Plädoyer für eine evidenzbasierte Pandemie-Politik

Zuletzt aktualisiert am 21. Dezember 2020.

Plädoyer für eine evidenzbasierte Pandemie-PolitikKonstantin Beck und Werner Widmer veröffentlichten Anfang Dezember ein Plädoyer für eine evidenzbasierte Pandemie-Politik mit dem Titel Corona in der Schweiz. Ihre Untersuchungen und Überlegungen beziehen sich, dem globalen Geschehen entsprechend, aber nicht nur auf die Schweiz, sondern auch auf andere Länder bzw. lassen sich auf diese übertragen.

Die Lektüre ihres Buches ist daher auch für Leser außerhalb der Schweiz zu empfehlen, die an einer ausgewogenen Information zum alles beherrschenden Thema interessiert sind.

Konstantin Beck (Jahrgang 1962) ist Prof. Dr. oec. publ., habilitierte an der Universität Zürich, betätigte sich 20 Jahre als Versicherungsmathematiker und verantwortlicher Aktuar und leitete von 2007 bis 2020 das CSS-Institut für empirische Gesundheitsökonomie in Luzern. Seine Forschung löste mehrere Reformen in der Sozialen Krankenversicherung der Schweiz aus. Sein Lehrbuch zur Sozialversicherung und seine politisch/satirische Schrift Sackgasse Einheitskasse erreichten hohe Auflagen, letzteres mit Übersetzungen ins Italienische und Französische. In der Lehre tätig ist er an den Universitäten Luzern, Basel, Lugano und Lausanne, sowie an diversen Fachhochschulen.

Werner Widmer (Jahrgang 1953) ist Dr. rer. pol. und war bis zu seiner Pensionierung Direktor der Stiftung Diakoniewerk Neumünster – Schweizerische Pflegerinnenschule. Er gehörte jahrelang dem Stiftungsrat der Schweizerischen Patientenorganisation, dem Verwaltungsrat der Rehabilitationsklinik Adelheid (Unterägeri), dem Verwaltungsrat des See-Spitals (Horgen) sowie dem Vorstand von Curaviva Schweiz an und war Präsident des Verwaltungsrates des Kantonsspitals Baselland. Werner Widmer war Direktor in vier Spitälern, darunter im Universitätsspital Zürich. Heute ist er Präsident der Krebsliga Zürich, gehört dem Verwaltungsrat des Careum Bildungszentrum an und hat einen Lehrauftrag (Spitalmanagement) an der Universität Luzern.

Das Buch stellt auf 132 Seiten amtliche und kritische Quellen gegenüber, klopft viele Datenbanken ab und trennt Panikmache von echter Bedrohung. Die Autoren prüfen die Argumente hinter den angeordneten Maßnahmen, indem sie selber nachrechnen, Behauptungen falsifizieren und aus der Fülle der Daten und Publikationen statistisch erhärtete Fakten ableiten – darunter auch solche, die bis jetzt noch nie publiziert worden sind. Dabei kritisieren sie die meistens zu drastischen Prognosen der Epidemiologen und deren Drang, sich in Regierungsgeschäfte einzumischen.

Grundsätzliche Fragen werden angesprochen: Wer definiert, was eine Pandemie ist? Was kostete der Lockdown und wen traf es besonders hart? Wie kann trennscharf zwischen Fake News und Wissenschaft unterschieden werden? Warum werden zentrale Werte der Schweiz, wie Freiheit und Eigenverantwortung, von den Behörden vernachlässigt? Warum wird unter Gesundheit plötzlich nur noch die Verhinderung des Todes aufgrund von Covid-19 verstanden? Kann eine Gesellschaft, die den Tod nicht mehr akzeptiert, überleben?

Und schließlich: Wie gefährlich ist Covid-19 überhaupt? Nicht im Einzelfall, sondern in der Summe für die Gesellschaft. Ist die Gefahr tatsächlich so groß, dass sie die Nebenwirkungen und Kosten der angeordneten Maßnahmen rechtfertigt?

Mit freundlicher Erlaubnis der beiden Autoren wird hier das fünfte Kapitel des Buches veröffentlicht. Es kann auf der Webseite der Autoren käuflich erworben oder als PDF kostenlos heruntergeladen werden: https://www.corona-in-der-schweiz.ch/


Wie gefährlich ist COVID-19?

