Zuletzt aktualisiert am 22. Juni 2023.
Das Thema »Meister Floh und der Staatsschutz« eröffnet den Blick in eine bewegte Epoche der deutschen Geschichte mit beachtlichen Parallelen zur Gegenwart. E.T.A. Hoffmann, preußischer Kammergerichtsrat und einer der schillerndsten Dichter der Romantik, geriet in der Zeit der Karlsbader Beschlüsse und der »Demagogen«verfolgung in Konflikt mit dem Polizeiministerium und der Zensurbehörde.
Eine Reihe von Außenministern der Mitglieder des Deutschen Bundes hatte sich im böhmischen Kurort Karlsbad getroffen und einige rigorose Maßnahmen ausgeheckt, durch die das Virus des Liberalismus und der nationalen Erhebung ausgemerzt werden sollte, welch letztere damals gegen die dynastischen Interessen der Fürsten- und Königshäuser gerichtet war und nach dem Vorbild Frankreichs die Errichtung demokratischer Volksrepubliken in den deutschsprachigen Ländern anstrebte.
Nach dem Sieg über Napoleon und dem Wiener Kongress hatte in Europa der Geist der Reaktion Einzug gehalten. Sie revidierte die politischen Folgen der französischen Revolution und stellte die alten, »legitimen« Machtverhältnisse wieder her. Der österreichische Außenminister und Staatskanzler Fürst von Metternich, der führende Kopf der »Heiligen Allianz« gegen die republikanischen Verfassungsbewegungen gab dieser Ära seinen Namen. Der »jakobinische« Geist war jedoch aus der Flasche, auch im deutschen Sprachraum, und regte sich allenthalben an Universitäten und im gelehrten Diskurs. Bekanntestes Beispiel für die akademische Unterstützung eines gesellschaftlichen Umbaus dürfte der »Jakobiner« Johann Gottliebe Fichte sein, der 1793 von den Fürsten Europas die Denkfreiheit zurückforderte. Auch Kant rief das Publikum auf, aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit auszutreten und sich des eigenen Denkens zu bedienen, wozu allerdings Mut gehöre.
Im Zuge des nationalen Befreiungskampfes gegen Napoleon hatten sich Burschenschaften und Turnervereinigungen etabliert, die sich als Vorkämpfer der Demokratie betätigten. Studentische Burschenschaftler der Universitäten Halle und Jena hatten 1817 zum Wartburgfest geladen, das den Volksfesten der französischen Revolution nachgebildet war.
Worum es ging, zeigen die verabschiedeten Grundsätze, die sich wie eine Art Grundrechtskatalog lesen. Die aus ganz Deutschland zusammengeströmten Studenten sowie eine Reihe namhafter Professoren, darunter Lorenz Oken und Jakob Friedrich Fries, forderten unter dem Motto »Ehre, Freiheit, Vaterland« die wirtschaftliche und politische Einheit Deutschlands (Abbau von Zollschranken, Vereinheitlichung der Maße und Gewichte), die Bindung der Staatsgewalt an Verfassungen (konstitutionelle Monarchie)[1] und die Ministerverantwortlichkeit, Gleichheit aller vor dem Gesetz[2] und öffentliche Gerichtsverfahren, die Abschaffung der Geheimpolizei, Garantien der persönlichen Freiheit und des Privateigentums, die Beendigung der Leibeigenschaft[3], allgemeine Wehrpflicht anstelle fürstlicher Privatarmeen (stehender Heere) sowie die Rede- und Pressefreiheit[4]. An die von der »Urburschenschaft« begründete Tradition knüpften später die Demokratie-Feste des Vormärz auf dem Hambacher Schloss und an anderen Orten an.
Gegen die legitimen Forderungen nach Einschränkung der autoritären Königsmacht durch Verfassungen schien aus Sicht der Vertreter der Reaktion nur strenge Verfolgung und vorbeugende Unterdrückung zu helfen. Eine willkommene Rechtfertigung für die Karlsbader Beschlüsse vom August 1819 bot die Ermordung des russischen Gesandten August von Kotzebue durch den Burschenschaftler Karl Ludwig Sand. Der in Weimar geborene Kotzebue polemisierte, nachdem er russischer Generalkonsul geworden war, in seinem Literarischen Wochenblatt und an anderen Orten gegen die deutschen Universitäten, die Burschenschaften und Turnerbünde als Brutstätten der Revolution und des Liberalismus. Sand sah im russischen Diplomaten daher einen »Verräter des Vaterlandes«.
Die Karlsbader Beschlüsse enthielten unterschiedliche Rechtsakte, die gegen die Freiheit der Presse, der Universitäten und der politischen Betätigung gerichtet waren. Sie wurden erst am 2. April 1848 von der Frankfurter Nationalversammlung wieder aufgehoben.
Laut »Pressgesetz«, das den euphemistischen Titel »provisorische Bestimmungen hinsichtlich der Freiheit der Presse« trug, war »jeder Bundesstaat […] für die unter seiner Oberaufsicht erscheinenden […] Druckschriften, insofern dadurch die Würde oder Sicherheit anderer Bundesstaaten verletzt, die Verfassung oder Verwaltung derselben angegriffen wird, nicht nur den unmittelbaren Beleidigten, sondern auch der Gesammtheit des Bundes verantwortlich.« (§ 4).[5]
Man vergleiche dazu die neue Fassung des § 188 des StGB vom April 2021. Darin heißt es: »Wird gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts eine Beleidigung aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Das politische Leben des Volkes reicht bis hin zur kommunalen Ebene.«[6]
Der Verfassungsschutz etablierte – ebenfalls im Frühjahr 2021 – den neuen Phänomenbereich »Delegitimierung des Staates«, der es ihm erlaubt, »Personen und Gruppierungen« zu beobachten, die eine »ständige verfassungsfeindliche Agitation gegen demokratisch legitimierte Repräsentanten und Verantwortungsträger des Staates« betreiben, die geeignet ist, »das Vertrauen in das staatliche System insgesamt zu erschüttern« und »seine Funktionsfähigkeit zu beeinträchtigen«.[7]
Bei der Verabschiedung des zweiten Teils des Digital Services Act durch das EU-Parlament im Juli 2022 verkündete Ursula von der Leyen: »Unsere neuen Regeln werden die Online-Nutzer schützen, die freie Meinungsäußerung gewährleisten und den Unternehmen neue Möglichkeiten eröffnen.«[8] Das Gesetz verschärfte u.a. die Bestimmung gegen »rechtswidrige Hassrede«, die vom Ministerkomitee des Europarats 1997 wie folgt definiert wurde: »Jegliche Ausdrucksformen, welche ›Rassenhass‹, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus oder andere Formen von Hass, die auf Intoleranz gründen, propagieren, dazu anstiften, sie fördern oder rechtfertigen, einschließlich der Intoleranz, die sich in Form eines aggressiven Nationalismus und Ethnozentrismus, einer Diskriminierung und Feindseligkeit gegenüber Minderheiten, Einwanderern und der Einwanderung entstammenden Personen ausdrückt«.
Schließlich wurde in Deutschland Ende 2022 auch der sogenannte Volksverhetzungsparagraph des Strafgesetzbuches durch Einfügung eines neuen Absatzes über die öffentliche »Billigung«, »Leugnung« oder »gröbliche Verharmlosung« von Handlungen, die gemäß Völkerstrafgesetzbuch §§ 6 bis 12 strafbar sind[9], insoweit verschärft, dass er nun auch entsprechende Sprachhandlungen gegen einzelne Personen oder Personenmehrheiten umfasst.
Kehren wir zum Pressegesetz der Karlsbader Beschlüsse zurück. Es verfügte, dass alle Publikationen, die mehr als 320 Seiten umfassten, vor der Veröffentlichung einer einzurichtenden Zensurbehörde vorgelegt werden mussten. Gegen verantwortliche Redakteure von Periodika war ein Betätigungs- bzw. Berufsverbot im § 7 gerichtet: »Wenn eine Zeitung oder Zeitschrift durch einen Ausspruch der Bundesversammlung unterdrückt worden ist, so darf der Redacteur derselben binnen fünf Jahren in keinem Bundesstaate bei der Redaction einer ähnlichen Schrift zugelassen werden.« Staatliche Maßnahmen, die die Freiheit der Presse einschränken, werden regelmäßig als Maßnahmen zu deren Sicherung verkauft.
Der Bundesbeschluss zu den Maßregeln gegen Universitäten installierte an allen Hochschulen »außerordentliche landesherrliche Bevollmächtigte«, die über die Linientreue der Professoren und Studenten zu wachen hatten und hebelte damit die teilweise jahrhundertealte, unabhängige akademische Gerichtsbarkeit aus. Die Bundesregierungen verpflichteten sich, »Universitäts- und andere öffentliche Lehrer, die durch erweisliche Abweichung von ihrer Pflicht oder Überschreitung der Grenzen ihres Berufes, durch Missbrauch ihres rechtmäßigen Einflusses auf die Gemüter der Jugend, durch Verbreitung verderblicher, der öffentlichen Ordnung und Ruhe feindseliger oder die Grundlagen der bestehenden Staatseinrichtungen untergrabender Lehren, ihre Unfähigkeit zu Verwaltung des ihnen anvertrauten wichtigen Amtes unverkennbar an den Tag gelegt haben, von den Universitäten und sonstigen Lehranstalten zu entfernen.«
Professoren drohte damit nicht nur die Entlassung, sondern auch ein generelles Berufsverbot, denn »ein auf solche Weise ausgeschlossener Lehrer« durfte »in keinem andern Bundesstaate bei irgend einem öffentlichen Lehr-Institute wieder angestellt werden.« Durch das Gesetz wurden die Burschenschaften verboten, »Individuen« (Studenten), die solchen »geheimen und nicht autorisierten Verbindungen« angehörten, durften kein öffentliches Amt übernehmen und Studenten, die von den außerordentlichen Bevollmächtigten von einer Universität verwiesen worden waren, durften von keiner anderen Universität mehr aufgenommen werden.[10]
Das »Untersuchungsgesetz« schließlich etablierte eine Art Staatsschutzbehörde, eine »zentrale Untersuchungskommission« in Mainz, die mit einer »möglichst gründlichen« und »umfassenden Untersuchung und Feststellung des Tatbestandes, des Ursprungs und der mannigfachen Verzweigungen der gegen die bestehende Verfassung und innere Ruhe, sowohl des ganzen Bundes, als einzelner Bundesstaaten, gerichteten revolutionären Umtriebe und demagogischen Verbindungen« beauftragt wurde. Individuen, die demokratische Ideen verbreiteten, galten seitdem als »Demagogen« (Propagandisten, Volksverhetzer) und wurden entsprechend verfolgt. Besonders rigoros in Preußen und im Kurfürstentum Hessen. Zu den Betroffenen gehörten u.a. Ernst Moritz Arndt, Karl Marx, Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Hans Ferdinand Maßmann, Franz Lieber, Christian Sartorius, Georg Büchner, Fritz Reuter, Friedrich Ludwig Jahn, Karl Theodor und Friedrich Gottlieb Welcker.
Auch E. T. A. Hoffmann kam in Konflikt mit dem Staatsschutz. Ironischerweise hatte er ihm seit Herbst 1819 (im weiteren Sinne) selbst angehört, wurde aber zu einem »Whistleblower« avant la lettre. Hoffmann war als Kammergerichtsrat in die preußische »Immediat-Untersuchungskommission zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe« berufen worden und wirkte als solcher an deren Untersuchungen mit.
Seine gegenüber den Verdächtigten umsichtigen Prüfungen der Haftgründe widersprachen jedoch den Erwartungen des leitenden Direktors des Polizeiministeriums, Karl Albert von Kamptz, der dazu neigte, aus unverfänglichen Äußerungen kriminalistische Vorwürfe zu konstruieren.[11] Im konfiszierten Tagebuch des Studenten Gustav Asverus fand sich beispielsweise das Wort: »Mordfaul.« Daraus konstruierte von Kamptz den Vorwurf, offenbar sei er an anderen Tagen nicht »mordfaul«, sondern zu Morden aufgelegt gewesen oder habe solche gar begangen.
Preußen hatte 1819 die Lehrfreiheit an Universitäten durch ein Zensuredikt aufgehoben, 1820 verfügte eine Kabinettsordre, die Behörden, Konsistorien, Schulen und Universitäten »von gefährlichen Irrtümern, Verführern und Verführten« zu reinigen. 1821 genügte bereits der Verdacht der Zugehörigkeit zu einer Burschenschaft für einen Verweis von der Universität ohne gerichtliche Untersuchung. Eine weitere Verfügung sah 1822 die Entlassung von Geistlichen bei politischem Abweichlertum vor. Friedrich Schleiermacher und Ernst Moritz Arndt wurden daraufhin in jahrelange dienstrechtliche Verfahren verwickelt. Der Schweizer Theologieprofessor Wilhelm Leberecht de Wette wurde von Wilhelm III. ohne Verfahren entlassen, weil er der Mutter des Studenten Karl Ludwig Sand einen Trostbrief geschrieben hatte. Der bereits erwähnte »Turnvater« Jahn wurde wegen »hochverräterischer Umtriebe« zu mehreren Jahren Festungshaft verurteilt. Als seine Frau 1823 starb, durfte er nicht einmal an ihrer Beerdigung teilnehmen. Besonders grotesk mutet vor dem Hintergrund der Grundrechtseinschränkungen der Coronazeit das von Preußen erlassene »Turnverbot« an.
Hoffmann war mit dem Fall Jahn befasst und sprach sich zu seinen Gunsten aus. Seinen Abscheu gegen die zum Teil an den Haaren herbeigezogenen Beschuldigungen gegen die vom Staat verfolgten Demokraten brachte er in bissigen Passagen des Märchens »Meister Floh« zum Ausdruck, von denen er im Freundeskreis erzählte.
Von Kamptz taucht im vierten und fünften Abenteuer als »Geheimer Rat Knarrpanti« auf, der die Maxime seiner politischen Ermittlungen im Satz zusammenfasst: »sei erst der Verbrecher ausgemittelt«, »werde sich das begangene Verbrechen von selbst finden.« Im übrigen hielt besagter Geheimrat, wie Hoffmann sich ausdrückt, »das Denken an und vor sich selbst schon« für »eine gefährliche Operation«, die »bei gefährlichen Menschen eben desto gefährlicher« werde. Offenbar trieb in Hoffmanns Freundeskreis ein Polizeispitzel sein Unwesen, der Kamptz das Vorhaben hinterbrachte. Hoffmann versuchte, als er von der Durchstecherei erfuhr, bei seinem Verleger zu intervenieren und die betreffenden Passagen seines Textes zu entschärfen. Aber das Manuskript war bereits beschlagnahmt. Das Märchen konnte nur zensiert erscheinen; erst 1908 wurde eine vollständige Fassung veröffentlicht.
