Zuletzt aktualisiert am 6. Juli 2023.
Das Corona-Virus wird zum Anlass, um mit Hilfe künstlicher Intelligenz einen Kampf gegen den freien Geist zu führen. Gastbeitrag von Johannes Mosmann.
Das Jahr 2020 wird als »Epochenjahr« in die Geschichtsbücher eingehen. Weltweit trug eine Mehrheit der Bevölkerung teils drastische Einschränkungen ihrer Grundrechte bereitwillig mit, in der irrigen Annahme, es handle sich um zeitlich befristete Reaktionen auf die »Corona-Pandemie«. Das mag für Masken-Pflicht, Abstandsregelungen und Versammlungsverbot auch zutreffen, nicht jedoch für den strukturellen Umbau der »freiheitlich-demokratischen« Gesellschaft.
Hier soll ein wesentlicher Aspekt dieses Umbaus kritisch beleuchtet werden. Bereits 2017 begannen EU-Regierung, Geheimdienste und Digitalindustrie damit, Suchmaschinen, soziale Netzwerke und Messenger-Dienste im Namen der »Wahrheit« zu manipulieren. Unter dem Eindruck der tödlichen Bedrohung durch ein neuartiges Virus konnten die Manipulationen dann systematisch ausgeweitet und rechtlich verankert werden. Mit einem »Aktionsplan für Demokratie« will die EU-Kommission nun »aufbauend auf den Maßnahmen« zur Bekämpfung von »Desinformationen zu Covid-19« das Narrativ ganz anderer Themen beherrschen – und nennt konkrete Beispiele.
Wettlauf zum Mond
Am 4. Oktober 1957 schoss die Sowjetunion noch vor den USA einen Satelliten in die Erdumlaufbahn und bewies damit, dass sie das Territorium der USA mit Interkontinentalraketen erreichen könnte. Die USA reagierten auf den »Sputnik-Schock« mit einer nie da gewesenen Subventionierung technologischer Entwicklung, um den vermeintlichen russischen Vorsprung wettzumachen. Das Verteidigungsministerium überschüttete Startups im gerade entstehenden Silicon Valley mit Geld und richtete »öffentlich-private« Partnerschaften zwischen Militär, Geheimdiensten und Technologie-Unternehmen ein. So begann die Geschichte der Digitalkonzerne.[1] Die rasante Entwicklung von Computerprozessoren, Internet oder KI wäre ohne die Feindschaft zum Osten als ideologische Triebfeder nicht möglich gewesen. Die Historikerin Margaret O’Mara erklärt:
Man förderte die Computerindustrie, weil man die besseren Waffen wollte. Der Rüstungswettlauf rechtfertigte die enormen Ausgaben. Der Staat war der erste Kunde der neuen Industrie und sorgte dafür, dass Mikrochips billiger wurden. So schuf der Staat, ohne diese Absicht zu haben, einen neuen Markt.[2]
Bis heute dauern die Verflechtungen zwischen US-Militär, CIA und Digitalkonzernen fort.[3] Viele der Anwendungen unseres Alltags gehen zudem direkt auf Entwicklungen von Pentagon oder US-Geheimdienst zurück, wie z.B. Siri von Apple, Google-Earth oder das Internet selbst.[4]
Mit der Jahrtausendwende erlitt die russische Föderation dann ihren »Sputnik-Schock«. Denn das Silicon Valley brachte nicht nur die größten Konzerne der Welt hervor, welche die USA endgültig zum reichsten Land der Erde machten. Das Besondere war vielmehr, dass diese Konzerne keine Waren oder Dienstleistungen im herkömmlichen Sinn produzierten, sondern als Schnittstellen jeglicher Kommunikation und jeglichen Warenabsatzes fungierten, und zwar weltweit. Sie boten nicht bloß etwas am Markt an, sondern setzten sich selbst an die Stelle des Marktes. Sie verbreiteten nicht bloß ihre Meinung in der Öffentlichkeit, sondern waren selbst der neue öffentliche Raum. Die Sprösslinge des Silicon Valley konzentrierten somit eine gänzlich neue Form der Macht in US-amerikanische Hände.
Kritiker bemerkten zurecht, dass Europa den staatlich subventionierten Turbo-Imperialismus der USA verschlafen habe, der die Welt ab dem Jahrtausendwechsel erfasste. Gleichwohl greifen Diskussionen um eine digitale »Souveränität« der EU zu kurz. Die EU kann und sollte die Geschichte des Silicon Valley nicht kopieren. Zum anderen aber ist es die EU selbst, welche die vom Silicon Valley geschaffene Technologie zur Machtkonzentration des Staates missbraucht, wie im Folgenden gezeigt werden soll.
Die US-Regierung dagegen hielt sich bislang weitgehend zurück, gerade weil sie ein Interesse am Wachstum der Digital-Konzerne besaß. CIA und Pentagon waren zwar an den Daten interessiert, zunächst aber offenbar nicht an einer direkten Manipulation des neu entstehenden »öffentlichen Raumes«. Hätte die US-Regierung die Suchalgorithmen bereits in der frühen Wachstumsphase beeinflusst, wäre Google niemals die unschlagbare Nummer eins geworden. Der Konzern erreichte vielmehr auch deshalb seine Monopolstellung, weil die Nutzer bis vor wenigen Jahren auf sein Neutralitätsversprechen bauen konnten.
