Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire …

Zuletzt aktualisiert am 19. Dezember 2020.

Friedrich Schiller sammelte in seinem kurzen Leben genügend Erfahrungen mit den Zumutungen einer übergriffigen Staatsmacht. Wenn er den Marquis Posa seiner Imagination zu König Philipp sagen ließ: »Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire …«, spiegelte sich in diesem Satz nicht nur eine Grundforderung des Jahrhunderts der Aufklärung, ja der Neuzeit, sondern auch seine persönliche Lebensgeschichte.

Geben Sie Gedankenfreiheit

Don Carlos

Nach Rudolf Steiner könnte man das »Zeitalter der Bewusstseinsseele« als Zeitalter der individuellen Menschenfreiheit bezeichnen. Die Sehnsucht nach ihr zeigt sich nicht nur in der religiösen Bewegung der Reformation, die die Beziehung des Menschen zu Gott in sein Inneres verlegte, sondern auch in zahlreichen politischen Entwicklungen, die anfangs ebenfalls meist religiös motiviert waren. Sie zeigt sich auch im Kampf der Wissenschaften gegen die Zensur der Kirche, die die Freiheit von Forschung und Lehre, die Freiheit des Denkens erkämpften. Galilei wurde mit dem ihm zugeschriebenen Satz »Eppur si muove«, der eine damals noch exotische Minderheitenmeinung gegen die herrschende Doktrin der Zeit zum Ausdruck brachte, zu einer Ikone der Neuzeit. Dass diese Bewegungen später häufig ins Gegenteil, in neuen Zwang und neue Unterdrückung umschlugen, ist eine andere Geschichte.

Schiller musste sich der angedrohten Festungshaft und der Vernichtung seiner dichterischen Existenz durch ein Schreibverbot entziehen, indem er nächtens aus Württemberg flüchtete und ins Exil ging. In Thüringen fand er schließlich Unterschlupf bei Henriette von Wolzogen, wo er sich und seine Gastgeberin mit dem Pseudonym »Dr. Ritter« vor Nachstellungen schützte. Hier vollendete er, unterstützt von großzügigen Mitverschwörern, seine Luise Millerin (Kabale und Liebe) und begann am Don Karlos zu schreiben.

Was den fahnenflüchtigen Regimentsarzt damals rettete, war die vielgescholtene Kleinstaaterei, der Pluralismus inmitten eines mehr oder weniger einheitlichen Kulturgebiets. Heute hätte es Schiller schwerer, sich als Dissident den Nachstellungen des Staates zu entziehen. Zwar gibt es auch heute noch so etwas wie eine föderalistische Länderhoheit in Sachen Kultur, aber die Länder sind anderweitig gleichgeschaltet, und Unterdrückung geht längst nicht mehr nur von der Staatsmacht, sondern von den Trägern der Kultur selbst aus, die sich in mehr oder weniger großer Abhängigkeit vom Staat befinden – der bekanntlich »wir« sind. Schiller könnte nicht mal kurz in die Kurpfalz übersiedeln, um dort Theaterdichter zu werden, nachdem er sich den württembergischen Landesherzog zum Feind gemacht hat. Er müsste in ein Land flüchten, das kein Auslieferungsabkommen mit der Bundesrepublik unterhält, oder in ein anderes, das ein stabiles Asylrecht besitzt. Der deutsche Nationaldichter, zu dem er später geworden ist, wäre heute Asylant – oder, wie man sagt, »Geflüchteter« – vielleicht in Guatemala oder auf Mindanao. Äußerst fraglich, dass er dann noch zum Klassiker werden und solche Werke wie Maria Stuart, den Wallenstein, Wilhelm Tell oder Die ästhetische Erziehung des Menschen verfassen könnte.

Don Carlos

Mit seinem Don Carlos schuf Schiller das erste deutsche Königsdrama, nach Shakespearschem Vorbild in schnell dahineilenden Blankversen (Iamben). Einem häufig zitierten Brief aus dem Jahr 1784 zufolge hatte Carlos, der spanische Thronerbe, »von Shakespeares Hamlet die Seele – Blut und Nerven von Leisewitz’ Julius und den Puls von mir.« Grüblerisch, zutiefst melancholisch wird so auch Don Carlos zu Beginn des Dramas eingeführt, im Gespräch mit dem Dominikaner Domingo, dem Beichtvater seines Vaters, deutet er das tragische Dilemma seines persönlichen Lebens an:

»Ich habe sehr viel Unglück
Mit meinen Müttern. Meine erste Handlung,
Als ich das Licht der Welt erblickte, war
Ein Muttermord …
Und meine neue Mutter – hat sie mir
Nicht meines Vaters Liebe schon gekostet?«

Die »neue Mutter« ist Elisabeth von Valois, die Tochter des französischen Königs Heinrich II. und Katharina von Medicis – einst seine Verlobte, nun seine Stiefmutter. Die historischen Vorbilder, Elisabeth und Don Carlos, der spanische Infant, waren im gleichen Jahr geboren (1545) und starben im gleichen Jahr (1568). Schiller siedelt die Geschehnisse in ihrem 23. Lebensjahr, dem Todesjahr der beiden an. Die Ehe zwischen Philipp II. und der vierzehnjährigen Elisabeth wurde im Rahmen von Friedensverhandlungen zwischen Frankreich und Spanien vom Herzog von Alba als Brautwerber eingefädelt. Philipp war 18 Jahre älter als seine Kindsbraut.