Die Mortalitätsrate, d.h. die Frage, wie viele der infizierten Menschen an einem Virus sterben, ist zusammen mit der Verbreitungsgeschwindigkeit der wichtigste Indikator für die Gefährlichkeit einer Pandemie. Diese epidemiologische Frage hätte in der Krise im Vordergrund stehen müssen, wurde für die Schweiz aber nie richtig beantwortet.

Was ist zurzeit über die Corona-Todesfälle bekannt?

Wir wissen heute recht gut, welche Menschen in der Schweiz am Virus gestorben sind, wie alt sie waren, welches Geschlecht sie hatten und in welchem Kanton sie wohnten. Die 1784 COVID-19-Todesfälle (Stand 03.10.2020 gemäß BAG) verteilten sich folgendermaßen auf die Altersgruppen:

Tabelle 5.1: Verteilung der Todesfälle auf die Altersgruppen (BAG Statistik)

Plädoyer für eine evidenzbasierte

Quelle: BAG-Statistik (Das COVID-19 positive Baby, das mit schwerer Hirnhautentzündung verstarb, wurde weggelassen; vgl. dazu Abschnitt 3.2, Vulnerable Gruppe [im Buch]).

Obwohl schon früh bekannt war, dass sich die Todesfälle auf die hohen Altersgruppen konzentrieren, wurde das Ausmaß der Konzentration anfänglich unterschätzt. So prognostizierte Neherlab[1] am 14. März 2020 nur 45% der Todesfälle ab 80 Jahren und entsprechend mehr in den jüngeren Gruppen. In Wirklichkeit fallen je nach Welle/Zwischenphase 60% bis 70% der Todesfälle in die Gruppe 80 und älter.

Unterhalb von 50 Jahren spielt COVID-19, was die Sterblichkeit angeht, eine marginale Rolle. In der ersten Welle verstarben hier neun Person in der Zwischenphase (bis zum 2. Oktober) gerade einmal zwei. Unterhalb von 40 Jahren gab es seit 4 Monaten keinen einzigen Todesfall und ein (echtes) Corona Opfer unter 30 Jahren gab es noch gar keines. Wer Schulkinder und Studierende vor Ansteckungen schützt, macht das bar jeder statistischen Evidenz.

Während der Zwischenphase verstarben in vier Monaten signifikant weniger Erkrankte als während den drei Monaten der ersten Welle. Der Rückgang liegt (gemäß Tab. 5.1) bei den älteren Jahrgängen zwischen 93% und 78%, bei den 40-Jährigen sinkt die Anzahl von vier auf zwei, bei den 30-Jährigen verschwinden sie vollständig.

Nun, und das wird in epidemiologischen Modellen oft unterschätzt, sind die Erkrankungen kein zufälliges Schicksal, das die einen trifft und die anderen nicht. Ökonomen würden erwarten, dass sich die verschiedenen Jahrgänge ihrem Risiko entsprechend verhalten werden. Gruppen mit hohem Risiko verhalten sich vorsichtiger als solche mit tiefem oder gar keinem Risiko. Genau dieses Bild zeigt die Analyse der Infektionen beim Vergleich der ersten Welle mit der Zwischenphase. Bis zum Alter 39 nehmen die Infektionen zu, ab 40 Jahren nehmen sie ab und zwar umso deutlicher, je älter und gefährdeter eine Person ist. Dasselbe Muster ist bei den jungen Jahren zu erkennen mit Ausnahme der Kleinkinder, die nicht selber über ihr Infektionsrisiko entscheiden können.

Tabelle 5.2: Verteilung der Infektionen auf die Altersgruppen (BAG Statistik)

Plädoyer für eine evidenzbasierteIn der ersten Welle verstarben 1659 Personen an oder mit COVID-19 (vgl. Tab 5.1). Grundsätzlich würde man für die Zwischenphase, die vier Monate dauerte, mehr Todesfälle erwarten als in der ersten, die nur drei Monate dauerte. In Tat und Wahrheit haben sich während der Zwischenphase (gemäß Tabelle 5.2) lediglich dreiviertel so viele Personen infiziert, wie in der ersten. Demnach müssten es auch dreiviertel der Todesfälle, also 1265 sein. Tatsächlich sind es nur 124. Wie ist das möglich? Abbildung 5.1 zeigt, dass 394 Todesfälle wegfallen, wegen der (bereits angesprochenen) Reduktion in der Infektionshäufigkeit. Der größte Rückgang, 935 vermiedene Todesfälle, kann allein auf die Verhaltensänderung der Menschen zurückgeführt werden. Wenn sich Personen mit hohem Risiko weniger infizieren und die übrigen häufiger, dann sinkt auch die erwartete Anzahl Todesfälle. Selbstverantwortung ist somit kein leeres Wort und wo es um Leben und Tod geht, ist der Anreiz für vorsichtiges Verhalten auch ausreichend groß. Die dritte Reduktion, 209 vermiedene Todesfälle, muss andere Gründe haben. Vorstellbar sind zum Beispiel eine bessere medizinische Behandlung oder die Mutation des Virus in eine weniger aggressive Form.