Googles falsches Versprechen
Die Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page versprachen, ein Werkzeug für die »objektive Messung« der »subjektiven menschlichen Vorstellung von Bedeutung« bereitzustellen.[5] Das Ranking sollte keine Beurteilung irgendeines Wahrheitsgehalts der Suchergebnisse spiegeln. Das gefiel den Wächtern des freien Marktes. Sie pochten auf die Einhaltung des Neutralitätsversprechens, jedenfalls solange, als sie in Google einen Markt zum Austausch von Waren und Dienstleistungen sahen. Nach siebenjährigen Ermittlungen verhängte die EU-Kommission 2017 eine Geldbuße in Höhe von 2,4 Milliarden Euro gegen den Konzern.[6] Die Kalifornier hatten Werbung für eigene Dienstleistungen höher platziert als die der Konkurrenz, was die Kommission in Verbindung mit der Monopolstellung der Suchmaschine als Verstoß gegen das Kartellrecht wertete.
Dass Google dagegen nicht der »Neutralität«, sondern einer »Wahrheit« verpflichtet werden und somit in den Suchalgorithmus eingreifen müsse, um bestimmte Ergebnisse besser, andere dagegen schlechter oder gar nicht sichtbar zu machen, ist eine relativ junge Forderung. Sie wurde in dem Maß laut, in dem das Internet nicht nur als digitaler Markt, sondern vor allem auch als Plattform für den Austausch von Meinungen und Erkenntnissen wahrgenommen wurde. Plötzlich stellten die Marktwächter selbst das Ideal der Neutralität in Frage. Während sie einerseits, soweit es Anbieter von Waren und Dienstleistungen im engeren Sinn betraf, gleiche Chancen und freie Konkurrenz forderten, zwangen sie andererseits die Digitalkonzerne im Hinblick auf redaktionelle Inhalte, Meinungsäußerungen und Diskussionen zur Manipulation der Suchergebnisse – schließlich hingen davon Wahlentscheidungen ab.
Freiheit für den Markt, Zwang für den Geist – an diesem Paradigma orientiert sich die Digitalpolitik der EU-Kommission. Wann sie erstmals aktiv Einfluss auf die Such-Algorithmen nahm, ist unklar. In aller Öffentlichkeit wurde dies jedenfalls erst vor dem Hintergrund der Diskussion um »Fake-News« möglich, zunächst im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise.
2015 richtete die Kommission die »East StratCom Task Force« ein, um mit Unterstützung der Geheimdienste die öffentliche Meinung in der Ukraine zu beeinflussen, pro-westliche Medien im Einflussgebiet Russlands zu fördern und russische »Propaganda« zu bekämpfen.[7] Im selben Jahr enthüllte eine gemeinsame Studie von Slate-Magazin und Arizona State University, dass Googles Such-Algorithmus die Kandidaten der US-Demokraten bevorzugte.[8]
Um es klar auszudrücken: wir unterstellen nicht, dass Google ein digitaler Arm der Demokratischen Partei ist. Unsere Analyse zeigt jedoch deutlich Vorurteile und Unterschiede in den Ergebnissen …
merkten die Autoren an. Die Öffentlichkeit solle mehr Bewusstsein dafür entwickeln, dass Google keineswegs neutral sei. Im US-Wahlkampf 2016 wiederholte Donald Trump die Anschuldigung: Google manipuliere die Algorithmen zu Gunsten Hillary Clintons. Clinton konterte mit dem Vorwurf, Russland habe Trump durch Verbreitung von »Fake-News« an die Macht gepusht.[9]
Mit der Auseinandersetzung zwischen Demokraten und Republikanern und der Beschwörung der vermeintlichen russischen Bedrohung war das Ende des Ideals einer Messung rein »subjektiver menschlicher Vorstellung von Bedeutung« besiegelt. Jetzt fragte alle Welt nach der »Wahrheit« der Suchergebnisse bzw. des Treffer-Rankings, allen voran die EU-Kommission, die sich in Anbetracht der bevorstehenden Europawahlen besorgt zeigte, Russland könne auch die Meinungsbildung in den EU-Mitgliedstaaten beeinflussen.
Die Wahrheit wird Staatsaufgabe
Im Januar 2017 drohte die EU-Kommission den Digitalkonzernen erstmals in aller Öffentlichkeit eine staatliche Intervention im Namen der Wahrheit an.