Seine prinzipiellen Vorbehalte gegen die »Demagogenfresser« brachte Hoffmann in einem Brief an seinen Freund Theodor Gottlieb von Hippel d.J. vor. »Auf das tiefste empörten ihn« zwei Dinge, schrieb Georg Ellinger über den Brief, »einmal die Art, in der von Kamptz, seine Gönner und Helfershelfer gegen alle Angeschuldigten vorgingen, oder, wie Hoffmann es ausdrückt, ›das Gewebe heilloser Willkür, frecher Nichtachtung aller Gesetze, persönlicher Animosität‹; und dann die Tatsache, dass die getroffenen Maßregeln nicht nur gegen die Tat, sondern auch gegen die Gesinnung gerichtet waren.« [12]
Gegen Hoffmann wurde wegen »Verletzung der Sr. Majestät und seinen Vorgesetzten schuldigen Treue und Ehrfurcht«, wegen »gebrochener Amtsverschwiegenheit« und »öffentlicher grober Verleumdung eines Staatsbeamten in Ausübung seines Amtes« (so die Anklagen von Kamptzens) ein Disziplinarverfahren eröffnet, vor dessen Beendigung ihn jedoch sein frühzeitiger Tod im Alter von 45 Jahren am 25. Juni 1822 bewahrte.
Im Folgenden finden die werten Leser die beiden Kapitel, die die satirische Auseinandersetzung mit von Kamptz enthalten.
Die gesamte Geschichte können Sie hier als PDF herunterladen.
Meister Floh
Ein Märchen in sieben Abenteuern zweier Freunde von E.T.A. Hoffmann
Viertes Abenteuer
Unerwartetes Zusammentreffen zweier Freunde. Der Rat Knarrpanti und seine peinlichen Grundsätze. Liebesverzweiflung der Distel Zeherit. Optischer Zweikampf zweier Magier. Somnambuler Zustand der Prinzessin Gamaheh. Die Gedanken des Traums. Wie Dörtje Elverdink beinahe die Wahrheit spricht und die Distel Zeherit mit der Prinzessin Gamaheh von dannen rennt.
Sehr bald war der Fehlgriff des Wächters ausgemittelt, der den Herrn Pepusch als einen nächtlichen Dieb, welcher einzubrechen versucht, zur Haft gebracht hatte. Man wollte indessen einige Unrichtigkeiten in seinen Pässen bemerkt haben, und dies war die Ursache, warum man ihn ersuchte, irgendeinen angemessenen Bürger in Frankfurt als Gewährsmann aufzustellen, bis dahin sich aber den Aufenthalt auf dem Bürgermeisteramt gefallen zu lassen.
Da saß nun Herr George Pepusch in einem ganz artigen Zimmer und sann hin und her, wen er wohl in Frankfurt als seinen Gewährsmann aufstellen könne. So lange war er abwesend gewesen, dass er befürchten musste, selbst von denen vergessen worden zu sein, die ihn vormals recht gut gekannt hatten, und an sonstigen Adressen fehlte es ihm gänzlich.
Ganz missmutig sah er zum Fenster heraus und begann laut sein Schicksal zu verwünschen. Da wurde dicht neben ihm ein anderes Fenster geöffnet, und eine Stimme rief: »Wie? sehe ich recht? Bist du es, George?« – Herr Pepusch war nicht wenig erstaunt, als er den Freund erblickte, mit dem er während seines Aufenthalts in Madras den vertrautesten Umgang gepflogen.
»Wetter«, sprach Herr Pepusch, »Wetter, wie man so vergesslich, ja so ganz vor den Kopf geschlagen sein kann! Ich wusst’ es ja, dass du glücklich in den heimatlichen Stapel eingelaufen bist. Wunderdinge habe ich in Hamburg von deiner seltsamen Lebensweise gehört, und nun ich hier angekommen, denke ich nicht daran, dich aufzusuchen. Doch wer solche Dinge im Kopfe hat als ich – nun, es ist gut, dass der Zufall mir dich zugeführt. Du siehst, ich bin verhaftet, du kannst mich aber augenblicklich in Freiheit setzen, wenn du Gewähr leistest, dass ich wirklich der George Pepusch bin, den du seit langen Jahren kennest, und kein Spitzbube, kein Räuber!«
»Ich bin«, rief Herr Peregrinus Tyß, »in der Tat jetzt ein herrlicher tadelsfreier Gewährsmann, da ich selbst verhaftet eines schweren Verbrechens halber, das ich nicht kenne, ja von dem ich auch nicht die leiseste Ahnung habe.« –
Doch, es möchte geraten sein, das Gespräch der beiden Freunde, die sich auf eine Weise wiederfanden, wie sie es wohl nicht vermutet, zu unterbrechen und dem geneigten Leser zu sagen, was es mit der Verhaftung des Herrn Peregrinus Tyß für eine Bewandtnis hatte. Es ist schwer, ja wohl unmöglich darzutun, wie Gerüchte entstehen; sie gleichen dem Winde, von dem man nicht weiß, woher er kommt und wohin er fährt. So hatte sich auch in der Stadt das Gerücht verbreitet, dass am Weihnachtsabende aus einer großen Gesellschaft, die bei einem reichen Bankier versammelt gewesen, eine sehr vornehme Dame auf unbegreifliche Weise entführt worden. Jeder sprach davon, nannte den Namen des Bankiers und klagte laut, dass die Polizei wenig wachsam sein müsse, wenn eine solche gewaltsame Tat ohne Scheu verübt werden dürfe. Der Rat konnte nicht umhin, Nachforschungen anzustellen; alle Gäste, die am Weihnachtsabende bei dem Bankier gewesen, wurden vernommen; jeder sagte: allerdings sei, wie er gehört habe, eine vornehme Dame aus der Gesellschaft entführt worden, und der Bankier bedauerte gar sehr, dass in seinem Hause solch ein Streich geschehen. Keiner wusste indessen den Namen der entführten Dame anzugeben, und als der Bankier die Liste seiner Gäste einreichte, fand es sich, dass keine einzige von den Damen, die zugegen gewesen, vermisst wurde. War dies nun auch der Fall mit sämtlichen einheimischen und fremden Frauen und Mädchen in der ganzen Stadt, von denen keiner am Weihnachtsabende Leids geschehen, so sah der Rat, wie es nicht anders geschehen konnte, das entstandene Gerücht für völlig grundlos und die ganze Sache für erledigt an.
Da erschien aber vor dem Rat ein seltsamer Mensch, sowohl seiner Kleidung als seinem Wesen nach, welcher sagte, er sei Geheimer Hofrat und nenne sich Knarrpanti.[13] Darauf zog er ein Papier mit einem großen Siegel aus der Tasche und überreichte es mit einer höflichen Verbeugung und einer Miene, die deutlich aussprach, wie sehr der Rat durch die hohe Würde, die er, der Geheime Hofrat Knarrpanti, bekleide, und durch den wichtigen Auftrag, den er erhalten, überrascht sein, und welcher Respekt ihm nun erwiesen werden würde. Knarrpanti war ein sehr wichtiger Mann, ein sogenanntes Faktotum an dem Hofe eines kleinen Fürsten, auf dessen Namen sich der Herausgeber nicht besinnen kann[14] und von dem nur zu sagen ist, dass es ihm beständig an Gelde fehlte und dass von allen Staatseinrichtungen, die er aus der Geschichte kannte, ihm keine besser gefiel als die Geheime Staats-Inquisition, wie sie ehemals in Venedig stattfand. Diesem Fürsten war wirklich vor einiger Zeit eine von seinen Prinzessinnen abhanden gekommen, man wusste nicht recht, wie?[15] Als nun dem Knarrpanti, der sich gerade in Frankfurt befand, um womöglich einiges Geld für seinen Herrn aufzuborgen, das Gerücht von der entführten vornehmen Dame zu Ohren kam, schrieb er sogleich an den Fürsten, dass es seinen Bemühungen gelungen, der verlornen Prinzessin auf die Spur zu kommen. Darauf erhielt er sofort den Auftrag, den Räuber zu verfolgen und alles anzuwenden, die Prinzessin aufzufinden und sich ihrer zu bemächtigen, koste es, was es wolle. Diesem Auftrag war ein höfliches Schreiben an den Rat beigelegt, worin derselbe ersucht wurde, dem Geheimen Hofrat Knarrpanti in seinen Nachforschungen möglichst beizustehen und auf seinen Antrag den Räuber zu verhaften und ihm den Prozess zu machen. Dies Schreiben war aber jenes Papier, welches Knarrpanti dem Rat in der Audienz überreichte und von dem er sich solch große Wirkung versprach.
Der Rat erwiderte, das Gerücht von einer vornehmen Dame, die entführt sein solle, sei als grundlos widerlegt, dagegen vollkommen ermittelt, dass überhaupt niemand entführt worden, es könne daher von der Ausmittlung eines Entführers nicht die Rede sein und werde der Herr Geheime Hofrat Knarrpanti, aller weiteren Nachforschungen entübrigt, wohl keines Beistandes bedürfen. Knarrpanti hörte dies alles mit einem selbstzufriedenen Lächeln an und versicherte, dass es seiner ungemeinen Sagazität bereits gelungen, den Täter zu erforschen. Auf die Erinnerung, dass doch eine Tat begangen sein müsse, wenn es einen Täter geben solle, meinte Knarrpanti, dass, sei erst der Verbrecher ausgemittelt, sich das begangene Verbrechen von selbst finde. Nur ein oberflächlicher leichtsinniger Richter sei, wenn auch selbst die Hauptanklage wegen Verstocktheit des Angeklagten nicht festzustellen, nicht imstande, dies und das hineinzuinquirieren, welches dem Angeklagten doch irgendeinen kleinen Makel anhänge und die Haft rechtfertige. Er müsse schon jetzt dringend auf die schleunige Verhaftung des Entführers seiner Prinzessin antragen, und dieser Entführer sei niemand anders, als Herr Peregrinus Tyß, der ihm schon längst als höchst verdächtig bekannt und dessen Papiere er sofort in Beschlag zu nehmen bitte.
Der Rat erstaunte über die kecke Anklage eines stillen unbescholtenen Bürgers und wies Knarrpantis Antrag mit vielem Geräusch zurück.
Knarrpanti kam nicht im mindesten aus der Fassung, sondern versicherte mit einer gewissen widerlichen Anmaßung, die ihm überhaupt eigen, dass, verlange man von ihm zuvor den Nachweis seiner Anklage, er diesen sehr leicht führen könne. Durch zwei Zeugen wolle er nämlich dartun, dass Herr Peregrinus Tyß in der Weihnachtsnacht mit Gewalt ein schön geputztes Mädchen in sein Haus geschleppt habe.
Mehr, um die Absurdität dieser Behauptung völlig darzutun, als um auf diese Sache wirklich einzugehen, beschloss der Rat, die beiden vorgeschlagenen Zeugen vernehmen zu lassen. Beide, ein Nachbar des Herrn Peregrinus Tyß, der in jener verhängnisvollen Weihnachtsnacht zufällig eben in sein Haus treten wollen, sowie der Wächter hatten aus der Ferne den ganzen Auftritt, als Peregrinus die geheimnisvolle Schöne herbeitrug, beobachtet und bekundeten einstimmig, dass Herr Tyß allerdings eine geputzte Dame in sein Haus gebracht. Beide wollten denn auch bemerkt haben, dass die Dame sich sehr gesträubt und jämmerlich lamentiert. Auf die Frage, warum sie denn dem bedrängten Frauenzimmer nicht zu Hülfe geeilt, erwiderten sie, solches sei ihnen nicht eingefallen. Die Aussage dieser Zeugen setzte den Rat in nicht geringe Verlegenheit, da Herr Peregrinus sich wirklich des Vergehens schuldig gemacht zu haben schien, dessen man ihn anklagte. Knarrpanti sprach wie ein Cicero und bewies, wie der Umstand, dass man jetzt keine Dame vermisse, gar nichts entscheide, da die Dame sich ja wieder aus Peregrinus’ Hause gerettet haben und nun aus purer Scham den ganzen Vorfall verschweigen könne. Wer die Dame sei, sowie was Herr Tyß noch sonst in gefährlichen Liebesumtrieben begonnen, das würde sich gewiss aus des Verbrechers Papieren ergeben, und er nehme die Gerechtigkeitsliebe des Rats in Anspruch, nach der gewiss keine fluchwürdige Tat ungeahndet bleiben dürfe. Der Rat beschloss fürs erste, dem Gesuch des würdigen Geheimen Hofrats nachzugeben, und so geschah es, dass des armen Herrn Peregrinus Tyß schnelle Verhaftung sowie die Beschlagnahme seiner Papiere erfolgte.
Wir kehren zu den beiden Freunden, die nebeneinander die Köpfe aus den Fenstern ihrer Gefängnisse gesteckt haben, zurück. – Peregrinus hatte dem Freunde ausführlich erzählt, wie er bei seiner Rückkehr nach Frankfurt sich verwaist gefunden und seitdem in völliger Abgeschiedenheit nur in der Erinnerung an die früheren Tage mitten in der geräuschvollen Stadt ein einsames freudenloses Leben führe.