Abbildung 5.1: Entwicklung der Todesfälle von der ersten Welle zur Zwischenphase; schwarz die Anzahl Todesfälle in erster Welle und Zwischenphase, grün die Gründe für den Rückgang

Entwicklung der Todesfälle

Wenden wir uns wieder den Mortalitätsraten zu, also dem Verhältnis Verstorbener zu Infizierten. Diese Rate ist von der ersten Welle zur Zwischenphase gesunken. Es kann dagegen eingewendet werden, dass die Anzahl Infizierter während der Zwischenphase vollständiger erfasst worden ist. D.h. die Mortalitätsraten wären demnach während der Zwischenphase gar nicht gesunken, sondern lediglich exakter gemessen worden. Dennoch bleibt die optimistische Schlussfolgerung gültig, denn die echte Mortalität ist diejenige der Zwischenphase, während der statistisch zuverlässiger gemessen worden ist. Die erschreckenden Resultate der ersten Welle wären dann nichts als verzerrte Messresultate aufgrund der viel weniger häufigen Tests. Dagegen lässt sich einwenden, die Reduktion der Todesfälle sei ja gerade der Effekt des Lockdowns. Nun fällt aber die Zwischenphase in eine Zeit mit gelockerten Lockdown-Regeln, während die strengen Regeln in die Periode mit hoher Mortalität fallen. Das vielbemühte Präventionsparadoxon[2] verheddert sich hier in Widersprüche.

Die COVID-19 Todesfälle im Gesamtzusammenhang

Die Anzahl Todesfälle allein sagt noch nicht viel aus. Es fehlt die Einbettung in den Gesamtzusammenhang. Die wöchentlichen Todesfälle des Bundesamts für Statistik (BfS) ergänzen hier das Bild.

Abbildung 5.2: Todesfälle pro Woche, ganze Schweiz, alle Jahrgänge

Todesfälle pro Woche

Für die ersten 38 Wochen, also bis zum 20. September 2020 gilt folgendes. Es gibt einen klar erkennbaren Corona Peak, der sich rasch wieder abbaut (gelbe Linie). Die Grippe von 2015 fällt jedoch massiver aus und hatte im Sommer eine erkennbare zweite Spitze (orange Linie). Und auch 2017 ist ein starker Grippe-Ausschlag zu verzeichnen (hellblaue Linie). Ansonsten ist das Jahr 2020 eher durchschnittlich. Vergleicht man die Jahre 2015 bis 2020 so fallen 7 wöchentliche Minima ins Jahr 2020, was die Summe aller Todesfälle angeht, belegt es den drittletzten Platz. Und auf die Spitze am 2. April 2020 folgten bald einmal Wochen mit unterdurchschnittlicher Sterblichkeit.

Natürlich ist in diesem Zusammenhang das Präventionsargument berechtigt. Die eher unnatürliche Spitze am 2. April macht deutlich, dass sich das Verhalten der Menschen verändert hat. Sie nahmen die Pandemie wahr und wurden entsprechend vorsichtiger. Wäre das auch ohne Lockdown und nur auf Grund der geradezu pandemischen Berichterstattung in den Medien eingetreten? Die Antwort darauf liefert möglicherweise die sogenannte Reproduktionszahl R. Sie gibt an, wie viele gesunde Personen durch eine erkrankte Person im Durchschnitt angesteckt werden. Wenn die infizierten Personen durchschnittlich eine andere Person anstecken, genau eine, nicht mehr und nicht weniger, dann ist die Reproduktionszahl 1. Die Zahl der Infizierten bleibt über die Zeit konstant. Wenn sie im Durchschnitt mehr als eine andere Person anstecken, dann liegt die Reproduktionszahl über 1. Die Menge der Infizierten nimmt zu. Es kommt zu einer Epidemie. Wenn die Infizierten durchschnittlich weniger als eine andere Person anstecken, dann liegt die Reproduktionszahl unter 1 und die Menge der Infizierten nimmt ab. Die Epidemie läuft aus.