Ich mache mir, wie alle Menschen, Sorgen um falsche Nachrichten, insbesondere nach den Wahlen in den Vereinigten Staaten … Ich glaube wirklich an Selbstregulierungsmaßnahmen, aber wenn Klarstellungen erforderlich sind, sind wir darauf vorbereitet,
gab Andrus Ansip, EU-Kommissar für den digitalen Binnenmarkt, den Digitalkonzernen zu verstehen.[10]
Im Herbst desselben Jahres programmierte Google den Suchalgorithmus so um, dass unabhängig von der Relevanz des Suchergebnisses für die »subjektive menschliche Vorstellung von Bedeutung« bestimmte Inhalte schlechter gefunden werden konnten.[11] Betroffen waren zunächst russlandfreundliche Medien wie Russia Today und Sputnik, sowie zahlreiche linksgerichtete oder sozialkritische Initiativen, darunter auch Wikileaks und Democracy Now.[12] Der EU-Kommission genügte das jedoch nicht. Angesichts der näherrückenden Europawahlen erhöhte sie den Druck auf Google, Twitter und Facebook, noch mehr in Sachen »Wahrheit« zu unternehmen, und erklärte den digitalen Meinungskampf zum neuen Einsatzgebiet militärischer Operationen.[13]
Das Bundesverteidigungsministerium begründet die entsprechende Aufgabenerweiterung der Bundeswehr wie folgt:
In modernen Konfliktszenarien setzen Angreifer auf eine Kombination aus klassischen Militäreinsätzen, wirtschaftlichem Druck, Computerangriffen bis hin zu Propaganda in den Medien und sozialen Netzwerken. Dieses Vorgehen wird auch als ›hybride Taktik‹ oder ›hybride Kriegsführung‹ bezeichnet … Ziel der Angreifer ist es, nicht nur Schaden anzurichten, sondern insbesondere Gesellschaften zu destabilisieren und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Offene pluralistische und demokratische Gesellschaften bieten hierfür viele Angriffsflächen und sind somit leicht verwundbar.[14]
Um gegen Falschbehauptungen, die sie nunmehr als Teil einer russischen »Kriegsführung« einordnete, gezielter vorgehen zu können, bündelte die EU-Kommission die Ressourcen von NATO und Geheimdiensten im »Zentrum gegen hybride Bedrohungen.«[15] Der Auswärtige Dienst entwickelte noch im selben Jahr einen »Aktionsplan« gegen Falschinformationen,[16] der u.a. erstmals den EU-Geheimdienst INTCEN, der bis dahin kaum Befugnisse besaß, mit der Koordinierung der nationalen Geheimdienste beauftragte. Auf die diesbezügliche kritische Nachfrage der Linken antwortete die Bundesregierung:
Die Bundesregierung nimmt das Potential von Desinformationskampagnen sehr ernst. Sie erachtet daher die im EU-Aktionsplan gegen Desinformation enthaltene Forderung nach einer Stärkung der Kooperation der Nachrichtendienste, insbesondere mit dem ›EU Intelligence Analysis Centre‹ (EU INTCEN), für sinnvoll.[17]
Im September 2018 traten Google, Facebook & Co. dem Aktionsplan bei – in »freiwilliger Selbstverpflichtung«. Die Vereinbarung zwingt die Tech-Giganten, die »Sichtbarkeit und Auffindbarkeit verlässlicher Inhalte« zu verbessern[18] und in »technologische Mittel« zu investieren, um »relevante, authentische und maßgebliche Informationen gegebenenfalls in Such-, Feed- oder anderen automatisch eingestuften Vertriebskanälen zu priorisieren«. Über ihre diesbezüglichen Anstrengungen müssen sie der EU-Kommission jährlich Rechenschaft ablegen. Zudem sollen Werbeanzeigen, die wichtigste Einnahmequelle der meisten Online-Medien, nicht länger auf Seiten geschaltet werden, die »Falschmeldungen« enthalten. Doch im Februar 2019 zeigte sich die EU-Kommission weiterhin unzufrieden und drohte den Digitalkonzernen damit, einen noch effizienteren Dienst an der »Wahrheit« per Gesetz zu erzwingen.[19] Dann kam Corona.
Der große Durchbruch
Ab dem Frühjahr 2020 ging es nicht mehr nur um den Ausgang von Wahlen. Angesichts der tödlichen Bedrohung durch ein neuartiges Virus schien vielmehr das Überleben von Millionen von Menschen davon abzuhängen, ob die Digitalkonzerne bestimmte, als »wahr« definierte Sichtweisen vorrangig, andere dagegen nachrangig behandelten oder gar löschten. Es galt, mit den »richtigen Informationen« politische Maßnahmen zu begründen, ohne die allein in Deutschland angeblich bis zu 570.000 Bundesbürger verstorben wären.[20] Christian Drosten, Corona-Chefberater der Bundesregierung, unterzeichnete deshalb als einer der ersten eine Online-Petition, die von den Digitalkonzernen ein noch aktiveres Engagement für die Wahrheit forderte.
Wir haben es in diesem Moment nicht nur mit der COVID-19-Pandemie zu tun, sondern auch mit einer weltweiten »Infodemie«, bei der durch Fehlinformationen, die sich in den sozialen Medien viral verbreiten, auf der ganzen Welt Menschenleben gefährdet werden …,
heißt es dort.
