Ein Übermaß an Toten. Hochrechnungen in der Diskussion

Zuletzt aktualisiert am 13. Januar 2024.

Ein Übermaß an Toten prognostizierte Neil Ferguson vom Imperial College in London in den letzten zwanzig Jahren bei einer Reihe von Epidemien. Seine Hochrechnungen in der Diskussion.

Am 21. Februar 2020 jährte sich der Tag, an dem die italienische Regierung beschloss, alle Grundfreiheiten und Menschenrechte außer Kraft zu setzen und dem Vorbild des kommunistischen China zu folgen. Damit war der Damm in Europa gebrochen. Unterstützt wurde der Marsch in Richtung Massenquarantäne (»Lockdown«) auch von Hochrechnungen des Imperial College London mit  apokalyptischen Todeszahlen.

Derek Winton veröffentlichte am 20. Februar 2021 auf der englischen Netzseite lockdown sceptics eine Kritik an Ferguson und der von ihm entwickelten Modellierungssoftware. Winton verfügt über einen Magister in Philosophie und Mathematik und einen weiteren in Computerwissenschaften und hat als kritischer Kommentator die Entwicklung der Modellierungssoftware des Imperial College begleitet.

Im Anschluss an die von ihm veröffentlichte Kritik entspann sich eine Diskussion, an der sich Ferguson und andere Leser von lockdown sceptics beteiligten. Die Kritik Wintons und der nachfolgende Austausch sind so lehrreich, dass sie hier mit freundlicher Genehmigung der Beteiligten dokumentiert werden.


Zunächst die Kritik von Winton:

Historiker werden sicher noch in Jahrhunderten über die »beispiellose« Zeit nachdenken, in der wir gerade leben. Ich bin überzeugt davon, dass sie im Rückblick unsere Reaktion auf das Sars-CoV-2-Virus als monumentale Torheit betrachten werden. Insbesondere werden sie fassungslos sein über die Rolle, die eine zutiefst fehlerhafte Computermodellierung beim Auslösen einer Kette von Ereignissen gespielt hat, die die westliche Gesellschaft grundlegend und vielleicht katastrophal geschädigt haben.

Hintergrund

Um die Rolle des Modells des Imperial College in den richtigen Kontext zu stellen, lohnt es sich, den Februar 2020 in Erinnerung zu rufen.

Es gab Gerüchte über ein neues Virus in China, Berichte über chinesische Bürger, die von Regierungsangestellten in Schutzanzügen aus ihren Wohnungen geholt und in hermetisch abgeriegelte Fahrzeuge verfrachtet wurden, Geschichten von Ärzten, die nach dem Seuchenalarm auf mysteriöse Weise verschwanden.

Viren waren zwar in der jüngeren Vergangenheit wiederholt aufgetaucht, aber ihre Auswirkungen außerhalb Asiens relativ gering. Viele im Westen beobachteten die Entwicklung eher mit Interesse als mit Sorge.

Dann trat das Virus in Italien auf und die Ereignisse nahmen eine düstere Wendung. Bilder von überfüllten Intensivstationen, fehlenden Beatmungsgeräten und erschöpftem Krankenhauspersonal gingen um die Welt. Menschen starben auf entsetzliche Weise und in großer Zahl. Dann tat Italien etwas, was es in einer westlichen Demokratie noch nie gegeben hatte. Es stellte das gesamte Land unter Quarantäne.

Bald begann der Rest Europas, ebenfalls Quarantänemaßnahmen zu verhängen. Zuerst Irland, dann Dänemark, dann Bulgarien. Innerhalb weniger Tage setzte fast jedes europäische Land und viele weitere auf der ganzen Welt eine Politik um, die bis zu diesem Jahr noch nie im Umgang mit einer Pandemie angewandt worden war.

Zwei Länder wählten einen anderen Weg. In Übereinstimmung mit den Plänen, die sie für den Umgang mit Pandemien ausgearbeitet hatten, entschieden sie sich dafür, ihre Kapazitäten im Gesundheitssystem auszubauen, um die Auswirkungen der Pandemie aufzufangen, während sie gleichzeitig eine »Herdenimmunität« anstrebten. Diese Länder waren Großbritannien und Schweden.

Chris Whitty, Chief Medical Officer und Patrick Valance, Chief Scientific Officer des Vereinigten Königreichs entschieden sich, offensichtlich mit der vollen Rückendeckung der Regierung, nicht in Panik zu verfallen und gingen in Übereinstimmung mit der vorhandenen Pandemie-Strategie vor, die auf langer klinischer Erfahrung beruhte.

Dann veröffentlichte eines der Mitglieder von SAGE, Neil Ferguson vom Imperial College, am 16. März ein Papier, das bis zu 500.000 Todesfälle in Großbritannien voraussagte. Dieses Papier wurde von den Medien aufgegriffen und seine Schlussfolgerungen veröffentlicht.

Der öffentliche Druck wuchs, und nur eine Woche später unternahm die britische Regierung den beispiellosen Schritt, einen Hausarrest über die gesamte Nation zu verhängen, wobei sie das Modell des Imperial College als »Goldstandard« bezeichnete. Tatsächlich heißt es im Bericht selbst: »Die Ergebnisse dieser Studie haben in den letzten Wochen die Politik in Großbritannien und anderen Ländern beeinflusst« (Seite 1 – Zusammenfassung).

Einige Augenbrauen wurden hochgezogen. Entscheidungen dieser Größenordnung sollten sicherlich auf höchstem Niveau geprüft werden. Die Leute begannen, nach den Details des Modells zu fragen.

Peer-Review

Das Team des Imperial College zögerte die Veröffentlichung des Computer-Codes, der dem Papier zugrunde lag, hinaus. Ein leitendes Mitglied des Teams wird mit den Worten zitiert:

In Anbetracht der zunehmend politisierten Debatte über den wissenschaftlichen Umgang mit COVID-19 haben wir uns entschlossen, diese Forschung vorrangig zur Veröffentlichung in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift mit Peer-Review einzureichen und werden sie zu diesem Zeitpunkt veröffentlichen.

Financial Times, 23. Mai 2020

Die Arbeit war nicht von Fachleuten geprüft worden. Mit anderen Worten: Niemand außerhalb des kleinen Forscherteams, das den Bericht erstellte, hatte das Modell überprüft.

Dokumentation

Die Zeit war knapp und es handelte sich um einen Notfall. Eine Peer-Review kann Monate dauern und wir brauchten Antworten. Vielleicht konnten wir davon ausgehen, dass es sich um ein gut durchdachtes Modell mit umfangreicher Dokumentation handelte.