Aufgrund des strengen Hofzeremoniells und der krankhaften Eifersucht seines Vaters ist Don Carlos der Umgang mit Elisabeth praktisch verboten. Carlos leidet an Liebeskummer. Aus seiner Depression versucht ihn der zweite Held des Bühnenstücks, Marquis Posa, ein Jugendfreund, herauszureißen, indem er ihm die philosophischen und politischen Ideen vergegenwärtigt, für die sie sich einst beide begeisterten: bürgerliche Freiheit und durch diese Freiheit temperierter Absolutismus.

Als Anwalt dieser Freiheit tritt Marquis Posa, den Elisabeth als »Philosophen« bezeichnet, gleich zu Beginn des dramatischen Gedichtes auf, wenn er, auf die Frage von Carlos, was ihn so unverhofft aus Brüssel wieder an den spanischen Hof führe, antwortet:

» … Das ist
der löwenkühne Jüngling nicht, zu dem
Ein unterdrücktes Heldenvolk mich sendet – …
Ein Abgeordneter der ganzen Menschheit
Umarm ich Sie – es sind die flandrischen
Provinzen, die an Ihrem Halse weinen,
Und feierlich um Rettung sie bestürmen.

Getan ist’s um Ihr teures Land, wenn Alba,
Des Fanatismus rauher Henkersknecht,
Vor Brüssel rückt mit spanischen Gesetzen.
Auf Kaiser Karls glorwürd’gem Enkel ruht
Die letzte Hoffnung dieser edlen Lande.«

Hintergrund dieses Hilferufs für die flandrischen Provinzen ist der »Abfall der Niederlande«, ihr Übergang zum Protestantismus, der die Entsendung eines Expeditionsheers unter Herzog von Alba durch Philipp II. provozierte – und damit jene Geschichte, die Goethe zu seinem Egmont inspirierte. Während Goethe sein Drama in den Niederlanden ansiedelte, warf Schiller einen Blick in den spanischen Hof, schilderte also gleichsam die andere Seite des Konflikts. Mit Marquis Posa fand er eine Egmont vergleichbare Gestalt, die ebenso wie dieser als Vorbote »jener, welche kommen werden«, die historische Entwicklung zu mehr Freiheit des Denkens und Lebens vorwegnahm und ebenso an den autoritären Verhältnissen, den herrschenden Mächten von Staat und Kirche, zugrunde ging. Kaiser Karl (Karl V.) war jener spanische Thronerbe, der als Herzog von Burgund zugleich über die Niederlande herrschte und als erwählter Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ab 1520 Spanien zur Weltmacht erhob. Philipp II. war einer seiner Söhne, Don Carlos mithin sein Enkel.

Carlos Ohren sind allerdings verschlossen, zu sehr leidet er an seiner unglücklichen Liebe. Ihn interessiert nur, ob Posa ihm einen Zugang zur Königin verschaffen kann.

Und so entgegnet er:

»Du sprichst von Zeiten, die vergangen sind.
Auch mir hat einst von einem Karl geträumt
Dem’s feurig durch die Wangen lief, wenn man
Von Freiheit sprach – doch der ist längst begraben.«

Karl (Carlos) scheint seine Jugendträume, seine »Freiheitsschwärmerei«, begraben zu haben. Was ihn bedrückt, ist die Zerstörung seines Liebesglücks durch seinen Vater, der ihm die Braut weggenommen hat.

Seine unglückliche Liebe gesteht er dem Marquis:

»Der Sohn liebt seine Mutter. Weltgebräuche,
Die Ordnung der Natur und Roms Gesetze
Verdammen diese Leidenschaft. Mein Anspruch
stößt fürchterlich auf meines Vaters Rechte.
Ich fühl’s, und dennoch lieb ich. Dieser Weg
Führt nur zum Wahnsinn oder Blutgerüste.
Ich liebe ohne Hoffnung – lasterhaft –
Mit Todesangst und mit Gefahr des Lebens …«

Dabei ist Elisabeth nicht einmal seine leibliche, sondern nur seine Stiefmutter.

