Zuletzt aktualisiert am 20. Dezember 2023.
Rudolf Steiner hielt den Vortrag »Der Weihnachtsbaum – ein Symbolum« am 21. Dezember 1909 in Berlin vor Mitgliedern der Theosophischen Gesellschaft.
An diesem Tage, der uns das Fest der Weihnacht darstellen soll, ist es wohl angemessen, ein wenig unsere sonstigen Gepflogenheiten dahin zu ändern, dass wir absehen von dem Suchen nach Erkenntnis und nach Wahrheit und stattdessen Einkehr halten in jene Gefühls- und Empfindungswelt, welche auferweckt werden soll durch jenes Licht, das wir aus der Geisteswissenschaft heraus erhalten.
Jenes Fest, das nun wieder herannaht und das unzähligen Menschen ein Fest der Beseligung im schönsten Sinne des Wortes ist, es ist in dem Sinne, wie es aufgefasst werden muss durch unsere anthroposophische Weltanschauung, noch nicht ein sehr altes Fest. Was man die christliche Weihnacht nennt, war nicht sogleich da, als das Christentum in die Welt eingezogen ist. Die ersten Christen hatten ein solches Weihnachtsfest noch nicht. Sie feierten nicht die Geburt des Christus Jesus. Und es vergingen fast drei Jahrhunderte, bevor das Geburtsfest des Christus Jesus innerhalb der Christenheit gefeiert worden ist.
In den ersten Jahrhunderten, als das Christentum sich durch die Welt verbreitete, da war es entsprechend den Empfindungen und Gefühlen in den Seelen derer, welche den Christus-Impuls gefühlt hatten, dass sich diese Menschen recht sehr zurückzogen von dem in der damaligen Zeit statthabenden äußeren Leben, wie es sich seit alten Zeiten heraufverpflanzt hatte und wie es zur Zeit des Christus-Impulses geworden war. Denn als eine dunkle Ahnung stieg es in den Seelen der ersten Christen auf, dass sie entstehen lassen sollten den Impuls zu einer Neugestaltung der Erdendinge, zu einer solchen Gestaltung der Erdendinge, welche durchzogen ist gegenüber dem Früheren von neuen Empfindungen, neuen Gefühlen, vor allem aber von einer neuen Hoffnung und einer neuen Zuversicht für die Menschheitsentwicklung. Und was dann heraustreten sollte auf den Horizont des großen Weltendaseins, das sollte seinen Ausgangspunkt nehmen wie ein geistiger Keim – wir können sagen »buchstäblich« – im Innern der Erde.
Wir haben uns ja schon öfter im Geiste versetzt in die römischen Katakomben, wo abgeschlossen von dem damaligen Leben die ersten Christen feierten die Feier ihrer Herzen und die Feier ihrer Seelen. Wir haben uns im Geiste hineinversetzt in diese Andachtsstätten. Da wurden zuerst nicht Geburtsfeste gefeiert; höchstens waren es die Sonntagsfeste jeder Woche, um jede Woche einmal zu gedenken des großen Ereignisses von Golgatha. Und außerdem wurden noch gefeiert in den ersten Jahrhunderten die Totenfeiern derjenigen, die mit besonderer Begeisterung, mit tiefem Gefühl von diesem Ereignis von Golgatha gesprochen hatten, und die in bedeutungsvoller Weise eingegriffen hatten in den Gang der Menschheitsentwicklung, so dass sie verfolgt wurden von der altgewordenen Welt. Die Todestage der Märtyrer, da diese Märtyrer eingezogen waren in das Geistesleben, wurden in den ersten Jahrhunderten als die Geburtstage der Menschheit von den ersten Christen gefeiert.
Damals gab es auch noch kein Christgeburtstagsfest. Aber gerade die Entstehung dieses Christgeburtstagsfestes kann uns zeigen, wie wir auch heute noch ein volles Recht haben, zu sagen: Das Christentum ist nicht mit diesem oder jenem Dogma, mit dieser oder jener Einrichtung einmal da, und diese Einrichtungen und diese Dogmen haben sich nur fortzupflanzen von Geschlecht zu Geschlecht –, sondern wir haben ein Recht, uns zu berufen auf Christi Ausspruch, dass er bei uns ist, dass er uns mit seinem Geiste erfüllt alle Tage. Wenn wir diesen Geist bei uns erfüllt fühlen, so dürfen wir uns berufen halten zu einer stetigen und nimmer aufhörenden Fortentwicklung des christlichen Geistes. Und gerade durch die anthroposophische Geistesentwicklung sind wir berufen, nicht ein totes, starres Christentum fortzupflanzen, sondern ein immer neues Christentum, das immer neue Weistümer und Erkenntnisse hervortreibt aus sich selber, in die Zukunft hinein zu entwickeln. Niemals sprechen wir von dem gewesenen Christus, sondern immer von dem ewig lebendigen Christus. Und wir dürfen uns an den ewig lebendigen, den ewig wirksamen Christus, an den in uns arbeitenden Christus insbesondere dann erinnern, da wir sprechen von dem Geburtsfest des Christus Jesus. Schon in den ersten Jahrhunderten fühlten es die Christen, dass sie durften Neues einprägen dem Organismus der christlichen Entwicklung, dass sie hinzufügen durften dasjenige, was ihnen aus dem Geiste Christi wirklich zuströmt.