Aber es gab diese Aussage im Twitter-Feed von Neil Ferguson:

Ich bin mir bewusst, dass viele Leute den Pandemie-Simulationscode, den wir zur Modellierung von Kontrollmaßnahmen gegen COVID-19 verwenden, gerne sehen und ausführen würden. Um den Hintergrund zu erklären – ich habe den Code (Tausende von Zeilen undokumentiertem C) vor über 13 Jahren geschrieben, um Grippepandemien zu modellieren …

– neil_ferguson (@neil_ferguson) March 22,2020

Fachwissen

Das war nicht unbedingt ein Grund zur Beunruhigung. An der Forschung des Imperial College, einer unserer angesehensten Institutionen, waren sicherlich die besten Leute beteiligt.

Um den Vorwurf der Argumentation »ad hominem« zu vermeiden: Dies ist eine Frage der Expertise. Das Fachwissen eines Experten ist durchaus relevant, ja, es ist wohl das Einzige, was relevant ist. Schauen wir uns also die Qualifikationen unseres Experten an. Wikipedia weiß zu berichten:

Er erhielt seinen Bachelor of Arts-Abschluss in Physik 1990 in der Lady Margaret Hall, Oxford und seinen Doktor der Philosophie in theoretischer Physik 1994 am Linacre College, Oxford. [Hervorhebungen von mir]

In einem Interview in der BBC-Sendung Life Scientific (Zeitstempel: 6m 15s) räumte Ferguson ein, nicht einmal ein Abitur in Biologie zu haben. Soweit die öffentlich zugänglichen Informationen korrekt sind, scheint Ferguson auch keine formale Ausbildung in Computermodellierung, Medizin oder Epidemiologie zu haben.

Frühere Vorhersagen

Formale Qualifikationen sind nur ein Indikator für Kompetenz. Das Fehlen einer Qualifikation beweist nicht einen Mangel an Kompetenz. Viele Menschen verfügen über große Fähigkeiten in den verschiedensten Bereichen, aber nicht unbedingt über ein Stück Papier, um dies zu beweisen. Schauen wir uns stattdessen die bisherige Leistung des Imperial College-Teams an.

Maul- und Klauenseuche

Viele werden sich noch an die Schlachtung von 6,5 Millionen Rindern, Schafen und Schweinen im Jahr 2001 erinnern, um einen Ausbruch der Maul- und Klauenseuche einzudämmen, der die Landwirtschaft heimsuchte. Diese drastische Maßnahme basierte auf einem Modell von Neil Ferguson.

Viele in der Landwirtschaft waren der Meinung, dass die Maßnahmen in keinem Verhältnis zur Bedrohung standen, darunter auch Professor Michael Thrusfield von der Universität Edinburgh, der das Modell als »nicht zweckmäßig« und »stark fehlerhaft« bezeichnete.

Als Reaktion auf die Kritik erklärte Professor Ferguson, das Imperial College modelliere »in Echtzeit« mit »begrenzten Daten«.

Andere Epidemien

Virus Vorhersage / Projektion Realität
BSE –2002 »Das Team des Imperial College, dessen Arbeit auf der Netzseite der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde, sagt voraus, dass die Zahl der Todesfälle durch cCJD (die menschliche Form von Rinderwahnsinn – Creutzfeld-Jakob-Disease) voraussichtlich zwischen 50.000 und 150.000 liegen wird«. – Daily Mail

»Aber Dr. Neil Ferguson, ein Epidemiologe in einer anderen Gruppe von hoch angesehenen Forschern unter der Leitung von Dr. Roy Anderson am Imperial College London, sagte, die neuen Schätzungen seien ›ungerechtfertigt optimistisch‹. Seine Gruppe veröffentlichte im Jahr zuvor Schätzungen, nach denen die Anzahl der Todesfälle aufgrund von Varianten von CJD in den kommenden Jahrzehnten 136.000 erreichen könnte.« – New York Times, 31. Oktober 2001

Insgesamt sind in einem Zeitraum von dreißig Jahren (1990-2021) 2826 Personen an Creutzfeld-Jakob-Disease gestorben. – National CJD Research and Surveillance Unit, The University of Edinburgh
Vogelgrippe (H7N9) – 2005 »Letzten Monat hat Neil Ferguson, ein Professor für mathematische Biologie am Imperial College gegenüber Guardian Limited erklärt, dass bis zu 200 Millionen Menschen sterben könnten.« – The Guardian, 30. September 2005 »Seit 2013 wurden 1.568 menschliche Fälle von Vogelgrippe und 616 Todesfälle weltweit durch den H7N9-Stamm registriert.« – The Express, 7. Dezember 2020.
Schweinegrippe (H1N1) – 2009 »Im Jahr 2009 haben Ferguson und sein Imperial-College-Team vorausgesagt, dass die Schweinegrippe eine Todesfallrate von 0,3 bis 1,5 Prozent haben wird. Seine wahrscheinlichste Schätzung lag bei 0,4 Prozent. Eine Schätzung der Regierung, die auf Fergusons Rat beruhte, besagte, ein ›vernünftiges Worst-Case-Szenario‹ rechne mit 65.000 Todesfällen in Großbritannien«. – Spectator, 16. April 2020. »457 Personen sind während der Pandemie in Großbritannien bis zum 18. März 2010 gestorben.« – Unabhängige Untersuchung der britischen Antwort auf die Schweinegrippe-Pandemie 2009. – 1. Juli 2010.

Um ganz fair zu sein: es besteht ein Unterschied zwischen »Vorhersage«, »Projektion« und »vernünftigem Worst-Case-Szenario«, der in der Berichterstattung über wissenschaftliche Schätzungen oft verloren geht, was aber wiederum mindestens zwei ernsthafte Fragen aufwirft:

1. Welchen Wert hat diese Schätzung, wenn sich herausstellt, dass das »vernünftige Worst-Case-Szenario« zuverlässig um mehrere Größenordnungen höher ist als das, was tatsächlich eintritt?

2. Ist es in Anbetracht der mangelnden wissenschaftlichen Ausbildung von Teilen der Medien und der Tendenz, stets nach der spektakulärsten Statistik zu greifen, verantwortungsvoll, diese Schätzungen zu veröffentlichen, ohne klare Hinweise darauf, wie sie zu interpretieren sind?

Qualität des Programmiercodes

Vielleicht hat das Team trotz dieser hohen Schätzungen Lehren aus früheren Epidemien gezogen und das Modell entsprechend angepasst. Was können wir über die Qualität des Modells selbst sagen?