Elisabeth von Valois

Geben Sie Gedankenfreiheit

Elisabeth von Valois

Auch die Königin ist sichtlich unglücklich. Sie leidet nicht nur an Heimweh, sondern auch an der bedrückenden Enge der katholischen Hofmoral, der Grausamkeit ihres Wahrheitsanspruchs und, nicht zuletzt, ihrer Verlogenheit. Die Hofdamen freuen sich schon auf die Rückkehr von Aranjuez nach Madrid, besonders auf ein ihnen »versprochenes Autodafé«. Entsetzt ruft die Königin aus: »Uns versprochen! Hör ich das von meiner sanften Mondekar?«, worauf diese antwortet: »Warum nicht? Es sind ja Ketzer, die man brennen sieht.« Ketzer sind keine Menschen, sie sind vom Dämon der Abweichung, einem widergöttlichen Prinzip, besessen, gegen das es keine Abhilfe gibt, als den gewaltsamen Tod, der zwar den Leib zerstört, aber wenigstens die Seele rettet. Deswegen ist Freude an der Hinrichtung gerechtfertigt, eine »Augenweide«. Auch die Prinzessin von Eboli will auf Nachfrage der Königin nicht für eine »schlechtere Christin« als Mondekar gehalten werden und teilt deren Vorfreude auf das unmenschliche Schauspiel. Gleichzeitig ist Eboli von derselben verlogenen Moral betroffen, soll sie doch mit einem Höfling verheiratet werden, um dem König als Mätresse dienen zu können. In Wahrheit aber liebt sie ohne dessen Wissen Don Carlos; eine Konstellation, die für einen Großteil der späteren tragischen Verwicklungen von entscheidender Bedeutung sein wird. Selbstverständlich nimmt sich das männliche Herrschaftspersonal heraus, was es dem weiblichen niemals erlauben würde.

Marquis Posa wird in diese gesellige Runde der Hofdamen vorgelassen und bereitet mit vollendeter Galanterie den Auftritt Don Carlos’ vor. Dieser gesteht Elisabeth, nachdem sich alle anderen zurückgezogen haben, seine fortbestehende Liebe:

»Sie waren mein – im Angesicht der Welt
Mir zugesprochen von zwei großen Thronen,
Mir zuerkannt von Himmel und Natur,
Und Philipp, Philipp hat sie mir geraubt.«

Worauf die Königin entgegnet: »Er ist ihr Vater.«
Carlos: »Ihr Gemahl.«
Königin: »Der Ihnen
Das größte Reich der Welt zum Erbe gibt.«
Carlos: »Und Sie zur Mutter.«

Aber Elisabeth lässt sich nicht erweichen. Was auch immer sie empfinden mag, sie erinnert den Infanten an seine Pflicht als künftiger Herrscher.

»Die Liebe ist ihr großes Amt. Bis jetzt
Verirrte sie zur Mutter. – Bringen Sie,
O bringen Sie sie Ihren künft’gen Reichen,
Und fühlen Sie, statt Dolchen des Gewissens,
Die Wollust Gott zu sein. Elisabeth
War ihre erste Liebe. Ihre zweite
Sei Spanien. Wie gerne, Karl,
Will ich der besseren Geliebten weichen.«

Doch das ist nicht die einzige Botschaft, die Elisabeth Carlos vermittelt. Heimlich, am Rande, spielen bereits hier Briefbotschaften und Andeutungen eine Rolle, die dem Infanten eine bedeutsame politische Rolle in den Niederlanden zuschreiben, bei der Rettung Flanderns vor dem grausamen Regiment des Herzogs von Alba, der vom König ausgesandt werden soll, im Land der Ketzer für Zucht und Ordnung, für den rechten Glauben zu sorgen. Was der König vorhat, der das Stelldichein zwischen Carlos und Elisabeth vorzeitig beendet, macht er gegenüber seinen Höflingen deutlich:

»Die Pest
der Ketzerei steckt meine Völker an,
Der Aufruhr wächst in meinen Niederlanden.
Es ist die höchste Zeit. Ein schauerndes
Exempel soll die Irrenden bekehren.
Den großen Eid, den alle Könige
Der Christenheit geloben, lös ich morgen.
Dies Blutgericht soll ohne Beispiel sein;
Mein ganzer Hof ist feierlich geladen.«

Don Carlos scheint sich kurz darauf auf mehr als sich selbst besonnen zu haben. Jedenfalls kündigt er Marquis Posa an: »Ich bin entschlossen. Flandern sei gerettet.« Am nächsten Tag, so der Infant, werde er seinen Vater bitten, ihn anstelle des Herzogs von Alba als Gouverneur in die Niederlande zu entsenden.

Groß ist die Szene, in der der Sohn sich um Versöhnung mit dem Vater bemüht und um die Entsendung in die abgefallenen Republiken. Sie spielt im königlichen Palast zu Madrid. Er spricht das Herz des Vaters an, bringt seine Sohnesliebe ins Spiel, die er trotz aller Zurücksetzungen aufzubringen bereit ist. Doch den Zweifel und das Misstrauen des Vaters vermag er nicht zu zerstreuen.

»Wie entzückend
Und süß ist es, in einer schönen Seele
Verherrlicht uns zu fühlen, es zu wissen,
Dass unsre Freude fremde Wangen rötet,
Dass unsre Angst in fremden Busen zittert,
Dass unsre Leiden fremde Augen wässern! –
Wie schön ist es und herrlich, Hand in Hand
Mit einem teuern, vielgeliebten Sohn
Der Jugend Rosenbahn zurückzueilen,
Des Lebens Traum noch einmal durchzuträumen!
Wie groß und süß, in seines Kindes Tugend
Unsterblich, unvergänglich fortzudauern,
Wohltätig für Jahrhunderte! – Wie schön
Zu pflanzen, was ein lieber Sohn einst erntet,
Zu sammeln, was ihm wuchern wird, zu ahnden,
Wie hoch sein Dank einst flammen wird!«
»Du redest wie ein Träumender. Dies Amt
Will einen Mann und keinen Jüngling –«
wirft der Vater ein.