»O, ja«, erwiderte Pepusch mürrisch, »ich habe davon gehört, mir sind die Narrenspossen erzählt worden, die du treibst, um das Leben zu verbringen in kindischer Träumerei. Du willst ein Held der Gemütlichkeit, der Kindlichkeit sein, und darum verhöhnst du die gerechten Ansprüche, die das Leben, die menschliche Gesellschaft an dich macht. Du gibst eingebildete Familienschmäuse und spendest die köstlichen Speisen, die teuern Weine, die du für Tote auftischen ließest, den Armen. Du bescherst dir selbst den Heilgen Christ ein und tust, als seist du noch ein Kind, dann schenkst du aber die Gaben, welche von der Art sind, wie sie wohl verwöhnten Kindern in reicher Eltern Hause gespendet zu werden pflegen, armen Kindern. Aber du bedenkst nicht, dass es den Armen eine schlechte Wohltat ist, wenn du einmal ihren Gaumen kitzelst und sie nachher ihr Elend doppelt fühlen, wenn sie aus nagendem Hunger kaum genießbare Speise, die mancher leckere Schoßhund verwirft, kauen müssen – ha, wie mir diese Armenfütterungen anekeln, wenn ich bedenke, dass das, was an einem Tage verspendet wird, hinreichen würde, sie Monate hindurch zu ernähren auf mäßige Weise! – Du überhäufst die Kinder armer Leute mit glänzenden Spielsachen und bedenkst nicht, dass ein hölzerner buntbemalter Säbel, ein Lumpenpüppchen, ein Kuckuck, ein geringes Naschwerk, von Vater und Mutter einbeschert, sie ebenso, ja vielleicht noch mehr erfreut. Aber sie fressen sich überdem an deinem verdammten Marzipan matt und krank, und mit der Kenntnis glänzenderer Gaben, die ihnen in der Folge versagt bleiben, ist der Keim der Unzufriedenheit, des Missmutes in ihre Seele gepflanzt. Du bist reich, du bist lebenskräftig, und doch entziehst du dich jeder Mitteilung und vereitelst so jedes freundliche Annähern dir wohlwollender Gemüter. Ich will es glauben, dass der Tod deiner Eltern dich erschüttert hat, aber wenn jeder, der einen empfindlichen Verlust erlitten hat, in sein Schneckenhaus kriechen sollte, so würde, beim Teufel, die Welt einem Leichenhause gleichen, und ich wollte nicht darin leben. Aber, Patron! weißt du wohl, dass dich die störrigste Selbstsucht regiert, die sich hinter einer albernen Menschenscheue versteckt? – Geh, geh, Peregrinus, ich kann dich nicht mehr achten, nicht mehr dein Freund sein, wenn du dein Leben nicht änderst, die fatale Wirtschaft in deinem Hause nicht aufgibst!«
Peregrinus schnappte mit dem Daumen, und sogleich warf ihm Meister Floh das mikroskopische Glas ins Auge.[16] Die Gedanken des zürnenden Pepusch lauteten: »Ist es nicht ein Jammer, dass ein solcher gemütlicher verständiger Mensch auf solche bedrohliche Abwege geraten konnte, die ihn zuletzt zu völliger Abgespanntheit aller bessern Kräfte bringen können? Aber es ist gewiss, dass sein weiches, zum Trübsinn geneigtes Gemüt den Stoß nicht ertragen konnte, den ihm der Tod der Eltern versetzte, und dass er Trost in einem Treiben suchte, das an Wahnsinn grenzt. Er ist verloren, wenn ich ihn nicht rette. Ich will ihm desto härter zusetzen, mit desto grelleren Farben ihm das Bild seiner Torheit aufstellen, je mehr ich ihn hochschätze, sein wahrer Freund bin und bleibe.« Peregrinus erkannte an diesen Gedanken, dass er in dem mürrischen Pepusch seinen alten wahrhaften Freund unverändert wiedergefunden.
»George«, sprach Peregrinus, nachdem ihm Meister Floh wieder das mikroskopische Glas aus der Pupille genommen, »George, ich mag mit dir gar nicht darüber rechten, was du über das Tadelnswerte meiner Lebensweise sagst, denn ich weiß, dass du es sehr gut mit mir meinst. Doch muss ich dir sagen, dass es meine Brust hoch erhebt, wenn ich den Armen einen Freudentag bereiten kann, und ist dies, unerachtet ich dabei an niemanden weniger denke als an mich selbst, gehässige Selbstsucht, so fehle ich wenigstens unbewußt. Das sind die Blumen in meinem Leben, das mir sonst vorkommt, wie ein trauriges unwirtbares Feld voll Disteln.«
»Was«, fuhr George Pepusch heftig auf, »was sprichst du von Disteln? warum verachtest du Disteln und setzest sie den Blumen entgegen? – Bist du so wenig erfahren in der Naturkunde, um nicht zu wissen, dass die wunderherrlichste Blume, die es nur geben mag, nichts anders ist als die Blüte einer Distel? Ich meine den Cactus grandiflorus. Und ist die Distel Zeherit nicht eben wieder der schönste Cactus unter der Sonne? – Peregrinus, ich habe es dir so lange verschwiegen, oder vielmehr verschweigen müssen, weil ich selbst die klare Erkenntnis davon nicht hatte, aber jetzt erfahre es, dass ich selbst die Distel Zeherit bin und meine Ansprüche auf die Hand der Tochter des würdigen Königs Sekakis, der holden, himmlischen Prinzessin Gamaheh, durchaus nicht aufgeben will und werde. Ich habe sie gefunden, aber in demselben Augenblick erfassten mich dämonische Wächter und Bürgerwachen und schleppten mich ins Gefängnis.«
»Wie«, rief Peregrinus halb erstarrt vor Erstaunen, »auch du, George, bist verflochten in die seltsamste aller Geschichten?«
»Was für eine Geschichte?« fragte Pepusch.
Peregrinus nahm gar keinen Anstand, auch seinem Freunde wie Herrn Swammer alles zu erzählen, was sich bei dem Buchbinder Lämmerhirt und darauf in seinem Hause begeben. Er verschwieg auch nicht die Erscheinung des Meisters Floh, wiewohl, man mag es wohl denken, den Besitz des geheimnisvollen Glases.
Georges Augen brannten, er biss sich in die Lippen, er schlug sich vor die Stirn, er rief, als Peregrinus geendet, in voller Wut: »Die Verruchte! die Treulose! die Verräterin!« – Um in der Selbstqual verzweifelter Liebe jeden Tropfen aus dem Giftbecher, den ihm Peregrinus, ohne es zu ahnen, gereicht, gierig auszukosten, ließ er sich jeden kleinen Zug von Dörtjes Beginnen wiederholen. Dazwischen murmelte er: »In den Armen – an der Brust – glühende Küsse –.« Dann sprang er vom Fenster zurück, lief in der Stube umher und gebärdete sich wie ein Rasender. Vergebens rief Peregrinus ihm zu, er möge ihn doch nur weiter hören, er habe ihm noch viel Tröstliches zu sagen; Pepusch ließ nicht nach mit Toben.
Das Zimmer wurde aufgeschlossen, und ein Abgeordneter des Rats kündigte dem Herrn Peregrinus Tyß an, dass gar kein gesetzlicher Grund zu seiner längeren Haft gefunden worden und er zurückkehren könne in seine Wohnung.
Den ersten Gebrauch, den Peregrinus von seiner wiedererlangten Freiheit machte, war, dass er sich als Gewährsmann für den verhafteten George Pepusch gestellte, dem er bezeugte, dass er wirklich der George Pepusch sei, mit dem er, in innigster Freundschaft verbunden, zu Madras gelebt und der ihm als ein vermögender, ganz unbescholtener Mann bekannt sei. Von der Distel Zeherit, der schönsten aller Fackeldisteln, schwieg Peregrinus wohlweislich, da er einsah, dass unter den vorwaltenden Umständen dies dem Freunde hätte mehr schädlich als nützlich werden können. –
Meister Floh ergoss sich in sehr philosophischen, lehrreichen Betrachtungen, die darauf hinausliefen, dass die Distel Zeherit, trotz der rauhen störrigen Außenseite, sehr human und verständig sei, jedoch sich stets ein wenig zu anmaßend zeige. Im Grunde genommen habe die Distel mit vollem Recht die Lebensweise des Herrn Peregrinus getadelt, sei auch dies in etwas zu harten Ausdrücken geschehen. Er seinerseits wolle wirklich dem Herrn Peregrinus raten, sich von nun an in die Welt zu begeben.
»Glaubt mir«, so sprach Meister Floh, »glaubt mir, Herr Peregrinus, es wird Euch gar manchen Nutzen bringen, wenn Ihr Eure Einsamkeit verlasst. Fürs erste dürftet Ihr nicht mehr fürchten, scheu und verlegen zu erscheinen, da Ihr, das geheimnisvolle Glas im Auge, die Gedanken der Menschen beherrscht, es daher ganz unmöglich ist, dass Ihr nicht überall den richtigen Takt behaupten solltet. Wie fest, wie ruhig könnet Ihr vor den höchsten Häuptern auftreten, da ihr Innerstes klar vor Euern Augen liegt. Bewegt Ihr Euch frei in der Welt, so wird Euer Blut leichter fließen, jedes trübsinnige Brüten aufhören und, was das Beste ist, bunte Ideen und Gedanken werden aufgehen in Euerm Gehirn, das Bild der schönen Gamaheh wird von seinem Glanz verlieren, und bald seid Ihr dann besser imstande, mir Wort zu halten.«
Herr Peregrinus fühlte, dass beide, George Pepusch und Meister Floh, es sehr gut mit ihm meinten, und er nahm sich vor, ihren weisen Rat zu befolgen. Doch sowie er die süße Stimme der holden Geliebten vernahm, welche öfters sang und spielte, so glaubte er nicht, wie es möglich sein werde, das Haus zu verlassen, das ihm zum Paradiese geworden.
Endlich gewann er es doch über sich, einen öffentlichen Spaziergang zu besuchen. Meister Floh hatte ihm das Glas ins Auge gesetzt und Platz genommen im Jabot, wo er sich sanft hin und her zu schaukeln wusste.
»Habe ich endlich das seltene Vergnügen, meinen guten lieben Herrn Tyß wiederzusehen? Sie machen sich rar, bester Freund, und alles schmachtet doch nach Ihnen. Lassen Sie uns irgendwo eintreten, eine Flasche Wein leeren auf Ihr Wohl, mein Herzensfreund. – Wie ich mich freue, Sie zu sehen!« So rief ihm ein junger Mann entgegen, den er kaum zwei-, dreimal gesehen. Die Gedanken lauteten: »Kommt der alberne Misanthrop auch einmal zum Vorschein? – Aber ich muss ihm schmeicheln, weil ich nächstens Geld von ihm borgen will. Er wird doch nicht des Teufels sein und meine Einladung annehmen? Ich habe keinen Groschen Geld, und kein Wirt borgt mir mehr.«
Zwei sehr zierlich gekleidete junge Mädchen traten dem Peregrinus geradezu in den Weg. Es waren Schwestern, weitläufig mit ihm verwandt.
»Ei«, rief die eine lachend, »ei, Vetterchen, trifft man Sie einmal? Es ist gar nicht hübsch von Ihnen, dass Sie sich so einsperren, dass Sie sich nicht sehen lassen. Sie glauben nicht, wie Mütterchen Ihnen gut ist, weil Sie solch ein verständiger Mensch sind. Versprechen Sie mir, bald zu kommen – Da! – Küssen Sie mir die Hand.« – Die Gedanken lauteten: »Wie, was ist das? was ist mit dem Vetter vorgegangen? Ich wollte ihn recht in Furcht und Angst setzen. Sonst lief er vor mir, vor jedem Frauenzimmer, und jetzt bleibt er stehen und kuckt mir so ganz sonderbar ins Auge und küsst mir die Hand ohne alle Scheu? Sollte er in mich verliebt sein? Das fehlte noch! – Die Mutter sagt, er sei etwas dämisch. Was tut’s, ich nehm’ ihn; ein dämischer Mann ist, wenn er reich ist, wie der Vetter, eben der beste.« Die Schwester hatte mit niedergeschlagenen Augen und hochroten Wangen bloß gelispelt: »Ja, besuchen Sie uns recht bald, lieber Vetter!« – Die Gedanken lauteten: »Der Vetter ist ein recht hübscher Mensch, und ich begreife nicht, warum ihn die Mutter albern und abgeschmackt nennt und ihn nicht leiden mag. Wenn er in unser Haus kommt, verliebt er sich in mich, denn ich bin das schönste Mädchen in ganz Frankfurt. Ich nehme ihn, weil ich einen reichen Menschen heiraten will, damit ich bis elf Uhr schlafen darf und teurere Shawls tragen kann als die Frau von Carsner.« Ein vorüberfahrender Arzt ließ, als er den Peregrinus erblickte, den Wagen anhalten und schrie zum Schlage heraus: »Guten Morgen, bester Tyß! – Sie sehen aus wie das Leben! der Himmel erhalte Sie bei guter Gesundheit! Aber wenn Ihnen was zustoßen sollte, so denken Sie an mich, an den alten Freund Ihres seligen Herrn Vaters. – Solchen kräftigen Naturen helfe ich auf die Beine in weniger Zeit! Adieu!« Die Gedanken lauteten: »Ich glaube, der Mensch ist aus purem Geiz beständig gesund? Aber er sieht mir so blass, so verstört aus, er scheint mir endlich was am Halse zu haben. Nun! kommt er mir unter die Hände, so soll er nicht wieder so bald vom Lager aufstehen; er soll tüchtig büßen für seine hartnäckige Gesundheit.«
»Sei’n Sie schönstens gegrüßt, Wohledler«, rief ihm gleich darauf ein alter Kaufmann entgegen; »sehen Sie, wie ich laufe und renne, wie ich mich plagen muss der Geschäfte halber. Wie weise ist es, dass Sie sich den Geschäften entzogen, unerachtet es bei Ihren Einsichten Ihnen gar nicht fehlen könnte, den Reichtum Ihres braven Herrn Vaters zu verdoppeln.«
Die Gedanken lauteten: »Wenn der Mensch nur Geschäfte machen wollte, der verwirrte Einfaltspinsel würde in kurzer Zeit seinen ganzen Reichtum verspekulieren, und das wäre denn ein Gaudium. Der alte Herr Papa, der seine Freude daran hatte, andere ehrliche Leute, die sich durch ein klein Bankerottchen aufhelfen wollten, schonungslos zu ruinieren, würde sich im Grabe umdrehen.« –
Noch viel mehr solche schneidende Widersprüche zwischen Worten und Gedanken liefen dem Peregrinus in den Weg. Stets richtete er seine Antworten mehr nach dem ein, was die Leute gedacht, als nach dem, was sie gesprochen, und so konnt’ es nicht fehlen, dass, da Peregrinus in der Leute Gedanken eingedrungen, sie selbst gar nicht wussten, was sie von dem Peregrinus denken sollten. Zuletzt fühlte sich Herr Peregrinus ermüdet und betäubt. Er schnappte mit dem Daumen, und sogleich verschwand das Glas aus der Pupille des linken Auges. Als Peregrinus in sein Haus trat, wurde er durch ein seltsames Schauspiel überrascht. Ein Mann stand in der Mitte des Flurs und sah durch ein seltsam geformtes Glas unverwandten Blickes nach Herrn Swammers Stubentüre. Auf dieser Türe spielten aber sonnenhelle Kreise in Regenbogenfarben, fuhren zusammen in einen feurig glühenden Punkt, der durch die Türe zu dringen schien. Sowie dies geschehen, vernahm man ein dumpfes Ächzen, von Schmerzenslauten unterbrochen, das aus dem Zimmer zu kommen schien.
Zu seinem Entsetzen glaubte Herr Peregrinus Gamahehs Stimme zu erkennen.
