sturz des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak im Jahr 2011 nicht vergessen und auch nicht, wie schnell die USA ihren langjährigen Verbündeten im Stich gelassen haben.

Der Krieg um die Rohstoffe. Quelle Wikipedia

Unkonventionelle Öl- und Gasvorkommen. Quelle Wikipedia. Bild vergrößern: anklicken und in neuem Tab öffnen.

»Es ist die Wirtschaft, Dummkopf«

Der Ölpreis ist ein Seismograph für die Weltwirtschaft und auch für die globale Geopolitik. Mit den Produktionskürzungen plant die OPEC+ lediglich im Vorgriff auf die bevorstehenden rezessiven Folgen. Zudem schaffen einige Förderländer angesichts der seit 2014 anhaltenden Investitionslücke keine neuen Kapazitäten: Ein niedriger Ölpreis lässt sich nicht aufrechterhalten, wenn keine größeren Investitionen in diesem Sektor getätigt werden.

Ab dem 5. Dezember, wenn das von der EU verhängte Erdölembargo in Kraft tritt, wird sich die Situation bei der Energieversorgung voraussichtlich weiter verschlechtern.

Die grundlegenden Gesetze von Angebot und Nachfrage werden letztlich über die zahlreichen Verwerfungen auf den Rohstoffmärkten entscheiden. Die von der EU und anderen Staaten (insgesamt 42 Staaten) verhängten antirussischen Sanktionen haben das weltweite Angebot gestört, was sich auf das Angebot und die Preisbildung auswirkt.

Die beiden großen globalen Finanzkrisen, die Immobilien- und Bankenkrise im Jahr 2008, und die Pandemie im Jahr 2020 führten zu einem übermäßigen Druck von Papiergeld. Ironischerweise war es China, das die gelähmte Weltwirtschaft aus der ersten Krise herausgeführt hat: Peking stabilisierte 2009/10 den gesamten Rohstoffmarkt, indem es als globale Lokomotive fungierte und den Yuan in die Handelssysteme einbrachte.

China, die gut geölte Maschine

Bis in die frühen 1990er Jahre deckte China seinen Ölverbrauch mit der heimischen Ölproduktion, die bei 3-4 Millionen Barrel pro Tag lag. Doch fünfzehn Jahre später war China dank einer rapide expandierenden Wirtschaft zum größten Ölimporteur der Welt aufgestiegen.

Dieser Status verdeutlicht die entscheidende Rolle Pekings auf dem globalen Ölmarkt. Während Saudi-Arabien und Angola wichtige Öllieferanten sind, ist Russland der wichtigste Gaslieferant für China. Wie der ehemalige Premierminister Wen Jiabao einmal treffend bemerkte: »Jedes kleine Problem multipliziert mit 1,3 Milliarden wird zu einem sehr großen Problem«.

Seit 20 Jahren behaupte ich, dass sich die Pipelines und Fluggesellschaften nach Osten und nicht nach Westen bewegen. Einer der größten Fehler Russlands bestand wohl darin, in Infrastruktur und Verträge für einen vielversprechenden, aber undankbaren europäischen Markt zu investieren. Die Absage des South-Stream-Projekts im Jahr 2014 hätte Moskau als Lehre dienen sollen, Nord Stream ab 2017 nicht mehr zu erweitern. Zeit, Nerven und Geld hätten besser in den Ausbau des Netzes in Richtung Osten investiert werden können.

Es ging nie um die Ukraine

Seit dem Beginn des militärischen Konflikts in der Ukraine im Februar 2022 sehen wir im Wesentlichen zu, wie die westlich geführte Finanzindustrie ihren Krieg gegen die vom Osten dominierte Energiewirtschaft führt. Das Momentum wird immer bei letzterer liegen, denn wie bereits erwähnt, kann Energie im Gegensatz zu Geld nicht gedruckt werden.

Die Öl- und Gasmengen, die benötigt werden, um die russischen Energiequellen zu ersetzen, sind auf dem Weltmarkt nicht innerhalb eines Jahres zu finden. Und kein Rohstoff ist so global wie Öl. Jede Veränderung auf dem Ölmarkt wird immer die Weltwirtschaft beeinflussen.

»Öl schafft und zerstört Nationen«. Dieses Zitat bringt die Bedeutung des Erdöls für die Gestaltung globaler und regionaler Ordnungen auf den Punkt, wie es in Westasien in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg der Fall war: Erst kamen die Pipelines, dann kamen die Grenzen.

Der verstorbene frühere saudische Ölminister Zaki Yamani beschrieb Ölbündnisse einmal als stärker als katholische Ehen. Wenn dem so ist, dann wird die alte amerikanisch-saudische Ehe gerade entfremdet und Russland hat die Scheidung von Europa eingereicht.


Verwandte Beiträge: Die wahren Friedensstörer | Das erste Opfer des Krieges | Die Hegemonie des US-Dollars ist vorüber | Analyse der militärischen Lage | Die Aufgabe Europas | Schachbrett Eurasien | Eurasier in RusslandAlexander Dugins politische AktivitätenPutin und die eurasische Idee | Die Ukraine als Schauplatz eines Kampfes zwischen Atlantiern und Eurasiern | Der Inkarnation Ahrimans entgegen I | Der Inkarnation Ahrimans entgegen II | Der Inkarnation Ahrimans entgegen III | Der Inkarnation Ahrimans entgegen IV | Die Sinnkrise des gegenwärtigen Zeitalters | Die sieben Regionen der mystischen Erde | Die spirituelle Landschaft Zoroasters | Gäasophia und die weiblichen Engel der Erde | Die achte Klimazone der Erde


Seit 17 Jahren veröffentlicht der anthroblog Beiträge zur Anthroposophie und Zeitsymptomen. Unabhängig und unbeeinflusst von Institutionen. Er ist auf Ihre Unterstützung angewiesen.



Oder durch eine Banküberweisung an: Lorenzo Ravagli, GLS Bank Bochum, IBAN: DE18 4306 0967 8212049400 / BIC: GENODEM1GLS.


Ich will zwei- bis dreimal im Jahr durch den Newsletter über neue Beiträge im anthroblog informiert werden!

Kommentare sind geschlossen.