Jede einzelne Person, die auf ihren Plattformen mit Gesundheits-Fehlinformationen in Berührung gekommen ist«, solle deshalb »gewarnt und benachrichtigt« werden, sowie automatisch »eine gut konzipierte und unabhängig überprüfte Korrektur« erhalten, damit Nutzer »nicht an gefährliche Lügen glauben.[21]
Drosten rannte offene Türen ein. Bereits im März 2020 waren Google, Facebook und Co. der EU-Kommission zuvorgekommen und hatten eine »Allianz« gegen Falschinformationen gegründet.[22] Tausende von »Fakten-Checkern«, zertifiziert vom US-amerikanischen Poynter-Institut, wurden beauftragt, den Wahrheitsgehalt von Inhalten zu prüfen, diese gegebenenfalls zu melden und so eine Vorauswahl für die Internetnutzer zu treffen. Allerdings sind die Milliarden neuer Einträge, die täglich über Facebook, WhatsApp und Co. verbreitet werden, allein mit menschlichen Kräften nicht zu bewältigen.
Täglich werden enorme Mengen an Inhalten online gestellt, und es ist menschlich unmöglich, all diese Inhalte zu durchsuchen, um gefälschte Nachrichten und falsche Informationen zu identifizieren,
erklärt Alexander Wong, KI-Forscher an der kanadischen Waterloo-Universität.[23]
Deshalb nimmt künstliche Intelligenz den Faktenprüfern zunehmend die Entscheidung über Wahrheit und Unwahrheit ab. Neben den großen Digitalkonzernen bieten zahlreiche Start-Ups wie »Full Fact« oder »Logically« Nachrichtensendern, Netzwerkbetreibern und Behörden automatisierte und zentralisierte Lösungen an, um vermeintliche Fake-News zu identifizieren und zu eliminieren. Vereinfacht gesagt, werden dabei Aussagen in kleinste Bedeutungseinheiten atomisiert, mit Hilfe von Programmen wie Googles BERT zu mutmaßlichen Behauptungen »angereichert«, und diese wiederum danach bewertet, wie oft dieselben von »offiziellen« Stellen, das heißt von Regierungen oder etablierten Medien, getätigt wurden. Der Roboter spuckt dann eine prozentuale Wahrscheinlichkeit aus, mit welcher der Ursprungstext unwahr ist, und empfiehlt gegebenenfalls entsprechende Gegenmaßnahmen.[24]
Gleichzeitig programmierten Google & Co. die Such-Algorithmen so um, dass die Darstellungen von Behörden im Treffer-Ranking grundsätzlich höher platziert werden als diejenigen unabhängiger Medienanbieter.[25] Die zur Google-Mutter Alphabet gehörende Video-Plattform Youtube blendet zudem unter allen Corona-Beiträgen den Hinweis ein, dass der Nutzer »wissenschaftliche Informationen« von der Regierung erhalte, und löscht als »unwahr« eingestufte Video-Botschaften. Die EU richtete ihrerseits eine »Europäische Beobachtungsstelle für digitale Medien (EDMO)« ein, die fortan als »Zentrum zur Bekämpfung von Online-Desinformation« fungieren und die Fakten-Checker »unterstützen« soll. Statt jährlich müssen die Digitalkonzerne nun monatlich berichten, wie sie die »Wahrheit« der EU-Kommission bevorzugen und »Falschbehauptungen« unterdrücken. Vorsorglich droht die EU den Digitalkonzernen eine härtere Gangart an, falls dies noch nicht zu den gewünschten Ergebnissen führe: Die Maßnahmen seien »für alle die letzte Chance, ihre entsprechenden Anstrengungen zu verstärken«.[26]
Der Fall Judy Mikovits
Allein zwischen April und Juni 2020 löschte Google 11,4 Millionen Youtube-Videos und damit rund 2,5 Millionen mehr als im Vorjahreszeitraum. Der Anstieg der Löschungen ist laut Google im Wesentlichen auf »Falschbehauptungen« über das Corona-Virus zurückzuführen.[27]
Welche Kriterien dabei angelegt werden, zeigt der Plandemic-Fall: In dem 26-minütigen Video namens »Plandemic: The Hidden Agenda Behind Covid-19« äußert sich die Molekular-Biologin Judy Mikovits kritisch über das Patentrecht, die Vermarktung von Medikamenten und die Corona-Maßnahmen der Regierungen. Facebook entfernte das Video mit der Begründung, dass darin die Falschbehauptung getätigt werde, das Tragen von Masken berge Gesundheitsrisiken.[28] Google schloss sich wenig später an und löschte das Video ebenfalls.
Nach derzeitiger Rechtslage mögen die Löschungen durch das »Hausrecht« der Digitalkonzerne gedeckt sein. Auf den ersten Blick leuchtet ein solches Rechtsverständnis ein, denn selbstverständlich kann kein Medienanbieter verpflichtet werden, Kritiker zu Wort kommen zu lassen oder deren Thesen zu verbreiten.
Doch die juristischen Maßstäbe für einen x-beliebigen Verlag können nicht einfach auf die Digitalkonzerne übertragen werden. Bei Google, Facebook und Co. handelt es sich nämlich gerade nicht um Medienanbieter, sondern um die gemeinsame Infrastruktur aller Medienanbieter im digitalen Zeitalter. Das ist der EU-Kommission bewusst – schließlich verhängte sie eine Milliardenstrafe gegen Google, weil sie die Bevorzugung von Eigenwerbung aufgrund der Sonderstellung des Konzerns als Missbrauch seiner Marktmacht wertete. Weshalb sollte Google bezüglich der redaktionellen Inhalte Dritter ein Hausrecht zustehen, wo ihm dasselbe im Hinblick auf die Platzierung von Eigenwerbung abgesprochen wird? Zudem ist eine solche Anwendung des »Hausrechts«, wie oben dargelegt, politisch motiviert und wird von Regierungen durchgesetzt.