»Was wollen Sie? was treiben Sie hier?« So fuhr Peregrinus auf den Mann los, der wirklich Teufelskünste zu treiben schien, indem stets rascher, stets feuriger die Regenbogenkreise spielten, stets glühender der Punkt hineinfuhr, stets schmerzlicher die Jammerlaute aus dem Zimmer ertönten.
»Ah«, sprach der Mann, indem er seine Gläser zusammenschob und schnell einsteckte, »ah, sieh da, der Herr Wirt! Verzeihen Sie, bester Herr Tyß, dass ich hier ohne Ihre gütige Erlaubnis operiere. Aber ich war bei Ihnen, um mir diese Erlaubnis zu erbitten. Da sagte mir aber die gute freundliche Aline, dass Sie ausgegangen wären, und die Sache hier unten litt keinen Aufschub.«
»Welche Sache?« fragte Peregrinus ziemlich barsch, »welche Sache hier unten ist’s, die keinen Aufschub leidet?«
»Sollten Sie«, fuhr der Mann mit widrigem Lächeln fort, »sollten Sie, wertester Herr Tyß, denn nicht wissen, dass mir meine ungeratene Nichte Dörtje Elverdink entlaufen ist? Sie sind ja, wiewohl mit großem Unrecht, als ihr Entführer verhaftet worden, weshalb ich denn auch, sollte es darauf ankommen, mit vielem Vergnügen Ihre völlige Unschuld bezeugen werde. Nicht zu Ihnen, nein, zu dem Herrn Swammerdamm, der sonst mein Freund war, sich aber jetzt in meinen Feind verkehrt hat, ist die treulose Dörtje geflüchtet. Sie sitzt hier im Zimmer, ich weiß es, und zwar allein, da Herr Swammerdamm ausgegangen. Eindringen kann ich nicht, da die Türe fest verschlossen und verriegelt ist, ich aber viel zu gutmütig bin, um Gewalt anzuwenden. Deshalb nehme ich mir die Freiheit, die Kleine mit meinem optischen Marter-Instrument etwas zu quälen, damit sie doch erkenne, dass ich, trotz ihres eingebildeten Prinzessintums, ihr Herr und Meister bin.«
»Der Teufel«, schrie Peregrinus im höchsten Grimm, »der Teufel sind Sie, Herr! aber nicht Herr und Meister der holden himmlischen Gamaheh. Fort aus dem Hause, treiben Sie Ihre Satanskünste, wo Sie wollen, aber hier scheitern Sie damit, dafür werde ich sorgen!«
»Ereifern«, sprach Leuwenhoek, »ereifern Sie sich doch nur nicht, bester Herr Tyß, ich bin ein unschuldiger Mann, der nichts will als alles Gute. Sie wissen nicht, wessen Sie sich annehmen. Es ist ein kleiner Unhold, ein kleiner Basilisk, der dort im Zimmer sitzt in der Gestalt des holdesten Weibleins. Möchte sie, wenn ihr der Aufenthalt bei meiner Wenigkeit durchaus missfiel, doch geflohen sein, aber durfte die treulose Verräterin mir mein schönstes Kleinod, den besten Freund meiner Seele, ohne den ich nicht leben, nicht bestehen kann, rauben? – Durfte sie mir den Meister Floh entführen? – Sie werden, Verehrtester, nicht verstehen, was ich meine, aber –«
Hier konnte sich Meister Floh, der von dem Jabot des Herrn Peregrinus hinaufgesprungen war und den sicheren und bequemeren Platz in der Halsbinde eingenommen hatte, nicht enthalten, ein feines höhnisches Gelächter aufzuschlagen.
»Ha«, rief Leuwenhoek, wie vom jähen Schreck getroffen, »ha! was war das! – sollte es doch möglich sein? – ja, hier an diesem Orte! – erlauben Sie doch, verehrtester Herr Peregrinus!« Damit streckte Leuwenhoek den Arm aus, trat dicht heran an Herrn Peregrinus und wollte nach seiner Halsbinde greifen.
Peregrinus wich ihm aber geschickt aus, fasste ihn mit starker Faust und schleppte ihn nach der Haustüre, um ihn ohne weiteres hinauszuwerfen. Eben als Peregrinus sich mit Leuwenhoek, der sich in ohnmächtigen Protestationen erschöpfte, dicht an der Türe befand, wurde diese von außen geöffnet, und hinein stürmte George Pepusch, hinter ihm aber Herr Swammerdamm.
Sowie Leuwenhoek seinen Feind Swammerdamm erblickte, riss er sich los mit der höchsten Anstrengung seiner letzten Kräfte, sprang zurück und stemmte sich mit dem Rücken gegen die Türe des verhängnisvollen Zimmers, wo die Schöne gefangen saß.
Swammerdamm zog, dies gewahrend, ein kleines Fernglas aus der Tasche, schob es lang aus und ging dem Feinde zu Leibe, indem er laut rief: »Zieh, Verdammter, wenn du Courage hast!«
Schnell hatte Leuwenhoek ein ähnliches Instrument in der Hand, schob es ebenfalls auseinander und schrie: »Nur heran, ich stehe dir, bald sollst du meine Macht fühlen!« – Beide setzten sich nun die Ferngläser ans Auge und fielen grimmig gegeneinander aus mit scharfen mörderischen Streichen, indem sie ihre Waffen durch Aus- und Einschieben bald verlängerten, bald verkürzten. Da gab es Finten, Paraden, Volten, kurz alle nur möglichen Fechterkünste, und immer mehr schienen sich die Gemüter zu erhitzen. Wurde einer getroffen, so schrie er laut auf, sprang in die Höhe, machte die wunderlichsten Kapriolen, die schönsten Entrechats, Pirouetten, wie der beste Solotänzer von der Pariser Bühne, bis der andere ihn mit dem verkürzten Fernglase fest fixierte. Geschah diesem nun Gleiches, so machte er es ebenso. So wechselten sie mit den ausgelassensten Sprüngen, mit den tollsten Gebärden, mit dem wütendsten Geschrei; der Schweiß troff ihnen von der Stirne herab, die blutroten Augen traten ihnen zum Kopfe heraus, und da man nur ihr wechselseitiges Anblicken durch die Ferngläser, sonst aber keine Ursache ihres Veitstanzes gewahrte, so musste man sie für Rasende halten, die dem Irrenhause entsprungen. – Die Sache war übrigens ganz artig anzusehen. –
Herrn Swammerdamm gelang es endlich, den bösen Leuwenhoek aus seiner Stellung an der Türe, die er mit hartnäckiger Tapferkeit behauptet, zu vertreiben und den Kampf in den Hintergrund des Flurs zu spielen.
George Pepusch nahm den Augenblick wahr, drückte die freigewordene Türe, die weder verschlossen noch verriegelt war, auf und schlüpfte ins Zimmer hinein. Sogleich stürzte er aber auch wieder heraus, schrie: »Sie ist fort – fort!« und eilte mit Blitzesschnelle aus dem Hause von dannen. – Beide, Leuwenhoek und Swammerdamm, hatten sich schwer getroffen, denn beide hüpften, tanzten auf ganz tolle Weise und machten dazu mit Heulen und Schreien eine Musik, die dem Wehgeschrei der Verdammten in der Hölle zu gleichen schien.
Peregrinus wusste in der Tat nicht recht, was er beginnen sollte, die Wütenden auseinanderzubringen und so einen Auftritt zu endigen, der ebenso lächerlich als entsetzlich war. Endlich gewahrten beide, dass die Türe des Zimmers weit offen stand, vergaßen Kampf und Schmerz, steckten die verderblichen Waffen ein und stürzten sich ins Zimmer.
Schwer fiel es nun erst dem Herrn Peregrinus Tyß aufs Herz, dass die Schönste aus dem Hause entflohen, er verwünschte den abscheulichen Leuwenhoek in die Hölle. Da ließ sich auf der Treppe Alinens Stimme vernehmen. Sie lachte laut und rief wiederum dazwischen: »Was man nicht alles erlebt! Wundersam – unglaublich – Wer hätte sich das träumen lassen!«
»Was ist«, fragte Peregrinus kleinlaut, »was ist denn schon wieder Unglaubliches vorgefallen?«
»O lieber Herr Tyß«, rief ihm die Alte entgegen, »kommen Sie doch nur schnell herauf, gehen Sie doch nur in Ihr Zimmer.«
Die Alte öffnete ihm schalkisch kichernd die Tür seines Gemachs. Als er hineintrat, da, o Wunder! o Wonne! hüpfte ihm die holde Dörtje Elverdink entgegen, gekleidet in das verführerische Gewand von Silberzindel, wie er sie bei dem Herrn Swammer erblickt. »Endlich, endlich sehe ich dich wieder, mein süßer Freund«, lispelte die Kleine, und wusste sich dem Peregrinus so anzuschmiegen, dass er nicht umhin konnte, sie, aller guten Vorsätze unerachtet, auf das zärtlichste zu umarmen. Die Sinne wollten ihm vergehen vor Entzücken und Liebeslust. –
Wohl oft hat es sich aber begeben, dass jemand gerade im höchsten Rausch der überschwänglichsten Wonne sich recht derb die Nase stieß und plötzlich geweckt durch den irdischen Schmerz aus dem seligen Jenseits hinabfiel in das ordinäre Diesseits. Geradeso ging es Herrn Peregrinus. Als er sich nämlich hinabbückte, um Dörtjes süßen Mund zu küssen, stieß er sich ganz entsetzlich die nicht unansehnliche Nase an dem Diadem von funkelnden Brillanten, das die Kleine in den schwarzen Locken trug. Der empfindliche Schmerz des Stoßes an den eckicht geschliffenen Steinen brachte ihn hinlänglich zu sich selbst, um das Diadem zu gewahren. Das Diadem mahnte ihn aber an die Prinzessin Gamaheh, und dabei musste ihm wieder alles einfallen, was ihm Meister Floh von dem verführerischen Wesen gesagt hatte. Er bedachte, dass einer Prinzessin, der Tochter eines mächtigen Königs, unmöglich an seiner Liebe etwas gelegen sein könne und dass ihr ganzes Liebe atmendes Betragen wohl als gleisnerischer Trug gelten dürfe, durch den die Verräterin sich den zauberischen Floh wiederverschaffen wolle. – Dies betrachtend, glitt ein Eisstrom durch sein Innres, der die Liebesflamme, wenn auch nicht gänzlich auslöschte, so doch wenigstens dämpfte.
Peregrinus wand sich aus den Armen der Kleinen, die ihn liebend umfasst hatte. und sprach leise mit niedergeschlagenen Augen: »Ach du lieber Himmel! Sie sind ja doch die Tochter des mächtigen Königs Sekakis, die schöne, hohe, herrliche Prinzessin Gamaheh! – Verzeihung, Prinzessin, wenn mich ein Gefühl, dem ich nicht widerstehen konnte, hinriss zur Torheit, zum Wahnsinn. Aber Sie selbst, Durchlauchtige –«
»Was«, unterbrach Dörtje Elverdink den Peregrinus, »was sprichst du, mein holder Freund? Ich eines mächtigen Königs Tochter? ich eine Prinzessin? Ich bin ja deine Aline, die dich lieben wird bis zum Wahnsinn, wenn du – doch, wie ist mir denn? Aline, die Königin von Golkonda? die ist ja schon bei dir; ich habe mit ihr gesprochen. Eine gute, liebe Frau, doch alt ist sie geworden, und lange nicht mehr so hübsch als zur Zeit ihrer Verheiratung mit einem französischen General! – Weh mir! ich bin wohl nicht die rechte, ich habe wohl nie in Golkonda geherrscht? – Weh mir!«
Die Kleine hatte die Augen geschlossen und begann zu wanken. Peregrinus brachte sie auf den Sofa.
»Gamaheh«, fuhr sie wie somnambul sprechend fort, »Gamaheh sagst du? – Gamaheh, die Tochter des Königs Sekakis? Ja, ich erinnere mich, in Famagusta! – ich war eigentlich eine schöne Tulpe – doch nein, schon damals fühlte ich Sehnsucht und Liebe in der Brust – Still, still davon!«
Die Kleine schwieg, sie schien ganz einschlummern zu wollen. Peregrinus unternahm das gefährliche Wagestück, sie in eine bequemere Stellung zu bringen. Doch wie er die Holde sanft umschlang, stach ihn eine versteckte Nadel recht derb in den Finger. Seiner Gewohnheit nach schnappte er mit dem Daumen. Meister Floh hielt das aber für das verabredete Zeichen und setzte ihm augenblicklich das mikroskopische Glas in die Pupille.
So wie immer erblickte Peregrinus hinter der Hornhaut der Augen das seltsame Geflecht der Nerven und Adern, die bis in das tiefe Gehirn hineingingen. Aber durch dies Geflecht schlangen sich hell blinkende Silberfäden, wohl hundertmal dünner als die Fäden des dünnsten Spinngewebes, und eben diese Fäden, die endlos zu sein schienen, da sie sich hinausrankten aus dem Gehirn in ein selbst dem mikroskopischen Auge unentdeckbares Etwas, verwirrten, vielleicht Gedanken sublimerer Art, die andern von leichter zu erfassender Gattung. Peregrinus gewahrte bunt durcheinanderwirbelnde Blumen, die sich zu Menschen gestalteten, dann wieder Menschen, die in die Erde zerflossen und dann als Steine, Metalle hervorblinkten. Und dazwischen bewegten sich allerlei seltsame Tiere, die sich unzählichemal verwandelten und wunderbare Sprachen redeten. Keine Erscheinung passte zu der andern, und in der bangen Klage brustzerreißender Wehmut, die durch die Luft ertönte, schien sich die Dissonanz der Erscheinungen auszusprechen. Doch eben diese Dissonanz verherrlichte nur noch mehr die tiefe Grundharmonie, die siegend hervorbrach und alles, was entzweit geschienen, vereinigte zu ewiger namenloser Lust.
