Jacob Boehme: Vom Tier im Menschen und des letzteren Wiedergeburt durch Sophia in Christus

Zuletzt aktualisiert am 11. Juni 2013.

Joos van Craesbeeck – Die Versuchung des Heiligen Antonius, um 1650

Übertragung ins Neuhochdeutsche: Lorenzo Ravagli

Meine teure und liebe Vernunft, recke her deine fünf Sinne und beschaue dich …, was du seist: dass du als Bild Gottes erschaffen wurdest und wie du dir in Adam durch die Einflüsterungen des Teufels dein Paradies vom Geist dieser Welt hast wegnehmen lassen, der nun an der Stelle deines Paradieses sitzt. Willst du nun behaupten, du seiest von Anfang für diese Welt in Adam geschaffen worden, so sieh dich an und betrachte dich: in deinem Gemüt und deiner Sprache findest du ein anderes Bild.

Ein jedes Tier besitzt ein Gemüt, das im Willen verankert ist und darin die fünf Sinne, damit es unterscheiden kann, was für es gut oder schlecht ist. Die Sinne aber reichen nicht in die Tore der Tiefe, wo sich der Wille im Unendlichen erblickt, und der Verstand entspringt, mit dem ein Mensch in die Essenzen aller Dinge zu sehen vermag und erkennt, wie hoch ein jedes Wesen steht und der ihn dazu befähigt, allen Dingen einen Namen zu geben. Wäre ein Tier mit diesem Verstand begabt, dann könnte es auch reden und den Hall unterscheiden und von den Dingen erzählen, die im Wesen sind und im Ursprung gründen. Aber weil es nicht aus dem Ewigen stammt, hat es auch keinen Verstand, der im Licht der Natur sehen kann, so listig oder schnell es auch immer sein mag – und auch seine Stärke oder Kraft verhilft ihm nicht zum Verstand; es ist alles umsonst.

Allein der Mensch besitzt einen Verstand und seine Sinne greifen in die Essenzen und Qualitäten der Sterne und Elemente und er erforscht den Grund aller Dinge in der Region der Sterne und Elemente. Diese Fähigkeit verdankt der Mensch dem ewigen Element, aus dem er geschaffen wurde und nicht der Ausgeburt der vier Elemente; deshalb sieht die Ewigkeit bis in die Anfänge der Ausgeburt des Vergänglichen und die Anfänge der Ausgeburt vermögen nicht in die Ewigkeit zu sehen, denn der Verstand entspringt aus der Ewigkeit, aus dem ewigen Gemüt.

Der Mensch ist aber deshalb so blind und unverständig, weil er von den Sternen und Elementen beherrscht wird, die oft in das Gemüt des Menschen ein wildes Tier einbilden, einen Löwen, einen Wolf, einen Hund, einen Fuchs, eine Schlange oder dergleichen. Auch wenn der Mensch nicht deren Leib annimmt, hat er doch ein solches Gemüt, wovon Christus zu den Juden spricht, von denen er einige Wölfe, Füchse, Nattern und Schlangen nennt (Luk 13,32); auch Johannes der Täufer sagte ähnliches zu den Pharisäern; und es bewahrheitet sich augenscheinlich, denn mancher Mensch lebt fast ganz viehisch, aus seinem viehischen Gemüt, und ist doch so kühn und verurteilt den, der im Bilde Gottes lebt und seinen Leib zähmt.

Wenn er aber etwas Gutes redet und gut urteilt, dann redet er nicht aus dem tierischen Bildnis des Gemüts, in dem er lebt; sondern er redet aus dem verborgenen Menschen, der in dem viehischen verborgen ist und wendet sich gegen sein eigenes viehisches Leben. Denn das verborgene Gesetz der ewigen Natur ist in der viehischen Natur verborgen und befindet sich in einem großen Gefängnis und richtet sich gegen die Bosheit des fleischlichen Gemüts.

Also gibt es im Menschen drei Dinge, die gegeneinander streiten: (1) den ewigen, hoffärtigen, boshaften und zornigen Geist, der dem Gemüt entspringt; (2) den ewigen, heiligen, züchtigen und demütigen Geist, der aus dem ewigen Grund hervorgeht; (3) den vergänglichen, tierischen, ganz viehischen Geist, der aus den Sternen und Elementen hervorgeht, der das ganze Haus und die Wohnung ausfüllt.

