Zuletzt aktualisiert am 10. März 2020.
Nach dem Tode Evolas (1974) und Schuons (1988) gab es in der westlichen Welt keine herausragende Führungsfigur des Traditionalismus mehr. Es entstanden viele unabhängige traditionalistische Gruppen und Strömungen. Der Traditionalismus vermischte sich, besonders nach den 1960er Jahren, mit der allgemeinen Spiritualität des Westens.
Die sechziger Jahre waren zweifellos der Hauptwendepunkt des kulturellen und geistigen Lebens des westlichen 20. Jahrhunderts, vielleicht noch mehr als die Zeit des I. Weltkriegs. Der Traditionalismus nach 1968 unterscheidet sich ebenso grundlegend wie der Westen im allgemeinen von dem was zuvor war. Aber die kulturelle Revolution der sechziger Jahre flößte dem Traditionalismus neue Lebenskraft ein und war der Geburtshelfer der heutigen traditionalistischen Bewegung. Hier wiederholt sich eine Entwicklung, die bereits in der Renaissance beobachtbar war, die vom Traditionalismus als Totengräber der westlichen esoterischen Tradition verabscheut wird, aber paradoxerweise zur Geburt des Perennialismus führte, oder während des I. Weltkriegs, der den Traditionalismus hervorbrachte, während er dem alten Europa den Todesstoß versetzte.
Eines der erfolgreichsten Bücher der siebziger Jahre, »Small is Beautiful. Economics as if People Mattered« (1973) von Ernst Friedrich Schumacher, ist ein Beispiel für das Eindringen des Traditionalismus in das allgemeine kulturelle Leben des Westens. »Small is Beautiful« wurde millionenfach verkauft, nicht nur wegen seines inspirierenden Titels, sondern auch wegen seines Inhalts. Schumacher, ein englischer Ökonom deutscher Herkunft, griff die Ökonomie wegen ihrer Besessenheit von schierer Größe und ihrer Verachtung nichtmaterieller Werte an, die zur Folge hätten, dass »unzählige qualitative Unterschiede unterdrückt werden … und die Herrschaft der Quantität ihre größten Triumphe feiert.« In seinem Buch »Die Herrschaft der Quantität …« hatte bereits Guénon behauptet, eines der zentralen Merkmale des Kali Yuga sei die Herrschaft der Quantität über die Qualität.
Schumacher sagt über das Unglück, das die Inversion, die Umkehrung aller Werte, mit sich bringt: »Wenn Laster wie Gier und Neid systematisch kultiviert und ganze Gesellschaften von ihnen infiziert werden, verfallen die Menschen in Frustration, Entfremdung, Unsicherheit und vieles mehr.« Die wahre Grundlage der Ökonomie sei spirituell, buddhistisch, aber die Lehren des Christentums, des Islam oder Judentums seien eine ebenso gute Grundlage. Eine buddhistische Ökonomie unterscheide sich grundlegend von der materialistischen, da der Buddhist das Wesen der Kultur nicht in der Vermehrung von Wünschen, sondern in der Befreiung von ihnen sehe.
Schumacher schätzte traditionalistische Werke, war aber selbst kein Traditionalist. Er war Schüler Gurdjieffs, der einem buddhistischen Pfad folgte, aber am Ende zum Katholizismus konvertierte. Für Schumacher war der Traditionalismus nur ein Element seiner Lebensphilosophie, nicht die letzte Antwort auf alle Fragen, aber dennoch ein wichtiges Element. Er tritt nicht nur gelegentlich in seinem Buch »Small is Beautiful« zu Tage, sondern ist eine der Hauptquellen seiner Ablehnung der Moderne. Diese Ablehnung durchzieht »Small is Beautiful« implizit und findet ihren offenen Ausdruck in einem von der UN finanzierten Bericht über die Ökonomie Burmas, den Schumacher 1955 verfasste, in dem er der Regierung Burmas empfahl, alle Pläne für eine ökonomische Entwicklung fallenzulassen und sich stattdessen auf den Buddhismus zu konzentrieren. »Der moderne materialistische Szientismus«, schrieb er Schumacher, »hat die letzten Reste der alten Weisheit zerstört, zumindest in der westlichen Welt.«
»Small is Beautiful« war aber nicht wegen der traditionalistischen Ablehnung der Moderne erfolgreich, auch nicht wegen der Spiritualität Gurdijeffs. Am meisten geschätzt wurden jene Teile des Buches, in denen Schumacher sich für die Erhaltung der Natur aussprach, und die für die Entstehung der politischen Bewegung der Grünen in Deutschland mit verantwortlich waren. Schumacher sah das Gleichgewicht der Natur durch die moderne Lebensweise bedroht. Nicht erneuerbare Rohstoffe sollten nur verwendet werden, wenn es nicht zu vermeiden war und dann nur mit der größten Vorsicht und mit der Zielsetzung, sie zu bewahren. Diese Ansichten leiten sich nicht aus dem Traditionalismus her, sondern aus der Anthroposophie. Diese hatte die soil association inspiriert, eine englische Vereinigung, der Schumacher 1949 beigetreten war, und die zu den frühesten gehörte, die sich für eine ökologische Landwirtschaft einsetzte. Schumachers Ansichten leiteten sich auch von der britischen Industriepolitik her. In seinem späteren Leben war er Berater einer staatlichen Holdinggesellschaft, die sich um die Kohleindustrie kümmerte und wurde in den 1960er Jahren mit der Aufgabe betraut, Argumente gegen die Schließung unrentabler Kohleminen zu entwickeln. Sein Hauptargument war, dass die Ölreserven 1980 zu Neige gehen würden und die Kohle ihre frühere Bedeutung zurückgewinnen werde.