Die Reproduktionszahl hängt von drei Faktoren ab: Während wie vielen Tagen eine infizierte Person ansteckend ist. Wie viele Kontakte eine angesteckte Person mit nicht angesteckten Personen pro Tag hat und wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein solcher Kontakt zu einer Ansteckung führt. Angenommen, es gelingt mit unserem Verhalten die Zahl der Kontakte zu halbieren und auch die Wahrscheinlichkeit zu halbieren, dass ein Kontakt ansteckend wirkt, dann sinkt die Reproduktionszahl.

Die Reproduktionszahl für die Schweiz berechnet Tanja Stalder[3], wobei diese Zahl immer wieder Anlass zu Kontroversen gab.[4] Abb. 5.3 gibt die Resultate Stalders vom 27. April wieder. Aus der Grafik ist ersichtlich, dass der R-Wert bereits vor den Lockdown-Maßnahmen im Sinken begriffen war und kurz nach dem Lockdown die kritische Grenze von 1 unterschritten hatte. Angesichts dieses Verlaufs wurde die Kritik laut, dass der Lockdown unnötig gewesen sei, weil der R-Wert so oder so gesunken wäre.

Abbildung 5.3: Reproduktionszahl der Schweiz

Reproduktionszahl

»Dafür verantwortlich sind vermutlich Verhaltensänderungen der Menschen, die sich im täglichen Leben schon vor dem Lockdown zu etablieren begannen, vor allem die physische Distanzierung und die bessere Händehygiene.« (Andreas Hirstein, NZZ a.S. 03.05.2020) Dann wäre es wiederum die Eigenverantwortung der Menschen, die zum Sinken der Ansteckungen geführt hat. Dass das durchaus möglich ist, zeigt auch Abb. 5.1, wo vier Fünftel des Rückgangs der Mortalität auf selbstverantwortliches Handeln zurückgeführt werden kann.

Damit kämen wir zum Messproblem der Mortalitätsrate.

Messprobleme bei der Berechnung der Mortalitätsrate

Sieben Monate nach Beginn der Pandemie in der Schweiz weiss man immer noch nichts Genaues über die Mortalitätsrate. Das hat eine Reihe offensichtlicher Gründe. Unter der Mortalitätsrate verstehen wir Folgendes:

Todesfallrate

Beide Werte in diesem Bruch wurden jedoch leider systematisch falsch erhoben.

Fehler 1: Die Sterberate wird zu hoch, wenn unter der »Anzahl an COVID-19 Verstorbener« nicht nur Personen mitgezählt werden, die an COVID-19 gestorben sind, sondern auch noch solche, die lediglich zusammen mit COVID-19 gestorben sind.

Fehler 2: Die Sterberate wird ebenfalls zu hoch, wenn unter der »Anzahl mit COVID-19 Infizierter« nur Personen erfasst werden, die starke Symptome haben. Somit fehlen diejenigen Personen in dieser Statistik, die kaum Symptome hatten. Dadurch wird die Anzahl Infizierter zu klein.

Es war schon früh klar, dass der zweite Fehler relevant sein dürfte: Mitte April zeigte eine Studie in vier Pflegezentren der Stadt Zürich, dass ein großer Teil der angesteckten älteren Menschen keine Symptome von COVID-19 aufwiesen: In zwei Pflegeheimen gab es unter den Bewohnerinnen und Bewohnern einige an COVID-19-Erkrankte. Als in diesen Häusern alle Bewohner getestet wurden, war das Resultat bei rund der Hälfte der Bewohner positiv, von denen interessanterweise aber 40 Prozent keine Symptome aufwiesen. In den beiden anderen Pflegezentren, in denen es keine COVID-19-Erkrankten hatte, waren alle Tests negativ. (Tages Anzeiger, 14.04.2020)

Diese Studie zeigt (zusammen mit vielen anderen), dass viele Infizierte keine Symptome zeigen. Für eine brauchbare Berechnung der Sterberate müssten alle Personen einer repräsentativen Stichprobe von z.B. 5000 oder 10 000 Personen getestet werden. Das war anfänglich nicht möglich, weil die Tests kompliziert und die Chemikalien knapp waren. Gegen Ende der ersten Welle bestand dieses Problem aber nicht mehr.