Für diejenigen, die keine formale Ausbildung haben, kann das Programmieren von Computern wie eine dunkle Kunst erscheinen, die an schwarze Magie erinnert. Aber im Grunde ist jedes einzelne Computerprogramm eine Liste von Anweisungen, die von einem Computer »gedankenlos« ausgeführt werden. Die wichtigste Eigenschaft eines Programms ist, dass es die Aufgabe ausführt, für die es entwickelt wurde. Es gibt jedoch noch eine weitere wichtige Überlegung, nämlich die Lesbarkeit des Codes für menschliche Programmierer. Zwei Codestücke können »funktional äquivalent« sein, was die Ausgaben betrifft, die sie erzeugen, aber sie können sich stark unterscheiden, was die Verständlichkeit für menschliche Programmierer angeht.

Im Laufe der Zeit haben sich »High-Level«-Computersprachen herausgebildet, die der natürlichen Sprache von Programmierern viel näher stehen als der Sprache des Hauptprozessors (CPU). Darüber hinaus wurden verschiedene Best Practices entwickelt, um sicherzustellen, dass Computerprogramme von den Menschen, die sie entwerfen, leicht gelesen werden können. In einer gut kodierten Anwendung sollte ein Programmierer, der keine Erfahrung mit dem jeweiligen Programm hat, in der Lage sein, einen Abschnitt des Codes zu lesen und schnell festzustellen, was gerade gemacht wird.

Im Folgenden finden Sie ein repräsentatives Beispiel für den Code im Imperial Model: (Zeilen 213 bis 228 )

Ich fordere jeden Computerprogrammierer auf, ohne Bezugnahme auf das Code-Repository herauszufinden, was in dem obigen Code ausgeführt wird.

Entwurf

Selbst wenn der Code nicht gut lesbar wäre, würde das nicht unbedingt bedeuten, dass er schlecht funktioniert. Wenn das Programm gut gestaltet und korrekt kodiert ist, kann ein Mangel an Lesbarkeit verziehen werden.

Wiederum ist etwas Kontext nützlich, um diesen Abschnitt zu erklären.

Computermodelle haben sich als unglaublich leistungsfähig in Bereichen wie dem Ingenieurwesen erwiesen, wo die Anwendung der wohlverstandenen Gesetze der Physik auf einfache Systeme hochgenaue Vorhersagen liefern können.

Die Modellierung einer Pandemie ist eine grundlegend andere Art von Herausforderung, da es sich im Wesentlichen um den Versuch handelt, die Zukunft eines äußerst komplexen dynamischen Systems vorherzusagen. Dies ist vergleichbar mit der Vorhersage des Wetters, eines weiteren sehr komplexen dynamischen Systems, oder der Entwicklung des Aktienmarktes. Zwei Herausforderungen, die wir trotz Milliardenausgaben für die Forschung immer noch nicht über einen unglaublich kurzen Zeithorizont hinaus bewältigen können.

Wenn wir versuchen, dynamische Systeme zu modellieren, treten wir in die Welt der sogenannten Chaostheorie ein, in der es um Systeme mit extremer Sensitivität in Bezug auf die ursprünglichen Bedingungen geht. Viele werden den Schmetterlingseffekt kennen, der besagt, dass eine winzige Veränderung der Luftströmung durch den Flügelschlag eines Schmetterlings dank der komplexen Wechselwirkungen von Milliarden von Teilchen zum Auftreten eines Tornados führen kann.

Es liegt in der Natur dynamischer komplexer Systeme, dass ein einziger Konstruktionsfehler im Computermodell, ganz zu schweigen von einem Fehler im Code, zu potenziell riesigen Fehlern in seinen Vorhersagen führt.

Als jemand, der die Kernfunktionen des Imperial-Codes Zeile für Zeile überprüft hat, muss ich leider berichten, dass er eine der wichtigsten Variablen, von der wir wissen, dass sie im Spiel ist, nicht berücksichtigt: die »Saisonalität« (die Wechselwirkung der Jahreszeit mit Atemwegsviren – der Grund, warum wir jeden Winter eine Welle von Erkältungskrankheiten haben).

Vorhersagen zu COVID-19

Vielleicht ist das Modell des Imperial College trotz aller oben dargestellten Bedenken ein effektiver Prädiktor für Todesfälle durch COVID-19? Vergleichen wir im Nachhinein die Vorhersagen für 2020 mit der Realität.

UK

Das Modell des Imperial College sagte »bis zu« 500.000 Todesfälle in Großbritannien voraus. Vor kurzem haben wir offiziell den düsteren Meilenstein von 100.000 COVID-19-Toten überschritten, so dass die Vorhersage von 500.000 um 400% daneben liegt. Diese Vorhersage basierte, um fair zu sein, auf einem Szenario ohne jede Gegenmaßnahme. Man könnte natürlich argumentieren, dass die Zahl der Todesopfer ohne den Lockdown viel höher gewesen wäre. Leider ist diese Aussage im Falle Großbritanniens nicht falsifizierbar. Aber was ist mit den Ländern passiert, die keine Einschränkungen eingeführt haben? Nun, da fast jedes Land in Europa ähnliche Maßnahmen einführte, ist es schwierig, eine echte »Kontrollgruppe« zu finden. Außer einer.

Schweden

Ein schwedisches Forscherteam wandte das Modell des Imperial College auf die eigene Nation an und prognostizierte ein überlastetes Gesundheitssystem und 96.000 Todesfälle.

Schweden verzeichnet bis heute 12.569 Todesfälle. [Stand 20.2.2021] Die Prognosen lagen um 700 % daneben.

Es ist zu einer Standardantwort auf jede Erwähnung Schwedens geworden, dass das Land eine höhere Sterblichkeitsrate hat als vergleichbare nordische Nachbarn. Dies ist ein berechtigter Punkt im Hinblick auf optimale Strategien für ein bestimmtes Land, der aber für den vorliegenden Fall irrelevant ist.

Um es so klar wie möglich zu sagen:

Wenn das Modell des Imperial College als Vorhersageinstrument tauglich wäre, hätte Schweden ein Vielfaches an Todesfällen zu verzeichnen. Da dies nicht der Fall ist, gibt es nur eine mögliche Schlussfolgerung.

Fazit

Wenn (falls!) sich der Staub der Coronavirus-Pandemie endlich legt, wird es für zukünftige Historiker schwierig sein, etwas anderes als das Folgende festzustellen: Wir haben unsere sorgfältig einstudierten Pandemie-Vorsorgepläne aufgegeben zugunsten einer experimentellen Maßnahme auf der Basis einer nicht von Experten überprüften, nicht dokumentierten, obskuren, prädiktiv ungenauen Modellierung, unter Verwendung eines Designs, das eine der wichtigsten beteiligten Variablen ignoriert, erstellt von einem Experten ohne formale Ausbildung in Computermodellierung oder Epidemiologie und mit einer Erfolgsbilanz sehr hoher Überschätzungen der Krankheitssterblichkeit.