»… Will
nur einen Menschen, Vater, und das ist
Das einzige, was Alba nie gewesen«, entgegnet der Sohn.

»Und Schrecken bändigt die Empörung nur,
Erbarmung hieße Wahnsinn«, der Vater.

Auf die Bitte des Sohnes, die einzige, die er je geäußert,
»Vertrauen Sie mir Flandern – «
Antwortet der Vater:
»Und zugleich
Mein bestes Kriegsheer deiner Herrschbegierde?
Das Messer meinem Mörder?«

Am Ende lautet das Fazit des Vaters:

»Solche Kranke
Wie Du, mein Sohn, verlangen gute Pflege,
Und wohnen unterm Aug des Arzts. Du bleibst
In Spanien; der Herzog geht nach Flandern.«

Das verwickelte Intrigenspiel des dramatischen Gedichts kann hier nicht in all seinen Verzweigungen nachgezeichnet werden, ist es uns doch vor allem um den Höhepunkt, das Plädoyer des Marquis Posa vor dem König zu tun. Wenigstens zwei Intriganten seien jedoch erwähnt, der Beichtvater des Königs und Herzog Alba, die ihre Ränke gegen die Königin, den Infanten und den Marquis spinnen. In einer Unterhaltung der beiden im zweiten Aufzug (10. Auftritt) lassen sie ihre Masken fallen. In ihr verabreden sie auf Vorschlag Domingos, die Eifersucht der Prinzessin Eboli auf die Königin zu ihren Zwecken zu nutzen.

Der Beichtvater sagt in diesem Zusammenhang über den Sohn des Königs:

»Der Infant
(ich kenn ihn – ich durchdringe seine Seele)
Hegt einen schrecklichen Entwurf – Toledo [ = Herzog Alba] –
Den rasenden Entwurf, Regent zu sein,
Und unsern heil’gen Glauben zu entbehren. –
Sein Herz erglüht für eine neue Tugend,
Die stolz und sicher und sich selbst genug,
Von keinem Glauben betteln will. – Er denkt!

Sein Kopf entbrennt von einer seltsamen
Schimäre – er verehrt den Menschen – Herzog …«

»Er ist stolz auf seine Freiheit«, fügt er hinzu,
»Des Zwanges ungewohnt, womit man Zwang
Zu kaufen sich bequemen muss.«

Alba bewundert den Dominikaner ob seiner Durchtriebenheit.

Philipp II. und Marquis von Posa

Nachdem es gelungen ist, durch das Ränkespiel aus Lügen und Verleumdungen im König den Verdacht zu wecken, seine Frau Elisabeth habe ihn von Anfang an betrogen, und das Kind, das sie ihm geboren, stamme gar nicht von ihm, sondern vom Infanten, sieht man Philipp in fürchterlicher Verzweiflung, dem Wahnsinn nahe, um Fassung ringend, auch seinen Einflüsterern misstrauend, nächtens in seinen Gemächern umherirren. In einem Monolog ruft er die Vorsehung an, sie möge ihm einen Freund senden, dem er vertrauen könne, einen Menschen, der ihm nicht nach dem Munde redet und die Wahrheit vor ihm verbirgt oder Lüge als Wahrheit ausgibt, um ihn zu manipulieren.

»Ich brauche Wahrheit – « ruft er aus, »Ihre stille Quelle
Im dunklen Schutt des Irrtums aufzugraben,
Ist nicht das Los der Könige. Gib mir
Den seltnen Mann mit reinem, offnem Herzen,
Mit hellem Geist und unbefangnen Augen,
Der mir sie finden helfen kann …«

Und die Vorsehung sendet ihm Marquis Posa. Der König sucht ihn als Berater zu gewinnen. Aber der Marquis ziert sich. Vom König gedrängt, sieht er sich genötigt, zu begründen, warum er dessen Ansinnen ablehnen muss:

»Ich kann nicht Fürstendiener sein.«

Philipp II.

Warum? Weil er seinem eigenen moralischen Kompass, seiner eigenen Einsicht folgen muss, und sich nicht auf einen Handel einlassen kann, der darauf hinausliefe, sich dem Fürsten zu verkaufen, der doch nur daran interessiert ist, seine Macht und seinen Ruhm mit seiner Hilfe zu sichern und zu mehren. Er will nicht zum Mittel fremder Zwecke werden, sondern aus sich heraus, nach seinen eigenen Vorstellungen im Königreich zu Gunsten des Volkes wirken. Dazu könnte man Kant zitieren: »Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.« Oder den etwas ausführlicheren Steiner: »Das Individuum muss seine Begriffe durch eigene Intuition gewinnen. Wie der einzelne zu denken hat, lässt sich nicht aus irgendeinem Gattungsbegriffe ableiten. Dafür ist einzig und allein das Individuum maßgebend. Ebensowenig ist aus allgemeinen Menschencharakteren zu bestimmen, welche konkrete Ziele das Individuum seinem Wollen vorsetzen will. Wer das einzelne Individuum verstehen will, muss bis in dessen besondere Wesenheit dringen, und nicht bei typischen Eigentümlichkeiten stehen bleiben. In diesem Sinne ist jeder einzelne Mensch ein Problem. Und alle Wissenschaft, die sich mit abstrakten Gedanken und Gattungsbegriffen befasst, ist nur eine Vorbereitung zu jener Erkenntnis, die uns zuteil wird, wenn uns eine menschliche Individualität ihre Art, die Welt anzuschauen, mitteilt, und zu der anderen, die wir aus dem Inhalt ihres Wollens gewinnen. Wo wir die Empfindung haben: hier haben wir es mit demjenigen an einem Menschen zu tun, das frei ist von typischer Denkungsart und gattungsmäßigem Wollen, da müssen wir aufhören, irgendwelche Begriffe aus unserem Geiste zu Hilfe zu nehmen, wenn wir sein Wesen verstehen wollen.«[1]

