»Könnt’ Euch mein Atem doch entzünden!«

Zuletzt aktualisiert am 15. Dezember 2020.

»Egmonts Freiheit oder den Tod!«, ruft seine Geliebte aus, als sie von dessen Verhaftung erfährt. Mit Engelszungen versucht sie die Bürger von Brüssel dazu zu bewegen, sich für seine Befreiung einzusetzen. »Mit seinem Atem fliegt der letzte Hauch der Freiheit … Die große Seele, die euch alle trug, beschränkt ein Kerker, und Schauer tückischen Mordes schweben um sie her.« »Könnt euch mein Atem doch entzünden! – Wie eine Fahne wehrlos ein edles Heer von Kriegern wehend anführt, so soll mein Geist um eure Häupter flammen, und Liebe und Mut das schwankende zerstreute Volk zu einem fürchterlichen Heer vereinigen.«

Könnt Euch mein Atem doch entzünden

Graf Lamoral von Egmond, Fürst von Gavre 1522-1568

Anfang September 1787 vollendete Johann Wolfgang von Goethe seinen »Egmont« in Rom. Umgeben vom Glanz der Macht einer jahrtausendealten Institution, schrieb er gegen deren Herrschaft an, die mit der Sorge um das Heil der ihr anvertrauten Seelen jede erdenkliche Grausamkeit gerechtfertigt hatte. Zwei Jahre vor der französischen Revolution blickte er auf das 16. Jahrhundert und den Freiheitskampf der Niederlande zurück, der mit der Errichtung von Inquisitionsgerichten durch den Herzog von Alba einen herben Rückschlag erlitten hatte. Von Philipp II. ausgesandt, um die Unruhen von Bilderstürmern im Jahr 1566 niederzuschlagen, die Kirchen und Kathedralen verwüstet hatten, griff Alba mit eiserner Faust nicht nur unter den Bürgern der Handelsstädte durch, sondern auch unter den Adligen, die sich dem Protestantismus zugewandt hatten.

Als Alba mit seinem Expeditionsheer im August 1567 in Brüssel eintraf, um die Regentin Margarete von Parma, die Halbschwester Philipp II. abzulösen, hatte er unterschriebene Todesurteile gegen des Verrats verdächtige Adlige bereits im Gepäck. Zu seinen Opfern gehörte Lamoral Graf von Egmont und Prinz von Gaure, der aus einem der ältesten Adelshäuser der Niederlande stammte. Zusammen mit anderen wurde er gefangen genommen und des Hochverrats angeklagt. Dass er Träger des Goldenen Vlieses war, und eigentlich nur von Mitgliedern seines Ordens zur Rechenschaft gezogen werden durfte, nützte ihm nichts. Auch nicht die flehentlichen Appelle, die seine durch die Beschlagnahmung seiner Besitztümer verarmte Frau an den spanischen König, an Herzog Alba oder den Kaiser richtete. Versuche Wilhelm von Oraniens, zu seinen Gunsten militärisch zu intervenieren, schlugen fehl. Am 2. Juni 1568 wurden Egmont und einige weitere Aufständische zum Tode verurteilt und drei Tage später auf dem Marktplatz von Brüssel öffentlich enthauptet.

Aber der Widerstand der Niederländer ließ sich weder durch die Inquisition noch durch militärische Gewalt brechen. Im Gegenteil. Fünf Jahre nach Egmonts Enthauptung musste Alba die Niederlande verlassen, 1579 schlossen sich die sieben nördlichen Provinzen zur Utrechter Union zusammen und übertrugen die Statthalterschaft in Holland und Seeland an Wilhelm von Oranien, der allerdings bereits 1584 ermordet wurde. Bis zur Anerkennung der Unabhängigkeit der Vereinigten Niederlande sollte es noch fast ein Jahrhundert dauern. Erst im Westfälischen Frieden 1648 erfolgte sie. Die südlichen, katholischen Provinzen, verblieben bei Spanien, gingen 1714 in österreichische Verwaltung über und erlangten erst im 19. Jahrhundert in Gestalt Belgiens ihre staatliche Selbstständigkeit.