»Verwirrt«, zischelte Meister Floh, »verwirrt Euch nicht, guter Herr Peregrinus, das sind Gedanken des Traums, die Ihr da schaut. Sollte auch vielleicht noch etwas mehr dahinterstecken, so ist es wohl jetzt nicht an der Zeit, das weiter zu untersuchen. Ruft nur die verführerische Kleine bei ihrem rechten Namen und fragt sie denn aus, wie Ihr nur Lust habt.«
Da die Kleine verschiedene Namen führte, so hätte es, wie man denken sollte, dem Peregrinus schwerfallen müssen, den rechten zu treffen. Peregrinus rief aber, ohne sich im mindesten zu besinnen: »Dörtje Elverdink! holdes, liebes Mädchen, wäre es kein Trug? wäre es möglich, dass du mich wirklich lieben könntest?« Sogleich erwachte die Kleine aus ihrem träumerischen Zustande, schlug die Äugelein auf und sprach mit leuchtendem Blick: »Welche Zweifel, mein Peregrinus? Kann ein Mädchen wohl das beginnen, was ich begann, wenn nicht die glühendste Liebe ihre Brust erfüllt? Peregrinus, ich liebe dich wie keinen andern, und willst du mein sein, so bin ich dein mit ganzer Seele und bleibe bei dir, weil ich nicht von dir lassen kann und nicht etwa bloß, um der Tyrannei des Onkels zu entfliehen.«
Die Silberfäden waren verschwunden, und die gehörig geordneten Gedanken lauteten: »Wie ist das zugegangen? Erst heuchelte ich ihm Liebe, bloß um den Meister Floh mir und dem Leuwenhoek wiederzugewinnen, und jetzt bin ich ihm in der Tat gut geworden. Ich habe mich in meinen eignen Fallstricken gefangen. Ich denke kaum mehr an den Meister Floh; ich möchte ewig dem Mann angehören, der mir liebenswürdiger vorkommt als alle, die ich bis jetzt gesehen.«
Man kann sich vorstellen, wie diese Gedanken alles selige Entzücken in Peregrinus’ Brust entflammten. Er fiel vor der Holden nieder, bedeckte ihre Händchen mit tausend glühenden Küssen, nannte sie seine Wonne, seinen Himmel, sein ganzes Glück. –
»Nun«, lispelte die Kleine, indem sie ihn sanft an ihre Seite zog, »nun, mein Teurer, wirst du gewiss einen Wunsch nicht zurückweisen, von dessen Erfüllung die Ruhe, ja das ganze Dasein deiner Geliebten abhängt.« –
»Verlange«, erwiderte Peregrinus, indem er die Kleine zärtlich umschlang, »verlange alles, mein süßes Leben, alles was du willst, dein leisester Wunsch ist mir Gebot. Nichts in der Welt ist mir so teuer, dass ich es nicht dir, nicht deiner Liebe mit Freuden opfern sollte.«
»Weh mir«, zischelte Meister Floh. »Wer hätte das gedacht, dass die Treulose siegen sollte. – Ich bin verloren!« »So höre denn«, fuhr die Kleine fort, nachdem sie die glühenden Küsse, die Peregrinus auf ihre Lippen gedrückt, feurig erwidert hatte, »so höre denn, ich weiß, auf welche Art der –«
Die Türe sprang auf, und hinein trat Herr George Pepusch.
»Zeherit!« schrie wie in Verzweiflung die Kleine auf und sank leblos in den Sofa zurück.
Die Distel Zeherit flog aber auf die Prinzessin Gamaheh los, nahm sie in den Arm und rannte mit ihr blitzschnell von dannen.
Meister Floh war für diesmal gerettet. –
Fünftes Abenteuer
Merkwürdiger Prozess und ferneres weises, verständiges Benehmen des Herrn Geheimen Hofrates Knarrpanti. Gedanken junger dichterischer Enthusiasten und schriftstellerischer Damen. Peregrinus’ Betrachtungen über sein Leben und Meister Flohs Gelehrsamkeit und Verstand. Seltene Tugend und Standhaftigkeit des Herrn Tyß. Unerwarteter Ausgang eines bedrohlichen tragischen Auftritts.
Der geneigte Leser erinnert sich, dass die Papiere des Herrn Peregrinus Tyß in Beschlag genommen wurden, um einer Tat, die nicht geschehen, näher auf die Spur zu kommen. Beide, der Abgeordnete des Rats und der Geheime Hofrat Knarrpanti, hatten jede Schrift, jeden Brief, ja jedes Zettelchen, das vorgefunden (Wasch- und Küchenzettel nicht ausgenommen) auf das genaueste durchgelesen, waren aber nun rücksichts des Resultats ihrer Erforschung völlig verschiedener Meinung.
Der Abgeordnete versicherte nämlich, dass die Papiere auch nicht ein Wort enthielten, welches Bezug auf ein Verbrechen haben könne, wie es Peregrinus der Anklage nach begangen haben solle. Des Herrn Geheimen Hofrats Knarrpanti späherisches Falkenauge hatte dagegen gar vieles in den Schriften des Herrn Peregrinus Tyß entdeckt, das ihn als einen höchst gefährlichen Menschen darstellte. Peregrinus hatte sonst in seinen früheren Jünglingsjahren ein Tagebuch gehalten; in diesem Tagebuch gab es nun aber eine Menge verfänglicher Stellen, die rücksichts der Entführung junger Frauenzimmer nicht allein auf seine Gesinnung ein sehr nachteiliges Licht warfen, sondern ganz klar nachwiesen, dass er dies Verbrechen schon öfters begangen. –
So hieß es: »Es ist doch was Hohes, Herrliches um diese Entführung!« – Ferner: »Doch hab’ ich von allen die schönste entführt!« – Ferner: »Entführt habe ich ihm diese Mariane, diese Philine, diese Mignon!« – Ferner: »Ich liebe diese Entführungen.« – Ferner: »Entführt sollte, musste Julia werden, und es geschah wirklich, da ich sie auf einem einsamen Spaziergange im Walde von Vermummten überfallen und fortschleppen ließ.«
Außer diesen ganz entscheidenden Stellen im Tagebuche fand sich auch noch der Brief eines Freundes vor, in dem es verfänglicherweise hieß: »so möcht’ ich dich bitten, entführe ihm Friederiken, wo und wie du nur kannst.« Alle die erwähnten Worte nebst hundert andern Phrasen, waren nur die Wörter: Entführung, entführen, entführt darin enthalten, hatte der weise Knarrpanti nicht allein mit Rotstift dick unterstrichen, sondern noch auf einem besondern Blatte zusammengestellt, welches sich sehr hübsch ausnahm und mit welcher Arbeit er ganz besonders zufrieden schien.
»Sehen Sie wohl«, sprach Knarrpanti zu dem Abgeordneten des Rats, »sehen Sie wohl, wertester Herr Kollege, habe ich es nicht gesagt? Der Peregrinus Tyß ist ein verruchter abscheulicher Mensch, ein wahrer Don Juan. Wer weiß, wo die unglücklichen Schlachtopfer seiner Lüste hingekommen sind, die Mariane, die Philine und wie sie alle heißen mögen. Es war die höchste Zeit, dass dem Unwesen gesteuert wurde, sonst hätte der gefährliche Mensch durch seine entführerischen Umtriebe die gute Stadt Frankfurt in tausend Leid versetzen können. Was hat der Mensch schon nach seinen eignen Geständnissen für Verbrechen begangen! – Sehen Sie diese Stelle, bester Herr Kollege, und urteilen Sie selbst, wie der Peregrinus das Entsetzliche im Schilde führt.«
Die Stelle in dem Tagebuch, auf welche der weise Geheime Hofrat Knarrpanti den Abgeordneten des Rats aufmerksam machte, lautete: »Heute war ich leider mordfaul.« – Die Silbe mord war dreimal unterstrichen, und Knarrpanti meinte, ob jemand wohl verbrecherischere Gesinnungen an den Tag legen könne, als wenn er bedauere, heute keinen Mord verübt zu haben!
Der Abgeordnete wiederholte seine Meinung, dass in den Papieren des Herrn Peregrinus Tyß auch nicht die leiseste Spur eines Verbrechens merkbar geworden. Knarrpanti schüttelte ungläubig den Kopf, und der Abgeordnete bat ihn, doch noch einmal jene Stellen, die er selbst als verdächtig ausgezogen, anzuhören, wiewohl im bessern Zusammenhange.
Der geneigte Leser wird sich sehr bald von Knarrpantis sublimer Schlauheit ganz überzeugen. –
Der Abgeordnete schlug das verfängliche Tagebuch auf und las: »Heute sah ich im Theater Mozarts ›Entführung aus dem Serail‹ zum zwanzigstenmal mit demselben Entzücken. Es ist doch was Hohes, Herrliches um diese Entführung.« Ferner: »Die Blumen, sie konnten mir alle gefallen, doch hab’ ich von allen die schönste entführt.« Ferner: »Entführt habe ich ihm diese Mariane, diese Philine, diese Mignon, denn zu sehr vertiefte er sich in diese Gestaltungen, fantasierte von dem alten Hartner und zankte mit Jarno. ›Wilhelm Meister‹ ist kein Buch für solche, die eben aus schwerer Nervenkrankheit erstehen.« Ferner: »Jüngers ›Entführung‹[17] ist ein artiges Lustspiel. Ich liebe diese Entführungen, weil sie der Intrige ein besonderes Leben einhauchen.« Ferner: »Der zu wenig überdachte Plan brachte mich gewaltig in die Enge. Entführt sollte, musste Julia werden, und es geschah wirklich, da ich sie auf einem einsamen Spaziergange im Walde von Vermummten überfallen und fortschleppen ließ. Ich freute mich ungemein über diese neue Idee, die ich breit genug ausführte. Überhaupt war dies Trauerspiel ein gar drolliges Machwerk des begeisterten Knaben, und es tut mir leid, dass ich es ins Feuer geworfen.« – Der Brief lautete: »So oft siehst Du Friederiken in der Gesellschaft, Du Glücklicher! Wahrscheinlich lässt Moritz niemanden heran und nimmt ihre ganze Aufmerksamkeit in Beschlag. Wärst Du nicht so blöde, so weiberscheu, so möcht’ ich Dich bitten, entführe ihm Friederiken, wo und wie Du nur kannst.«
Knarrpanti blieb dabei, dass selbst der Zusammenhang die Sache nicht bessere, da es eben arglistige Schlauheit der Verbrecher sei, solche Äußerungen so zu verhüllen, dass sie auf den ersten Blick für ganz indifferent, für ganz unschuldig gelten könnten. Als besonderen Beweis solcher Schlauheit machte der tiefsinnige Knarrpanti den Abgeordneten auf einen Vers aufmerksam, der in Peregrinus’ Papieren vorkam und worin von einer endlosen Führung des Schicksals die Rede war. Nicht wenig tat sich Knarrpanti auf die Sagazität zugute, mir der er sogleich herausgefunden, das das Wort Entführung in jenem Verse getrennt worden, um es der Aufmerksamkeit und dem Verdacht zu entziehen. –
Der Rat wollte immer noch nicht auf ein weiteres Verfahren wider den Angeklagten Peregrinus Tyß eingehen, und die Rechtsverständigen bedienten sich eines Ausdrucks, der schon deshalb hier stehen darf, weil er sich in dem Märchen vom Meister Floh wunderlich ausnimmt, das Wunderliche aber, darf das Wunderbare der eigentliche Schmuck des Märchens genannt werden, doch als ein angenehmer Schnörkel nicht zu verwerfen ist. Sie sagten (nämlich die Rechtsverständigen), es fehle gänzlich an einem Corpus delicti, der weise Rat Knarrpanti blieb aber fest dabei stehen, dass ihn das delictum den Henker was kümmere, wenn er nur ein Corpus in die Faust bekäme, und das Corpus sei der gefährliche Entführer und Mörder, Herr Peregrinus Tyß. –
Der Herausgeber bittet den geneigten nicht rechtsverständigen Leser, vorzüglich aber jede schöne Leserin, sich diese Stelle von irgendeinem jungen Rechtsgelehrten erklären zu lassen. Besagter Rechtsgelehrter wird sich augenblicklich in die Brust werfen und beginnen: »In der Rechtssprache heißt« usw.
Bloß den Vorfall in der Nacht, von dem die Zeugen gesprochen, hielt der Abgeordnete für einen Gegenstand, worüber Herr Peregrinus Tyß wohl vernommen werden müsse.
Peregrinus geriet in nicht geringe Verlegenheit, als er von dem Abgeordneten über den Hergang der Sache befragt wurde. Er fühlte, dass die ganze Erzählung, weiche er in keinem Umstande von der Wahrheit ab, eben deshalb den Stempel der Lüge, wenigstens der höchsten Unwahrscheinlichkeit tragen müsse. Für ratsam fand er es daher, ganz zu schweigen und sich damit zu schützen, dass, sobald kein wirkliches bestimmtes Verbrechen feststehe, dessen man ihn beschuldige, er nicht nötig zu haben glaube, über einzelne Begebenheiten in seinem Leben Rede zu stehen. Knarrpanti frohlockte über diese Erklärung des Angeklagten, durch die er seinen ganzen Verdacht bestätigt fand. Er äußerte dem Abgeordneten ziemlich unverhohlen, dass er das Ding nicht recht anzugreifen wisse, und der Abgeordnete war hell und verständig genug, einzusehen, dass eine Vernehmung, die Knarrpanti selbst besorgen wollte, dem Peregrinus keinen Nachteil bringen, sondern vielmehr der Sache den Ausschlag zu seinem Vorteil geben konnte.
Der scharfsinnige Knarrpanti hatte über hundert Fragen in Bereitschaft, mit denen er dem Peregrinus zu Leibe ging und die in der Tat oft nicht leicht waren zu beantworten. Vorzüglich waren sie dahin gerichtet, zu erforschen, was Peregrinus sowohl im allgemeinen sein ganzes Leben hindurch als auch bei diesem, jenem besondern Anlass, wie z.B. bei dem Aufschreiben der verdächtigen Worte in seinen Papieren, gedacht habe.
Das Denken, meinte Knarrpanti, sei an und vor sich selbst schon eine gefährliche Operation und würde bei gefährlichen Menschen eben desto gefährlicher. – Ferner gab es solche verfängliche Fragen, wie z.B., wer der ältliche Mann im blauen Überrock und kurz geschnittenen Haaren gewesen sei, mit dem er sich am vierundzwanzigsten März des vergangenen Jahres mittags an der Wirtstafel über die beste Art, den Rheinlachs zu bereiten, verständigt habe? Ferner: ob er nicht selbst einsehe, dass all die geheimnisvollen Stellen in seinen Papieren mit Recht den Verdacht erweckten, dass das, was er niederzuschreiben unterlassen, noch viel Verdächtigeres, ja ein vollkommenes Zugeständnis der Tat hätte enthalten können?
Diese Art der Untersuchung, ja der Geheime Hofrat Knarrpanti selbst kam dem Peregrinus so seltsam vor, dass er begierig war, die Gedanken des spitzfindigen Schlaukopfs zu erkennen.
Er schnappte mit dem Daumen, und schnell setzte ihm der gehorsame Meister Floh das mikroskopische Glas in die Pupille.