Vorhersagen sind ein unglaublich schwieriges Geschäft. Dennoch bin ich absolut zuversichtlich, dass diese Historiker in den kommenden Jahren den Kopf schütteln und sich fragen werden: »Was haben sie sich nur dabei gedacht?«


Soweit die Kritik Wintons. Eine Leserin dieses Artikels schickte eine Kopie desselben an Neil Ferguson, in der Hoffnung, er werde darauf antworten. Überraschenderweise tat er es.

Die Antwort Neil Fergusons:

Ein Übermaß an Toten XXXX,

Ich nehme an, Sie haben mir das geschickt, weil Sie verärgert oder wütend sind, dass Ihnen niemand zuhört, oder weil sie mich verletzen oder meine Meinung beeinflussen wollen. Oder alles von dem obengenannten.

Ich und meine Kollegen und Freunde (John Edmunds, Jeremy Farrar, Marc Lipsitch, Christian Drosten, Patrick Vallance, Chris Whitty …) bekommen so viele derartige E-Mails, dass wir sie kaum noch registrieren. Die meisten werden heutzutage automatisch in den Junk-Mail-Ordner verschoben.

Aber zur Abwechslung dachte ich, ich würde Ihnen antworten. Nicht, dass ich wirklich erwarte, dass es die alternative Realität ändert, die Sie offenbar eingesaugt hat, aber gelegentlich habe ich das Gefühl, ich sollte es versuchen.

Für den Anfang lesen Sie vielleicht [sic] dies: Conspiracy Theory Handbook

Und fragen Sie sich, ob Sie sich Sorgen machen würden, wenn ein geliebter Mensch anfinge, solche Verhaltensweisen zu zeigen.

Was den Artikel betrifft, auf den Sie sich beziehen, so recycelt er die immer gleiche alte Fehlinformation. Sie werden vielleicht überrascht sein, zu erfahren, dass der Telegraph und der Spectator mehr als ein Dutzend Korrekturen als Reaktion auf Beschwerden des Imperial College über ungenaue Artikel veröffentlicht haben. Zum Beispiel hat niemand das Imperial-Modell auf Schweden angewandt (außer uns).

Wesentlicher ist, dass sich die Regierung nie auf nur ein Modell verlassen hat. Die von der LSHTM, der Universität Warwick und dem Institut Pasteur Paris entwickelten Modelle stimmten alle mit »dem« Imperial-Modell überein. Alle verwendeten unterschiedliche Code-Grundlagen.

Und in der Tat, es gab nie »ein« Imperial-Modell, sondern mehrere. Wir haben jetzt 4 verschiedene COVID-Modelle, die wiederum alle übereinstimmen.

Die Reaktionen der Regierung waren nie von einem einzigen Modell abhängig. Sie wurden von der Realität angetrieben, dass jede Krankheit, die Epidemien hervorruft, die sich alle 3-4 Tage verdoppeln und für die mehr als 2 % der Infizierten einen Krankenhausaufenthalt benötigen, jedes bestehende Gesundheitssystem überfordert.

Man könnte sogar behaupten, dass die britische Regierung unsere Modellierung (nicht nur die des Imperial College, sondern die aller SAGE-Gruppen) zu wenig beachtet hat. Sie hat im Grunde nur gehandelt, als sie sah, dass Krankenhausaufenthalte und Todesfälle exponentiell zunahmen.

Mit besten Grüßen,

Neil Ferguson


Derek Winton schrieb eine Antwort auf diesen Brief Fergusons:

Ich bin mir nicht sicher, wie das Protokoll für die Beantwortung einer E-Mail von einer dritten Partei an eine andere dritte Partei lautet, aber da der ursprüngliche Artikel auf Lockdown Sceptics veröffentlicht wurde, ist es vielleicht angemessen, den Folgeartikel am selben Ort zu publizieren.

Ich sollte zunächst sagen, dass ich Professor Ferguson keine bösen Absichten unterstelle und auch nicht glaube, dass er Teil einer Verschwörung ist. Als jemand mit einem Hintergrund in Naturwissenschaften, der auch in der Blütezeit der britischen »Schlafzimmer-Coder« aufgewachsen ist, empfinde ich sogar eine gewisse Verwandtschaft zu ihm.

Für mich ist dies eine Frage der Governance. Entscheidungen über Strategien zur Pandemiebekämpfung betreffen Millionen von Menschenleben und sollten meiner (hoffentlich nicht unvernünftigen) Meinung nach auf Informationen von allerhöchster Qualität beruhen und auf höchstem Niveau geprüft werden.

In meinem Artikel habe ich acht Behauptungen aufgestellt, die ich im Folgenden zusammenfasse:

1) Das Modell des Imperial College war einflussreich bei der Entscheidung, die Strategie einer Massenquarantäne zu verfolgen.

2) Die Forschung für den »Report 9« wurde nicht von Fachleuten überprüft.

3) Das Modell wurde nicht dokumentiert.

4) Professor Ferguson hat offensichtlich keine formale Ausbildung in Computermodellierung, Medizin oder Epidemiologie.

5) Die Hochrechnungen der Todeszahlen desselben Teams bei früheren Epidemien lagen um mehrere Größenordnungen daneben.

6) Der Code war von schlechter Qualität, was die Lesbarkeit anbelangt.

7) Das Modell ist ein Versuch, ein hochkomplexes (und damit hochempfindliches) System zu modellieren, lässt aber mindestens eine Schlüsselvariable aus.

8) Die auf dem Modell des Imperial College basierenden Projektionen für Schweden lagen um den Faktor sieben daneben, weshalb das Modell seinen Zweck offensichtlich nicht leistete, was es versprach.

Sieht man vom Link zu dem Conspiracy Theory Handbook ab, scheint Professor Ferguson keinen dieser Punkte zu bestreiten. Stattdessen weist er darauf hin, dass andere Modelle gleichartige Vorhersagen machten und der Bericht, den ich für Vorhersagen über Schweden zitiere, in der Tat nicht das Imperial-Modell verwendete. Es ist verlockend, an diesem Punkt zu sagen, die Anklage werde ausgesetzt, aber natürlich sollten wir Professor Ferguson die Chance geben, jeden der oben genannten Punkte zu widerlegen.

Fergusons Antwort wirft jedoch einige Fragen auf, die noch mehr Fragen aufwerfen. Ich behandle sie der Reihe nach:

Das Modell des Imperial College nahm Einfluss auf die Entscheidung, eine Massenquarantäne-Strategie zu verfolgen. Andere Modelle

Professor Ferguson weist darauf hin, dass mehrere andere Modelle, auf die sich die Regierung stützte, »alle übereinstimmten«.

Die von der LSHTM, der Universität Warwick und dem Institut Pasteur Paris geschriebenen Modelle stimmten alle mit »dem« Imperial-Modell überein. Alle verwendeten unterschiedliche Code-Grundlagen.