So ist denn das Weihnachtsfest erst eine Einrichtung des 4. christlichen Jahrhunderts. Wir können sagen, im Jahre 354 wurde in Rom die erste christliche Weihnacht gefeiert. Und es zeigt sich uns insbesondere, dass in einer weniger kritischen Zeit als die unsrige es ist, die Bekenner des Christentums durchdrungen waren von der richtig ahnenden Erkenntnis, dass sie dem großen christlichen Lebensbaum immer neue Früchte entlocken sollten. Deshalb dürfen wir vielleicht dabei auch gedenken eines äußeren Symbols der Weihnacht, des Symbols des Weihnachtsbaumes, das wir hier vor uns haben, das unzählige Menschen in den nächsten Tagen vor sich haben werden und welches die Geisteswissenschaft berufen ist, immer tiefer und tiefer in seiner besonderen Bedeutung den Herzen und Seelen der Menschen einzuprägen.
Wir könnten fast mit der Zeitentwicklung in Widerspruch kommen, wenn wir uns gerade an dieses Symbolum hielten. Es wäre ein Irrtum, zu glauben, dass dieses Symbolum ein altes sei. Es könnte ja leicht in der Seele des heutigen Menschen der Glaube entstehen, der poetische Tannenbaum in der Weihnacht sei eine uralte Einrichtung. Es gibt ein Bild, welches darstellt den Weihnachtsbaum in der Familienstube Luthers. Dieses Bild, das natürlich erst im 19. Jahrhundert gemalt worden ist, stellt etwas durchaus Falsches dar, denn im weiten Umkreis der deutschen Lande wie auch in den andern Gegenden Europas gab es einen solchen Weihnachtsbaum zu Luthers Zeit noch nicht. Er ist erst ein späteres Symbolum. Gerade dieser Weihnachtsbaum zeigt uns vielleicht etwas ganz Merkwürdiges. Können wir nicht vielleicht auch so sagen, dass der Weihnachtsbaum heute etwas ist, was in dem Sinne als zukunftverheißend aufgefasst werden könnte, dass die Menschen immer mehr in diesem Weihnachtsbaum sehen könnten, vielleicht nach und nach sehen könnten ein Sinnbild für etwas außerordentlich Bedeutungsvolles und Wichtiges?
Da dürfen wir die Blicke auf diesen Weihnachtsbaum richten, wenn wir uns keiner Illusion in bezug auf sein historisches Alter hingeben und dürfen uns dabei in gewisser Weise in Erinnerung rufen, was uns schon öfter vor die Seele getreten ist, die sogenannte Heilige Legende. Sie erzählt uns: Als Adam aus dem Paradiese vertrieben worden war – die Legende erzählt es in der mannigfaltigsten Weise, wir wollen es jetzt nur so kurz als möglich wiedergeben –, da habe er mitgenommen drei Samenkörner von dem Baume des Lebens, wovon die Menschen nicht essen sollten, nachdem sie von dem Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen gegessen hatten. Als Adam dann gestorben war, nahm Seth diese drei Samenkörner und senkte sie in Adams Grab, und daraus wuchs aus dem Grabe Adams heraus ein Baum. Aus dem Holze dieses Baumes – so erzählt die Legende – ist mancherlei gebildet worden: Moses habe aus diesem Holze seinen Stab gebildet, und später sei aus diesem Baume auch das Holz genommen worden zu dem Kreuze von Golgatha.
So erinnert uns eine Legende in bedeutsamer Weise an jenen Paradiesesbaum, der als der zweite dastand: Die Menschen hatten genossen von dem Baume der Erkenntnis, entzogen wurde ihnen der Genuss vom Baume des Lebens. Aber es blieb in den Herzen der Menschen immerdar eine Sehnsucht, ein Trieb nach jenem Baum. Hinausgetrieben aus den geistigen Welten, die mit dem «Paradiese» bezeichnet werden, in die äußere Erscheinungswelt, fühlten die Menschen in ihren Herzen den Trieb hin zu dem Baume des Lebens. Was sie nicht haben durften ohne ihr Verdienst, ohne ihre Entwicklung, das sollten sie sich dadurch erringen, dass sie sich nach und nach mit Hilfe der Erkenntnis Verdienste erwarben, dass sie nach und nach durch ihre Arbeit auf dem physischen Plan sich reif und fähig machten, die Früchte des Baumes des Lebens zu empfangen.
Jene drei Samenkörner repräsentieren uns die Sehnsucht nach den Früchten des Baumes des Lebens. Die Legende erzählt uns, dass in dem Holze des Kreuzes dasjenige enthalten war, was aus dem Baume des Lebens stammte. Und man hat ein Bewusstsein dafür gehabt durch die ganze Entwicklung hindurch, dass das dürre Kreuzesholz dennoch den Keim des neuen geistigen Lebens enthält, dass daraus hervorwachsen soll dasjenige, was die Menschen, wenn sie es in der richtigen Weise genießen, mit ihrer Seele vereinigen können als die Frucht vom Baum des Lebens, als die Frucht, die ihnen Unsterblichkeit gibt im wahren Sinne des Wortes, die ihnen das Licht der Seele anzündet und die Seele so erleuchtet, dass sie den Weg findet aus den dunklen Tiefen der physischen Welt in die lichten Höhen des geistigen Daseins und sich dort fühlt als Angehörige eines unsterblichen Lebens.