Marquis Posa bringt diese Ablehnung jeder Verzweckung, die einer Entwürdigung gleichkommt, auf seine Weise zum Ausdruck.

»Mir aber,
Mir hat die Tugend eignen Wert. Das Glück,
Das der Monarch mit meinen Händen pflanzte,
Erschüf ich selbst, und Freude wäre mir
Und eigne Wahl, was mir nur Pflicht sein sollte …
Können Sie
In ihrer Schöpfung fremde Schöpfer dulden?
Ich aber soll zum Meißel mich erniedern,
Wo ich der Künstler könnte sein? – Ich liebe
Die Menschheit, und in Monarchieen darf
Ich niemand lieben als mich selbst.«

Wenn Schiller Posa von seiner »Liebe zur Menschheit« sprechen lässt, dann meint er nicht einen abstrakten Gattungsbegriff, sondern das, was Steiner als »Individualität« bezeichnet, das, was den Menschen zum Menschen macht, nicht zum Exemplar einer Gattung, das, wodurch jeder Mensch »seine eigene Gattung«[2] ist. Vom König aufgefordert, sich einen Posten in seinen Königreichen auszusuchen, muss Posa gestehen, dass er keinen findet. Dem fassungslosen Regenten antwortet er auf seine Frage nach dem Grund:

»Was Eure Majestät durch meine Hand
Verbreiten – ist das Menschenglück? – Ist das
Dasselbe Glück, das meine reine Liebe
Den Menschen gönnt? – Vor diesem Glücke würde
Die Majestät erzittern. …
In Ihren Münzen lässt sie Wahrheit schlagen,
Die Wahrheit, die sie dulden kann. Verworfen
Sind alle Stempel, die nicht diesem gleichen. …
Darf meine Bruderliebe
Sich zur Verkürzung meines Bruders borgen?
Weiß ich ihn glücklich – eh er denken darf?«

Den Verdacht des Königs, er sei Protestant, weist Marquis Posa als Missverständnis von sich. Seine Dissidenz geht über eine abweichende Interpretation der Schriftautorität weit hinaus. Er will nicht nur eine Wahrheit verkünden, die ein anderer geprägt hat und deswegen duldet. Er will jene Wahrheit aussprechen, die er selbst gefunden hat, auch wenn sie keiner duldet. Seine »Bruderliebe« schließt ein, diesem Bruder dieselbe Freiheit zuzugestehen, die er für sich selbst fordert. Freiheit setzt Gleichheit voraus, die erst Vielfalt ermöglicht, da sie jedem die gleiche Möglichkeit zubilligt, sich auf gleiche Art frei zu entfalten. Nur unter gleich Freien ist Freiheit und gegenseitige Anerkennung möglich. Seine »Gefährlichkeit« besteht darin, dass er das Charisma der Macht durchschaut hat. Da er den Potentaten nicht als Autorität anerkennt, vermag dieser keine Herrschaft mehr über ihn auszuüben. Seiner Auffassung nach besteht das Geheimnis der Macht einzig und allein darin, dass an sie geglaubt wird. Sobald dieser Glaube, der zur freiwilligen Unterwerfung führt, der Aufklärung gewichen ist, zerfällt sie. Macht ist in diesem Sinne »Schein«, um ein Wort Goethes zu verwenden.[3]

»Ich bin
Gefährlich, weil ich über mich gedacht.«

Dieses Denken über sich selbst hat Posa offenbar zur Einsicht geführt, dass er die Quelle jener Souveranität, die der absolute Herrscher beansprucht, ebenso in sich trägt, wie jener, ja, dass er sich sogar mit größerem Recht auf diese berufen kann als er, weil der König die seinige nur aus dem Recht der Geburt oder aus göttlicher Fügung ableiten kann, während er die auctoritas, das Schöpfertum, die Fähigkeit der Selbstbestimmung, die Autonomie, in sich selbst entdeckt hat. Für ihn gilt nicht mehr, was Hobbes im Leviathan vom Gesetz sagt: »Authoritas, non Veritas facit Legem«[4], denn die absolutistische Autorität ist durch die konkurrierende individuelle aufgehoben. Jede Norm, die Geltung beansprucht, muss durch die individuelle Einsicht legitimiert werden. Das hat der Protestantismus zum Prinzip erhoben. Da die Einsicht aber stets eine individuelle ist, entfaltet sie auch keine moralische Bindungswirkung für andere, sondern setzt den Einzelnen von jeder Bevormundung, außer der selbst auferlegten, frei. »Pflicht: Wo man liebt, was man sich selbst befiehlt«, heißt es wiederum bei Goethe.[5] Alles andere wäre Tyrannei.