Wenn der Bundesregierung vor 30 Jahren eingefallen wäre, sämtliche Druckmaschinen so zu manipulieren, dass bestimmte Medienanbieter weniger oder gar nicht publizieren, andere dafür höhere Auflagen als nachgefragt produzieren können, hätte dies einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Prinzipiell geschieht seit Corona jedoch nichts anderes, nur dass im digitalen Zeitalter eben nicht Druckmaschinen, sondern Suchmaschinen und soziale Netzwerke manipuliert werden, mit gleichem Ergebnis.
Kalter Krieg mit Tastaturen
Absurderweise beruht der vermeintliche Kampf gegen Verschwörungstheorien selbst auf einer Verschwörungstheorie: Russland sei an allem schuld, an der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten wie auch an den »Falschmeldungen« über das Corona-Virus.
Der Umkehrschluss soll dann die staatliche Manipulation der Suchergebnisse legitimieren: Wenn ein fremder Staat Einfluss nimmt, muss der eigene Staat selbstverständlich ebenfalls Einfluss nehmen – im Namen der Volksgesundheit. Die EU bemüht daher zunehmend eine Kriegsrhetorik:
In der heutigen technologiegetriebenen und konkurrierenden Welt tragen Krieger eher Tastaturen als Schwerter.[29]
Diese Lesart ermöglichte die Einbindung von NATO und EU-Geheimdienst INTCEN auch in den Kampf gegen »Falschbehauptungen« über das Corona-Virus,[30] sowie eine entsprechende Aufgabenerweiterung der hier bereits erwähnten »East StratCom Task Force«, die ursprünglich zur Bekämpfung »russischer Propaganda« im Ukraine-Konflikt gegründet worden war.
Es lohnt sich indes ein Blick auf die »Beweise« für den angeblichen russischen Digital-Angriff. Im wesentlichen wird nämlich auf Veröffentlichungen von Medien verwiesen, die als »Kreml-freundlich« gelten. Die EU-Kommission nennt etwa eine Meldung von Russia Today, wonach die EU ihren Partnern in der Corona-Krise nicht geholfen habe, sodass Russland und China eingesprungen seien.[31] Das heißt: allein die Tatsache, dass Russia Today eine andere Sicht auf die Dinge vermittelt als EU-nahe Medien, wertet die Kommission bereits als Einmischung eines fremden Staates. Davon, dass Russland die Digitalkonzerne zwingt, ihre Algorithmen zu ändern und Inhalte zu löschen, wie es die EU tut, kann keine Rede sein.
Der »Beweis« beweist also nur, dass Kreml-nahe Medien das Selbstverständliche tun und ihre eigene Sichtweise veröffentlichen, während die EU-Kommission, weil sie diese Sichtweise nicht teilt, die mediale Infrastruktur manipuliert. Auch die von der Presse vielfach zitierte Studie aus Oxford, die angeblich einen »Cyber-Angriff« Russlands beweist, beinhaltet tatsächlich nichts anderes als Zählungen von Veröffentlichungen russlandfreundlicher Medien.[32] Als Beispiel für die »Unterminierung der EU« wird etwa erwähnt, dass ein Artikel von Sputnik zu bedenken gab, eine wirtschaftliche Rezession durch die Corona-Maßnahmen könne in Frankreich erneut Protestwellen auslösen. Zum Beweis, dass es sich bei dieser naheliegenden Überlegung um einen Angriff des russischen Staates auf die EU handelt, wird angeführt, dass Sputnik staatlich finanziert werde. Dass jedoch dasselbe auch auf ARD und ZDF zutrifft, scheint den Autoren der Studie nicht aufzufallen, genauso wenig wie die Tatsache, dass die EU »unabhängige Medien« auf russischem Staatsgebiet finanziert[33], die ohne westliche Hilfe nicht überlebensfähig wären.
Wer definiert die Wahrheit?
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell rechtfertigt den staatlichen Eingriff im Namen der »Wahrheit« wie folgt:
Information ist der Rohstoff der Demokratie. Wenn die Menschen nicht über die richtigen Informationen verfügen, wird es für sie schwierig sein, die richtigen Entscheidungen zu treffen.[34]
Damit hat Borrell sicher recht. Sobald jedoch die Digitalkonzerne nicht mehr die »subjektive menschliche Vorstellung von Bedeutung« messen, wie es Google einmal angestrebt hatte, sondern stattdessen vorrangig »die richtigen Informationen« bereitstellen sollen, muss auch jemand definieren, was »richtige Informationen« sind.