Im ersten Aufzug des Trauerspiels unterhalten sich die katholische Regentin und ihr Vertrauter Machiavell über die jüngsten Ereignisse. Schon vor dessen Auftritt legt Margarete in einem Selbstgespräch ihre Einschätzung der geistigen und politischen Lage dar, derzufolge die Aufstände auf eine Verschwörung ausländischer Agenten zurückzuführen sind: »Der Übermut der fremden Lehrer hat sich täglich erhöht; sie haben unser Heiligtum gelästert, die stumpfen Sinne des Pöbels zerrüttet und den Schwindelgeist unter sie gebannt. Unreine Geister habe sich unter die Aufrührer gemischt, und schreckliche Taten sind geschehen, die zu denken schauderhaft ist …« Margarete ist der Ansicht, die Bevölkerung habe sich verführen lassen, sie sei in ihrer Dumpfheit, beeinflusst von Dämonen, gefährlichen Irrlehren verfallen.

Etwas anders sieht dies der inzwischen eingetroffene, freimütige Berater: »Ihr unterdrückt die neue Lehre nicht«, wirft er ein. Statt zur Unterdrückung rät er zur Toleranz: »Lasst sie gelten, sondert sie von den Rechtgläubigen, gebt ihnen Kirchen, fasst sie in die bürgerliche Ordnung, schränkt sie ein; und so habt ihr die Aufrührer auf einmal zur Ruhe gebracht. Jede andern Mittel sind vergeblich und Ihr verheert das Land.« Sozialer Friede wird nicht durch Gewalt und Unterdrückung geschaffen, so Machiavell, sondern durch Toleranz gegenüber den Andersdenkenden und durch deren Integration. Unterdrückung, so ist er überzeugt, »wird den Krieg unvermeidlich an allen Enden anblasen«. Zu sehr ist die neue Lehre schon verbreitet: »Die größten Kaufleute sind angesteckt, der Adel, das Volk, die Soldaten.« Den Schritt zur Toleranz, zur Gedanken- und Glaubensfreiheit sieht er als historische Notwendigkeit: »Was hilft es, auf seinen Gedanken beharren, wenn sich um uns alles ändert? Möchte doch ein guter Geist Philippen eingeben, dass es einem Könige anständiger ist, Bürger zweierlei Glaubens zu regieren, als sie durch einander aufzureiben.«

Margarete von Parma

Margarete von Parma, 1522-1586

Die Regentin will davon jedoch nichts wissen. »Solch ein Wort nie wieder!«, entgegnet sie Machiavell. »Ich weiß wohl, dass Politik selten Treu und Glauben halten kann, dass sie Offenheit, Gutherzigkeit, Nachgiebigkeit aus unsern Herzen ausschließt. In weltlichen Geschäften ist das leider nur zu wahr; sollen wir aber auch mit Gott spielen wie unter einander? Sollen wir gleichgültig gegen unsre bewährte Lehre sein, für die so viele ihr Leben aufgeopfert haben? Die sollten wir hingeben an hergelaufne, ungewisse, sich selbst widersprechende Neuerungen?«

In Egmont und Wilhelm von Oranien sieht Margarete die Hauptschuldigen der Spaltung, die die Gesellschaft erfasst hat, ersterem wirft sie Leichtsinn und Gleichgültigkeit vor, weil er den Aufstand nicht unterdrückt habe, letzterem eine Verschwörung. Auf den Einwand Machiavells, Egmont handle frei, »als wenn ihm die Welt« gehöre, entgegnet sie, er trage sein Haupt zu hoch, als schwebte nicht die Hand der Majestät über ihm. Statt sich um die Regierung verdient zu machen, bereite er ihr nur unsäglichen Verdruss. Machiavell sieht in Egmonts Verhalten jedoch nur den Ausdruck seines Gewissens, woraufhin Margarete einwendet, sein Gewissen habe einen »gefälligen Spiegel«, d.h. sie bestreitet, dass er überhaupt ein Gewissen hat, und stattdessen nur von Selbstgefälligkeit getrieben wird.

Im zweiten Aufzug ist aus der Unterhaltung unter Brüsseler Bürgern zu erfahren, dass es »viele heimlich mit den Calvinisten halten«, »auf die Bischöfe lästern und den König nicht scheuen«. Ein »Zimmermeister« warnt: »Reden wir jetzt, versammeln wir uns jetzt, so heißt es, wir gesellen uns zu den Aufständischen«. Wer sich mit den »Falschen« vergesellschaftet, dem wird unterstellt, selbst zu den Falschen zu gehören. Die Argumente wogen hin und her; während die einen sich dafür aussprechen, die Aufständischen zu unterstützen, fürchten die anderen sich vor den Konsequenzen. Ein Gerichtsschreiber, der sich mit der Verfassung auskennt, plädiert dafür, sich gegen die spanischen Besatzer auf die angestammten, alten Rechte zu berufen und beklagt die Apathie der Bürger: »So seid ihr Bürgerleute! Ihr lebt nur so in den Tag hin; und wie ihr euer Gewerb’ von euern Eltern überkommen habt, so lasst ihr auch das Regiment über euch schalten und walten, wie es kann und mag. Ihr fragt nicht nach dem Herkommen, nach der Historie, nach dem Recht eines Regenten; und über das Versäumnis haben euch die Spanier das Netz über die Ohren gezogen.« Schließlich schaukeln sich die Emotionen hoch, es kommt zu einer Schlägerei, man hört den Ruf »Freiheit und Privilegien! Privilegien und Freiheit!«