»Sie sehen
Von den Geheimnissen der Majestät
Durch meine Hand den Schleier weggezogen.
Wer sichert Sie, dass mir noch heilig heiße,
Was mich zu schrecken aufgehört?«

Auch das mysterium tremendum, der Schrecken des Heiligen, auf den die Kirche sich beruft, schreckt ihn nicht mehr, denn er hat über sich selbst nachgedacht.

Einen Umsturz strebt er aber ebenfalls nicht an, nicht weil er ihn für falsch hielte, sondern weil die Zeit dazu noch nicht reif ist.

»Die lächerliche Wut
Der Neuerung, die nur der Ketten Last,
Die sie nicht ganz zerbrechen kann, vergrößert,
Wird mein Blut nie erhitzen. Das Jahrhundert
Ist meinem Ideal nicht reif. Ich lebe
Ein Bürger derer, welche kommen werden.«

Der König glaubt, Posa rede nur so unverfroren, weil er sich durch diese Frechheit einen Vorteil gegenüber der üblichen Schmeichelei verspricht, eine erhöhte Klickrate sozusagen, aber Posa weist diese Unterstellung zurück.

»Ich höre, Sire, wie klein,
Wie niedrig Sie von Menschenwürde denken,
Selbst in des freien Mannes Sprache nur
Den Kunstgriff eines Schmeichlers sehen …
Die Menschen zwangen Sie dazu; die haben
Freiwillig ihres Adels sich begeben,
Freiwillig sich auf diese niedre Stufe
Herabgestellt. Erschrocken fliehen sie
Vor dem Gespenste ihrer innern Größe …
Wie könnten Sie in dieser traurigen
Verstümmelung – Menschen ehren?«

Was die Menschenwürde ausmacht, ist also nicht der Adel der Geburt, sondern der durch Selbsterziehung erworbene Adel, der sich in der Bruderliebe, in der Tugend, in der Freiheit des Denkens, im Wagemut, die Wahrheit selbst zu suchen und zu finden, entfaltet. Diesem Adel gegenüber verblasst der Adel der Geburt. Was die Menschen sich dennoch vor ihm ducken lässt, ist der Schrecken vor der inneren Größe, vor der Entdeckung jenes Geistesadels, der mit einem Mal jene Ketten zersprengt, den der Despotismus ihnen auferlegt. Sie müssen sich erst freiwillig unterwerfen und sich verstümmeln, sich ihrer wahren Menschenwürde begeben, damit der Mechanismus der Macht, der Mechanismus jeder Herrschaftsanmaßung funktioniert.

Der absolute Herrscher hat sich zur Höhe eines Gottes aufgeschwungen, der in seiner Machtvollkommenheit die Menschen formen will wie der Schöpfer, der über Tod und Leben ohne Kontrolle gebietet. Aber er blieb dabei doch nur Mensch, bedürftig wie alle anderen, von Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung erfüllt. Statt des Mitgefühls, das ein gewöhnlicher Mensch zu erregen vermag, kann der absolute Monarchen nur Zittern hervorrufen oder Opfer fordern, wie ein Gott. Er hat sich zu einer einzigartigen Stellung erhoben, sich den Rang einer eigenen Gattung gegeben, durch den er sich über alle anderen Sterblichen erhebt. Auf diesem Gipfel seiner Machtvollkommenheit, seiner angemaßten Einzigartigkeit, ist er einsam geworden, die einsamste und erbarmungswürdigste Kreatur, die sich denken lässt. Er hat etwas an sich gezogen, was allen zusteht, er ist der vollendete Egoist und Solipsist.

»Um diesen Preis sind Sie ein Gott. – Und schrecklich
Wenn das nicht so wäre – wenn für diesen Preis,
Für das zertretne Glück von Millionen,
Sie nichts gewonnen hätten! wenn die Freiheit,
Die Sie vernichteten, das einz’ge wäre,
Das Ihre Wünsche reifen kann?«

Mit beachtlichem Scharfblick analysiert Schiller, als Posa verkleidet, die Dialektik der absoluten Macht, deren inneres Wesen die absolute Leere ist, weil sie keinerlei Gegenüber duldet, das mit ihr auf gleicher Höhe steht, die niemanden kennt, der sie anerkennen könnte. Wenn sie aber von niemandem anerkannt werden kann, weil sie nicht ihresgleichen kennt, dann wird sie tatsächlich von niemandem anerkannt. Ihre Absolutheit erweist sich als leerer Anspruch, als Phantasma.

Schließlich wagt sich der Marquis noch mehr hervor und hält ein glühendes Plädoyer nicht nur für die Freiheit in Gedanken, sondern auch für die konkrete Freiheit in der Geschichte.