Ohne dass wir uns einer Illusion hingeben, dürfen wir – wenn auch nicht als Historiker, so doch als fühlende Menschen – in dem Baume, der als Weihnachtsbaum vor uns steht, etwas fühlen wie ein Symbolum jenes Lichtes, das im Inneren unserer Seele aufgehen soll, damit es uns die Unsterblichkeit im geistigen Dasein erwerbe. Wir blicken in unser Inneres, und wir fühlen uns durch die anthroposophische Geistesströmung durchdrungen von jener Kraft, die uns in die geistige Welt hinaufblicken lässt. Wir sehen dann auf jenes äußere Symbolum, das wir als den Weihnachtsbaum vor uns stehen haben, und dürfen uns sagen: Er sei uns ein Symbolum für das, was in unseren Seelen leuchten und brennen soll, um uns hinaufzutragen in die geistige Welt!
Dieser Baum ist sozusagen auch entsprossen wie aus dunklen Tiefen. Nur jene Menschen mögen eine solche unhistorische Anschauungsweise tadeln, wie sie eben gekennzeichnet worden ist, die nicht wissen, dass dasjenige, dessen äußere Gründe physisches Erkennen nicht einsieht, dennoch seine tieferen geistigen Gründe hat. Dem äußeren Auge mag es sich entziehen, wie dieser Weihnachtsbaum sich merkwürdig hineinschleicht in das äußere menschliche Leben. Er hat sich in verhältnismäßig kurzer Zeit als ein beseligender Brauch eingeführt in den allgemeinen Weltenverkehr. Äußerlich mag es sich dem Auge entziehen; aber wer da weiß, dass alle äußeren Ereignisse Abdrücke eines geistigen Werdeganges sind, der muss fühlen, dass auch vielleicht ein besonderer tieferer Grund im äußeren physischen Plan vorlag für das Auftreten des Weihnachtsbaumes: dass das Auftreten des Weihnachtsbaumes herausgekommen ist wie aus einem tiefen geistigen Impuls, der unsichtbar die Menschen führt und vielleicht sogar unfühlbar einzelnen recht empfindenden Seelen die Inspiration eingegeben hat, das innere Licht, das in der Welt leuchten soll, in dem wunderschönen Weihnachtsbaum zum äußeren Ausdruck zu bringen. Und wenn ein solches Wissen zur Weisheit erwacht, dann kann dieser Baum durch unseren Willen ein äußeres Symbolum auch für das Höchste werden.
Soll Anthroposophie Weisheit sein, so darf sie tätige Weisheit sein und weisheitsvoll durchdringen, das heißt, vergolden die äußeren Eindrücke und Gebräuche. So darf vielleicht Anthroposophie, indem sie nach und nach erwärmend und erleuchtend sich ausbreitet über die Herzen und Seelen der Menschen der Gegenwart und der Zukunft, auch den so materialistisch gewordenen äußerlichen Gebrauch des Weihnachtsbaumes vergolden, mit ihrer Weisheit durchdringen, und mag ihn zu einem wichtigsten Symbolum machen, nachdem er wie aus dunklen Untergründen der Seele im Laufe der allerletzten Zeiten in das Erdenleben seinen Einzug gehalten hat. Und wenn wir dennoch vielleicht etwas tiefer schürfen und voraussetzen, dass eine tiefere geistige Leitung die Impulse gelegt hat in die menschlichen Herzen, erweist es sich uns auch nicht ganz ohne Grund, wenn die Menschen die Gedanken, die ihnen von einer geistigen Leitung eingegeben sind, ausleben in tieferen Empfindungen an dem brennenden Baum.
Es ist ja ein alter Gebrauch auch schon in den verschiedensten Ländern Europas gewesen, dass man die ganzen Wochen vor dem Weihnachtsfest gesucht hat nach allerlei Baumsprossen, nach allerlei Sträuchern, die meistens Laubpflanzen entnommen waren, welche in der Christnacht zum Aufbrechen oder wenigstens zum Sprossentreiben gebracht werden konnten. Und in gar mancher Seele entstand etwas von der Ahnung des niemals besiegbaren Lebens, jenes Lebens, das Sieger sein soll über allen Tod, wenn in der Christweihnacht die sorgfältig gesammelten Sprossen oder Zweige der Bäume in der Stube feierlich standen und künstlich in der Nacht des tiefsten Sonnenstandes zum Aufbrechen gebracht worden sind. Das war ein alter Gebrauch. Aber der Weihnachtsbaum selber ist jüngeren Datums. Wo haben wir den Gebrauch des Weihnachtsbaumes zuerst zu suchen?