Knarrpantis Gedanken lauteten ungefähr: »Ich glaube selbst gar nicht, dass der junge Mann unsre Prinzessin, die schon vor mehreren Jahren mit einem landstreicherischen Komödianten durchgegangen ist, entführt hat, ja entführt haben kann. Aber ich durfte die Gelegenheit nicht versäumen, zu meinem eignen Besten einen großen Rumor zu machen. Mein kleiner Herr fing an gleichgültig gegen mich zu werden, und am Hofe nannte man mich einen langweiligen Träumer, ja, man fand mich öfters albern und fade, da doch keiner mir an Geist und Geschmack überlegen war, keiner von allen den kleinen Dienst, durch den man sich eben einschmeichelt bei dem Herrn, so gut verstand als ich. Half ich nicht selbst dem Kammerdiener des Fürsten beim Stiefelputzen? Da kam ja die Entführungsgeschichte wie eine Wohltat des Himmels. Mit der Nachricht, dass ich der entflohenen Prinzessin auf die Spur gekommen, erhob ich mich plötzlich wieder zu dem Ansehen, das ich beinahe ganz verloren. Man findet mich wieder verständig, weise, gewandt, und vorzüglich dem Herrn so treu ergeben, dass ich eine Stütze des Staats zu nennen, auf der alles Wohl beruht.
Es wird, es kann aus der Sache gar nichts herauskommen, da die wirklich geschehene Entführung dem Menschen nicht nachzuweisen ist, aber das tut gar nichts zur Sache. Eben deshalb will ich den jungen Mann recht arg quälen mit Kreuz- und Querfragen, soviel ich es nur vermag. Denn je mehr ich dies tue, je höher wird mein Interesse für die Sache, mein reger Eifer für das Wohl meines Herrn gepriesen. Ich muss es nur dahin bringen, dass ich den jungen Mann ungeduldig mache und einige schnippische Antworten erpresse. Die streiche ich denn an mit einem tüchtigen Rotstift, begleite sie auch wohl mit einigen Bemerkungen, und ehe man sich’s versieht, steht der Mann da in einem zweideutigen Licht, und aus dem Ganzen erhebt sich ein gehässiger Geist, der ihm Nachteil bringt und sogar solche unbefangene ruhige Leute, wie der Herr Abgeordnete da, wider ihn einnimmt. Gepriesen sei die Kunst, der gleichgültigsten Sache einen Anstrich von gehässiger Bedeutsamkeit zu geben. Es ist eine Gabe, die mir die Natur verlieh und vermöge der ich mir meine Feinde vom Halse schaffe und selbst im besten Wohlsein bleibe. Ich muss lachen, dass der Rat wunder glaubt, wieviel mir an der wirklichen Ermittlung der Wahrheit gelegen ist, da ich doch nur mich selbst im Auge habe und die ganze Sache als ein Mittel betrachte, mich bei dem Herrn wichtig zu machen und so viel Beifall und Geld zu erobern als nur möglich. Kommt auch nichts heraus, so sagt doch keiner, dass meine Bemühungen unnütz gewesen sind, es heißt vielmehr, dass ich wohl recht hatte und durch die getroffenen Maßregeln wenigstens verhinderte, dass der schelmische Peregrinus Tyß die bereits entführte Prinzessin hinterher noch wirklich entführte.« Da Peregrinus auf diese Art die Gedanken des sublimen Hofrats durchschaute, so war es natürlich, dass er sich in gehöriger Fassung erhielt und statt, wie Knarrpanti wollte, unruhig zu werden, durch gar geschickte Antworten Knarrpantis Scharfsinn zuschanden machte. Der Abgeordnete des Rats schien seine Freude daran zu haben. Diesem erzählte aber Peregrinus, nachdem Knarrpanti sein endloses Verhör hauptsächlich aus Mangel an Atem geschlossen, unaufgefordert mit wenigen Worten, dass die junge Dame, die er in jener Christnacht auf ihr ausdrückliches Verlangen in sein Haus getragen, niemand anders sei als die Nichte des optischen Künstlers Leuwenhoek, namens Dörtje Elverdink, und dass diese sich jetzt bei ihrem Paten, dem Herrn Swammer, aufhalte, der bei ihm im Hause zur Miete wohne.
Man fand diese Angaben richtig, und der merkwürdige Entführungsprozess war beendigt.
Knarrpanti drang zwar noch auf fernere Vernehmungen und las im Rat sein scharfsinniges Verhörsprotokoll vor, dies Meisterstück erregte aber ein allgemeines schallendes Gelächter. Man fand es denn auch sehr ratsam, dass der Herr Geheime Hofrat Knarrpanti Frankfurt verließe und als Resultat seiner Bemühungen, als Beweis seiner Sagazität, seines regen Diensteifers das bewundrungswürdige Aktenstück seinem Herrn selbst überbringe. Der seltsame Entführungsprozess wurde zum Stadtgespräch, und der würdige Knarrpanti musste zu seinem nicht geringen Verdruss bemerken, dass die Leute sich mit allen Zeichen des Ekels und Abscheus die Nasen zuhielten, wenn er vorüberging, und ihre Plätze verließen, wenn er sich an die Wirtstafel setzen wollte. Bald machte er sich fort aus der Stadt. So musste aber Knarrpanti das Feld mit Schimpf und Schande räumen, auf dem er Lorbeern zu sammeln gehofft hatte.
Das, was hier hintereinander fort erzählt worden war, hatte aber den Zeitraum von mehreren Tagen ausgefüllt, denn man mag nicht denken, dass Knarrpanti in geringer Zeit einen ziemlichen Folioband zusammenzuschreiben vermochte. Einem solchen Bande glich aber das merkwürdige Verhörsprotokoll. Knarrpantis tägliche Quälerei, sein albernes anmaßendes Betragen erregte in Peregrinus tiefen Unmut, der aber noch merklich durch die Ungewissheit vermehrt wurde, in der er über das Schicksal der Schönsten schwebte.
Mit Blitzesschnelle hatte, wie es der geneigte Leser am Schlusse des vierten Abenteuers erfahren hat, George Pepusch die Kleine aus des verliebten Peregrinus Armen entführt und diesen zurückgelassen, starr vor Erstaunen und Schreck.
Als Peregrinus, endlich zur Besinnung gekommen, aufsprang und dem räuberischen Freunde nachsetzte, war alles öde und still im Hause. Auf wiederholtes starkes Rufen pantoffelte die alte Aline aus dem entferntesten Zimmer heran und versicherte, von dem ganzen Vorfall auch nicht das mindeste bemerkt zu haben.
Peregrinus wollte über Dörtjes Verlust beinahe außer sich geraten. Meister Floh ließ sich aber vernehmen mit tröstenden Worten. »Ihr wißt«, sprach er mit einem Ton, der dem Hoffnungslosesten Zutrauen einflößen musste, »Ihr wißt ja noch gar nicht, teurer Herr Peregrinus Tyß, ob die schöne Dörtje Elverdink Euer Haus wirklich verlassen hat. Soviel ich mich auf solche Dinge verstehe, ist sie gar nicht weit; mir ist’s, als wittere ich ihre Nähe. Doch wollt Ihr meinem freundschaftlichen Rat vertrauen und ihn befolgen, so überlasst die schöne Dörtje ihrem Schicksal. Glaubt mir, die Kleine ist ein wetterwendisches Ding; mag es sein, dass es, wie Ihr mir gesagt habt, Euch jetzt wirklich gut geworden ist, wie lange wird es dauern, und sie versetzt Euch in solch Trübsal und Leid, dass Ihr Gefahr lauft, darüber den Verstand zu verlieren wie die Distel Zeherit. Noch einmal sage ich es Euch, gebt Euer einsames Leben auf. Ihr werdet Euch besser dabei befinden. Was für Mädchen habt Ihr denn schon kennen gelernt, dass Ihr die Dörtje für die schönste achtet; welchem Weibe habt Ihr Euch denn schon genähert mit freundlichen Liebesworten, dass Ihr glaubt, nur Dörtje könne Euch lieben. Geht, geht, Peregrinus, die Erfahrung wird Euch eines Bessern überzeugen. Ihr seid ein ganz hübscher stattlicher Mann, und ich müsste nicht so verständig und scharfsinnig sein, als es der Meister Floh wirklich ist, wenn ich nicht voraussehen sollte, dass Euch das Glück der Liebe noch lachen wird auf eine ganz andere Weise, als Ihr es wohl jetzt vermutet.« –
Peregrinus hatte dadurch, dass er an öffentliche Örter ging, bereits die Bahn gebrochen, und es wurde ihm nun weniger schwer, Gesellschaften zu besuchen, denen er sich sonst entzogen. Meister Floh tat ihm dabei mit dem mikroskopischen Glase vortreffliche Dienste, und Peregrinus soll während der Zeit ein Tagebuch gehalten und die wunderlichsten ergötzlichsten Kontraste zwischen Worten und Gedanken, wie sie ihm täglich aufstießen, aufgezeichnet haben. Vielleicht findet der Herausgeber des seltsamen Märchens, Meister Floh geheißen, künftig Gelegenheit, manches weiterer Mitteilung Würdige aus diesem Tagebuch ans Licht zu fördern; hier würde es nur die Geschichte aufhalten und darum dem geneigten Leser eben nicht willkommen sein. So viel kann gesagt werden, dass manche Redensarten mit den dazugehörenden Gedanken stereotypisch wurden, wie z.B. »Ich erbitte mir Ihren gütigen Rat«, lautet in Gedanken: »Er ist albern genug, zu glauben, dass ich wirklich in einer Sache, die längst beschlossen, seinen Rat verlange, und das kitzelt ihn!« – »Ich vertraue Ihnen ganz!« – »Ich weiß ja längst, dass du ein Spitzbube bist« usw. Endlich darf auch noch bemerkt werden, dass manche Leute doch den Peregrinus mit seinen mikroskopischen Beobachtungen in große Verlegenheit setzten. Das waren nämlich die jungen Männer, die über alles in den höchsten Enthusiasmus geraten und sich in einen brausenden Strom der prächtigsten Redensarten ergießen konnten. Unter diesen schienen am tiefsten und herrlichsten junge Dichter zu sprechen, die von lauter Fantasie und Genialität strotzten und vorzüglich von Damen viel Anbetung erleiden mussten. Ihnen reihten sich schriftstellerische Frauen an, die alle Tiefen des Seins hienieden sowie alle echt philosophische, das Innerste durchdringende Ansichten der Verhältnisse des sozialen Lebens, wie man zu sagen pflegt, recht am Schnürchen hatten und mit prächtigen Worten herzusagen wussten wie eine Festtagspredigt. – Kam es dem Peregrinus wunderbar vor, dass die Silberfäden aus Gamahehs Gehirn herausrankten in ein unentdeckbares Etwas, so erstaunte er nicht weniger darüber, was er im Gehirn der erwähnten Leute wahrnahm. Er sah zwar das seltsame Geflecht von Adern und Nerven, bemerkte aber zugleich, dass diese, gerade wenn die Leute über Kunst und Wissenschaft, über die Tendenzen des höhern Lebens überhaupt ganz ausnehmend herrlich sprachen, gar nicht eindrangen in die Tiefe des Gehirns, sondern wieder zurückwuchsen, so dass von deutlicher Erkennung der Gedanken gar nicht die Rede sein konnte. Er teilte seine Bemerkung dem Meister Floh mit, der wie gewöhnlich in einer Falte des Halstuchs saß. Meister Floh meinte, dass das, was Peregrinus für Gedanken halte, gar keine wären, sondern nur Worte, die sich vergeblich mühten, Gedanken zu werden.
Erlustigte sich nun Herr Peregrinus Tyß in der Gesellschaft auf mannigfache Weise, so ließ auch sein treuer Begleiter, Meister Floh, viel von seinem Ernste nach und bewies sich als ein kleiner schalkischer Lüstling, als ein aimable roué. Keinen schönen Hals, keinen weißen Nacken eines Frauenzimmers konnte er nämlich sehen, ohne bei der ersten Gelegenheit sich aus seinem Schlupfwinkel hervor und auf den einladenden Sitz zu schwingen, wo er jeder Nachstellung gespitzter Finger geschickt zu entgehen wusste. Dies Manoeuvre umfasste ein doppeltes Interesse. Einmal fand er selbst seine Lust daran, dann wollte er aber auch Peregrinus’ Blicke auf Schönheiten ziehn, die Dörtjes Bild verdunkeln sollten. Dies schien aber ganz vergebliche Mühe zu sein, denn keine einzige der Damen, denen sich Peregrinus ohne alle Scheu mit voller Unbefangenheit näherte, kam ihm so gar hübsch und anmutig vor, als seine kleine Prinzessin. Weshalb aber auch nun vollends seine Liebe zur Kleinen festhielt, war, dass bei keiner er Worte und Gedanken so zu seinen Gunsten übereinstimmend fand als bei ihr. Er glaubte sie nimmermehr lassen zu können, und erklärte dies unverhohlen. Meister Floh ängstigte sich nicht wenig.
Peregrinus bemerkte eines Tages, dass die alte Aline schalkisch vor sich hinlächelte, öfter als sonst Tabak schnupfte, sich räusperte, undeutliches Zeug murmelte, kurz, in ihrem ganzen Wesen tat wie jemand, der etwas auf dem Herzen hat und es gern los sein möchte. Dabei erwiderte sie auf alles: »Ja! – man kann das nicht wissen, man muss das abwarten!« – mochten nun diese Redensarten passen oder nicht. »Sage«, rief Peregrinus endlich voll Ungeduld, »sage Sie es nur lieber gleich heraus, Aline, was es wieder gibt, ohne so um mich herumzuschleichen mit geheimnisvollen Mienen.«
»Ach«, rief die Alte, indem sie die dürren Fäuste zusammenschlug, »ach, das herzige allerliebste Zuckerpüppchen, das zarte liebe Ding!«
»Wen meint Sie denn«, unterbrach Peregrinus die Alte verdrießlich.
»Ei«, sprach diese schmunzelnd weiter, »ei, wen sollt ich denn anders meinen als unsere liebe Prinzess hier unten bei Herrn Swammer, Ihre liebe Braut, Herr Tyß.«
»Weib«, fuhr Peregrinus auf, »unglückliches Weib, sie ist hier, hier im Hause, und das sagst du mir erst jetzt?«
»Wo sollte«, erwiderte die Alte, ohne im mindesten aus ihrer behaglichen Ruhe zu kommen, »wo sollte die Prinzess auch wohl anders sein als hier, wo sie ihre Mutter gefunden hat.«
»Wie«, rief Peregrinus, »was sagt Sie, Aline?«
»Ja«, sprach die Alte, indem sie den Kopf erhob, »ja, Aline, das ist mein rechter Name, und wer weiß, was in kurzer Zeit, vor Ihrer Hochzeit, noch alles an das Tageslicht kommen wird.«
Ohne sich an Peregrinus’ Ungeduld, der sie bei allen Engeln und Teufeln beschwor, doch nur zu reden, zu erzählen, auch nur im mindesten zu kehren, nahm die Alte gemächlich Platz in einem Lehnstuhl, zog die Dose hervor, nahm eine große Prise und bewies dann dem Peregrinus sehr umständlich mit vielen Worten, dass es keinen größern, schädlicheren Fehler gäbe als die Ungeduld.