Und in der Tat, es gab nie »ein« Imperial-Modell, sondern mehrere. Wir haben jetzt 4 verschiedene COVID-Modelle, die wiederum alle übereinstimmen.

Wo sind die Codegrundlagen, Entwürfe, Dokumentationen und Annahmen dieser Modelle? Wenn man bedenkt, dass das Modell des Imperial College als Goldstandard galt, könnte man dann nicht auch bei diesen anderen Modellen Bedenken haben?

Was genau ist mit dem Begriff »übereinstimmen« gemeint? Sagen sie für alle in Bericht 9 modellierten Szenarien die gleiche Anzahl von Todesopfern voraus? Wenn nicht, um wie viel unterscheiden sie sich?

Die »Realität«

Professor Ferguson stellt außerdem fest:

Die Reaktionen der Regierung … wurden von der Realität angetrieben, dass eine Krankheit, die Epidemien hervorruft, die sich alle 3-4 Tage verdoppeln und bei der über 2% der Infizierten einen Krankenhausaufenthalt benötigen, jedes bestehende Gesundheitssystem überfordert.

[Hervorhebung von mir]

Das ist das, was Philosophen »petitio principii« nennen würden, d.h. die stillschweigende Voraussetzung der Gültigkeit dessen, was wir zu beweisen versuchen. Wenn wir voraussetzen, dass sich die Epidemie auf unbestimmte Zeit alle 3 bis 4 Tage verdoppelt, wäre jedes Gesundheitssystem überfordert. Die entscheidende Frage für die Regierung war, abzuschätzen, ob sich die Epidemie weiterhin alle drei bis vier Tage verdoppeln würde und für wie lange, und es war diese Frage, die die Computermodellierer zu beantworten vorgaben.

Projektionen auf Basis des Modells des Imperial College für Schweden lagen um den Faktor sieben daneben

Professor Ferguson behauptet, dass »niemand das Modell des Imperial College auf Schweden angewandt hat (außer uns)«. Hier ist er absolut korrekt. In der Tat ist es für niemanden außerhalb des Imperial-Teams möglich, das genaue Modell (das zur Erstellung von Report 9 verwendet wurde) anzuwenden, da der ursprüngliche Quellcode nie veröffentlicht wurde.

Dann ist die Frage sicherlich berechtigt: Wenn das Team tatsächlich Schweden modelliert hat, zu was für Ergebnissen ist es denn gelangt?

(Das englische Original des Artikels von Winton)


Die Leserin, die ursprünglich an Ferguson geschrieben hatte, antwortete ihrerseits auf seine E-Mail – und erhielt von ihm eine Antwort, auf die sie umgehend antwortete.

Im Folgenden der Schlagabtausch in voller Länge.

Lieber Professor Ferguson,

Ich war überrascht, eine Antwort auf meine E-Mail zu erhalten – aber offen gesagt erstaunt, den Inhalt des Links zu lesen, den Sie mir geschickt haben. Ist das wirklich das Beste, was Sie tun können? Reagieren Sie auf die Theorien anderer Wissenschaftler, indem Sie sie mit dem Anwurf »Verschwörungstheoretiker« zum Schweigen bringen? Anstatt sich mit der zentralen Aussage des Arguments auseinanderzusetzen, dass Ihr/Imperial/LSHTM/Warwick University/Institut Pasteur Paris-Modell falsch sein könnte, nennen Sie mich einen Verschwörungstheoretiker? Das ist sehr seltsam und deutet für mich darauf hin, dass Sie es sind, der einen sehr verzerrten Sinn für die Realität entwickelt hat und dass Sie vielleicht nicht verstehen, was im Leben der Menschen vor sich geht. Wir sehen uns jeden Tag ONS/NHS-Daten über Fälle, Krankenhausaufenthalte, Todesfälle an, nicht wilde Theorien.

Lassen Sie mich also aus persönlicher Erfahrung sprechen. Ich habe 21 Jahre alte Zwillinge, die in Bristol (Wirtschaftswissenschaften) bzw. Montpellier (Auslandsjahr) studieren. Ihr Leben ist relativ unspektakulär im Moment, keine Freude am Universitätsleben, für das meine Tochter in Bristol 18.000 Pfund pro Jahr zahlt. Mein Sohn lebt unter einer Ausgangssperre. Aber ich räume ein, das ist keine Katastrophe. Ihr Freund, Zac Macmorran, hat sich umgebracht, als er letztes Jahr bei einem Studenten inhaftiert war. Er war verzweifelt. Sehen Sie sich das an.

Erst diese Woche hörten wir vom Selbstmord eines netten Mannes, den mein Mann im Fitnessstudio kennenlernte, einem Tunesier namens Imed Boudhina. Er arbeitete als Kellner, also hatte er wohl finanzielle Sorgen. Sehen Sie sich das an.

Wir helfen einer syrischen Flüchtlingsfamilie in der Stadt. Zwei Kinder, im Alter von sechs und 12 Jahren. Im Sommer stellten wir fest, dass alle Fortschritte, die sie in ihrer ausgezeichneten Grundschule gemacht hatten, verloren gingen und dass der 12-Jährige sein Englisch verlernte (sie sprechen zu Hause Arabisch), also begannen wir, in unserem Haus Unterricht für die Mutter und die beiden Kinder zu geben. Wir stellten fest, dass der Junge praktisch Analphabet war. Seine Eltern waren von den Angstpornos der Regierung (nach dem Vorbild von Imperial College usw.) so terrorisiert worden, dass sie die Kinder nicht mehr in die Schule schicken wollten, obwohl sie es »durften«, da sie in den Klassen 1 und 6 waren. Er kam dann auf die örtliche High School, hat sich geprügelt, wurde gemobbt und ich fürchte um seine Zukunft. Seine Lebenschancen wurden dadurch geschmälert, dass ihm seine Bildung von dieser Regierung, die sich auf die oben genannten Modelle verlässt, verweigert wurde. Natürlich musste der wöchentliche Unterricht aufhören. Das Online-Lernen begann. Die Familie besaß keinen Laptop. Die Regierungsbehörden, die dafür gut bezahlt werden, konnten keinen Laptop zur Verfügung stellen, also gründeten wir eine Wohltätigkeitsorganisation, die Laptops für bedürftige Kinder recycelt. Sehen Sie selbst.