Wir wissen von der eindringlichen Sprache, die unsere großen deutschen Mystiker geführt haben, insbesondere von Johannes Tauler, der im Elsass gewirkt hat. Wer die Predigten Johannes Taulers mit ihrer tiefen Innerlichkeit, mit ihrem unendlichen Gefühlswert auf sich wirken lässt, der wird sich sagen, dass dazumal im Elsass, als Tauler die Vertiefung und Vergeistigung, sogar die Verherzlichung des Christentumes anstrebte, ein ganz besonderer Geist umging, der überall die Seele suchte, die erfüllt war von dem Mysterium von Golgatha. Als Tauler seine Predigten zu Straßburg gehalten hat, da haben sich seine eindringlichen Feuerworte tief in die Seelen hinein versenkt, und mancher bleibende Eindruck mag manchmal in den Seelen der Menschen ersprossen sein. Mancher Eindruck mag von dem gekommen sein, was Johannes Tauler auch oft in seinen wunderschönen Weihnachtspredigten gesagt hat. Dreimal, so sagte er, wird der Gott für die Menschen geboren: zuerst, indem er abstammt von dem Vater, von dem großen Weltenall; dann, indem er zu den Menschen heruntergedrungen ist und menschliche Hüllen angenommen hat, und zum dritten Mal wird der Christus in jeder menschlichen Seele geboren, die in sich selber die Möglichkeit findet, dasjenige, was Gottesweisheit ist, mit sich zu vereinigen und in sich einen höheren Menschen zu gebären.
In allen möglichen schönen, feierlichen Wendungen sprach Johannes Tauler gerade in der Gegend von Straßburg die tiefste Weisheit aus, insbesondere am Weihnachtstage. Gerade eine solche tiefe Weisheit mag sich in die Seelen gesenkt haben, und sie mag geblieben sein und nachgewirkt haben. Auch die Gefühle haben ihre Traditionen. Von Jahrhundert zu Jahrhundert mag nachgewirkt haben, was dazumal in die Seelen gesenkt worden ist. So mag das Gefühl, das sich dazumal in die Menschenseelen gesenkt hat, es mag wie alle wirklichen, vom Geist durchdrungenen Gefühle sich gedrängt haben in Auge und Hand, mag dem Auge das Gefühl eingegeben haben, auch im äußeren Sinnbild zu schauen die Auferstehung, die Geburt des menschlichen Geisteslichtes. Deshalb ist es vielleicht für das materialistische Denken ein schöner Zufall, aber für den, der weiß, wie die geistige Führung durch alles Physische durchgeht, ist es mehr als ein bloßer Zufall, wenn wir hören, dass die ersten Nachrichten von einem Weihnachtsbaum, der in einer deutschen Stube gestanden habe, aus dem Elsass stammen, und zwar aus Straßburg. 1642 haben wir die allererste Nachricht darüber, dass ein solcher Weihnachtsbaum in einem Hause gestanden habe zur inneren Beseligung derer, die an einem äußeren Sinnbild sehen wollten das Licht, das in uns selber erweckt werden soll durch die Aufnahme der geistigen Weisheit.
Wie die deutsche Mystik von jenem Christentum, das an den äußeren Formen klebt, schlimm aufgenommen ist, das sehen wir zum Beispiel an Meister Eckhart, dem großen Vorgänger Johannes Taulers: er wurde noch nach dem Tode zum Ketzer erklärt, nachdem man vergessen hatte, es bei seinen Lebzeiten zu tun. Und die Feuerworte Johannes Taulers, die aus einem wirklichen christerfüllten Herzen hervorgegangen sind, fanden auch wenig Anerkennung. Wie jenes äußere Christentum, das nicht an den wirklichen Geist glaubt, zu der Vertiefung des Christentums durch Meister Eckhart, Johannes Tauler und so weiter sich gestellt hat, das sehen wir daraus, dass uns die erste Nachricht vom Weihnachtsbaum verkündet wird von einem geistigen Gegner. Der Betreffende meinte, das wäre ein Kinderspiel; die Leute sollten lieber dahin gehen, wo sie hörten, wie ihnen die richtige Lehre verkündet wird.
Langsam hat sich zunächst dieser Weihnachtsbaum verbreitet. Wir sehen ihn in Mitteldeutschland auftreten um die Mitte des 18. Jahrhunderts, aber auch da nur an einzelnen Orten. Erst gegen das 19. Jahrhundert zu wird der Weihnachtsbaum dieser immer häufigere geistige Schmuck der Weihnacht, ein neueres Symbolum für etwas, was durch Jahrhunderte hindurch gelebt hat. Bei denjenigen, welche so recht fühlen konnten alle Dinge im Glanze, nicht des Wortchristentums, sondern im Glanze des echten geistigen Christentums, bei denen war es immer so, dass der Weihnachtsbaum auslösen konnte schöne menschliche Gefühle. Und Sie werden es ohne weiteres glauben, dass der Weihnachtsbaum so jungen Datums ist, wenn Sie sich vor die Seele führen, dass die größten deutschen Dichter kein Gedicht geschrieben haben über den Weihnachtsbaum. Wäre er schon früher dagewesen, so würde ein Klopstock zum Beispiel sich gewiss über dieses Symbolum haben dichterisch vernehmen lassen. Daher sei uns auch dieser Weihnachtsbaum eine Bürgschaft dafür, dass Symbole für das Höchste und das Größte neu erstehen können. Und diese Symbole können uns besonders dann vor die Seele treten, wenn wir fühlen die geistige Wahrheit von der Auferweckung des Ich in der Menschenseele, jenes Ich, das die geistigen Bande fühlt von Seele zu Seele, und sie besonders dann recht fühlt, wenn edle Menschen zusammenwirken.