»Jüngst kam ich an von Flandern und Brabant –
So viele reiche, blühende Provinzen!
Ein kräftiges, ein großes Volk – und auch
Ein gutes Volk – und Vater dieses Volkes!
Das, dacht ich, das muss göttlich sein! – Da stieß
Ich auf verbrannte menschliche Gebeine –

O schade, dass, in seinem Blut gewälzt,
Das Opfer wenig dazu taugt, dem Geist
Der Opferers ein Loblied anzustimmen!
Dass Menschen nur – nicht Wesen höhrer Art –
Die Weltgeschichte schreiben! Sanftere
Jahrhunderte verdrängen Philipps Zeiten;
Die bringen mildre Weisheit; Bürgerglück
Wird dann versöhnt mit Fürstengröße wandeln,
Der karge Staat mit seinen Kindern geizen,
Und die Notwendigkeit wird menschlich sein.«

Der König will diesen Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen, er verweist den Marquis auf Spanien, in dem die Bürger auch glücklich seien und des »nie bewölkten Friedens« genössen. Diese Ruhe gönne er auch den Flamändern, so Philipp der II.

»Die Ruhe eines Kirchhofs!« erwidert der Marquis, »und Sie hoffen
Zu endigen, was Sie begannen? hoffen,
Der Christenheit gezeitigte Verwandlung,
Den allgemeinen Frühling aufzuhalten,
Der die Gestalt der Welt verjüngt? Sie wollen
Allein in ganz Europa –sich dem Rade
Des Weltverhängnisses, das unaufhaltsam
In vollem Laufe rollt, entgegenwerfen?

Sie wollen pflanzen für die Ewigkeit,
Und säen Tod? Ein so erzwungnes Werk
Wird seines Schöpfers Geist nicht überdauern.«

Zu immer kühneren Metaphern schwingt sich der Marquis auf, als wollte er sich um Kopf und Kragen reden.

»Geben Sie,
was Sie uns nahmen, wieder. Lassen Sie,
Großmütig wie der Starke, Menschenglück
Aus ihrem Füllhorn strömen – Geister reifen
In Ihrem Weltgebäude. Geben Sie,
Was sie uns nahmen, wieder. Werden Sie
Von Millionen Königen ein König.

Geben Sie
die unnatürliche Vergöttrung auf,
Die uns vernichtet. Werden Sie uns Muster
Des Ewigen und Wahren. Niemals – niemals
Besaß ein Sterblicher so viel, so göttlich
Es zu gebrauchen. Alle Könige
Europens huldigen dem span’schen Namen.
Gehen Sie Europens Königen voran.
Ein Federzug von dieser Hand, und neu
Erschaffen wird die Erde. Geben Sie
Gedankenfreiheit …«

Der König ist ob dieser hemmungslosen Insubordination vollkommen sprachlos, beiseite sagt er, mehr zu sich selbst, »Sonderbarer Schwärmer!«

Aber der Marquis ist nicht mehr zu halten:

»Sehen Sie sich um
In seiner herrlichen Natur! Auf Freiheit
ist sie gegründet – und wie reich ist sie
Durch Freiheit! Er, der große Schöpfer, wirft
In einen Tropfen Tau den Wurm, und lässt
Noch in den toten Räumen der Verwesung
Die Willkür sich ergetzen – Ihre Schöpfung
Wie eng und arm! … Sie müssen
Vor jeder Tugend zittern. Er – der Freiheit
Entzückende Erscheinung nicht zu stören –
Er lässt des Übels grauenvolles Heer
In seinem Weltall lieber toben – ihn,
Den Künstler, wird man nicht gewahr, bescheiden
Verhüllt er sich in ewige Gesetze;
Die sieht der Freigeist, doch nicht ihn. Wozu
Ein Gott? sagt er; die Welt ist sich genug.
Und keines Christen Andacht hat ihn mehr
Als dieses Freigeists Lästerung gepriesen.«

Wenn der absolute Herrscher also dem Vorbild des wahren Absoluten folgen will, dann muss er sich ebenso wie dieses verhalten: er muss sich selbst entäußern, »sich jedes Eigenwillens begeben, um alles von des Menschen Willen abhängig zu machen«, er muss sogar der Willkür Raum geben und die Anarchie zulassen, denn die Ordnung ergibt sich von unten, in einem Staat, in dem Millionen Könige regieren, Geister reifen, die sich zur Erkenntnis des Ewigen und Wahren aufzuschwingen vermögen, weil keine Zwangsgewalt, keine Zensur, sie an der Entfaltung ihrer Kreativität hindert. Selbst der Freigeist, der glaubt, nichts beweise die Existenz Gottes, anerkennt ihn doch in Gestalt der ewigen Gesetze, die das Weltall regieren; und diesen immanenten Gott hat sich der Herrscher zum Vorbild zu nehmen und – abzudanken. Die Versöhnung des Bürgerglücks mit Fürstengröße kann nur dadurch erreicht werden, dass der Fürst seine Macht teilt, dass er sie an die Bürger abgibt, dass er seine Untertanen als seinesgleichen anerkennt und sich dem Urteil jener Könige unterwirft, die sich von ihm in ihrer wieder erlangten Souveränität in nichts mehr unterscheiden.