Wir haben ihm und 178 anderen Kindern in unserem netten, grünen Mittelklasse-Stratford-on-Avon geholfen. Ich frage mich, wie es in Middlesborough, Fleetwood, Great Yarmouth aussieht. Multiplizieren Sie die Erfahrung meines jungen syrischen Freundes mit buchstäblich Millionen und Sie beginnen, sich der Wahrheit (keine Verschwörungstheorie!) der Welt zu nähern, die Sie maßgeblich mitgestaltet haben (und natürlich LSHTM, Warwick University und das Institut Pasteur Paris). Das Leben so vieler junger Menschen wird in vielerlei Hinsicht ärmer sein. Mein Punkt ist, dass dies Ereignisse in der realen Welt sind, und nicht Bestandteile einer Theorie (entweder Ihre Theorie oder eine Verschwörungstheorie).

Ich und mein Mann haben beide verwitwete Mütter. Seine Mutter ist 94 – eines der letzten Jahre ihres Lebens hat sie in fast völliger Isolation verbracht. Sie hat 14 Enkelkinder, die sehr in ihr Leben eingebunden sind (sollte heißen, waren) und regelmäßig 2,5 Stunden+ reisen, um sie in Suffolk zu besuchen. Alles hat aufgehört. Sie lebt das Leben einer leeren Hülse. Sowohl ihre als auch die Mobilität meiner Mutter hat stark nachgelassen, weil sie nicht mehr rausgehen, wegen der Abriegelung (nicht wegen des Virus). Meine Mutter ist, würde ich sagen, typisch für viele 87-Jährige. Sie ist einigermaßen intelligent, war früher Lehrerin. Sie lebt allein in dem Haus, in dem sie die letzten 63 Jahre verbracht hat. Es liegt komplett im »Hinterland«. Das Haus steht auf einer Klippe und das nächste Land, das man im Westen sieht, ist Irland. Die Irische See trifft bei Flut auf das Haus. Sie ist meilenweit von allem entfernt und hat keinen Anteil am Gemeinschaftsleben. Sie ist nicht online und bezieht alle ihre Nachrichten von der BBC (und weigert sich, eine Zeitung zu lesen, falls »es um es geht« – sie meint das Virus). Das Haus steht zum Verkauf, da es ein verrückter Ort für eine 87-Jährige ist, aber sie erlaubt keine Besichtigungen – Sie können sich denken, warum. Ihre Mobilität ist auch stark eingeschränkt und sie ist verzweifelt einsam. Ich habe sie seit über einem Jahr nicht mehr gesehen. Das ist keine Verschwörungstheorie. Es ist das Leben meiner Mutter. Sie lebt so wegen der Botschaften der Regierung, die wegen der Modellierung durch Sie bzw. das Imperial College usw.-Modell so handelt, wie sie es tut. Das Ziel der Regierung war es, die Bevölkerung zu verängstigen. Ich hoffe, dass ausgerechnet Sie das nicht für eine Verschwörungstheorie halten. Ich habe das entsprechende Protokoll des Behavioural Insights Team (BIT) vom 22. März 2020 gelesen, in dem unter anderem steht:

Eine beträchtliche Anzahl von Menschen fühlt sich immer noch nicht ausreichend persönlich bedroht

Das gefühlte Niveau der persönlichen Bedrohung muss bei denjenigen, die selbstgefällig sind, mit Hilfe von eindringlichen emotionalen Botschaften erhöht werden

Medien nutzen, um das Gefühl der persönlichen Bedrohung zu verstärken

Vielleicht denken Sie, die 47 Unterzeichner dieser Petition sind auch Verschwörungstheoretiker? Das BIT füttert SAGE – also betrachten Sie sich bitte als Teil von all dem – und zusammen haben sie sich aufgemacht, uns zu terrorisieren – und Sie haben einen so brillanten Job gemacht, dass Leute wie meine Mutter (die ihre erste Impfung erhalten hat) wahrscheinlich nie wieder ein normales Leben führen können. Ihr Haus wird sich nicht verkaufen lassen und wir werden die gleichen schrecklichen Probleme haben, Pflegekräfte für sie zu finden, wie wir sie vor vier Jahren für meinen Vater hatten – nur dass er im Gegensatz zu ihm eine Mutter hatte; sie wird alleine sein. Ich sage Ihnen nur, wie das wahre Leben aussieht.

Verstehen Sie das? Sie können ein schönes bequemes Leben als Akademiker führen. Auch mir fehlt es an nichts (abgesehen von der Normalität). Ich bin wohlhabend genug, um meine drei Kinder vor den kommenden, nennen wir es »Schwierigkeiten« zu schützen. Es sind die »Zurückgebliebenen«, die Ausgegrenzten, die Armen, die einsamen Alten, die Millionen und Abermillionen armer Menschen in den Entwicklungsländern, die mich nachts wach halten. Also ja, ich bin wütend. Aber Sie nennen mich den Verschwörungstheoretiker! Sehen Sie nicht Berichte wie diesen: 270 Millionen marschieren dem Hungertod entgegen (vielleicht sind auch sie mit Verschwörungstheorien infiziert?). Es ist nicht das Virus, das dies verursacht hat, sondern die Quarantänemaßnahmen. Quarantänen in der Ersten Welt haben schreckliche Auswirkungen auf die Dritte Welt, die Entwicklungsländer – ich denke, das ist unbestritten. Sie sehen das doch sicher ein? Selbst wenn Sie es nicht als Konsequenz vorausgesehen haben.

Oder dies im Lancet: 94 Millionen Kinder laufen Gefahr, nicht gegen Masern geimpft zu werden (vielleicht ist Lancet an der Verschwörung beteiligt?)

Vielleicht sind Sie, Whitty, Valance, Drosten, Farrar und Edmunds, wenn Sie alle fröhlich Emails in Ihren Junk-Ordner legen, wirklich völlig ahnungslos, was in der realen Welt vorgeht? Denken Sie nach: Was ist, wenn sie Recht haben? Was, wenn nur die Hälfte von dem, was ich sage, richtig ist? Ich dachte, Wissenschaftler sollten es begrüßen, wenn ihre Theorien in Frage gestellt werden? Ich dachte, so werden sie getestet. Sie beschreiben mich als von einer »alternativen Realität« aufgesogen – und das ist genau mein Problem – Sie sind derjenige, der in einem Land der modellierten Theorien lebt – ich bin derjenige, der Sie bittet, sich meine Realität anzuschauen – die Daten der »realen Welt«. Was ist in den Ländern passiert, die nicht abriegeln wollten oder konnten? Ja, schauen Sie sich Schweden an, auch wenn es Sie offensichtlich schmerzt, dies zu tun. Wie ist die Todesrate dort zu erklären? Oder Texas? Oder Brasilien? Oder Weißrussland? Wie kann das eine Verschwörung sein? Ist die Financial Times an der Verschwörung beteiligt? Die Netzseite Worldometers? Vielleicht stecken auch die Gesundheitsberichterstatter mit drin!