Und so geht es dem Menschenbild, wie der Heilige Paulus sagt (Röm 6,16): Wem ihr euch als Knechte im Gehorsam verdingt, dessen Knechte seid ihr; entweder der Sünde zum Tod, oder dem Gehorsam gegen Gott zur Rechtfertigung. Wenn sich der Mensch mit seinem Gemüt der Bosheit, Hoffart, dem Streben nach Macht und Pracht unterwirft, um den Elenden zu unterdrücken, dann gleicht er dem stolzen, hoffärtigen Teufel und ist sein Knecht im Gehorsam und verliert das Bildnis Gottes und aus seinem Bildnis wird ein Wolf, ein Drache oder eine Schlange, alles nach seinen Essenzen, so wie sein Gemüt beschaffen ist.

Unterwirft er sich aber einer anderen säuischen und viehischen Art, um in eitler viehischer Wollust zu leben, in vollem und tollem Fressen, Saufen, in Unzucht, Stehlen, Rauben, Morden, Lügen und Trügen, dann bildet ihm das ewige Gemüt ein solches Bildnis ein, das einem unvernünftigen hässlichen Tier und Wurme gleicht. Und auch wenn er in diesem Leben das elementische menschliche Bild an sich trägt, so ist doch nur ein Nattern-, Schlangen oder tierisches Bildnis darin verborgen, das mit dem Zerfall des Leibes offenbar wird und das nicht in Gottes Reich gehört.

Begibt er sich aber in den Gehorsam Gottes und neigt sein ganzes Gemüt Gott zu, um der Bosheit und der fleischlichen Lust und Sucht zu widerstehen, auch allem ungerechten Leben und Wandel, und begibt er sich in Demut unters Kreuz, dann bildet sein ewiges Gemüt sein Bild zu dem eines Engels um, der keusch, rein und züchtig ist und er behält sein Bild auch beim Zerfall des Leibes, und nach dem Tode wird er mit der teuren Jungfrau der ewigen Weisheit, Keuschheit und Zucht des Paradieses vermählt.

Im Leben hienieden aber steckt er zwischen Tür und Angel, zwischen der Hölle und dem Reich dieser Welt und muss erdulden, dass sein Bildnis immerzu gequetscht wird; denn seine Feinde sind nicht nur außen, sondern auch in ihm und an ihm. Er trägt das tierische und auch das höllische Zorn-Bildnis an sich, solange dieses Fleischhaus währt. Darum befindet er sich immerfort im Streit und Widerstreit mit sich selbst und auch gegen die Bosheit muss er ständig ankämpfen, die der Teufel mächtig gegen ihn anführt, der ihn auf allen Seiten versucht, verführt und überall quetscht und presst; und seine eigenen Hausgenossen in seinem Leib sind seine ärgsten Feinde. Darum sind die Kinder Gottes Kreuzträger in dieser Welt, in diesem bösen irdischen Bildnis.

Nun siehe, du Menschenkind, das hast du zu erwarten nach dem Zerfall deines Leibes, da du ein ewiger Geist bist: entweder du wirst ein Engel Gottes im Paradies, oder ein hässlicher, ungestalter, teuflischer Wurm, ein Tier oder ein Drache; je nachdem, wem du dich hier in diesem Leben unterworfen hat: dasselbe Bildnis, das du hier in deinem Gemüt getragen hast, wird dir in der Ewigkeit erscheinen, denn es kann kein anderes Bildnis beim Zerfall deines Leibes herausfahren, als eben das, welches du hier schon in dir getragen hast.

Bist du nun ein Hoffärtiger, Prächtiger, Eigensüchtiger um deiner Wollust willen gewesen, und nur darauf aus, den Bedürftigen zu unterdrücken, dann fährt auch ein solcher Geist aus dir heraus und so wird er in Ewigkeit bleiben, da er nichts fassen oder behalten kann zu seinem Geiz und seinen Leib mit nichts zieren kann, außer mit dem, was da ist und er steigt doch ewiglich in seiner Hoffart auf. Denn es ist kein anderer Quell in ihm und so erreicht er in seinem Auffahren nichts als die grimmige Feuermacht in seiner Erhebung und neigt mit seinem Willen stets dem zu, dem er schon auf Erden zuneigte; so wie er es hier getrieben hat, das erscheint alles in seiner Tinktur und in dieser steigt er ewig auf im Abgrund der Hölle.

Bist du aber ein leichtfertiger Lästerer, Lügner, Betrüger und ein falscher, mörderischer Mensch, dann fährt ein solcher Geist aus dir heraus: und er begehrt ewig nichts als Falschheit, speit aus seinem Rachen feurige Pfeile, voller Gräuel der Lästerung; und er ist ein ständiger Brecher und Erreger in der Grimmigkeit, der alles in sich frisst und nichts verzehrt: sein ganzes Wesen erscheint in seiner Tinktur, sein Bildnis ist nach dem Gemüt geformt, das er auf der Erde besessen hat.