Der Beginn des vierten Aufzugs gibt einen Einblick in das Regime, das Alba nach dem Antritt seiner Herrschaft errichtet hat. »Hütet Euch!«, ruft der bereits bekannte Zimmermeister bei einem Gespräch auf der Straße aus, »der Herzog von Alba hat gleich bei seiner Ankunft einen Befehl ausgehen lassen, dadurch zwei oder drei, die auf der Straße zusammen sprechen, des Hochverrats ohne Untersuchung schuldig erklärt werden.« »O weh!«, ruft Jetter. »Bei ewiger Gefangenschaft«, fährt der Zimmermeister fort, »ist verboten, von Staatssachen zu reden.« »O unsre Freiheit!«, wirft Jetter ein. »Und bei Todesstrafe soll niemand die Handlungen der Regierung missbilligen.« »O unsre Köpfe!«, klagt sein Gegenüber. Aber die Schikanen steigern sich noch. »Und mit großem Versprechen«, so der Zimmermeister, »werden Väter, Mütter, Kinder, Verwandte, Freunde, Dienstboten eingeladen, was in dem Innersten des Hauses vorgeht, bei dem besonders niedergesetzten Gerichte zu offenbaren«. Die Rede ist vom Inquisitionsgericht, das bald als »Blutgericht« bezeichnet werden sollte. Schließlich beendet der Zimmermeister seinen Bericht: »Und den Folgsamen ist versprochen, dass sie weder an Leib, noch Ehre, noch Vermögen einige Kränkung erdulden sollen.« »Wie gnädig«, kommentiert Jetter sarkastisch.

Das Zwiegespräch entwickelt sich zu einem kleinen Auflauf, andere Passanten stoßen hinzu. Der aus dem zweiten Aufzug vertraute Gerichtsschreiber, der des Weges kommt, äußert sich erfreut: »Find ich endlich ein paar, die noch nicht untergekrochen sind?« Er berichtet von einer Verhandlung des Inquisitionsgerichts, die er protokolliert hat. »Der Schelm sitzt überall im Vorteil. Auf dem Armensünderbänkchen hat er den Richter zum Narren; auf dem Richterstuhl macht er den Inquisiten [Angeklagten] mit Lust zum Verbrecher. Ich habe so ein Protokoll abzuschreiben gehabt, wo der Kommissarius schwer Lob und Geld vom Hofe erhielt, weil er einen ehrlichen Teufel, an den man wollte, zum Schelmen verhört hat.« Der Zimmermeister will wissen: »Was wollen sie denn heraus verhören, wenn einer unschuldig ist?« Der Gerichtsschreiber gibt zurück: »O Spatzenkopf! Wo nichts herauszuverhören ist, da verhört man hinein.« Die Gerichte gehorchen den Machthabern, Angeklagte werden nicht wirklich gehört, Unschuldige für schuldig erklärt.

Könnt euch mein Atem doch entzünden

Fernando Álvarez de Toledo y Pimentel, 3. Herzog von (Duque de) Alba, 1507-1582

Eine Schlüsselszene stellt die Begegnung zwischen Alba und Egmont im vierten Aufzug dar. Letzterer wurde durch falsche Versprechungen in den Palast des Regenten gelockt, nun steht er ihm aufrecht, ohne Furcht gegenüber, um Auskunft nicht verlegen. Alba versucht, ihm Äußerungen zu entlocken, die seine ohnehin schon beschlossene Verhaftung und Verurteilung rechtfertigen. Egmont verteidigt die Regentin, der es gelungen sei, den Aufstand mit »Gewalt und Ansehen, Überredung und List« zur Ruhe zu bringen und das »rebellische Volk« zu befrieden. Alba gibt dies zu, doch er traut dem Frieden nicht. Die Untertanen scheinen zwar in die »Grenzen des Gehorsams« zurückgetrieben zu sein, aber hängt es nicht »von eines jeden Willkür ab, sie zu verlassen? Wer will das Volk hindern, loszubrechen? Wo ist die Macht, sie abzuhalten? … Ihr guter Wille ist alles Pfand, das wir haben.« Egmont sieht genau darin einen Vorteil: »Und ist der gute Wille eines Volkes nicht das sicherste, das edelste Pfand? Bei Gott! Wann darf sich ein König sicherer halten, als wenn sie alle für einen, einer für alle steh’n? Sicher gegen innere und äußere Feinde?« Die Bitte Egmonts um eine Generalamnestie für die Aufständischen weist Alba barsch von sich. »Ungestraft soll, wenn ich rate, kein Schuldiger sich freuen.«