»Ruhe«, so sprach sie. »Ruhe, mein Söhnchen, ist dir vor allen Dingen nötig, denn sonst läufst du Gefahr, alles zu verlieren in dem Augenblick, als du es gewonnen zu haben glaubst. Ehe du ein Wörtchen von mir hörst, musst du dich dort still hinsetzen wie ein artiges Kind und mich beileibe nicht in meiner Erzählung unterbrechen.«
Was blieb dem Peregrinus übrig, als der Alten zu gehorchen, die, sowie Peregrinus Platz genommen, Dinge vorbrachte, die wunderlich und seltsam genug anzuhören waren.
So wie die Alte erzählte, hatten die beiden Herren, nämlich Swammerdamm und Leuwenhoek, sich in dem Zimmer noch recht tüchtig herumgebalgt und dabei entsetzlich gelärmt und getobt. Dann war es zwar stille geworden, ein dumpfes Ächzen hatte indessen die Alte befürchten lassen, dass einer von beiden auf den Tod verwundet. Als nun aber die Alte neugierig durch das Schlüsselloch kuckte, gewahrte sie ganz etwas anderes, als sie geglaubt. Swammerdamm und Leuwenhoek hatten den George Pepusch erfasst und strichen und drückten ihn mit ihren Fäusten so, dass er immer dünner und dünner wurde, worüber er denn so ächzte, wie es die Alte vernommen. Zuletzt, als Pepusch so dünn geworden wie ein Distelstengel, versuchten sie, ihn durch das Schlüsselloch zu drücken. Der arme Pepusch hing schon mit dem halben Leibe heraus auf den Flur, als die Alte entsetzt von dannen floh. Bald darauf vernahm die Alte ein lautes schallendes Gelächter und gewahrte, wie Pepusch in seiner natürlichen Gestalt von den beiden Magiern ganz friedlich zum Hause hinausgeführt wurde. In der Türe des Zimmers stand die schöne Dörtje und winkte die Alte hinein. Sie wollte sich putzen und hatte dabei die Hülfe der Alten nötig.
Die Alte konnte gar nicht genug von der großen Menge Kleider reden, die die Kleine aus allerlei Schränken herbeigeholt und ihr gezeigt und von denen eins immer reicher und prächtiger gewesen als das andere. Dann versicherte die Alte auch, dass wohl nur eine indische Prinzessin solch Geschmeide besitzen könne als die Kleine, die Augen täten ihr noch weh von dem blendenden Gefunkel.
Die Alte erzählte weiter, wie sie mit dem lieben Zuckerkinde während des Ankleidens dies und jenes gesprochen, wie sie an den seligen Herrn Tyß, an das schöne Leben, das sonst im Hause geführt worden, gedacht und wie sie zuletzt auf ihre verstorbene Verwandten gekommen.
»Sie wissen«, so sprach die Alte, »Sie wissen, lieber Herr Tyß, dass mir nichts über meine selige Frau Muhme, die Kattundruckerfrau geht. Sie war in Mainz und ich glaube gar, auch in Indien gewesen und konnte französisch beten und singen. Habe ich dieser Frau Muhme den unchristlichen Namen Aline zu verdanken, so will ich ihr das gern im Grabe verzeihen, da ich, was die feine Lebensart, die Manierlichkeit, den Verstand, die Worte hübsch zu setzen, allein von ihr profitiert habe. Als ich nun recht viel von der Frau Muhme erzählte, fragte die kleine Prinzessin nach meinen Eltern, Großeltern und immer so weiter und weiter in die Familie hinein. Ich schüttete mein Herz aus, ich sprach ganz ohne Rückhalt davon, dass meine Mutter beinahe ebenso schön gewesen sei als ich, wiewohl ich sie in Ansehung der Nase übertreffe, die vom Vater abstamme und überhaupt nach der Form in der Familie gebräuchlich sei, schon seit Menschengedenken. Da kam ich denn auch auf die Kirchweihe zu reden, als ich den Deutschen tanzte mit dem Sergeanten Häberpiep und die himmelblauen Strümpfe angezogen hatte mit den roten Zwickeln. – Nun! lieber Gott, wir sind alle schwache, sündige Menschen. – Doch, Herr Tyß, Sie sollten nun selbst gesehen haben, wie die kleine Prinzess, die erst gekickert und gelacht hatte, dass es eine Lust war, immer stiller und stiller wurde und mich anstarrte mit solchen seltsamen Blicken, dass mir in der Tat ganz graulich zumute wurde. – Und, denken Sie sich, Herr Tyß, plötzlich, ehe ich mir’s versehen, liegt die kleine Prinzess vor mir auf den Knien und will mir durchaus die Hand küssen und ruft: ›Ja, du bist es, nun erst erkenne ich dich, ja du bist es selbst!‹ – Und als ich nun ganz erstaunt frage, was das heißen soll –«
Die Alte stockte, und als Peregrinus in sie drang, doch nur weiter zu reden, nahm sie ganz ernst und bedächtig eine große Prise und sprach: »Wirst es zeitig genug erfahren, mein Söhnchen, was sich nun weiter begab. Jedes Ding hat seine Zeit und seine Stunde!«
Peregrinus wollte eben noch schärfer in die Alte dringen, ihm mehr zu sagen, als diese in ein gellendes Gelächter ausbrach. Peregrinus mahnte sie mit finstrem Gesicht daran, dass sein Zimmer eben nicht der Ort sei, wo sie mit ihm Narrenspossen treiben dürfe. Doch die Alte schien, beide Fäuste in die Seiten stemmend, ersticken zu wollen. Die brennend rote Farbe des Antlitzes ging über in ein angenehmes Kirschbraun, und Peregrinus stand im Begriff, der Alten ein volles Glas Wasser ins Gesicht zu gießen, als sie zu Atem kam und die Sprache wiedergewann. »Soll«, sprach sie, »soll man nicht lachen über das kleine närrische Ding. – Nein, solche Liebe gibt es gar nicht mehr auf Erden! – Denken Sie sich, Herr Tyß –«, die Alte lachte aufs neue, dem Peregrinus wollte die Geduld ausgehen. Endlich brachte er dann mit Mühe heraus, dass die kleine Prinzess in dem Wahn stehe, dass er, Herr Peregrinus Tyß, durchaus die Alte heiraten wolle, und dass sie, die Alte, ihr aufs feierlichste versprechen müssen, seine Hand auszuschlagen. –
Dem Peregrinus war es, als sei er in ein böses Hexenwesen verflochten, und es wurde ihm so unheimlich zumute, dass ihm selbst die alte ehrliche Aline ein gespenstiges Wesen bedünken wollte, dem er nicht schnell genug entfliehen könne.
Die Alte ließ ihn nicht fort, weil sie ihm noch ganz geschwind etwas vertrauen müsse, was die kleine Prinzess angehe.
»Es ist«, sprach die Alte vertraulich, »es ist nun gewiss, dass Ihnen, lieber Herr Peregrinus, der schöne leuchtende Glücksstern aufgegangen, aber es bleibt nun Ihre Sache, sich den Stern günstig zu erhalten. Als ich der Kleinen beteuerte, dass Sie ganz erstaunlich in sie verliebt und weit entfernt wären, mich heiraten zu wollen, meinte sie, dass sie sich nicht eher davon überzeugen und Ihnen ihre schöne Hand reichen könne, bis Sie ihr einen Wunsch gewährt, den sie schon lange im tiefsten Herzen trage. Die Kleine behauptet, Sie hätten einen kleinen allerliebsten Negerknaben bei sich aufgenommen, der aus ihrem Dienst entlaufen; ich habe dem zwar widersprochen, sie behauptet aber, der Bube sei so winzig klein, dass er in einer Nussschale wohnen könne. Diesen Knaben nun –«
»Daraus wird nichts«, fuhr Peregrinus, der längst wusste, wo die Alte hinauswollte, heftig auf und verließ stürmisch Zimmer und Haus.
Es ist eine alte hergebrachte Sitte, dass der Held der Geschichte, ist er von heftiger Gemütsbewegung ergriffen, hinausläuft in den Wald oder wenigstens in das einsam gelegene Gebüsch. Die Sitte ist darum gut, weil sie im Leben wirklich herrscht. Hiernach konnt’ es sich aber mit Herrn Peregrinus Tyß nicht anders begeben, als dass er von seinem Hause auf dem Roßmarkt aus so lange in einem Strich fortrannte, bis er die Stadt hinter sich und ein nahegelegenes Gebüsch erreicht hatte. Da es ferner in einer romanhaften Historie keinem Gebüsch an rauschenden Blättern, seufzenden, lispelnden Abendlüften, murmelnden Quellen, geschwätzigen Bächen usw. fehlen darf, so ist zu denken, dass Peregrinus das alles an seinem Zufluchtsorte fand. Auf einen bemoosten Stein, der zur Hälfte im spiegelhellen Bache lag, dessen Wellen kräuselnd um ihn her plätscherten, ließ sich Peregrinus nieder, mit dem festen Vorsatz, die seltsamen Abenteuer des Augenblicks überdenkend, den Ariadnen-Faden zu suchen und zu finden, der ihm den Rückweg aus dem Labyrinth der wunderlichsten Rätsel zeigen sollte.
Es mag wohl sein, dass das in abgemessenen Pausen wiederkehrende Geflüster der Büsche, das eintönige Rauschen der Gewässer, das gleichmäßige Klappern einer entfernten Mühle bald sich als Grundton gestaltet, nach dem sich die Gedanken zügeln und formen, so dass sie nicht mehr ohne Rhythmus und Takt durcheinanderbrausen, sondern zu deutlicher Melodie werden. So kam denn auch Peregrinus, nachdem er einige Zeit sich an dem anmutigen Orte befunden, zu ruhiger Betrachtung.
»In der Tat«, sprach Peregrinus zu sich selbst, »ein fantastischer Märchenschreiber könnte nicht tollere, verwirrtere Begebenheiten ersinnen, als ich sie in dem geringen Zeitraum von wenigen Tagen wirklich erlebt habe. – Die Anmut, das Entzücken, die Liebe selbst kommt dem einsiedlerischen Misogyn entgegen, und ein Blick, ein Wort reicht hin, Flammen in seiner Brust anzufachen, deren Marter er scheute, ohne sie zu kennen! Aber Ort, Zeit, die ganze Erscheinung des fremden, verführerischen Wesens ist so geheimnisvoll, dass ein seltsamer Zauber sichtbarlich einzugreifen scheint, und nicht lange dauert es, so zeigt ein kleines, winziges, sonst verachtetes Tier Wissenschaft, Verstand, ja eine wunderbare magische Kraft. Und dieses Tier spricht von Dingen, die allen gewöhnlichen Begriffen unerfasslich sind, auf eine Weise, als sei das alles nur das tausendmal wiederholte Gestern und Heute des gemeinen Lebens hinter der Bratenschüssel und der Weinflasche.«
»Bin ich dem Schwungrad zu nahe gekommen, das finstre unbekannte Mächte treiben, und hat es mich erfasst in seinen Schwingungen? Sollte man nicht glauben, man müsse über derlei Dinge, wenn sie das Leben durchschneiden, den Verstand verlieren? – Und doch befinde ich mich ganz wohl dabei; ja, es fällt mir gar nicht sonderlich mehr auf, dass ein Flohkönig sich in meinen Schutz begeben und dafür ein Geheimnis anvertraut hat, das mir das Geheimnis der innern Gedanken erschließt und so mich über allen Trug des Lebens erhebt. – Wohin wird, kann aber das alles führen? Wie, wenn hinter dieser wunderlichen Maske eines Flohs ein böser Dämon stäke, der mich verlocken wollte ins Verderben, der darauf ausginge, mir alles Liebesglück, das in Dörtjes Besitz mir erblühen könnte, zu rauben auf schnöde Weise? – Wär’ es nicht besser, sich des kleinen Ungetüms gleich zu entledigen?«
»Das war«, unterbrach Meister Floh das Selbstgespräch des Peregrinus, »das war ein sehr unfeiner Gedanke, Herr Peregrinus Tyß! Glaubt Ihr, dass das Geheimnis, welches ich Euch anvertraute, ein geringes ist? Kann Euch dies Geschenk nicht als das entscheidendste Kennzeichen meiner aufrichtigen Freundschaft gelten? Schämt Euch, dass Ihr so misstrauisch seid! Ihr verwundert Euch über den Verstand, über die Geisteskraft eines winzigen, sonst verachteten Tierchens, und das zeugt, nehmt es mir nicht übel, wenigstens von der Beschränktheit Eurer wissenschaftlichen Bildung. Ich wollte, Ihr hättet, was die denkende, sich willkürlich bestimmende Seele der Tiere betrifft, den griechischen Philo oder wenigstens des Hieronymi Rorarii Abhandlung: ›quod animalia bruta ratione utantur melius homine‹ oder dessen ›oratio pro muribus‹ gelesen. Oder Ihr wüsstet, was Lipsius und der große Leibniz über das geistige Vermögen der Tiere gedacht haben, oder Euch wäre bekannt, was der gelehrte tiefsinnige Rabbi Maimonides über die Seele der Tiere gesagt hat. Schwerlich würdet Ihr dann mich meines Verstandes halber für einen bösen Dämon halten oder gar die geistige Vernunftmasse nach der körperlichen Extension abmessen wollen. Ich glaube, am Ende habt Ihr Euch zur scharfsinnigen Meinung des spanischen Arztes Gomez Pereira hingeneigt, der in den Tieren nichts weiter findet als künstliche Maschinen ohne Denkkraft, ohne Willensfreiheit, die sich willkürlos, automatisch bewegen. Doch nein, für so abgeschmackt will ich Euch nicht halten, guter Herr Peregrinus Tyß, und fest daran glauben, dass Ihr längst durch meine geringe Person eines Bessern belehrt seid. – Ich weiß ferner nicht recht, was Ihr Wunder nennt, schätzbarster Herr Peregrinus, oder auf welche Weise Ihr es vermöget, die Erscheinungen unseres Seins, die wir eigentlich wieder nur selbst sind, da sie uns und wir sie wechselseitig bedingen, in wunderbare und nicht wunderbare zu teilen. Verwundert Ihr Euch über etwas deshalb, weil es Euch noch nicht geschehen ist, oder weil Ihr den Zusammenhang von Ursache und Wirkung nicht einzusehen wähnt, so zeugt das nur von der natürlichen oder angekränkelten Stumpfheit Eures Blicks, der Eurem Erkenntnisvermögen schadet. Doch – nehmt es nicht übel, Herr Tyß – das Drolligste bei der Sache ist, dass Ihr Euch selbst spalten wollt in zwei Teile, von denen einer die sogenannten Wunder erkennt und willig glaubt, der andere dagegen sich über diese Erkenntnis, über diesen Glauben gar höchlich verwundert. Ist es Euch wohl jemals aufgefallen, dass Ihr an die Bilder des Traums glaubt?«
»Ich«, unterbrach Peregrinus den kleinen Redner, »ich bitt’ Euch, bester Mann! wie möget Ihr doch vom Traume reden, der nur von irgendeiner Unordnung in unserm körperlichen oder geistigen Organismus herrührt.«
Meister Floh schlug bei diesen Worten des Herrn Peregrinus Tyß ein ebenso feines als höhnisches Gelächter auf. »Armer«, sprach er hierauf zu dem etwas bestürzten Peregrinus, »armer Herr Tyß, so wenig erleuchtet ist Euer Verstand, dass Ihr nicht das Alberne solcher Meinungen einsehet? Seit der Zeit, dass das Chaos zum bildsamen Stoff zusammengeflossen – es mag etwas lange her sein – formt der Weltgeist alle Gestaltungen aus diesem vorhandenen Stoff, und aus diesem geht auch der Traum mit seinen Gebilden hervor. Skizzen von dem, was war oder vielleicht noch sein wird, sind diese Gebilde, die der Geist schnell hinwirft zu seiner Lust, wenn ihn der Tyrann, Körper genannt, seines Sklavendienstes entlassen. Doch es ist hier weder Ort noch Zeit, Euch zu widerlegen und eines Bessern überzeugen zu wollen; es würde vielleicht auch von gar keinem Nutzen sein. Nur eine einzige Sache möcht’ ich Euch noch entdecken.«
»Sprecht«, rief Peregrinus, »sprecht oder schweigt, lieber Meister, tut das, was Euch am geratensten dünkt; denn ich sehe genugsam ein, dass Ihr, seid Ihr auch noch so klein, doch unendlich mehr Verstand und tiefe Kenntnis habt. Ihr zwingt mich zum unbedingten Vertrauen, unerachtet ich Eure verblümten Redensarten nicht ganz verstehe.«
»So vernehmt«, nahm Meister Floh wieder das Wort, »so vernehmt denn, dass Ihr in die Geschichte der Prinzessin Gamaheh verflochten seid, auf ganz besondere Weise. Swammerdamm und Leuwenhoek, die Distel Zeherit und der Egelprinz, überdem aber noch der Genius Thetel, alle streben nach dem Besitz der schönen Prinzessin, und ich selbst muss gestehen, dass leider meine alte Liebe erwacht und ich Tor genug sein konnte, meine Herrschaft mit der holden Treulosen zu teilen. Doch Ihr, Ihr, Herr Peregrinus, seid die Hauptperson, ohne Eure Einwilligung kann die schöne Gamaheh niemanden angehören. Wollt Ihr den eigentlichen tiefen Zusammenhang der Sache, den ich selbst nicht weiß, erfahren, so müsst Ihr mit Leuwenhoek darüber sprechen, der alles herausgebracht hat und gewiss manches Wort fallen lassen wird, wenn Ihr Euch die Mühe nehmen wollt und es versteht, ihn gehörig auszuforschen.«
Meister Floh wollte in seiner Rede fortfahren, als ein Mensch in voller Furie aus dem Gebüsch hervor und auf den Peregrinus losstürzte.