Daneben gab es aber auch noch eine weitere Kritik an den statistischen Zahlen. Es wurde verschiedentlich ein dritter Fehler ins Feld geführt (u.a. im Tages Anzeiger vom 07.09.2020):

Fehler 3: Die Sterberate wird zu niedrig, wenn nicht alle an COVID-19 Verstorbenen als infizierte erkannt werden, so dass die »Anzahl mit COVID-19 Verstorbener« zu gering ausfällt.

Führen die ersten zwei Fehler zu einer Überschätzung der Mortalitätsrate, so führt Fehler drei zum Gegenteil, einer Unterschätzung. Somit ist überhaupt nicht mehr klar, wie die gemessenen Fallzahlsterblichkeit interpretiert werden soll, als zu gering oder als zu groß.

Weiß die internationale Forschung mehr?

Aber auch international war die Datenlage dürftig. So beklagt sich Prof. Ioannidis: »Drei Monate nach dem Beginn des Ausbruchs fehlen in den meisten Ländern, auch in den USA, die Möglichkeiten, eine große Zahl von Menschen zu testen und kein Land hat verlässliche Daten über die Prävalenz des Virus in einer repräsentativen Stichprobe der gesamten Gesellschaft. Dieses Evidenz-Fiasko schafft eine enorme Unsicherheit bezüglich des Risikos, an COVID-19 zu sterben. Veröffentlichte Fallsterblichkeits-Raten, wie die offizielle 3,4%-Rate der WHO verursachen Angst und Schrecken – und sind bedeutungslos.«[5] Bedeutungslos deshalb, weil auch die WHO-Zahl auf der oben beschriebenen Verzerrung beruht.

Immerhin wies eine französische Studie schon früh darauf hin, dass SARS-CoV-2 im Vergleich mit vier älteren Coronaviren nicht zu einer höheren Sterblichkeitsrate führt[6]. Die Sterberaten der fünf verschiedenen Virentypen unterschieden sich nicht signifikant voneinander. Der Beachtungsgrad dieser frühen Studie unterschied sich allerdings auch nicht signifikant von dem anderer, ähnlicher Studien: Sie fanden in den Publikumsmedien lange Zeit wenig Beachtung.

Tabelle 5.3: Todesfall-Rate diverser Studien mit wissenschaftlich korrekter Methodik

Plädoyer für eine evidenzbasierte

Quellen: I Fauci A.S, H. Clifford Lane & R.R. Redfield, COVID-19 – Navigating the Uncharted, N Engl J Med 382;13, 1268–1269; II Ioannidis, Corona – an evidence fiasco, Https://profiles.stanford.edu/ john-ioannidis (23.4.2020); III Reiss/Bhakdi S.33f; IV Jay Bhattacharya: The Fight against COVID-19: An Update, (18.4.20); https://www.youtube.com/watch?v=k7v2F3usNVA

Betrachtet man diese bisher publizierten Studien, die auf differenzierten statistischen Ansätzen basieren (vgl. Tabelle 5.2), so lässt sich ein systematischer Rückgang der anfänglich zu hoch geschätzten Raten feststellen. Ab der dritten Zeile liegen alle Werte unter einem Prozent. Die Kreuzfahrtschiff-Analyse von Ioannidis liegt mit einem Prozent nur deswegen so hoch, weil Passagiere eines Kreuzfahrtschiffs in der Regel eher ältere Semester sind. Bei der Übertragung auf die US-Bevölkerung berücksichtigt Ioannidis zudem den sehr großen Schätzfehler. Ohne diese statistische Unsicherheit käme Ioannidis auf eine Sterberate der US-Bevölkerung zwischen 0,025% und 0,6%. Speziell sind auch die Resultate von Steeck, der 0,24–0,26% angibt und 0,36% nur als absolute Obergrenze betrachtet, in den Medien jedoch auffällig oft nur mit dem Maximalwert zitiert wird.

Auch Fauci[7] schätzt die Todesfallrate auf »considerably less than 1%« und das, wegen der grossen, unbekannten Anzahl Symptomloser.