Schließlich gelingt es Alba doch, Egmont zu provozieren, aber dieser trägt seine eigenen Einwände gegen die spanische Tyrannei in Gestalt eines Berichts über die im Volk verbreiteten Meinungen vor. Von allen Seiten höre man, dem König sei es gar nicht um Religion zu tun, vielmehr bewegten ihn ganz andere Interessen: es gehe ihm um eine Demonstration seiner Macht, er wolle die Bürger der Niederlande ihrer alten Rechte berauben und sich ihre Besitztümer aneignen. »Die Niederländer fürchten ein doppeltes Joch«, so Egmont, »und wer bürgt ihnen für ihre Freiheit?« »Freiheit« ist für Alba ein Reizwort. »Freiheit?«, ruft er aus, Ein schönes Wort – wer’s recht verstände. Was wollen sie für Freiheit? Was ist des Freiesten Freiheit?« Nicht jede Freiheit ist erlaubt, nur die, die nicht in Konflikt mit der Obrigkeit führt. Die wahre Freiheit besteht nämlich in der Unterwerfung! Zwar drückt es Alba vornehmer aus: denn die Freiheit, die er meint, ist »die Freiheit, Recht zu tun«, zu tun also, was der König und er für Recht halten, das Recht der Machthaber. An der Ausübung dieses Rechts werde der König »niemanden hindern«. Aber die Freiheit, die von den Aufständischen beschworen werde, sei nur die Freiheit »sich selbst und anderen zu schaden«. Da wäre es besser, abzudanken, als ein solches Volk zu regieren. Sinnvoller, als ihnen die gewünschte Freiheit zu gewähren, sei es, die Bürger einzuengen, »dass man sie wie Kinder halten, wie Kinder zu ihrem Besten leiten kann.« Das Problem des Volkes, so Alba, bestehe darin, dass es niemals »alt«, niemals »klug« werde, sondern »immer kindisch« bleibe.

»Wie selten kommt ein König zu Verstand!« entgegnet Egmont schlagfertig. »Und sollten viele nicht lieber vielen vertrauen als einem? und nicht einmal dem einen, sondern den wenigen des einen, dem Volke, das an den Blicken seines Herrn altert? Das hat wohl allein das Recht, klug zu werden.«

Wilhelm von Oranien

Wilhelm von Oranien, 1533-1584

Auch Egmont beruft sich schließlich auf die Verfassung, das alte Recht, das den Niederländern jene Freiheiten gewährte, die ihnen vom spanischen Regime entzogen worden sind. Alba macht demgegenüber das Prärogativ des Herrschers geltend, das Gesetz, die Verfassung zu ändern, aber Egmont wendet ein: »Und diese willkürlichen Veränderungen, diese unbeschränkten Eingriffe der höchsten Gewalt, sind sie nicht Vorboten, dass einer tun will, was Tausende tun sollen?« Wenn einer sich selbst bestimmen darf, warum dann nicht alle, die ebenso wie dieser einer sind? Ist die Selbstbestimmung aller nicht die notwendige Konsequenz der vom König beanspruchten Souveränität? »Es ist nichts natürlicher, als dass ein König durch sich zu herrschen gedenkt und denen seine Befehle am liebsten aufträgt, die ihn am besten verstehen …«, trägt Alba den absolutistischen Standpunkt vor, dem Egmont entgegenhält: »Und ebenso natürlich ist’s, dass der Bürger von dem regiert sein will, der mit ihm geboren und erzogen ist, der gleichen Begriff mit ihm von Recht und Unrecht gefasst hat, den er als seinen Bruder ansehen kann.«