Es ist nicht sicher, ob Schumacher klar war, dass sein Buch besonders wegen seiner ökologischen Auffassungen geschätzt wurde und die Ablehnung der Moderne und das Plädoyer für eine spirituelle Grundlage der Ökonomie und des Lebens im allgemeinen kaum eine Rolle bei der Rezeption spielten. Der Ruhm, der die wachsende Popularität des Buches begleitete, könnte diese Einsicht verhindert haben. Ende 1973 starb er auf einer Vortragsreise an Überanstrengung.
Prinz Charles und Kathleen Raine
Einer der erfolgreichsten Versuche, den Traditionalismus in die allgemeine Diskussion einzuführen, wurde von der englischen Dichterin und Literaturkritikerin Kathleen Raine unternommen (gest. 2003). Während ihres Studiums in Cambridge in den 1920er Jahren begann sie sich für Blake zu interessieren und wurde auf dessen Quellen aufmerksam, zu denen Marsilio Ficino mit seinem Perennialismus gehörte. Im Hintergrund des Werkes von W. B. Yeats entdeckte sie die gleichen Ideen. Sie hielt ihn nicht trotz seiner esoterischen Studien für einen großen Dichter, sondern gerade wegen seiner bedeutenden Kenntnisse auf dem Gebiet des ausgegrenzten Wissens. In der akademischen Welt Englands stießen diese Ansichten auf wenig Gegenliebe, und Raine wäre vermutlich unbeachtet geblieben, hätte sie nicht durch ihre Poesie Ansehen gewonnen. 1943 veröffentlichte sie unter dem Titel »Stone and Flower« eine erste Sammlung von Gedichten. Im Verlauf ihres weiteren Lebens brachte sie weitere 18 Bände heraus und 1993 erhielt sie die angesehen Goldmedaille der englischen Königin für Poesie.
Mit Raines wissenschaftlicher Forschung ging eine spirituelle Suche Hand in Hand, die sie durch die rituelle Magie hindurch (der sie in einer Gruppe begegnete, von der sie lediglich sagte, sie sei aus dem Golden Dawn hervorgegangen) schließlich zum Hinduismus führte. Sie las die Werke Guénons und anderer Traditionalisten, schätzte aber besonders Coomaraswamy und die »Herrschaft der Quantität«. Der Hinduismus, Marsilio Ficino und ihr Nachdenken über Initiation führten sie, ebenso wie Guénon, zum Schluss, dass sie im Kali Yuga lebe. Auch über das Verhältnis von Ost und West entwickelte sie dieselben Ansichten wie Guénon. Vor einem indischen Publikum sprach sie davon, dass der materiell arme Osten sich nach dem sehne, was der Westen zu bieten habe, während die spirituell verarmte westliche Zivilisation erwartungsvoll nach Osten blicke. »Nicht in den Straßen von London, New York oder Dallas, die voller Überfluss sind, begegnen uns Gesichter von strahlender Schönheit und Lebensfreude. Die Reichen gehen mit ihrer stillen Verzweiflung zum Psychiater.« Indien verstand sie als einen Geisteszustand, nicht als politische, ökonomische oder industrielle Kategorie. In ökonomischen Dingen schloss sie sich Schumacher an, verurteilte die im Dienst des reinen Profits stehende Technologie, die Bedürfnisse erzeuge, wo keine existierten, um Produkte zu verkaufen, die von Maschinen erzeugt würden. Jede spirituell fundierte Kultur dagegen habe das Gewicht nicht auf die Vermehrung von Bedürfnissen gelegt, sondern auf ihre Reduzierung.
1980 gründete Raine zusammen mit drei Schuon-Anhängern (Keith Critchlow, Phillip Sherrard und Brian Keeble) »Temenos«, eine »Zeitschrift für die Künste der Imagination«. »Wir benutzten den Begriff ›Heilig‹ nicht, weil uns dann niemand Ernst genommen hätte«, kommentierte Raine später. Aber im Titel steckte er doch, denn »Temenos« bedeutet im Griechischen einen heiligen Bezirk, einen Ort der religiösen Verehrung. Temenos hatte einen traditionalistischen Einschlag, war aber auch für andere Sichtweisen offen.