Im Gegensatz zu diesem abnehmenden Trend in der internationalen Literatur äußert sich Prof. Drosten[8], der Berater der Deutschen Bundesregierung. Sprach er am 13. Februar im Deutschland-Funk von 0,1–0,5%, so wird er am 13. März mit einer Schätzung von 0,3–0,7% zitiert und legt am 30.03.2020 einen Wert von 0,8% vor.[9] Großes Aufsehen erregte die jüngste Publikation von Ioannidis[10], welche den tiefen Wert der Sterblichkeit einmal mehr bestätigte. Gestützt auf 61 wissenschaftliche und 8 staatliche Untersuchungen mit zusammen 82 Schätzresultaten kommt er zum Schluss, dass im Mittel mit 0,27% Todesfällen zu rechnen ist. Die von Ioannidis zitierten Studien zu Genf und Zürich schneiden dabei jedoch ein wenig schlechter ab mit Todesfallraten von 0,45% und 0,51%.[11]

Aber was bedeutet nun 0,1 oder 1,0%? Wie hoch ist die Sterblichkeit bei einer normalen Grippe? Reiss und Bhakdi (S. 32) beziffern das Sterberisiko einer normalen Influenza mit 0,1–0,2%. Fauci nennt 0,1%. Schwere Grippen hingegen, die bis jetzt mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen worden sind, weisen höhere Werte auf, unklar ist, wie hohe Werte.

Eine interessante Argumentation liefern Reiss und Bhakdi (S. 32). Basierend auf den Statistiken des Robert Koch Instituts (RKI) berechnen sie für die Epidemie in Deutschland von 2017/18 eine Sterblichkeitsrate von 8%. Dabei weist diese Zahl alle oben lang und breit besprochenen Verzerrungen auf und dürfte zu hoch sein. Das RKI publiziert ungeachtet der methodischen Kritik, die nun seit Monaten auf die Virologen herunter prasselt, für die Corona-Pandemie am 5. Mai eine Sterberate von 4%.[12] Auch diese Zahl ist viel zu hoch. Interessant ist aber der Vergleich der beiden Werte. Wenn der Fehler in beiden Berechnungen des RKI ähnlich ist, dann hat die Pandemie von 2017/18 eine doppelt so hohe Sterblichkeit zur Folge wie Corona heute. Wir stellen fest: Wir hatten Corona bereits einmal vor drei Jahren, aber keiner hat es gemerkt.

Ist dem wirklich so? Eine wichtige Rolle in diesem Zusammenhang spielt die Immunität der Bevölkerung.[13] Ist es möglich, dass Teile der Bevölkerung auch auf Grund früherer Grippe-Infektionen immun gegen COVID-19 sind? Sowohl Pietro Vernazza[14] als auch Beda Stadler[15] hatten bereits im April respektive Juni diese Möglichkeit in den Raum gestellt. Ihnen widersprachen die Mitglieder der COVID-19-Task Force des Bundes am 16. September dezidiert. Es gäbe keine Hinweise, dass eine einstige Ansteckung mit einem gewöhnlichen »Schnupfen-Coronavirus« das Risiko einer Infektion mit Sars-Cov-2 senke. Eine Aussage die zur Peinlichkeit verkam, weil tags darauf Peter Doshi im British Medical Journal das genaue Gegenteil verkündete und sich dabei auf zahlreiche Studien und eine verdichtete Evidenz abstützen konnte (23.09.2020, Medinside).

Auch das ein weiterer, starker Beleg dafür, dass die Mortalitätsrate nicht so hoch ausfällt, wie anfänglich befürchtet.

Es fehlte die politische Zielgröße

Man kann dem Bundesrat keinen Vorwurf machen, dass er die Mortalität von COVID-19 nicht richtig eingeschätzt hat, als er im März den Lockdown anordnete, wenn wir uns noch einmal die damalige Situation vergegenwärtigen.

Da waren die Todesfallstatistiken aus China, die in kurzer Zeit nach oben schnellten, was aber nicht zuletzt mit dem vollständigen Versagen der chinesischen Behörden zu Beginn der Pandemie zu tun hatte. Anstelle des Virus verfolgte man dort akribisch die Übermittler der schlechten Nachricht, bis sich beides, die Nachricht wie das Virus nicht mehr aufhalten ließen und das Gesundheitswesen, schlecht informiert, der Welle an Erkrankten nicht mehr Herr werden konnte (NZZ 08.06.2020). Effekt dieser typischen Polizeistaat-Mentalität war nicht zuletzt die weltweite Verbreitung einer lokal aktiven und von den Ärzten früh erkannten Seuche, die (möglicherweise) innerhalb von China hätte eingedämmt werden können. Stattdessen zählen wir heute weltweit hunderttausende von Toten. Und auch die Bilder und Nachrichten aus Italien vermittelten den Eindruck einer unbeherrschbaren Seuche. Hätte man sie allerdings mit den Bildern aus Italien von 2015 verglichen, es hätte wahrscheinlich ähnlich ausgesehen.