»Ha!« schrie George Pepusch – das war der Mensch – mit wilden Gebärden; »ha, treuloser verräterischer Freund! – Treffe ich dich? – treffe ich dich in der verhängnisvollen Stunde? – Auf denn, durchbohre diese Brust, oder falle von meiner Hand!«
Damit riss Pepusch ein Paar Pistolen aus der Tasche, gab ein Pistol dem Peregrinus in die Hand, und stellte sich mit dem andern in Positur, indem er rief: »Schieße, feige Memme!«
Peregrinus stellte sich, versicherte aber, dass nichts ihn zu dem heillosen Wahnsinn bringen würde, sich mit seinem einzigen Freunde in einen Zweikampf einzulassen, ohne die Ursache auch nur zu ahnen. Wenigstens würde er in keinem Fall den Freund zuerst mörderisch angreifen.
Da schlug aber Pepusch ein wildes Gelächter auf, und in dem Augenblick schlug auch die Kugel aus dem Pistol, das Pepusch abgedrückt, durch den Hut des Peregrinus. Dieser starrte, ohne den Hut, der zur Erde gefallen, aufzuheben, den Freund an in tiefem Schweigen. Pepusch näherte sich dem Peregrinus bis auf wenige Schritte und murmelte dann dumpf: »Schieße!«
Da drückte Peregrinus das Pistol schnell ab in die Luft. Laut aufheulend wie ein Rasender, stürzte George Pepusch nun an die Brust des Freundes und schrie mit herzzerschneidendem Ton: »Sie stirbt – sie stirbt aus Liebe zu dir, Unglücklicher! – Eile – rette sie – du kannst es! rette sie für dich, und mich lass untergehen in wilder Verzweiflung!« –
Pepusch rannte so schnell von dannen, dass Peregrinus ihn sogleich aus dem Gesicht verloren hatte.
Schwer fiel es aber nun dem Peregrinus aufs Herz, dass des Freundes rasendes Beginnen durch irgend etwas Entsetzliches veranlasst sein müsse, das sich mit der holden Kleinen begeben. Schnell eilte er nach der Stadt zurück.
Als er in sein Haus trat, kam ihm die Alte entgegen und jammerte laut, dass die arme schöne Prinzess plötzlich auf das heftigste erkrankt sei und wohl sterben werde; der alte Herr Swammer sei eben selbst nach dem berühmtesten Arzt gegangen, den es in Frankfurt gebe.
Den Tod im Herzen, schlich Peregrinus in Herrn Swammers Zimmer, das ihm die Alte geöffnet. Da lag die Kleine, blaß, erstarrt wie eine Leiche auf dem Sofa, und Peregrinus spürte erst dann ihren leisen Atem, als er niedergekniet sich über sie hinbeugte. Sowie Peregrinus die eiskalte Hand der Armen fasste, spielte ein schmerzliches Lächeln um ihre bleichen Lippen, und sie lispelte: »Bist du es, mein süßer Freund? – Kommst du her, noch einmal die zu sehen, die dich so unaussprechlich liebt? – Ach! die eben deshalb stirbt, weil sie ohne dich nicht zu atmen vermag!«
Peregrinus, ganz aufgelöst im herbsten Weh, ergoss sich in Beteuerungen seiner zärtlichsten Liebe und wiederholte, dass nichts in der Welt ihm so teuer sei, um es nicht der Holden zu opfern. Aus den Worten wurden Küsse, aber in diesen Küssen wurden wiederum wie Liebeshauch Worte vernehmbar.
»Du weißt«, so mochten diese Worte lauten, »du weißt, mein Peregrinus, wie sehr ich dich liebe. Ich kann dein sein, du mein, ich kann gesunden auf der Stelle, erblüht wirst du mich sehen in frischem jugendlichem Glanz wie eine Blume, die der Morgentau erquickt und die nun freudig das gesenkte Haupt emporhebt – aber – gib mir den Gefangenen heraus, mein teurer, geliebter Peregrinus, sonst siehst du mich vor deinen Augen vergehen in namenloser Todesqual! – Peregrinus – ich kann nicht mehr – es ist aus –«
Damit sank die Kleine, die sich halb aufgerichtet hatte, in die Kissen zurück, ihr Busen wallte wie im Todeskampf stürmisch auf und nieder, blauer wurden die Lippen, die Augen schienen zu brechen. – In wilder Angst griff Peregrinus nach der Halsbinde, doch von selbst sprang Meister Floh auf den weißen Hals der Kleinen, indem er mit dem Ton des tiefsten Schmerzes rief: »Ich bin verloren!« Peregrinus streckte die Hand aus, den Meister zu fassen; plötzlich war es aber, als hielte eine unsichtbare Macht seinen Arm zurück, und ganz andere Gedanken als die, welche ihn bis jetzt erfüllt, gingen ihm durch den Kopf. »Wie«, dachte er, »weil du ein schwacher Mensch bist, der sich hingibt in toller Leidenschaft, der im Wahnsinn aufgeregter Begier das für Wahrheit nimmt, was doch nur lügnerischer Trug sein kann, darum willst du den treulos verraten, dem du deinen Schutz zugesagt? Darum willst du ein freies harmloses Völklein in Fesseln ewiger Sklaverei schmieden, darum den Freund, den du als den einzigen befunden, dessen Worte mit den Gedanken stimmen, rettungslos verderben? – Nein – nein, ermanne dich, Peregrinus! – lieber den Tod leiden als treulos sein!«
»Gib – den – Gefangenen – ich sterbe!« – So stammelte die Kleine mit verlöschender Stimme.
»Nein«, rief Peregrinus, indem er in heller Verzweiflung die Kleine in die Arme fasste, »nein – nimmermehr, aber lass mich mit dir sterben!«
In dem Augenblick ließ sich ein durchdringender harmonischer Laut hören, als würden kleine Silberglöckchen angeschlagen; Dörtje, plötzlich frischen Rosenschimmer auf Lipp’ und Wangen, sprang auf vom Sofa und hüpfte, in ein konvulsivisches Gelächter ausbrechend, im Zimmer umher. Sie schien vom Tarantelstich getroffen.
Entsetzt betrachtete Peregrinus das unheimliche Schauspiel, und ein Gleiches tat der Arzt, der ganz versteinert in der Türe stehen blieb und dem Herrn Swammer, der ihm folgen wollte, den Eingang versperrte.
Anfang und Ende der Geschichte finden Sie hier.
Empfohlene Lektüre: Gerd Habermann, Freiheit in Deutschland. Geschichte und Gegenwart, Reinbek 2021.
Verwandte Beiträge: Wissenschaftler kritisieren Gendersprache des ÖRR | Eine Anklageschrift | Zurückforderung der Denkfreiheit | Genderismus und Geschlechter-Apartheid | Attacke gegen Wokoharam | Die Goldstein-Fragmente – Krieg ist Frieden | Die Goldstein-Fragmente – Unwissenheit ist Stärke | Die neuen Puritaner und ihre totalitäre Ideologie | Rudolf Steiner über Tyrannei – ein Aphorismus | Cancel Culture oder die altneue Lust am Denunzieren | »Was einer der geringsten Eurer Brüder denkt …« | Cancel-Culture: Das Denken aus dem Würgegriff befreien | Orwellexikon. Bestiarium der Vorurteile und Dysfunktionen der akademischen Welt | Wider die offene Gesellschaft | Warum die Linke versagt hat | Ein Hort der Intoleranz | Von Abhänglingen bis Wulstlingen | Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire | Gefährdete Freiheit – Steiners Rede von drohenden Denkverboten | Linksidentitäre Läuterungsrituale | Wider die offene Gesellschaft | Gefährdete Freiheit an Universitäten und Hochschulen | Gefährdete Freiheit. Vorschläge zu ihrer Verteidigung
Anmerkungen:
- »Der Wille des Fürsten ist nicht das Gesetz des Volkes, sondern das Gesetz des Volkes soll der Wille des Fürsten sein.« ↑
- »Es gibt keine Freiheit als in dem Gesetz und durch das Gesetz, und keine Gleichheit als mit dem Gesetz und vor dem Gesetz. Wo kein Gesetz ist, da ist keine Gleichheit, sondern Gewalttat, Unterwerfung, Sklaverei.« ↑
- »Das erste und heiligste Menschenrecht, unverlierbar und unveräußerlich, ist die persönliche Freiheit. Die Leibeigenschaft ist das Ungerechteste und Verabscheuungswürdigste, ein Greuel vor Gott und jedem guten Menschen.« ↑
- »Das Recht, in freier Rede und Schrift seine Meinung über öffentliche Angelegenheiten zu äußern, ist ein unveräußerliches Recht jedes Staatsbürgers.« ↑
- http://www.heinrich-heine-denkmal.de/dokumente/karlsbad2.shtml ↑
- https://dejure.org/gesetze/StGB/188.html ↑
- https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/verfassungsschutzrelevante-delegitimierung-des-staates/verfassungsschutzrelevante-delegitimierung-des-staates_node.html ↑
- https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/eu-einigt-sich-auf-digital-gesetz-gegen-hass-und-hetze-4324543.html ↑
- Die Paragraphen betreffen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen gegen Personen, gegen Eigentum und sonstige Rechte, gegen humanitäre Operationen und Embleme, sowie verbotene Methoden und Mittel der Kriegsführung. https://dejure.org/gesetze/VStGB/6.html ↑
- http://www.heinrich-heine-denkmal.de/dokumente/karlsbad1.shtml ↑
- Kamptz trug in der kritischen Presse den Spitzamen »Liberalen-Fresser.« ↑
- Ausführliches dazu ist dem Artikel Das Disziplinarverfahren gegen E.T.A. Hoffmann zu entnehmen, den Georg Ellinger 1906 in der Deutschen Rundschau veröffentlichte. ↑
- Anspielung auf Karl Albert von Kamptz, den Ministerialdirektor im preußischen Polizeiministerium, der die »Immediat-Untersuchungskommission zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe« wegen mangelnden Verfolgungseifers kritisierte und Hoffmann als heimlichen Sympathisanten des Jakobinismus betrachtete. ↑
- Friedrich Wilhelm III, König von Preußen und Kurfürst von Brandenburg. ↑
- Hierbei dürfte es sich um eine Anspielung auf Prinzessin Friederike, die Schwester der Frau Friedrich Wilhelms III. handeln, die 1798 von einem Unbekannten geschwängert und nach einer pro-forma-Heirat vom Hof verbannt worden war. ↑
- Das magische Mikroskop des Meisters Floh erlaubt es seinem Nutzer, die Gedanken anderer Menschen zu lesen. Zum Hintergrund konsultiere man die gesamte Erzählung, die hier zum Download bereitgestellt wird. ↑
- Gemeint ist Friedrich Georg Jünger (1759–1797). Sein Lustspiel Die Entführung erschien 1792 in Leipzig. ↑
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Dannn unterstützen Sie den anthroblog durch eine einmalige oder wiederkehrende Spende! Er ist auf Ihre Unterstützung angewiesen.
Oder durch eine Banküberweisung an: Lorenzo Ravagli, GLS Bank Bochum, IBAN: DE18 4306 0967 8212 0494 00 / BIC: GENODEM1GLS.