Nur ein Beispiel sei erwähnt, an dem wir sehen können, wie in die Seele eines großen Menschheitsführers das Licht des Weihnachtsbaumes hineingeleuchtet hat. Im Jahre 1822 war es, dass Goethe, dem wir so oft schon da begegneten, wo wir das Geistesleben im Lichte der Anthroposophie betrachteten, beim Abschlusse seines »Faust« so recht fühlte, wie die christlichen Symbole die einzig möglichen waren, um seine poetischen Intentionen darzustellen. Und er fühlte auch so recht, wie das Christentum die edelsten Bande schlingen muss von Menschenseele zu Menschenseele, wie es jene Bande der Bruderliebe zu begründen hat, die nicht an das Blut, sondern die an die Seele gebunden sind, die an den Geist gefügt sind. Wir fühlen, was in dem Christentum noch als Impuls liegt, wenn wir an den Schluss der Evangelien denken. Vom Kreuz von Golgatha herab sieht der Christus Jesus die Mutter, sieht den Sohn, und da stiftet er jene Gemeinschaft, die vorher nur durch das Blut gestiftet worden ist. Ein Sohn wurde der Mutter, eine Mutter wurde dem Sohn vorher nur durch das Blut gegeben. Die Blutsbande sollen nicht durch das Christentum aufgehoben werden. Bleiben sollen die Blutsbande. Aber die geistigen Bande sollen hinzukommen, welche die Blutsbande überstrahlen mit geistigem Lichte. Daher sprach der Christus Jesus vom Kreuz herab die Worte: »Weib, siehe, das ist dein Sohn!«, und zu dem Jünger: »Siehe, das ist deine Mutter!« Was früher nur die Blutsbande gestiftet haben, das wird vom Kreuz herab gestiftet durch geistige Bande.
Wo der Geist in edler geistiger Gemeinschaft lebt, da fühlte sich auch Goethe immerdar gedrängt, hinzublicken zum echten christlichen Geist. Für ihn war es auch ein Bedürfnis, diesen christlichen Geist vom Herzen in die Augen dringen zu lassen. 1822 hatte er einen besonderen Anlass dazu. Die Menschen jenes Fürstentums, dem Goethe so viel seiner Kraft gewidmet hat, hatten sich zusammengetan, um eine höhere Bürgerschule zu begründen. Es war gleichsam ein Geschenk, das dem Fürsten von Weimar gemacht wurde. Goethe hat nicht besser gewusst diesen kleinen Impuls des geistigen Fortschrittes zu feiern, als dass er vor dem Weihnachtsfest eine Anzahl von Menschen aufrief, diesen Fortschritt des Geistes in einzelnen Dichtungen zu feiern, wie sie es nach ihrem Können imstande waren. Dann sammelte er diese aus dem Volke entsprungenen Dichtungen, gab ihnen selber eine poetische Vorrede, und der spätere Großherzog Karl Alexander, der damals ein dreijähriger Knabe war, musste das Büchlein dem Fürsten Karl August unter dem Weihnachtsbaum überreichen. Denn der Weihnachtsbaum war 1822 bereits ein ständiges Symbolum.
Goethe hat mit dieser kleinen Tat angezeigt, dass ihm der Weihnachtsbaum ein Symbolum ist für das Fühlen und Empfinden des geistigen Fortschrittes im Kleinen und im Großen. Und in der poetischen Vorrede, die er diesem kleinen Büchlein gegeben hat, das heute noch in der Bibliothek zu Weimar vorhanden ist, hat Goethe den Weihnachtsbaum als dieses Symbol besungen mit den Worten:
Bäume leuchtend, Bäume blendend,
Überall das Süße spendend,
In dem Glanze sich bewegend,
Alt- und junges Herz erregend –
Solch ein Fest ist uns bescheret,
Mancher Gaben Schmuck verehret;
Staunend schau’n wir auf und nieder,
Hin und her und immer wieder.
Aber, Fürst, wenn dir’s begegnet
Und ein Abend so dich segnet,
Dass als Lichter, dass als Flammen
Vor dir glänzten allzusammen
Alles, was du ausgerichtet,
Alle, die sich dir verpflichtet:
Mit erhöhten Geistesblicken
Fühltest herrliches Entzücken.
Wir dürfen dieses Gedicht unseres Goethe sozusagen mit unter die ersten Weihnachtsdichtungen zählen. Wenn wir auf dem Felde der Geisteswissenschaft von Sinnbildern reden, dürfen wir auch davon sprechen, dass Sinnbilder, die wie unbewußt oder unterbewusst heraufdringen in die Seelen der Menschen, hineintreten in den Lauf der Zeit, vergoldet, mit Weisheit umkleidet werden dürfen.