Das dämmert nun auch der EU-Kommission. Am 10. September 2020 veröffentlichte sie eine Evaluation der bisherigen Zusammenarbeit mit den Digitalkonzernen. Demnach wurde in vielen Fällen erfolgreich »Desinformation« bekämpft. Problematisch sei aber, dass man noch keinen Begriff von »Desinformation« habe.[35] Offenbar verstehe jeder etwas anderes darunter, weshalb nachträglich noch an einem »gemeinsamen Verständnis« von Desinformation gearbeitet werden müsse. Was dagegen »richtige Entscheidungen« sind, glaubt die EU-Kommission bereits zu wissen. EU-Vizepräsidentin Vera Jourova erläutert:
Das Thema Impfungen scheint das nächste Schlachtfeld zu werden. Eine Studie hat zum Beispiel gezeigt, dass die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, in Deutschland in weniger als zwei Monaten um 20 Prozentpunkte gesunken ist.[36]
Richtig entscheiden die Bürger also, wenn sie sich gegen Masern, Corona und andere Krankheiten impfen lassen. Dafür sollen die Digitalkonzerne aktiv werden. Von der vorweggenommenen »richtigen Entscheidung« wird somit der Wahrheitswert einer Information und die Definition von »Desinformation« abgeleitet. »Richtige Informationen« sind diejenigen, welche die Bürger zu den Entscheidungen veranlassen, welche ihre gewählten Vertreter für sie getroffen haben.
Die vermeintlichen Lügen russischer Medien erscheinen der EU-Kommission deshalb gefährlich, weil sie die Bürger zu Entscheidungen motivieren könnten, die den eigenen zuwiderlaufen. Beispielsweise wäre es möglich, dass eine demokratische Mehrheit die Corona-Maßnahmen ablehnt, Impfungen verweigert, am Bau von Nordstream 2 festhält oder die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland fordert.
Wenn die EU-Kommission also von einer »Unterminierung der Demokratie« warnt, so meint sie tatsächlich die Unterminierung der eigenen Politik durch einen demokratischen Prozess mit unvorhersehbarem Ergebnis. Demokratie ist unerwünscht, denn sie wäre ergebnisoffen und setzte die Mündigkeit des Bürgers voraus, auch die russischen Positionen selbst beurteilen zu können. Das brächte aber unter Umständen die »transatlantische Freundschaft« in Gefahr. Indem sie ihre Wähler vor »Falschinformationen« von russischer Seite glaubt schützen zu müssen, erklärt die EU-Kommission die Bürger für unmündig und spricht der Demokratie als solcher das Misstrauen aus.
Für die EU-Kommission handelt es sich zu keinem Zeitpunkt darum, einen demokratischen Meinungsbildungsprozess in Gang zu setzen, sondern lediglich darum, die Bürger bei den vermeintlich »richtigen« Entscheidungen »mitzunehmen«. Statt also einen für die Bürger transparenten wissenschaftlichen Diskurs über die Natur des Corona-Virus und praktikable Gegenmaßnahmen zu ermöglichen, überflutet sie die Öffentlichkeit mit sinnfreien, aber psychologisch wirksamen Mantren wie »Gemeinsam gegen Corona« oder »Masken schützen« und verhindert gleichzeitig die Kommunikation differenzierter Zwischentöne.
Der Tag danach
Die Corona-Pandemie 2020 war Testlauf und Begründung zugleich für die Errichtung eines gut organisierten Wahrheitsministeriums, das nunmehr mittels technischer Manipulation die Richtung der öffentliche Debatte lenkt – im Namen der Freiheit und gegen Russland. Die EU-Kommission erklärt:
Die Krise hat gezeigt, dass freie und unabhängige Medien ein wesentlicher Dienst sind, der den Bürgern zuverlässige, faktengeprüfte Informationen zur Verfügung stellt und zur Rettung von Menschenleben beiträgt. Die EU wird die politische und praktische Unterstützung unabhängiger Medien und Journalisten in der EU und in der ganzen Welt intensivieren.[37]
Im Sinne dieser Logik plant die EU-Präsidentin Ursula von der Leyen nun »aufbauend auf den Maßnahmen« gegen das Corona-Virus einen »Aktionsplan für Demokratie«, der »alle zur Einflussnahme auf unser demokratisches System eingesetzten Mittel« untersuchen und ein entsprechend »kohärentes Vorgehen gegen Desinformation« ermöglichen soll.[38]
Wie umfassend dabei die Demokratie vor der Beeinflussung mit »falschen« Meinungen zu schützen ist, erklärt Lutz Güllner vom Auswärtigen Dienst:
Da geht es eben nicht nur um Desinformation, sondern um alle Formen von Beeinflussung. Das kann sein im Medienbereich, das kann aber auch im akademischen Bereich sein. Was werden da für Strategien gefahren, was für Akteure gibt es da? Und natürlich ganz wichtig: Welche Instrumente haben wir zur Verfügung? Und welche Instrumente müssen wir noch schaffen, um uns dagegen zu wappnen?[39]