Nun entlarvt sich Alba im weiteren Verlauf des Schlagabtausches selbst, die Tyrannei, die er vertritt, kommt unverhüllt zum Vorschein. »Der König,« ruft er aus, »will seinen Willen. Der König hat nach tiefer Überlegung gesehen, was dem Volke frommt; es kann nicht bleiben und gehen wie bisher.« Er beansprucht also für den Selbstherrscher nicht nur eine überlegene Macht, sondern auch eine überlegene Einsicht. Das Volk ist zu dumm, um sich selbst zu regieren; es muss umerzogen oder mit Gewalt zu dem gezwungen werden, was der Herrscher als das Beste für seine Untertanen erkannt hat. »Der Königs Absicht ist«, fährt Alba fort, »sie selbst zu ihrem eigenen Besten einzuschränken, ihr eigenes Heil, wenn’s sein muss, ihnen aufzudringen, die schädlichen Bürger aufzuopfern, damit die übrigen Ruhe finden, des Glücks einer weisen Regierung genießen können. Dies ist sein Entschluss …«.

Da platzt Egmont doch noch der Kragen und er trägt eine flammende Anklage gegen dieses Unrecht und seinen Fürsprecher Alba vor.

»Leider rechtfertigen deine Worte die Furcht des Volks, die allgemeine Furcht! So hat er denn beschlossen, was kein Fürst beschließen sollte. Die Kraft seines Volks, ihr Gemüt, den Begriff, den sie von sich selbst haben, will er schwächen, niederdrücken, zerstören, um sie bequem regieren zu können. Er will den innern Kern ihrer Eigenheit verderben; gewiss in der Absicht, sie glücklicher zu machen. Er will sie vernichten, damit sie etwas werden, ein ander Etwas. O, wenn seine Absicht gut ist, so wird sie missgeleitet! Nicht dem Könige widersetzt man sich; man stellt sich nur dem Könige entgegen, der einen falschen Weg zu wandeln, die ersten unglücklichen Schritte macht.«

Alba bleibt nichts anderes übrig, als Gehorsam zu fordern. Argumenten ist er nicht zugänglich, würden sie doch seine Autorität und die seines Königs untergraben.

Egmont bleibt bis zuletzt aufrecht und schleudert Alba entgegen: »Fordre unsre Häupter, so ist es auf einmal getan. Ob sich der Nacken diesem Joche biegen, ob er sich vor dem Beile ducken soll, kann einer edlen Seele gleich sein. Umsonst hab ich so viel gesprochen: die Luft hab ich erschüttert, weiter nichts gewonnen.«

Was folgt ist die Verhaftung und Exekution.

Egmont ist bereit, seine Freiheit und sein Leben für die Freiheit und das Leben der Niederländer zu opfern. Dies tut er nicht aus Selbstgefälligkeit, sondern weil er sich als Werkzeug eines höheren Willens betrachtet. Bereits im zweiten Aufzug bringt er dies gegenüber seinem Sekretär zum Ausdruck: »Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals leichtem Wagen durch; und uns bleibt nichts, als, mutig gefasst, die Zügel festzuhalten und bald rechts bald links, vom Steine hier vom Sturze da, die Räder wegzulenken. Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich doch kaum, woher er kam.«

Erneut im fünften Aufzug, im Gespräch, das er im Kerker mit Ferdinand, dem Sohn des Herzogs von Alba führt, der sich als sein heimlicher Verehrer zu erkennen gibt: »Es glaubt der Mensch sein Leben zu leiten, sich selbst zu führen; und sein Innerstes wird unwiderstehlich nach seinem Schicksale gezogen.«

Dass das Trauerspiel versöhnlich endet, darauf sei hingewiesen. Während er die letzte Nacht vor seiner Exekution im Kerker zubringt, erscheint dem Titelhelden im Traum »die Freiheit im himmlischen Gewand«, die ihm einen Lorbeerkranz aufsetzt. Sie deutet an, »dass sein Tod den Provinzen die Freiheit verschaffen wird«. Und sie trägt die Züge seiner Geliebten, Klärchens, die sich selbst das Leben genommen hat, nachdem sie von seiner Verhaftung und seinem Todesurteil in Kenntnis gesetzt worden war.

Und, um diesen Hinweis abzurunden: Klärchen trägt mitten im Trauerspiel, im dritten Aufzug, eines der schönsten Stücke deutscher Lyrik vor, als sie zusammen mit ihrer Mutter sehnsüchtig auf den Grafen wartet.

Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.
Freudvoll
Und leidvoll,
Gedankenvoll sein,
Langen
Und bangen
In schwebender Pein,
Himmelhoch jauchzend,
Zum Tode betrübt –
Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.


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