Ein Übermaß an Toten

Screenshot Financial Times

Ich bin zwar kein Epidemiologe, aber für mich ist es ziemlich offensichtlich, dass Ihr Modell (und das von Imperial College usw.) um mehrere Größenordnungen daneben liegt, und die Tatsache, dass Sie darauf zurückgreifen, Leute, die damit nicht einverstanden sind, »Verschwörungstheoretiker« zu nennen, zeigt nur, wie tief Sie in den Kaninchenbau gekrochen sind. Oh, und was ist falsch daran, darauf hinzuweisen, dass Sie den gleichen Fehler bei der Schweinegrippe, Vogelgrippe, Maul- und Klauenseuche gemacht haben? Oder bestreiten Sie diese Zahlen, wenn Sie sagen, ich zitiere die »gleiche alte Fehlinformation«? Sind all diejenigen, die über Ihre vergangenen Vorhersagen im Vergleich zur Realität berichten, auch an der Verschwörung beteiligt?

Ich verabscheue diese Regierung und ihre Hauptakteure wegen dieses schlimmsten Fehlers, den die Welt je gemacht hat. Sie – ich würde sagen, dass Sie offensichtlich ein anständiger Mensch sind, und ich frage mich, ob Sie nicht voraussehen, dass Sie von den Blendern, die diese Operation leiten, als Sündenbock geopfert werden. Schauen Sie sich nur deren Bilanz an – das gescheiterte Test and Trace, die Korruption, die Todesfälle in Pflegeheimen, die Infektionsrate in Krankenhäusern – Sie haben Ihren Ruhm an die schlechteste Regierung gebunden, die wir je hatten, aber leider wird es Ihr Name sein, der für immer mit »The Science« verbunden ist, die sie antrieb. Wenn Sie das nicht sehen können, dann sind Sie nicht so schlau, wie man uns alle glauben machen wollte. Sie und Imperial College usw. haben den größten Fehler aller Zeiten gemacht und meiner Meinung nach ist es umso besser, je eher Sie das akzeptieren und versuchen, eine Art von Erklärung zu liefern. Die Wahrheit kann vielleicht in unserer Gesellschaft unterdrückt werden, in der die freie Rede jetzt so unterdrückt wird, aber sie wird herauskommen – zuerst in anderen Ländern.

Ich finde es unbegreiflich, dass man auf Sie, das Imperial College usw. gehört, den Pandemie-Plan weggeworfen hat und wir mit den Lockdowns begonnen haben, denen der Rest der Welt gefolgt ist. Vielleicht könnten Sie in dieser späten Phase etwas Gutes tun, indem Sie versuchen, die Massentests bzw. die Falsch-Positiv-Rate in den Griff zu bekommen (indem Sie z. B. die Richtlinien der WHO befolgen), sonst kommen wir aus diesem Schlamassel nie wieder heraus. Mein Mann hat das hier aus Daten der Regierung erstellt.

Ein Übermaß an Toten

Aktuelle positive Tests als % der durchgeführten Tests vs. angestrebtes Ziel und False Positive Rate

Entschuldigung für die lange E-Mail. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Sie es sind, der in einem Paralleluniversum lebt, wenn Sie denken, dass ich der Verschwörungstheoretiker bin. Die Welt liegt in Scherben wegen Ihrer bzw. der Imperial College usw.-Theorie.

Wenn Sie bis hierher gekommen sind, danke fürs Lesen.

XXXX


Überraschenderweise antwortete Neil Ferguson.

Liebe[r] XXXX,

ich würde mit der Frage beginnen, ob Sie wirklich glauben, dass ich und meine Kollegen sich der sozialen und wirtschaftlichen Folgen gesellschaftlicher Einschränkungen nicht bewusst sind? Jedes verlorene Leben ist eine Tragödie, egal aus welcher Ursache. Und ich stimme absolut zu, dass diese Pandemie – und die ergriffenen Maßnahmen – die Ärmsten am härtesten getroffen haben.

Aber ich frage mich, was Sie denken, was mich und meine (viele Hunderte von) Wissenschaftskollegen motiviert, die seit über einem Jahr an dieser Pandemie arbeiten? Es ist sicherlich nicht der Wunsch nach Bekanntheit oder der Wunsch, der Gesellschaft drakonische Regeln aufzuerlegen. Ich selbst habe auch keine Vorliebe für Quarantänemaßnahmen, weder persönlich noch ideologisch. Ich kenne niemanden, bei dem dies der Fall ist. Vielmehr versuchen wir, so viel wie möglich über die Epidemiologie dieses Virus zu lernen und darüber, wie wir seine gesundheitlichen Auswirkungen am besten begrenzen können.

Die Entscheidung zwischen obligatorischen Maßnahmen und freiwilligen Empfehlungen ist eine politische Entscheidung, aber die Effektivität der einzelnen Maßnahmen ist wahrscheinlich kulturspezifisch. Schweden hat eine Reihe von Entscheidungen getroffen, Dänemark und Norwegen andere. Das Ergebnis ist, dass Schweden insgesamt weniger Einschränkungen hatte, aber eine 3-4-mal höhere Pro-Kopf-Todesrate als seine Nachbarn. Die Zahl der Todesopfer ist immer noch höher, nicht weil wir überreagiert haben, sondern weil wir die Maßnahmen im letzten März zu spät eingeführt und den Fehler im letzten Herbst wiederholt haben. Und aufgrund von Faktoren, die einfach nur Pech waren – die Höhe der Ausbreitung im letzten Februar und die neue Variante im letzten November.

Was das Vereinigte Königreich betrifft, was hätte die Regierung Ihrer Meinung nach im Dezember als Reaktion auf die neue Variante und den überwältigenden Ansturm auf die Krankenhäuser in London und anderswo tun sollen? Die Menschen weiterhin ihren normalen Geschäften nachgehen lassen, während Tausende zu Hause oder auf den Krankenhausfluren starben, wie es in Mexiko geschieht?

Und um Sie zu beruhigen: Wir verfolgen die Pandemie weltweit. Und wir haben ein umfangreiches Forschungsprogramm, das vergleicht, wie verschiedene Länder darauf reagiert haben. Ich bin allerdings ein wenig überrascht, dass Sie Brasilien als Erfolgsgeschichte anführen. Und wenn Sie Weißrussland hervorheben, warum nicht China?

Ich bin mir auch bewusst, dass es ein Kontinuum zwischen Skepsis und offener Verschwörungstheorie-Verrücktheit gibt. Aber einige der »Fakten«, die Sie und die Lockdown-Skeptiker vorbringen, tendieren zur letzteren Kategorie. Erinnern Sie sich an die Behauptungen, dass es keine zweite Welle geben würde und dass wir nur eine »Casedemie« erlebten?