Die EU-Kommission bringt den »Aktionsplan für Demokratie«, der den »Verhaltenskodex gegen Desinformation« um neue Rechtsvorschriften für die Digitalkonzerne erweitern soll, explizit in Verbindung mit dem Fall des mutmaßlichen Giftanschlags auf den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny.[40] Dieser Fall liefert also die erste Bewährungsprobe für Anwendung und Ausbau des Corona-Systems außerhalb seines ursprünglichen Kontextes. Die hier mehrfach erwähnte »East StratCom Task Force« führt bereits eine eindrucksvolle Liste über Aussagen zum Fall, welche die EU-Kommission nun mit Hilfe der Digitalkonzerne als »Falschbehauptung« und »Angriff auf die Demokratie« bekämpfen will.[41]
Erwähnt wird zum Beispiel die folgende Aussage:
Ein vom Kreml angeordnetes Attentat ist das unwahrscheinlichste Szenario für das, was mit Nawalny geschehen ist.[42]
Oder diese:
Euro-Atlantische Netzwerke wollen den Fall Nawalny’s nutzen, um Nord-Stream 2 zu vereiteln.[43]
Beide Aussagen beinhalten völlig legitime Überlegungen im Dienst der Wahrheitsfindung, auch dann, wenn der Kreml tatsächlich hinter dem Anschlag stecken sollte. Aufbauend auf dem hier skizzierten Corona-System sollen jedoch diese und vergleichbare Überlegungen von Google & Co. ausgefiltert werden und zu wirtschaftlichen Einbußen aufgrund fehlender Werbeeinnahmen führen. Dasselbe gilt für Kritik an den neuen Sanktionen gegen Russland, welche die EU zur »Strafe« für den angeblich begangenen Anschlag auf Nawalny soeben verhängte. Nach eigenen Angaben bemüht sich die »East StratCom Task Force« deshalb auch um die Unterdrückung der folgenden Aussage:
Heiko Maas spricht über Rechtsstaatlichkeit. Aber von Rechtsstaatlichkeit kann im Fall Nawalny nicht die Rede sein, denn die EU-Sanktionen wurden ohne Prozess, ohne Untersuchung, nicht einmal im Gespräch mit der OVCW [Organisation für das Verbot chemischer Waffen] verhängt. Nichtsdestotrotz wurde die schuldige Partei umgehend ernannt.[44]
Beeinflusst Russland die Wahlen?
Dass vom russischen Staat finanzierte Medienanbieter wie Russia Today oder Sputnik eine Haltung vertreten, die Russland schaden könnte, ist unwahrscheinlich. Angesichts der zunehmenden Bedrohung durch die russlandfeindliche Politik der EU-Kommission und der verschärften Kriegsrhetorik westlicher Politiker haben sie vielmehr ein natürliches Interesse daran, dass mehr Menschen in Europa die Regierungssicht hinterfragen. Insofern ist die Berichterstattung von Medienanbietern wie Russia Today oder Sputnik selbstverständlich in vielen Fällen interessengeleitet und zielt in diesem Sinn darauf ab, die westlichen Systeme zu »destabilisieren«.
Inwieweit die russische Regierung außerdem auch mit gekauften Likes und Kommentaren versucht, ihrer Sichtweise zu mehr Präsenz in den sozialen Netzwerken zu verhelfen, ist umstritten. Die 2016 groß angekündigte Untersuchung des Bundesnachrichtendienstes lieferte keine Beweise für eine gezielte Desinformationskampagne.[45] Andererseits existieren Berichte von »Aussteigern«, wonach eine Agentur in St. Petersburg offenbar »Trolle« dafür bezahlt, bei Facebook & Co. der russischen Politik dienliche Kommentare zu hinterlassen.[46]
Im Vergleich zu der oben skizzierten umfassenden Manipulation des Internets durch eine »Partnerschaft« von EU-Kommission und Digitalkonzernen mutet das russische Klein-Klein jedoch eher wie das hilflose Strampeln eines hoffnungslos Unterlegenen an. Thomas Rid, der als Professor für Sicherheitsstudien an der Johns Hopkins Universität in Washington zum russischen Einfluss auf soziale Netzwerke forscht, erklärt:
Das Verhalten, das wir aus dieser Firma in St. Petersburg sehen, ist in hohem Maße unprofessionell und schludrig, sowohl in der Verschleierung als auch in der Durchführung selbst. Nicht nur Medien, auch Experten, Behörden und Politiker haben den Einfluss der Internet Research Agency nach meinem Dafürhalten übertrieben und systematisch überschätzt – gerade weil diese Operationen so leicht zu erkennen waren.[47]
Damit soll keineswegs das Problem gefälschter Likes und Kommentare kleingeredet werden. Ein Propagandakrieg gegen den imaginären Feind im Osten wird dieses jedoch nicht lösen, zumal es sich keinesfalls um ein »russisches« Problem handelt. Jeder kann heute Bots zum Super-Sparpreis kaufen – und zwar völlig legal.
Das Chip-Magazin empfiehlt im Praxis-Tipp:
Beim Kauf der Follower sollten Sie stets die Preise vergleichen und einen seriösen Anbieter sowie eine sichere Zahlungsweise wählen.[48]
Der dem NDR zugespielte Datensatz dürfte folglich nur die Spitze des Eisbergs freigelegt haben:
Knapp 90.000 Fanseiten in sozialen Netzwerken haben von bezahlten ›Gefällt mir‹-Angaben profitiert … Der Auswertung zufolge profitierten Politiker und Verbände aller politischen Parteien von manipulierten Likes: die FDP 17 Mal, die SPD 16 Mal, die CDU 13 Mal, die AfD 12 Mal. Und je dreimal die Grünen und die Linke. Insgesamt geht es um 29 Orts- und Kreisverbände, fünf Landesverbände sowie zehn Landtagsabgeordnete und einen Bundespolitiker.