Die Zeitschrift Temenos gefiel Laurens van der Post, einem südafrikanischen Jung-Anhänger und frühen Umweltaktivisten. Van der Post war viele Jahre mit Prinz Charles befreundet, manche hielten ihn für dessen spirituellen Mentor. 1992 zeigte van der Post dem Prinzen die Zeitschrift, der daraufhin Raine kennenlernen wollte. Er ermunterte Raine, eine Temenos-Akademie zu gründen, die er in seiner Stiftung unterbrachte.
Prinz Charles ist eher ein Antimodernist, als ein Traditionalist. Aber er schätzt Titus Burckhardt und seine Reden lassen zunehmend einen traditionalistischen Einfluss erkennen. Im Jahr 2000 etwa sagte er in einer Ansprache an die Generalversammlung der Kirche von England: »Wir finden uns zunehmend in einem säkularen Zeitalter wieder, das vom Vergessen des Heiligen und Spirituellen bedroht ist und von der Ignoranz jener Prinzipien der Ordnung und Harmonie, die im Herzen des Universums verankert sind … Ich habe den größten Respekt vor dem rationalen Verstand, aber das immanente Risiko ist, dass wir unser Leben ins Ungleichgewicht bringen. Die Tradition und die sophia perennis, die unserem tieferen Verständnis der sichtbaren und unsichtbaren Welten zugrunde liegen, sind dadurch entwertet worden.«
Der Traditionalismus könnte auch seiner offeneren Haltung gegenüber dem Islam zugrunde liegen, die für britische Verhältnisse außergewöhnlich ist. In einer Ansprache, die Prinz Charles 1993 zur Eröffnung des Oxford Center for Islamic Studies hielt, dessen Schutzherr er ist, sprach er sich kraftvoll gegen die im Westen vorherrschenden Missverständnisse des Islam aus, verwies auf die gemeinsame monotheistische Vision von Islam und Christentum und betonte die Notwendigkeit, sowohl der metaphysischen als auch der materiellen Dimension des menschlichen Lebens gerecht zu werden.
Die wichtigste Institution in der von Prinz Charles gegründeten Stiftung ist ein Institut für Architektur, das 1992 entstand und ebenfalls eher antimodernistisch als traditionalistisch ist. Eine Bildungsorganisation dagegen, die ebenfalls von der Stiftung unterstützt wird, das »Visual Islamic and Traditional Arts Programme« (VITA), das 1984 von Keith Critchlow gegründet wurde, ist eindeutig traditionalistisch. VITA bietet Master- und Doktorandenprogramme an und betreut rund 20 Studenten jährlich. Die Kurse sind praktisch ausgerichtet und leiten die Studenten an, bemerkenswerte Kunstwerke zu schaffen: Miniaturen, die sich an der Kunst der Mogule orientieren, Kalligraphien und Mosaike, die islamischen Vorbildern folgen. Das theoretische Programm ist traditionalistisch und schließt die Lektüre von Guénon, Schuon und Coomaraswamy ein.
Wichtiger aber, wegen ihres größeren Einflusses, ist die Temenos-Akademie. Am häufigsten tragen hier Traditionalisten vor, auch wenn die meisten Vortragenden keine Traditionalisten sind. Vorherrschende Themen sind die Künste (hauptsächlich Dichtkunst) und der Islam (besonders der Sufismus), daneben westliche Esoterik (Perennialismus) und verschiedene andere Religionen. Seyyed Hosein Nasr trug verschiedentlich an der Temenos-Akademie vor. Nasr und königliche Förderung sind nicht die einzige Gemeinsamkeit der Temenos-Akademie und der Kaiserlichen Akademie für Philosophie im Iran. Ebenso wie ihr iranisches Vorbild, stellt Temenos einen erfolgreichen Versuch dar, den Traditionalismus zu popularisieren und das ausgegrenzte Wissen wieder in den allgemeinen Diskurs einzubinden. Es gäbe nicht viele besser geeignete Lobbyisten für ein vernachlässigtes Thema als Prinz Charles.
Aber es gibt auch Grenzen des Einflusses. Der Großteil der englischen Massenpresse begegnet den Aktivitäten und Ansichten des Prinzen mit einer Mischung aus Feindseligkeit und Hohn und selbst ein sehr positiver Artikel kann enden wie folgt: »Natürlich sind manche seiner Untertanen der Ansicht, die Theorien des Prinzen seien befremdlich, wenn nicht gar verrückt. Der spirituelle und philosophische Aspekt seines Kreuzzuges gegen den Materialismus wird in manchen Teilen des Königreiches entweder als peinlich oder als unausgegoren betrachtet.«
Small is beautiful: Die Rückkehr zum menschlichen Maß