Unmittelbar nach dem Lockdown hätte man die Frage der Mortalität (wie von der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich in einem offenen Brief an den Bundesrat empfohlen) rasch und statistisch sauber klären können. Doch das tat der Bundesrat nicht.

Ist es so, dass der Bundesrat gar keine Vorstellung hatte, welche Opferzahl er akzeptieren würde? Die Kosten der Maßnahmen müssen in einem vernünftigen Verhältnis zu den verhinderten Todesfällen, den geretteten Lebensjahren und den vermiedenen Langzeitfolgen stehen. Hat der Bundesrat eine solche Güterabwägung gar nie vorgenommen?[16]

Die Definition, was eine gefährliche Pandemie sein soll, wurde an die WHO ausgelagert. Und diese wiederum strich den Aspekt der Gefährlichkeit am 5. Mai 2009 explizit aus ihrer Pandemie-Definition. Das ist das eigentlich Gefährliche an Corona.


Da sich das hier veröffentlichte Kapitel nur auf die »erste Welle« des Jahres 2020 und die darauffolgende Zwischenzeit bezieht, hier ein Hinweis: Das statistische Beratungslabor am Lehrstuhl für Statistik und ihre Anwendungen der Ludwig-Maximilians-Universität München veröffentlichte am 11.12.2020 seinen CoDAG-Bericht Nr. 4, der feststellt, dass – adjustiert auf die Einwohnerzahl – das Jahr 2020 keine ausgeprägte Übersterblichkeit aufweist. Im Einzelnen heißt es im Bericht:

»Man erkennt, dass in der Altersgruppe der 35-59 Jährigen aktuell eine Untersterblichkeit sichtbar ist, die sich insbesondere seit KW 44 zeigt, also kurz nach den einschränkenden Maßnahmen im Oktober. In der Altersgruppe der 60-79 Jährigen zeigt sich auch unter Berücksichtigung der COVID-19 Todesfälle keine Übersterblichkeit. Bei den Hochbetagten, den über 80-Jährigen, zeigt sich eine leicht erhöhte Sterblichkeit je 100.000 Lebende im Frühjahr 2020. Zieht man die COVID-19 Todesfälle ab und betrachtet nur die sonstigen Todesfälle, so ergibt sich in dieser Altersgruppe für das Frühjahr und den Frühsommer eine leichte Untersterblichkeit. Auch für die folgenden Monate bleibt die Rate der gesamten Todesfälle in dieser Altersgruppe im Vergleich zu den Vorjahren am unteren Rand.

Insgesamt ist somit in der zweiten Welle der Pandemie bisher keine herausstechende Übersterblichkeit zu beobachten, bei der jungen Bevölkerung zeigt sich sogar eher eine Untersterblichkeit.«

Der Bericht kann hier heruntergeladen werden.


Auch Prof. Harald Walach beschäftigt sich in einem Blogbeitrag vom 14.12.2020 mit der Mortalität in Deutschland von 2016 bis und mit 2020.


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Anmerkungen:

  1. Neherlab ist eine Forschungsgruppe von Prof. Dr. Richard Neher, Biozentrum Universität Basel; Quelle https://covid19-scenarios.org/
  2. Das Präventionsparadoxon besagt Folgendes: Es bahnt sich eine schlimme Pandemie an. Der Staat ergreift präventive Maßnahmen und infolgedessen kommt niemand zu Schaden. Der Staat hat also erfolgreich Prävention betrieben. Nun murrt die Bevölkerung, die Maßnahmen seien unnötig gewesen, es sei ja niemand gestorben. D.h. die schlimme Pandemie sieht aus wie eine harmlose Pandemie; gerade, weil die Prävention erfolgreich war. Das Paradox unterstreicht die Bedeutung der Mortalitätsrate (im Gegensatz zur absoluten Zahl der Gestorbenen). Sie zeigt die Gefährlichkeit der Krankheit losgelöst von allen Präventionsanstrengungen. An SARS verstarben insgesamt nur 774 Personen (scheinbar harmlos) aber von den Infizierten verstarben 10 Prozent (also doch sehr gefährlich; etwa 50 bis 100-mal gefährlicher als COVID-19).
  3. Prof. Dr. Tanja Stalder, Professorin für Computational Evolution an der ETH Zürich.
  4. Vergl. Wyler und Perermann, in NZZ vom 06.07.2020
  5. John P.A. Ioannidis, Professor für Medizin, Epidemiologie und öffentliche Gesundheit, für biomedizinische Wissenschaft und Statistik an der Stanford University sowie Co-Direktor des Stanford Meta-Research Innovation Center – er zählt zu den am häufigsten zitierten medizinischen Fachleuten.
  6. www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0924857920300972.
  7. Prof. Anthony Fauci ist Immunologe, erwarb sich internationales Renommee mit Beiträgen zur AIDS-Forschung und amtete als Corona-Berater des US-Präsidenten.
  8. Prof. Christian Drosten ist Virologe, seit 2017 Lehrstuhlinhaber und Institutsdirektor an der Charité in Berlin. Er dürfte aktuell der populärste und politisch einflussreichste Deutsche Virologe sein.
  9. https://www.deutschlandfunk.de/virologe-zum-coronavirus-geringe-sterblichkeit.694.de.html?dram:article_id=470165 | https://www.focus.de/gesundheit/news/pandemie-virologe-klaert-ueber-neuartiges-virus-auf-immunitaet-sterblichkeit-dauer_id_11723764.html | https://www.tagesspiegel.de/wissen/virologie-christian-drosten-ueber-das-coronavirus-wir-werden-in-deutschland-einen-anstieg-der-fallsterblichkeit-sehen/25696836.html
  10. P.A. Ioannidis, 14.10.2020. Infection fatality rate from COVID-19 inferred from seroprevalence data. Bulletin of the World Health Organization; Type: Research Article ID: BLT.20.265892
  11. Einigermassen erstaunlich war der Kommentar zu dieser Studie im Schweizer Radio. Christian von Burg (Wissenschaftsredaktor SRF) äussert sich sofort sehr skeptisch zu den überraschend tiefen Werten von Ioannidis, obwohl diese weder neu noch überraschend sind. Von Burg verweist auf die Mehrheit der Forscher, welche Raten von 0,5% bis 1,0% angeben. Es ist allerdings einigermassen schwierig hier Gegenmehrheiten ins Feld führen zu wollen, wenn der Wert von Ioannidis der Median aller statistisch belastbaren Studien darstellt. D.h. 50% aller Studien liegen sogar unterhalb von 0,27%. Um dem tiefen Wert die beruhigende Wirkung zu nehmen, verweist von Burg sogleich auf die 15% Sterberate der 85-Jährigen. Wem ist aber bewusst, dass diese Zahl nur 7 Prozentpunkte über der natürlichen Sterberate liegt? Und auch wenn von Burg einräumt: «Umgekehrt sind die Todesfälle bei den jungen Erwachsenen und den Kindern dann wiederum selten,» ist auch das eine vernebelnde Formulierung. Denn «selten» bedeutet in diesem konkreten Fall «unendlich selten». Es starb bislang in der Schweiz kein einziges Kind und kein einziger Jugendlicher an COVID-19. (Aus: https://www.srf.ch/audio/wissenschaftsmagazin/asteroid-bennu-trifft-auf-amerikanischen-staubsauger?id=11861482).
  12. https://de.euronews.com/2020/05/05/coronavirus-in-deutschland-sterberate-steigt-rki-erwartet-zweite-welle
  13. Und wir erinnern uns: Das einzige verbliebene, harte Kriterium in der WHO-Pandemie-Definition ist das Fehlen einer Immunität in der Bevölkerung. Kippt diese Annahme, dann war COVID-19 gar keine Pandemie im Sinne der WHO-Kriterien.
  14. Prof. Dr. Pietro Vernazza, Chefarzt Infektiologie am Kantonsspital St. Gallen
  15. Prof. Dr. Beda Stadler, ehemaliger Direktor des Instituts für Immunologie in Bern
  16. Bundesrat Berset äußert sich dazu in der NZZ vom 30.10.2020: «Im März gab es den Konflikt, ob die Gesundheit oder die Wirtschaft stärker zu gewichten sei. Inzwischen hat man gemerkt, dass dies kein Gegensatz ist. Es gibt ein Optimum, bei dem man das Beste macht für Gesundheit und Wirtschaft. Danach richten wir unsere Maßnahmen aus.» [Gemeint sind die Verschärfungen vom 28.10.2020].

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