Darum, sage ich, ist ein Tier besser als ein solcher Mensch, der sich in das höllische Bildnis begibt, denn es besitzt keinen ewigen Geist; sein Geist stammt aus dem Geist dieser Welt, aus der Vergänglichkeit, und vergeht mit dem Leib, abgesehen von der Gestalt ohne Geist, die bestehen bleibt. Denn das ewige Gemüt hat die Tiere durch die Jungfrau der Weisheit Gottes in der Ausgeburt erblickt, um durch sie die großen Wunder Gottes zu offenbaren: und so müssen die ewigen und symbolischen Wunder vor ihm stehen, auch wenn keine tierische Gestalt oder kein tierischer Schatten von sich aus handelt oder leidet, sondern wie ein Schatten oder ein gemaltes Bild ist.

Weil er ein ewiger Geist ist, deswegen ist dem Menschen in dieser Welt alles in seine Gewalt gegeben, und alle anderen Kreaturen sind nur Bilder im Wunder Gottes.

Daher soll sich der Mensch gut besinnen, was er redet, tut oder vorhat in dieser Welt; denn alle seine Werke folgen ihm nach und er hat sie ewig vor Augen und lebt in ihnen. Es sei denn, dass er aus der Bosheit und Falschheit wiedergeboren werde durch das Blut und den Tod Christi, im Wasser und Heiligen Geist, dann bricht er aus dem höllischen und irdischen Bildnis in ein engelhaftes durch und kommt in ein anderes Reich, in das ihm seine Untugend nicht folgen kann, die im Blut Christi ersäuft wird, und es wird das Bildnis Gottes aus dem irdischen und höllischen erneuert hervorgezogen.

All dies müssen wir bedenken und im Licht der Natur erkennen: den Grund des Himmels und der Hölle und des Reiches dieser Welt, und dass dem Menschen im Mutterleib drei Reiche angeboren werden und dass er in diesem Leben drei Bilder in sich trägt, die uns unsere Eltern durch die erste Sünde vererbt haben. Deswegen tut uns der Schlangentreter Not, der uns wieder in das engelhafte Bildnis bringt; und es tut dem Menschen Not, seinen Leib und sein Gemüt mit großem Ernst zu zähmen und sich unter das Joch des Kreuzes zu begeben, statt nach der Wollust, dem Reichtum und der Schönheit dieser Welt zu gieren, denn es steckt das Verderben darin.

Darum sagt Christus (Matth 19,23): Es wird schwerlich ein Reicher ins Himmelreich eingehen, weil ihm die Pracht, der Hochmut und die Wollust des Fleisches so wohlgefällt, und das edle Gemüt für das Reich Gottes tot ist und in der ewigen Finsternis bleibt. Denn im Gemüt steckt das Bildnis des Geistes der Seele: wozu dieses Gemüt neigt und in wessen Knechtschaft es sich begibt, dazu und in dem wird sein Seelen-Geist von dem ewigen Schöpfungswort gestaltet.

Wenn nun der Seelen-Geist in seinem ersten Prinzip (das er mit seines Lebens Aufgang aus der Ewigkeit empfangen hat) nicht wiedergeboren wird, erscheint mit dem Zerfall seines Leibes eine entsprechende Kreatur aus seinem ewigen Gemüt, die er selbst durch seinen Willen in diesem Leben geschaffen hat.

Hattest du ein neidisches Hundegemüt und hast niemandem etwas gegönnt, so wie ein Hund einen Knochen, den er doch selber nicht fressen kann, dann erscheint ebendieses Hundegemüt und nach derselben Quelle wird dein Seelen-Wurm gestaltet und einen solchen Willen behältst du in der Ewigkeit im ersten Prinzip – und es gibt keinen Widerruf. All deine neidischen, boshaften, hoffärtigen Werke erscheinen in der Quelle deiner eigenen Tinktur im Seelen-Wurm und du musst ewig darin leben. Du vermagst dich auch nicht zur Abstinenz zu entschließen, sondern bist auf ewig der Feind Gottes und aller heiligen Seelen. [Schrecklich, nicht wahr? – wenn man die Reinkarnation und die Läuterung der Seele nach dem Tod nicht kennt. Aber das ist die protestantische Apokalypse. L.R.]