So sehen wir im 4. Jahrhundert erst die christliche Weihnacht entstehen, sehen, wie sie dazumal zuerst in Rom gefeiert wurde. Und fast wiederum wie eine Schickung muss es angesehen werden, dass in ein uraltes Fest hinein – nicht auf äußerliche materialistische Weise, sondern durch eine geheimnisvolle Schickung – das Weihnachtsfest hineingeschoben wird für die Gegenden Mittel- und Nordeuropas in eine Zeit hinein, wo seit alters her der tiefste Sonnenstand gefeiert wurde: das Wintersonnenfest. Man darf nicht glauben, dass etwa das Weihnachtsfest in Mittel- und Nordeuropa in dieses Fest, in diese Zeit verlegt worden wäre, weil man das alte Fest hätte umwandeln wollen in das Weihnachtsfest, sozusagen um die Völker zu versöhnen. Das Weihnachtsfest wurde rein herausgeboren aus dem Christentum. Gerade durch die Aufnahme des Weihnachtsfestes in den nordischen Gegenden hat sich gezeigt die tiefe geistige Verwandtschaft dieser Völker und ihrer Sinnbilder zu dem Christentum. Während zum Beispiel in Armenien das Weihnachtsfest gar nicht als Gebrauch aufgenommen wurde, und selbst in Palästina die Christen sich lange dagegen ablehnend verhalten haben, hat es sich in Europa schnell eingebürgert.
Versuchen wir, durch die anthroposophische Betrachtung das Weihnachtsfest selber richtig zu verstehen, um den Weihnachtsbaum als ein Sinnbild aufzufassen. Das Jahr hindurch, wenn wir hier zusammen sind, lassen wir aus den geistigen Quellen heraus zu uns dringen diejenigen Worte, die nicht bloß Worte, sondern Kraft sein sollen, die in unserer Seele immer mehr und mehr wirksam sein sollen, damit die Seele zu einem Bürger der Ewigkeit werden kann. Das ganze Jahr versammeln wir uns, um diese Worte, diesen Logos in der mannigfaltigsten Weise in diesem Raum ertönen zu lassen: dass der Christus immerfort bei uns ist und dass, wenn wir zusammen sind, der Geist des Christus hineinwirkt, so dass unsere Worte durchdrungen werden von dem Geiste des Christus. Wenn wir die Dinge nur aussprechen mit dem Bewusstsein, dass das Wort ein Flügelträger ist für die Offenbarungen des Geistes an die Menschheit, dann lassen wir einfließen in unsere Seele dasjenige, was das Wort des Geistes ist. Aber wir wissen, dass das Wort des Geistes nicht von uns ganz ergriffen wird, nicht uns alles sein kann, was es sein soll, wenn wir es bloß in äußerlich-abstrakter Form als Erkenntnis aufnehmen. Wir wissen, dass es erst das sein kann, was es sein soll, wenn es jene innerliche Wärme erzeugt, wodurch sich die Seele ausdehnt und fühlt, sich ausdehnt durch innere Wärme, und endlich, sich ergießend in alle Erscheinungen des Weltendaseins, sich eins fühlen lernt mit demjenigen Geiste, der über alle Erscheinungen ausgegossen ist.
Fühlen wir, dass in uns Kraft, Leben werden muss, was als Geisteswort an unser Ohr dringt, indem wir, wenn die Zeit dazu da ist, das Symbolum vor uns hinstellen, das uns bekräftigend in die Seele rufen kann: Lasse in dir erstehen als ein Neues, als den Geistesmenschen, dasjenige, was als Wärme entzünden, als Licht erleuchten kann das Wort, das aus geistigen Quellen, aus geistigen Untergründen zu uns kommt –, dann fühlen wir auch, dass es eine Bedeutung hat, was da als Geisteswort zu uns tönt. Fühlen wir in einem solchen Augenblick, wie es der heutige ist, einmal ernsthaft, was die Geisteswissenschaft an solchem Seelenlicht und solcher Seelenwärme uns geben kann! Fühlen wir es etwa in der folgenden Weise:
Schauen wir uns die heutige materialistische Welt an mit ihrem Getriebe, wie die Menschen hasten und treiben vom Morgen bis zum Abend, und wie sie alles beurteilen im Sinne des materialistischen Nutzens, nach dem Maßstabe des äußeren physischen Planes, wie sie gar nicht ahnen, dass hinter allem der Geist lebt und webt. Die Menschen schlafen des Abends ein, ahnungslos gegenüber etwas anderem, als dass sie glauben, sie seien eben ohne Bewusstsein, und dass sie morgens wiederum aufwachen in das Bewusstsein des physischen Planes hinein. Ahnungslos schläft der Mensch ein, nachdem er am Tage gehastet und gearbeitet hat, ohne sich aufzuklären über den Sinn des Lebens. Wenn der nach spiritueller Erkenntnis Strebende aufgenommen hat die Worte des Geistes, dann weiß er etwas, was nicht bloß Theorie und Lehre ist. Er weiß etwas, was ihm Seelenlicht und Seelenwärme gibt, er weiß: Würdest du am Tage nur aufnehmen die Vorstellungen des physischen Lebens, du würdest vertrocknen. Öde wäre dein ganzes Leben, ersterben würde alles, was du gewinnst, wenn du nur die Vorstellungen des physischen Planes hättest. Wenn du dich abends zum Schlummer hinlegst, gehst du hinein in eine Welt des Geistes, tauchst unter mit allen deinen Seelenkräften in eine Welt von höheren geistigen Wesenheiten, zu denen du mit deinem Sein hinaufwachsen sollst. Und indem du morgens aufwachst, kommst du neu gestärkt heraus aus einer geistigen Welt und gießest über das, was du aus dem physischen Plan empfängst, göttlich-geistiges Leben aus, ob bewusst oder unbewußt. Aus dem Ewigen verjüngst du selber das Zeitliche deines Daseins an jedem Morgen.