Dass sich westliche Regierungen und Geheimdienste vornehmlich mit russischen Trollen befassen, ist gleichwohl naheliegend. Eine systematische Manipulation der Such-Algorithmen und die Entmündigung der eigenen Bürger ist jedoch keine angemessene Reaktion, zumal die Fälschung von Likes und Kommentaren hierzulande nicht einmal gerichtlich verfolgt wird, sondern zum Alltagsgeschäft vieler westlicher Politiker und Unternehmen gehört.
Quo Vadis, Demokratie?
Clip aus dem Film »1984«
Ich lehne Impfungen keineswegs pauschal ab, trage keinen Alu-Hut, sympathisiere nicht mit Rechtsradikalen und halte nebenbei auch einige Behauptungen der zensierten Judy Mikovits für falsch. Gleichwohl bin ich der Meinung, dass das ursprüngliche Ideal der Google-Gründer richtig war. Eine Bewertung oder gar Auswahl nach dem Kriterium der »Wahrheit« vorzunehmen, kann nicht Angelegenheit der benutzten Technik, sondern nur des Nutzers der Technik sein.
Der Meinungsbildung der Bürger durch eine Vorauswahl der »wahren« Meinung vorzugreifen, steht im krassen Widerspruch zur Demokratie – um so mehr, wenn derartiges durch die gewählte Regierung selbst unternommen wird. Damit wird Demokratie zur Farce, was wiederum Rechtsradikalen, Reichsbürgern und Verschwörungstheoretikern verstärkten Zulauf sichert.
Vielleicht ist der Osten dem Ideal der Demokratie tatsächlich nicht so zugeneigt wie der Westen. Sollte der Westen dann aber nicht danach streben, die Tragfähigkeit der Demokratie zu beweisen, anstatt sie aus Furcht vor einer russischen oder chinesischen Einflussnahme zu unterminieren?
Der Impuls der Demokratie verträgt sich nicht mit der »Wir-gegen-die-Haltung« selbsternannter Demokratiewächter. Demokratie ist nie fertig, sondern in steter Entwicklung; sie ist aber definitiv am Ende, sobald sie zur Etikette für eine Überheblichkeit gegenüber Kulturen wird, die mutmaßlich oder vielleicht auch erwiesenermaßen andere Prioritäten setzen. Die Bedrohung der Demokratie durch China und Russland mag in gewisser Beziehung real sein, ebenso wie die durch Rechtsradikale, Reichsbürger oder Verschwörungstheoretiker. Das darf aber nicht davon ablenken, dass die weitaus größere Gefahr für die Demokratie gegenwärtig von Innen kommt – von den »Demokratien« selbst.
Hier konnte nur ein kleiner Ausschnitt der Systemveränderungen skizziert werden, welche westliche Regierungen und Digitalkonzerne unter dem Eindruck der Corona-Angst vorgenommen haben. Vieles Weitere, etwa im Hinblick auf Gesetzesänderungen, erweiterte Befugnisse von Behörden oder »öffentlich-private« Partnerschaften wäre hinzuzufügen, um das ganze Ausmaß der anti-demokratischen Neuausrichtung westlicher Gesellschaften sichtbar zu machen. Vieles davon nahm jedoch, wie hier am Beispiel der Meinungs-Manipulation gezeigt wurde, bereits vor Jahrzehnten seinen Anfang.
Insofern markiert das Corona-Jahr weniger einen historischen Wende- als vielmehr den vorläufigen Tiefpunkt einer absteigenden Entwicklung. Was sich als Niedergangstendenz der Demokratie abzeichnete, konnte 2020 verfestigt und zum integralen Bestandteil sogenannter »demokratischer« Systeme gemacht werden.
Hinweis: Der Beitrag ist zuerst auf der Plattform des Instituts für soziale Dreigliederung erschienen. Er wird hier mit freundlicher Genehmigung des Autors und herzlichem Dank an ihn veröffentlicht.
Einen weiteren Beitrag von Johannes Mosmann finden sie hier: Corona-Virus: Menschheit am Scheideweg
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Nachweise:
- https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/das-silicon-valley-ist-ein-kind-des-krieges-16286444.html ↑
- https://www.wienerzeitung.at/verlagsbeilagen/digitale-republik/2052074-Wie-der-Kalte-Krieg-Silicon-Valley-erschuf.html ↑
- https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/silicon-valley-tal-der-ahnungslosen-12687192.html ↑
- https://www.sueddeutsche.de/digital/us-militaer-darf-google-beim-toeten-helfen-1.3998295-2https://www.theguardian.com/news/2018/dec/20/googles-earth-how-the-tech-giant-is-helping-the-state-spy-on-us ↑
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- https://praxistipps.chip.de/instagram-follower-kaufen-geht-das_39047 ↑
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