»Geben Sie Gedankenfreiheit!« ruft der Marquis aus, wohl wissend, dass sich in dieser Forderung »das Rad des Weltverhängnisses«, der stoischen Heimarmene, manifestiert, der selbst Götter unterliegen. In den »sanfteren Jahrhunderten«, die da kommen werden, wird diese Freiheit in die »Millionen Könige« eingezogen sein, unter welchen keiner vor anderen durch die Anmaßung von Macht mehr hervorragt, sondern nur noch durch den Adel seines Geistes, durch seine Übung der Tugend, durch Bruderliebe und Mitleid.

Noch einmal appelliert der Marquis an die Herzensgröße des Regenten, man könnte auch sagen, an sein höheres Ich, seine wahre Bestimmung, und ruft ihn auf:

»Stellen Sie der Menschheit
Verlornen Adel wieder her. Der Bürger
Sei wiederum, wie er zuvor gewesen,
Der Krone Zweck – ihn binde keine Pflicht,
Als seiner Brüder gleich ehrwürd’ge Rechte.
Wenn nun der Mensch, sich selbst zurückgegeben,
Zu seines Werts Gefühl erwacht – der Freiheit
Erhabne, stolze Tugenden gedeihen –
Dann, Sire, wenn sie zum glücklichsten der Welt
Ihr eignes Königreich gemacht – dann ist
Es Ihre Pflicht, die Welt zu unterwerfen.«

Posa scheint Philipp zutiefst beeindruckt zu haben. Erst nach langem Schweigen hebt er zu einer Erwiderung an. »Anders, begreif ich wohl, als sonst in Menschenköpfen, malt sich in diesem Kopf die Welt …«, meint er. Da der König der erste ist, dem er diese seine Gedanken mitteilte, will er ihm verzeihen, dass er sie geäußert hat. Gift, so meint er, könne sich in gutartigen Naturen offenbar doch zu etwas Besserem veredeln. Gleichwohl kann er eine Warnung an den Marquis nicht unterdrücken:

»Aber flieht meine Inquisition – Es sollte mir leid tun.«

Doch den Marquis erschrickt auch nicht diese Drohung. Warum sollte er die Macht der Inquisition anerkennen, wenn er jene des absoluten Herrschers bereits durchschaut hat? Und so stellt er in Frage, dass es dem König wirklich ernst mit seinem Bedauern ist, ihn als Opfer der Inquisition zu sehen. Dieser antwortet:

»Nein, Marquis! Ihr tut mir zuviel. Ich will
Nicht Nero sein. Ich will es nicht sein – will
Es gegen euch nicht sein. Nicht alle
Glückseligkeit soll unter mir verdorren.
Ihr selbst, Ihr sollet unter meinen Augen
Fortfahren dürfen, Mensch zu sein.«

Posa genügt die Gnade nicht, die ihm durch Philipp erwiesen wird, er wünscht sich diese Gnade für alle seine Untertanen, auch – und vor allem – für die Untertanen in Flandern – für die Protestanten. Dem König reicht es: »Nichts mehr von diesem Inhalt, junger Mann. – Ich weiß, Ihr werdet anders denken, kennet Ihr den Menschen erst wie ich.«

Dass diese Gnade des Königs nicht lange vorhält, dass Posa später einem von ihm eingefädelten Mordanschlag zum Opfer fällt, dass er sogar seinen Sohn, Don Carlos, der Inquisition opfert, soll uns hier nicht weiter beschäftigen.

Auch zu Schillers Zeiten war jene Fürstengröße, die er so plastisch zeichnete, mit dem Bürgerglück noch nicht versöhnt, wovon sein eigenes kurzes Leben Zeugnis ablegt. Noch herrschte in den Ländern deutscher Zunge Zensur, mit der nicht nur Dichter, sondern auch Denker zu kämpfen hatten. Aber Schiller war ebenso wie Goethe ein Vorbote derer, die da kommen sollten, er ahnte »sanftere Jahrhunderte« voraus, in welchen »der Freiheit stolze Tugenden« gedeihen würden, in welchen dieses höchste Ideal, an dessen Verwirklichung die menschliche Würde hängt, zum Recht eines jeden Menschen geworden sein würde. Marquis von Posa, der sich so beredt für die »sanfteren Jahrhunderte« einsetzte, die er durch seinen Einsatz mit heraufführte, erinnert uns an eine Zukunft, auf die wir mit Bedauern zurückblicken.


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Anmerkungen:

  1. Rudolf Steiner, Die Philosophie der Freiheit, Dornach 1995, S. 240.

  2. Rudolf Steiner, Theosophie, Dornach 2003, S. 74.

  3. »Drei sind, die da herrschen auf Erden: die Weisheit, der Schein und die Gewalt.«

  4. Thomas Hobbes, Leviathan sive de materia, forma, et potestate civitatis ecclesiasticae et civilis, Kap. 26, lat. Ausgabe 1670, S. 133.

  5. Johann Wolfgang von Goethe, Goethes Aufsätze zur Kultur-, Theater- und Literaturgeschichte. Maximen, Reflexionen, Bad. 2, Leipzig 1930, S. 619.


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