Wenn wir das Wort des Geistes so verwandeln in das Gefühl, das wir an jedem Abend haben können: Ich gehe nicht bloß in die Bewusstlosigkeit, sondern ich tauche ein in die Welt, wo die Wesen des Ewigen sind, denen meine eigene Wesenheit angehören soll. Ich schlafe ein mit dem Gefühl: Hinein in die geistige Welt! – und ich erwache mit dem Gefühl: Heraus aus dem Geist! – dann durchdringen wir uns mit jenem Gefühl, in das sich verwandeln soll das Wort des Geistes, das wir hier in einem der spirituellen Erkenntnis gewidmeten Leben aufgenommen haben, von Tag zu Tag, von Woche zu Woche. Dann wird der Geist in uns Leben, dann wachen wir anders auf und schlafen anders ein.
Fühlen wir uns verbunden mit dem Geiste des Weltenalls, fühlen wir uns als Missionare des Weltengeistes an jedem Morgen, fühlen wir uns nach und nach verbunden mit dem, was als Weltengeist alles äußere Sein durchsetzt und durchwebt, dann fühlen wir auch, wenn die Sonne im Sommer hochsteht und ihre lebenspendenden Strahlen der Erde zusendet, wie der Geist wirkt auf äußerliche Art und wie er, weil er uns sein Antlitz, sein äußerliches Antlitz in den äußeren Sonnenstrahlen zusendet, seine innere Wesenheit gleichsam zurücktreten lässt.
Wo sehen wir diesen Geist des Weltenalls, den schon Zarathustra in der Sonne verkündet hat, wenn uns nur die äußeren physischen Sonnenstrahlen entgegenstrahlen? Wir sehen diesen Geist des Weltenalls, wenn wir erkennen können, wo er sich selber sieht. Wahrhaftig, dieser Geist des Weltenalls schafft sich seine Sinnesorgane, durch die er sich sehen kann während des Sommers. Äußere Sinnesorgane schafft er sich. Lernen wir verstehen, was als grüne Pflanzendecke vom Frühling an die Erde bedeckt, die Erde mit einem neuen Antlitz bekleidet! Was ist das? Spiegel für den Weltengeist der Sonne. Wenn die Sonne uns ihre physischen Strahlen zusendet, schaut der Weltengeist zur Erde hernieder. Was da an Pflanzenwachstum, an Blüten und Blättern herausquillt, nichts anderes ist es als die Ebenbildlichkeit des reinen, keuschen Weltengeistes, der sich selber gespiegelt sieht in seinem Werke, das er hervorsprießen lässt aus der Erde. Sinnesorgane des Weltengeistes sind enthalten in der Pflanzendecke.
Wir sehen dann, wenn die Pflanzendecke zum Herbst verschwindet, wie die äußere Kraft der Sonne sich verringert, wie das Antlitz des Weltengeistes sich zurückzieht. Sind wir vorbereitet in der rechten Weise, so fühlen wir den Geist, der durch das Weltenall pulst, in uns selber. Dann können wir jetzt dem Weltengeist auch folgen, wenn er sich dem äußeren Anblick entzieht. Dann fühlen wir, wenn unsere Augen nicht ruhen können auf der Pflanzendecke, wie der Geist in dem Maße in uns erwacht, als er sich aus den äußeren Welterscheinungen zurückzieht. Und der erwachende Geist wird uns ein Führer für die Tiefen, in die sich das Geistesleben zurückzieht, da hinein, wo wir dem Geiste übergeben die Keime für den nächsten Frühling. Da lernen wir mit unserem geistigen Blick schauen und uns sagen: Wenn das äußere Leben für die äußeren Sinne nach und nach unsichtbar wird, wenn die Herbsteswehmut in unsere Seele schleicht, folgt die Seele dem Geiste in das tote Gestein, um daraus herauszuziehen jene Kräfte, die im Frühling die Erde mit neuen Sinnesorganen für den Weltengeist bedecken.
So fühlten diejenigen Menschen, die den Geist im Geiste erfassten, ihr Mitgehen mit dem Weltengeist, ihr Mitgehen mit dem Samenkorn hinunter im Winter. Wenn die äußere Sonne am wenigsten Kraft hat, am wenigsten leuchtet, wenn die äußere Finsternis am stärksten ist, fühlt sich der Geist in uns durch den Geist aus dem Weltenall, mit dem er sich verbunden hat, unten verbunden hat, mit jenen Kräften vereinigt, die am deutlichsten wahrnehmbar und sichtbar werden, indem sie das Samenkorn einem neuen Dasein zuführen.