Denn die Tore der Tiefe zum Licht Gottes erscheinen dir nicht mehr, bist du doch nun eine vollkommene Kreatur im ersten Prinzip. Auch wenn du dich erhöbest und die Tore der Tiefe aufsprengen wolltest, so kann’s doch nicht sein; denn du bist ein ganzer Geist – und zwar nicht nur bloß im Willen, in dem die Tore der Tiefe gesprengt werden könnten, sondern du fährst über das Reich Gottes hinaus und kannst nicht hinein; und je höher du fährst, um so tiefer bist du im Abgrund und siehst Gott nicht, der dir doch so nahe ist.

Darum kannst du allein in diesem Leben, wo deine Seele im Willen des Gemütes steckt, die Tore der Tiefe aufsprengen und durch eine neue Geburt zu Gott eindringen. Denn hienieden steht dir die teure und hochedle Jungfrau der göttlichen Liebe bei, welche dich durch die Tore des edlen Bräutigams führt, der im Zentrum, im Scheide-Ziel zwischen Himmel und Hölle wohnt, und dich im Wasser des Lebens seines Blutes und Todes gebiert und deine falschen Werke darin ersäuft und abwäscht, damit sie dir nicht nachfolgen, auf dass deine Seele nicht deren Gestalt annimmt, sondern dem ersten Bildnis in Adam vor dem Fall nachgebildet wird, als ein reines, züchtiges und keusches, edles Jungfrauen-Bild, ohne dass ihr noch etwas von der Untugend anhaftet, die dich hier auf Erden beschmutzt hat.

Frägst du: Was ist die neue Wiedergeburt? Oder wie vollzieht sie sich im Menschen? Höre und siehe, verstopfe nicht dein Gemüt, lass dir den Geist dieser Welt mit seiner Macht und Pracht nicht dein Gemüt erfüllen; fasse dein Gemüt und dringe durch ihn hindurch; neige dein Gemüt ganz der freundlichen Liebe Gottes zu, bilde dir einen Vorsatz, ernst und streng, mit deinem Gemüt, durch die Wollust dieser Welt hindurch zu dringen und ihrer nicht zu achten; bedenke, dass du in dieser Welt nicht zu Hause bist, sondern ein fremder Gast, der in einem dunklen Gefängnis gefangen ist! Rufe und flehe zu dem, der den Schlüssel zum Gefängnis hat, ergib dich in Gehorsam der Gerechtigkeit, der Zucht und Wahrheit; suche nicht so heftig das Reich dieser Welt, es wird dir ohnehin anhaften. Tust du dies, dann kommt dir in der Höhe und Tiefe deines Gemüts die züchtige Jungfrau entgegen, sie wird dich zu deinem Bräutigam führen, der den Schlüssel zu den Toren der Tiefe hat. Vor ihm musst du stehen, der wird dir vom himmlischen Manna zu essen geben: das wird dich erquicken und wird stark werden und mit den Toren der Tiefe ringen. Du wirst durchbrechen wie die Morgenröte: und ob du gleich hienieden in der Nacht gefangen liegst, so werden dir doch die Strahlen der Morgenröte des Tages im Paradies erscheinen, dort, wo deine züchtige Jungfrau mit der freudenreichen Engelschar auf dich wartet; sie wird dich in deinem neuen wiedergeborenen Gemüt und Geist gar freundlich aufnehmen.

Und ob du gleich mit deinem Leib in der finstern Nacht in Dornen und Disteln baden musst, mit denen der Teufel und auch diese Welt dich kratzen und quetschen, die dich nicht nur von außen schlagen, verachten, verhöhnen und verspotten, sondern dir auch oft dein teures Gemüt verstopfen und es in die Lust dieser Welt im Sündenbad gefangen führen, so wird dir die edle Jungfrau doch noch beistehen und dich rufen, vom ungöttlichen Weg abzulassen.

Siehe zu, verstopfe nicht dein Gemüt und deinen Verstand! Wenn dein Gemüt spricht: Kehre um, tu es nicht, so wisse, dass die teure Jungfrau dich ruft. Kehre bald um und bedenke, wo du daheim bist, in welchem schweren Diensthaus deine Seele gefangen liegt und forsche nach deinem Vaterland, aus dem deine Seele ausgewandert ist, in das sie wieder zurückkehren soll.

Wirst du nun folgen (dem Rat der edlen Sophia nämlich), so wirst du in dir selber erfahren, nicht erst nach diesem Leben, sondern auch noch in dieser Welt, in deiner Wiedergeburt [welche dir endlich widerfahren wird] aus welchem Geist dieser Autor geschrieben hat.

»De tribus Principiis oder Beschreibung der drei Prinzipien göttlichen Wesens« 1619 | Auszug aus dem 16. Kapitel

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