Falschpositiv-Raten sind derzeit kein großes Problem. Wir sind uns aber bewusst, dass sie in Zukunft stärker berücksichtigt werden müssen. Auch wenn jeder Selbstmord tragisch ist, gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Selbstmordrate im letzten Jahr gestiegen ist. Ich mache mir eigentlich viel mehr Sorgen um all die Krebsdiagnosen und -behandlungen, die in den letzten Monaten aufgrund der Covid-bedingten NHS-Nachfrage verschoben wurden.

Ich stimme sicherlich zu, dass man aus dieser Pandemie viele Lehren ziehen kann – auch in Bezug auf Tests und Rückverfolgung (besonders zu Beginn) und Pflegeheime. Ich sehe mich nicht als Cheerleader der Regierung. In der Tat ist einer der deprimierenden Aspekte des Diskurses um diese Pandemie die Politisierung der Wissenschaft.

Mit besten Grüßen,

Neil


Die Leserin antwortete Prof. Ferguson.

Lieber Neil,

Vielen Dank für Ihre wohlerwogene Antwort.

Ich vermute, dass man Ihnen, den Epidemiologen, sagt, dass es wirtschaftliche und andere Folgen der Pandemiemaßnahmen geben wird, aber ich und viele andere denken, dass Sie die Balance falsch eingeschätzt haben. Das Vorsorgeprinzip hat das akzeptable Risiko in den Schatten gestellt. Ihr Link zu der Website mit den Verschwörungstheorien hat mich ziemlich verblüfft. Das macht mir Sorgen, dass vernünftige Vorschläge von Ihnen und Leuten wie Ihnen als »verrückte Verschwörungstheorien« abgetan werden. Ich hoffe, Sie räumen ein, dass ich Ihnen einige stichhaltige Argumente zu den Ergebnissen von Quarantänemaßnahmen geliefert habe.

Sie haben in Ihrer ersten Antwort gefragt, was ich getan hätte, wenn ich es mit einer Krankheit zu tun gehabt hätte, die 2 % ins Krankenhaus bringen würde. Nirgendwo auf der Welt sind die Fälle »exponentiell« weiter gewachsen, unabhängig von der Höhe der auferlegten nicht-pharmazeutischen Maßnahmen. Mein Punkt ist (und ich stütze mich auf Daten aus der realen Welt, um das zu untermauern), dass Sie und Ihre Kollegen sich auf die 2% konzentriert haben, zum enormen Nachteil der anderen 98% und der Gesellschaft im Allgemeinen. Wir können darüber streiten, was die IFR ist, aber ob es nun 10 von 1.000 oder zwei von 1.000 sind, die BBC und die Minister der Regierung haben sich zu sehr auf die (sagen wir vier von 1.000) Todesfällen konzentriert, anstatt auf die 996 Gesunden. Das Ergebnis ist eine verängstigte Bevölkerung, der es an Fähigkeit mangelt, die Risiken ins rechte Licht zu rücken, und die sehr reale langfristige Gefahr, dass die Menschen aus Angst vor der Grippe oder anderen saisonalen Krankheiten nie wieder zur Normalität zurückkehren werden. Wir können nicht alle ewig leben.

Wie können Sie gegen die Tatsache argumentieren, dass andere Länder zeigen, was passieren könnte, wenn ein anderer Ansatz für nicht-pharmazeutische Maßnahmen gewählt würde? Dass nicht-pharmazeutische Maßnahmen (oder deren Fehlen) nur einen sehr geringen Einfluss auf die Covid-Gesundheitsergebnisse hatten und dass die Krankheit in diesen Ländern, wie Vietnam, Indien und Japan, nicht exponentiell gewachsen ist? Wollen Sie damit sagen, dass alle Daten, die ich mir angesehen habe – Euromomo, die FT, Worldometers – irgendwie falsche Informationen präsentieren? Inwiefern macht das mich und andere Skeptiker (nicht Leugner, natürlich!) zu Verschwörungstheoretikern? Es deutet eher auf eine Überempfindlichkeit Ihrerseits hin.

Ja, ich habe die Krebserkrankungen und andere versäumte Gesundheitsbehandlungen übersehen (so viele andere Schrecken wären zu erwähnen). Bedenken Sie nicht, dass in einem Jahr die Heilung schlimmer sein wird als die Krankheit, allein bei Krebs bzw. versäumten Behandlungen, ganz abgesehen von den anderen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Schäden und den Folgen für unsere freiheitliche Gesellschaft.

Übrigens, welche »Tatsache« in meiner E-Mail lässt Sie denken, dass ich auf der Seite der Verschwörungstheorie-Verrücktheit stehe? Ich denke, dass wir mit einem größeren Maß an Risiko hätten leben sollen und dass Sie in der Tat eine Büchse der Pandora der Angst und Risikoaversion geöffnet haben, die eine ständige Plage bleiben wird. Obwohl ich mir bei einer kaputten Wirtschaft nicht sicher bin, wie es bezahlt werden soll, wenn wir jährliche Quarantänen haben. Ich denke, wir hätten anders damit umgehen sollen, indem wir dem Pandemie-Vorsorgeplan gefolgt wären, indem wir die besonders Gefährdeten abgeschirmt hätten (denken Sie an die Great Barrington Declaration). Es mag eine unmögliche Aufgabe gewesen sein, aber es ist nichts im Vergleich zu dem, was wir getan haben. Wir werden nie einer Meinung sein, was die Auswirkungen der nicht-pharmazeutischen Maßnahmen anbetrifft – aber wie ich schon sagte, können diejenigen, die anderer Meinung sind als Sie, auf Länder verweisen, die solche Maßnahmen nicht oder wenig eingesetzt haben und feststellen, dass die Todesraten ähnlich hoch waren wie in den Ländern, die sich abgeschottet haben. Ich schätze, dass Ihr Modell (und die all der anderen Institutionen, die Sie erwähnen), wenn es auf diese Länder angewandt würde, sehr weit von dem abwiche, was tatsächlich passiert ist. Heißt das, dass es falsch ist? Oder einfach um mehrere Faktoren daneben?

Wir haben die Bevölkerung infantilisiert, eine enorme Gesundheitskrise hervorgerufen und die Wirtschaft ruiniert. Wir haben eine einmal in 40 Jahren auftretende Gesundheitskrise in eine gesundheitliche, wirtschaftliche, politische, gesellschaftliche Katastrophe verwandelt. Ich gebe zu, dass ich nicht weiß, welche Rolle Ihr Beitrag bei diesen Entscheidungen gespielt hat, aber ich weiß, dass Sie so häufig öffentlich in Erscheinung treten, dass einige Leute denken, dass Sie ziemlich instrumental waren.

Aber danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, sich mit mir zu beschäftigen.

Beste Wünsche

XXXX


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