So leben wir uns gleichsam mit der Kraft des Samens wörtlich in die Erde hinein, durchdringen die Erde. Während wir uns zur Sommerszeit dem leuchtenden Luftkreis zugewendet haben, den sprießenden und sprossenden Früchten der Erde, wenden wir uns nun zu dem toten Gestein, wissen aber jetzt: In diesem toten Gestein ruht das, was wiederum als äußeres Dasein erscheinen soll. – Wir folgen mit unserer eigenen Seele im Geiste der sprießenden, sprossenden Kraft, die sich entzieht dem äußeren Anblick und ganz in den Stein hinein verborgen wird durch die Winterzeit hin. Und wenn diese Winterzeit an ihrer Mitte angekommen ist, wenn die stärkste Dunkelheit herrscht, dann fühlen wir gerade dadurch, dass uns die Außenwelt nicht abhält, uns mit dem Geiste verbunden zu fühlen, wie in den Tiefen, in die wir uns zurückgezogen haben, das Geisteslicht ersprießt, jenes Geisteslicht, für das der Menschheit den gewaltigsten Impuls der Christus Jesus gegeben hat. Da fühlen wir nach, was die Menschen empfunden haben zu alten Zeiten, die davon sprachen, dass sie heruntersteigen müssen da, wo das Samenkorn im Winter ruht, um den Geist in seinen verborgenen Kräften zu erkennen. Da fühlen wir, dass wir den Christus im Verborgenen zu suchen haben, in jenem Verborgenen, das dunkel und finster ist, wenn wir uns in der Seele nicht selber erst erleuchtet haben, das aber hell und leuchtend wird, wenn wir das Christus-Licht in der Seele aufgenommen haben. Da finden wir, dass wir uns in jeder Weihnacht stärken und kräftigen durch jenen Impuls, der durch das Mysterium von Golgatha in die Menschheit hineingedrungen ist.
So fühlen wir jedes Jahr wie eine Bekräftigung unseres Strebens wirklich den Christus-Impuls und nehmen von diesem Impuls die Gewähr und Bürgschaft dafür, dass wir von Jahr zu Jahr jenes Leben in uns verstärken, das uns hineinführt in eine geistige Welt, in welcher es einen Tod, wie er in der physischen Welt vorhanden ist, nicht geben kann. Dann können wir vergeistigen und beseligen, was dem heutigen materialistischen Menschen gar kein Symbolum ist, sondern nur eine äußerliche materialistische Sinnesfreude. Und wir ahnen dann in dem Symbolum die Wirklichkeit, wir ahnen dasselbe, was Johannes Tauler zum Beispiel meint, wenn er davon spricht, dass der Christus dreimal geboren wird: einmal von dem ewigen Vatergott, der die Welt durchwebt und durchlebt, einmal als Mensch zur Zeit der Begründung des Christentums, und dann immer wieder und wieder in den Seelen derer, die das geistige Wort in sich zur Erweckung bringen. Ohne diese letzte Geburt wäre das Christentum nicht vollständig und die Anthroposophie nicht fähig, den christlichen Geist zu erfassen, wenn sie nicht versteht, was es heißt, dass das Wort, das von Jahr zu Jahr uns ertönt, nicht Theorie und Lehre bleiben soll, sondern Wärme und Licht und Leben wird, damit wir durch diese Kraft uns einfügen Leben der Geistigkeit der Welt, aufgenommen werden von ihr und mit ihr selber der Ewigkeit einverleibt werden.
Das sollen wir fühlen, wenn wir vor dem Symbolum der Weihnacht stehen, uns gleichsam untertauchen fühlen in die tiefe, frostige, scheinbar tote Welt unter der Erde, ahnend nicht nur, sondern erkennend, dass der Geist neues Leben weckt aus dem Tode. Auf welcher Stufe der Entwicklung wir auch stehen, wir können nachfühlen, was zu allen Zeiten diejenigen gefühlt haben, welche da eingeweiht waren, die wirklich dann in dieser Weihnacht hinuntergestiegen sind um die Mitternachtsstunde, um dort zu schauen die Geistessonne um die Weihnachtmitternacht, wo die Geistessonne der Weihnachtmitternacht hervorruft aus dem scheinbar toten Gestein zuerst das sprießende, sprossende Leben, damit es erscheinen kann im neuen Frühling.
Wir selber fühlen uns vereint mit jenen Kräften der Welt, die da walten, auch wenn sie sich äußerlich physisch in Frost und Lieblosigkeit zurückgezogen haben. Das wollen wir fühlen, wie es alle diejenigen empfinden werden, welche um die Weihnachtszeit wirklich immer gedenken der geistigen Sonne, jener Christus-Sonne, die hinter der physischen Sonne steht. Wir wollen ihnen nachfühlen, um nach und nach emporzusteigen, erleben und dann schauen zu können dasjenige, was der Mensch schauen kann, wenn er in sich immer neue Kräfte entwickelt, die ihn mit dem Geistigen verbinden. Und wovon wir schon vor einigen Jahren sprachen, als wir das Weihnachtsfest feierten, das möge auch diese Betrachtung beschließen als das Wichtigste, was wir im Jahr aufnehmen und in unsere Seele gießen können:
Die Sonne schaue
Um mitternächtige Stunde.
Mit Steinen baue
Im lebenlosen Grunde.
So finde im Niedergang
Und in des Todes Nacht
Der Schöpfung neuen Anfang,
Des Morgens junge Macht.
Die Höhen lass offenbaren
Der Götter ewiges Wort,
Die Tiefen sollen bewahren
Den friedensvollen Hort.
Im Dunkel lebend
Erschaffe eine Sonne
Im Stoffe webend
Erkenne Geistes Wonne.
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